quod autem talis factus sit ut
necessitate non moreretur
hinc facile probatur
quia ut iam diximus
sapientiae et iustitiae Dei repugnat
ut cogeret mortem pati sine culpa
quem iustum ad aeternam fecit beatitudinem
Daß er aber so geschaffen wurde, daß er notwendigerweise
nicht sterben sollte,
läßt sich leicht daraus beweisen,
daß es, wie wir schon sagten, der Weisheit und Gerechtigkeit
Gottes widerspricht,
ihn zu zwingen, den Tod zu erleiden ohne Schuld,
ihn, den er doch als eine Gerechten zur ewigen Seligkeit geschaffen
hat.
sequitur ergo quia
si numquam peccasset
numquam moreretur
Es folgt also, daß er,
wenn er niemals gesündigt hätte,
niemals stürbe.
capitulum iii
quod cum corpore in
quo vivit in hac vita resurgat
3. Kapitel
Daß er mit dem Leibe, in dem er in diesem Leben lebt, aufersteht
unde aperte quandoque futura resurrectio mortuorum
probatur
Daraus wird klar die dereinst erfolgende Auferstehung der Toten bewiesen.
quippe si homo perfecte restaurandus est
talis debet restitui
qualis futurus erat si
non peccasset
Denn wenn der Mensch in vollkommener Weise wiederherzustellen ist,
muß er so wiederhergestellt werden,
wie er hätte sein sollen, wenn er nicht gesündigt hätte.
B.: aliter esse non potest
B.: Anders kann es nicht sein.
A.: quemadmodum igitur si
non peccasset homo
cum eodem quod gerebat corpore in incorruptibilitatem
transmutandus erat
ita oportet ut cum
restaurabitur
cum suo in quo vivit in hac vita corpore restauretur
A.: Wie der Mensch also, wenn er nicht gesündigt hatte,
mit demselben Leibe, den er trug, zur Unvergänglichkeit zu verwandeln
war,
so muß er, wenn er wiederhergestellt werden wird,
mit seinem Leibe, in dem er in diesem Leben lebt, wiederhergestellt
werden.
B.: quid respondebimus
si quis dicat quia hoc fieri oportet de illis
in quibus humanum genus restaurabitur
de reprobis vero non est necesse ?
B.: Was werden wir antworten,
wenn jemand sagt, das müsse bei denen,
in denen das Menschengeschlecht wiederhergestellt werden wird, sich
vollziehen;
bei den Verworfenen aber sei das nicht notwendig?
A.: nihil iustius aut convenientius intelligitur
quam ut
sicut homo si perseverasset
in iustitia
totus id est anima
et corpore aeterne beatus esset
ita si perseverat in iniustitia
totus similiter aeterne miser sit
A.: Es läßt sich nichts Gerechteres oder Angemesseneres
denken, als daß,
wie der Mensch, wenn er in der Gerechtigkeit ausgeharrt hätte,
ganz, das heißt mit Seele und Leib, auf ewig selig gewesen wäre,
so auch, wenn er in der Ungerechtigkeit verharrt,
in entsprechender Weise ganz auf ewig unselig sei.
B.: breviter mihi de his satisfecisti
B.: In Kürze hast du mich darüber zufrieden gestellt.
capitulum iv
quod de humana natura perficiet Deus quod incepit
4. Kapitel
Daß Gott mit der menschlichen Natur vollenden wird, was er begonnen
A.: ex his est facile cognoscere
quoniam aut hoc de humana perficiet Deus natura
quod incepit
aut in vanum fecit tam sublimem naturam ad tantum
bonum
A.: Aus dem läßt sich leicht erkennen,
daß Gott entweder mit der menschlichen Natur vollenden wird,
was er begonnen,
oder eine solch erhabene Natur vergebens zu einem solch hohen Gute
erschaffen hat.
at si nihil pretiosius cognoscitur Deus fecisse
quam rationalem naturam
ad gaudendum de se
valde alienum est ab eo
ut ullam rationalem naturam penitus perire sinat
Aber wenn erkannt wird, daß Gott nichts Kostbareres geschaffen
hat als die vernünftige Natur,
damit sie sich an ihm erfreue,
so ist dem ganz fremd,
daß er eine vernünftige Natur völlig zugrunde gehen
lasse.
B.: non potest aliter putare cor rationale
B.: Ein vernünftiges Herz kann nichts anderes annehmen.
A.: necesse est ergo
ut de humana natura quod incepit perficiat
A.: Es ist folglich notwendig,
daß er mit der menschlichen Natur vollende, was er begonnen hat.
hoc autem fieri sicut
diximus nequit
nisi per integram peccati satisfactionem
quam nullus peccator facere potest
Das kann aber, wie wir sagten, nicht geschehen,
es sei denn durch eine völlige Genugtuung für die Sünde,
die kein Sünder leisten kann.
B.: intelligo iam necesse esse
ut Deus faciat quod incepit
ne aliter quam deceat videatur a suo incepto
deficere
B.: Ich sehe schon ein, daß es notwendig ist,
daß Gott vollbringe, was er begonnen,
damit er nicht anders, als es geziemend ist, vom begonnenen Werke abzulassen
scheine.
capitulum v
quod quamvis hoc necesse sit fieri tamen non
hoc faciet cogente necessitate
et quod sit necessitas quae aufert gratiam aut
minuit et sit necessitas quae auget
5. Kapitel
Daß er das obwohl es notwendig geschieht, dennoch nicht aus zwingender
Notwendigkeit tut;
und daß es eine Notwendigkeit gibt, die den Dank aufhebt oder
mindert, und eine Notwendigkeit, die ihn mehrt.
sed si ita est videtur
quasi cogi Deus necessitate vitandi indecentiam
ut salutem procuret humanam
Aber wenn es so ist, scheint es,
als ob Gott aus Notwendigkeit, das Unziemliche zu vermeiden, gezwungen
werde,
für das Heil der Menschen zu sorgen.
quomodo ergo negari poterit
plus hoc propter se facere quam propter nos?
Wie wird man folglich leugnen können,
daß er das mehr um seinetwillen als um unseretwillen tut?
aut si ita est:
quam gratiam illi debemus pro eo quod facit propter
se?
Oder wenn es so ist:
welchen Dank schulden wir ihm für das, was er um seinetwillen
tut?
quomodo etiam imputabimus nostram salutem eius
gratiae
si nos salvat necessitate?
Wie auch werden wir unser Heil seiner Gnade zuschreiben,
wenn er uns mit Notwendigkeit erlöst?
A.: est necessitas quae benefacienti gratiam
aufert aut minuit
et est necessitas qua maior beneficio gratia
debetur
A.: Es gibt eine Notwendigkeit, die dem Wohltäter den Dank entzieht
oder mindert,
und es gibt eine Notwendigkeit, durch die für die Wohltat ein
reichlicherer Dank gebührt.
cum enim aliquis ea necessitate cui subiacet
invitus bene facit
aut nulla aut minor illi gratia debetur
Denn wenn jemand aus der Notwendigkeit, der er unterliegt, unfreiwillig
Gutes tut,
so gebührt ihm gar kein Dank oder ein geringerer.
cum vero ipse sponte se necessitati benefaciendi
subdit nec invitus eam sustinet
tunc utique maiorem beneficii gratiam meretur
Wenn er sich aber freiwillig der Notwendigkeit, Gutes zu tun, unterwirft
und sie nicht widerwillig erträgt,
dann verdient er freilich einen größeren Dank für seine
Wohltat.
non enim haec est dicenda necessitas sed
gratia
quia nullo cogente illam suscepit aut servat
sed gratis
Denn das darf man nicht Notwendigkeit nennen, sondern Gunst,
weil er sie aus keinem Zwange auf sich nahm oder wahrt, sondern umsonst.
nam si quod hodie sponte promittis cras te daturum
eadem cras voluntate das
quamvis necesse sit te cras reddere promissum
si potes aut mentiri:
non tamen minus tibi debet ille pro impenso beneficio
cui das
quam si non promisisses
quoniam te debitorem ante tempus dationis illi
facere non es cunctatus
Denn wenn du das, was du heute aus freiwillig versprichst, morgen zu
geben,
morgen mit demselben guten Willen gibst,
obwohl es notwendig ist, daß du morgen das Versprochene gibst,
wenn du kannst, oder lügst:
so schuldet der, dem du gibst, dir für die erwiesene Wohltat doch
nicht weniger,
als wenn du sie nicht versprochen hättest,
weil du nicht gezögert hast, dich ihm gegenüber vor der Zeit
der Schenkung zum Schuldner zu machen.
tale est
cum quis sanctae conversationis sponte vovet
propositum
Genauso verhält es sich,
wenn jemand freiwillig das Gelübde des heiligen Lebenswandels
ablegt.
quamvis namque servare illud ex necessitate post
votum debeat
ne apostatae damnationem incurrat
et licet cogi possit servare si
nolit:
si tamen non invitus servat quod vovit
non minus sed magis gratus est Deo quam
si non vovisset
quoniam non solum communem vitam
sed etiam eius licentiam sibi propter Deum abnegavit
nec sancte vivere dicendus est necessitate
sed eadem qua vovit libertate
Denn obwohl er ihn nach dem Gelübde mit Notwendigkeit bewahren
muß,
um nicht der Verdammung als Abtrünniger anheimzufallen,
und obgleich er, falls er nicht wollte, gezwungen werden könnte,
ihn zu bewahren:
wenn er jedoch nicht widerwillig hält, was er gelobt,
ist er Gott nicht weniger, sondern mehr angenehm, als wenn er es nicht
gelobt hätte;
denn er entsagte nicht nur dem gewöhnlichen Lebenswandel,
sondern auch der Erlaubnis dazu um Gottes willen,
und man darf nicht sagen, daß er aus Nötigung heilig lebt,
sondern mit derselben Freiheit, mit der er es gelobt hat.
quare multo magis si
Deus facit bonum homini quod incepit
licet non deceat eum a bono incepto deficere
totum gratiae debemus imputare
quia hoc propter nos non
propter se nullius egens incepit
Wenn daher Gott dem Menschen etwas Gutes, das er begonnen, erweist,
müssen wir es, so wenig es ihm auch geziemt, vom angefangenen
Guten abzulassen,
ganz der Gnade zuschreiben,
weil er es um unseretwillen, nicht um seinetwillen, der ja keines Dinges
bedarf, begonnen hat.
non enim illum latuit quid homo facturus erat
cum illum fecit
et tamen bonitate sua illum creando sponte se
ut perficeret inceptum bonum quasi obligavit
Denn ihm blieb nicht verborgen, was der Mensch tun würde,
als er ihn schuf,
und dennoch hat er sich, indem er ihn aus seiner Güte heraus schuf,
gleichsam freiwillig verpflichtet,
das begonnene Werk zu vollenden.
denique Deus nihil facit necessitate
quia nullo modo cogitur aut prohibetur facere
aliquid
et cum dicimus Deum aliquid facere quasi necessitate
vitandi inhonestatem
quam utique non timet
potius intelligendum est quia hoc facit necessitate
servandae honestatis
Schließlich macht Gott nichts aus Nötigung,
weil er in keiner Weise sich zwingen oder hindern läßt,
etwas zu tun;
und wenn wir sagen, Gott tue etwas gleichsam aus der Notwendigkeit,
eine Unehrbarkeit zu vermeiden,
die er natürlich nicht fürchtet,
so ist das eher so zu verstehen, daß er das tut aus der Notwendigkeit,
die Ehrbarkeit zu wahren.
quae scilicet necessitas non est aliud quam immutabilitas
honestatis eius
quam a se ipso et non ab alio habet
et idcirco improprie dicitur necessitas
Diese Notwendigkeit nämlich ist nichts anderes als die Unwandelbarkeit
seiner Ehrbarkeit,
die er aus sich und nicht von einem anderen hat
und deshalb nur im uneigentlichen Sinne Notwendigkeit genannt wird.
dicamus tamen quia necesse est
ut bonitas Dei propter immutabilitatem suam perficiat
de homine quod incepit
quamvis totum sit gratia bonum quod facit
Laßt uns dennoch sagen, daß es notwendig sei,
daß die Güte Gottes wegen seiner Unveränderlichkeit
am Menschen vollende, was er begonnen hat,
obwohl all das Gute, das er tut, gänzlich Gnade ist.
B.: concedo
B.: Das gebe ich zu.
capitulum vi
quod satisfactionem per quam salvatur homo
non possit facere nisi Deus homo
6.Kapitel
Daß die Genugtuung, durch die der Mensch gerettet wird,
nur ein Gott=Mensch leisten kann
A.: hoc autem fieri nequit
nisi sit qui solvat Deo pro peccato hominis aliquid
maius
quam omne quod praeter Deum est
A.: Das aber kann nicht geschehen,
wenn es nicht jemanden gibt, der Gott für die Sünde des Menschen
etwas Größeres gibt,
als alles, was außerhalb Gottes existiert.
B.: ita constat
B.: So steht es fest.
A.: illum quoque qui de suo poterit Deo dare
aliquid
quod superet omne quod sub Deo est
maiorem esse necesse est quam omne quod non est
Deus
A.: Auch ist der, der aus seinem Eigenen Gott etwas wird geben können,
das alles, was unter Gott steht, überragt,
notwendigerweise größer ist als alles, was Gott nicht ist.
B.: nequeo negare
B.: Ich kann es nicht leugnen.
A.: nihil autem est supra omne quod Deus non
est
nisi Deus
A.: Nichts aber ist über allem, was Gott nicht ist,
es sei denn Gott selbst.
B.: verum est
B.: Das ist wahr.
A.: non ergo potest hanc satisfactionem facere
nisi Deus
A.: Folglich kann diese Genugtuung nur Gott leisten.
B.: sic sequitur
B.: Das folgt in der Tat.
A.: sed nec facere illam debet nisi homo
alioquin non satisfacit homo
A.: Es darf sie aber niemand leisten außer dem Menschen,
sonst leistete nicht der Mensch Genugtuung.
B.: non videtur aliquid iustius
B.: Nichts erscheint gerechter.
A.: si ergo sicut
constat necesse est
ut de hominibus perficiatur illa superna civitas
nec hoc esse valet
nisi fiat praedicta satisfactio
quam nec potest facere nisi Deus nec debet nisi
homo:
necesse est ut eam faciat Deus homo
A.: Wenn also, wie es feststeht, notwendig ist,
daß aus den Menschen jene erhabene Stadt vollendet wird
und das nicht geschehen kann,
wenn nicht die erwähnte Genugtuung erfolgt,
die einerseits nur Gott leisten kann und andererseits nur der Mensch
leisten darf:
so ist es notwendig, daß sie ein Gott=Mensch leiste.
B.: benedictus Deus (ps 65,20
et passim)
iam magnum quiddam invenimus de hoc quod quaerimus
B.: «Gepriesen sei Gott»,
wir haben bereits von dem, was wir suchen, etwas Großes gefunden.
prosequere igitur ut
incepisti
spero enim quia Deus nos adiuvabit
Fahre also fort, wie du begonnen hast,
denn ich hoffe, daß Gott uns helfen wird.
capitulum vii
quod necesse sit eundem ipsum esse perfectum
Deum et perfectum hominem
7. Kapitel
Daß es notwendig ist, daß ein und derselbe Mensch vollkommener
Gott und vollkommener Mensch sei.
A.: investigandum nunc est quomodo esse possit
Deus homo
A.: Jetzt ist zu erforschen, wie ein Gott=Mensch sein kann.
divina enim natura et humana non possunt in invicem
mutari
ut divina fiat humana aut humana divina
nec ita misceri ut quaedam tertia sit ex duabus
quae nec divina sit omnino nec humana
Denn die göttliche und menschliche Natur können nicht miteinander
vertauscht werden,
so daß die göttliche menschlich und die menschliche göttlich
werde,
noch so vermischt, daß es irgendeine dritte aus beiden ergäbe,
die weder ganz göttlich noch menschlich wäre.
denique si fieri posset ut altera in alteram
converteretur
aut esset tantum Deus et non homo
aut solum homo et non Deus
Schließlich wäre, wenn es möglich werden könnte,
daß die eine in die andere verwandelt wird,
entweder nur Gott und nicht der Mensch,
oder nur der Mensch und nicht Gott.
aut si miscerentur ita
ut fieret ex duabus corruptis quaedam tertia
quemadmodum de duobus individuis animalibus diversarum
specierum masculo et femina
nascitur tertium quod
nec patris integram nec matris servat naturam
sed ex utraque tertiam mixtam:
nec homo esset nec Deus
Oder wenn sie so sich vermischten,
daß aus beiden indem sie zugrundegingen, eine dritte entstünde
so wie aus zwei einzelnen Lebewesen verschiedener Gattung, einem männlichen
und einem weiblichen,
ein drittes geboren wird, das weder die Natur des Vaters noch die der
Mutter unversehrt bewahrt,
sondern aus beiden eine dritte, gemischte:
so wäre weder der Mensch noch Gott.
non igitur potest fieri homo Deus quem quaerimus
ex divina et humana natura
aut conversione alterius in alteram
aut corruptiva commixtione utriusque in tertiam
quia haec fieri nequeunt
aut si fieri valerent nihil
ad hoc quod quaerimus valerent
Es kann also der Gott=Mensch, nach dem wir suchen, nicht entstehen
aus der göttlichen und menschlichen Natur,
sei es durch Verwandlung der einen in die andere,
sei es aus einer selbstzerstörerischen Vermischung beider zu einer
dritten,
weil das nicht geschehen kann;
oder wenn es möglich wäre, hätte es keinen Wert für
das, wonzch wir forschen.
si autem ita quolibet modo coniungi dicuntur
hae duae naturae integrae
ut tamen alius sit homo alius
Deus
et non idem sit Deus qui et homo:
impossibile est ut
ambo faciant quod fieri necesse est
Wenn man aber sagt, diese zwei Naturen würden unversehrt auf irgendeine
beliebige Art so vereinigt,
daß jedoch ein anderer der Mensch wäre und ein anderer Gott,
und nicht derselbe Gott wäre, der auch der Mensch ist:
so wäre es unmöglich, daß beide das leisten, was geleistet
werden muß.
nam Deus non faciet quia
non debebit
et homo non faciet quia
non poterit
Denn Gott wird es nicht leisten, weil er es nicht schuldet,
und der Mensch wird es nicht leisten, weil er es nicht kann.
ut ergo hoc faciat Deus homo
necesse est eundem ipsum esse perfectum Deum
et perfectum hominem
qui hanc satisfactionem facturus est
quoniam eam facere nec potest nisi verus Deus
nec debet nisi verus homo
Damit das folglich ein Gott=Mensch leiste,
ist es notwendig, daß ein und derselbe vollkommener Gott und
vollkommener Mensch sei,
der die Genugtuung leisten soll,
denn sie kann nur ein wahrer Gott
und darf nur ein wahrer Mensch leisten.
quoniam ergo servata integritate utriusque naturae
necesse est
inveniri Deum hominem
non minus est necesse has duas naturas integras
conveniri in unam personam
quemadmodum corpus et anima rationalis conveniunt
in unum hominem
quoniam aliter fieri nequit
ut idem ipse sit perfectus Deus et perfectus
homo
Weil es also notwendig ist, daß mit Wahrung der Unversehrbahrkeit
beider Naturen
der Gott=Mensch gefunden werde,
ist es nicht weniger notwendig, daß diese beiden unversehrten
Naturen in einer Person zusammenkommen
wie Leib und vernünftige Seele in einem Menschen zusammenkommen,
weil es anders nicht geschehen kann, daß ein und derselbe vollkommener
Gott und vollkommener Mensch ist.
B.: totum mihi placet quod dicis
B.: Alles, was du sagst, gefällt mir.
capitulum viii
quod ex genere Adae et de virgine femina Deum
oporteat assumere hominem
8. Kapitel
Daß Gott den Menschen aus dem Geschlechte Adams und aus einer
unberührten Frau annehmen muß.
A.: restat nunc quaerere
unde et quomodo assumet Deus humanam naturam
A.: Es bleibt jetzt zu erforschen,
woher und wie Gott die menschliche Natur annehmen muß.
aut enim assumet eam de Adam
aut faciet novum hominem
quemadmodum fecit Adam de nullo alio homine
Denn entweder wird er sie aus Adam annehmen,
oder er wird einen neuen Menschen schaffen,
wie er Adam aus keinem anderen Menschen geschaffen hat.
sed si novum hominem facit non ex Adae genere
non pertinebit ad genus humanum quod natum est
de Adam
Wenn er aber einen neuen Menschen, nicht aus dem Geschlechte Adams,
schafft,
wird er nicht zum Menschengeschlecht gehören, das von Adam abstammt.
quare non debebit satisfacere pro eo
quia non erit de illo
Daher wird er deshalb nicht für dieses Genugtuung leisten dürfen,
weil er nicht aus ihm kommen wird.
sicut enim rectum est
ut pro culpa hominis homo satisfaciat
ita necesse est
ut satisfaciens idem sit qui peccator aut eiusdem
generis
Wie es nämlich recht ist,
daß für die Schuld des Menschen der Mensch Genugtuung leistet,
so ist es notwendig,
daß der, welcher Genugtuung leistet, derselbe sei wie der Sünder
oder aus demselben Geschlechte.
aliter namque nec Adam nec genus eius satisfaciet
pro se
Denn anders wird weder Adam noch sein Geschlecht für sich Genugtuung
leisten.
ergo sicut de Adam et eva peccatum in omnes homines
propagatum est
ita nullus nisi vel ipsi vel qui de illis nascitur
pro peccato hominum satisfacere debet
Also wie von Adam und Eva die Sünde auf alle Menschen fortgepflanzt
wurde,
so darf niemand, es sei denn sie selbst oder wer aus ihnen geboren
wird,
für die Sünde der Menschen Genugtuung leisten.
quoniam ergo illi nequeunt
necesse est
ut de illis sit qui hoc faciet
Weil sie also selber es nicht können,
ist es notwendig,
daß es einer tun wird, der von ihnen herrührt.
amplius
sicut Adam et totum genus eius per se stetisset
sine sustentatione alterius creaturae
si non peccasset:
ita oportet ut si
idem genus resurgit post casum
per se resurgat et relevetur
Ferner:
Wie Adam und sein ganzes Geschlecht aus sich selbst bestanden hätte,
ohne Unterstützung durch ein anderes Geschöpf,
wenn es nicht gesündigt hätte:
so ist es auch erforderlich, daß, falls dieses Geschlecht sich
nach dem Falle wieder erhebt,
es sich aus sich erhebe und aufrichte.
nam per quemcumque in statum suum restituatur
per illum utique stabit
per quem statum suum recuperabit
Denn durch wen immer es in seinen Stand wiedereingesetzt wird:
durch den wird es jedenfalls bestehen,
durch den es seinen Stand wiedererlangen wird.
Deus etiam quando humanam naturam primitus fecit
in solo Adam
nec feminam ut de
utroque sexu multiplicarentur homines
facere voluit nisi de ipso
aperte monstravit se non nisi de Adam voluisse
facere
quod de natura humana facturus erat
Gott hat auch, als er die menschliche Natur ursprünglich in Adam
allein erschuf
und die Frau, damit aus beiden Geschlechtern die Menschen sich vermehrten,
nur aus ihm bilden wollte,
klar gezeigt, daß er nur mit Adam tun wollte,
was er mit der menschlichen Natur tun würde.
quapropter si genus Adae per aliquem relevatur
hominem
qui non sit de eodem genere:
non in illam dignitatem quam
habiturum erat si non peccasset Adam
et ideo non integre restaurabitur
et Dei propositum deficere videbitur
quae duo inconvenientia sunt
Wenn daher das Geschlecht Adams durch einen Menschen wieder aufgerichtet
wird,
der nicht aus demselben Geschlechte stammt:
so wird es nicht in jene Würde, welche es haben sollte, wenn Adam
nicht gesündigt hätte,
und daher nicht voll wiederhergestellt werden,
und Gottes Vorhaben wird zu scheitern scheinen;
was beides unangemessen ist.
ergo necesse est ut de Adam assumatur homo
per quem restaurandum est genus Adae
Folglich ist es notwendig, daß aus Adam genommen werde der Mensch,
durch den das Geschlecht Adams wiederherzustellen ist.
B.: si rationem sequimur sicut
proposuimus
hoc inevitabiliter oportet esse
B.: Wenn wir, wie wir uns vorgenommen, der Vernunft folgen,
muß das unvermeidlich so sein.
A.: investigemus nunc
utrum assumenda sit a Deo natura hominis de patre
et matre
sicut alii sunt homines
aut de viro sine femina
aut de femina sine viro
A.: Jetzt erforschen wir,
ob von Gott die Natur des Menschen aus einem Vater und einer Mutter
anzunehmen sei,
wie die anderen Menschen sind,
oder aus einem Manne ohne Frau,
oder aus einer Frau ohne Mann.
nam quocumque modo ex his tribus modis sit
de Adam et de Eva erit
de quibus est omnis homo utriusque sexus
nec aliquis modus
ex tribus istis facilior est Deo quam alii
ut eo modo potius debeat assumi
Denn durch welche von den drei Arten er auch herkommt:
Er wird aus Adam und aus Eva stammen,
von denen jeder Mensch beiden Geschlechtes stammt,
und keine von diesen drei Arten ist Gott leichter als die andern,
so daß er eher auf diese eine bestimmte Art angenommen werden
müßte.
B.: bene procedis
B.: Du gehst gut vor.
A.: verum non est opus multo labore ut
ostendatur
quia mundius et honestius procreabitur homo ille
de solo viro vel femina
quam de commixtione utriusque
sicut omnes alii filii hominum
A.: Es bedarf jedoch nicht vieler Mühe zu zeigen,
daß jener Mensch reiner und ehrbarer aus einem Manne oder einer
Frau allein hervorgebracht werden wird
als durch die Vereinigung beider, wie alle anderen Menschenkinder.
B.: sufficit
B.: Das genügt.
A.: aut ergo de solo viro
aut de sola femina assumendus est
A.: Folglich ist er aus einem Manne allein
oder aus einer Frau allein anzunehmen.
B.: aliunde non potest
B.: Anderswoher ist es nicht möglich.
A.: quattuor modis potest Deus hominem facere
videlicet aut de viro et femina sicut
assiduus monstrat usus
aut nec de viro nec de femina sicut
creavit Adam
aut de viro sine femina sicut
fecit Evam
aut de femina sine viro quod
nondum fecit
A.: Auf vierfache Weise kann Gott den Menschen schaffen;
nämlich entweder aus Mann und Frau, wie es der ständige Brauch
beweist;
oder weder aus einem Manne noch aus einer Frau, wie er Adam geschaffen
hat;
oder aus einem Manne ohne Frau, wie er Eva gebildet hat;
oder aus einer Frau ohne Mann, was er noch nicht getan hat.
ut igitur hunc quoque modum probet suae subiacere
potestati
et ad hoc ipsum opus dilatum esse
nil convenientius
quam ut de femina sine viro assumat illum hominem
quem quaerimus
Damit er folglich beweise, daß auch diese Art seiner Macht unterstehe
und daß sie zu eben diesem Werke aufgeschoben sei,
ist nichts angemessener,
als daß er jenen Menschen, nach dem wir forschen, aus einer Frau
ohne Mann annehme.
utrum autem de virgine aut de non virgine dignius
hoc fiat
non est opus disputare
sed sine omni dubitatione asserendum est
quia de virgine Deum hominem nasci oportet
Ob dies aber würdiger aus einer Jungfrau oder Nichtjungfrau geschehe,
braucht nicht erörtert zu werden,
sondern ohne jeden Zweifel muß man zugestehen,
daß der Gott=Mensch aus einer Jungfrau geboren werden müsse.
B.: secundum placitum cordis mei loqueris
B.: Du sprichst, wie es meinem Herzen gefällt.
A.: estne hoc solidum quod diximus
aut vanum aliquid sicut nubes
quod dixisti nobis infideles obicere?
A.: Ist das etwas Festes, was wir sagten,
oder ein flüchtiges Nichts gleich den Wolken,
was uns, wie du sagst, die Ungläubigen vorwerfen?
B.: nihil solidius
B.: Nichts ist fester.
A.: pinge igitur non super fictam vanitatem
sed super solidem veritatem
et dic quia valde convenit ut
quemadmodum hominis peccatum et causa nostrae
damnationis principium sumpsit a femina
ita medicina peccati et causa nostrae salvationis
nascatur de femina
A.: Male also nicht auf ein flüchtiges Nichts, sondern auf feste
Wahrheit
und sage, daß es sehr angemessen ist, daß,
gleichwie die Sünde des Menschen und die Ursache unserer Verdammnis
ihren Anfang von einer Frau nahm,
so auch das Heilmittel für die Sünde und die Ursache unserer
Rettung von einer Frau geboren werde.
ac ne mulieres desperent se pertinere ad sortem
beatorum
quoniam de femina tantum malum processit
oportet ut ad reformandam spem earum de muliere
tantum bonum procedat
Und damit die Frauen nicht daran verzweifeln, daß sie am Los
der Seligen teilhaben,
weil von einer Frau ein solches Übel ausgegangen ist,
muß es sein, daß zur Wiederherstellung ihrer Hoffnung ein
solches Gut von einer Frau ausgehe.
pinge et hoc:
si virgo erat quae causa fuit humano generi totius
mali
multo magis decet
ut virgo sit quae causa erit totius boni
Male auch das:
Wenn es eine Jungfrau war, die die Ursache allen Übels für
das Menschengeschlecht war,
so ziemt es sich noch viel mehr,
daß es eine Jungfrau sei, die die Ursache alles Guten sein wird.
hoc quoque pinge:
si mulier quam fecit Deus de viro sine femina
facta est de virgine
convenit valde
ut vir quoque qui
fiet de femina sine viro
fiat de virgine
Auch das male:
Wenn die Frau, die Gott aus einem Manne ohne Frau bildete,
aus einem jungfräulichen Manne geschaffen wurde,
ziemt es sich sehr,
daß auch der Mann, der aus einer Frau ohne Mann herstammen wird,
aus einer Jungfrau hervorgehe.
sed de picturis quae pingi possunt super hoc
quia Deus homo de virgine muliere nasci debet
ista nunc sufficiant
Doch von den Bildern, die sich darüber malen lassen,
daß der Gott=Mensch aus einer unberührten Frau geboren werden
muß,
möge das genügen.
B.: valde pulchrae et rationabiles sunt istae
picturae
B.: Sehr schön und vernunftgemäß sind diese Bilder.
capitulum ix
quod necesse sit verbum solum et hominem in unam
convenire personam
9. Kapitel
Daß es notwendig ist, daß das Wort allein und der Mensch
zu einer Person vereinigt werden.
A.: nunc quoque quaerendum est
in qua persona Deus qui
est tres personae
hominem assumat
A.: Jetzt ist auch zu erforschen,
in welcher Person Gott, der drei Personen ist,
den Menschen annehmen soll.
plures enim personae nequeunt
unum eundemque hominem assumere in unitatem personae
quare in una tantum persona hoc fieri necesse
est
Denn mehrere Personen können nicht
einen und denselben Menschen in die Einheit der Person aufnehmen;
deshalb ist es notwendig, daß sich dies nur in einer Person vollziehe.
sed de hac unitate personae Dei et hominis
et in qua persona Dei hoc magis fieri oporteat
in epistola de incarnatione Verbi ad domnum papam
Urbanum directa
quantum ad praesentem investigationem sufficere
puto locutus sum
Aber über diese Einheit der Person Gottes und des Menschen
und darüber, in welcher Person Gottes das mit mehr Notwendigkeit
geschehe,
habe ich in dem Briefe Von der Fleischwerdung des Wortes, der sich
an den Herrn Papst Urban richtet,
gesprochen, soweit es, wie ich glaube, für die gegenwärtige
Untersuchung genügt.
B.: breviter tamen hic tange
cur potius filii persona debeat incarnari
quam patris aut spiritus sancti
B.: Jedoch berühre hier kurz,
warum eher die Person des Sohnes Fleisch werden muß
als die des Vaters oder des Heiligen Geistes.
A.: si quaelibet alia persona incarnetur
erunt duo filii in trinitate
filius scilicet Dei qui
et ante incarnationem filius est
et ille qui per incarnationem filius erit virginis
et erit in personis quae
semper aequales esse debent
inaequalitas secundum dignitatem nativitatum
A.: Wenn irgendeine andere Person Fleisch würde,
werden zwei Söhne in der Dreifaltigkeit sein,
nämlich der Sohn Gottes, der auch vor der Menschwerdung Sohn ist,
und jener, der durch die Menschwerdung Sohn der Jungfrau sein wird;
und es wird unter den Personen, die immer gleich sein müssen,
eine Ungleichheit nach der Würde der Geburten herrschen.
digniorem namque nativitatem habebit natus ex
Deo
quam natus ex virgine
Denn eine würdevollere Geburt wird der aus Gott Geborene haben
als der aus der Jungfrau Geborene.
item si pater fuerit incarnatus
erunt duo nepotes in trinitate
quia pater erit nepos parentum virginis per hominem
assumptum
et verbum cum nihil
habeat de homine nepos tamen erit virginis
quia filii eius erit filius
Desgleichen werden, falls der Vater Mensch würde,
zwei Enkel in der Dreifaltigkeit sein;
denn der Vater wird durch den angenommenen Menschen Enkel der Eltern
der Jungfrau sein;
und das Wort wird, obwohl es nichts vom Menschen hat, dennoch Enkel
der Jungfrau sein,
weil es der Sohn ihres Sohnes sein wird.
quae omnia inconvenientia sunt
nec in incarnatione verbi contingunt
Das alles sind Unzuträglichkeiten
und ist bei der Fleischwerdung des Wortes nicht der Fall.
est et aliud
cur magis conveniat incarnari filio
quam aliis personis
quia convenientius sonat filium supplicare patri
quam aliam personam alii
Es gibt noch etwas anderes,
warum es mehr dem Sohne angemessen ist, Mensch zu werden,
als den anderen Personen:
es klingt schicklicher, wenn der Sohn den Vater bittet
als eine andere Person eine andere.
item homo pro quo
erat oraturus
et diabolus quem erat expugnaturus
ambo falsam similitudinem Dei per propriam voluntatem
praesumpserant
Desgleichen: Der Mensch, für den er beten,
und der Teufel, den er bekämpfen sollte,
hatten sich beide durch ihren Eigenwillen eine falsche Ähnlichkeit
mit Gott angemaßt.
unde quasi specialius adversus personam filii
peccaverant
qui vera patris similitudo (cf 2
cor 4,4 col
1,15) creditur
Daher hatten sie in besonderer Weise gegen die Person des Sohnes gesündigt,
der nach dem Glauben das wahre Abbild des Vaters ist.
illi itaque cui specialius fit iniuria
convenientius attribuitur culpae vindicta aut
indulgentia
Dem also, dem besonders Unrecht geschieht,
wird passender die Strafe für die Schuld oder die Verzeihung zugeschrieben.
quapropter cum nos ratio inevitabilis perduxerit
ad hoc
ut necesse sit divinam et humanam naturam in
unam convenire personam
nec hoc fieri possit in pluribus personis Dei
et hoc convenientius fieri pateat in persona
Verbi quam in aliis:
necesse est verbum Deum et hominem in unam convenire
personam
Wie uns daher ein unausweichbarer Grund dazu geführt hat,
daß es notwendig sei, daß die göttliche und menschliche
Natur in einer Person sich vereinigen
und daß das nicht in mehreren Personen Gottes geschehen könne,
und daß es einleuchte, daß das angemessener in der Person
des Wortes als in den anderen sich vollziehe:
so ist es notwendig, daß Gott das Wort und der Mensch in einer
Person sich vereinigen.
B.: sic est via qua me ducis undique
munita ratione
ut neque ad dexteram neque ad sinistram videam
ab illa me posse declinare
B.: Der Weg, auf dem du mich führst, ist so allseitig mit Gründen
befestigt,
daß ich sehe, daß ich weder nach rechts noch nach links
von ihm abweichen kann.
A.: non ego te duco
sed ille de quo loquimur
sine quo nihil possumus
nos ducit ubicumque viam veritatis tenemus
A.: Nicht ich führe dich,
sondern jener, von dem wir reden,
ohne den wir nichts vermögen,
führt uns, wo immer wir den Weg der Wahrheit einhalten.
capitulum x
quod idem homo non ex debito moriatur
et quomodo possit vel non possit peccare
et cur ille vel angelus de sua iustitia laudandus
sit cum peccare non possint
10. Kapitel
Daß dieser Mensch nicht aus Schuldigkeit stirbt;
und auf welche Weise er sündigen kann und nicht kann;
und warum er oder der Engel ob seiner Gerechtigkeit zu loben ist, obwohl
er nicht sündigen kann.
utrum autem ille homo moriturus sit ex debito
sicut omnes alii homines ex debito moriuntur
nunc investigare debemus
Ob aber jener Mensch aus Schuldigkeit stirbt,
wie alle anderen Menschen aus Schuldigkeit sterben,
müssen wir jetzt untersuchen.
sed si Adam moriturus non erat
si non pecasset:
multo magis iste mortem pati non debebit
in quo peccatum esse non poterit
quia Deus erit
Wenn jedoch Adam nicht hätte sterben sollen,
wenn er nicht gesündigt hätte,
so wird dieser um so weniger den Tod erleiden müssen,
in dem keine Sünde wird sein können,
weil er Gott sein wird.
B.: in hoc volo te aliquantum morari
B.: Ich möchte, daß du dabei ein wenig verweilst.
sive enim dicatur posse sive non posse peccare
in utroque mihi non parva nascatur quaestio
Ob man nämlich sagt, er könne oder er könne nicht sündigen,
so erwächst mir für beides eine nicht geringe Frage.
nam si peccare non posse dicatur
difficile credi debere videtur
Denn wenn man sagt, er könne nicht sündigen,
scheint es schwer, daran glauben zu müssen.
ut enim aliquantulum loquar non quasi de illo
qui numquam fuerit
sicut hactenus fecimus
sed velut de eo quem et cuius facta novimus:
quis neget illum multa potuisse facere quae peccata
dicimus?
Um nämlich ein wenig nicht von dem zu reden, der gleichsam niemals
gewesen ist
wie wir es bisher gehalten haben,
sondern wie von dem, den und dessen Taten wir kennen:
wer möchte leugnen, daß er vieles hätte tun können,
was wir Sünde nennen?
quippe ut alia taceam
quomodo dicemus eum non potuisse mentiri
quod semper peccatum est?
Denn um von anderem zu schweigen:
wie werden wir sagen, er hätte nicht lügen können,
was immer eine Sünde ist?
cum enim dicat Iudaeis de patre
si dixero quia non scio eum ero
similis vobis mendax (io 8,55)
et inter haec verba dicat non
scio eum
quis eum dicet easdem tres nequivisse proferre
dictiones sine aliis verbis
ut sic diceret non
scio eum?
Denn wenn er zu den Juden von dem Vater sagt:
«Wenn ich sagte, ich kenne ihn nicht, werde ich gleich euch ein
Lügner sein«»,
und innerhalb dieser Worte spricht: «Ich kenne ihn nicht»,
wer wird behaupten, daß er gerade diese vier Wörter ohne
die anderen Wörter nicht hätte vorbringen können,
so daß er so sagte: «Ich kenne ihn nicht»?
quod si faceret
ut ipse ait esset
mendax
quod est esse peccatorem
Wenn er das täte,
wäre er, wie er selber sagt, ein Lügner,
das heißt ein Sünder.
quare quoniam hoc potuit
peccare potuit
Weil er das also konnte,
konnte er auch sündigen.
A.: et hoc dicere potuit
et peccare non potuit
A.: Er konnte dies behaupten
und zugleich auch konnte er nicht sündigen.
B.: hoc ostende
B.: Zeige das auf!
A.: omnis potestas sequitur voluntatem
A.: Jedes Vermögen folgt dem Willen.
cum enim dico quia possum loqui vel ambulare
subauditur si volo
Wenn ich nämlich sage: «ich kann reden oder gehen»,
ist untergründig mitzuhören: «falls ich will.»
si enim non subintelligitur voluntas
non est potestas sed necessitas
Denn wenn der Wille nicht untergründig dabei mitverstanden wird,
handelt es sich nicht um Vermögen, sondern um Notwendigkeit.
nam cum dico quia nolens possum trahi aut vinci
non est haec mea potestas
sed necessitas et potestas alterius
Denn wenn ich sage: «ich kann gegen meinen Willen gezogen oder
besiegt werden»,
so ist das nicht mein Können,
sondern Zwang und Vermögen des anderen.
quippe non est aliud possum
trahi vel vinci
quam: alius me trahere
vel vincere potest
Denn «ich kann gezogen oder besiegt werden» ist nichts
anderes,
als: «ein anderer kann mich ziehen oder besiegen».
possumus itaque dicere de Christo quia potuit
mentiri
si subauditur si
vellet
Wir können daher von Christus sagen, daß er lügen konnte,
wenn man untergründig mithört: «wenn er wollte».
et quoniam mentiri non potuit nolens nec potuit
velle mentiri
non minus dici potest nequivisse mentiri
Und weil er nicht gegen seinen Willen lügen konnte noch lügen
wollen konnte,
so kann man nicht mit weniger Recht sagen, daß er nicht lügen
konnte.
sic itaque potuit
et non potuit mentiri
So also konnte er
und konnte er nicht lügen.
B.: nunc redeamus ad investigandum de illo
quasi nondum sit
sicut incepimus
B.: Jetzt laßt uns zur Untersuchung über jenen zurückkehren,
als ob er nicht sei,
wie wir begonnen haben.
dico igitur:
si peccare non poterit
quia sicut dicis
non poterit velle
ex necessitate servabit iustitiam
quare non ex libertate arbitrii iustus erit
Ich sage also:
Wenn er nicht sündigen können wird,
weil er, wie du behauptest, es nicht wird wollen können,
wird er die Gerechtigkeit aus Notwendigkeit bewahren;
daher wird er nicht aus der Freiheit des Willens heraus gerecht sein.
quae igitur gratia illi pro iustitia sua debebitur?
Welcher Lohn wird ihm also für seine Gerechtigkeit gebühren?
solemus namque dicere
Deum idcirco fecisse angelum et hominem tales
qui peccare possent
quatenus cum possent
deserere iustitiam et ex libertate servarent arbitrii
gratiam et laudem mererentur
quae illis si ex
necessitate iusti essent non deberentur
Wir pflegen ja zu sagen,
Gott habe Engel und Mensch deshalb so geschaffen, daß sie sündigen
konnten,
damit sie, wenn sie die Gerechtigkeit, die sie verlassen konnten, aus
freiem Willen bewahrten,
Lohn und Lob verdienten,
was ihnen nicht gebührte, wenn sie aus Zwang gerecht wären.
A.: nonne angeli qui modo peccare nequeunt laudandi
sunt?
A.: Sind nicht die Engel, die jetzt nicht sündigen können,
zu loben?
B.: sunt utique
quia hoc quod modo non possunt
meruerunt per hoc quod potuerunt et noluerunt
B.: Sie sind es auf jeden Fall,
weil sie das, daß sie es jetzt nicht können,
dadurch verdienten, daß sie konnten und nicht wollten.
A.: quid dicis de Deo qui peccare non potest
nec hoc meruit per potestatem peccandi qua non
peccavit
nonne laudandus est pro iustitia sua ?
A.: Was sagst du von Gott, der nicht sündigen kann
und das nicht dadurch, daß er die Möglichkeit zu sündigen
hatte und nicht sündigte, verdiente:
ist er für seine Gerechtigkeit nicht zu loben?
B.: hic volo ut respondeas pro me
B.: Hier möchte ich, daß du an meiner Stelle antwortest.
nam si dico eum non esse laudandum
scio me mentiri
si autem dico laudandum
timeo infirmare rationem quam dixi de angelis
Denn wenn ich sage, er sei nicht zu loben,
weiß ich, daß ich lüge;
sage ich aber, er sei zu loben,
fürchte ich, die Begründung, die ich für die Engel brachte,
zu entkräften.
A.: angeli non sunt laudandi de iustitia sua
quia peccare potuerunt
sed quia per hoc quodam modo a se habent
quod peccare nequeunt
in quo aliquatenus similes sunt Deo
qui a se habet quidquid habet
A.: Die Engel sind nicht wegen ihrer Gerechtigkeit zu loben,
weil sie sündigen konnten,
sondern weil sie dadurch in gewissem Maße aus sich selbst haben,
daß sie nicht sündigen können;
hierin sind sie in etwa Gott ähnlich,
der aus sich selbst hat, was er hat.
dicitur enim dare aliquid
qui non aufert quando potest
et facere esse aliquid
qui cum possit id ipsum facere non esse
non facit
Man sagt nämlich, daß der etwas gebe,
der es nicht wegnimmt, wenn er es kann;
und daß der bewirke, daß etwas ist,
der, obwohl er bewirken könnte, daß ebendies nicht sei,
dieses Nichtsein nicht bewirkt.
sic itaque cum angelus potuit auferre sibi iustitiam
et non abstulit
et facere se non esse iustum et non fecit
recte asseritur ipse sibi dedisse iustitiam
et se ipsum iustum fecisse
So also wird vom Engel, als er sich die Gerechtigkeit nehmen konnte
und sie doch nicht wegnahm,
und als er bewirken konnte, daß er nicht gerecht sei, und es
dennoch nicht tat,
mit Recht ausgesagt, er habe sich selber die Gerechtigkeit gegeben
und sich selber gerecht gemacht.
hoc igitur modo habet a se iustitiam
quia creatura eam aliter a se habere nequit
et idcirco laudandus est de sua iustitia
nec necessitate sed libertate iustus est
quia improprie dicatur necessitas
ubi nec coactio ulla est nec prohibitio
Auf diese Weise also hat er aus sich selber die Gerechtigkeit,
weil ein Geschöpf sie nicht anders haben kann;
und deshalb ist er wegen seiner Gerechtigkeit zu loben
und ist er nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Freiheit gerecht,
weil nur uneigentlich von Notwendigkeit die Rede ist,
wo weder irgendein Zwang noch eine Behinderung vorliegt.
quapropter quoniam Deus perfecte habet a se quidquid
habet
ille maxime laudandus est de bonis quae habet
et servat
non ulla necessitate
sed sicut supra
dixi propria et aeterna immutabilitate
Deshalb, weil Gott vollkommen aus sich hat, was er hat,
ist er höchst lobenswürdig für die Güter, die er
hat und bewahrt,
nicht aus irgendeiner Notwendigkeit,
sondern, wie ich oben gesagt habe, durch die eigene und ewige Unveränderlichkeit.
sic ergo homo ille qui idem ipse Deus erit
quoniam omne bonum quod ipse habebit a
se habebit
non necessitate
sed libertate et
a se ipso iustus et idcirco laudandus erit
So folglich wird jener Mensch, der eben selbst Gott sein wird,
weil er alles Gute, das er haben wird, aus sich haben wird,
nicht aus Notwendigkeit,
sondern aus Freiheit und aus sich selber gerecht sein und deshalb lobenswürdig.
quamvis enim natura humana a divina habeat quod
habebit
idem tamen ipse a se ipso
quoniam duae naturas una persona erunt
habebit
Obgleich nämlich die menschliche Natur von der göttlichen
hat, was sie besitzen wird,
wird derselbe es dennoch,
weil die beiden Naturen eine Person sein werden, aus sich selbst haben.
B.: satisfecisti mihi ex hoc
et aperte video quia et peccare non poterit
et tamen laudandus erit de iustitia sua
B.: Du hast mir hierin Genüge getan
und ich sehe klar, daß er sowohl nicht wird sündigen können,
als daß er auch trotzdem ob seiner Gerechtigkeit zu loben sein
wird.
sed nunc quaerendum existimo
cum Deus talem possit facere hominem
cur non tales fecit angelos et duos primos homines
ut similiter et peccare non possent
et de iustitia sua laudandi essent
Aber jetzt, glaube ich, muß man fragen:
Wenn Gott einen solchen Menschen schaffen kann,
warum hat er nicht die Engel und die ersten beiden Menschen so geschaffen,
daß sie in ähnlicher Weise sowohl nicht sündigen konnten
als auch ob ihrer Gerechtigkeit zu loben waren?
A.: intelligis quid dicas?
A.: Verstehst du, was du sagst?
B.: videor mihi intelligere
et idcirco quaero cur eos tales non fecit
B.: Ich glaube es zu verstehen,
und deshalb frage ich, warum er sie nicht so geschaffen hat.
A.: quoniam nec debuit nec potuit fieri
ut unusquisque illorum esset idem ipse qui Deus
sicut de homine isto dicimus
A.: Weil es weder geschehen durfte noch konnte,
daß ein jeder von ihnen derselbe wie Gott sei,
wie wir es von diesem Menschen sagen.
et si quaeris cur non vel de tot quot sunt personae
Dei
vel saltem de uno hoc fecit
respondeo quia ratio tunc fieri nullatenus hoc
exigebat
sed omnino quia
Deus nihil sine ratione facit prohibebat
Und wenn du fragst, warum er es nicht wenigstens mit so vielen, als
es göttliche Personen gibt,
oder wenigstens mit einem gemacht hat,
antworte ich, daß durchaus kein Grund es erforderte, daß
es damals hätte geschehen sollen,
sondern daß es sich, da Gott nichts ohne Grund tut, durchaus
verbot.
B.: erubesco quia hoc quaesivi
dic quae dicturus eras
B.: Ich schäme mich, das gefragt zu haben;
sage, was du sagen wolltest.
A.: dicamus igitur quia mori non debebit
quoniam non erit peccator
A.: Sagen wir folglich, daß er nicht schulden wird, zu sterben,
weil er kein Sünder sein wird.
B.: concedere me oportet
B.: Das muß ich zugeben.
capitulum xi
quod moriatur ex sua potestate
et quod mortalitas non pertineat ad puram hominis
naturam
11. Kapitel
Daß er aus eigenem Vermögen stirbt;
und daß die Sterblichkeit nicht zur reinen Natur des Menschen
gehört.
A.: nunc autem restat indagare
utrum possit mori secundum humanam naturam
nam secundum divinam semper incorruptibilis erit
A.: Jetzt bleibt zu untersuchen,
ob er der menschlichen Natur nach sterben könnte;
denn der göttlichen nach wird er immer unvergänglich sein.
B.: de hoc cur dubitare debemus
cum ipse verus homo futurus sit
et omnis homo naturaliter mortalis sit?
B.: Warum müssen wir daran zweifeln,
da er wahrer Mensch sein wird
und jeder Mensch von Natur sterblich ist?
A.: non puto mortalitatem ad puram
sed ad corruptam hominis naturam pertinere
A.: Ich glaube nicht, daß die Sterblichkeit zur reinen,
sondern zur verdorbenen Natur des Menschen gehört.
quippe si numquam peccasset homo
et immortalitas ipsius immutabiliter firmata
esset
non tamen minus homo esset verus
et quando mortales in incorruptibilitatem resurgent
(cf 1 cor 15,42)
non minus erunt veri homines
Denn wenn der Mensch niemals gesündigt hätte
und ebendessen Unsterblichkeit unwandelbar befestigt worden wäre,
so wäre er dennoch nicht weniger wahrer Mensch;
und wenn die Sterblichen zur Unverweslichkeit auferstehen werden,
werden sie nicht weniger wahre Menschen sein.
nam si pertineret ad veritatem humanae naturae
mortalitas
nequaquam posset homo esse qui
esset immortalis
Denn wenn die Sterblichkeit zur Wahrheit der menschlichen Natur gehörte,
könnte es durchaus keinen Menschen geben, der unsterblich wäre.
non ergo pertinet ad sinceritatem humanae naturae
corruptibilitas sive incorruptibilitas
quoniam neutra facit aut destruit hominem
sed altera valet ad eius miseriam altera
ad beatitudinem
Folglich gehört nicht zur Wahrhaftigkeit der menschlichen Natur
die Vergänglichkeit oder Unvergänglichkeit,
weil keines von beiden den Menschen macht oder vernichtet,
sondern das eine gilt für sein Elend, das andere für seine
Seligkeit.
sed quoniam nullus est homo qui non moriatur
idcirco mortale ponitur in hominis definitione
a philosophis
qui non crediderunt totum hominem
aliquando potuisse aut posse esse immortalem
Weil es aber keinen Menschen gibt, der nicht stirbt,
deshalb wird das Sterbliche von den Philosophen in die Definition des
Menschen gesetzt,
die nicht geglaubt haben, daß der ganze Mensch einmal unsterblich
sein konnte oder sein kann.
quare non sufficit ad monstrandum illum hominem
debere mortalem esse hoc
quia verus homo erit
Daher genügt zum Beweise, daß jener Mensch sterblich sein
müsse, nicht,
daß er wahrer Mensch sein wird.
B.: quaere tu ergo aliam rationem
quia ego illam nescio si
tu nescis
qua ille probetur posse mori
B.: Suche du also nach einem anderen Grunde
denn ich weiß ihn nicht, wenn du ihn nicht kennst,
mit dem bewiesen wird, daß jener sterben könne.
A.: dubium non est quia sicut Deus erit
ita omnipotens erit
A.: Es ist nicht zweifelhaft, daß er, wie er Gott sein wird,
so auch allmächtig sein wird.
B.: verum est
B.: Das ist wahr.
A.: si ergo volet
poterit animam suam ponere et iterum sumere (cf
io 10,17 s)
A.: Wenn er also wollen wird,
wird er sein Leben hingeben und wieder zurücknehmen können.
B.: si hoc non potest
non videtur quod sit omnipotens
B.: Wenn er das nicht kann,
sieht man nicht, daß er allmächtig ist.
A.: poterit igitur numquam mori si volet
et poterit mori et resurgere
A.: Er wird also niemals sterben können, wenn er es wollen wird,
und er wird sterben und auferstehen können.
sive autem animam suam ponat nullo alio faciente
sive alius hoc faciat ut
eam ponat ipso permittente
quantum ad potestatem nihil differt
Ob er aber sein Leben hingibt, ohne daß es ein anderer bewirkt,
oder ob ein anderer bewirkt, daß er es hingibt mit ebenseiner
Erlaubnis,
bleibt bezüglich seiner Macht ohne Bedeutung.
B.: non est dubium
B.: Das ist nicht zweifelhaft.
A.: si igitur voluerit permittere poterit
occidi
et si noluerit non
poterit
A.: Wenn er es also erlauben will, wird er getötet werden können;
und wenn er es nicht will, wird er es nicht können.
B.: ad hoc nos indeclinabiliter perducit ratio
B.: Dazu führt uns unbeugsam die Vernunft.
A.: ratio quoque nos docuit
quia oportet eum maius aliquid habere
quam quidquid sub Deo est
quod sponte det et non ex debito Deo
A.: Die Vernunft lehrt uns auch,
daß er etwas Größeres als alles, was unter Gott steht,
haben müsse,
was er freiwillig und nicht aus Schuldigkeit Gott gegenüber gibt.
B.: ita est
B.: So ist es.
A.: hoc autem nec sub illo
nec extra illum inveniri potest
A.: Das aber kann weder unter ihm
noch außer ihm gefunden werden.
B.: verum est
B.: Es ist wahr.
A.: in ipso igitur inveniendum est
A.: Folglich ist es in ihm zu finden.
B.: sic sequitur
B.: So folgt es daraus.
A.: aut igitur se ipsum
aut aliquid de se dabit
A.: Er wird also sich selber
oder etwas von sich geben.
B.: non possum aliter intelligere
B.: Ich kann es nicht anders verstehen.
A.: quaerendum nunc est
cuiusmodi esse debebit haec datio
A.: Es ist nun zu erforschen,
welcher Art diese Gabe wird sein müssen.
dare namque se non poterit Deo
aut aliquid de se quasi
non habenti ut suus sit
quoniam omnis creatura Dei est
Denn sich selber Gott schenken wird er nicht können,
oder etwas von sich , als ob er es nicht besäße, damit es
dessen Besitz werde,
da ja alle Kreatur schon Gott gehört.
B.: sic est
B.: So ist es.
A.: sic ergo intelligenda est haec datio
quia aliquo modo ponet se ad honorem Dei aut
aliquid de se
quomodo debitor non erit
A.: Folglich ist diese Gabe so zu verstehen,
daß er auf solch eine Weise sich selber zur Ehre Gottes hingeben
wird, oder etwas von sich,
durch die er nicht Schuldner werden wird.
B.: ita sequitur ex supra dictis
B.: So folgt es aus dem oben Gesagten.
A.: si dicimus quia dabit se ipsum ad oboediendum
Deo
ut perseveranter servando iustitiam subdat se
voluntati eius
non erit hoc dare quod Deus ab illo non exigat
ex debito
omnis enim rationalis creatura debet hanc oboedientiam
Deo
A.: Wenn wir sagen: Er wird sich selber, um Gott zu gehorchen, hingeben,
sodaß er sich durch beharrende Bewahrung der Gerechtigkeit seinem
Willen unterwirft,
so wird das nicht ein Geben bedeuten, das Gott von ihm nicht aus Schuldigkeit
verlangte,
denn jedes vernünftige Geschöpf ist Gott diesen Gehorsam
schuldig.
B.: hoc negari nequit
B.: Das kann man nicht leugnen.
A.: alio itaque modo oportet
ut det se ipsum Deo aut aliquid de se
A.: Auf eine andere Weise muß er deshalb
sich selber oder etwas von sich geben.
B.: ad hoc nos impellit ratio
B.: Dazu drängt uns die Vernunft.
A.: videamus si forte hoc sit dare vitam suam
sive ponere animam suam
sive tradere se ipsum morti ad honorem Dei
A.: Sehen wir, ob es vielleicht das ist:
sein Leben geben oder seine Seele hingeben
oder sich selber zur Ehre Gottes dem Tode ausliefern.
hoc enim ex debito non exiget Deus ab illo
quoniam namque non erit peccatum in illo
non debebit mori sicut
diximus
Denn das wird Gott nicht aus Schuldigkeit von ihm verlangen;
weil nämlich in ihm keine Sünde sein wird,
wird er nicht sterben müssen, wie wir sagten.
B.: aliter nequeo intelligere
B.: Anders kann ich es nicht verstehen.
A.: consideremus adhuc
utrum sic rationabiliter conveniat
A.: Betrachten wir noch,
ob es so vernünftigerweise geziemend ist.
B.: dic tu
et ego libenter audiam
B.: Sprich du,
und ich will gerne zuhören.
A.: si homo per suavitatem peccavit:
an non convenit ut per asperitatem satisfaciat
?
A.: Wenn der Mensch durch Weichlichkeit gesündigt hat:
kommt es ihm dann nicht zu, durch Härte Genugtuung zu leisten?
et si tam facile victus est a diabolo
ut Deum peccando exhonoraret
ut facilius non posset
nonne iustum est ut homo satisfaciens pro peccato
tanta difficultate vincat diabolum ad honorem
Dei
ut maiori non possit?
Und wenn er so leicht sich vom Teufel besiegen ließ,
Gott durch Sündigen zu entehren,
daß es kaum leichter geschehen konnte:
ist es dann nicht gerecht, daß der Mensch, indem er Genugtuung
für die Sünde leistet,
den Teufel mit solch großer Schwierigkeit zur Ehre Gottes besiege,
daß er es kaum mit einer größeren tun kann?
an non est dignum quatenus
qui se sic abstulit Deo peccando
ut se plus auferre non posset
sic se det Deo satisfaciendo
ut magis se non possit dare?
Und ist es nicht recht, daß er,
der sich Gott durch Sündigen so sehr entzog,
daß er sich kaum noch mehr entziehen konnte,
sich so sehr Gott dadurch, daß er Genugtuung leistet, hingibt,
daß er sich kaum noch mehr hingeben kann?
B.: non est aliquid rationabilius
B.: Es gibt nichts Vernunftgemäßeres.
A.: nihil autem asperius aut difficilius potest
homo ad honorem Dei
sponte et non ex debito pati quam mortem
et nullatenus se ipsum potest homo dare magis
Deo
quam cum se morti tradit ad honorem illius
A.: Nichts Härteres aber und Schwereres kann der Mensch zur Ehre
Gottes
freiwillig und ohne Schuldigkeit erleiden als den Tod;
und der Mensch kann sich selber in keiner Weise mehr Gott hingeben,
als wenn er sich zu seiner Ehre dem Tode ausliefert.
B.: vera sunt omnia haec
B.: Das alles ist wahr.
A.: talem igitur oportet eum esse qui pro peccato
hominis satisfacere volet
ut mori possit si velit
A.: Also muß der, der für die Sünde wird Genugtuung
leisten wollen, solcher Art sein,
daß er sterben kann, wenn er es will.
B.: video plane
illum hominem quem quaerimus talem
esse oportere
qui nec ex necessitate moriatur quia
omnipotens erit
nec ex debito quia
numquam peccator erit
et mori possit ex libera voluntate quia
necessarium erit
B.: Ich sehe durchaus ein,
daß jener Mensch, nach dem wir forschen, solcher Art sein muß,
daß er nicht mit Notwendigkeit stirbt, weil er allmächtig
sein wird;
noch aus Schuldigkeit, weil er niemals ein Sünder sein wird;
und daß er aus freiem Willen sterben kann, weil es notwendig
sein wird.
A.: sunt et alia multa cur eum valde conveniat
hominum similitudinem et
conversationem absque peccato (hebr 4,14)
habere
quae facilius et clarius per se patent in eius
vita et operibus
quam velut ante experimentum sola ratione monstrari
possint
A.: Es gibt noch vieles andere, warum es für ihn sehr passend
ist,
die Ähnlichkeit und den Umgang mit den Menschen ohne die Sünde
zu haben,
das leichter und klarer in seinem Leben und Wirken von selbst einleuchtend
ist,
als es sich vor der Erfahrung mit der bloßen Vernunft beweisen
läßt.
quis enim explicet quam necessarie quam
sapienter factum est
ut ille qui homines erat redempturus
et de via mortis et perditionis ad viam vitae
et beatitudinis aeternae
docendo reducturus
cum hominibus conversaretur (bar 3,38)
et in ipsa conversatione cum
eos doceret verbo qualiter vivere deberent
se ipsum exemplum praeberet?
Denn wer erklärt, wie notwendig, wie weise es geschah,
daß der, der die Menschen erlösen
und vom Wege des Todes und Verderbens zum Weg des Lebens und der ewigen
Seligkeit
durch die Belehrung zurückführen sollte,
mit den Menschen umging
und in ebendiesem Umgange, wenn er sie durch das Wort darüber
belehrte, wie sie leben sollten,
sich selbst als Beispiel darbot?
exemplum autem se ipsum quomodo daret infirmis
et mortalibus
ut propter iniurias aut contumelias aut dolores
aut mortem
a iustitia non recederent
si ipsum haec omnia sentire non agnoscerent?
Wie aber sollte er sich als Beispiel für die Kranken und Sterblichen
hingeben,
daß sie nicht wegen Ungerechtigkeiten oder Schmach oder Schmerzen
oder Tod
von der Gerechtigkeit abließen,
wenn sie nicht anschaulich erkennen könnten, daß er selber
all dies empfinde?