Feire Fiz : Gottfried von Straßburg : Tristan XVII : Das Geständnis
Gottfried von Straßburg
 
Tristan
 
XVIIa : Das Geständnis
 
11875-12156
mittelhochdeutscher Text nach Friedrich Ranke (Berlin 1930)
Übersetzung ungeglättet "krude" dicht am Wortlaut
durch Feire Fiz 
 
Gottfried von Straßburg, Tristan:
XIV Der Splitter * XVI Der Liebestrank
XVIIa Das Geständnis * XVIIb Minne-Exkurs
 
Richard Wagner, Tristan und Isolde
 
Beginn der Verliebtheit * Minne die verwaerinne * der minnen wildenaere * lameir
offener Ausbruch der Verliebtheit * Gespräch mit Brangäne * Brangänes Rat
 
Die kiele stiezen aber an 11875 
und vuoren vrôlîche dan, 
wan alse vil daz Minne 
zwei herze dar inne 
von îr strâze haete brâht. 
diu zwei diu wâren verdâht, 11880 
bekumberet beide 
mit dem lieben leide, 
daz solhiu wunder stellet. 
daz honegende gellet, 
daz süezende siuret, 11885 
daz touwende viuret, 
daz senftende smerzet, 
daz elliu herze entherzet 
und al die werlt verkeret. 
daz haete si verseret, 11890 
Tristanden unde Îsôte. 
si twanc ein nôt genôte 
und in seltsaener ahte: 
ir dewederez enmahte 
gehaben ruowe noch gemach, 11895 
wan sô ez daz andere sach. 
sô s'aber ein ander sahen, 
daz gieng in aber nahen, 
wan si enmohten under in zwein 
ir willen niht gehaben in ein. 11900 
daz geschuof diu vremede und diu scham, 
diu in ir wunne benam. 
sô s'eteswenne tougen 
mit gelimeten ougen 
ein ander solten nemen war, 11905 
sô wart ir lîch gelîche var 
dem herzen unde dem sinne. 
 
Minne die verwaerinne 
die endûhte es niht dâ mite genuoc, 
daz man s'in edelen herzen truoc 
verholne unde tougen, 
sine wolte under ougen 
ouch offenbaeren ir gewalt. 
der was an in zwein manicvalt. 
unlange in ein ir varwe schein. 
ir varwe schein unlange in ein. 
si wehselten genôte 
bleich wider rôte; 
si wurden rôt unde bleich, 
als ez diu Minne in understreich. 
hie mite erkande ietwederez wol, 
als man an solhen dingen sol, 
daz eteswaz von minnen 
in ietwederes sinnen 
zem anderen was gewant, 
unde begunden ouch zehant 
lieplîche in ein gebâren, 
zit unde state vâren 
ir rûne unde ir maere. 
Die Schiffe stießen wieder ab 11875 
und fuhren fröhlich davon, 
nur daß jetzt die Liebe 
zwei Herzen darin 
aus der Bahn gebracht hatte. 
Die zwei, die waren versonnen, 11880 
bekümmert beide 
durch das Verliebten-Leid, 
das solche Wunder wirkt: 
den Honigseim vergällt, 
das Süße versauert, 11885 
das Tauende entzündet, 
das Sänftigende schmerzt, 
jedes Herz entherzt 
und alle Welt verkehrt. 
Das hatte sie versehrt, 11890 
Tristan und Isolde. 
Sie bezwang eine Not unablässig 
auf seltsame Weise. 
Keiner von ihnen konnte 
Ruhe oder Entspannung finden, 11895 
außer wenn sie einander sahen. 
Wenn sie sich aber sahen, 
ging ihnen das aber nahe, 
denn sie konnten miteinander 
in ihren Absichten nicht übereinkommen. 11900 
Das schuf die Fremdheit und Scham, 
die ihnen ihre Wonne benahm. 
Wenn sie gelegentlich in aller Heimlichkeit 
mit ihren geleimten Augen 
einander wahrnehmen sollten, 11905 
glich ihre Hautfarbe sich 
dem Herz und dem Sinn an. 
 
Liebe, die Malerin, 
die ließ es nicht damit genug sein, 
daß man sie in edlen Herzen trug 
verholen und heimlich; 
sie wollte unter Augen 
auch offenbaren ihre Gewalt. 
Das geschah an beiden mannigfaltig. 11915 
Nicht lange hielt sich ihrer Gesichtsfarbe Schein. 
Ihrer Gesichtsfarbe Schein hielt sich nicht lange. 
Sie wechselten unablässig 
bleich gegen rot. 
Sie wurden rot und bleich, 11920 
wie die Liebe sie färbte. 
Daran erkannte jeder von ihnen, 
wie man an solchen Dingen erkennen soll, 
daß so etwas wie Liebe 
in eines jeden Sinnen 11925 
dem anderen zugewandt war. 
Und sie begannen sogleich, 
sich verliebt zueinander zu benehmen 
und Zeit und Gelegenheit zu suchen 
für ihr Raunen und ihr Gespräch. 11930 
der minnen wildenaere 
leiten ein ander dicke 
ir netze unde ir stricke, 
ir warte unde ir lâge 
mit antwürte und mit vrâge. 
 
si triben vil maere under in. 
Îsôte rede und ir begin 
daz was vil rehte in megede wîs. 
si kam ir trût und ir amîs 
alumbe her von verren an. 
von ende mante s'in her dan, 
wie er ze Develîne 
in einem schiffelîne 
gevlozzen wunt und eine kam, 
wie in ir muoter an sich nam 
und wie s'in ouch generte. 
von allem dem geverte, 
wie si selbe in sîner pflege 
schriben lernete alle wege, 
latîne unde seitspil. 
der umberede der was vil, 
die s'ime vür ougen leite 
von sîner manheite 
und ouch von dem serpande. 
und wie s'in zwirnt erkande 
in dem mose und in dem bade. 
 
diu rede was under in gerade, 
si seite ime und er seite ir. 
»â« sprach Îsôt »dô ez sich mir 
ze alsô guoten staten getruoc, 
daz ich iuch in dem bade niht sluoc, 
got hêrre, wie gewarb ich sô! 
daz ich nu weiz, wiste ich ez dô, 
binamen sô waere ez iuwer tôt.« 
war umbe« sprach er »schoene Îsôt? 
waz wirret iu? waz wizzet ir?« 
»swaz ich weiz, daz wirret mir. 
swaz ich sihe, daz tuot mir wê. 
mich müejet himel unde sê. 
lîp unde leben daz swaeret mich.« 
 
si stiurte unde leinde sich 
mit ir ellebogen an in. 
daz was der belde ein begin. 
ir spiegelliehten ougen 
diu volleten tougen. 
ir begunde ir herze quellen, 
ir süezer munt ûf swellen, 
ir houbet daz wac allez nider. 
ir vriunt begunde ouch sî dar wider 
mit armen umbevâhen, 
ze verre noch ze nâhen, 11980 
niwan in gastes wîse.
Die Wilderer der Liebe 
legten einander oft 
ihre Netze und ihre Stricke aus, 
ihre Hinterhalte und ihre Fallen 
mit Antworten und mit Fragen. 11935 
 
Sie hatten viele Gespräche miteinander. 
Isoldes Rede und ihr Beginnen, 
das war ganz recht auf Mädchen-Weise. 
Sie kam an den ihr Vertrauten und Freund 
auf Umwegen und von ferne heran. 11940 
Sie erinnerte ihn an alles von Anfang an. 
Wie er nach Dublin 
in einem Schifflein 
verletzt und alleine getrieben kam, 
wie ihre Mutter ihn bei sich aufnahm 
und wie sie ihn dann auch heilte. 
Von all den Umständen, 
wie sie selbst in seiner Pflege 
Schreiben lernte auf alle Art, 
Latein und Saitenspiel. 
Der Umschweife, der war viel, 
die sie ihm vor Augen hielt 
von seiner männlichen Tapferkeit 
und auch von dem Drachen. 
Und wie sie ihn zweimal wiedererkannte, 11955 
in dem Moor und im Bade. 
 
Ihr Gespräch war zwischen ihnen ausgewogen, 
sie redete zu ihm und er redete zu ihr. 
»Ach«, sprach Isolde, »als es sich mir 
zu solch guter Gelegenheit entwickelte, 11960 
daß ich Euch im Bade nicht erschlug, 
Gott, Herr, wie kam das? 
Was ich nun weiß, hätte ich es damals gewußt, 
zweifellos wäre es euer Tod!« 
Er sprach: »Warum, schöne Isolde? 11965 
Was erregt Euch so? Was wißt Ihr?« 
»Was ich weiß, das erregt mich. 
Was ich sehe, das tut mir weh. 
Mich mühen Himmel und Meer. 
Leib und Leben, die bekümmern mich.« 11970 
 
Sie stützte und lehnte sich 
mit ihren Ellbogen an ihn. 
Das war der Beginn ihrer Kühnheit. 
Ihre spiegelklaren Augen 
füllten sich heimlich. 11975 
Ihr begann ihr Herz zu quellen, 
ihr süßer Mund aufzuschwellen, 
ihr Haupt, das sank ganz nach vorne. 
Ihr Freund begann ebenfalls sie 
mit Armen zu umpfangen 
weder zu weit noch zu nah, 11980 
nur so, wie es eines Fremden Weise ist. 
 
er sprach suoze unde lîse: 
»ei schoene süeze, saget mir: 
waz wirret iu, waz claget ir?« 
  
Der Minnen vederspil Îsôt, 1198S 
»lameir« sprach si »daz ist mîn nôt, 
lameir daz swaeret mir den muot, 
lameir ist, daz mir leide tuot.« 
 
dô si lameir sô dicke sprach, 
er bedâhte unde besach 11990 
anclîchen unde cleine 
des selben wortes meine. 
sus begunde er sich versinnen, 
l'ameir daz waere minnen, 
l'ameir bitter, la meir mer. 11995 
der meine der dûhte in ein her. 
er übersach der drîer ein 
unde vrâgete von den zwein. 
er versweic die minne, 
ir beider vogetinne, 12000 
ir beider trôst, ir beider ger. 
mer unde sûr beredete er. 
 
»ich waene« sprach er »schoene Îsôt, 
mer unde sûr sint iuwer nôt. 
iu smecket mer unde wint. 12005 
ich waene, iu diu zwei bitter sint?« 
 
»nein hêrre, nein! waz saget ir? 
der dewederez wirret mir, 
mirn smecket weder luft noch sê. 
lameir al eine tuot mir wê.« 12010 

dô er des wortes z'ende kam, 
minne dar inne vernam, 
er sprach vil tougenlîche z ir: 
»entriuwen, schoene, als ist ouch mir, 
lameir und ir, ir sit mîn nôt. 12015 
herzevrouwe, liebe Îsôt, 
ir eine und iuwer minne 
ir habet mir mîne sinne 
gâr verkêret unde benomen, 
ich bin ûzer wege komen 12020 
sô starke und alsô sere: 
in erhol mich niemer mêre. 
mich müejet und mich swaeret, 
mir swachet unde unmaeret 
allez, daz mîn ouge siht. 12025 
in al der werlde enist mir niht 
in mînem herzen liep wan ir.« 
Îsôt sprach: »hêrre, als sît ir mir.« 

Er sprach sanft und leise: 
»Ach, schöne Süße, sagt mir: 
Was erregt Euch, was klagt Ihr?« 
 
Der Liebe Falke, Isolde, 11985 
antwortete: »Lameir ist meine Not, 
Lameir beschwert mir das Gemüt, 
Lameir ist's, was mir Leid antut.« 
 
Als sie so häufig Lameir sagte, 
überlegte er und betrachtete 11990 
sorgfältig und genau 
eben dieses Wortes Bedeutung. 
Da begann er sich zu entsinnen, 
daß l'ameir die Liebe sei, 
l'ameir die Bittere und la meir das Meer. 11995 
An Bedeutungen bedrängte ihn ein Heer. 
Er überging die erste von den dreien 
und fragte nach den beiden anderen. 
Er verschwieg die Liebe, 
ihrer beider Patronin, 12000 
ihrer beider Trost, ihrer beider Begehren. 
Über Meer und Bitternis redete er. 
 
»Ich wähne«, sprach er, »schöne Isolde, 
Meer und Bitternis sind Eure Not. 
Ihr schmeckt Meer und der Wind. 12005 
Ich wähne, die beiden sind bitter für Euch?« 
 
»Nein, Herr, nein! Was sagt Ihr da? 
Keines von beiden erregt mich. 
Ich schmecke weder Luft noch See. 
Lameir allein tut mir weh.« 12010 
 
Als er durch das Wort hindurchdrang, 
vernahm er Liebe darin, 
und er sprach still und heimlich zu ihr: 
»Wahrhaftig, Schöne, so geht es mir auch: 130 
Lameir und Ihr, ihr seid meine Not. 12015 
Herzensherrin, geliebte Isolde, 
Ihr allein und Eure Liebe, 
ihr habt mir die Sinne 
ganz und gar verkehrt und geraubt. 
Ich bin vom Wege abgekommen 12020 
so weit und so sehr, 
ich erhole mich nimmer mehr. 
Mich müht und mich bedrückt, 
mir erscheint unwert und zuwider 
alles, was mein Auge sieht. 12025 
In aller Welt da ist mir nichts 
im Herzen lieb als allein Ihr.« 
Isolde sprach: »Herr, eben so seid Ihr mir.« 
 
dô die gelieben under in 
beide erkanden einen sin, 12030 
ein herze und einen willen, 
ez begunde in beidiu stillen 
und offenen ir ungemach. 
ietwederez sach unde sprach 
daz ander beltlîcher an: 12035 
der man die maget, diu maget den man. 
vremede under in diu was dô hin. 
er kuste sî und sî kust in 
lieplîchen unde suoze. 
daz was der minnen buoze 12040 
ein saeleclîcher anevanc. 
ietwederez schancte unde tranc 
die süeze, diu von herzen gie. 
sô sî die state gewunnen ie, 
sô gie der wehsel under in 12045 
slîchende her unde hin 
vil tougenlîchen unde alsô, 
daz nieman in der werlde dô 
ir willen unde ir muot bevant 
wan sî, der er doch was bekant: 12050 
 
Brangaene diu wîse, 
diu blickete dicke lîse 
und vil tougenlîche dar 
und nam ir tougenheite war 
und dâhte dicke wider sich: 12055 
»ouwê, nû verstân ich mich, 
diu minne hebet mit disen an.« 
vil schiere wart, daz sî began 
den ernest an in beiden sehen 
und ûzen an ir lîbe spehen 12060 
den inneren smerzen 
ir muotes unde ir herzen. 
si muote ir beider ungemach, 
wan sî si z'allen zîten sach 
ameiren unde amûren, 12065 
siuften unde trûren, 
trahten und pansieren, 
ir varwe wandelieren. 
sin genâmen nie vor trahte war 
dekeiner slahte lîpnar, 12070 
biz sî der mangel und daz leit 
an dem lîbe als überstreit, 
daz es Brangaenen angest nam 
und in die vorhte dâ von kam, 
ez waere ir beider ende, 12075 
und dâhte: »nû genende, 
ervar, waz dirre maere sî!« 
Als die Verliebten aneinander 
beide erkannten, daß sie nur Einen Sinn, 12030 
nur Ein Herz und Einen Willen hatten, 
da begann sich in beiden zu stillen 
und zugleich zu öffnen ihr Ungemach. 
Jeder von ihnen sah und sprach 
den anderen kühner an, 2035 
der Mann das Mädchen, das Mädchen den Mann. 
Die Fremdheit zwischen ihnen, die war dahin. 
Er küßte sie und sie küßte ihn 
liebevoll und zärtlich. 
Das war ihrer Liebe Linderung, 12040 
ein beseligender Anfang. 
Jeder schenkte aus und trank 
die Süße, die vom Herzen kam. 
Wann immer sie Gelegenheit fanden, 
ging es so zwischen ihnen 12045 
heimlich hin und her, 
ganz in der Stille und so, 
daß niemand auf der Welt 
ihren Willen und ihren Gemütszustand herausfand – 
außer ihr, der er doch bekannt war: 12050 
 
Brangäne, die weise, 
Die blickte oft still 
und verstohlen zu ihnen hin, 
und nahm ihre Heimlichkeiten wahr 
und dachte oft bei sich: 12055 
»O weh, nun verstehe ich, 
daß die Liebe zwischen ihnen anhebt.« 
Sehr schnell geschah es, daß sie begann, 
den Ernst an den beiden zu sehen 
und außen an ihrem Leibe zu erspähen 12060 
die inneren Schmerzen 
ihres Gemütes und ihrer Herzen. 
Es mühte sie das Ungemach der beiden, 
wenn sie sie zu allen Zeiten sah 
in Liebesleid und Lüsten 12065 
seufzen und trauern, 
nachdenken und sinnieren, 
ihre Gesichtsfarbe wandeln. 
Sie nahmen nichts wahr vor lauter Nachdenken, 
daß sie auf keine Leibesnahrung trafen, 12070 
bis sie der Mangel und das Leid 
an ihrem Leibe so sehr überwältigte, 
daß es Brangäne Angst machte 
und sie in die Furcht davor geriet, 
es sei ihrer beider Ende. 12075 
Sie dachte: »Nunf faß Mut, 
erfahre, was das für eine Geschichte ist!« 
Si gesaz in eines tages bî 
heinlîchen unde lîse. 
diu stolze, diu wîse 12080 
»hie ist nieman« sprach si »wan wir driu. 
saget mir ir zwei, waz wirret iu? 
ich sihe iuch z'allen stunden 
mit trahte gebunden, 
siuften, trûren unde clagen.« 12085 
 
»höfschiu, getörste ich'z iu gesagen, 
ich sagete ez iu« sprach Tristan. 
»jâ hêrre, vil wol: sprechet an; 
swaz ir welt, daz saget mir!« 
 
»saeligiu guotiu« sprach er z'ir 12090 
»in getar niht sprechen vürbaz, 
irn gewisset uns ê daz 
mit triuwen und mit eiden, 
daz ir uns armen beiden 
guot unde genaedic wellet wesen. 12095 
anders sô sîn wir ungenesen.« 
 
Brangaene bot ir triuwe hin. 
si gelobete unde gewissete in 
mit ir triuwen und mit gote 
ze lebene nâch ir gebote. 12100 
 
»getriuwiu guotiu« sprach Tristan 
»nu sehet got ze vorderst an 
und dar nâch iuwer saelekeit. 
bedenket unser zweier leit 
und unser angestlîche nôt. 12105 
ich armer und diu arme Îsôt, 
ine weiz wie'z uns ergangen ist, 
wir zwei wir sîn in kurzer vrist 
unsinnic worden beide 
mit wunderlîchem leide. 12110 
 
wir sterben von minnen 
und enkunnen niht gewinnen 
weder zît noch state dar zuo, 
ir irret uns spâte unde vruo. 
und sicherlîche: sterben wir, 12115 
dâst nieman schuldic an wan ir. 
unser tot und unser leben 
diu sint in iuwer hant gegeben. 
hie mite ist iu genuoc gesaget. 
Brangaene, saeligiu maget, 12120 
nu helfet unde genâdet ir 
iuwerre vrouwen unde mir!« 
Sie setzte sich eines Tages zu ihnen 
heimlich und still, 
Die vornehme, die weise, 12080 
sie sprach: »Hier ist niemand außer uns dreien. 
Sagt mir, Ihr beiden, was erregt Euch? 
Ich sehe Euch zu allen Stunden 
mit Nachdenken gebunden, 
seufzen, trauern und klagen.« 12085 
 
»Vortreffliche, wagte ichs Euch zu sagen, 
würde ich es Euch verraten«, sagte Tristan. 
»Ja, Herr, ganz recht: sprecht nur! 
Was Ihr wollt, das sagt mir!« 
 
»Liebliches, Gute«, sprach er zu ihr, 12090 
»ich wage nicht weiterzusprechen, 
ehe Ihr uns zusichert 
mit Treueversprechen und Eiden, 
daß Ihr uns armen beiden 
gut und gnädig sein wollt. 12095 
Sonst sind wir verloren.« 
 
Brangäne versprach ihnen ihre Treue. 
Sie gelobte und sicherte zu 
bei ihrer Treue und bei Gott, 
sich nach ihrem Gebot zu verhalten. 12100 
 
Tristan sprach: »Getreue Gute, 
nun denkt zuförderst an Gott 
und danach an Euer Seelenheil. 
Betrachtet unser beider Leid 
und unsere ängstigende Not. 12105 
Ich Armer und die arme Isolde, 
ich weiß nicht, wie es so mit uns gekommen ist, 
wir beide, wir haben in kurzer Zeit 
beide den Verstand verloren 
durch wunderliches Leid. 12110 
 
Wir sterben vor Liebe 
und können nicht finden 
Zeit und Gelegenheit dafür, 
weil Ihr uns von früh bis spät daran hindert. 
Ganz gewiß: wenn wir sterben, 12115 
ist niemand schuld daran außer Euch. 
Unser Tod und unser Leben, 
die sind in Eure Hand gegeben. 
Damit ist Euch genug gesagt. 
Brangäne, liebliches Mädchen, 12120 
nun helft und erbarmt Euch 
Eurer Herrin und meiner!« 
Brangaene wider Îsôte sprach: 
»vrouwe, ist iuwer ungemach, 
als er dâ giht, von solher nôt?« 12125 
»jâ herzeniftel« sprach Îsôt. 
Brangaene sprach: »daz riuwe got, 
daz der vâlant sînen spot 
mit uns alsus gemachet hât! 
nu sihe ich wol, es ist niht rât, 12130 
ine müeze durch iuch beide 
mir selber nâch leide 
und iu nâch laster werben. 
ê ich iuch lâze sterben, 
ich wil iu guote state ê lân, 12135 
swes ir wellet ane gân. 
durch mich enlât niemêre, 
swes ir durch iuwer êre 
niht gerne wellet lâzen. 
swâ ir iuch aber gemâzen 
und enthaben muget an dirre tât, 
dâ enthabet iuch, daz ist mîn rât. 
lât diz laster under uns drîn 
verswigen unde beliben sîn. 
breitet ir'z iht mêre, 12145 
ez gât an iuwer êre. 
ervert ez ieman âne uns driu, 
ir sît verlorn und ich mit iu. 
herzevrouwe, schoene Îsôt, 
iuwer leben und iuwer tôt 
diu sîn in iuwer pflege ergeben. 
leitet tôt unde leben, 
als iu ze muote gestê. 
nâch dirre zît enhabet niemê 
dekeine vorhte her ze mir. 12155 
swaz iu gevalle, daz tuot ir.« 
Brangäne sprach zu Isolde: 
»Herrin, ist Euer Ungemach, 
wie er da sagt, von solcher Not?« 12125 
»Ja, Herzensnichte«, sprach Isolde. 
Brangäne sprach: » Das reue Gott, 
daß der Teufel seinen Spott 
mit uns so getrieben hat! 
Ich sehe wohl, es ist kein anderer Rat, 12130 
als Euch beiden zuliebe 
mir selber zu Leid 
und schändlich für Euch zu handeln. 
Ehe ich Euch sterben lasse, 
will ich Euch günstige Gelegenheit zuvor geben 12135 
was immer Ihr anfangen wollt. 
Verzichtet um meinetwillen auf nichts, 
das Ihr um Eurer Ehre willen 
nicht zu unterlassen bereit seid. 12140 
Wenn Ihr Euch aber mäßigen 12140 
und Abstand nehmen könnt von dieser Tat, 
so nehmt abstand, das rate ich Euch. 
Laßt diese Schande unter uns dreien 
verschwiegen und unerwähnt bleiben. 
Wenn Ihr sie weiter ausbreitet, 12145 
so geht es an Eure Ehre. 
Erfährt es jemand außer uns dreien, 
seid Ihr verloren und ich mit Euch. 
Herzensherrin, schöne Isolde, 12150 
Euer Leben und Euer Tod, 12150 
die sind in Eure Verantwortung gegeben. 
Lenkt Tod und Leben, 
wie Euch zumute ist. 
Habt von nun an nie wieder 
Furcht vor mir! 12155 
Und was Euch gefällt, das tut!« 
 
 
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