Hans Zimmermann : 12 KÖRBE, Quellensammlung in zwölf Sprachen : Vergil : 6.Ekloge
Publius Vergilius Maro
Bucolica 6 (= Ecloga 6)
 
6. Lied der Hirtengedichte:
Silen singt die Welt
 
Silen inmitten von Wein
 
Übersetzung: Johann Heinrich Voß (1799)
 
 
prima Syracosio dignata est ludere versu
nostra neque erubuit silvas habitare Thalia
cum canerem reges et proelia Cynthius aurem
vellit et admonuit pastorem Tityre pinguis
pascere oportet ovis deductum dicere carmen
 
Scherzhaft wagte zuerst den Ton syrakusischer Lieder,
Und ohn' Erröten bewohnte die Waldungen unsre Thalia
Als ich Schlachten besang und Könige zupfte das Ohr mir
Cynthius sanft anmahnend: Ein Hirt, o Tityrus, weidet
Billiger Schafe sich fett und singt ein gedämpfteres Liedlein.
  nunc ego namque super tibi erunt qui dicere laudes
Vare tuas cupiant et tristia condere bella
agrestem tenui meditabor harundine musam
non iniussa cano si quis tamen haec quoque si quis
captus amore leget te nostrae Vare myricae
te nemus omne canet nec Phoebo gratior ulla est
quam sibi quae Vari praescripsit pagina nomen
 
Jetzo, denn dir ist mancher noch übrig, welcher dein Loblied,
Varus, gerne beginnt und traurige Kriege verherrlicht,
Sinn' ich mit Feldgesange das schwächliche Rohr zu begeistern.
Nicht Ungeheißenes sing' ich. Jedoch, wenn einer auch dieses,
Wenn er mit Lust es vernimmt, dir, Varus, erschallt Tamariske,
Die mein ganzes Gebüsch. Auch ist nicht werter dem Phöbus
Irgendein Blatt, als welches sich Varus Namen voranschrieb.  
pergite Pierides Chromis et Mnasyllos in antro
Silenum puen somno videre iacentem
inflatum hesterno venas ut semper Iaccho
serta procul tantum capiti delapsa iacebant
et gravis attrita pendebat cantharus ansa
adgressi nam saepe senex spe carminis ambo
luserat iniciunt ipsis ex vincula sertis
addit se sociam timidisque supervenit Aegle
Aegle naiadum pulcherrima iamque videnti
sanguineis frontem moris et tempora pingit
 
Auf, Pieriden, ans Werk. Es sah'n den entschlafnen Silenus
Chromis einst und Mnasylus, die Jünglinge, ruhn in der Grotte,
Starr von gestrigem Weine, wie stets, die geschwollenen Adern:
Ferne lag, nur eben dem Haupt entfallen, der Laubkranz,
Und schwer hing ihm der Humpen mit abgegriffenem Henkel.
Beide nahn, (denn es hatte der Greis mit des Liedes Erwartung
Oft sie getäuscht) und schlingen ihm selbst aus dem Kranze die Fessel.
Ihnen gesellt sich zugleich und stärkt die Furchtsamen Ägle,
Ägle, vor allen Najaden die schönere; jetzt, als er aufblickt,
Malet sie Stirn und Schläfen ihm rot mit blutigen Maulbeern.  
ille dolum ridens quo vincula nectitis inquit
solvite me pueri satis est potuisse videri
carmina quae vultis cognoscite carmina vobis
huic aliud mercedis erit simul incipit ipse
tum vero in numerum Faunosque ferasque videres
ludere tum rigidas motare cacumina quercus
nec tantum Phoebo gaudet Parnasia rupes
nec tantum Rhodope miratur et Ismarus Orphea
 
Lachend der List, ruft jener: Wozu die umschlingende Fessel?
Bindet mich los, ihr Kinder; genug, daß zu können ihr scheinet.
Einen Gesang, den ihr wünschet, vernehmt; euch soll ein Gesang sein,
Diese bekommt was andres zum Lohn. Drauf hebt er sogleich an.
Jetzt nach dem Maß des Gesangs sah man Bergfaune und Bergwild
Hüpfen vor Lust; jetzt regte die starrenden Wipfel der Eichforst,
Nicht so freut sich des Phöbus entzückt der parnassische Felsen,
Auch nicht Rhodope staunt noch Ismarus also dem Orpheus.  
namque canebat uti magnum per inane coacta
semina terrarumque animaeque marisque fuissent
et liquidi simul ignis ut bis exordia primis
omnia et ipse tener mundi concreverit orbis
tum durare solum et discludere Nerea ponto
coeperit et rerum paulatim sumere formas
iamque novum terrae stupeant lucescere solem
altius atque cadant summotis nubibus imbres
incipiant silvae cum primum surgere cumque
rara per ignaros errent animalia montis
hinc lapides Pyrrhae iactos Saturnia regna
Caucasiasque refert volucres furtumque Promethei
 
Denn er sang, wie einmal, durch unendliche Leere gerüttelt,
Hafteten Samen der Erd' und der wehenden Luft und des Meeres,
Auch der ätherischen Glut; wie hieraus jeglicher Ursprung
Ward, und selber erwuchs die zartere Kreisung des Himmels;
Wie den Boden zu härten und Nereus' Flut zu umufern
Anfing und allmählich Gestalt der Dinge zu nehmen.
Jetzt, wie die Welt aufstaune zur jugendlich scheinenden Sonne,
Und hochher sich ergieß' aus erhobenen Wolken der Regen,
Während keimende Wälder zuerst aufsteigen, und während
Sparsam Lebende irren durch unbekannte Gebirge.
Drauf der Pyrra geworfnes Gestein und saturnische Herrschaft
Singt er, des Kaukasus Vögel zugleich und den Raub des Prometheus  
his adiungit Hylan nautae quo fonte relictum
clamassent ut litus Hyla Hyla omne sonaret
et fortunatam si numquam armenta fuissent
Pasiphaen nivei solatur amore iuvenci
a virgo infelix quae te dementia cepit
Proetides implerunt falsis mugitibus agros
at non tam turpis pecudum tamen ulla secuta
concubitus quamvis collo timuisset aratrum
et saepe in levi quaesisset cornua fronte
a virgo infelix tu nunc in montibus erras
ille latus niveum molli fultus hyacintho
ilice sub nigra pallentis ruminat herbas
aut aliquam in magno sequitur grege claudite nymphae
Dictaeae nymphae nemorum iam claudite saltus
si qua forte ferant oculis sese obvia nostris
errabunda bovis vestigia forsitan illum
aut herba captum viridi aut armenta secutum
perducant aliquae stabula ad Gortynia vaccae
 
Fügt dann hinzu, wo dem Hylas am Born die vermissenden Segler
Laut nachschrien, daß Hylas der Strand, rings Hylas umherscholl.
Und, o Pasiphae du so beglückt, wenn nimmer ein Rind war,
Jetzo tröstet er dich mit Genuß des schneeigen Stieres.
Ach, unseliges Weib, wie hat dich betöret der Wahnsinn!
Prötus' Töchter erfüllten die Flur mit falschem Gebrülle:
Doch so empörender Lust hat die durch tierische Buhlschaft
Eine gefrönt, obzwar für den Hals sie gefürchtet das Pflugjoch,
Und sich oft nach Gehörn an glatter Stirne getastet.
Ach, unseliges Weib, du selbst nun schweifst in den Bergen:
Jener, die schneeige Seit' auf der sanften Blum' Hyacinthus,
Wiederkäut im Dunkel der Stecheich' hellere Kräuter,
Oder verfolgt, was ihm lieb in der Herd' ist. Sperret, o Nymphen,
Ihr diktäische Nymphen, die Windungen sperret des Forstes,
Ob ja vielleicht auf dem Wege sich darbiet' unseren Blicken
Vom umschweifenden Stiere die Spur. O es möchten vielleicht ihn,
Hab' auch grünendes Kraut, auch die reizende Herd' ihn verleitet,
Einige Küh' heimführen in unsre gortynische Stallung.  
ttum canit Hesperidum miratam mala puellam
tum Phaethontiadas musco circumdat amarae
corticis atque solo proceras erigit alnos
tum canit errantem Permessi ad flumina Gallum
Aonas in montis ut duxerit una sororum
utque viro Phoebi chorus adsurrexerit omnis
ut Linus haec illi divino carmine pastor
floribus atque apio crinis ornatus amaro
dixerit hos tibi dant calamos en accipe Musae
Ascraeo quos ante seni, quibus ille solebat
cantando rigidas deducere montibus ornos
his tibi Grynei nemoris dicatur origo
ne quis sit lucus quo se plus iactet Apollo
 
Drauf die hesperischen Äpfel, des Mägdleins Wunder, besingt er
Drauf die Phaëthontiden in Moos und bittere Rinde
Kleidet er, daß sie dem Grund' als ragende Erlen entsteigen:
Drauf erzählt er, wie Gallus den Strom des Permessus umirrend,
Auf die aonischen Höh'n von der Göttinnen einer geführt ward,
Wie vor dem Manne gesamt Apollos Chor sich erhoben,
Wie dann Linus ihm nahend, der Hirt vom göttlichen Liede,
Schön geschmückt mit Blumen das Haar und bitterem Eppich
Redete: Dieses Geröhr, schau, geben dir, nimm es, die Musen,
Welches der Greis aus Askra geführt, auf welchem er tönend
Pflegte die starrenden Ornen herab vom Gebirge zu locken.
Hiermit preise du selbst des gryneischen Waldes Entstehung;
Daß kein Hain wo prange zu größerem Stolz dem Apollo.  
quid loquar aut Scyllam Nisi quam fama secuta est
candida succinctam latrantibus inguina monstris
Dulichias vexasse rates et gurgite in alto
a timidos nautas canibus lacerasse marinis
aut ut mutatos Terei narraverit artus
quas illi Philomela dapes quae dona pararit
quo cursu deserta petiverit, et quibus ante
infelix sua tecta super volitaverit alis
 
Meld' ich noch, wie der Szylla des Nisus Tochter, besungen,
Welche, mit Hundegebell die glänzenden Hüften umgürtet,
Sagt man, dulichische Barken geschleift, und im tiefen Gestrudel
Ach, die verzagenden Schiffer mit Meerscheusalen zerrissen?
Oder, wie Tereus' Glieder er dargestellt in Verwandlung;
Welchen Schmaus und welches Geschenk Philomela ihm darbot:
Wie sie eilig entfloh in die Wüste, und wie sie befiedert
Erst noch das eigene Dach umflatterte jammerbelastet.  
omnia quae Phoebo quondam meditante beatus
audiit Eurotas iussitque ediscere lauros
ille canit pulsae referunt ad sidera valles
cogere donec oves stabulis numerumque referre
iussit et invito processit Vesper Olympo
 
Alles, was einst in Phöbus' entzücktem Gesang der Eurotas
Freudig vernahm, und zu lernen gebot den horchenden Lorbeern,
Singet er; hoch zu den Sternen entfliegt aus den Tälern der Nachhall;
Bis in die Hürd' eintreiben die Schaf' und die Zählung erneuern
Hesperus hieß, und dem Himmel noch unwillkommen hervorging.
   
Silen inmitten von Wein
3.Jhd. Mus. El Jem, Tunesien

 
Vergil:

 
Hans Zimmermann : 12 KÖRBE, Quellensammlung in zwölf Sprachen: Vergil : 6.Ekloge