nam cum terrenae potestates hoc recte faciunt
ipse facit a quo
ad hoc ipsum sunt ordinatae
Denn wenn die irdischen Gewalten das rechtmäßig tun,
so tut er selbst es, von dem sie zu dieser Aufgabe bestimmt sind.
B.: removisti repugnantiam quam putabam inesse
sed est aliud ad quod tuum habere volo responsum
B.: Du hast den Widerspruch beseitigt, der, wie ich glaubte, darin
liegt;
aber es gibt noch etwas anderes, worauf ich deine Antwort haben möchte.
nam cum Deus sic sit liber ut nulli legi
nullius subiaceat iudicio
et ita sit benignus ut
nihil benignius cogitari queat
et nihil sit rectum aut decens nisi quod ipse
vult:
mirum videtur si dicimus
quia nullatenus vult aut non ei licet suam iniuriam
dimittere
a quo etiam de iis quas aliis facimus solemus
indulgentiam petere
Nämlich, wenn Gott so frei ist, daß er keinem Gesetze, niemandes
Urteil unterliegt,
und wenn er so gütig ist, daß nichts Gütigeres gedacht
werden kann,
und wenn nichts recht oder geziemend ist, außer dem, was er selber
will:
so scheint es verwunderlich, wenn wir behaupten,
er wolle durchaus nicht oder es sei ihm nicht erlaubt, das ihm zugefügte
Unrecht zu vergeben,
er, den wir um dessentwillen, was wir anderen zufügen, um Nachsicht
zu bitten gewohnt sind.
A.: verum est quod dicis de libertate et voluntate
et benignitate illius
sed sic eas debemus rationabiliter intelligere
ut dignitati eius non videamur repugnare
A.: Es ist wahr, was du von seiner Freiheit und seinem Willen und seiner
Güte sagst;
aber wir müssen dies so vernünftig auffassen,
daß wir seiner Würde nicht zu widersprechen scheinen.
libertas enim non est nisi ad hoc quod expedit
aut quod decet
nec benignitas dicenda est quae aliquid Deo indecens
operatur
Denn die Freiheit dient nur zu dem, was sinnvoll oder geziemend ist,
und Güte kann das nicht heißen, was etwas Gott nicht Geziemendes
bewirkt.
quod autem dicitur quia quod vult iustum est
et quod non vult non est iustum
non ita intelligendum est ut
si Deus velit quodlibet inconveniens
iustum sit quia
ipse vult
Wenn es aber heißt: Was er will, ist recht,
und was er nicht will, ist nicht recht,
so ist das nicht so zu verstehen,
daß, wenn Gott irgendetwas Ungeziemendes wolle,
es gerecht wäre, weil er es will.
non enim sequatur: si
Deus vult mentiri iustum esse mentiri
sed potius Deum illum non esse
Es folgt nämlich nicht, daß, wenn Gott lügen will,
lügen recht sei,
sondern vielmehr: daß er dann nicht Gott sei.
nam nequaquam potest velle mentiri voluntas
nisi in qua corrupta est veritas
immo quae deserendo veritatem corrupta est
Denn keinesfalls kann ein Wille lügen wollen,
außer dem, in dem die Wahrheit verdorben ist,
oder genauer: welcher eben durch das Verlassen der Wahrheit verdorben
ist.
cum ergo dicitur: si
Deus vult mentiri
non est aliud quam: si
Deus est talis natura quae velit mentiri
et idcirco non sequatur iustum esse mendacium
Wenn es aber heißt: wenn Gott lügen will,
so ist das nichts anderes als: wenn Gott eine solche Natur ist, die
lügen wollte;
und deshalb folgt nicht, daß die Lüge recht sei.
nisi ita intelligatur
sicut cum de duobus impossibilibus dicimus:
si hoc est illud
est
quia nec hoc nec illud est
Wenn man es nicht so verstehen will,
wie wenn wir von zwei unmöglichen Dingen sagen:
wenn das ist, ist jenes,
weil weder dies noch jenes existiert.
ut si quis dicat:
si aqua est sicca et
ignis est humidus
neutrum enim verum est
Zum Beispiel, wenn jemand sagt:
wenn das Wasser trocken ist, ist auch das Feuer naß;
keines von beiden nämlich ist wahr.
itaque de illis tantum verum est dicere:
si Deus hoc vult iustum
est
quae Deum velle non est inconveniens
Daher ist nur von dem wahr zu sagen,
«wenn Gott dies will, ist es recht»,
von dem es nicht ungeziemend ist, daß Gott sie will.
si enim Deus vult ut pluat iustum
est ut pluat
et si vult ut homo aliquis occidatur iustum
est ut occidatur
Denn wenn Gott will, daß es regne, so ist es recht, daß
es regnet;
und wenn er will, daß ein Mensch getötet werde, so ist es
recht, daß er getötet wird.
quapropter si non decet Deum aliquid iniuste
aut inordinate facere
non pertinet ad eius libertatem aut benignitatem
aut voluntatem
peccantem qui non solvit Deo quod abstulit impunitum
dimittere
Wenn es daher Gott nicht geziemt, etwas ungerecht oder ungeordnet zu
tun,
so gehört das nicht zu seiner Freiheit, seiner Güte oder
seinem Willen,
den Sünder, der Gott das Entwendete nicht einlöst, ungestraft
zu lassen.
B.: omnia mihi aufers
quae putabam tibi obici posse
B.: Alles nimmst du mir weg,
was ich dir glaubte entgegnen zu können.
A.: vide adhuc
cur Deum hoc facere non deceat
A.: Sieh noch,
warum es Gott nicht ziemt, das zu tun.
B.: libenter ausculto quidquid dicis
B.: Gerne höre ich an, was du immer sagst.
capitulum xiii
quod nihil minus sit tolerandum in rerum ordine
quam ut creatura creatori debitum honorem auferat
et non solvat quod aufert
13. Kapitel
Daß in der Ordnung der Welt nichts weniger zu ertragen ist,
als daß das Geschöpf dem Schöpfer die schuldige Ehre
nimmt und nicht abzahlt, was er nimmt.
A.: nihil minus tolerandum in rerum ordine
quam ut creatura creatori debitum honorem auferat
et non solvat quod aufert
A.: Nichts ist in der Ordnung der Dinge weniger zu ertragen,
als daß die Kreatur dem Schöpfer die schuldige Ehre wegnimmt
und nicht abzahlt, was sie wegnimmt.
B.: hoc nihil clarius
B.: Nichts ist klarer als das.
A.: nihil autem iniustius toleratur
quam quo nihil est minus tolerandum
A.: Nichts Ungerechteres aber wird ertragen,
als das, in Verglech zu dem nichts weniger zu ertragen ist.
B.: nec hoc est obscurum
B.: Auch das ist nicht dunkel.
A.: puto ergo quia non dices
Deum debere tolerare quo nihil toleratur iniustius
ut creatura non reddat Deo quod aufert
A.: Somit glaube ich, daß du nein dazu sagen wirst,
Gott müsse etwas ertragen, in Vergleich zu dem nichts Ungerechteres
ertragen wird:
nämlich daß die Kreatur Gott nicht zurückgibt, was
sie wegnimmt.
B.: immo penitus negandum esse video
B.: Nein, ich sehe, daß man das vollständig verneinen muß.
A.: item si Deo
nihil maius aut melius
nihil iustius quam honorem illius servat in rerum
dispositione
summa iustitia quae
non est aliud quam ipse Deus
A.: Desgleichen: Wenn es nichts Größeres oder Besseres gibt
als Gott,
so wahrt nichts gerechter als seinen Ehrenglanz in der Ordnung der
Dinge
eben der höchste Gerechtigkeitssinn, der nichts anderes als Gott
selbst ist.
B.: hoc quoque nil apertius
B.: Wieder nichts offenbarer als das.
A.: nihil ergo servat Deus iustius
quam suae dignitatis honorem
A.: Nichts wahrt folglich Gott gerechter
als den Ehrenglanz seiner Würde.
B.: concedere me oportet
B.: Das muß ich zugeben.
A.: videtur tibi quod eum integre servet
si sic auferri sibi permittit
ut nec solvatur
nec ipse auferentem puniat?
A.: Scheint es dir, daß er sie vollkommen wahrt,
wenn er sie sich so wegnehmen läßt,
daß weder sie wiederhergestellt wird
noch er selber den, der sie nimmt, bestraft?
B.: non audeo dicere
B.: Das wage ich nicht zu behaupten.
A.: necesse est ergo
ut aut ablatus honor solvatur aut poena sequatur
alioquin aut sibi Deus ipsi iustus non erit
aut ad utrumque impotens erit
quod nefas est vel cogitare
A.: Folglich ist es notwendig,
daß entweder die weggenommene Ehre wiederhergestellt wird, oder
die Strafe folge;
sonst wird entweder Gott sich selber gegenüber nicht gerecht sein,
oder er wird zu beidem unfähig sein,
was auch nur zu denken ein Frevel ist.
capitulum xiv
cuiusmodi honor Dei sit poena peccantis
14. Kapitel
Welcher Art der Ehrenglanz Gottes sei bei der Bestrafung des Sünders
B.: nihil rationabilius dici posse intelligo
B.: Daß man nichts Vernünftigeres sagen kann, sehe ich ein.
sed volo a te audire
si poena peccantis sit illi honor
aut cuiusmodi honor sit
Jedoch will ich von dir hören,
ob die Bestrafung des Sünders für ihn eine Ehre ist,
oder welcher Art diese Ehre ist.
si enim poena peccantis non est eius honor
cum peccator non solvit quod abstulit
sed punitur
sic perdit Deus honorem suum ut non recuperet
quod iis quae dicta sunt repugnare videtur
Denn wenn die Bestrafung des Sünders für ihn keine Ehre bedeutet,
so verliert Gott, wenn der Sünder das, was er wegnahm, nicht zurückzahlt,
sondern bestraft wird,
seinen Ehrenglanz derart, daß er ihn nicht wiedererlangt;
was dem, was gesagt wurde, zu widersprechen scheint.
A.: Deum impossibile est honorem suum perdere
aut enim peccator sponte solvit quod debet
aut Deus ab invito accipit
A.: Gott kann unmöglich seine Ehre verlieren,
denn entweder zahlt der Sünder freiwillig, was er schuldet,
oder Gott erhält es von ihm gegen seinen Willen.
nam aut homo debitam subiectionem Deo
sive non peccando sive quod peccat solvendo
voluntate spontanea exhibet
aut Deus eum invitum sibi torquendo subicit et
sic se dominum eius esse ostendit
quod ipse homo voluntate fateri recusat
Entweder nämlich erzeigt der Mensch Gott die geschuldete Unterwerfung,
sei es, daß er nicht sündigt, sei es, daß er, was
er sündigt, zurückzahlt, aus freiem Willen
oder Gott unterwirft ihn sich gegen seinen Willen, indem er ihn foltert,
und zeigt so, daß er sein Herr ist,
was der Mensch selber aus eigenem Willen zuzugeben sich widersetzt.
in quo considerandum
quia sicut homo
peccando rapit quod Dei est
ita Deus puniendo aufert quod hominis est
Dabei ist zu bedenken,
daß, sowie der Mensch, indem er sündigt, raubt, was Gottes
ist,
so auch Gott, indem er straft, wegnimmt, was des Menschen ist.
quippe non solum id suum alicuius esse dicitur
quod iam possidet
sed quod in eius potestate est ut habeat
Denn nicht nur das nennt man Eigentum eines Menschen, was er bereits
besitzt,
sondern was in seiner Macht liegt, so daß er es hat.
quoniam ergo homo ita factus est
ut beatitudinem habere posset si
non peccaret:
cum propter peccatum beatitudine et omni bono
privatur
de suo quamvis invitus solvit quod rapuit
Da folglich der Mensch so geschaffen wurde,
daß er die Seligkeit erwerben konnte, falls er nicht sündigte:
wenn er wegen der Sünde der Seligkeit und alles Guten beraubt
wird,
so zahlt er, obwohl gegen seinen Willen, von dem Seinen, was er geraubt
hat.
quia licet Deus hoc ad usum sui commodi non transferat
quod aufert
sicut homo pecuniam quam alia aufert in suam
convertit utilitatem
hoc tamen quod aufert utitur ad suum honorem
per hoc quia aufert
Denn obgleich Gott nicht in den Genuß eigener Annehmlichkeit überführt,
was er wegnimmt,
wie der Mensch das Geld, das er einem andereren wegnimmt, in seinen
eigenen Nutzen umwandelt,
so gebraucht er doch das Genommene noch zu seiner Ehre
eben dadurch, daß er es wegnimmt.
auferendo enim peccatorem et quae illius sunt
sibi subiecta esse probat
Denn indem er wegnimmt, beweist er, daß der Sünder und was
ihm gehört
ihm unterworfen sind.
capitulum xv
si Deus vel ad modicum patiatur honorem suum
violari
15. Kapitel
Ob Gott es zuläßt, daß seine Ehre auch nur ein wenig
verletzt werde.
B.: placet quod dicis
sed est et aliud ad quod tuam responsionem postulo
B.: Es gefällt, was du sagst,
doch ist noch etwas anderes, worauf ich deine Antwort erheische.
nam si Deus ita sicut probas suum debet honorem
servare:
cur vel ad modicum patitur illum violari?
Wenn nämlich Gott so, wie du beweist, seine Ehre wahren muß:
warum duldet er, daß sie auch nur ein wenig verletzt wird?
quod enim aliquo modo laedi sinitur
non integre nec perfecte custoditur
Denn was man irgendwie verletzen läßt,
das wird nicht ganz und vollkommen behütet.
A.: Dei honori nequit aliquid quantum
ad illum pertinet addi vel minui
idem namque ipse sibi est honor incorruptibilis
et nullo modo mutabilis
A.: Gottes Ehre kann, soweit es ihn betrifft, nichts hinzugefügt
noch entzogen werden,
denn er selber ist sich der unzerstörbare und ganz und gar unwandelbare
Ehrenglanz.
verum quando unaquaeque creatura suum et quasi
sibi praeceptum ordinem
sive naturaliter sive rationabiliter servat
Deo oboedire et eum honorare dicitur
et hoc maxime rationalis natura
cui datum est intelligere quid debeat
Wenn jedoch eine jegliche Kreatur ihre eigene und ihr gleichsam vorgeschriebene
Ordnung,
sei es von Natur oder aus Vernunft, wahrt,
so sagt man, daß sie Gott gehorche und ihn ehre,
und das vornehmlich bei der vernünftigen Natur,
der es gegeben ist zu verstehen, was sie soll.
quae cum vult quod debet Deum
honorat
non quia illi aliquid confert
sed quia sponte se eius voluntati et dispositioni
subdit
et in rerum universitate ordinem suum et eiusdem
universitatis pulchritudinem
quantum in ipsa est servat
Will sie, was sie soll, ehrt sie Gott;
nicht weil sie ihm etwas schenkt,
sondern weil sie sich freiwillig seinem Willen und seiner Anordnung
unterwirft
und im All der Dinge ihre Ordnung und die Schönheit eben dieses
Alls,
soweit es an ihr liegt, wahrt.
cum vero non vult quod debet
Deum quantum ad
illam pertinet inhonorat
quoniam non se sponte subdit illius dispositioni
et universitatis ordinem et pulchritudinem
quantum in se est perturbat
licet potestatem aut dignitatem Dei nullatenus
laedat aut decoloret
Will sie aber nicht, was sie soll,
so entehrt sie Gott, soweit es an ihr liegt,
weil sie sich nicht freiwillig seiner Anordnung unterwirft
und die Ordnung und Schönheit des Alls, soweit es an ihr liegt,
zerstört,
wenn sie auch die Macht und Würde Gottes nicht im geringsten verletzt
oder verfärbt.
si enim ea quae caeli ambitu continentur
vellent non esse sub caelo aut elongari a caelo
nullatenus possent nisi sub caelo esse
nec fugere caelum nisi appropinquando caelo
Denn wenn die Dinge, die vom Himmelsumschwung umschlossen sind,
nicht unter dem Himmel bleiben wollte oder sich vom Himmel weit entfernen
wollten,
könnten sie keinesfalls etwas anderes, als eben unter dem Himmel
zu bleiben,
noch könnten sie dem Himmel entfliehen, es sei denn eben durch
Annäherung an den Himmel.
nam et unde et quo et qua irent
sub caelo essent
et quanto magis a qualibet caeli parte elongarentur
tanto magis oppositae parti propinquarent
Denn woher und wohin und auf welchem Wege sie auch gingen,
sie wären unter dem Himmel;
und je mehr sie sich von irgendeiner Seite des Himmels entfernten,
um so mehr würden sie sich der entgegengesetzten Seite nähern.
ita quamvis homo vel malus angelus
divinae voluntati et ordinationi subiacere nolit
non tamen eam fugere valet
quia si vult fugere de sub voluntate iubente
currit sub voluntatem punientem
et si quaeris qua transit:
non nisi sub voluntate permittente
et hoc ipsum quod perverse vult aut agit
in universitatis praefatae ordinem et pulchritudinem
summa sapientia convertit
So vermag der Mensch oder der böse Engel,
obwohl er dem göttlichen Willen und der göttlichen Ordnung
nicht untertan sein wollte,
dennoch nicht, ihnen zu entfliehen,
weil er, sobald er dem befehlenden Willen entfliehen will,
unter den strafenden Willen gerät;
und wenn du fragst, auf welchem Wege er durchschreitet:
auf keinem anderen als unter dem zulassenden Willen;
und selbst das, was er verkehrt will oder handelt,
wendet die höchste Weisheit in die Ordnung und Schönheit
des eben genannten Alls.
ipsa namque perversitatis spontanea satisfactio
vel a non satisfaciente poenae exactio
excepto hoc quia Deus de malis multis modis bona
facit
in eadem universitate suum tenent locum et ordinis
pulchritudinem
Denn die freiwillige Genugtuung für die Verkehrtheit
oder zum wenigsten die Eintreibung der Strafe von dem, der nicht Genugtuung
leistet,
haben, davon abgesehen, daß Gott aus dem Bösen auf vielfache
Art Gutes wirkt,
in eben diesem All ihren Platz und die Schönheit ihrer Ordnung.
quas si divina sapientia ubi
perversitas rectum ordinem perturbare nititur non
adderet
fieret in ipsa universitate quam Deus debet ordinare
quaedam ex violata ordinis pulchritudine deformitas
et Deus in sua dispositione videretur deficere
Wenn die göttliche Weisheit sie, wo die Verkehrtheit die rechte
Ordnung zu stören trachtet, nicht einfügte,
entstünde in diesem All, das Gott ordnen muß,
eine gewisse Verunstaltung aus der verletzten Schönheit der Ordnung,
und es schiene, als ob Gott in seiner Leitung versagte.
quae duo quoniam sicut sunt inconvenientia
ita sunt impossibilia
necesse est ut omne peccatum satisfactio aut
poena sequatur
Da beides so unmöglich wie ungeziemend ist,
ist es notwendig, daß jeder Sünde Genugtuung oder Strafe
folge.
B.: satisfecisti obiectioni meae
B.: Du hast meinem Einwand Genüge getan.
A.: palam igitur est quia Deum quantum
in ipso est nullus potest honorare vel exhonorare
sed quantum in se est hoc
aliquis facere videtur
cum voluntatem suam voluntati eius subicit aut
subtrahit
A.: Folglich ist es offenbar, daß niemand Gott, soweit es an
jenem selbst liegt, ehren oder entehren kann;
aber soweit es an ihm liegt, scheint es doch jeder zu tun,
der seinen Willen dessen Willen unterwirft oder entzieht.
B.: nescio quid contra queam dicere
B.: Ich weiß nicht, was ich dagegen sagen könnte.
capitulum xvi
ratio quod numerus angelorum qui ceciderunt restituendus
sit de hominibus
16. Kapitel
Die Begründung dafür, daß die Zahl der gefallenen Engel
aus den Menschen zu ersetzen ist.
A.: adhuc addam aliquid
A.: Noch etwas anderes will ich hinzufügen.
B.: tamdiu dic donec
me taedeat audire
B.: Sprich solange, bis es mir zuzuhören Überdruß bereitet.
A.: Deum constat proposuisse
ut de humana natura quam fecit sine peccato
numerum angelorum qui ceciderant restitueret
A.: Es steht fest, daß Gott beschlossen hat,
aus der menschlichen Natur, die er ohne Sünde geschaffen hat,
die Zahl der gefallenen Engel zu ersetzen.
B.: hoc credimus
sed vellem aliquam huius rei rationem habere
B.: Das glauben wir,
doch möchte ich eine Begründung dafür hören.
A.: fallis me
non enim proposuimus tractare nisi de sola incarnatione
Dei
et tu mihi interseris alias quaestiones
A.: Du täuschest mich;
wir haben uns doch vorgenommen, nur von der Menschwerdung Gottes zu
handeln,
und du streust mir nun andere Fragen dazwischen.
B.: ne irascaris hilarem
datorem diligit Deus (2 cor 9,7)
nam nemo magis probat se hilariter dare quod
promittit
quam qui plus dat quam promittit
dic ergo libenter quod quaero
B.: Zürne nicht, «den freudigen Geber liebt Gott»;
denn niemand beweist besser, daß er freudig gibt, was er verspricht,
als der, der mehr gibt, als er verspricht;
sag folglich gerne, wonach ich frage.
A.: rationalem naturam quae
Dei contemplatione beata vel est vel futura est
in quodam rationabili et perfecto numero praescitam
esse a Deo
ita ut nec maiorem nec minorem illum esse deceat
non est dubitandum
A.: Daß die vernünftige Natur, die durch Gottes Anschauung
selig ist oder sein wird,
in einer vernunftgemäßen und vollkommenen Zahl von Gott
vorausgewußt ist,
so, daß ihr weder größer noch kleiner zu sein ziemt,
darf man nicht bezweifeln.
aut enim nescit Deus in quo numero melius eam
deceat constitui
quod falsum est
aut si scit in eo
illam constituet quem ad hoc decentiorem intelliget
Denn entweder weiß Gott nicht, in welcher Zahl ihr mehr ziemt,
aufgestellt zu werden,
was falsch ist;
oder, wenn er es weiß, dann wird er sie in der aufstellen, welche
er dafür am angemessensten erkennt.
quapropter aut angeli illi qui ceciderunt
facti erant ad hoc
ut essent intra illum numerum
aut quia extra illum permanere non potuerunt
ex necessitate ceciderunt
quod absurdum est opinari
Deshalb wurden entweder jene Engel, die gefallen sind, dazu geschaffen,
um in jener Zahl enthalten zu sein,
oder, weil sie über diese Zahl hinaus nicht bleiben konnten,
fielen sie mit Notwendigkeit;
was zu vermuten widersinnig ist.
B.: veritas est aperta quod dicis
B.: Offene Wahrheit ist, was du sagst.
A.: quoniam ergo de illo numero esse debuerunt:
aut restaurandus est ex necessitate numerus eorum
aut in imperfecto remanebit numero rationalis
natura
quae in numero perfecto praescita est
quod esse non potest
A.: Weil sie folglich aus jener Zahl sein mußten,
so ist entweder mit Notwendigkeit ihre Zahl zu ersetzen,
oder die vernünftige Natur wird in unvollkommener Zahl bleiben,
welche in vollkommener Zahl vorhergewußt wurde;
was nicht sein kann.
B.: restaurandi procul dubio sunt
B.: Sie sind ohne Zweifel zu ersetzen.
A.: necesse est ergo eos de humana
quoniam non est alia de qua possint
natura restaurari
A.: Folglich ist es notwendig, daß sie,
da keine andere da ist, durch die sie es werden könnten,
durch die menschliche Natur ersetzt werden.
capitulum xvii
quod alii angeli pro illis non possint restitui
17. Kapitel
Daß andere Engel fur sie nicht eingesetzt werden können
B.: cur non aut ipsi
aut alia angeli pro illis possunt restitui ?
B.: Warum können nicht entweder sie selber
oder andere Engel an ihrer Stelle eingesetzt werden?
A.: cum videbis nostrae restaurationis difficultatem
intelliges eorum reconciliationis impossibilitatem
A.: Wenn du die Schwierigkeit unserer Wiederherstellung sehen wirst,
wirst du die Unmöglichkeit ihrer Wiederversöhnung begreifen.
alii autem angeli pro illis restitui non possunt
ideo
ut taceam quomodo hoc repugnare videatur primae
creationis perfectioni
quia non debent
nisi tales esse possint quales
illi fuissent si non peccassent
cum illi nulla visa vindicta peccati perseverassent
quod post illorum casum aliis qui
pro illis restituerentur esset impossibile
Andere Engel können jedoch nicht für sie eingesetzt werden,
um davon zu schweigen, wie das der Vollkommenheit der ersten Schöpfüng
zu widersprechen scheint,
weil sie es nicht dürfen,
außer sie könnten so sein, wie jene gewesen wären,
wenn sie nicht gesündigt hätten,
da diese ohne jede Vorhersicht der Strafe für die Sünde ausgeharrt
hätten,
was nach ihrem Fall anderen, die für sie eingesetzt würden,
unmöglich wäre.
non enim pariter laudabiles sunt
si stant in veritate:
et qui nullam novit peccati poenam
et qui eam semper aspicit aeternam
Denn nicht gleicherweise lobenswert sind,
wenn sie in der Wahrheit feststehen,
einerseits derjenige, der keine Strafe für die Sünde kennt,
und andererseits derjenige, der diese ständig als ewige vor Augen
hat.
nam nequaquam putandum est
bonos angelos esse confirmatos casu malorum
sed suo merito
Denn keineswegs darf man glauben,
daß die guten Engel durch den Fall der bösen gefestigt worden
seien,
sondern durch ihr eigenes Verdienst.
sicut namque si
boni cum malis peccassent simul damnati essent
ita iniusti si cum
iustis stetissent pariter confirmati essent
So wie nämlich die guten, wenn sie mit den bösen gesündigt
hätten, zugleich verdammt worden wären,
so wären die bösen, wenn sie mit den gerechten ausgeharrt
hätten, gleicherweise gefestigt worden.
quippe si aliqui eorum non nisi aliorum casu
confirmandi erant
aut nullus umquam confirmaretur
aut necesse erat aliquem casurum
qui ad alios confirmandos puniretur
quae utraque absurda sunt
Denn wenn einige von ihnen nur durch den Fall anderer gefestigt werden
mußten,
wäre entweder keiner jemals gefestigt worden,
oder es wäre notwendig gewesen, daß einer falle,
der zur Befestigung der anderen gestraft würde,
was beides widersinnig ist.
illo itaque modo confirmati sunt illi qui steterunt
quo pariter confirmati essent omnes
si stetissent
Deshalb sind die, die standhaft blieben, auf dieselbe Weise gefestigt
worden,
auf die gleicherweise alle gefestigt worden wären,
wenn sie ausgeharrt hätten.
quem modum ostendi sicut
potui
ubi tractavi cur Deus diabolo perseverantiam
non dedit
Diese Weise habe ich, sogut ich konnte, dargelegt,
wo ich darüber handelte, warum Gott dem Teufel die Beharrlichkeit
nicht verlieh.
B.: probasti malos angelos de humana natura restaurandos
et patet ex hac ratione
quia non in minori numero erunt homines electi
quam sunt angeli reprobi
B.: Du hast bewiesen, daß die bösen Engel aus der menschlichen
Natur ersetzt werden müssen;
und aus dieser Begründung wird einsichtig,
daß die auserwählten Menschen sich nicht in geringerer Zahl
befinden werden,
als es verworfene Engel gibt.
sed utrum plures futuri sint
si potes ostende
Ob es jedoch mehr sein werden,
zeige mir, wenn du kannst.
capitulum xviii
utrum plures futuri sint sancti homines quam
sint mali angeli
18. Kapitel
Ob mehr heilige Menschen sein werden als böse Engel
A.: si angeli antequam
quidam illorum caderent
erant in illo perfecto de quo diximus numero
non sunt homines facti nisi pro restauratione
angelorum perditorum
et palam est quia non erunt plures illis
A.: Wenn die Engel, bevor einige von ihnen fielen,
in der vollkommenen Zahl waren, von der wir sprachen,
dann wurde der Mensch nur zum Ersatz der verlorenen Engel geschaffen
und es ist offenbar, daß sie nicht mehr sein werden als diese.
si autem ille numerus non erat in illis omnibus
angelis
complendum est de hominibus et quod periit et
quod prius deerat
et erunt electi homines plures reprobis angelis
et sic dicemus
quia non fuerunt homines facti tantum ad restaurandum
numerum imminutum
sed etiam ad perficiendum nondum perfectum
War aber jene Zahl nicht in allen jenen Engeln enthalten,
so ist von seiten der Menschen sowohl, was verloren war, wie was vorher
noch fehlte, zu ergänzen,
und es werden mehr erwählte Menschen als verworfene Engel sein;
und so werden wir sagen,
daß die Menschen nicht nur geschaffen wurden zur Ergänzung
der verminderten Zahl,
sondern auch zur Vervollständigung der noch nicht vollständigen.
B.: quid potius tenendum est:
an angeli prius facti sint in numero perfecto
an non?
B.: Was muß man eher annehmen:
ob die Engel vorher in vollkommener Zahl geschaffen wurden,
oder nicht?
A.: quod mihi videtur dicam
A.: Ich will sagen, wie es mir richtig scheint.
B.: non possum a te plus exigere
B.: Ich kann von dir nicht mehr verlangen.
A.: si homo factus est post casum malorum angelorum
sicut quidam intelligunt in genesi
non video posse me per hoc probare alterum horum
determinate
A.: Wenn der Mensch nach dem Fall der bösen Engel geschaffen wurde,
wie manche es in der Genesis auffassen,
dann sehe ich nicht, wie ich so eines von beiden bestimmt beweisen
kann.
potest enim ut puto
esse quod angeli prius fuerint in numero perfecto
et postea factus sit homo propter restaurandum
imminutum eorum numerum
et potest esse quod non fuerint in numero perfecto
quia differebat Deus sicut adhuc differt illum
implere numerum
facturus humanam naturam suo tempore
unde aut solummodo numerum nondum integrum perficeret
aut etiam si minueretur
restitueret
Es kann nämlich, wie ich glaube, sein, daß die Engel vorher
in vollkommener Zahl gewesen sind
und später der Mensch geschaffen wurde, um ihre verminderten Zahl
wiederherzustellen;
und es kann sein, daß sie sich nicht in vollkommener Zahl befanden,
weil Gott es verschob wie er es noch jetzt verschiebt, jene Zahl aufzufüllen,
indem er zur dafür richtigen Zeit die menschliche Natur erschaffen
wollte;
daher würde er nur die noch nicht ganze Zahl vervollständigen,
oder auch, wenn sie vermindert würde, ersetzen.
si autem tota creatura simul facta est
et dies illi in quibus Moyses istum mundum non
simul esse factum videtur dicere (cf gen1,1
ss)
aliter sunt intelligendi quam
sicut videmus istos dies in quibus vivimus:
intelligere nequeo quomodo facti sint angeli
in illo integro numero
Wenn aber die ganze Schöpfung zugleich entstand
und jene Tage, in denen, wie Moses zu sagen scheint, diese Welt nicht
gleichzeitig erschaffen wurde,
anders zu verstehen sind, als wir diese Tage sehen, in denen wir leben:
kann ich nicht verstehen, wie die Engel in jener vollständigen
Zahl geschaffen seien.
quippe si ita esset
videtur mihi quia ex necessitate aut aliqui angeli
vel homines casuri erant
aut plures essent in illa caelesti civitate
quam illa perfecti numeri convenientia exigeret
Denn wenn es so wäre,
hätten, wie mir scheint, mit Notwendigkeit entweder einige Engel
oder Menschen fallen müssen
oder es befänden sich mehr in jener himmlischen Stadt,
als jene Angemessenheit der vollkommenen Zahl erheischen würde.
si ergo omnia simul facta sunt
sic videntur angeli et duo primi homines in numero
imperfecto fuisse
ut de hominibus si
nullus angelus caderet quod deerat solum perficeretur
et si aliquis periret hoc
quoque quod caderet restitueretur
et hominis natura quae
infirmior erat
quasi Deum excusaret atque diabolum confunderet
si ille casum suum infirmitati suae imputaret
cum ipsa infirmior staret
ac si et eadem ipsa caderet
multo magis Deum defenderet contra diabolum et
contra seipsam
cum ipsa facta valde infirmior et mortalis
in electis de tanta infirmitate tanto altius
ascenderet
quam unde diabolus cecidisset
quanto boni angeli quorum
aequalitas ei debetur profecerunt post ruinam
malorum
quia perseveraverunt
Wenn folglich alles gleichzeitig erschaffen wurde,
scheinen die Engel und die beiden ersten Menschen so in unvollkommener
Zahl gewesen zu sein,
daß, falls kein Engel fiele, aus den Menschen nur das Fehlende
zu ergänzen wäre;
und wenn einer zugrundeginge, würde auch das, was fiele, wiederhergestellt,
und die Natur des Menschen, welche schwächer war,
würde gleichsam Gott entschuldigen und den Teufel beschämen,
wenn dieser seinen Fall seiner Schwäche anrechnete,
da sie, obwohl schwächer, standhielt;
und wenn auch sie selber fiele,
würde sie weit mehr Gott gegen den Teufel verteidigen und gegen
sich selber,
da sie weit schwächer und sterblich geschaffen,
in den Auserwählten von solcher Schwachheit um so viel höher
steigen würde,
als woher der Teufel gefallen wäre,
je weiter die guten Engel, deren Gleichheit ihr gebührt, nach
dem Sturze der bösen voranschritten,
weil sie ausgeharrt haben.
ex iis rationibus potius mihi videtur
quia in angelus non fuit ille perfectus numerus
quo civitas illa superna perficietur
quoniam si homo simul cum angelus factus non
est
sic possibile est esse
et si simul facti sunt quod magis putant
multi
quoniam legitur: qui
vivit in aeternum creavit omnia simul (eccli
18,1)
videtur necesse esse
Aus diesen Gründen scheint es mir eher richtig,
daß bei den Engeln jene vollkommene Zahl nicht vorhanden gewesen
sei,
durch die jene erhabene Stadt vollendet werden wird;
denn wenn der Mensch nicht zugleich mit den Engeln erschaffen wurde,
so kann es so sein;
und wenn sie gleichzeitig erschaffen wurden, was viele annehmen,
weil geschrieben steht: «der in Ewigkeit lebt, erschuf alles
zugleich»,
scheint es notwendig so zu sein.
sed et si perfectio mundanae creaturae
non tantum est intelligenda in numero individuorum
quantum in numero naturarum
necesse est humanam naturam
aut ad complementum eiusdem perfectionis esse
factam
aut illi superabundare
quod de minimi vermiculi natura dicere non audemus
Aber auch wenn die Vollkommenheit der Weitschöpfung
nicht so sehr in der Zahl der Einzelwesen als in der Zahl der Naturen
zu verstehen ist,
so ist es notwendig, daß die menschliche Natur
entweder zur Ergänzung dieser Vollkommenheit geschaffen wurde
oder daß sie für sie überflüssig sei,
was wir doch nicht einmal von der Natur des kleinsten Wurmes zu sagen
wagen.
quare pro se ipsa ibi facta est
et non solum pro restaurandis individuis alterius
naturae
Deshalb ist sie damals um ihrer selbst willen geschaffen worden
und nicht nur zum Ersatz der Einzelwesen einer anderen Natur.
unde palam est quia
etiam si angelus nullus perisset
homines tamen in caelesti civitate suum locum
habuissent
Daher ist es offensichifich,
daß die Menschen, auch wenn kein Engel verlorengegangen wäre,
dennoch in der himmlischen Stadt ihren Platz gehabt hätten.
sequitur itaque
quia in angelis antequam
quidam illorum caderent
non erat ille perfectus numerus
Es folgt deshalb,
daß bei den Engeln, bevor einige von ihnen fielen,
nicht jene vollkommene Zahl vorhanden war.
alioquin necesse erat
ut aut homines aut angeli aliqui caderent
quoniam extra numerum perfectum ibi nullus manere
poterat
Sonst wäre es notwendig gewesen,
daß entweder einige Menschen oder Engel fielen,
weil da niemand über die vollkommene Zahl hinaus hätte bleiben
können.
B.: non nihil effecisti
B.: Du hast schon etwas erreicht.
A.: est et alia ratio ut
mihi videtur
quae non parum suffragatur illi sententiae
quae angelos non esse factos in perfecto numero
existimat
A.: Es gibt noch einen anderen Grund, wie mir scheint,
der nicht wenig die Ansicht unterstützt,
die vertritt, daß die Engel nicht in der vollkommenen Zahl erschaffen
wurden.
B.: dic illam
B.: Nenne ihn!
A.: si angeli in illo numero perfecto facti sunt
et nullatenus facti sunt homines nisi pro restauratione
perditorum angelorum:
palam est quia nisi
angeli ab illa beatitudine cecidissent
homines ad illam non ascenderent
A.: Wenn die Engel in jener vollkommenen Zahl erschaffen wurden
und die Menschen durchaus zu nichts anderem als zum Ersatz der verlorenen
Engel erschaffen wurden,
so ist es klar, daß, wenn die Engel nicht von ihr herabgestürzt
wären,
die Menschen nicht zu jener Seligkeit aufstiegen.
B.: hoc constat
B.: Das steht fest.
A.: si quis ergo dixerit
quia tantum laetabuntur electi homines de angelorum
perditione
quantum gaudebunt de sua assumptione
quoniam absque dubio haec non esset nisi
illa fuisset:
quomodo poterunt ab hac perversa gratulatione
defendi?
A.: Wenn folglich jemand sagt,
daß die auserwählten Menschen sich so sehr über den
Untergang der Engel freuen werden,
wie sie sich über ihre Aufnahme freuen werden,
weil ohne Zweifel diese nicht wäre, wenn jener nicht gewesen wäre:
wie wird man sie vor dieser verkehrten Freude bewahren können?
aut quomodo dicemus angelos qui ceciderunt in
hominibus restauratos
si illi sine hoc vitio permansuri erant
si non cecidissent
id est sine gratulatione de casu aliorum
isti vero sine illo esse non poterunt?
Oder wie werden wir behaupten, die gefallenen Engel seien in den Menschen
wiederhergestellt worden,
wenn jene, falls sie nicht gefallen wären, ohne diesen Fehler
ausgeharrt hätten,
das heißt ohne die Freude über den Fall anderer,
diese aber ohne ihn nicht werden sein können?
immo qualiter cum hoc vitio beati esse debebunt?
Ja, wie sollen sie rnit diesem Fehler selig werden dürfen?
deinde qua audacia dicemus
Deum non velle aut non posse hanc restaurationem
sine hoc vitio facere?
Mit welcher Kühnheit werden wir ferner sagen,
Gott wolle oder könne ohne diesen Fehler jene Wiederherstellung
nicht bewirken?
B.: nonne similiter est in gentibus
quae ad fidem vocatae sunt
quia illam Iudaei reppulerunt?
B.: Ist es nicht ähnlich bei den Heiden,
die zum Glauben berufen wurden,
weil die Juden ihn zurückwiesen?
A.: non
nam si Iudaei omnes credidissent
gentes tamen vocarentur
quia in omni gente qui timet Deum et operatur
iustitiam acceptus est illi (act 10,35)
A.: Nein,
denn wenn die Juden alle geglaubt hätten,
wären die Heiden dennoch berufen worden,
denn «in jedem Volk ist, wer Gott fürchtet und Gerechtigkeit
übt, ihm wohlgefällig».
sed quoniam Iudaei apostolos contempserunt
ea tunc fuit occasio ut
ad gentes illi converterentur
Aber weil die Juden die Apostel verachteten,
war dies dann der Anlaß, daß sie sich an die Heiden wandten.
B.: nullo modo video quid contra haec dicere
possim
B.: Ich sehe durchaus nicht, was ich dagegen sagen könnte.
A.: unde tibi videtur accidere singulis illa
laetitia de alieno casu?
A.: Woher scheint dir für die einzelnen jene Freude am fremden
Fall zuteil zu werden?
B.: unde nisi quia
certus erit unusquisque
quoniam ubi erit
nullatenus esset
nisi alius inde cecidisset?
B.: Woher sonst, als weil ein jeder gewiß sein wird,
daß er, wo er sein wird, auf keinen Fall wäre,
wenn nicht ein anderer von dort gestürzt wäre?
A.: si ergo nullus hanc certitudinem haberet
non esset unde ullus de alieno damno gauderet
A.: Wenn folglich keiner diese Gewißheit hätte,
gäbe es keinen Grund, weshalb sich jemand über einen fremden
Schaden freute.
B.: ita videtur
B.: So scheint es.
A.: putasne illorum aliquem habiturum hanc certitudinem
si multo plures erunt quam qui ceciderunt?
A.: Glaubst du, daß einer von ihnen diese Gewißheit haben
wird,
wenn viel mehr sein werden, als gefallen sind?
B.: nequaquam possum opinari
quod eam habeat aut habere debeat
B.: Keineswegs kann ich glauben,
daß sie jemand hat oder haben darf.
quomodo namque poterit quis scire
utrum pro restaurando quod imminutum erat
aut pro complendo quod nondum perfectum erat
de illo numero constituendae civitatis
sit factus?
Denn wie wird jemand wissen können,
ob er zum Ersatz dessen, was vermindert wurde,
oder zur Erfüllung dessen, was von jener Zahl der zu gründenden
Stadt noch nicht vollkommen war,
erschaffen wurde?
sed omnes certi erunt
se factos esse ad perficiendam illam civitatem
Aber alle werden gewiß sein,
daß sie zur Vollendung jener Stadt geschaffen wurden.
A.: ergo si plures erunt quam reprobi angeli
nullus poterit aut debebit scire
se non esse ibi assumptum nisi pro alieno casu
A.: Wenn sie folglich mehr sein werden als die verworfenen Engel,
wird keiner wissen können oder dürfen,
daß er nur um des fremden Falles willen aufgenommen wurde.
B.: verum est
B.: Das ist wahr.
A.: non igitur habebit aliquis
cur gaudere debeat de alterius perditione
A.: Es wird folglich niemand Grund haben,
sich über den Untergang eines anderen freuen zu müssen.
B.: ita sequitur
B.: So folgt daraus.
A.: cum itaque videamus quia
si plures erunt homines electi quam sint reprobi
angeli
illa non sequatur inconvenientia quam
sequi est necesse si plures non erunt
et cum impossibile sit ullum in illa civitate
futurum inconveniens:
videtur necesse esse
ut angeli non sint facti in illo perfecto numero
et plures futuri sint beati homines quam
sint miseri angeli
A.: Wenn wir daher sehen, daß,
falls mehr auserwählte Menschen sein werden, als es gefallene
Engel gibt,
nicht jene Unziemlichkeit folgt, die notwendig folgt, wenn es nicht
mehr sind;
und da in jener Stadt irgendein künftiges Unziemliches unmöglich
ist,
erscheint es notwendig,
daß die Engel nicht in jener vollkommenen Zahl geschaffen wurden
und daß es mehr selige Menschen geben wird, als es unselige Engel
gibt.
B.: non video qua ratione hoc negari queat
B.: Ich sehe nicht, aus welchem Grunde man das leugnen könnte.
A.: aliam adhuc eiusdem sententiae posse dici
puto rationem
A.: Noch ein anderer Grund für dieselbe Ansicht kann, glaube ich,
angeführt werden.
B.: hanc quoque proferre debes
B.: Auch diesen mußt du vorbringen.
A.: credimus hanc mundi molem corpoream in melius
renovandam (cf 2 petr 3,13
apoc 21,1)
nec hoc futurum esse
donec impleatur numerus electorum hominum et
illa beata perficiatur civitas
nec post eius perfectionem differendum
A.: Wir glauben, daß diese körperliche Masse der Welt zum
Besseren zu erneuern ist,
und daß das nicht eintreffen wird,
bis die Zahl der auserwählten Menschen erfüllt und jene selige
Stadt vollendet wird
und daß das nicht bis nach ihrer Vollendung zu verschieben ist.
unde colligi potest Deum ab initio proposuisse
ut utrumque simul perficeret:
quatenus et minor quae Deum non sentiret natura
ante maiorem quae Deo frui deberet nequaquam
perficeretur
et in maioris perfectione mutata in melius suo
quodam modo quasi congratularetur
immo omnis creatura de tam gloriosa et tam admirabili
sui consummatione
ipsi creatori et sibi et invicem quaeque suo
modo aeterne congaudendo iucundaretur
Daraus kann man entnehmen, daß Gott von Anfang an beschlossen
hatte,
beides zugleich zu vollenden,
auf daß sowohl die niedere Natur, die Gott nicht fühlt,
keineswegs vor der höheren, die Gottes sich erfreuen sollte, vollendet
würde,
als auch, in der Vollendung der höheren zum Besseren umgewandelt,
sich auf ihre Weise gleichsam sich mitfreute;
ja, daß alle Kreatur sich über ihre so herrliche und so
wunderbare Vollendung ihrer selbst
mit dem Schöpfer selber und mit sich und miteinander, jede auf
ihre Weise, ewig mitfreuend, jubelte.
quatenus quod voluntas in rationali natura sponte
facit
hoc etiam insensibilis creatura per Dei dispositionem
naturaliter exhiberet
Damit, was der Wille in der vernünftigen Natur freiwillig tut,
eben dieses auch die empfindungslose Kreatur durch Gottes Anordnung
von Natur aus leiste.
solemus namque in maiorum nostrorum exaltatione
congaudere
ut cum in nataliciis sanctorum festiva exultatione
iucundamur de gloria illorum laetantes
Denn wir pflegen uns bei der Verherrlichung unserer Vorfahren mitzufreuen,
so, wenn wir an den Geburtsfesten der Heiligen mit festlichem Jauchzen
in der Freude über ihre Ehrung jubeln.
quam sententiam illud adiuvare videtur
quia si Adam non
peccasset
differret tamen Deus illam civitatem perficere
donec completo ex hominibus quem expectabat numero
ipsi quoque homines in corporum ut ita
dicam immortalem immortalitatem transmutarentur
Diese Ansicht scheint das zu unterstützen,
daß Gott im Falle, daß Adam nicht gesündigt hätte,
dennoch die Vollendung jener Stadt verschöbe,
bis nach der Erfüllung der Zahl, die er seitens der Menschen erwartete,
auch die Menschen in die sozusagen unsterbliche Unsterblichkeit der
Leiber verwandelt würden.
habebant enim in paradiso quandam immortalitatem
id est potestatem non moriendi
sed non erat immortalis haec potestas
quia poterat mori
ut scilicet ipsi non possent non mori
Sie hatten nämlich im Paradiese eine gewisse Unsterblichkeit,
das heißt das Vermögen, nicht zu sterben;
aber dieses Vermögen war nicht unsterblich,
weil es sterben konnte,
daß sie nämlich selbst nicht nicht sterben konnten.
quod si ita est ut
videlicet
rationalem illam et beatam civitatem et hanc
mundanam insensibilemque naturam
Deus ab initio proposuerit simul
perficere
videtur quia aut illa civitas non erat completa
in numero angelorum ante malorum ruinam
sed expectabat Deus ut eam de hominibus compleret
quando corpoream mundi naturam in melius mutaret
aut si perfecta erat in numero non
erat perfecta in confirmatione
et differenda erat eius confirmatio
etiam si nullus in ea peccasset
usque ad eandem mundi quam expectamus renovationem
aut si non diutius illa confirmatio differenda
erat
acceleranda erat mundana renovatio
ut cum eadem confirmatione fieret
Wenn dem so ist, daß nämlich,
jene vernünftige und selige Stadt und diese irdische und empfindungslose
Natur
zugleich zu vollenden, Gott von Anfang vorhatte,
so war, wie es scheint, entweder diese Stadt in der Zahl der Engel
vor dem Fall der bösen nicht vollständig,
sondern Gott wartete, um sie aus den Menschen zu vervollständigen,
wenn er die körperliche Natur der Welt zum Besseren wandeln würde;
oder sie war, wenn sie der Zahl nach vollkommen war, noch nicht vollkommen
in der Festigung,
und ihre Festigung war zu verschieben,
auch wenn niemand in ihr gesündigt hätte,
bis zu eben der Erneuerung der Welt, die wir erwarten;
oder, wenn diese Festigung nicht länger zu verschieben war,
mußte die Welterneuerung beschleunigt werden,
damit sie mit dieser Festigung sich vollzog.
sed quod mundum noviter factum statim Deus renovare
et eas res quae post renovationem illam non erunt
in ipso initio antequam
appareret cur factae essent destruere instituerit
omni caret ratione
Daß jedoch Gott beschlossen haben sollte, die eben geschaffene
Welt sofort zu erneuern
und die Dinge, die nach dieser Erneuerung nicht mehr sein werden,
gleich am Anfang, ehe offenbar würde, warum sie geschaffen wurden,
zu vernichten:
das entbehrt jeden Grundes.
sequitur igitur quia angeli non ita fuerunt in
numero perfecto
ut eorum confirmatio diu non differretur
propterea quia mundi novi renovationem mox oporteret
fieri
quod non convertit
Es folgt somit, daß die Engel nicht so in der vollkommenen Zahl
sich befanden,
daß ihre Befestigung nicht lange aufgeschoben werden konnte,
und zwar deshalb, weil die Erneuerung der neuen Welt bald hätte
erfolgen müssen,
was nicht angemessen ist.
quod autem eandem confirmationem usque ad mundi
futuram renovationem differre Deus voluerit
inconveniens videtur
praesertim cum illam in aliquibus tam cito perfecerit
et cum intelligi possit
quia in primis hominibus quando
peccaverunt illam fecisset
si non peccassent
sicut fecit in perseverantibus angelis
Daß aber Gott diese Festigung bis zur künftigen Erneuerung
der Welt hätte verschieben wollen,
scheint unangemessen,
zumal er sie bei einigen so schnell vollendete
und da eingesehen werden kann,
daß er sie bei den ersten Menschen damals, als sie sündigten,
vorgenommen hätte,
falls sie nicht gesündigt hätten,
wie er es ja bei den standhaften Engeln getan hat.
quamvis enim nondum proveherentur ad illam aequalitatem
angelorum
ad quam perventuri erant homines
cum perfectus esset numerus de illis assumendus:
in illa tamen iustitia in qua erant videtur
quia si vicissent
ut tentati non peccarent
ita confirmarentur cum omni propagine sua
ut ultra peccare non possent
quemadmodum quia
victi peccaverunt sic infirmati sunt
ut quantum in ipsis est sine
peccato esse non possint
Obwohl sie nämlich noch nicht zu jener Gleichheit rnit den Engeln
erhoben würden,
zu der die Menschen gelangen sollten,
sobald die aus ihnen zu entnehmende Zahl vollkommen wäre,
so würden sie doch in jener Gerechtigkeit, in der sie sich befanden,
wahrscheinlich,
wenn sie gesiegt hätten, so daß sie, obwohl sie versucht
worden wären, nicht sündigten,
so sehr samt all ihrer Nachkommenschaft gefestigt,
daß sie ferner nicht sündigen könnten;
gleichwie sie, weil sie, da sie besiegt wurden, gesündigt haben,
so geschwächt wurden,
daß sie, soweit es an ihnen liegt, nicht ohne Sünde sein
können.
quis enim audeat dicere
plus valere iniustitiam ad alligandum in servitute
hominem
in prima suasione sibi consentientem
quam valeret iustitia ad confirmandum eum
in libertate sibi in eadem prima tentatione adhaerentem?
Wer wagte denn zu sagen,
daß die Ungerechtigkeit mehr vermöchte, den Menschen in
der Knechtschaft anzuketten,
der bei der ersten Überredung ihr zustimmte,
als die Gerechtigkeit vermöchte, ihn zu befestigen,
der ihr in derselben ersten Versuchung in Freiheit anhing?
nam quemadmodum quoniam
humana natura tota erat in primis parentibus
tota in illis victa est ut peccaret
excepto illo solo homine
quem Deus sicut sine semine viri de virgine facere
sic scivit a peccato Adae secernere :
ita in eisdem tota vicisset
si non peccassent
Denn wie die Menschennatur, weil sie in den ersten Menschen ganz enthalten
war,
in ihnen ganz zum Sündigen besiegt wurde
einzig jenen Menschen ausgenommen,
den Gott so, wie er ihn ohne Samen eines Mannes aus einer Jungfrau
zu erschaffen,
so auch von der Sünde Adams fernzuhalten wußte:
so hätte sie auch ganz in ihnen gesiegt,
wenn sie nicht gesündigt hätten.
restat ergo
ut non completa in illo primo angelorum numero
superna civitas
sed de hominibus complenda fuisse dicatur
Somit bleibt uns nur zu sagen übrig,
daß die erhabene Stadt nicht in jener ersten Anzahl der Engel
vollständig war,
sondern aus den Menschen zu vervollständigen war.
quae si rata sunt
plures erunt electi homines
quam sint angeli reprobi
Wenn das gültig ist,
werden mehr auserwählte Menschen sein,
als es verworfene Engel gibt.
B.: rationabilia mihi valde videntur quae dicis
B.: Sehr vernünftig scheint mir, was du sagst.
sed quid dicemus quia legitur de Deo:
'constituit terminos populorum iuxta numerum
filiorum Israel' (deut 32,8)?
quod quidam quia
pro 'filiorum Israel' invenitur 'angelorum Dei' (septuaginta) sic
exponunt
ut secundum numerum bonorum angelorum
assumendus intelligatur numerus hominum electorum
Aber was werden wir dazu sagen, daß als Wort Gottes gelesen wird:
«er bestimmte die Grenzen der Völker nach der Zahl der Söhne
Israels»?
Das legen manche, da sich anstatt «der Söhne Israels»
«der Engel Gottes» findet, so aus,
daß entsprechend der Zahl der guten Engel
die aufzunehmende Zahl der auserwählten Menschen zu verstehen
sei.
A.: hoc non repugnat praedictae sententiae
si certum non est
quod totidem angeli cecidissent quot remanserunt
A.: Das widerspricht nicht der vorausgehenden Ansicht,
wenn es nicht gewiß ist,
daß ebensoviele Engel gefallen, als treu geblieben sind.
nam si plures sunt electi angeli quam reprobi:
et necesse est ut reprobos electi homines restaurent
et potest fieri ut beatorum numero coaequentur
et sic plures erunt homines iusti quam angeli
iniusti
Denn wenn es mehr auserwählte als verworfene Engel gibt,
so ist es sowohl notwendig, daß die auserwählten Menschen
die verworfenen Engel ersetzen,
als es möglich wird, daß sie der Zahl der Seligen gleichkommen;
und so wird es mehr auserwählte Menschen als böse Engel geben.
sed memento quo pacto incepi respondere quaestioni
tuae:
videlicet ut si quid dixero quod maior non confirmet
auctoritas
quamvis illud ratione probare videar
non alia certitudine accipiatur nisi
quia interim ita mihi videtur
donec Deus mihi melius aliquo modo revelet
Aber erinnere dich, unter welcher Bedingung ich deiner Frage zu antworten
begann:
nämlich daß, wenn ich etwas sagen sollte, was eine höhere
Autorität nicht bestätigt,
wenn ich es auch scheinbar mit Gründen beweise,
es mit keiner anderen Gewißheit angenommen werde, als weil es
mir einstweilen so zu sein scheint,
bis Gott mir auf irgendeine Weise Besseres offenbart.
certus enim sum
si quid dico quod sacrae scripturae absque dubio
contradicat
quia falsum est
nec illud tenere volo si cognovero
Denn ich bin gewiß,
falls ich etwas sage, was der Heiligen Schrift ohne Zweifel widerspricht,
daß es falsch ist;
und ich will es nicht aufrecht halten, sobald ich es begriffen habe.
sed si in illis rebus de quibus diversa sentiri
possunt sine periculo
sicuti est istud unde nunc agimus
si enim nescimus
utrum plures homines eligendi sint quam sint
angeli perditi an non
et alterum horum magis aestimamus quam alterum
nullum puto esse animae periculum
si inquam
in huiusmodi rebus sic exponimus divina dicta
ut diversis sententiis favere videantur
nec alicubi invenitur ubi quid indubitanter tenendum
sit determinent
non arbitror reprehendi debere
Wenn aber in den Dingen, von denen man ohne Gefahr Verschiedenes meinen
darf,
wie das ist, was wir jetzt behandeln
(wenn wir nämlich nicht wissen,
ob es mehr zu erwählende Menschen gibt, als es verlorene Engel
gibt oder nicht,
und wir eines davon für mehr wahrscheinlich halten als das andere,
bedeutet das, wie ich glaube, für die Seele keinerlei Gefahr);
wenn wir, sage ich, in derlei Dingen die göttlichen Aussprüche
so auslegen,
daß sie verschiedenen Ansichten günstig zu sein scheinen
und sich woanders nicht findet, wo sie, was unzweifelhaft festzuhalten
ist, festlegten,
so glaube ich, nicht getadelt werden zu dürfen.
illud autem quod dixisti:
'constituit terminos populorum' seu gentium 'iuxta
numerum angelorum Dei'
quod in alia translatione legitur: 'iuxta
numerum filiorum Israel' (deut 32,8):
quoniam ambae translationes aut idem significant
aut diversa sine repugnantia
ita intelligendum est
ut et per angelos Dei et per filios Israel significentur
angeli boni tantummodo
aut soli homines electi
aut simul angeli et homines electi tota
scilicet illa civitas superna
aut per angelos Dei sancti angeli tantum et per
filios Israel soli iusti homines
aut soli angeli per filios Israel et iusti homines
per angelos Dei
Das aber, was du vorgebracht:
«er bestimmte die Grenzen der Völker» oder Stämme
«gemäß der Zahl der Engel Gottes»
was in anderer Übersetzung lautet: «gemäß der
Zahl der Söhne Israels»:
ist, weil beide Übertragungen entweder dasselbe bedeuten oder
Verschiedenes ohne Widerspruch,
so zu verstehen,
daß sowohl mit den Engeln Gottes wie mit den Söhnen Israels
nur die guten Engel bezeichnet werden
oder allein die auserwählten Menschen
oder zugleich die auserwählten Engel und Menschen, nämlich
jene gesamte erhabene Stadt;
oder mit den Engeln Gottes nur die heiligen Engel und mit den Söhnen
Israels allein die gerechten Menschen,
oder allein die Engel mit den Söhnen Israels und die gerechten
Menschen mit den Engeln Gottes.
si boni angeli tantum designantur per utrumque
idem est quod si solum per angelos Dei
si vero tota caelestis civitas hic
est sensus
quia tam diu assumentur populi id
est multitudines electorum hominum
aut tam diu erunt in hoc saeculo populi
donec de hominibus praedestinatus numerus illius
civitatis nondum perfectus compleatur
Wenn nur die guten Engel mit beidem bezeichnet werden,
ist es dasselbe, wie wenn sie nur mit den Engeln Gottes bezeichnet
würden;
wenn aber die ganze himmlische Stadt, so ist der Sinn der,
daß, so lange Völker aufgenommen werden, das heißt:
die Scharen von auserwählten Menschen,
oder daß, so lange in dieser Welt Völker bestehen werden,
bis aus den Menschen die vorherbestimmte und noch nicht vollkommene
Zahl jener Stadt erfüllt wird.
sed non video nunc
quomodo soli angeli
aut simul et angeli et homines sancti
per filios Israel intelligantur
Aber jetzt sehe ich nicht,
wie bloß die Engel
oder zugleich sowohl die Engel wie die heiligen Menschen
unter den «Söhnen Israels» verstanden werden können.
sanctos autem homines filios Israel sicut filios
Abrahae vocari
non est alienum
Daß aber heilige Menschen «Söhne Israels», wie
«Söhne Abrahams», genannt werden,
ist nicht befremdend.
qui angeli quoque Dei per hoc recte possunt vocari
quia vitam angelicam imitantur
atque simlitudo et aequalitas illis angelorum
promittitur in caelo
et quia omnes iuste viventes angeli sunt Dei
unde ipsi 'confessores' aut 'martyres' dicuntur
Diese können auch deshalb mit Recht «Engel Gottes»
genannt werden,
weil sie das Leben der Engel nachahmen
und ihnen Ähnlichkeit und Gleichheit mit den Engeln im Himmel
versprochen wird
und weil alle gerecht Lebenden Engel Gottes sind;
weshalb sie «Bekenner» oder «Martyrer» heißen.
qui enim confitetur et testatur veritatem Dei
nuntius id est angelus
eius est
Denn wer die Wahrheit Gottes bekennt und bezeugt,
ist sein Bote, das ist sein Engel.
et si malus homo dicitur 'diabolus'
sicut de iuda dicit dominus (cf io
6,71) propter similitudinem
malitiae:
cur non et bonus homo dicetur 'angelus' propter
imitationem iustitiae?
Und wenn ein böser Mensch «Teufel» genannt wird,
wie der Herr von Judas spricht wegen der Ähnlichkeit in der Bosheit:
warum soll nicht auch der gute Mensch «Engel» genannt werden
wegen der Nachahmung der Gerechtigkeit?
quare possumus ut puto dicere
Deum constituisse terminos populorum iuxta numerum
electorum hominum
quia tam diu erunt populi et erit hominum in
hoc mundo procreatio
donec numerus eorundem electorum compleatur
et eo completo cessabit esse hominum generatio
quae fit in hac vita
Daher können wir, wie ich glaube, sagen,
Gott habe «die Grenzen der Völker nach der Zahl» der
auserwählten Menschen «festgesetzt»,
weil so lange Völker bestehen werden und Zeugung von Menschen
in dieser Welt statthaben wird,
bis die Zahl dieser Auserwählten erfüllt wird;
und nach ihrer Erfüllung wird die Zeugung der Menschen aufhören,
die in diesem Leben geschieht.
at si per angelos Dei intelligimus sanctos angelos
tantum
et per filios Israel solummodo iustos homines
duobus modis intelligi potest
quia constituit Deus terminos populorum iuxta
numerum angelorum Dei:
aut quia tantus populus id
est tot homines assumentur quot sunt sancti angeli Dei
aut quia tam diu erunt populi donec
numerus angelorum Dei compleatur ex hominibus
et uno solo modo exponi posse video
constituit terminos populorum iuxta numerum filiorum
Israel
id est quia sicut
supra dictum est tam diu erunt populi in hoc
saeculo
donec numerus hominum sanctorum assumatur
et colligetur ex utraque translatione
quia tot assumentur homines quot remanserunt
angeli
Wenn wir aber unter den «Engeln Gottes» nur die helligen
Engel verstehen
und unter den «Söhnen Israels» nur die gerechten Menschen,
kann man auf zwei Arten den besagten Spruch verstehen
«es bestimmte Gott die Grenzen der Völker gemäß
der Zahl der Engel Gottes»:
daß entweder ein so großes Volk, das heißt: so viele
Menschen aufgenommen werden, als Engel Gottes sind;
oder daß so lange Völker bestehen werden, bis die Zahl der
Engel Gottes aus den Menschen aufgefüllt ist;
und ich sehe, daß nur auf eine Art die Version ausgelegt werden
kann:
«er bestimmte die Grenzen der Völker gemäß der
Zahl der Söhne Israels»;
nämlich daß, wie oben gesagt wurde, so lange Völker
auf dieser Welt sein werden,
bis die Zahl der heiligen Menschen aufgenommen ist;
und aus beiden Übersetzungen wird man entnehmen,
daß so viele Menschen aufgenommen werden, als Engel geblieben
sind.
unde tamen non sequetur
quamvis perditi angeli ex hominibus restaurandi
sint
tot angelos cecidisse quot perseveraverunt
Daraus wird jedoch nicht folgen,
daß, obwohl die verlorenen Engel aus den Menschen zu ersetzen
sind,
so viele Engel gefallen seien, als standhaft geblieben seien.
quod tamen si dicitur
inveniendum erit quomodo ratae non sint supra
positae rationes
quae videntur ostendere
non fuisse in angelis priusquam
quidam illorum caderent
illum perfectum numerum quem
supra dixi
et plures homines electos futuros quam sint angeli
mali
Falls das doch behauptet wird,
wird ausfindig zu machen sein, wieso die oben angeführten Gründe
nicht stichhaltig sind,
die aufzuzeigen scheinen,
daß bei den Engeln, bevor manche von ihnen fielen,
nicht jene vollkommene Zahl, von der ich oben sprach, vorhanden war,
und daß mehr auserwählte Menschen sein werden, als es böse
Engel gibt.
B.: non me paenitet quia coegi te ut
de angelis haec diceres
nam non frustra factum est
B.: Es reut mich nicht, daß ich dich nötigte, dieses über
die Engel zu sagen,
denn es ist nicht vergebens geschehen.
nunc redi ad id
unde digressi sumus
Doch jetzt kehre zurück zu dem,
von dem wir abgeschweift sind.