7. Kapitel
Daß der Teufel kein Recht gegen den Menschen hatte;
und warum er ein solches besessen zu haben scheint,
weshalb Gott den Menschen auf solche Weise befreite.
sed et illud quod dicere solemus
Deum scilicet debuisse prius per iustitiam contra
diabolum agere ut liberaret hominem
quam per fortitudinem
ut cum diabolus eum in
quo nulla mortis erat causa et qui Deus erat occideret
iuste potestatem quam super peccatores habebat
amitteret
alioquin iniustam violentiam fecisset illi
quoniam iuste possidebat hominem
quem non ipse violenter attraxerat
sed idem homo ad illum se sponte contulerat:
non video quam vim habeat
Aber auch das, was wir zu sagen pflegen:
nämlich Gott hätte gegen den Teufel eher mit Gerechtigkeit
vorgehen müssen, um den Menschen zu befreien,
als mit Gewalt,
damit der Teufel, wenn er den, in dem keine Todesursache war und der
Gott war, tötete,
gerechter Weise die Macht, die er über die Sünder hatte,
verlöre,
andernfalls er ihm ungerecht Gewalt angetan hätte,
da er mit Recht den Menschen besaß,
den er nicht selber auf gewaltsame Art an sich gezogen hatte,
sondern dem sich dieser Mensch freiwillig ausgeliefert hatte:
das sehe ich nicht ein, welche Beweiskraft es haben solle.
namque si diabolus aut homo suus esset aut alterius
quam Dei
aut in alia quam in Dei potestate maneret
forsitan hoc recte diceretur
Denn wenn der Teufel oder der Mensch sich selber gehörte oder
einem anderen als Gott,
oder in einer anderen Macht als in der Gottes bliebe,
dann könnte man das vielleicht richtig anführen.
cum autem diabolus aut homo non sit nisi Dei
et neuter extra potestatem Dei consistat:
quam causam debuit agere Deus cum suo
de suo in suo
nisi ut servum suum puniret
qui suo conservo communem dominum deserere et
ad se transire persuasisset
ac traditor fugitivum
fur furem cum furto domini sui suscepisset?
Da aber der Teufel oder Mensch nur Gott gehört und keiner von
beiden außer Gottes Macht Bestand hat:
welche Rechtssache sollte Gott mit seinem Eigentum, über sein
Eigentum und in seinem Eigentum führen,
es sei denn, daß er seinen Knecht bestrafte,
der seinen Mitknecht verleitet hatte, den gemeinsamen Herrn zu verlassen
und zu ihm überzulaufen
und der als Verräter den Fahnenflüchtigen,
als Dieb den Dieb samt dem seinem Herrn gestohlenen Gute aufgenommen
hatte?
uterque namque fur erat
cum alter altero persuadente se ipsum domino
suo furabatur
Denn beide waren sie Diebe,
da der eine auf die Überredung des anderen hin sich selber seinem
Herrn stahl.
quid enim iustius fieri posset
si hoc Deus faceret?
Denn was könnte gerechter geschehen,
wenn Gott dies täte?
aut si iudex omnium Deus hominem sic possessum
de potestate tam iniuste possidentis
vel ad puniendum illum aliter quam per diabolum
vel ad parcendum illi eriperet:
quae haec iniustitia esset?
Oder wenn Gott, der Richter über alle, den so besessenen Menschen
aus der Gewalt dessen, der ihn ungerecht besaß,
sei es, um ihn anders als durch den Teufel zu bestrafen, sei es, um
ihn zu verschonen, errettete:
was wäre das für eine Ungerechtigkeit?
quamvis enim homo iuste a diabolo torqueretur
ipse tamen illum iniuste torquebat
Denn obschon der Mensch mit Recht vom Teufel gefoltert wurde,
folterte ihn dennoch dieser mit Unrecht.
homo namque meruerat ut puniretur
nec ab ullo convenientius quam ab illo
cui consenserat ut peccaret
Denn der Mensch hatte zwar verdient, daß er bestraft würde
und von niemandem passender als von dem,
dem er eingewilligt hatte zu sündigen.
diaboli vero meritum nullum erat ut puniret
immo tanto hoc faciebat iniustius
quanto non ad hoc amore iustitiae trahebatur
sed instinctu malitiae impellebatur
Der Teufel aber hatte kein Verdienst, daß er strafen durfte;
im Gegenteil tat er das um so unberechtigter,
als er nicht aus Liebe zur Gerechtigkeit dahin gezogen wurde,
sondern durch seinen boshaften Instinkt dazu angestachelt wurde.
nam non hoc faciebat Deo iubente
sed incomprehensibili sapientia sua
qua etiam mala bene ordinat permittente
Denn nicht tat er dies auf Gottes Geheiß,
sondern, indem er es aufgrund seiner unbegreiflichen Weisheit,
mit der er auch das Böse gut ordnet, zuließ.
et puto illos qui
diabolum aliquam opinantur habere in possidendo hominem iustitiam
ad hoc inde adduci
quia vident hominem diaboli vexationi iuste subiacere
et Deum hoc iuste permittere
et idcirco putant diabolum illam iuste inferre
Und ich glaube, solche, die meinen, der Teufel habe auf den Besitz
des Menschen irgendein Recht,
werden von dazu dadurch verleitet,
daß sie sehen, wie der Mensch der Peinigung durch den Teufel
gerechterweise unterworfen ist
und wie Gott das gerechterweise zuläßt,
und deshalb glauben, der Teufel füge jene gerechterweise zu.
contingit enim idem aliquid diversis considerationibus
esse iustum et iniustum
et ob hoc a non diligenter intuentibus totum
iustum aut iniustum iudicari
Es kann sich nämlich treffen, daß dasselbe unter verschiedenen
Gesichtspunkten gerecht und ungerecht ist,
und deshalb von denen, die nicht genau zusehen, ganz als gerecht oder
ungerecht beurteilt wird.
evenit enim ut aliquis innocentem iniuste percutiat
unde ipse iuste percuti mereatur
Denn es kommt vor, daß jemand einen Unschuldigen ungerechterweise
schlägt,
wodurch er selber gerecht geschlagen zu werden verdient.
si tamen percussus vindicare se non debet et
percutit percutientem se
iniuste hoc facit
Wenn jedoch der Geschlagene sich nicht rächen darf und den, der
ihn schlug, wieder schlägt,
so tut er das ungerecht.
haec igitur percussio ex parte percutientis est
iniusta
quia non debuit se vindicare
ex parte vero percussi iusta
quia iniuste percutiens iuste percuti meruit
Es ist folglich dieses Schlagen seitens des Schlagenden ungerecht,
weil er sich nicht rächen durfte;
seitens des Geschlagenen aber gerecht,
weil er, indem er ungerecht schlug, gerecht geschlagen zu werden verdiente.
diverso igitur intuitu iusta et iniusta est eadem
actio
quam contingere potest ab alio iudicari iustam
tantum
ab alio iniustam
Von verschiedenem Blickpunkte aus ist folglich dieselbe Handlung gerecht
und ungerecht,
die von dem einen nur für gerecht gehalten werden kann,
von dem anderen nur für ungerecht.
hoc itaque modo diabolus dicitur iuste vexare
hominem
quia Deus hoc iuste permittit et homo iuste patitur
Daher sagt man auf diese Art vom Teufel, er peinige den Menschen gerechterweise,
weil Gott dies gerecht zuläßt und der Mensch es gerecht
leidet.
sed et hoc quod homo iuste dicitur pati
non sua iustitia pati iuste dicitur
sed quia iusto iudicio Dei punitur
Aber auch wenn man sagt, der Mensch leide gerecht,
so sagt man nicht, daß er aufgrund seiner eigenen Gerechtigkeit
gerecht leidet,
sondern daß er durch das gerechte Urteil Gottes bestraft wird.
at si obtenditur chirographum illud decreti
quod adversum nos (col 2,14)
dicit apostolus fuisse et per mortem Christi deletum esse
et putat aliquis per illud significari
quia diabolus quasi sub cuiusdam pacti chirographo
ab homine iuste ante Christi passionem peccatum
velut usuram primi peccati quod persuasit homini
et poenam peccati exigeret
ut per hoc iustitiam suam super hominem probare
videatur:
nequaquam ita intelligendum puto
Wenn aber jene «Urkunde des Beschlusses» vorgebracht wird,
die nach dem Apostel «wider uns» gewesen ist und durch
den Tod Christi vernichtet wurde,
und wenn jemand meint, es werde dadurch angezeigt,
daß der Teufel gleichsam auf Grund eines schriftlichen Vertrages,
vor Christi Leiden vom Menschen die Sünde,
als Zins der ersten Sünde, zu der er den Menschen verleitete,
und die Strafe für die Sünde gerecht anforderte,
um dadurch sein Anrecht auf den Menschen scheinbar zu beweisen:
so glaube ich, daß das in keiner Weise so zu verstehen ist.
quippe chirographum illud non est diaboli
quia dicitur chirographum decreti
decretum enim illud non erat diaboli
sed Dei
Gehört doch jene Urkunde nicht dem Teufel,
denn sie heißt ja Urkunde «des Beschlusses»;
denn jener Beschluß stammt nicht vom Teufel,
sondern von Gott.
iusto namque Dei iudicio decretum erat et quasi
chirographo confirmatum
ut homo qui sponte peccaverat
nec peccatum nec poenam peccati vitare per se
posset
Durch Gottes gerechtes Urteil nämlich war beschlossen und gleichsam
durch eine Urkunde bekräftigt worden,
daß der Mensch, der freiwillig gesündigt hatte,
aus sich weder Sünde noch Sündenstrafe vermeiden konnte.
est enim spiritus vadens et non rediens (ps
77,39)
et qui facit peccatum servus
est peccati (io 8,34)
nec qui peccat impunitus debet dimitti
nisi misericordia peccatori parcat et eum liberet
ac reducat
Denn «der Geist geht und kehrt nicht wieder»,
und «wer die Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde»;
und wer sündigt, dem darf es nicht straflos erlassen werden;
es sei denn, die Barmherzigkeit verschone den Sünder und befreie
ihn und führe ihn zurück.
quamobrem per hoc chirographum nullam inveniri
posse diaboli iustitiam
in hominis vexatione credere debemus
Deshalb müssen wir glauben, daß auf Grund dieser Urkunde
keinerlei Anrecht des Teufels
auf die Peinigung des Menschen gefunden werden kann.
denique sicut in bono angelo nulla omnino est
iniustitia
ita in malo nulla penitus est iustitia
Schließlich wie im guten Engel überhaupt keine Ungerechtigkeit
ist,
so ist im bösen ganz und gar keine Gerechtigkeit.
nihil igitur erat in diabolo
cur Deus contra illum ad liberandum hominem sua
uti fortitudine non deberet
Es war folglich im Teufel nichts,
warum Gott gegen ihn zur Befreiung des Menschen seine Macht nicht hätte
gebrauchen dürfen.
capitulum viii
quomodo licet humilia quae dicimus de Christo
non pertineant ad divinitatem
tamen inconveniens videatur infidelibus ea de
illo dici secundum hominem
et unde illis videatur idem homo non sponte mortuus
esse
8. Kapitel
Wie es, obwohl das Niedrige, das wir von Christus aussagen, sich nicht
auf die Gottheit bezieht,
den Ungläubigen dennoch ungeziemend erscheint, daß man es
von ihm, sofern er Mensch ist, aussagt;
und warum ihnen dieser Mensch nicht aus freiem Willen gestorben zu
sein scheint.
A.: sufficere nobis debet ad rationem voluntas
Dei cum aliquid facit
licet non videamus cur velit
voluntas namque Dei numquam est irrationabilis
A.: Es muß uns der Wille Gottes zur Begründung genügen,
wenn er etwas tut,
auch wenn wir nicht einsehen, warum er es will,
denn der Wille Gottes ist niemals unvernünftig.
B.: verum est si
constat
Deum id velle unde agitur
B.: Das ist wahr, sobald feststeht,
daß Gott das will, wovon die Rede ist.
nequaquam enim acquiescunt multi Deum aliquid
velle
si ratio repugnare videtur
Denn viele beruhigen sich durchaus nicht damit, daß Gott etwas
will,
wenn die Vernunft dem zu widerstreiten scheint.
A.: quid tibi videtur repugnare rationi
cum Deum ea voluisse fatemur
quae de eius incarnatione credimus?
A.: Was scheint dir der Vernunft zu widerstreiten,
wenn wir bekennen, Gott habe das gewollt,
was wir von seiner Menschwerdung glauben?
B.: ut breviter dicam:
altissimum ad tam humilia inclinari
omnipotentem aliquid facere cum tanto labore
B.: Um es kurz zu sagen:
daß der Höchste sich so zu Niedrigem herabläßt,
daß der Allmächtige etwas mit so viel Mühe tut.
A.: qui hoc dicunt
non intelligunt quod credimus
A.: Die das sagen,
verstehen nicht, was wir glauben.
divinam enim naturam absque dubio asserimus impassibilem
nec ullatenus posse a sua celsitudine humiliari
nec in eo quod facere vult laborare
Denn wir behaupten, daß die göttliche Natur ohne Zweifel
leidensunfähig ist
und daß sie auf keine Weise von der Höhe herab sich erniedrigen
kann
noch sich abmühen muß in dem, was sie tun will.
sed dominum Christum Iesum dicimus
verum Deum et verum hominem
unam personam in duabus naturas et duas naturas
in una persona
Aber vom Herrn Christus Jesus sagen wir aus,
daß er wahrer Gott und wahrer Mensch ist,
eine Person in zwei Naturen und zwei Naturen in einer Person.
quapropter cum dicimus Deum aliquid humile aut
infirmum pati
non hoc intelligimus secundum sublimitatem impassibilis
naturae
sed secundum infirmitatem humanae substantiae
quam gerebat
et sic nostrae fidei nulla ratio obviare cognoscitur
Deshalb gilt: wenn wir sagen, Gott erleide etwas Niedriges oder Schwaches,
so verstehen wir das nicht bezüglich der Erhabenheit der leidensunfähigen
Natur,
sondern bezüglich der Schwachheit der menschlichen Substanz, die
er innehatte;
und so erkennt man, daß unserem Glauben keine vernünftige
Überlegung entgegensteht.
sic enim nullam divinae substantiae significamus
humilitatem
sed unam Dei et hominis monstramus esse personam
So nämlich bezeichnen wir keine Erniedrigung der göttlichen
Substanz,
sondern zeigen, daß die Person Gottes und die des Menschen eine
sei.
non ergo in incarnatione Dei ulla eius humilitas
intelligitur facta
sed natura hominis creditur exaltata
So wird folglich unter der Inkarnation Gottes keineswegs seine Erniedrigung
verstanden,
sondern es wird geglaubt, daß die Natur des Menschen erhöht
ist.
B.: ita sit
nihil imputetur divinae naturae
quod secundum infirmitatem hominis de Christo
dicitur
B.: So sei es,
nichts soll der göttlichen Natur zugerechnet werden,
was von Christus gemäß der Schwachheit des Menschen ausgesagt
wird.
verum quomodo iustum aut rationabile probari
poterit
quia Deus hominem illum
quem pater filium suum dilectum in
quo sibi bene complacuit (mat 3,17
17,5) vocavit
et quem filius se ipsum fecit
sic tractavit aut tractari permisit ?
Aber wie wird man als gerecht und vernünftig beweisen können,
daß Gott jenen Menschen,
den der Vater «seinen geliebten Sohn, an dem er sein Wohlgefallen
hat» nannte
und zu dem der Sohn sich selber gemacht hat,
so behandelte oder behandeln ließ?
quae autem iustitia est
hominem omnium iustissimum morti tradere pro
peccatore?
Welch eine Gerechtigkeit aber ist es,
den gerechtesten aller Menschen statt des Sünders dem Tode zu
überliefern?
quis homo si innocentem
damnaret ut nocentem liberaret
damnandus non iudicaretur?
Welcher Mensch, wenn er einen Unschuldigen verurteilte, um einen Schuldigen
zu befreien
würde nicht der Verurteilung wert erachtet?
ad idem enim res deduci videtur inconveniens
quod supra dictum est
Die Sache scheint doch auf dieselbe Ungereimtheit hinauszulaufen,
von der oben die Rede war.
nam si aliter peccatores salvare non potuit quam
iustum damnando:
ubi est eius omnipotentia?
Denn wenn er die Sünder nicht anders retten konnte als durch die
Verurteilung der Gerechten:
wo bleibt da seine Allmacht?
si vero potuit sed non voluit:
quomodo defendemus sapientiam eius atque iustitiam
?
Hat er es jedoch gekonnt, aber nicht gewollt:
wie werden wir da seine Weisheit und Gerechtigkeit verteidigen?
A.: Deus pater non quemadmodum
videris intelligere hominem illum tractavit
aut innocentem pro nocente morti tradidit
A.: Gott Vater hat diesen Menschen nicht so, wie du es zu verstehen
scheinst, behandelt
oder einen Unschuldigen anstelle eines Schuldigen überliefert.
non enim eum invitum ad mortem ille coegit aut
occidi permisit
sed idem ipse sponte sua mortem sustinuit
ut homines salvaret
Denn jener hat ihn nicht gegen seinen Willen zum Sterben gezwungen
oder zugelassen, daß er getötet wurde,
sondern er selber erlitt nach eigenem Willen den Tod, um die Menschen
zu erretten.
B.: etiam si non invitum quoniam
voluntati patris consensit
quodam tamen modo illum coegisse videtur praecipiendo
B.: Wenn auch nicht gegen seinen Willen, weil er dem Willen des Vaters
zustimmte,
so scheint er jenen doch irgendwie gezwungen zu haben, indem er es
vorschrieb.
dicitur enim quia Christus humiliavit se ipsum
factus oboediens patri usque ad mortem
mortem autem crucis
propter quod et Deus illum exaltavit (phil
2,8 s)
et quia didicit oboedientiam ex iis quae passus
est (hebr 5,8)
et quia proprio filio non pepercit pater
sed pro nobis omnibus tradidit illum (rom
8,32)
Es heißt nämlich, daß Christus «sich selbst
erniedrigt hat,
dem Vater gehorsam geworden bis zum Tode,
ja bis zum Tode am Kreuze;
weshalb ihn Gott auch erhöht hat»;
und: «er lernte Gehorsam aus dem, was er erduldete»;
und: «seines eigenen Sohnes hat der Vater nicht geschont,
sondern ihn für uns alle dahingegeben».
et idem filius dicit:
non veni voluntatem meam facere
sed voluntatem eius qui misit me (io 6,38)
Und der Sohn selber sagt:
«Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun,
sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat».
et iturus ad passionem dicit:
sicut mandatum dedit mihi pater
sic facio (ib14,31)
Und wie er das Leiden antritt, sagt er:
«Wie der Vater mir den Auftrag gegeben hat,
so tue ich es».
item: calicem quem
dedit mihi pater non bibam illum? (io
18,11)
et alibi: pater
si possibile est transeat
a me calix iste
verumtamen non sicut ego volo sed
sicut tu (mat 26,39)
et: pater
si non potest hic calix transire nisi
bibam illum
fiat voluntas tua (ib)
Desgleichen: «Den Kelch, den mir der Vater gab, soll ich ihn
nicht trinken?»
Und anderswo: «Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch
an mir vorüber;
aber nicht wie ich will, sondern wie du».
Und: «Vater, wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen
kann, ohne daß ich ihn trinke,
so geschehe dein Wille».
in his omnibus plus videtur Christus oboedientia
cogente quam spontanea voluntate disponente
mortem sustinuisse
In alldem scheint mir Christus mehr aus Zwang des Gehorsams als aus
freier Entscheidung des Willens
den Tod auf sich genommen zu haben.
capitulum ix
quod sponte mortuus sit
et quid sit: factus est oboediens usque ad mortem
(Phil 2,8)
et: propter quod et Deus illum exaltavit (ib.
2,9)
et: non veni voluntatem meam facere (Io 6,38)
et: proprio filio suo non pepercit Deus (Rom
8,32)
et: non sicut ego volo sed sicut tu (Mt 26,39)
9. Kapitel
Daß er freiwillig gestorben ist;
und was das ist: «gehorsam geworden bis zum Tode»;
und: «deshalb hat Gott ihn auch erhöht»;
und: «ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun»;
und: «seines eigenen Sohnes hat Gott nicht geschont»;
und: «nicht wie ich will, sondern wie du».
A.: ut mihi videtur
non bene discernis inter hoc quod fecit
exigente oboedientia
et quod sibi factum quia
servavit oboedientiam sustinuit
non exigente oboedientia
A.: Wie mir scheint,
unterscheidest du nicht gut zwischen dem, was er tat,
weil der Gehorsam es verlangte,
und dem Geschehen, das er ertrug, weil er den Gehorsam bewahrte,
ohne daß der Gehorsam es verlangte
B.: necesse habeo ut hoc apertius exponas
B.: Ich habe nötig, daß du das offener darlegst.
A.: cur persecuti sunt eum iudaei usque ad mortem?
A.: Warum haben ihn die Juden bis zum Tode verfolgt?
B.: non ob aliud
nisi quia veritatem et iustitiam vivendo et loquendo
indeclinabiliter tenebat
B.: Aus keinem anderen Grunde,
als weil er die Wahrheit und Gerechtigkeit im Leben und Reden unbeugsam
festhielt.
A.: hoc puto quia Deus ab omni rationale creatura
exigit
et hoc illa per oboedientiam Deo debet
A.: Das, meine ich, verlangt Gott von jeder vernünftigen Kreatur
und das schuldet jene Gott durch den Gehorsam.
B.: sic fateri nos oportet
B.: So müssen wir bekennen.
A.: hanc igitur oboedientiam debebat homo ille
Deo patri
et humanitas divinitati
et hanc ab illo exigebat pater
A.: Diesen Gehorsam folglich schuldete jener Mensch Gott Vater
und die Menschheit der Gottheit,
und diesen verlangte der Vater von ihm.
B.: hoc nulli dubium
B.: Das ist niemandem zweifelhaft.
A.: ecce habes quid fecit exigente oboedientia
A.: Sieh, da hast du, was er tat, weil es der Gehorsam verlangte.
B.: verum est
et iam video
quid sibi illatum quia
oboediendo perseveravit sustinuit
B.: Das ist wahr;
und schon sehe ich,
wie er das, was ihm angetan wurde, weil er im Gehorsam beharrte, ertrug.
nam illata est illi mors quia
perstitit in oboedientia
et hanc sustinuit
Denn angetan wurde ihm der Tod, weil er im Gehorsam verharrte,
und ihn ertrug er.
sed quomodo hoc oboedientia non exigat
non intelligo
Aber inwiefern das der Gehorsam nicht verlangt,
sehe ich nicht ein.
A.: si homo numquam peccasset:
deberet pati mortem
aut Deus deberet hoc ab illo exigere?
A.: Wenn der Mensch niemals gesündigt hätte:
müßte er den Tod erleiden
oder dürfte Gott das von ihm verlangen?
B.: quemadmodum credimus
nec homo moreretur nec hoc ab illo exigeretur
sed huius rei a te audire volo rationem
B.: Wie wir glauben,
würde dieser Mensch nicht sterben noch würde das von ihm
verlangt;
aber ich möchte von dir den Grund dafür hören.
A.: rationalem creaturam iustam factam esse et
ad hoc
ut Deo fruendo beata esset
non negas
A.: Daß die vernünftige Kreatur gerecht erschaffen wurde
und dazu,
damit sie durch den Genuß Gottes selig sei,
leugnest du nicht.
B.: non
B.: Nein.
A.: Deo autem nequaquam existimabis convenire
ut quam fecit iustam ad beatitudinem
miseram esse sine culpa cogat
hominem enim invitum mori miserum est
A.: Du wirst aber auch keineswegs meinen, daß es Gott geziemt,
sie, die er für die Seligkeit gerecht erschaffen hat,
zu zwingen, ohne Schuld unglücklich zu sein;
denn daß der Mensch gegen seinen Willen stirbt, ist ein Unglück.
B.: patet quia
si non peccasset homo
non deberet ab eo Deus mortem exigere
B.: Das versteht sich,
daß, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte,
Gott von ihm den Tod nicht verlangen dürfte.
A.: non ergo coegit Deus Christum mori
in quo nullum fuit peccatum
sed ipse sponte sustinuit mortem
non per oboedientiam deserendi vitam
sed propter oboedientiam servandi iustitiam
in qua tam fortiter perseveravit
ut inde mortem incurreret
A.: Mithin hat Gott Christus nicht gezwungen, zu sterben, in dem doch
keine Sünde war,
sondern er selber hat freiwillig den Tod erlitten,
nicht aus Gehorsam, das Leben zu verlassen,
sondern ob des Gehorsams, die Gerechtigkeit zu bewahren,
indem er so tapfer ausharrte, daß er dadurch in den Tod kam.
potest etiam dici quia praecepit illi pater mori
cum hoc praecepit unde incurrit mortem
Man kann auch sagen: der Vater schrieb ihm vor, zu sterben,
weil er das vorschrieb, wodurch er in den Tod kam.
ita ergo sicut mandatum dedit illi pater
sic fecit (io14,31)
et calicem quem
dedit bibit (ib 18,11)
et factus est oboediens patri usque ad mortem
(phil 2,8)
et sic didicit ex iis quae passus est oboedientiam
(hebr 5,8)
id est quousque
servari debeat oboedientia
So folglich «wie ihm der Vater den Auftrag gab, so führte
er es aus»
und «trank er den Kelch, den er reichte»
und «wurde er dem Vater gehorsam bis in den Tod»
und so «lernte er aus dem, was er erlitt, Gehorsam»,
das heißt, wieweit der Gehorsam gewahrt werden müsse.
verbum autem quod positum est didicit
duobus modis intelligi potest
Das Wort aber, das dasteht: «er lernte»,
kann auf zweifache Weise verstanden werden.
aut enim didicit dictum est pro: alios
fecit discere
aut quia quod per scientiam non ignorabat
experimento didicit
Denn entweder ist «er lernte» gesagt für: er machte
andere lernen;
oder: was er durch seinen Willen wohl kannte,
lernte er durch die Erfahrung.
quod autem apostolus cum
dixisset:
humiliavit semetipsum factus
oboediens usque ad mortem
mortem autem crucis (phil 2,8)
subdidit:
propter quod et Deus illum exaltavit et donavit
illi nomen quod est super omne nomen (ib 2,9)
cui simile est quod David dixit: de
torrente in via bibit propterea exaltavit
caput (ps 109,7):
non ita dictum est
quasi nullatenus potuisset pervenire ad hanc
exaltationem
nisi per hanc mortis oboedientiam
et haec exaltatio non nisi in retributionem huius
oboedientiae collata sit
prius enim quam pateretur ipse
dixit omnia sibi esse tradita a patre (luc 10,22)
et omnia patris esse sua (io 16,15)
sed quoniam ipse cum patre sanctoque spiritu
disposuerat
se non aliter quam per mortem celsitudinem omnipotentiae
suae mundo ostensurum
Wenn aber der Apostel nach dem Worte:
«er erniedrigte sich selbst, gehorsam geworden bis zum Tode,
ja bis zum Tode am Kreuze» hinzufügt:
«darum hat ihn Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben,
der über alle Namen ist»,
was ähnlich ist dem Worte Davids: «vom Bache am Wege trank
er, deshalb erhöhte er das Haupt»:
so ist das nicht so gesagt,
als ob er auf keine andere Weise zu dieser Erhöhung hätte
kommen können
als durch diesen Gehorsam bis zum Tode
und diese Erhöhung lediglich als Belohnung für diesen Gehorsam
verliehen worden wäre,
vor seinem Leiden sagte er nämlich, «alles» sei ihm
«vom Vater übergeben worden»
und alles, was des Vaters sei, sei sein;
sondern weil er selber mit dem Vater und dem Heillgen Geist beschlossen
hatte,
nicht anders als durch den Tod die Erhabenheit seiner Allmacht der
Welt zu zeigen.
quippe quod non nisi per illam mortem fieri dispositum
est:
cum per illam fit non
incongrue dicitur propter illam fieri
Denn wenn beschlossen wurde, daß etwas nur durch jenen Tod geschehen
solle:
wenn es durch ihn geschieht, so sagt man nicht unpassend, es sei seinetwegen
geschehen.
si enim intendimus facere aliquid
sed proponimus nos aliud prius facturos
per quod illud fiat:
cum iam factum est quod volumus praecedere
si fit quod intendimus recte
dicitur
propterea fieri quoniam
factum est propter quod differebatur
quia non nisi per illud fieri dispositum erat
Wenn wir nämlich etwas zu tun beabsichtigen,
uns aber vornehmen, etwas anderes zuvor zu tun, wodurch jenes geschehen
soll:
wenn bereits geschehen ist, was wir vorausgehen lassen wollen,
so sagt man, wenn das geschieht, was wir beabsichtigen, mit Recht:
es geschehe deshalb, weil geschehen ist, um dessentwillen es aufgeschoben
wurde;
denn es war ja beschlossen worden, daß es nur durch jenes geschehe.
nam si fluvium quem equo et navi transire possum
propono
me non nisi navi transiturum et idcirco differo
transmeare quia navis abest:
cum iam praesto est navis si
transeo recte de me dicitur:
navis parata fuit propterea
transivit
Denn wenn ich mir vornehme, einen Fluß, den ich zu Pferd oder
Schiff überqueren kann,
nur zu Schiff zu überqueren, und deshalb aufschiebe hinüberzusetzen,
weil kein Schiff da ist:
wenn nun ein Schiff zur Verfügung steht, so sagt man, wenn ich
übersetze, mit Recht von mir:
das Schiff war bereit, deshalb setzte er über.
et non solum ita loquimur
quando per illud quod praecedere volumus
sed etiam quando non per illud
sed tantummodo post illud facere aliud aliquid
statuimus
So sprechen wir nicht nur,
wenn wir durch das, was wir vorausgehen lassen wollen,
sondern auch, wenn wir nicht durch jenes,
sondern nach jenem etwas anderes zu tun beschließen.
si quis enim differt cibum sumere propterea
quia nondum ea die missae celebrationi affuit:
peracto quod prius facere volebat
non incongrue illi dicitur:
iam sume cibum
propterea quia iam fecisti propter quod sumere
differebas
Denn wenn jemand deshalb Speise zu sich zu nehmen aufschiebt,
weil er an diesem Tage an der Messe noch nicht teilgenommen hat:
wenn nun durchgeführt ist, was er vorher tun wollte,
so sagt man jenem nicht unpassend:
jetzt nimm Speise zu dir,
weil du bereits getan hast, um dessentwillen du sie zu nehmen aufschobst.
multo igitur minus inusitata est locutio
cum Christus dicitur exaltatus propterea
quia mortem sustinuit
per quam et post quam illam exaltationem facere
decrevit
Viel weniger ungebräuchlich ist folglich die Redeweise,
wenn man sagt, Christus sei deshalb erhöht worden,
weil er den Tod erlitt,
durch den und nach dem er jene Erhöhung zu vollziehen beschlossen
hatte.
potest hoc et eo modo intelligi
quo idem dominus legitur profecisse sapientia
et gratia apud Deum (luc 2,52)
non quia ita erat
sed quia ille sic se habebat ac
si ita esset
Das kann auch so verstanden werden,
wie man vom selben Herrn liest, daß er «an Weisheit und
Gnade vor Gott zugenommen» habe;
nicht weil es so war,
sondern weil er sich so gab, als ob es so wäre.
nam sic post mortem exaltatus est
quasi propter illam hoc fieret
Denn so wurde er nach dem Tode erhöht,
als ob es um dieses Todes willen geschehen wäre.
quod autem ipse ait:
non veni voluntatem meam facere sed
eius qui misit me (io 6,38)
tale est quale est et illud: mea
doctrina non est mea(ib 7,i6)
Wenn er aber selbst sagt:
«ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern dessen,
der mich gesandt hat»,
so ist das gleich jenem: «meine Lehre ist nicht mein».
nam quod quis non habet a se sed
a Deo
hoc non tam suum quam Dei dicere debet
Denn was jemand nicht von sich, sondern von Gott hat,
das muß er nicht so sehr als das Seine, sondern als Gottes bezeichnen.
nullus vero homo a se habet veritatem quam docet
aut iustam voluntatem
sed a Deo
Kein Mensch aber hat aus sich die Wahrheit, die er lehrt, oder den
rechten Willen,
sondern von Gott.
non ergo venit Christus voluntatem suam facere
sed patris
quia iusta voluntas quam habebat non
erat ex humanitate sed ex divinitate
Christus kam folglich nicht, seinen Willen, sondern den des Vaters
zu tun,
denn der rechte Wille, den er besaß, war nicht aus der Menschheit,
sondern aus der Gottheit.
proprio vero filio suo non pepercit Deus
sed pro nobis tradidit illum (rom 8,32)
non est aliud quam: non
liberavit eum
«Seines eigenen Sohnes» aber «hat Gott nicht geschont,
sondern hat ihn für uns dahingegeben»
bedeutet nichts anderes als: er hat ihn nicht befreit.
nam multa in sacra scriptura huiusmodi inveniuntur
Denn vieles derartiges findet sich in der Heiligen Schrift.
ubi autem dicit:
pater si possibile
est transeat a me calix iste
verumtamen non sicut ego volo sed
sicut tu (mat 26,39)
et: si non potest
hic calix transire nisi bibam illum fiat voluntas
tua (ib 26,42):
naturalem salutis per voluntatem suam significat
appetitum
quo humana caro dolorem mortis fugiebat
Wo er aber sagt:
«Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber,
jedoch nicht wie ich will, sondern wie du»;
und: «wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, ohne daß
ich ihn trinke, so geschehe dein Wille»:
da bezeichnet er mit seinem Willen das natürliche Begehren nach
Rettung,
durch das das menschliche Fleisch vor dem Todesschmerze floh.
voluntatem vero patris dicit
non quoniam maluerit pater filii mortem quam
vitam
sed quia humanum genus restaurari nolebat pater
nisi faceret homo aliquid tam magnum sicut
erat mors illa
quia non poscebat ratio quod alius facere non
poterat :
idcirco dicit filius illum vere mortem suam
quam ipse mavult pati
quam ut genus humanum non salvetur
Vom Willen des «Vaters» aber spricht er,
nicht weil der Vater lieber den Tod als das Leben des Sohnes gewollt
hätte,
sondern weil der Vater das Menschengeschlecht nicht erneuert haben
wollte,
es sei denn, der Mensch vollbringe etwas so Großes, wie jener
Tod es war,
denn die Vernunft forderte nicht, was ein anderer nicht vollbringen
konnte:
deshalb sagt der Sohn, jener wolle seinen Tod,
den er selber lieber erleiden will,
als daß das Menschengeschlecht nicht gerettet würde.
ac si diceret:
quoniam non vis aliter reconciliationem mundi
fieri
dico te hoc modo velle mortem meam
Als ob er sagen wollte:
Weil du die Versöhnung der Welt nicht anders geschehen lassen
willst,
so sage ich, du wollest auf diese Weise meinen Tod.
fiat igitur haec voluntas tua
id est fiat mors mea
ut mundus tibi reconcilietur
Es geschehe folglich dein Wille,
das heißt, es vollziehe sich mein Tod,
damit die Welt dir wiederversöhnt werde.
nam saepe aliquem velle dicimus aliquid
quia non vult aliud
quod si vellet non
fieret illud quod dicitur velle
ut cum dicimus illum velle lucernam extinguere
qui non vult claudere fenestram
per quam ventus intrat qui
lucernam extinguit
Oft nämlich sagen wir, jemand wolle etwas, weil er etwas anderes
nicht will;
würde er dieses wollen, so geschähe jenes nicht, von dem
es heißt, er wolle es;
so, wenn wir sagen, der wolle das Licht auslöschen, der das Fenster
nicht schließen will,
durch das der Wind hereinkommt, der das Licht auslöscht.
sic igitur voluit pater mortem filii
quia non aliter voluit mundum salvari
nisi homo tam magnum aliquid faceret ut
dixi
So folglich wollte der Vater den Tod des Sohnes,
weil er die Erlösung der Welt nicht anders wollte,
es sei denn der Mensch vollbringe etwas so Großes, wie ich es
gesagt habe.
quod filio volenti salutem hominum tantundem
valuit
quoniam alius hoc facere non valebat
quantum si illi mori praeciperet
Dies galt dem Sohne, der das Heil der Menschen wollte,
da ja ein anderer das nicht vollbringen konnte,
so viel, als ob er ihm zu sterben vorgeschrieben hätte.
unde ille sicut mandatum dedit illi pater
sic fecit (io 14,31)
et calicem quem dedit ei pater bibit
(ib 18,11)
oboediens usque ad mortem (phil 2,8)
Daher «wie ihm der Vater den Auftrag gegeben, so führte
er ihn aus»
und «trank er den Kelch, den ihm der Vater gab»,
«gehorsam bis zum Tode».
capitulum x
item de eisdem quomodo
aliter recte intelligi possunt
10. Kapitel
Wiederum von denselben Sachverhalten, wie man sie auch anders richtig
verstehen kann
potest etiam recte intelligi
quia per illam piam voluntatem qua
voluit filius pro salute mundi mori
dedit illi pater non
tamen cogendo mandatum (io 14,31)
et calicem passionis (ib 18,11)
et non pepercit illi sed
pro nobis tradidit illum (rom 8,32) et mortem
illius voluit
et quia ipse filius oboediens fuit usque ad mortem
(phil 2,8)
et didicit ex iis quae passus est oboedientiam
(hebr 5,8)
Man kann das richtig auch so verstehen,
daß durch jenen frommen Willen, durch den der Sohn für die
Rettung der Welt sterben wollte,
«ihm der Vater», jedoch nicht unter Zwang, «den Auftrag
gab» und den «Kelch» des Leidens
und «ihn nicht schonte», «sondern ihn für uns
hingab» und seinen Tod wollte;
und daß der Sohn selber «gehorsam war bis zum Tode»
und «aus dem, was er erlitt, Gehorsam nahm».
quemadmodum enim secundum humanitatem non habebat
a se voluntatem iuste vivendi
sed a patre
ita et voluntatem illam qua ut
tantum bonum faceret mori voluit
non potuit habere nisi a patre luminum
a quo est omne datum optimum et omne donum perfectum
(iac 1,17)
Denn wie er der Menschheit nach nicht aus sich den Willen, gerecht
zu leben, hatte,
sondern vom Vater,
so konnte er auch jenen Willen, mit dem er, um ein so großes
Gutes zu vollbringen, sterben wollte,
nur vom «Vater der Lichter» haben,
von dem «jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt».
et sicut pater trahere dando voluntatem dicitur
ita non incongrue fit si
impellere asseritur
Und wie man sagt, daß der Vater zieht, indem er den Willen schenkt,
so geschieht es nicht unpassend, wenn man behauptet, er treibe an.
sicut enim filius dicit de patre:
nemo venit ad me nisi
pater traxerit eum (io 6,44)
ita dicere potuit: nisi
impulerit eum
Denn wie der Sohn vom Vater sagt:
«niemand kommt zu mir, wenn der Vater ihn nicht zieht»,
so konnte er auch sagen: wenn er ihn nicht antreibt.
similiter quoque proferre potuit:
nemo currit ad mortem propter nomen meum
nisi pater impulerit aut traxerit eum
Ähnlich hätte er auch vorbringen können:
niemand eilt um meines Namens willen in den Tod,
es sei denn, der Vater treibt ihn oder zieht ihn.
quoniam namque voluntate quisque ad id quod indeclinabiliter
vult
trahitur vel impellitur
non inconvenienter trahere aut impellere Deus
cum talem dat voluntatem affirmatur
Weil nämlich ein jeder durch seinen Willen zu dem, was er auf
unbeugsame Weise will,
gezogen oder getrieben wird,
wird nicht unpassend von Gott ausgesagt, er ziehe ihn oder treibe ihn
an,
wenn er ihm einen solchen Willen verleiht.
in quo tractu vel impulsu nulla intelligitur
violentiae necessitas
sed acceptae bonae voluntatis spontanea et amata
tenacitas
Unter diesem Zug oder Antrieb ist kein gewalttätiges Gezwungensein
zu verstehen,
sondern ein freiwilliges und liebevolles Festhalten an dem empfangenen
guten Willen.
si ergo hoc modo negari nequit
patrem voluntatem illam dando ad mortem filium
traxisse vel impulisse:
quis non videat eadem ratione mandatum illi ut
mortem sponte sustineret
et calicem quem non invitus biberet dedisse
(ib 14,31 18,11)
?
Wenn folglich auf diese Weise nicht geleugnet werden kann,
daß der Vater dadurch, daß er jenen Willen verlieh, den
Sohn zum Tode gezogen oder angetrieben hat:
wer sollte da nicht einsehen, daß er ihm im selben Sinne «den
Auftrag», den Tod freiwillig zu erleiden,
und «den Kelch», ihn nicht unfreiwillig zu trinken, gegeben
habe?
et si filius sibi non pepercisse
sed pro nobis spontanea voluntate se ipsum tradidisse
(rom 8,32) recte dicitur:
quis neget recte dici
quia pater a quo
talem voluntatem habuit illi non pepercit
sed pro nobis tradidit illum (ib) et mortem eius
voluit?
Und wenn vom Sohn, daß er sich nicht geschont,
sondern aus freiem Willen für uns sich selbst überliefert
habe, richtig gesagt wird:
wer könnte leugnen, daß mit Recht gesagt wird,
daß «der Vater», von dem er einen solchen Willen
hatte, ihn nicht geschont habe,
sondern ihn für uns überliefert und seinen Tod gewollt habe?
hoc etiam modo indeclinabiliter et sponte servando
acceptam a patre voluntatem
filius factus est illi oboediens usque ad mortem
(phil 2,8)
et didicit ex iis quae passus est oboedientiam
(hebr 5,8)
id est quam magna res facienda sit per oboedientiam
Auf diese Weise ist auch, indem er unbeugsam und freiwillig den vom
Vater empfangenen Willen bewahrte,
der Sohn ihm «gehorsam geworden bis zum Tode»
und «lernte er aus dem, was er erlitt, Gehorsam»,
das heißt, was für eine große Sache er aus Gehorsam
tun mußte.
nam tunc est simplex et vera oboedientia
cum rationalis natura non necessitate
sed sponte servat voluntatem a Deo acceptam
Denn dann ist der Gehorsam einfältig und wahr,
wenn die vernünftige Natur nicht aus Zwang,
sondern freiwillig den von Gott erhaltenen Willen bewahrt.
aliis quoque modis recte possumus
patrem voluisse filii mortem intelligere
quamvis isti possint sufficere
Auch auf andere Arten können wir richtig verstehen,
der Vater habe den Tod des Sohnes gewollt,
wenn auch diese genügen könnten.
nam sicut velle dicimus eum
qui facit ut alius velit
ita dicimus etiam illum velle
qui non facit ut alius velit
sed approbat quia vult
Denn wie wir sagen, daß der will,
der macht, daß ein anderer will,
so sagen wir auch, daß der wolle,
der nicht macht, daß ein anderer will,
der aber gutheißt, daß er will.
ut cum videmus aliquem fortiter pati velle molestiam
ut perficiat quod bene vult:
quamvis fateamur nos velle ut illam poenam sustineat
non tamen volumus aut amamus poenam eius
sed voluntatem
So wenn wir sehen, daß jemand tapfer Schwierigkeiten erldulden
will,
um durchzuführen, was er auf gute Weise will:
obwohl wir gestehen, daß wir wollen, daß er jene Pein erträgt,
so wollen wir oder lieben wir doch nicht seine Pein, sondern seinen
Willen.
illum quoque qui prohibere potest et non prohibet
solemus dicere quia vult quod non prohibet
Auch von dem, der etwas verhindern kann und nicht verhindert,
pflegen wir zu sagen, daß er eben das will, was er nicht verhindert.
quoniam ergo patri filii voluntas placuit
nec prohibuit eum velle aut implere quod volebat:
recte voluisse
ut filius mortem tam pie tam
utiliter sustineret
quamvis poenam eius non amaret affirmatur
Weil folglich dem Vater der Wille des Sohnes gefiel
und er ihn nicht hinderte zu wollen und zu erfüllen, was er wollte,
wird es mit Recht so: daß er gewollt habe,
daß der Sohn den Tod so fromm und so fruchtbar erdulde,
obwohl er seine Pein doch nicht liebte, formuliert.
non autem potuisse calicem transire nisi
biberet illum (io 18,11)
dixit non quia non
posset mortem vitare si vellet
sed quoniam sicut dictum est mundum erat aliter
impossibile salvari
et ipse indeclinabiliter volebat potius mortem
pati
quam ut mundus non salvaretur
Daß er aber den Kelch nicht vorübergehen lassen konnte,
ohne ihn zu trinken,
sagte er nicht, weil er den Tod nicht hätte vermeiden können,
wenn er gewollt hätte,
sondern weil ja die Welt, wie gesagt wurde, unmöglich anders erlöst
werden konnte;
und er selber wollte unbeugsam lieber den Tod erleiden,
als daß die Welt nicht erlöst würde.
idcirco autem illa verba dixit ut
doceret
humanum genus aliter salvari non potuisse quam
per mortem suam
non ut ostenderet se mortem nequaquam valuisse
vitare
Darum aber sprach er jene Worte, um zu lehren,
daß das Menschengeschlecht anders nicht erlöst werden konnte
als durch seinen Tod,
nicht um zu zeigen, daß er den Tod keineswegs zu meiden vermocht
hätte.
nam quaecumque de illo dicuntur iis quae dicta
sunt similia sic sunt exponenda
ut nulla necessitate sed
libera voluntate mortuus credatur
Denn jegliches, was dem bereits Gesagten Ähnliches von ihm gesagt
wird, ist so zu erklären,
daß man glaubt, er sei durch keine Nötigung, sondern aus
freiem Willen gestorben.
erat namque omnipotens
et de illo legitur
quia oblatus est quoniam
ipse voluit (is 53,7)
Denn er war ja allmächtig;
und von ihm liest man:
«er ward geopfert, weil er selbst es wollte».
et ipse dicit:
ego pono animam meam
ut iterum sumam eam
nemo tollit eam a me
sed ego pono eam a me ipso
potestatem habeo ponendi eam
et potestatem habeo iterum sumendi eam (io
10,17 s)
Und er selber spricht:
«Ich gebe mein Leben hin, um es wieder zu nehmen;
niemand nimmt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin;
ich habe die Macht, es zu geben,
und ich habe die Macht, es wiederum zu nehmen».
quod ergo idem ipse sua potestate et sua voluntate
facit
nullatenus ad hoc cogi recte dicitur
Daß er folglich zu dem, was er selber durch seine Macht und seinen
Willen tut,
keineswegs gezwungen werde, wird richtig so formuliert.
B.: hoc solum quia
permittit Deus illum sic tractari quamvis volentem
non videtur tali patri de tali filio convenire
B.: Das allein, daß Gott erlaubt, daß er so behandelt wird,
wenn auch freiwillig,
scheint einem solchen Vater bei einem solchen Sohne nicht zu entsprechen.
A.: immo maxime decet talem patrem tali filio
consentire
si quid vult laudabiliter ad honorem Dei et utiliter
ad salutem hominum
quae aliter fieri non potuit
A.: Im Gegenteil ist es höchst geziemend, daß ein solcher
Vater einem solchen Sohn zustimmt,
wenn er etwas lobenswert zur Ehre Gottes und fruchtbar zur Rettung
der Menschen tun will,
die auf andere Weise nicht erfolgen konnte.
B.: in hoc adhuc versamur
qualiter mors illa rationabilis et necessaria
monstrari possit
aliter namque nec ipse filius eam velle
nec pater cogere aut permittere debuisse videtur
B.: Dabei verweilen wir immer noch,
wie dieser Tod als vernunftgemäß und notwendig bewiesen
werden kann;
denn sonst hätte ihn, wie es scheint, weder der Sohn wollen
noch der Vater erzwingen oder erlauben dürfen.
quaeritur enim cur Deus aliter hominem salvare
non potuit
aut si potuit
cur hoc modo voluit
Es fragt sich nämlich, warum Gott den Menschen nicht anders retten
konnte.
oder, wenn er es konnte,
warum er es auf diese Weise wollte.
nam et inconveniens videtur esse Deo hominem
hoc modo salvasse
nec apparet quid mors ista valeat ad salvandum
hominem
Denn es scheint Gott nicht zu entsprechen, daß er den Menschen
auf diese Weise errettete,
noch wird offenbar, was dieser Tod zur Rettung der Menschen vermöchte.
mirum enim est
si Deus sic delectatur aut eget sanguine innocentis
ut non nisi eo interfecto parcere velit aut possit
nocenti
Es wäre ja verwunderlich,
wenn Gott sich so sehr am Blute eines Unschuldigen ergötzte oder
seiner bedürfte,
daß er nur nach dessen Tötung dem Schuldigen verzeihen wollte
oder könnte.
A.: quoniam accipis in hac quaestione personam
eorum
qui credere nihil volunt nisi praemonstrata ratione
volo tecum pacisci
ut nullum vel minimum inconveniens in Deo a nobis
accipiatur
et nulla vel minima ratio si
maior non repugnat reiciatur
A.: Weil du in dieser Frage die Person derer annimmst,
die nichts glauben wollen, es sei denn, ein Vernunftgrund werde vorgewiesen,
so will ich mit dir vereinbaren,
daß von uns keine noch so geringe Unziemlichkeit in Gott angenommen
und kein noch so geringfügiger Vernunftgrund, wenn nicht ein höherer
dagegensteht, zurückgewiesen werde.
sicut enim in Deo quamlibet parvum inconveniens
sequatur impossibilitas
ita quamlibet parvam rationem
si maiori non vincitur
comitatur necessitas
Denn wie in Gott einer noch so kleinen Unziemlichkeit die Unmöglichkeit
folgt,
so begleitet einen noch so geringen Vernunftgrund,
falls er nicht durch einen höheren überwunden wird,
die Notwendigkeit.
B.: nihil in hac re accipio libentius
quam ut hoc pactum inter nos communiter servetur
B.: Nichts nehme ich hierin lieber an,
als daß diese Vereinbarung zwischen uns gemeinsam eingehalten
werde.
A.: de incarnatione tantum Dei
et de iis quae de illo assumpto homine credimus
quaestio est
A.: Nur von der Inkarnation Gottes
und dem, was wir von jenem angenommenen Menschen glauben,
ist die Frage.
B.: ita est
B.: Genauso ist es.
A.: ponamus ergo
Dei incarnationem et quae de illo dicimus homine
numquam fuisse
et constet inter nos hominem esse factum ad beatitudinem
quae in hac vita haberi non potest
nec ad illam posse pervenire quemquam nisi dimissis
peccatis
nec ullum hominem hanc vitam transire sine peccato
et alia quorum fides ad salutem aeternam necessaria
est
A.: Nehmen wir folglich an,
die Inkarnation Gottes und was wir von jenem Menschen aussagen, habe
niemals stattgefunden;
und es stehe unter uns fest, daß der Mensch zu einer Seligkeit
geschaffen sei,
die in diesem Leben nicht genossen werden kann,
und daß zu dieser ohne Vergebung der Sünden niemand gelangen
kann;
ferner daß kein Mensch ohne Sünde dieses Leben durchschreitet;
und noch anderes, dessen Glaube zum ewigen Heile notwendig ist.
B.: ita fiat
quia nihil in his impossibile aut inconveniens
Deo videtur
B.: So sei es,
da nichts darin unmöglich oder Gott ungeziemend erscheint.
A.: necessaria est igitur homini peccatorum remissio
ut ad beatitudinem perveniat
A.: Notwendig ist folglich dem Menschen die Vergebung der Sünden,
um zur Seligkeit zu gelangen.
B.: sic omnes tenemus
B.: So halten wir alle fest.