dô
die gelieben under in
beide erkanden einen sin, 12030
ein herze und einen willen,
ez begunde in beidiu stillen
und offenen ir ungemach.
ietwederez sach unde sprach
daz ander beltlîcher an: 12035
der man die maget, diu maget den man.
vremede under in diu was dô hin.
er kuste sî und sî kust in
lieplîchen unde suoze.
daz was der minnen buoze 12040
ein saeleclîcher anevanc.
ietwederez schancte unde tranc
die süeze, diu von herzen gie.
sô sî die state gewunnen ie,
sô gie der wehsel under in 12045
slîchende her unde hin
vil tougenlîchen unde alsô,
daz nieman in der werlde dô
ir willen unde ir muot bevant
wan sî, der er doch was bekant: 12050
Brangaene diu wîse,
diu blickete dicke lîse
und vil tougenlîche dar
und nam ir tougenheite war
und dâhte dicke wider sich: 12055
»ouwê, nû verstân ich mich,
diu minne hebet mit disen an.«
vil schiere wart, daz sî began
den ernest an in beiden sehen
und ûzen an ir lîbe spehen 12060
den inneren smerzen
ir muotes unde ir herzen.
si muote ir beider ungemach,
wan sî si z'allen zîten sach
ameiren unde amûren, 12065
siuften unde trûren,
trahten und pansieren,
ir varwe wandelieren.
sin genâmen nie vor trahte war
dekeiner slahte lîpnar, 12070
biz sî der mangel und daz leit
an dem lîbe als überstreit,
daz es Brangaenen angest nam
und in die vorhte dâ von kam,
ez waere ir beider ende, 12075
und dâhte: »nû genende,
ervar, waz dirre maere sî!« |
Als die Verliebten aneinander
beide erkannten, daß sie nur Einen Sinn, 12030
nur Ein Herz und Einen Willen hatten,
da begann sich in beiden zu stillen
und zugleich zu öffnen ihr Ungemach.
Jeder von ihnen sah und sprach
den anderen kühner an, 2035
der Mann das Mädchen, das Mädchen den Mann.
Die Fremdheit zwischen ihnen, die war dahin.
Er küßte sie und sie küßte ihn
liebevoll und zärtlich.
Das war ihrer Liebe Linderung, 12040
ein beseligender Anfang.
Jeder schenkte aus und trank
die Süße, die vom Herzen kam.
Wann immer sie Gelegenheit fanden,
ging es so zwischen ihnen 12045
heimlich hin und her,
ganz in der Stille und so,
daß niemand auf der Welt
ihren Willen und ihren Gemütszustand herausfand –
außer ihr, der er doch bekannt war: 12050
Brangäne, die weise,
Die blickte oft still
und verstohlen zu ihnen hin,
und nahm ihre Heimlichkeiten wahr
und dachte oft bei sich: 12055
»O weh, nun verstehe ich,
daß die Liebe zwischen ihnen anhebt.«
Sehr schnell geschah es, daß sie begann,
den Ernst an den beiden zu sehen
und außen an ihrem Leibe zu erspähen 12060
die inneren Schmerzen
ihres Gemütes und ihrer Herzen.
Es mühte sie das Ungemach der beiden,
wenn sie sie zu allen Zeiten sah
in Liebesleid und Lüsten 12065
seufzen und trauern,
nachdenken und sinnieren,
ihre Gesichtsfarbe wandeln.
Sie nahmen nichts wahr vor lauter Nachdenken,
daß sie auf keine Leibesnahrung trafen, 12070
bis sie der Mangel und das Leid
an ihrem Leibe so sehr überwältigte,
daß es Brangäne Angst machte
und sie in die Furcht davor geriet,
es sei ihrer beider Ende. 12075
Sie dachte: »Nunf faß Mut,
erfahre, was das für eine Geschichte ist!« |
Si gesaz in eines tages
bî
heinlîchen unde lîse.
diu stolze, diu wîse 12080
»hie ist nieman« sprach si »wan wir driu.
saget mir ir zwei, waz wirret iu?
ich sihe iuch z'allen stunden
mit trahte gebunden,
siuften, trûren unde clagen.« 12085
»höfschiu, getörste ich'z iu gesagen,
ich sagete ez iu« sprach Tristan.
»jâ hêrre, vil wol: sprechet an;
swaz ir welt, daz saget mir!«
»saeligiu guotiu« sprach er z'ir 12090
»in getar niht sprechen vürbaz,
irn gewisset uns ê daz
mit triuwen und mit eiden,
daz ir uns armen beiden
guot unde genaedic wellet wesen. 12095
anders sô sîn wir ungenesen.«
Brangaene bot ir triuwe hin.
si gelobete unde gewissete in
mit ir triuwen und mit gote
ze lebene nâch ir gebote. 12100
»getriuwiu guotiu« sprach Tristan
»nu sehet got ze vorderst an
und dar nâch iuwer saelekeit.
bedenket unser zweier leit
und unser angestlîche nôt. 12105
ich armer und diu arme Îsôt,
ine weiz wie'z uns ergangen ist,
wir zwei wir sîn in kurzer vrist
unsinnic worden beide
mit wunderlîchem leide. 12110
wir sterben von minnen
und enkunnen niht gewinnen
weder zît noch state dar zuo,
ir irret uns spâte unde vruo.
und sicherlîche: sterben wir, 12115
dâst nieman schuldic an wan ir.
unser tot und unser leben
diu sint in iuwer hant gegeben.
hie mite ist iu genuoc gesaget.
Brangaene, saeligiu maget, 12120
nu helfet unde genâdet ir
iuwerre vrouwen unde mir!« |
Sie setzte sich eines Tages zu ihnen
heimlich und still,
Die vornehme, die weise, 12080
sie sprach: »Hier ist niemand außer uns dreien.
Sagt mir, Ihr beiden, was erregt Euch?
Ich sehe Euch zu allen Stunden
mit Nachdenken gebunden,
seufzen, trauern und klagen.« 12085
»Vortreffliche, wagte ichs Euch zu sagen,
würde ich es Euch verraten«, sagte Tristan.
»Ja, Herr, ganz recht: sprecht nur!
Was Ihr wollt, das sagt mir!«
»Liebliches, Gute«, sprach er zu ihr, 12090
»ich wage nicht weiterzusprechen,
ehe Ihr uns zusichert
mit Treueversprechen und Eiden,
daß Ihr uns armen beiden
gut und gnädig sein wollt. 12095
Sonst sind wir verloren.«
Brangäne versprach ihnen ihre Treue.
Sie gelobte und sicherte zu
bei ihrer Treue und bei Gott,
sich nach ihrem Gebot zu verhalten. 12100
Tristan sprach: »Getreue Gute,
nun denkt zuförderst an Gott
und danach an Euer Seelenheil.
Betrachtet unser beider Leid
und unsere ängstigende Not. 12105
Ich Armer und die arme Isolde,
ich weiß nicht, wie es so mit uns gekommen ist,
wir beide, wir haben in kurzer Zeit
beide den Verstand verloren
durch wunderliches Leid. 12110
Wir sterben vor Liebe
und können nicht finden
Zeit und Gelegenheit dafür,
weil Ihr uns von früh bis spät daran hindert.
Ganz gewiß: wenn wir sterben, 12115
ist niemand schuld daran außer Euch.
Unser Tod und unser Leben,
die sind in Eure Hand gegeben.
Damit ist Euch genug gesagt.
Brangäne, liebliches Mädchen, 12120
nun helft und erbarmt Euch
Eurer Herrin und meiner!« |
Brangaene wider Îsôte
sprach:
»vrouwe, ist iuwer ungemach,
als er dâ giht, von solher nôt?« 12125
»jâ herzeniftel« sprach Îsôt.
Brangaene sprach: »daz riuwe got,
daz der vâlant sînen spot
mit uns alsus gemachet hât!
nu sihe ich wol, es ist niht rât, 12130
ine müeze durch iuch beide
mir selber nâch leide
und iu nâch laster werben.
ê ich iuch lâze sterben,
ich wil iu guote state ê lân, 12135
swes ir wellet ane gân.
durch mich enlât niemêre,
swes ir durch iuwer êre
niht gerne wellet lâzen.
swâ ir iuch aber gemâzen
und enthaben muget an dirre tât,
dâ enthabet iuch, daz ist mîn rât.
lât diz laster under uns drîn
verswigen unde beliben sîn.
breitet ir'z iht mêre, 12145
ez gât an iuwer êre.
ervert ez ieman âne uns driu,
ir sît verlorn und ich mit iu.
herzevrouwe, schoene Îsôt,
iuwer leben und iuwer tôt
diu sîn in iuwer pflege ergeben.
leitet tôt unde leben,
als iu ze muote gestê.
nâch dirre zît enhabet niemê
dekeine vorhte her ze mir. 12155
swaz iu gevalle, daz tuot ir.« |
Brangäne sprach zu Isolde:
»Herrin, ist Euer Ungemach,
wie er da sagt, von solcher Not?« 12125
»Ja, Herzensnichte«, sprach Isolde.
Brangäne sprach: » Das reue Gott,
daß der Teufel seinen Spott
mit uns so getrieben hat!
Ich sehe wohl, es ist kein anderer Rat, 12130
als Euch beiden zuliebe
mir selber zu Leid
und schändlich für Euch zu handeln.
Ehe ich Euch sterben lasse,
will ich Euch günstige Gelegenheit zuvor geben 12135
was immer Ihr anfangen wollt.
Verzichtet um meinetwillen auf nichts,
das Ihr um Eurer Ehre willen
nicht zu unterlassen bereit seid. 12140
Wenn Ihr Euch aber mäßigen 12140
und Abstand nehmen könnt von dieser Tat,
so nehmt abstand, das rate ich Euch.
Laßt diese Schande unter uns dreien
verschwiegen und unerwähnt bleiben.
Wenn Ihr sie weiter ausbreitet, 12145
so geht es an Eure Ehre.
Erfährt es jemand außer uns dreien,
seid Ihr verloren und ich mit Euch.
Herzensherrin, schöne Isolde, 12150
Euer Leben und Euer Tod, 12150
die sind in Eure Verantwortung gegeben.
Lenkt Tod und Leben,
wie Euch zumute ist.
Habt von nun an nie wieder
Furcht vor mir! 12155
Und was Euch gefällt, das tut!« |