Menwn : SwkrathV : PaiV MenwnoV
: AnutoV
Menon, Sokrates, ein Knabe des Menon, Anytos
[77a] MEN.
Alla
perimenoim'
an, w SwkrateV, ei moi polla toiauta legoiV.
Menon: Gern bliebe ich, Sokrates, wenn du mir viel dergleichen
(77 a) sagen wolltest.
[10.
Zweite Definition des Menon: Tugend ist Streben nach dem
Guten. Gibt es ein Streben nach Bösem?]
SW.
Alla
mhn proqumiaV ge ouden apoleiyw, kai sou eneka kai emautou,
all'
iqi dh peirw kai su emoi thn uposcesin apodounai,
kai
pausai polla poiwn ek tou enoV, oper fasi touV suntribontaV ti ekastote
oi skwptonteV,
alla
easaV olhn kai ugih eipe ti estin areth.
ta
de ge paradeigmata [77b]
par'
emou eilhfaV.
Sokrates: Am guten Willen wollte ich es nicht fehlen lassen,
sowohl deinetwegen als meinetwegen,
dir dergleichen zu sagen; wenn ich nur nicht unvermögend
sein werde, viel dergleichen zu sagen.
Allein nun komm und versuche auch du, mir dein Versprechen zu erfüllen
und im allgemeinen zu erklären, was die Tugend ist;
und höre auf, vieles aus einem zu machen, wie man im Scherz zu denen
sagt, die etwas zerstoßen;
sondern gesund laß sie und ganz, und so sage, was die Tugend
ist.
Die Beispiele dazu hast du ja von mir erhalten.
MEN.
Dokei
toinun moi, w SwkrateV, areth einai, kaqaper o poihthV legei,
kai
egw touto legw arethn,
Menon: So dünkt mich denn, o Sokrates, Tugend zu
sein, wie der Dichter sagt,
"sich erfreuen am Schönen und es vermögen".
Und dies nenne ich Tugend,
daß man, dem Schönen nachstrebend, es herbeizuschaffen vermöge.
SW.
Ara
legeiV ton twn kalwn epiqumounta
Sokrates: Meinst du mit dem, der dem Schönen nachstrebt,
einen Streber nach Gutem?
MEN.
Malista
ge.
Menon: Ganz eigentlich.
SW.
Ara
wV ontwn tinwn oi twn kakwn epiqumousin, eterwn de oi twn [77c]
agaqwn;
ou
panteV, wriste, dokousi soi twn agaqwn epiqumein;
Sokrates: Etwa als gäbe es einige, die das Böse begehren,
und andere, die das (c) Gute?
Und scheinen dir; Bester, nicht alle das Gute zu begehren?
MEN.
Ouk
emoige.
Menon: Nein, mir nicht.
SW.
Alla
tineV twn kakwn;
Sokrates: Sondern einige das Böse?
MEN.
Nai.
Menon: Ja.
SW.
Oiomenoi
ta kaka agaqa einai, legeiV,
h
kai gignwskonteV oti kaka estin omwV epiqumousin autwn;
Sokrates: In der Meinung, daß es gut sei, willst du sagen,
oder sogar wissend, daß es böse ist, begehren sie es doch?
MEN.
Amfotera
emoige dokousin.
Menon: Beides, dünkt mich.
SW.
H
gar dokei tiV soi, w Menwn,
Sokrates: Glaubst du denn also, Menon,
daß jemand, das Böse kennend, daß es böse ist,
es dennoch begehrt?
MEN.
Malista.
Menon: Allerdings.
SW.
Ti
epiqumein legeiV; h genesqai autwi;
Sokrates: Und was, meinst du, begehre er? Daß es ihm werde?
MEN.
Genesqai:
ti gar [77d] allo;
Menon: Daß es ihm werde. Denn was (d) sonst?
SW.
Poteron
hgoumenoV ta kaka wfelein ekeinon wi an genhtai,
h
gignwskwn ta kaka oti blaptei wi an parhi;
Sokrates: Etwa glaubend, daß das Böse dem nützt,
dem es zuteil wird?
Oder das Böse kennend, daß es dem schadet, dem es beiwohnt?
MEN.
Eisi
men oi hgoumenoi ta kaka wfelein, eisin de kai oi gignwskonteV oti blaptei.
Menon: Einige wohl, indem sie glauben, das Böse nütze,
andere auch, indem sie es kennen, daß es schadet.
SW.
H
kai dokousi soi
Sokrates: Und dünkt dich denn,
daß diejenigen das Böse erkennen, daß es böse
ist, welche glauben, das Böse nütze?
MEN.
Ou
panu moi dokei touto ge.
Menon: Das dünkt mich wohl nicht recht.
SW.
Oukoun
dhlon oti outoi men ou twn kakwn epiqumousin, [77e]
oi
agnoounteV auta,
wste
oi agnoounteV auta kai oiomenoi agaqa einai dhlon oti twn agaqwn epiqumousin.
Sokrates: Offenbar also begehren jene, (e) welche es nicht
erkennen, schon nicht mehr das Böse;
sondern das vielmehr, was sie für gut halten, es ist aber eben
böse,
so daß die, welche das Böse nicht erkennen, sondern glauben,
es sei Gutes, offenbar das Gute begehren.
MEN.
Kinduneuousin
outoi ge.
Menon: Diese scheinen ja wohl.
SW.
Ti
de; oi twn kakwn men epiqumounteV, wV fhiV su, hgoumenoi de ta kaka blaptein
ekeinon wi an gignhtai, gignwskousin dhpou oti blabhsontai up'
autwn;
Sokrates: Und wie, die das Böse begehren, und doch dafür
halten, wie du behauptest, daß das Böse dem schade, dem es zuteil
wird, die erkennen ja doch, daß sie Schaden davon haben werden?
[78a] MEN.
Anakgh.
(78 a) Menon: Notwendig.
SW.
Alla
touV blaptomenouV outoi ouk oiontai aqliouV einai kaq'
oson blaptontai;
Sokrates: Und diese glauben nicht, daß die Geschädigten
elend sind, sofern sie geschädigt werden?
MEN.
Kai
touto anakgh.
Menon: Auch das ist notwendig.
SW.
TouV
de aqliouV ou kakodaimonaV;
Sokrates: Und nicht, daß die Elenden unselig sind?
MEN.
Oimai
egwge.
Menon: Ich glaube wohl.
SW.
Estin
oun ostiV bouletai aqlioV kai kakodaimwn einai;
Sokrates: Gibt es nun wohl irgendeinen, der elend sein will
und unselig?
MEN.
Ou
moi dokei, w SwkrateV.
Menon: Nein, dünkt mich, Sokrates.
SW.
Ouk
ara bouletai, w Menwn, ta kaka oudeiV, eiper mh bouletai toioutoV einai.
ti
gar allo estin aqlion einai h epiqumein te twn kakwn kai ktasqai;
Sokrates: Also, o Menon, will auch niemand das Böse, wenn
er doch nicht ein solcher sein will.
Denn was hieße wohl anders elend sein, als dem Bösen nachstreben
und es erlangen? (b)
MEN.
KinduneueiV
[78b] alhqh
legein, w Swkrates:
Menon: Du scheinst (b) recht zu haben, Sokrates,
und niemand will das Böse.
[11.Verbesserung
der Definition: Tugend ist Vermögen, das Gute herbeizuschaffen. Ihr
Mangel]
SW.
Oukoun
nundh elegeV oti estin h areth
Sokrates: Sagtest du nicht eben, die Tugend wäre:
das Gute wollen und es vermögen?
MEN.
Eipon
gar.
Menon: Das sagte ich.
SW.
Oukoun
tou lecqentoV to men boulesqai pasin uparcei,
Sokrates: Ist nun dieses gesagt: so kommt das Wollen allem zu;
und insofern ist keiner besser als der andere.
MEN.
Fainetai.
Menon: So scheint es.
SW.
Alla
dhlon oti eiper esti beltiwn alloV allou,
Sokrates: Sondern offenbar, wenn einer besser ist als der andere,
so wäre er in Bezug auf das Können vorzüglicher.
MEN.
Panu
ge.
Menon: Allerdings.
SW.
Tout'
estin ara, wV eoike, kata ton son logon areth,
Sokrates: Dies also ist, wie es scheint, nach dener Rede die Tugend,
(c) das Vermögen, das Gute herbeizuschaffen.
MEN.
Pantapasi
moi dokei, w SwkrateV, outwV ecein wV su nun upolambaneiV.
Menon: Auf alle Weise, Sokrates, dünkt mich, daß
es sich so damit verhalte, wie du es eben vorstellst.
SW.
Idwmen
dh kai touto ei alhqeV legeis:
tagaqa
fhiV oion t'
einai porizesqai arethn einai;
Sokrates: Laß uns also auch dieses in Augenschein nehmen,
ob du recht hast,
denn vielleicht magst du recht haben.
Daß man vermag, das Gute herbeizuschaffen dies, sagst du, ist Tugend.
MEN.
Egwge.
Menon: Das sage ich.
SW.
Agaqa
de kaleiV ouci oion ugieian te kai plouton;
Sokrates: Nennst du aber nicht Gutes so etwas wie Gesundheit
und Reichtum?
[MEN.]
Kai
crusion legw kai argurion ktasqai kai timaV en polei kai arcaV.
(Menon?:) Ich meine auch, Gold und Silber besitzen, und Ansehe
und Ämter im Staate.
[SW.]
Mh
all'
atta legeiV tagaqa h ta toiauta;
(Sokrates:) Nennst du etwa andere Dinge Gutes als dergleichen?
MEN.
Ouk,
alla [78d] panta
legw ta toiauta.
Menon: Nein, sondern alles dergleichen meine ich.
SW.
Eien:
crusion de dh kai argurion porizesqai areth estin,
poteron
prostiqeiV toutwi twi porwi, w Menwn, to dikaiwV kai osiwV,
h
ouden soi diaferei,
Sokrates: Wohl! Gold also und Silber herbeischaffen ist Tugend,
wie Menon behauptet, der angestammte Gastfreund des Großkönigs!
Setzt du nun zu diesem Verfahren etwa noch hinzu "auf gerechte und fromme
Weise",
oder macht dir dies keinen Unterschied,
sondern auch, wenn es jemand ungerechterweise herbeischafft,
nennst du das doch nicht minder Tugend?
MEN.
Ou
dhpou, w SwkrateV.
Menon: Mitnichten, Sokrates.
SW.
Alla
kakian.
Sokrates: Sondern Schlechtigkeit?
MEN.
PantwV
dhpou.
Menon: Auf alle Weise.
SW.
Dei
ara, wV eoike, toutwi twi porwi
ei
de mh, ouk estai areth, kaiper ekporizousa tagaqa.
Sokrates: Es muß also, wie es scheint, bei diesem Erwerb
Gerechtigkeit oder Besonnenheit oder (e) Frömmigkeit dabei
sein oder ein anderer Teil der Tugend;
wo nicht, so wird er nicht Tugend sein, obschon Gutes herbeischaffend.
MEN.
PwV
gar aneu toutwn areth genoit'
an;
Menon: Wie könnte er auch wohl ohne dies Tugend Sein!
SW.
To
de mh ekporizein crusion kai argurion,
ouk
areth kai auth estin h aporia;
Sokrates: Aber Gold und Silber nicht herbeischaffen, wenn es
nicht gerecht wäre,
weder für sich selbst noch für einen andern,
wäre nicht auch dieser Nichterwerb und Mangel Tugend?
MEN.
Fainetai.
Menon: Offenbar wohl.
SW.
Ouden
ara mallon o poroV twn toioutwn agaqwn h h aporia areth an eih,
alla,
wV eoiken, o men an meta dikaiosunhV gignhtai, areth estai,
Sokrates: Der Erwerb solcher Güter also wäre um nichts
mehr Tugend als ihr Nichterwerb auch;
sondern, wie es scheint, was nur mit Gerechtigkeit geschieht, wird
Tugend sein,
was aber (79 a) ohne alles dergleichen, das Schlechtigkeit.
MEN.
Dokei
moi anagkaion einai wV legeiV.
Menon: Es dünkt mich notwendig zu sein, so wie du sagst.
[12.
Unmöglichkeit, die ganze Tugend durch ihre Teile zu erklären]
SW.
Oukoun
toutwn ekaston oligon proteron morion arethV efamen einai,
Sokrates: Behaupteten wir nun nicht vor kurzem, jedes von
diesen sei ein Teil der Tugend,
die Gerechtigkeit und die Besonnenheit und alles dieses?
MEN.
Nai.
Menon: Ja.
SW.
Eita,
w Menwn, paizeiV proV me;
Sokrates: Also, o Menon, scherzt du mit mir?
MEN.
Ti
dh, w SwkrateV;
Menon: Wieso, Sokrates?
SW.
Oti
arti emou dehqentoV sou mh katagnunai mhde kermatizein thn arethn,
toutou
men hmelhsaV, legeiV de moi
oti
areth [79b] estin
oion t'
einai tagaqa porizesqai meta dikaiosunhs:
Sokrates: Weil, obwohl ich dich gerade eben gebeten, mir die
Tugend weder zu zerbrechen noch zu zerkrümeln,
und dir Beispiele gegeben habe, wie du antworten solltest,
du unbekümmert um dies alles mir sagst,
das sei Tugend, (b) wenn man vermöge, Gutes herbeizuschaffen
mit Gerechtigkeit,
welche, wie du selbst behauptest, ein Teil der Tugend ist.
MEN.
Egwge.
Menon: Das behaupte ich.
SW.
Oukoun
sumbainei ex wn su omologeiV,
ti
oun dh touto legw;
oti
emou dehqentoV olon eipein thn arethn,
kai
hdh gnwsomenou emou, kai ean su katakermatizhiV authn kata moria.
Sokrates: Also folgt ja aus dem, was du eingestehst,
alles, was man tut, mit einem Teile der Tugend zu tun, das sei Tugend.
Denn die Gerechtigkeit, sagst du, sei ein Teil der Tugend, und so jede
von diesen.
Warum nun sage ich dies?
Weil, obgleich ich dich gebeten, mir die ganze Tugend zu erklären,
du weit entfernt bist, mir zu sagen, was sie ist,
sondern nur sagst, jede Handlung sei Tugend, wenn sie mit einem Teile
(c) der Tugend verrichtet wird;
als hättest du schon erklärt, was die Tugend ist im
ganzen,
und als würde ich sie nun schon erkennen, wenn du sie auch nach ihren
Teilen zerstückelst.
deitai
oun soi palin ex archV, wV emoi dokei, thV authV erwthsewV, w file Menwn,
h
ou dokei soi palin deisqai thV authV erwthsewV,
all'
oiei tina eidenai morion arethV oti estin,
Also bedarf es, wie mich dünkt, noch einmal von Anfang an derselben
Frage, o Menon,
was ist denn die Tugend, wenn jede Handlung, in der sich ein Teil der
Tugend findet, Tugend sein soll?
Denn das sagt derjenige, welcher sagt, daß jede Handlung mit
Gerechtigkeit Tugend ist.
Oder dünkt dich nicht, daß es nochmals derselben Frage bedarf,
sondern glaubst du, einer kenne einen Teil der Tugend, was er ist,
der nicht weiß, was sie selbst ist?
MEN.
Ouk
emoige dokei.
Menon: Das denke ich wohl nicht.
[79d] SW.
Ei
gar kai memnhsai,
(d) Sokrates: Denn wenn du dich nur erinnern willst,
als ich dir vorher antwortete wegen der Gestalt,
verwarfen wir eine solche Antwort,
welche durch noch zu Suchendes und noch nicht Eingestandenes antworten
wollte.
MEN.
Kai
orqwV ge apeballomen, w SwkrateV.
Menon: Und mit Recht gewiß verwarfen wir sie, o Sokrates.
SW.
Mh
toinun, w ariste, mhde su eti zhtoumenhV arethV olhV oti estin
alla
palin thV authV dehsesqai erwthsewV,
h
ouden soi dokw legein;
Sokrates: Also meine auch du nicht, Bester, solange noch die
ganze Tugend, was sie ist, gesucht wird,
wenn du ihre Teile in die Antwort hineinbringst,
sie dadurch irgend jemandem deutlich machen zu können,
noch auch sonst irgend etwas, wenn du es auf eben (e) die Weise
wie dieses erklärst;
sondern es wird immer die alte Frage zurückkehren,
was denn die Tugend ist, von der du jenes sagst, was du sagst.
Oder dünkt dich dies nichts gesagt?
MEN.
Emoige
dokeiV orqwV legein.
Menon: Mich dünkt es allerdings richtig gesagt.
SW.
Apokrinai
toinun palin ex archV:
Sokrates: Antworte also nochmals von vorne,
was du sagst, daß die Tugend sei, du und dein Freund!