Hans Zimmermann : 12 KÖRBE: Quellen
zum Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike und des Mittelalters
: Platon : Politeia 6,506
a bis 7,519 d
Platon
Sonnengleichnis,
Linien-Analogie und Höhlengleichnis
Politeia 506 a
(Ende Buch 6) bis 519 d (Anfang Buch 7)
griechischer Text (transliteriert, nach J.
Burnet 1902)
und Übersetzung ins Deutsche von F. Schleiermacher
(1804-1810)
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Merke also, sprach ich, wie wir sagen, daß diese zwei sind und daß
sie herrschen,
das eine über das denkbare Geschlecht und Gebiet, das andere über
das sichtbare,
damit du nicht, wenn ich sage "über den Himmel", meinst, ich wolle
in Worten spielen.
Also diese beiden Arten hast du nun, das Denkbare und das Sichtbare.
Die habe ich.
Wie nun von einer zweigeteilten Linie die ungleichen Teile,
so teile wiederum jeden Teil nach demselben Verhältnis, das Geschlecht
des Sichtbaren und das des Denkbaren:
so gibt dir vermöge des Verhältnisses von Deutlichkeit und
Unbestimmtheit in dem Sichtbaren der eine Abschnitt Bilder.
Ich nenne aber Bilder zuerst die Schatten, dann die Erscheinungen im
Wasser
und die sich auf allen dichten, glatten und glänzenden Flächen
finden, und alles dergleichen, wenn du es verstehst
Ich verstehe es.
Und als den. andern Abschnitt setze das, dem diese gleichen,
nämlich die Tiere bei uns und das gesamte Gewächsreich und
alle Arten des künstlich Gearbeiteten.
Das setze ich, sagte er.
Wirst du auch von ihm behaupten wollen, sprach ich, daß es in bezug
auf Wahrheit und Unwahrheit geteilt wurde,
so daß wie das Vorstellbare zu dem Erkennbaren,
so sich das Nachgebildete zu dem verhält, welchem es nachgebildet
ist?
Das möchte ich gar sehr, sagte er.
So betrachte nun auch die Teilung des Denkbaren, wie dies zu teilen ist.
Wonach also?
Sofern den einen Teil die Seele genötigt ist, indem sie die nachgeahmten
Erscheinungen des vorigen Abschnitts
als Bilder gebraucht, zu suchen von Voraussetzungen aus,
nicht zum Anfange zurückschreitend, sondern nach dem Ende hin,
den andern hingegen zwar auch von Voraussetzungen her,
aber zu dem keiner Voraussetzung weiter bedürfenden Anfang hingehend,
und indem sie ohne die bei jenem angewendeten Bilder mit den Begriffen
selbst verfährt.
Dieses, sagte er, was du da erklärst, habe ich nicht gehörig
verstanden.
Hernach aber, sprach ich; denn wenn folgendes noch vorangeschickt ist,
wirst du es leichter verstehen.
Denn ich denke, du weißt, daß die, welche sich. mit der
Meßkunst und den Rechnungen und dergleichen abgeben,
das Gerade und Ungerade und die Gestalten und die drei Arten der Winkel
und was dem sonst verwandt ist in jeder Verfahrensart voraussetzend,
nachdem sie dies als wissend zugrunde gelegt,
keine Rechenschaft weiter darüber weder sich noch andern geben
zu müssen glauben, als sei dies schon allen deutlich,
sondern hiervon beginnend gleich das Weitere ausführen
und dann folgerechterweise bei dem anlangen, auf dessen Untersuchung
sie ausgegangen waren.
Allerdings, sagte er, dies ja weiß ich.
Auch daß sie sich der sichtbaren Gestalten bedienen und immer auf
diese ihre Reden beziehen,
unerachtet sie nicht von diesen handeln, sondern von jenem, dem diese
gleichen,
und um des Vierecks selbst willen und seiner Diagonale ihre Beweise
führen,
nicht um dessen willen, welches sie zeichnen,
und so auch sonst überall: dasjenige selbst, was sie nachbilden
und abzeichnen,
wovon es auch Schatten und Bilder im Wasser gibt, dessen bedienen sie
sich zwar als Bilder,
sie suchen aber immer jenes selbst zu erkennen, was man nicht anders
sehen kann als mit dem Verständnis.
Du hast recht, sagte er.
Diese Gattung also, sagte ich, sei allerdings auch Erkennbares,
die Seele aber sei genötigt, bei der Untersuchung derselben sich
der Voraussetzungen zu bedienen,
indem sie nicht zum Anfang zurückgeht, weil sie nämlich über
die Voraussetzungen hinauf nicht steigen kann,
sondern sich gerade dessen als Bilder bedient, was von den unteren
Dingen dargestellt wird,
und außerdem jener Dinge, die im Vergleich mit jenen ihren Abbildungen
als hell und klar verherrlicht
und in Ehren gehalten werden.
Ich verstehe, sagte er, daß du meinst, was zur Geometrie und den
ihr verwandten Künsten gehört.
So verstehe auch, daß ich unter dem andern Teil des Denkbaren dasjenige
meine,
was die Vernunft selbst ergreift mittels des dialektischen Vermögens,
indem sie die Voraussetzungen nicht zu Anfängen, sondern wahrhaft
zu Voraussetzungen macht,
gleichsam als Zugang und Anlauf,
damit sie, bis zum Nichtvoraussetzungshaften an den Anfang von allem
gelangend diesen ergreife,
und so wiederum, sich an alles haltend, was mit jenem zusamrnenhängt,
zum Ende hinabsteige,
ohne sich überhaupt irgendeines sinnlich Wahrnehmbaren zu bedienen,
sondern nur der Ideen selbst an und für sich,
und so bei Ideen endigt.
Ich verstehe, sagte er, zwar noch nicht genau, denn du scheinst mir gar
Beträchtliches zu sagen,
doch aber, daß du bestimmen willst,
was vermittels der dialektischen Wissenschaft von dem Seienden und
Denkbaren geschaut werde, sei deutlicher
als was von den gewöhnlich so genannten Wissenschaften, denen
die Voraussetzungen Anfänge sind.
Und mit dem Verstande zwar und nicht mit den Sinnen müssen die
Betrachtenden ihre Gegenstände betrachten,
weil sie aber ihre Betrachtung nicht so anstellen, daß sie bis
zu d den Anfängen zurückgehen,
sondern nur von den Annahmen aus: so scheinen sie dir keine Vernunfterkenntnis
davon zu haben,
obgleich, ginge man vom Anfange aus, sie ebenfalls erkennbar wären.
Verstand aber scheinst du mir die Fertigkeit der Meßkünstler
und was dem ahnlich ist zu nennen,
als etwas zwischen der bloßen Vorstellung und der Vernunfterkenntuis
zwischeninne Liegendes.
Vollkommen richtig, sprach ich, hast du es aufgefaßt!
Und nun nimm mir auch die diesen vier Teilen zugehörigen Zustände
der Seele dazu,
die Vernunfteinsicht dem obersten, die Verstandesgewißheit dem
zweiten,
dem dritten aber weise den Glauben an und dem vierten die Wahrscheinlichkeit;
und ordne sie dir nach dem Verhältnis, daß,
soviel das, worauf sie sich beziehen, an der Wahrheit teilhat,
soviel auch jedem von ihnen Deutlichkeit zukomme.
Ich verstehe, sagte er, und räume es ein und ordne sie, wie du sagst.
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