Vor langen Zeiten lebte
weit gegen Abend ein blutjunger Mensch.
Er war sehr gut, aber auch
über die Maaßen wunderlich.
Er grämte sich unaufhörlich
um nichts und wieder nichts,
ging immer still für
sich hin, setzte sich einsam,
wenn die Anderen spielten
und fröhlich waren,
und hing seltsamen Dingen
nach.
Höhlen und Wälder
waren sein liebster Aufenthalt,
und dann sprach er immer
fort mit Thieren und Vögeln, mit Bäumen und Felsen,
natürlich kein vernünftiges
Wort, lauter närrisches Zeug zum Todtlachen.
Er blieb aber immer mürrisch
und ernsthaft,
ungeachtet sich das Eichhörnchen,
die Meerkatze, der Papagei und der Gimpel
alle Mühe gaben ihn
zu zerstreuen, und ihn auf den richtigen Weg zu weisen.
Die Gans erzählte Mährchen,
der Bach klimperte eine
Ballade dazwischen,
ein großer dicker
Stein machte lächerliche Bockssprünge,
die Rose schlich sich freundlich
hinter ihm herum, kroch durch seine Locken,
und der Epheu streichelte
ihm die sorgenvolle Stirn.
Allein der Mißmuth
und Ernst waren hartnäckig.
Seine Eltern waren sehr
betrübt, sie wußten nicht, was sie anfangen sollten.
Er war gesund und aß,
nie hatten sie ihn beleidigt,
er war auch bis vor wenigen
Jahren fröhlich und lustig gewesen, wie keiner;
bei allen Spielen voran,
von allen Mädchen gern gesehn.
Er war recht bildschön,
sah aus wie gemahlt, tanzte wie ein Schatz.
Unter den Mädchen war
Eine, ein köstliches, bildschönes Kind,
sah aus wie Wachs, Haare
wie goldne Seide, kirschrothe Lippen,
wie ein Püppchen gewachsen,
brandrabenschwarze Augen.
Wer sie sah, hätte
mögen vergehn, so lieblich war sie.
Damals war Rosenblüthe,
so hieß sie, dem bildschönen Hyacinth, so hieß er,
von Herzen gut, und er hatte
sie lieb zum Sterben.
Die andern Kinder wußtens
nicht.
Ein Veilchen hatte es ihnen
zuerst gesagt,
die Hauskätzchen hatten
es wohl gemerkt,
die Häuser ihrer Eltern
lagen nahe beisammen.
Wenn nun Hyacinth die Nacht
an seinem Fenster stand
und Rosenblüthe an
ihrem,
und die Kätzchen auf
dem Mäusefang da vorbeyliefen,
da sahen sie die Beiden
stehn,
und lachten und kickerten
oft so laut, daß sie es hörten und böse wurden.
Das Veilchen hatte es der
Erdbeere im Vertrauen gesagt,
die sagte es ihrer Freundinn
der Stachelbeere,
die ließ nun das Sticheln
nicht, wenn Hyacinth gegangen kam;
so erfuhrs denn bald der
ganze Garten und der Wald,
und wenn Hyacinth ausging,
so riefs von allen Seiten:
Rosenblüthchen ist
mein Schätzchen!
Nun ärgerte sich Hyacinth,
und mußte doch auch
wieder aus Herzensgrunde lachen,
wenn das Eidexchen geschlüpft
kam, sich auf einen warmen Stein setzte,
mit dem Schwänzchen
wedelte und sang:
Rosenblüthchen, das
gute Kind,
Ist geworden auf einmal
blind,
Denkt, die Mutter sey Hyacinth,
Fällt ihm um den Hals
geschwind;
Merkt sie aber das fremde
Gesicht,
Denkt nur an, da erschrickt
sie nicht,
Fährt, als merkte sie
kein Wort,
Immer nur mit Küssen
fort.
Ach! wie bald war die Herrlichkeit
vorbey.
Es kam ein Mann aus fremden
Landen gegangen, der war erstaunlich weit gereist,
hatte einen langen Bart,
tiefe Augen, entsetzliche Augenbrauen,
ein wunderliches Kleid mit
vielen Falten und seltsame Figuren hineingewebt.
Er setzte sich vor das Haus,
das Hyacinths Eltern gehörte.
Nun war Hyacinth sehr neugierig,
und setzte sich zu ihm und
holte ihm Brod und Wein.
Da that er seinen weißen
Bart von einander und erzählte bis tief in die Nacht,
und Hyacinth wich und wankte
nicht, und wurde auch nicht müde zuzuhören.
So viel man nachher vernahm,
so hat er viel von fremden
Ländem, unbekannten Gegenden,
von erstaunlich wunderbaren
Sachen erzählt,
und ist drey Tage dageblieben,
und mit Hyacinth in tiefe
Schachten hinuntergekrochen.
Rosenblüthchen hat
genug den alten Hexenmeister verwünscht,
denn Hyacinth ist ganz versessen
auf seine Gespräche gewesen,
und hat sich um nichts bekümmert;
kaum daß er ein wenig
Speise zu sich genommen.
Endlich hat jener sich fortgemacht,
doch dem Hyacinth ein Büchelchen
dagelassen, das kein Mensch lesen konnte.
Dieser hat ihm noch Früchte,
Brod und Wein mitgegeben,
und ihn weit weg begleitet.
Und dann ist er tiefsinnig
zurückgekommen,
und hat einen ganz neuen
Lebenswandel begonnen.
Rosenblüthchen hat
recht zum Erbarmen um ihn gethan,
denn von der Zeit an hat
er sich wenig aus ihr gemacht
und ist immer für sich
geblieben.
Nun begab sichs, daß
er einmal nach Hause kam und war wie neugeboren.
Er fiel seinen Eltern um
den Hals, und weinte.
Ich muß fort in fremde
Lande, sagte er,
die alte wunderliche Frau
im Walde hat mir erzählt,
wie ich gesund werden müßte,
das Buch hat sie ins Feuer
geworfen,
und hat mich getrieben,
zu euch zu gehn
und euch um euren Segen
zu bitten.
Vielleicht komme ich bald,
vielleicht nie wieder.
Grüßt Rosenblüthchen.
Ich hätte sie gern gesprochen,
ich weiß nicht, wie
mir ist, es drängt mich fort;
wenn ich an die alten Zeiten
zurück denken will,
so kommen gleich mächtigere
Gedanken dazwischen,
die Ruhe ist fort, Herz
und Liebe mit, ich muß sie suchen gehn.
Ich wollt‘ euch gern sagen,
wohin, ich weiß selbst nicht,
dahin wo die Mutter der
Dinge wohnt, die verschleyerte Jungfrau.
Nach der ist mein Gemüth
entzündet. Lebt wohl.
Er riß sich los und
ging fort.
Seine Eltern wehklagten
und vergossen Thränen,
Rosenblüthchen blieb
in ihrer Kammer und weinte bitterlich.
Hyacinth lief nun was er
konnte, durch Thäler und Wildnisse,
über Berge und Ströme,
dem geheimnißvollen Lande zu.
Er fragte überall nach
der heiligen Göttin (Isis)
Menschen und Thiere, Felsen
und Bäume.
Manche lachten manche schwiegen,
nirgends erhielt er Bescheid.
Im Anfange kam er durch
rauhes, wildes Land,
Nebel und Wolken warfen
sich ihm in den Weg, es stürmte immerfort;
dann fand er unabsehliche
Sandwüsten, glühenden Staub,
und wie er wandelte, so
veränderte sich auch sein Gemüth,
die Zeit wurde ihm lang
und die innre Unruhe legte sich,
er wurde sanfter und das
gewaltige Treiben in ihm allgemach
zu einem leisen, aber starken
Zuge, in den sein ganzes Gemüth sich auflöste.
Es lag wie viele Jahre hinter
ihm.
Nun wurde die Gegend auch
wieder reicher und mannichfaltiger,
die Luft lau und blau, der
Weg ebener,
grüne Büsche lockten
ihn mit anmuthigem Schatten,
aber er verstand ihre Sprache
nicht, sie schienen auch nicht zu sprechen,
und doch erfüllten
sie auch sein Herz
mit grünen Farben und
kühlem, stillem Wesen.
Immer höher wuchs jene
süße Sehnsucht in ihm,
und immer breiter und saftiger
wurden die Blätter,
immer lauter und lustiger
die Vögel und Thiere,
balsamischer die Früchte,
dunkler der Himmel,
wärmer die Luft, und
heißer seine Liebe,
die Zeit ging immer schneller,
als sähe sie sich nahe am Ziele.
Eines Tages begegnete er
einem krystallnen Quell und einer Menge Blumen,
die kamen in ein Thal herunter
zwischen schwarzen himmelhohen Säulen.
Sie grüßten ihn
freundlich mit bekannten Worten.
Liebe Landsleute, sagte
er, wo find‘ ich wohl den geheiligten Wohnsitz der Isis?
Hier herum muß er
seyn, und ihr seid vielleicht hier bekannter, als ich.
Wir gehn auch nur hier durch,
antworteten die Blumen;
eine Geisterfamilie ist
auf der Reise und wir bereiten ihr Weg und Quartier,
indeß sind wir vor
kurzem durch eine Gegend gekommen,
da hörten wir ihren
Namen nennen.
Gehe nur aufwärts,
wo wir herkommen, so wirst du schon mehr erfahren.
Die Blumen und die Quelle
lächelten, wie sie das sagten,
boten ihm einen frischen
Trunk und gingen weiter.
Hyacinth folgte ihrem Rath,
frug und frug
und kam endlich zu jener
längst gesuchten Wohnung,
die unter Palmen und anderen
köstlichen Gewächsen versteckt lag.
Sein Herz klopfte in unendlicher
Sehnsucht,
und die süßeste
Bangigkeit durchdrang ihn
in dieser Behausung der
ewigen Jahreszeiten.
Unter himmlischen Wohlgedüften
entschlummerte er,
weil ihn nur der Traum in
das Allerheiligste führen durfte.
Wunderlich führte ihn
der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen
auf lauter reitzenden Klängen
und in abwechselnden Accorden.
Es dünkte ihm alles
so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit,
da schwand auch der letzte
irdische Anflug, wie in Luft verzehrt,
und er stand vor der himmlischen
Jungfrau,
da hob er den leichten,
glänzenden Schleyer,
und Rosenblüthchen
sank in seine Arme.
Eine ferne Musik umgab die
Geheimnisse des liebenden Wiedersehns,
die Ergießungen der
Sehnsucht,
und schloß alles Fremde
von diesem entzückenden Orte aus.
Hyacinth lebte nachher noch
lange mit Rosenblüthchen
unter seinen frohen Eltern
und Gespielen,
und unzählige Enkel
dankten der alten wunderlichen Frau für ihren Rath und Feuer;
denn damals bekamen die
Menschen so viele Kinder, als sie wollten. -