Hans Zimmermann : zur Zirkularität der Zeit : Novalis : Astralis
 
Novalis (Friedrich von Hardenberg):
 
Astralis
 
(1801, aus dem Romanfragment "Heinrich von Ofterdingen", Anfang des zweiten Teils)
 
 
An einem Sommermorgen ward ich jung  
Da fühlt ich meines eignen Lebens Puls  
Zum erstenmal – und wie die Liebe sich  
In tiefere Entzückungen verlohr,  
Erwacht' ich immer mehr, und das Verlangen  
Nach innigerer, gänzlicher Vermischung  
Ward dringender mit jedem Augenblick.  
Wollust ist meines Daseyns Zeugungskraft.  
Ich bin der Mittelpunkt, der heilge Quell,  
Aus welchem jede Sehnsucht stürmisch fließt  
Wohin sich jede Sehnsucht mannichfach  
Gebrochen wieder still zusammen zieht.  
Ihr kennt mich nicht und saht mich werden –  
Ward ihr nicht Zeugen, wie ich noch  
Nachwandler mich zum ersten Male traf  
An jenem frohen Abend? Flog euch nicht  
Ein süßer Schauer der Entzündung an? –  
Versunken lag ich ganz in Honigkelchen.  
Ich duftete, die Blume schwankte still  
In goldner Morgenluft. Ein innres Quellen  
War ich, ein sanftes Ringen, alles floß  
Durch mich und über mich und hob mich leise.  
Da sank das erste Stäubchen in die Narbe,  
Denkt an den Kuß nach aufgehobnem Tisch.  
Ich quoll in meine eigne Flut zurück –  
Es war ein Blitz – nun konnt ich schon mich regen,  
Die zarten Fäden und den Kelch bewegen.  
Schnell schossen, wie ich selber mich begann,  
Zu irdschen Sinnen die Gedanken an.  
Noch war ich blind, doch schwankten lichte Sterne  
Durch meines Wesens wunderbare Ferne,  
Nichts war noch nah, ich fand mich nur von weiten,  
Ein Anklang alter, so wie künftger Zeiten.  
Aus Wehmuth, Lieb' und Ahndungen entsprungen  
War der Besinnung Wachsthum nur ein Flug,  
Und wie die Wollust Flammen in mir schlug,  
Ward ich zugleich vom höchsten Weh durchdrungen.  
Die Welt lag blühend um den hellen Hügel,  
Die Worte des Profeten wurden Flügel,  
Nicht einzeln mehr nur Heinrich und Mathilde  
Vereinten Beide sich zu Einem Bilde. –  
Ich hob mich nun gen Himmel neugebohren,  
Vollendet war das irdische Geschick  
Im seligen Verklärungsaugenblick,  
Es hatte nun die Zeit ihr Recht verlohren  
Und forderte, was sie geliehn, zurück.
 
 
 
Philipp Otto Runge: Der Morgen (große, zerstörte Fassung), Ausschnitt: Himmelslilie
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  
Es bricht die neue Welt herein 
Und verdunkelt den hellsten Sonnenschein 
Man sieht nun aus bemoosten Trümmern 
Eine wunderseltsame Zukunft schimmern 
Und was vordem alltäglich war 
Scheint jetzo fremd und wunderbar. 
Eins in allem und alles im Einen 
Gottes Bild auf Kräutern und Steinen 
Gottes Geist in Menschen und Thieren, 
Dies muß man sich zu Gemüthe führen.  
Keine Ordnung mehr nach Raum und Zeit 
Hier Zukunft in der Vergangenheit 
Der Liebe Reich ist aufgethan 
Die Fabel fängt zu spinnen an. 
Das Urspiel jeder Natur beginnt 
Auf kräftige Worte jedes sinnt 
Und so das große Weltgemüth 
Überall sich regt und unendlich blüht. 
Alles muß in einander greifen 
Eins durch das Andre gedeihn und reifen; 
Jedes in Allen dar sich stellt 
Indem es sich mit ihnen vermischet 
Und gierig in ihre Tiefen fällt 
Sein eigenthümliches Wesen erfrischet 
Und tausend neue Gedanken erhält. 
Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt 
Und was man geglaubt, es sey geschehn 
Kann man von weiten erst kommen sehn. 
Frey soll die Fantasie erst schalten, 
Nach ihrem Gefallen die Fäden verweben 
Hier manches verschleyern, dort manches entfalten, 
Und endlich in magischen Dunst verschweben. 
invertiert
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Wehmuth und Wollust, Tod und Leben 
Sind hier in innigster Sympathie – 
Wer sich der höchsten Lieb' ergeben, 
Genest von ihren Wunden nie. 
Schmerzhaft muß jenes Band zerreißen, 
Was sich ums innre Auge zieht, 
Einmal das treuste Herz verwaisen, 
Eh es der trüben Welt entflieht. 
Der Leib wird aufgelöst in Thränen, 
Zum weiten Grabe wird die Welt, 
In das, verzehrt von bangen Sehnen, 
Das Herz, als Asche, niederfällt. 
 
 
link: zum Lesen der geheimen Schrift nach der Feuerprobe
 
*
Novalis:
Klingsohrs Märchen von Fabel und Eros  (zu Ende des ersten Teils des Heinrich von Ofterdingen)
Astralis (Lied zu Anfang des zweiten Teils des Heinrich von Ofterdingen)
Vier Buchstaben bezeichnen mir Gott (Blüthenstaub 2)
Die Lehrlinge zu Sais (philosophisches Romanfragment)
Abendmahlshymne (Geistliche Lieder, Nr.VII)
Advendslied (Geistl.Lieder, Nr.XII
Hymnen an die Nacht
 
Heinrich von Ofterdingen (vgl. Tannhäuser), Wolfram und Klingsôr 
im "Sängerkrieg auf der Wartburg" (mittelhochdeutsch)
 
William Blake:
Songs of Innocence and of Experience * The book of Thel
The book of Urizen * The book of Ahania * The book of Los
 
Philipp Otto Runge:
Der Morgen : Lilie
 
Goethe: Das Märchen von der grünen Schlange und der Lilie
 
Aratos / Cicero / Germanicus: Phainomena (Himmelserscheinungen) Sternbilder griech./lat./dt. 
 
P. Vergilius Maro:
4.Ekloge : 6.Ekloge : Anchises' Lehren
 
Apuleius: 
Das Märchen von Cupido (Amor) und Psyche
 
Censorinus:
De die natali / Der Tag der Geburt: Sphärenharmonie, Weltenjahr und Kalender
 
12 KÖRBE: Quellen zum Thema "Schöpfung":
Genesis 1-11 : Psalmen : Rgveda : Platon : Proklos : Cicero : Ovid : Mar.Victorinus : J.Böhme : Schelling
 
das Lied der "Weisheit" in den Sprüchen Salomons Kap.8: 
"JHWH hat mich gehabt als Ursprung seiner Wege"
 
Das Hohe Lied:
"Wo ist denn dein Freund hingegangen, du Schönste?", "Morgenröte im Aufgang"
 
Hans Zimmermann:
Was ist Musik? / Was ist Licht? / Was ist Geist? / Was ist Zeit?
Siebenstern (philos.Lyrik) : Das Mandala eines Tages : Meditation und Mantren
Kalender (12 Aquarelle)
 
 
Rundbriefe 2002 / 2003 / 2004 / 2005 / 2006 / 2007 / 2008 / 2009 / 2010 / 2011 / 2012 
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Hans Zimmermann : zur Zirkularität der Zeit : Novalis : Astralis