Menôn
: Sôkratês : Anutos
Menon, Sokrates, Anytos
SÔ.
boulei oun, epeidê homonooumen hoti zêtêteon peri hou
mê tis oiden,
epicheirêsômen
koinêi zêtein ti pot' estin aretê?
Sokrates: Da wir nun einig
darüber sind, daß gesucht werden was jemand noch nicht weiß:
willst du, daß wir miteinander
unternehmen zu suchen, was wohl die Tugend ist?
[22.
Die Lehrbarkeit der Tugend zu untersuchen mit Hilfe der
Voraussetzungs-Methode]
MEN.
panu men oun. ou mentoi, ô Sôkrates,
all' egôge
ekeino an hêdista, hoper êromên to prôton, kai
skepsaimên kai akousaimi,
poteron hôs
didaktôi onti autôi dei epicheirein,
[86d] ê
hôs phusei ê hôs tini pote tropôi paragignomenês
tois anthrôpois tês aretês.
Menon: Gar gern. Jedoch,
Sokrates,
möchte ich am liebsten jenes,
wonach ich zuerst fragte, untersuchen und hören,
ob man ihr als etwas Lehrbarem nachstreben
muß
(d) oder so, als wenn von
Natur oder auf sonst irgendeine Weise die Tugend den Menschen einwohnte.
SÔ.
all' ei men egô êrchon, ô Menôn,
mê monon emautou alla kai sou,
ouk an eskepsametha
proteron eite didakton eite ou didakton hê aretê,
prin hoti
estin prôton ezêtêsamen auto.
Sokrates:: Hätte ich
zu gebieten, Menon, nicht nur über mich, sondern auch über dich:
so würden wir nicht eher überlegen,
ob die Tugend lehrbar ist oder nicht,
bis wir zuvor, was sie ist, untersucht
hätten.
epeidê
de su sautou men oud' epicheireis archein, hina dê eleutheros êis,
emou de epicheireis
te archein kai archeis,
sunchôrêsomai
soi – ti gar chrê poiein?
Allein da du über dich selbst
zwar gar nicht begehrst zu bieten, um nämlich frei zu bleiben,
über mich aber zu gebieten
begehrst und auch wirklich gebietest:
so muß ich dir nachgeben.
Denn was will ich machen?
– eoiken
oun skepteon [86e] einai poion ti estin
ho mêpô
ismen hoti estin.
ei mê ti
oun alla smikron ge moi tês archês chalason, kai sunchôrêson
ex hupotheseôs
auto skopeisthai, eite didakton estin eite hopôsoun.
Wie es scheint also, sollen wir
untersuchen, (e) wie etwas beschaffen ist,
wovon wir noch nicht wissen, was
es ist
Wenn also auch nicht ganz, so laß
mir doch ein wenig nach von deinem Gebot und gestatte mir,
von einer Voraussetzung aus dieses
zu betrachten, ob sie lehrbar ist oder was sonst.
legô
de to ex hupotheseôs hôde,
hôsper
hoi geômetrai pollakis skopountai, epeidan tis erêtai autous,
hoion peri chôriou,
ei hoion te es tonde ton kuklon tode to chôrion [87a]
trigônon entathênai,
eipoi an tis
hoti oupô oida ei estin touto toiouton,
all' hôsper
men tina hupothesin prourgou oimai echein pros to pragma toiande:
Dieses "von einer Voraussetzung
aus" meine ich aber so,
wie die Meßkünstler oft
etwas zur Betrachtung ziehen, wenn ihnen jemand eine Frage vorlegt,
wie etwa von einer Figur, ob es möglich
ist, in diesen Kreis dieses (87 a) Dreieck einzuspannen,
darauf möchte einer sagen:
Ich weiß noch nicht, ob dieses ein solches ist,
aber als eine Voraussetzung für
die Sache glaube ich folgendes bei der Hand zu haben:
ei men estin
touto to chôrion toiouton hoion
para tên
dotheisan autou grammên parateinanta
elleipein
toioutôi chôriôi hoion an auto
to paratetamenon êi,
allo ti sumbainein
moi dokei,
kai allo au,
ei adunaton estin tauta pathein.
Wenn dieses Dreieck ein solches
ist, daß,
wenn man um seine gegebene Grundlinie
den Kreis herumzieht,
noch ein ebensolcher Raum übrigbleibt,
als der umspannte selbst ist,
alsdann, dünkt mich, wird etwas
anderes erfolgen,
und wiederum etwas anderes, wenn
dies unmöglich ist.
hupothemenos
oun ethelô [87b] eipein soi
to sumbainon
peri tês entaseôs autou eis ton kuklon,
In Beziehung auf diese Voraussetzung
nun will ich dir sagen,
wie es mit (b) der Einspannung
desselben in den Kreis steht,
ob sie unmöglich ist oder nicht.
[23.
Ansatz: Wenn die Tugend Erkenntnis ist,
ist sie lehrbar]
outô
dê kai peri aretês hêmeis,
epeidê
ouk ismen outh' hoti estin outh' hopoion ti,
hupothemenoi
auto skopômen eite didakton eite ou didakton estin,
So auch wir in Beziehung auf die
Tugend;
da wir gar nicht wissen, was sie
ist, noch wie beschaffen,
wollen wir eine Voraussetzung machend
dieses erwägen, ob sie lehrbar ist oder nicht lehrbar,
ei poion ti
estin tôn peri tên psuchên ontôn aretê,
didakton an
eiê ê ou didakton?
prôton men
dê ei estin alloion ê hoion epistêmê,
ara didakton
ê ou,
ê ho
nundê elegomen, anamnêston
– diapheretô
de mêden hêmin [87c] hopoterôi
an tôi onomati chrômetha –
all' ara didakton?
ê touto
ge panti dêlon,
hoti ouden
allo didasketai anthrôpos ê epistêmên?
Wenn sie was doch von dem in der
Seele Vorkommenden ist,
wird sie lehrbar sein oder nicht
lehrbar?
Zuerst also, wenn sie etwas ganz anderes
ist als Erkenntnis,
kann sie dann gelehrt werden oder
nicht,
oder, wie wir eben sagten, in Erinnerung
gebracht?
Denn es soll uns gleich gelten,
(c) welches Wortes wir uns bedienen.
Also ist sie dann lehrbar?
Oder ist das w2ohl jedem klar,
daß nichts anderes dem Menschen
gelehrt werden kann als Erkenntnis?
MEN.
emoige dokei.
Menon: Mir wenigstens scheint
es so.
SÔ.
ei de g' estin epistêmê tis hê
aretê,
dêlon
oti didakton an eiê.
Sokrates: Wenn nun die Tugend
eine Erkenntnis ist,
offenbar ist sie dann lehrbar.
MEN.
pôs gar ou?
Menon: Wie sollte sie nicht.
SÔ.
toutou men ara tachu apêllagmetha, hoti
toioude men
ontos didakton, toioude d' ou.
Sokrates: Damit also sind
wir bald fertig geworden, daß,
wenn sie ein solches ist, so ist
sie lehrbar; wenn nicht, so nicht.
MEN.
panu ge.
Menon: Freilich.
SÔ.
to dê meta touto, hôs eoike, dei skepsasthai
poteron estin
epistêmê hê aretê ê alloion epistêmês.
Sokrates: Nächstdem
nun, wie es scheint, müssen wir untersuchen,
ob die Tugend Erkenntnis ist oder
etwas ganz Verschiedenes von der Erkenntnis.
[87d] MEN.
emoige dokei touto meta touto skepteon einai.
Menon: Allerdings müssen
wir dies zunächst untersuchen. (d)
SÔ.
ti de dê; allo ti ê agathon auto phamen
einai tên aretên,
kai autê
hê hupothesis menei hêmin, agathon auto einai?
Sokrates: Wie nun, sagen
wir nicht, daß die Tugend gut ist,
und bleibt uns nicht diese Voraussetzung,
daß sie gut ist?
MEN.
panu men oun.
Menon: Allerdings.
SÔ.
oukoun ei men ti estin agathon kai allo chôrizomenon
epistêmês,
tach' an eiê
hê aretê ouk epistêmê tis.
ei de mêden
estin agathon ho ouk epistêmê periechei,
epistêmên
an tin' auto hupopteuontes einai orthôs hupopteuoimen.
Sokrates: Also, wenn es noch
irgend anderes Gutes gibt, was gänzlich getrennt ist von der Erkenntnis,
dann könnte vielleicht auch
die Tugend nicht Erkenntnis sein;
gibt es aber gar kein Gutes, was die
Erkenntnis nicht unter sich begreift,
so dürften wir, wenn wir vermuten,
sie sei irgendeine Erkenntnis, ganz richtig vermuten.
MEN.
esti tauta.
Menon: Das mag so sein.
SÔ.
kai mên [87e]
aretêi g' esmen agathoi?
Sokrates: Gewiß doch
(e) sind wir vermöge der Tugend gut?
MEN.
nai.
Menon: Ja.
SÔ.
ei de agathoi, ôphelimoi: panta gar t'agatha
ôphelima. ouchi?
Sokrates: Und wenn gut, auch
nützlich; denn alles Gute ist nützlich. Nicht so?
MEN.
nai.
Menon: Ja.
SÔ.
kai hê aretê dê ôphelimon
estin?
Sokrates: Also ist auch die
Tugend nützlich?
MEN.
anankê ek tôn ômologêmen.
Menon: Notwendig aus dem
Eingestandenen.
[24.
Die Tugend ist aber Einsicht, denn sie nützt]
SÔ.
skepsômetha dê kath' hekaston analambanontes
poia estin ha hêmas ôphelei.
hugieia, phamen,
kai ischus kai kallos kai ploutos dê:
tauta legomen
kai ta toiauta ôphelima. [88a] ouchi?
Sokrates: Betrachten wir
also, das einzelne durchnehmend, was doch für Dinge es sind, die uns
nützen.
Gesundheit, sagen wir, und Stärke
und Schönheit und Reichtum doch wohl.
Dieses und dergleichen nennen wir
doch nützlich. Nicht so?
MEN.
nai.
Menon: Ja.
SÔ.
tauta de tauta phamen eniote kai blaptein:
ê su
allôs phêis ê houtôs?
Sokrates: Diese nämlichen
Dinge aber, sagen wir, schaden auch (88 a) bisweilen.
Oder behauptest du es anders als
so?
MEN.
ouk, all' houtôs.
Menon: Nein, sondern ebenso.
SÔ.
skopei dê, hotan ti hekastou toutôn hêghtai,
ôphelei hêmas,
ar' ouch hotan
men orthê chrêsis, ôphelei,
Sokrates: Bedenke also, was
wohl alle diese Dinge regieren muß, wenn sie uns nützen sollen,
und was, wenn sie uns schaden?
Nicht so, wenn rechter Gebrauch, dann
nützen sie,
wenn unrechter, dann schaden sie?
MEN.
panu ge.
Menon: Freilich.
SÔ.
eti toinun kai ta kata tên psuchên skepsômetha.
sôphrosunên
ti kaleis kai dikaiosunên kai andreian kai eumathian
kai mnêmên
kai megaloprepeian kai panta ta [88b] toiauta?
Sokrates: Auch das, was in
der Seele ist, laß uns betrachten.
Du nennst doch etwas Besonnenheit
und Gerechtigkeit und Tapferkeit,
und Fassungskraft und Edelsinn und
alles dergleichen?
MEN.
egôge.
Menon: Jawohl.
SÔ.
skopei dê, toutôn atta soi dokei mê
epistêmê einai
all' allo
epistêmês,
ei ouchi tote
men blaptei, tote de ôphelei?
hoion andreia,
ei mê esti phronêsis hê andreia all' hoion tharros ti:
ouch hotan
men aneu nou tharrêi anthrôpos, blaptetai,
hotan de sun
nôi, ôpheleitai?
Sokrates: Betrachte nun hiervon,
was dir nicht Erkenntnis zu sein scheint,
sondern etwas anderes als Erkenntnis,
ob das nicht bisweilen schadet und
bisweilen nützt?
Wie die Tapferkeit, wenn sie nicht Einsicht
ist, sondern nur wie eine gewisse Kühnheit;
nicht so, wenn ein Mensch ohne Vernunft
kühn ist, so hat er Schaden;
wenn mit Vernunft, dann Nutzen?
MEN.
nai.
Menon: Ja.
SÔ.
oukoun kai sôphrosunê hôsautôs
kai eumathia:
meta men nou
kai manthanomena kai katartuomena ôphelima,
Sokrates: Sind nicht auch
die Besonnenheit ebenso und die Gelehrigkeit,
wenn mit Vernunft gelernt und Ordnung
gehalten wird, nützlich,
ohne Vernunft aber schädlich?
MEN.
panu [88c] sphodra.
Menon: Ganz gewiß.
(c)
SÔ.
oukoun sullêbdên panta ta tês psuchês
epicheirêmata kai karterêmata
hêgoumenês
men phronêseôs eis eudaimonian teleutai,
aphrosunês
d' eis tounantion?
Sokrates: Also auch überhaupt
alles, was die Seele unternimmt und aushält,
endet, wenn Einsicht dabei regiert,
in Glückseligkeit,
wenn aber Torheit, in das Gegenteil?
MEN.
eoiken.
Menon: So scheint es.
SÔ.
ei ara aretê tôn en têi
psuchêi ti estin kai anankaion autôi
ôphelimôi einai,
phronêsin
auto dei einai,
epeidêper
panta ta kata tên psuchên auta men kath' hauta oute ôphelima
oute blabera estin,
prosgenomenês
de phronêseôs [88d] ê aphrosunês
blabera te kai ôphelima gignetai.
kata dê
touton ton logon ôphelimon ge ousan tên aretên phronêsin
dei tin' einai.
Sokrates: Ist nun die Tugend
etwas in der Seele, dem notwendig zukommt, nützlich zu sein:
so muß sie Einsicht sein,
weil alles übrige in der Seele
an und für sich weder nützlich ist noch schädlich
und nur durch Hinzukommen der Einsicht
(d) oder Torheit schädlich und nützlich wird.
Also diesem zufolge, wenn die Tugend
nützlich ist, muß sie Einsicht sein.
MEN.
emoige dokei.
Menon: So scheint es mir.
[25.
Die Guten entstehen also nicht von Natur?]
SÔ.
kai men dê kai t'alla ha nundê elegomen,
plouton te kai ta toiauta,
tote men agatha
tote de blabera einai,
ara ouch hôsper
têi allêi psuchêi hê
phronêsis hêgoumenê ôphelima ta tês psuchês
epoiei,
houtôs au
[88e] kai toutois hê psuchê orthôs
men chrômenê kai hêgoumenê ôphelima auta
poiei,
Sokrates: So auch mit dem
übrigen, Reichtum und dergleichen,
von dem wir vorhin erwähnten,
daß es bisweilen gut, bisweilen schädlich wäre:
wird nicht, eben wie die Vernunft, wenn
sie die übrige Seele regiert, das in der Seele nützlich machte,
die Unvernunft aber schädlich,
so wiederum (e) die Seele diese
Dinge, wenn sie sie richtig gebraucht und regiert, nützlich machen,
wenn aber unrichtig, dann schädlich?
MEN.
panu ge.
Menon: Freilich.
SÔ.
orthôs de ge hê emphrôn hêgeitai,
hêmartêmenôs
d' hê aphrôn?
Sokrates: Recht aber regiert
die vernünftige,
fehlerhaft und verkehrt die unvernünftige?
MEN.
esti tauta.
Menon: So ist es.
SÔ.
oukoun houtô dê kata pantôn eipein
estin,
tôi
anthrôpôi ta men alla panta eis tên psuchên
anêrtêsthai,
ta de tês
psuchês autês eis phronêsin, ei [89a]
mellei agatha einai:
kai toutôi
tôi logôi phronêsis an eiê
to ôphelimon.
phamen de tên
aretên ôphelimon einai?
Sokrates: Kann man nun nicht
im allgemeinen sagen,
daß dem Menschen alles andere,
ob es ihm gut sein wird, von der Seele abhänge,
was aber in der Seele selbst ist,
dieses von der Vernunft (89 a)?
Und nach dieser Rede wäre überhaupt
Vernunft das Nützliche.
Und wir sagen, die Tugend sei nützlich?
MEN.
panu ge.
Menon: Freilich.
SÔ.
phronêsin ara phamen aretên einai,
êtoi
sumpasan ê meros ti?
Sokrates: Vernunft also,
sagen wir, sei Tugend,
entweder die ganze oder ein Teil
von ihr.
MEN.
dokei moi kalôs legesthai, ô Sôkrates,
ta legomena.
Menon: Mir scheint das Gesagte,
o Sokrates, gut gesagt zu sein.
SÔ.
oukoun ei tauta houtôs echei, ouk an eien phusei
hoi agathoi.
Sokrates: Wenn sich nun dieses
so verhält, so wären die Guten es wohl nicht von Natur.
MEN.
ou moi dokei.
Menon: Nein, dünkt mich.
[89b] SÔ.
kai gar an pou kai tod' ên:
ei phusei
hoi agathoi egignonto,
êsan
pou an hêmin
hoi egignôskon
tôn neôn tous agathous tas phuseis,
hous hêmeis
an paralabontes ekeinôn apophênantôn ephulattomen an
en akropolei,
katasêmênamenoi
polu mallon ê to chrusion, hina mêdeis autous diephtheiren,
all' epeidê
aphikointo eis tên hêlikian, chrêsimoi gignointo tais
polesi.
(b) Sokrates: Auch
dieses würde wohl der Fall sein:
Wenn die Guten es von Natur wären,
so würde es auch welche unter
uns geben,
welche die von Natur Guten unter
der Jugend zu unterscheiden wüßten,
welche wir dann, sobald jene sie angezeigt
hätten, aussondern und in der Burg verwahren würden,
weit sorgfältiger sie besiegelnd
als das Gold, damit niemand sie uns verderben könne,
sondern, sobald sie das gehörige
Alter erreicht hätten, sie dem Staat nützlich würden.
MEN.
eikos ge toi, ô Sôkrates.
Menon: Ganz natürlich.
[26.
Zweifel, ob die Tugend Erkenntnis ist. Vorstellung des Anytos]
SÔ.
ar' oun epeidê ou phusei hoi agathoi agathoi
gignontai, [89c] ara mathêsei;
Sokrates: Werden nun etwa
die Guten, wenn sie nicht von Natur gut sind, es durch Belehrung? (c)
MEN.
dokei moi êdê anankaion einai: kai dêlon,
ô Sôkrates, kata tên hupothesin,
eiper epistêmê
estin aretê, hoti didakton estin.
Menon: Das dünkt mich
nun schon notwendig, Sokrates, und es ist auch klar nach unserer Voraussetzung,
wenn die Tugend Erkenntnis ist,
daß sie lehrbar sein muß.
SÔ.
isôs nê Dia:
alla mê
touto ou kalôs hômologêsamen?
Sokrates: Vielleicht, beim
Zeus!
Aber daß wir nur dieses nicht
etwa mit Unrecht zugegeben haben!
MEN.
kai mên edokei ge arti kalôs legesthai.
Menon: Es schien uns ja doch
noch eben sehr richtig gesagt.
SÔ.
alla mê ouk en tôi arti monon
deêi auto dokein kalôs legesthai,
alla kai en
tôi nun kai en tôi epeita, ei mellei
ti autou hugies einai.
Sokrates: Wenn das nur nicht
etwa zu wenig ist, daß es uns noch eben richtig dünkte,
sondern es uns auch jetzt und hernach
so dünken muß, wofern etwas Gesundes daran sein soll.
[89d] MEN.
ti oun dê; pros ti blepôn duscheraineis
auto
kai apisteis
mê ouk epistêmê êi ê aretê?
Menon: Was nun wieder? Was
hast du vor Augen, weshalb es (d) dir nicht mehr recht ist
und du bezweifelst, ob die Tugend
Erkenntnis ist?
SÔ.
egô soi erô, ô Menôn.
to men gar
didakton auto einai, eiper epistêmê estin, ouk anatithemai
mê ou kalôs legesthai:
hoti de ouk
estin epistêmê, skepsai ean soi dokô eikotôs apistein.
tode gar moi eipe:
ei estin didakton hotioun pragma, mê monon aretê,
ouk anankaion
autou kai didaskalous kai mathêtas einai?
Sokrates: Das will ich dir
sagen, Menon.
Daß die Tugend lehrbar ist,
wenn sie Erkenntnis ist, das nehme ich nicht zurück, als wäre
es nicht richtig gesagt;
daß sie aber Erkenntnis ist,
sieh zu, ob ich dir scheine, dies mit Recht zu bezweifeln.
Nämlich sage mir nur dieses, wenn
irgendeine Sache lehrbar ist, nicht nur die Tugend,
muß es dann nicht auch Lehrer
darin geben und Schüler?
MEN.
emoige dokei.
Menon: Das denke ich wohl.
[89e] SÔ.
oukoun tounantion au, ou mête didaskaloi mête
mathêtai eien,
kalôs
an auto eikazontes eikazoimen mê didakton einai?
(e) Sokrates: Und
im Gegenteil, wovon es weder Lehrer noch Schüler gibt,
würden wir davon nicht ganz
recht vermuten, wenn wir vermuteten, es sei auch nicht lehrbar?
MEN.
esti tauta: all' aretês didaskaloi ou dokousi
soi einai?
Menon: Das ist wohl richtig.
Aber dünkt dich, es gäbe keine Lehrer der Tugend?
SÔ.
pollakis goun zêtôn ei tines eien autês
didaskaloi,
panta poiôn
ou dunamai heurein,
kaitoi meta
pollôn ge zêtô,
kai toutôn
malista hous an oiômai empeirotatous einai tou pragmatos.
Sokrates: Oftmals schon habe
ich gesucht, ob es Lehrer derselben gäbe,
und habe alles mögliche getan
und kann sie nicht finden,
wiewohl ich sie mit vielen gemeinschaftlich
suche,
und zwar mit solchen vorzüglich,
von denen ich glaube, daß sie am erfahrensten sind in der Sache.
kai dê
kai nun, ô Menôn, eis kalon hêmin Anutos ode parekathezeto,
hôi
metadômen tês zêtêseôs.
[90a] eikotôs
d' an metadoimen:
So sitzt auch jetzt,. Menon, wohl
ganz zur gelegenen Zeit dieser Anytos hier bei uns,
dem wir Anteil geben wollen an unserer
Untersuchung.
Und wohl mit Recht können wir ihn
mit dazuziehen. (90 a)
Anutos gar
hode prôton men esti patros plousiou te kai sophou Anthemiônos,
hos egeneto
plousios ouk apo tou automatou oude dontos tinos,
hôsper
ho nun neôsti eilêphôs ta Polukratous chrêmata
Ismênias ho Thêbaios,
alla têi
autou sophiai ktêsamenos kai epimeleiai,
epeita kai ta
alla ouch huperêphanos dokôn einai politês oude onkôdês
te kai epachthês,
alla kosmios
kai eustalês [90b] anêr.
Denn zuerst hat er selbst einen
reichen und verständigen Vater, des Anthemion,
welcher reich geworden ist nicht
von ungefähr oder durch ein Geschenk,
wie der Thebaner Ismenias, der erst
neulich die Schätze des Polykrates bekommen hat;
sondern durch eignen Verstand und Sorgfalt
hat er ihn erworben.
So auch im übrigen steht er nicht
im Ruf, ein hochmütiger Bürger zu sein, aufgeblasen und gehässig,
sondern in dem eines sittsamen und
stattlichen (b) Mannes.
epeita touton
eu ethrepsen kai epaideusen, hôs dokei Athênaiôn tôi
plêthei:
hairountai
goun auton epi tas megistas archas.
dikaion dê
meta toioutôn zêtein aretês peri didaskalous,
Nächstdem hat er auch diesen
sehr wohl erzogen und gebildet, wie das athenische Volk glaubt;
sie wählen ihn ja wenigstens
zu den größten Würden.
Billig also ist es, gerade mit solchen
die Untersuchung anzustellen über die Lehrer der Tugend,
ob es welche gibt oder nicht und
wer sie sind.
[27.
Notwendigkeit, in der Medizin etc. zu den professionellen Lehrern zu gehen]
kai hoitines.
su oun hêmin, ô Anute, suzêtêson, emoi te kai tôi
sautou xenôi Menôni tôide,
peri toutou
tou pragmatos tines an eien didaskaloi.
hôde de
skepsai:
ei bouloimetha
Menôn ha tonde agathon iatron [90c]
genesthai,
para tinas
an auton pempoimen didaskalous; ar' ou para tous iatrous?
Untersuche also mit uns, Anytos,
mit mir und hier deinem Gastfreund Menon,
was für Lehrer es wohl für
diese Sache geben mag.
Erwäge es aber so.
Wenn wir wollten, dieser Menon (c)
sollte ein guter Arzt werden,
zu was für Lehrern möchten
wir ihn wohl schicken? Nicht zu den Ärzten?
AN:
panu ge.
Anytos: Freilich.
SÔ.
ti d' ei skutotomon agathon bouloimetha genesthai,
ar' ou para
tous skutotomous?
Sokrates: Und wollten wir,
er solle ein guter Schuhmacher werden,
nicht dann zu den Schuhmachern?
AN:
nai.
Anytos: Ja.
SÔ.
kai talla houtôs;
Sokrates: Und ebenso im übrigen?
AN:
panu ge.
Anytos: Freilich.
SÔ.
hôde dê moi palin peri tôn autôn
eipe.
para tous
iatrous, phamen, pempontes tonde kalôs an epempomen,
boulomenoi
iatron genesthai:
ar' hotan touto
legômen, tode [90d] legomen, hoti para
toutous pempontes auton
sôphronoimen
an, tous antipoioumenous te tês technês mallon ê tous
mê,
kai tous misthon
prattomenous ep' autôi toutôi,
apophênantas
autous didaskalous tou boulomenou ienai te kai manthanein?
ar' ou pros tauta
blepsantes kalôs an pempoimen?
Sokrates: Auch das sage mir
noch hierüber.
Wir sagen, wir würden recht
daran tun, ihn zu Ärzten zu schicken,
wenn wir wollten, er solle ein Arzt
werden.
Wenn wir dies sagen, meinen wir, es
sei (d) doch verständiger gehandelt,
ihn zu denen zu schicken, welche
diese Kunst betreiben, als zu denen, die es nicht tun?
Und zu denen, die eben hierfür
Bezahlung nehmen
und sich ankündigen als Lehrer
einem jeden, der kommen und lernen will?
Nicht wahr, deshalb würden wir
gut tun, ihn hinzuschicken.
AN: nai.
Anytos: Ja.
SÔ.
oukoun kai peri aulêseôs kai tôn
allôn ta auta [90e] tauta?
pollê
anoia esti boulomenous aulêtên tina poiêsai
para men tous
hupischnoumenous didaxein tên technên kai misthon prattomenous
allois de tisin
pragmata parechein, zêtounta manthanein para toutôn,
hoi mête
prospoiountai didaskaloi einai
mêt'
estin autôn mathêtês mêdeis toutou tou mathêmatos
ho hêmeis
axioumen manthanein par' autôn hon an pempômen.
ou pollê
soi dokei alogia einai?
Sokrates: Wird es nun nicht
mit dem Flötenspiel und allem anderen (e) ebenso sein,
daß es großer Unverstand
wäre, wenn man einen zum Flötenspieler machen wollte,
ihn doch zu denen, welche die Kunst
zu lehren versprechen und sich dafür bezahlen lassen,
nicht schicken zu wollen,
sondern irgend anderen beschwerlich
zu fallen und bei denen Unterricht zu suchen,
welche sich weder für Lehrer
ausgeben
noch irgend Schüler haben in
der Kunst,
worin wir den gern unterrichten
ließen, den wir zu ihnen schicken?
Dünkt dich das nicht großer
Unverstand zu sein?
AN:
nai ma Dia emoige, kai amathia ge pros.
Anytos: Beim Zeus, mir gewiß,
und große Ungeschicklichkeit dazu.
[28.
Protest des Anytos gegen die professionellen
Lehrer der Tugend, die Sophisten]
SÔ.
kalôs legeis.
nun toinun
exesti se met' emou [91a] koinêi
bouleuesthai peri tou xenou toutoui Menônos.
houtos gar, ô
Anute, palai legei pros me hoti epithumei tautês tês sophias
kai aretês
hêi
hoi anthrôpoi tas te oikias kai tas poleis kalôs dioikousi,
kai tous goneas
tous autôn therapeuousi,
kai politas
kai xenous hupodexasthai te kai apopempsai epistantai
Sokrates: Wohl gesprochen,
und nun kannst du gemeinschaftlich
(91a) mit mir Rat pflegen über diesen unsern Gastfreund Menon.
Denn dieser,o Anytos, sagt schon lange
zu mir, es verlange ihn nach derjenigen Weisheit und Tugend,
vermöge der die Menschen ihr
Hauswesen und ihren Staat gut verwalten,
ihre Eltern und Verwandten pflegen
und Bürger und Freunde aufzunehmen
und zu entlassen wissen,
wie es eines rechtlichen Mannes
würdig ist.
tautên
oun tên [91b] aretên skopei para
tinas an pempontes auton orthôs pempoimen.
ê dêlon
dê kata ton arti logon hoti para toutous
tous upischnoumenous
aretês didaskalous einai
kai apophênantas
autous koinous tôn Ellênôn tôi boulomenôi
manthanein,
misthon toutou
taxamenous te kai prattomenous?
Überlege dir also, zu wem wir
ihn dieser (b) Tugend wegen am besten hinschicken.
Oder offenbar ja nach der vorigen
Rede zu denen,
welche sich für Lehrer der
Tugend ausgeben
und sich allen Hellenen insgemein
dazu anbieten, wer nur lernen will,
auch Bezahlung dafür festsetzen
und annehmen?
AN:
kai tinas legeis toutous, ô Sôkrates?
Anytos: Und was für
welche meinst du denn hierunter, Sokrates?
SÔ.
oistha dêpou kai su hoti houtoi eisin hous
hoi anthrôpoi kalousi sophistas.
Sokrates: Du weißt
es ja wohl auch, daß es die sind, welche man Sophisten nennt.
[91c] AN:
hêrakleis, euphêmei, ô Sôkrates.
mêdena
tôn g' emôn mête oikeiôn mête philôn,
mête aston mête xenon,
toiautê
mania laboi, hôste para toutous elthonta lôbêthênai,
epei houtoi
ge phanera esti lôbê te kai diaphthora tôn sungignomenôn.
Anytos: Beim Herakles, Sokrates,
sprich besser.
Daß doch keinen Verwandten
oder Angehörigen und Freund unter den Einheimischen oder Fremden
solche Raserei ergriffe, zu diesen
zu gehen und sich zu verderben.
Denn diese sind doch das offenbare
Verderben und Unglück derer, die mit ihnen umgehen.
[29.
Verwunderung des Sokrates über die behauptete Untauglichkeit der Sophisten]
SÔ.
pôs legeis, ô Anute;
houtoi ara
monoi tôn antipoioumen ti epistasthai euergetein
tosouton tôn
allôn diapherousin,
hoson ou monon
ouk ôphelousin, hôsper hoi alloi, hoti an tis autois paradôi,
alla kai to
enantion diaphtheirousin?
[91d] kai
toutôn phanerôs chrêmata axiousi prattesthai?
Sokrates: Wie meinst du das,
Anytos?
Diese allein unter allen denen,
welche sich dafür ausgeben, etwas Gutes erzeigen zu können,
sollten so weit von allen übrigen
verschieden sein,
daß sie nicht nur dem keinen Vorteil,
wie doch die andern, bringen, was ihnen einer übergibt,
sondern es ganz im Gegenteil verderben
und sich dafür (d) doch
ohne Hehl Geld geben lassen?
egô
men oun ouk echô hopôs soi pisteusô:
oida gar andra
hena Prôtagoran
pleiô
chrêmata ktêsamenon apo tautês tês sophias ê
Pheidian te,
hos houtô
periphanôs kala erga êrgazeto,
kai allous deka
tôn andriantopoiôn.
Das weiß ich meines Teils
nicht, wie ich es dir glauben soll.
Denn ich weiß, daß der
einzige Protagoras
mit dieser Weisheit mehr Geld erworben
hat als Pheidias,
der doch so ausgezeichnet schöne
Werke verfertigte,
und noch zehn andere Bildhauer dazu.
kaitoi teras
legeis
ei hoi men
ta hupodêmata ergazomenoi ta palaia kai ta himatia exakoumenoi
ouk an dunainto
lathein triakonth' [91e] hêmeras
mochthêrotera
apodidontes ê parelabon ta himatia te kai hupodêmata,
all' ei toiauta
poioien, tachu an tôi limôi apothanoien,
Prôtagoras
de ara holên tên Hellada elanthanen
diaphtheirôn
tous sungignomenous kai mochthêroterous apopempôn ê parelambanen
pleon ê
tettarakonta etê –
Und wunderbar wäre doch, was
du sagst,
wenn von Schuhflickern und denen,
die Kleider ausbessern,
nicht einen Monat lang verborgen
bleiben könnte,
wenn sie Schuhe und Kleider (e)
schlechter zurückgäben, als sie sie empfangen haben,
sondern diese, wenn sie es so machten,
gewiß bald Hungers sterben müßten,
vom Protagoras aber ganz Griechenland
nicht gemerkt hätte,
daß er seine Schüler
verderbte und sie schlechter wegschickte, als er sie empfangen hatte,
und das länger als vierzig
Jahre.
– oimai
gar auton apothanein engus kai hebdomêkonta etê gegonota,
tettarakonta
de en têi technêi onta –
kai en apanti
tôi chronôi toutôi eti
eis tên hêmeran tautêni eudokimôn ouden pepautai,
kai ou monon
Prôtagoras, alla kai [92a] alloi pampolloi,
hoi men proteron
gegonotes ekeinou, hoi de kai nun eti ontes.
Denn, wie ich glaube, ist er nahe
an siebzig Jahre alt gestorben
und nachdem er vierzig Jahre seine
Kunst ausgeübt.
Und in dieser ganzen Zeit bis auf den
heutigen Tag hat er nicht aufgehört, gepriesen zu werden.
Und nicht nur Protagoras, sondern
noch gar viele andere,
teils ältere, teils noch (92
a) jetzt lebende.
poteron dê
oun phômen kata ton son logon
eidotas autous
exapatan kai lôbasthai tous neous,
ê lelêthenai
kai heautous?
kai out1o mainesthai
axiôsomen toutous,
hous enioi
phasi sophôtatous anthrôpôn einai?
Sollen wir nun sagen nach deiner
Meinung,
daß diese wissentlich die
Jünglinge hintergehen und verstümmeln,
oder auch ohne es selbst zu wissen?
Und so töricht sollen wir glauben,
daß diejenigen sind,
welche von einigen für die
weisesten unter den Menschen angesehen werden?
[30.
Unbekanntschaft des Anytos mit den Sophisten]
AN:
pollou ge deousi mainesthai, ô Sôkrates,
alla polu
mallon hoi toutois didontes argurion tôn neôn,
toutôn
[92b] d' eti mallon hoi toutois epitrepontes, hoi
proshêkontes,
polu de malista
pantôn ai poleis, eôsai autous eisaphikneisthai
kai ouk exelaunousai,
eite tis xenos
epicheirei toiouton ti poiein eite astos.
Anytos: Weit gefehlt, daß
diese töricht wären, Sokrates;
sondern nur die Jünglinge,
welche ihnen Geld geben,
und noch mehr als diese (b)
ihre Angehörigen, die es ihnen gestatten.
Am allermeisten aber unter allen
die Städte, welche sie hereinkommen lassen
und nicht vielmehr jeden austreiben,
welcher dergleichen zu tun unternimmt,
mag es ein Fremder sein oder ein Bürger.
SÔ.
poteron de, ô Anute, êdikêke tis
se tôn sophistôn,
ê ti
houtôs autois chalepos ei?
Sokrates: Hat dir etwa einer
von den Sophisten etwas zuleide getan, Anytos?
Oder weshalb bist du ihnen so böse?
AN:
oude ma Dia egôge sungegona pôpote autôn
oudeni,
oud' an allon
easaimi tôn emôn oudena.
Anytos: Nein, beim Zeus,
ich habe mich auch niemals mit irgendeinem von ihnen eingelassen
und wollte es auch keinem von den
Meinigen gestatten.
SÔ.
apeiros ar' ei pantapasi tôn andrôn;
Sokrates: Du bist also ganz
und gar unbekannt mit den Männem?
AN:
kai eiên ge.
Anytos: Und wünsche
es auch zu bleiben.
[92c] SÔ.
pôs oun an, ô daimonie, eideiês
peri toutou tou pragmatos,
eite ti agathon
echei en autôi eite phlauron,
ou pantapasin
apeiros eiês?
(c) Sokrates: Wie
kannst du denn aber, du Wunderlicher, von dieser Sache wissen,
ob sie etwas Gutes an sich hat oder
nur Schlechtes,
wenn du ganz unbekannt damit bist?
AN:
raidiôs: toutous goun oida hoi eisin,
eit' oun apeiros
autôn eimi eite mê.
Anytos: Gar leicht. Diese
kenne ich ja doch wohl, was für Menschen sie sind,
mag ich auch selbst mit ihnen unbekannt
sein oder nicht.
SÔ.
mantis ei isôs, ô Anute:
epei hopôs
ge allôs oistha toutôn peri, ex hôn autos legeis thaumazoim'
an.
alla gar ou
toutous epizêtoumen tines eisin,
par' hous
an [92d] Menôn aphikomenos mochthêros
genoito
– houtoi
men gar, ei su boulei, estôn hoi sophistai –
Sokrates: Du bist eben vielleicht
ein Wahrsager, Anytos.
Denn wie du sonst etwas über
diese wissen kannst, nach dem, was du selbst sagst, begreife ich nicht.
Allein wir fragten ja gar nicht
danach, wer diejenigen wären,
durch die Menon, wenn er zu ihnen
ginge, (d) schlecht werden würde.
Denn dies, wenn du willst, sollen
die Sophisten sein.
alla dê
ekeinous eipe hêmin, kai ton patrikon tonde hetairon euergetêson
phrasas autôi
para tinas aphikomenos en tosautêi polei
tên
aretên hên nundê egô diêlthon genoit' an
axios logou.
Sondern jene nenne uns, und mache
dich um diesen deinen väterlichen Gastfreund verdient
durch Bezeichnung derer, zu welchen
er gehen muß in dieser großen Stadt,
um in der Tugend, welche ich eben
beschrieb, etwas Würdiges zu leisten.
AN:
ti de autôi ou su ephrasas?
Anytos: Warum hast du sie
ihm denn nicht bezeichnet?
SÔ.
all' hous men egô ôimên
didaskalous toutôn einai, eipon,
alla tunchanô
ouden legôn, hôs su phêis: kai isôs
ti [92e] legeis.
alla su dê
en tôi merei autôi eipe para tinas elthêi
Athênaiôn:
Sokrates: Die ich für
Lehrer hierin hielt, habe ich genannt;
aber es war nichts gesagt, wie du
behauptetest, und darin hast du vielleicht (e) recht.
Nun sage du ihm aber doch deinerseits,
zu welchem unter den Athenern er gehen soll.
Nenne ihm irgendeinen Namen, welchen
du willst!
[31.
Behauptung des Anytos, daß alle Athener besser erziehen als die Sophisten]
AN:
ti de henos anthrôpou onoma dei akousai;
hotôi
gar an entucêi Athênaiôn tôn kalôn
k'agathôn,
oudeis estin
hos ou beltiô auton poiêsei ê hoi sophistai, eanper ethelêi
peithesthai.
Anytos: Was braucht er dazu
den Namen eines einzelnen Menschen zu hören!
Denn auf welchen guten und rechtschaffenen
Athener er auch treffe,
da ist wohl keiner, der ihn nicht
besser machen sollte als die Sophisten, wenn er ihm nur folgen will.
SÔ.
poteron de houtoi hoi kaloi k'agathoi apo tou automatou
egenonto toioutoi,
par' oudenos
mathontes
homôs
mentoi allous didaskein hoioi te ontes tauta
ha autoi ouk
[93a] emathon?
Sokrates: Sind denn aber
diese guten und rechtschaffenen es von selbst so geworden,
ohne bei jemand gelernt zu haben:
und doch imstande, andern dasjenige
zu lehren,
was sie selbst nicht (93 a) gelernt
haben?
AN:
kai toutous egôge axiô para tôn
proterôn mathein, ontôn kalôn k'agathôn:
ê ou
dokousi soi polloi kai agathoi gegonenai en têide têi
polei andres?
Anytos: Auch sie, denke ich,
haben es von den Früheren gelernt, die auch gut und rechtschaffen
waren.
Oder meinst du nicht, daß
es viele rechtschaffene Männer gegeben hat in dieser Stadt?
SÔ.
emoige, ô Anute, kai einai dokousin enthade
agathoi ta politika,
kai gegonenai
eti ouch hêtton ê einai:
alla môn
kai didaskaloi agathoi gegonasin tês autôn aretês?
Sokrates: Ich meinesteils
glaube, daß es hier noch jetzt solche sind in bürgerlichen Dingen,
und ehedem nicht minder gegeben
hat als jetzt:
sind sie aber etwa auch gute und tüchtige
Lehrer gewesen in dieser ihrer Tugend?
touto gar
estin peri hou ho logos hêmin tugchanei ôn:
ouk ei eisin
agathoi ê mê andres enthade, oud' ei gegonasin en tôi
[93b] prosthen,
all' ei didakton
estin aretê palai skopoumen.
Denn das ist es ja eben, wovon jetzt
unter uns die Rede ist;
nicht, ob es hier rechtschaffene
Männer gibt oder nicht, noch ob es deren (b) vorher gegeben
hat,
sondern ob die Tugend lehrbar ist,
das untersuchen wir schon so lange.
touto de skopountes
tode skopoumen,
ara hoi agathoi
andres kai tôn nun kai tôn proterôn tautên tên
aretên
hên
autoi agathoi êsan
êpistanto
kai allôi paradounai,
ê ou
paradoton touto anthrôpôi oude paralêpton
allôi par' allou:
Und bei dieser Untersuchung untersuchen
wir nun auch dieses,
ob die rechtschaffenen Männer
von jetzt und von ehedem diese Tugend,
in welcher sie sich selbst auszeichneten,
auch anderen mitzuteilen wußten;
oder ob dies nicht mitteilbar ist
und nicht übertragbar von einem auf den anderen.
tout' estin
ho palai zêtoumen egô te kai Menôn.
Das ist es, wonach wir schon so
lange fragen, ich und Menon.
[32.
Lehrfähigkeit des Themistokles?]
hôde
oun skopei ek tou sautou logou:
Themistoklea
ouk agathon an [93c] phaiês andra gegonenai?
Und dies erwäge du nun nach
deiner eigenen Rede so.
Würdest du nicht vom Themistokles
sagen, er sei ein tüchtiger Mann gewesen?
AN:
egôge, pantôn ge malista.
Anytos: Ganz vorzüglich.
SÔ.
oukoun kai didaskalon agathon,
eiper tis
allos tês autou aretês didaskalos ên,
Sokrates: Also auch ein tüchtiger
Lehrer,
wenn irgendein anderer ein Lehrer
in seiner eigenen Tugend war,
AN:
oimai egôge, eiper ebouleto ge.
Anytos: Das glaube ich allerdings,
wenn er gewollt hätte.
SÔ.
all', oiei, ouk an eboulêthê
allous te
tinas kalous k'agathous genesthai, malista de pou ton huon ton autou?
ê oiei auton
phthonein autôi kai exepitêdes ou paradidonai
[93d] tên aretên
Sokrates: Aber meinst du
etwa, er habe nicht gewollt,
daß auch andere gut und rechtschaffen
werden sollten, vorzüglich sein eigener Sohn?
Oder meinst du, er habe es ihm mißgönnt
und ihm absichtlich die Tugend nicht mitgeteilt,
in welcher er selbst vollkommen
war?
ê ouk
akêkoas
hoti Themistoklês
Kleophanton ton huon hippea men edidaxato agathon;
epemenen goun
epi tôn hippôn orthos estêkôs, kai êkontizen
apo tôn hippôn orthos,
kai alla polla
kai thaumasta êrgazeto
ha ekeinos
auton epaideusato kai epoiêse sophon,
hosa didaskalôn
agathôn eicheto:
ê tauta
ouk akêkoas tôn presbuterôn?
Und hast du nicht gehört,
daß Themistokles seinen Sohn
Kleophantos gar trefflich im Reiten unterrichten ließ,
sodaß er aufrecht auf dem
Pferde stehen und so stehend auch vom Pferde herab schießen
und sonst viel wunderbar Künstliches
machen konnte,
worin jener ihn unterrichten und
vollkommen machen ließ,
soweit es nur irgend von guten Lehrern
abhing.
Oder hast du dies nicht gehört
von den Älteren?
AN:
akêkoa.
Anytos: Ich habe es gehört.
SÔ.
ouk an ara tên ge phusin tou hueos autou êitiasat'
an tis einai kakên.
Sokrates: Also kann wohl
niemand der Natur seines Sohnes schuldgeben, daß sie untauglich gewesen
wäre.
[93e] AN:
isôs ouk an.
Anytos: Vielleicht wohl nicht.
SÔ.
ti de tode; hôs Kleophantos ho Themistokleous
anêr
agathos kai sophos egeneto haper ho patêr autou,
êdê
tou akêkoas ê neôterou ê presbuterou?
Sokrates: Und wie nun? Daß
Kleophantos, der Sohn des Themistokles,
ein tüchtiger und weiser Mann
geworden wäre darin, worin sein Vater es war,
hast du das je von irgend jemand,
jung oder alt, gehört?
AN:
ou dêta.
Anytos: Freilich nicht.
SÔ.
ar' oun tauta men oiometha boulesthai auton ton autou
huon paideusai,
hên
de autos sophian ên sophos, ouden tôn geitonôn beltiô
poiêsai,
eiper ên
ge didakton hê aretê?
Sokrates: Sollen wir also
glauben, er habe in jenen Dingen zwar seinen Sohn unterrichten wollen,
in der Weisheit aber, die er selbst
besaß, ihn um nichts besser machen als einen seiner Nachbarn,
wenn doch die Tugend lehrbar wäre?
AN:
isôs ma Di' ou.
Anytos: Nicht füglich,
beim Zeus.
[33.
Aristeides, Perikles und Thukydides als
Erzieher?]
SÔ.
houtos men dê soi toioutos didaskalos aretês,
hon kai su
homologeis en tois ariston tôn proterôn einai:
Sokrates: Ein solcher Lehrer
in der Tugend ist also dieser,
von dem du doch gestehst, daß
er zu den trefflichsten der älteren Zeit (94 a) gehöre!
allon
[94a] de dê skepsômetha, Aristeidên
ton Lusimachou:
ê touton
ouch homologeis agathon gegonenai?
Laß uns noch einen andern
betrachten, Aristeides, den Sohn es Lysimachos.
Oder stimmst du nicht darin bei,
daß dieser rechtschaffen gewesen?
AN:
egôge, pantôs dêpou.
Anytos: Ich auf alle Weise.
SÔ.
oukoun kai houtos ton huon ton autou Lusimachon,
hosa men didaskalôn
eicheto, kallista Athênaiôn epaideuse,
andra de beltiô
dokei soi hotououn pepoiêkenai?
toutôi
gar pou kai sungegonas kai horais hoios estin.
Sokrates: Ließ nun
nicht auch dieser seinen Sohn Lysimachos
in allem, wobei es nur auf Lehrer
ankam, ganz vorzüglich unter allen Athenern unterrichten:
aber dünkt dich, er habe ihn zu
einem besseren Manne als irgendeinen gemacht?
Denn mit diesem bist du wohl selbst
umgegangen und siehst, was für einer er ist.
ei de boulei,
[94b] Periklea, houtôs megaloprepôs sophon
andra,
hoisth' hoti
duo hueis ethrepse, Paralon kai Xanthippon?
Willst du den Perikles, diesen so
herrlich weisen Mann,
so weißt du ja, daß
er zwei Söhne erzogen hat, den Paralos und Xanthippos.
AN:
egôge.
Anytos: Das weiß ich.
SÔ.
toutous mentoi, hôs oistha kai su,
hippeas men
edidaxen oudenos cheirous Athênaiôn,
kai mousikên
kai agônian kai t'alla epaideusen hosa technês echetai oudenos
cheirous:
agathous de
ara andras ouk ebouleto poiêsai?
dokô men,
ebouleto, alla mê ouk êi didakton.
Sokrates: Diese nun hat er,
wie auch du weißt,
im Reiten unterrichten lassen nicht
schlechter als irgendein Athener,
und die Tonkunst und die Leibesübungen
und was nur Kunst ist, ließ er sie lehren nicht schlechter als einer;
aber zu tüchtigen Männern
wollte er sie etwa nicht machen?
Ich denke wohl, er wollte; aber das
läßt sich vielleicht nicht lehren!
hina de mê
oligous oiêi
kai tous phaulotatous
Athênaiôn adunatous gegonenai touto [94c]
to pragma,
enthumêthêti
hoti Thoukudidês au duo hueis eqrepsen, Melêsian kai Stephanon,
kai toutous
epaideusen ta te alla eu kai epalaisan kallista Athênaiôn
– ton
men gar Xanthiai edôke, ton de Eudôrôi
houtoi de
pou edokoun tôn tote kallista palaiein –
ê ou memnêsai?
Und damit du nicht glaubst,
nur wenige und etwa die schlechtesten
unter den Athenern wären unvermögend (c) gewesen hierzu:
so erinnere dich, daß Thukydides
eben auch zwei Söhne erzogen hat, den Melesias und Stephanos,
und auch diese übrigens gut
unterrichtet, daß sie namentlich die besten Ringer waren in Athen.
Denn den einen übergab er dem
Xanthias; den andern dem Eudoros,
welche damals für die vortrefflichsten
Ringer galten.
Oder erinnerst du dich dessen nicht?
AN:
egôge, akoêi.
Anytos: Gar wohl, vom Hörensagen.
[34.
Schluß: Die Tugend nicht lehrbar.
Drohung des Anytos]
SÔ.
oukoun dêlon hoti houtos ouk an pote,
hou men edei
[94d] dapanômenon didaskein, tauta men edidaxe
tous paidas tous autou,
hou de ouden edei
analôsanta agathous andras poiêsai,
tauta de ouk
edidaxen, ei didakton ên?
Sokrates: Ist nun nicht offenbar,
daß dieser gewiß nicht seinen (d) Söhnen nur darin,
worin der Unterricht Aufwand erforderte,
würde Lehrer gehalten haben,
das aber, wozu es gar keines Aufwandes
bedurfte, sie zu tüchtigen Männern zu machen,
gerade dieses sie nicht würde
gelehrt haben, wenn es lehrbar wäre?
alla gar isôs
ho Thoukudidês phaulos ên,
kai ouk êsan
autôi pleistoi philoi Athênaiôn kai tôn
summachôn?
Aber vielleicht war Thukydides nur
ein gemeiner Mann
und hatte etwa nicht viel Freunde
unter den Athenern und Bundesgenossen.
kai oikias
megalês ên kai edunato mega en têi polei kai
en tois allois Hellêsin,
hôste
eiper ên touto didakton, exeurein an hostis emellen autou tous hueis
agathous poiêsein,
ê tôn
epichôriôn tis ê tôn [94e]
xenôn,
ei autos mê
escholazen dia tên tês poleôs epimeleian.
Wohl war er aus einem großen
Hause und vielvermögend in der Stadt und unter den anderen Hellenen;
so daß, wenn dies nur lehrbar
wäre, er gewiß, um sein Söhne tugendhaft zu machen,
einen gefunden hätte unter
den (e) Einheimischen oder Fremden,
wenn er selbst nicht Zeit hatte
wegen der Geschäfte des Staates.
alla gar,
ô hetaire Anute, mê ouk êi didakton aretê.
Aber eben, lieber Anytos, die Tugend
mag wohl nicht lehrbar sein.
AN:
ô Sôkrates, raidiôs
moi dokeis kakôs legein anthrôpous.
egô
men oun an soi sumbouleusaimi, ei etheleis emoi peithesthai, eulabeisthai:
hôs
isôs men kai en allêi polei raion estin
kakôs poiein anthrôpous ê eu,
en têide
de kai [95a] panu:
oimai de se kai
auton eidenai.
Anytos: O Sokrates, du scheinst
mir sehr leichthin schlecht von den Menschen zu reden.
Ich nun möchte dir wohl raten,
wenn du mir folgen willst, dich vorzusehen.
Denn auch anderwärts mag es
leichter sein, jemandem Böses anzutun als Gutes,
hier in dieser Stadt (95 a)
ist es gar vorzüglich leicht.
Und ich denke, daß du das auch
selbst weißt.