FEIRE FIZ : Richard Wagner : Tristan und Isolde : 1.Akt
Richard Wagner
 
Tristan und Isolde
 
in drei Aufzügen 
 
nach dem Wortlaut der gedruckten Partitur
von 1865
in kommentierendem Vergleich mit
Gottfried von Straßburg, Tristan:
XIV Der Splitter * XVI Der Liebestrank
XVIIa Das Geständnis * XVIIb Minne-Exkurs
durch
FEIRE FIZ
 
 Kennst du der Mutter Künste nicht?
 
Richard Wagner : Tristan und Isolde : 1. Akt  /  2. Akt  /  3. Akt
 
 PERSONEN 
 
Tristan (Tenor) 
König Marke (Baß) 
Isolde (Sopran) 
Kurwenal (Bariton) 
Melot (Tenor) 
Brangäne (Sopran) 
Ein Hirt (Tenor) 
Ein Steuermann (Bariton) 
Ein junger Seemann (Tenor) 
Schiffsvolk. Ritter und Knappen 
Frauen aus Isoldes Gefolge 
 
 
 
SCHAUPLATZ 
 
Erster Aufzug: Zur See auf dem Verdeck von Tristans Schiff während der Überfahrt von Irland nach Komwall. 
 
Zweiter Aufzug: In der königlichen Burg Markes in Kornwall. 
 
Dritter Aufzug: Tristans Burg in der Bretagne. 
 
 
URAUFFÜHRUNG: 10.Juni 1865 
im Hof- und Nationaitheater in München 
 
 
 
ORIGINAL-ORCHESTERBESETZUNG: 

Streichinstrumente: 
16 Violinen I 
16 Violinen II 
12 Bratschen 
12 Violoncelli 
8 Kontrabässe 
 
Saiteninstrument: 
1 Harfe 
 
Holzblasinstrumente: 
3 Flöten (3. auch Piccolo) 
2 Oboen 
1 Englischhorn 
2 Klarinetten 
1 Baßklarinette 
3 Fagotte 
 
Blechinstrumente: 
4 Hörner 
3 Trompeten 
3 Posaunen 
1 Baßtuba 
 
Schlaginstrumente: 
1 Paar Pauken 
1 Triangel 
1 Paar Becken 
 
Auf der Bühne: 
3 Trompeten 
3 Posaunen 
6 Hörner 
1 Englischhorn 

Ist die Musik des Tristan "organisch"? 
Bilden ihre Motivzellen einen lebendigen "Organismus"? 
 
Schlicht gefragt: Finden sich am polyphonen Gewebe des Tristan die wissenschaftsüblichen Merkmale organischen Lebens? Da muß man wohl einhaken und genau sehen, inwiefern die kleinen Motive und ihre Metamorphosen innerhalb der Variationenreihen der Durchführung (z.B. im Vorspiel des ersten Aktes) Selbstbewegung, Reizbarkeit, Fortpflanzung und in ihrer Gestalt Zellenstruktur und Zweckmäßigkeit an sich haben. Es bleibt natürlich etwas Verblüffung stehen, wenn man Motive zwar als innerlich geordnete Klangereignisse sieht, diese aber mit konkreten Pflanzen, marmeladigen Einzellern und hautumgrenzten Tierchen nicht so ganz zur Deckung bringen kann. Organische Formen kennen wir ja zunächst nur als entsprechend "organisierte" räumliche und optisch wahrnehmbare Materien, und zeitlich-akustische Ereignisse spielen in einer anderen Liga.  
  
Als "organisch", wenn auch eher im menschlichen Empfindungsraum als im Feld der biologischen Struktur, kann man wohl die Zielgerichtetheit, die Erwartung einer Spannungslösung durch die Motivdurchführung, die Melodien und die zugrundeliegende Harmonik hindurch ansehen, wobei gerade die "unendliche Melodie" diese Ziele und Erwartungen systematisch offenhält... so daß gerade dieses Kriterium der Zielgerichtetheit mehr am hörenden Subjekt als an der Musik selbst Geltung hat.  
  
Die akustischen Ereignisse, die als musikalische Motive gestaltet sind, haben weniger eine materiale als eine Empfindungs- Erregungs- und Handlungs-Füllung ihrer zeitlichen Gestalt, wie auch sprachliche Äußerungen im Gesprächswechsel. So können keine reizbaren oder räumlich bewegbaren (äußeren) Substanzen zugrundeliegen, sondern die Reize, Bewegungen und Empfindungen selbst bilden die (unterste, materiale) Basis. Es knospen auch keine stofflichen Gebilde aus, sondern Motive aus Motiven, nämlich aus der offengehaltenen Erwartungsspannung im funktionalen Gefüge der Harmonien, wie Sätze aus den ungesättigten Valenzen der Prädikate vorhergehender Sätze bzw. wie Antworten aus der Fragespannung, aber im Sprecherwechsel bzw. im Wechsel der Hin- und Her-Überlegungen des inneren Sprechens, des Denkens.  
  
Bloß durchtönende Tonika, vielleicht noch mit etwas Dominante, das wäre ein "Klangkristall", nicht besonders organisch; aber die seelische Erregung, die empfindungsgesättigte und erwartungsgespannte Handlung, die in Motiven gestaltet ist, kann durch Modulationsschritte und gesprächsartige Kontrapunktik zu einer Art Fortpflanzung gebracht werden, ist selbst bewegt und bewegend, geht aus Spannung hervor und reizt weitere Spannung an, ja enthält in den Modulationswendeltreppen (so insbesondere bei Isoldes "Liebestod"-Verwandlung in die reine Musik des "Weltatems") oft genug einen immer weitertreibenden KEIMKEGEL ihres Wachtums, gerade durch die unendliche Melodie. Die klangliche "Übergangs"-Arbeit, durch die Instrumentalgruppen des Orchesters fließend, entkoppelt diese endlos sich steigernde, aufblühende, sich fortpflanzende Offenhaltung der harmonisch-funktionalen Erwartung allerdings von den materialen Instrumentalisten.  
  
Aber vielleicht ist auch eine Pflanze primär ein zeitliches Geschehen, und was wir als räumliche Ausprägung dieses Geschehens von ihr sehen, wäre dann nur der stehengebliebene Rest des permanenten Sprießens, Sichwandelns, Sichentwickelns aus dem Lebenszentrum des Keimkegels? Die Formung saugt sich ihre Materien gewissermaßen an, läßt sie durch sich hindurchströmen. Auf jeden Fall ist der Genotyp stabiler als der Phänotyp.  
  
Und vielleicht sind Tiere primär Empfindungswesen, an Materien organisiert? Ganz gewiß ("selbst-verständlich") sind wir Menschen Bewußtseinswesen, die sich der Körper bedienen und ihre Handlungsziele geistig, willentlich, veränderungskräftig frei setzen können. 
ORCHESTERVORSPIEL  
(Langsam und schmachtend 6/8)  

ERSTER AUFZUG  
 
Zeltartiges Gemach auf dem Vorderdeck eines Seeschiffes,  
reich mit Teppichen behangen, beim Beginn nach dem Hintergrunde zu gänzlich geschlossen; zur Seite führt eine schmale Treppe in den Schiffsraum hinab. – Isolde auf einem Ruhebett, das Gesicht in die Kissen gedrückt. Brangäne, einen Teppich zurückgeschlagen haltend, blickt  zur Seite über Bord. 

Handlungsbewußtsein erfüllt uns ganz, daraus bestehen wir, aus diesem Ozean steigen die Wogen, Wellen und Luftperlen der Musik auf.  
  
Also ja: Das "fragende" Motiv des Tristanvorspiels ist organisch, wenn der permanente, immerfort lebendige Keimkegel der harmonischen Modulationen von Variation zu Variation, von Metamorphose zu Metamorphose (na, wenn das nicht schon organische Ausgestaltung heißt!), von Öffnung zu Öffnung, von Fortpflanzung zu Fortpflanzung das eigentliche Kriterium ist.  
Es ist nicht organisch, wenn Plasmagelee das Kriterium ist (obwohl die weichen Klangwandlungen gelegentlich etwas davon an sich haben...)  
Wenn musikalische Motive organisch sein können, dann desweiteren auch sprachliche Wachstümlichkeiten und Knospungen, etwa in Fragen, oder überhaupt im sinnfortpflanzenden Verstehen, sei es zwischen den Menschen, sei es im lebendigen Denken.  
Anorganisch, mineralisch, unlebendig, tot – sind sie jedenfalls nicht. 
Beginn des Tristan-Vorspiels
ERSTER AUFTRITT 
 
Isolde: Brangäne: Stimme eines jungen Seemanns.  
 
Stimme eines jungen Seemanns 
(aus der Höhe, wie vom Mast her, vernehmbar):  
    Westwärts 
    schweift der Blick: 
    ostwärts 
    streicht das Schiff. 
    Frisch weht der Wind 
    der Heimat zu: 
    mein irisch Kind, 
    wo weilest du? 
    Sind's deiner Seufzer Wehen, 
    die mir die Segel blähen? 
    Wehe, wehe, du Wind! 
    Weh, ach wehe, mein Kind! 
    Irische Maid, du wilde, minnige Maid! 
 
Isolde (jäh auffahrend):  
    Wer wagt mich zu höhnen? 
      (Sie blickt verstört um sich.) 
    Brangäne, du? Sag – wo sind wir? 
 
Brangäne (an der Öffnung):  
    Blaue Streifen 
    stiegen im Westen auf; 
    sanft und schnell 
    segelt das Schiff: 
    auf ruhiger See vor Abend 
    erreichen wir sicher das Land. 
Isolde: 
WelchesLand? 
 
Brangäne: 
Kornwalls grünen Strand. 
 
Isolde: 
Nimmermehr! 
Nicht heut noch morgen! 
 
Brangäne 
(läßt den Vorhang zufallen und eilt bestürzt zu Isolde):  
Was hör ich? Herrin! Ha! 
 
Isolde (wild vor sich hin):  
    Entartet Geschlecht!  
    Unwert der Ahnen!  
    Wohin, Mutter, vergabst du die Macht,  
    über Meer und Sturm zu gebieten?  
    O zahme Kunst  
    der Zauberin,  
    die nur Balsamtränke noch braut!  
    Erwache mir wieder,  
    kühne Gewalt;  
    herauf aus dem Busen,  
    wo du dich bargst!  
    Hört meinen Willen,  
    zagende Winde!  
    Heran zu Kampf und Wettergetös!  
    Zu tobender Stürme wütendem Wirbel!  
    Treibt aus dem Schlaf dies träumende Meer,  
    weckt aus dem Grund seine grollende Gier!  
    Zeigt ihm die Beute, die ich ihm biete!  
    Zerschlag es dies trotzige Schilf,  
    des zerschellten Trümmer, verschling's!  
    Und was auf ihm lebt, den wehenden Atem,  
    den laß ich euch Winden zum Lohn! 
 
Brangäne 
(im außersten Schreck, um Isolde sich bemühend):  
    O weh! 
    Ach! Ach 
    des Übels, das ich geahnt! 
    Isolde! Herrin! 
    Teures Herz! 
    Was bargst du mir so lang? 
    Nicht eine Träne 
    weintest du Vater und Mutter; 
    kaum einen Gruß 
    den Bleibenden botest du. 
    Von der Heimat scheidend 
    kalt und stumm, 
    bleich und schweigend auf der Fahrt; 
    ohne Nahrung, 
    ohne Schlaf; 
    starr und elend, 
    wild verstört: 
    wie ertrug ich, 
    so dich sehend, 
    nichts dir mehr zu sein, 
    fremd vor dir zu stehn? 
    Oh, nun melde, 
    was dich müht? 
    Sage, künde, was dich quält? 
    Herrin Isolde, 
    trauteste Holde, 
    soll sie wert sich dir wähnen, 
    vertraue nun Brangänen! 
 
Isolde: 
    Luft!Luft! 
    Mir erstickt das Herz! 
    Öffne! Öffne dort weit! 
 
(Brangäne zieht eilig die Vorhange in der Mitte auseinander.)  
 
Schopenhauers "Schiffs"-Bild vom "principium individuationis",
 
Dionysos verwandelt die Piraten in Delphine
Odysseus lauscht den Sirenen, angebunden an den Mast
Dionysos-Umzug
 
für
das musikalische Konzept 
des Dionysischen und Apollinischen
in: Nietzsche, 
Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, 
Kap.1: 
  
"... Diese freudige Notwendigkeit der Traumerfahrung ist gleichfalls von den Griechen in ihrem Apollo ausgedrückt worden: Apollo, als der Gott aller bildnerischen Kräfte, ist zugleich der wahrsagende Gott. Er, der seiner Wurzel nach der "Scheinende", die Lichtgottheit ist, beherrscht auch den schönen Schein der inneren Phantasie-Welt. Die höhere Wahrheit, die Vollkommenheit dieser Zustände im Gegensatz zu der lückenhaft verständlichen Tageswirklichkeit, sodann das tiefe Bewußtsein von der in Schlaf und Traum heilenden und helfenden Natur ist zugleich das symbolische Analogon der wahrsagenden Fähigkeit und überhaupt der Künste, durch die das Leben möglich und lebenswert gemacht wird.  
  
Aber auch jene zarte Linie, die das Traumbild nicht überschreiten darf, um nicht pathologisch zu wirken, widrigenfalls der Schein als plumpe Wirklichkeit uns betrügen würde – darf nicht im Bilde des Apollo fehlen: jene maßvolle Begrenzung, jene Freiheit von den wilderen Regungen, jene weisheitsvolle Ruhe des Bildnergottes. Sein Auge muß "sonnenhaft", gemäß seinem Ursprunge, sein; auch wenn es zürnt und unmutig blickt, liegt die Weihe des schönen Scheines auf ihm.  
   
  
Und so möchte von Apollo in einem exzentrischen Sinne das gelten, was Schopenhauer von dem im Schleier der Maja befangenen Menschen sagt. Welt als Wille und Vorstellung I, S. 416:  
   
    "Wie auf dem tobenden Meere,  
       das, nach allen Seiten unbegrenzt,  
       heulend Wellenberge erhebt und senkt, 
     auf einem Kahn ein Schiffer sitzt,  
       dem schwachen Fahrzeug vertrauend; 
     so sitzt, mitten in einer Welt von Qualen,  
       ruhig der einzelne Mensch,
     gestützt und vertrauend auf das  
Ja es wäre von Apollo zu sagen, daß in ihm das unerschütterte Vertrauen auf jenes principium und das ruhige Dasitzen des in ihm Befangenen seinen erhabensten Ausdruck bekommen habe, und man möchte selbst Apollo als das herrliche Götterbild des principii individuationis bezeichnen, aus dessen Gebärden und Blicken die ganze Lust und Weisheit des "Scheines", samt seiner Schönheit, zu uns spräche.  
   
  
An derselben Stelle hat uns Schopenhauer das ungeheure Grausen geschildert, welches den Menschen ergreift, wenn er plötzlich an den Erkenntnisformen der Erscheinung irre wird, indem der Satz vom Grunde, in irgend einer seiner Gestaltungen, eine Ausnahme zu erleiden scheint.  
  
Wenn wir zu diesem Grausen die wonnevolle Verzückung hinzunehmen, die bei demselben Zerbrechen des principii individuationis aus dem innersten Grunde des Menschen, ja der Natur emporsteigt, so tun wir einen Blick in das Wesen des Dionysischen, das uns am nächsten noch durch die Analogie des Rausches gebracht wird.  
  
Entweder durch den Einfluss des narkotischen Getränkes, von dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjektive zu völliger Selbstvergessenheit hinschwindet..."  
  
  
  
  
  
  
  
Dionysosmosaik in Korinth, 2.Jhd.n.Chr.
 
 
 
Odysseus lauscht den Sirenen * Dionysos-Hymnus
Jesus schläft im Boot auf dem stürmischen Meer
Hochzeit zu Kana * Novalis: Hymne * der süße Saft
Apollodoros, Bibliothêkê: Dionysos-Sagenkreis
Euripides: Die Bakchen * Philostrat: Dionysos-Szenen
Coleridge: In Xanadu did Kubla Khan
ZWEITER AUFTRITT 
 
Die Vorigen. Tristan: Kurwenal: Schiffsvolk, Ritter und Knappen.  
 
Man blickt dem Schiff entlang bis zum Steuerbord, über den Bord hinaus auf das Meer und den Horizont. Um den Hauptmast in der Mitte ist Seevolk, mit Tauen beschäftigt, gelagert; über sie hinaus gewahrt man am Steuerbord Ritter und Knappen, ebenfalls gelagert; von ihnen etwas entfernt Tristan, mit verschränkten Armen stehend und sinnend in das Meer blickend; zu Füßen ihm, nachlässig gelagert, Kurwenal:  
 
Stimme des jungen Seemanns (vom Maste her, aus der Höhe): 
    Frisch weht der Wind 
    der Heimat zu: 
    mein irisch Kind, 
    wo weilest du? 
    Sind's deiner Seufzer Wehen, 
    die mir die Segel blähen? 
    Wehe, wehe, du Wind! 
    Weh, ach wehe, mein Kind! 
 
Isolde (deren Blick sogleich Tristan fand und starr auf ihn geheflet blieb, dumpf für sich):  
    Mir erkoren, 
    mir verloren, 
    hehr und heil, 
    kühn und feig! 
    Todgeweihtes Haupt! 
    Todgeweihtes Herz! 
(Zu Brangäne, unheimlich lachend.)  
Was hältst du von dem Knechte? 
 
Brangäne (ihrem Blicke folgend): 
Wen meinst du? 
 
Isolde 
    Dort den Helden, 
    der meinem Blick 
    den seinen birgt, 
    in Scham und Scheue 
    abwärts schaut. 
    Sag, wie dünkt er dich? 
 
Brangäne 
    Frägst du nach Tristan, 
    teure Frau, 
    dem Wunder aller Reiche, 
    dem hochgepriesnen Mann, 
    dem Helden ohne Gleiche, 
    des Ruhmes Hort und Bann? 
 
Isolde (sie verhöhnend):  
    Der zagend vor dem Streiche 
    sich flüchtet, wo er kann, 
    weil eine Braut er als Leiche 
    für seinen Herrn gewann! 
    Dünkt es dich dunkel, 
    mein Gedicht? 
    Frag ihn denn selbst, 
    den freien Mann, 
    ob mir zu nahn er wagt? 
    Der Ehren Gruß 
    und zücht'ge Acht 
    vergißt der Herrin 
    der zage Held, 
    daß ihr Blick ihn nur nicht erreiche, 
    den Helden ohne Gleiche! 
    Oh, er weiß 
    wohl, warum! 
    Zu dem Stolzen geh, 
    meld ihm der Herrin Wort: 
    Meinem Dienst bereit, 
    schleunig soll er mir nahn. 
 
Brangäne: 
Soll ich ihn bitten, 
dich zu grüßen? 
 
Isolde: 
    Befehlen ließ 
    dem Eigenholde 
    Furcht der Herrin 
    ich, Isolde! 
 
(Auf Isoldes gebieterischen Wink entfernt sich Brangäne und schreitet verschämt dem Deck entlang dem Steuerbord zu, an den arbeitenden Seeleuten vorbei. Isolde, mit starrem Blicke ihr folgend, zieht sich rücklings nach dem Ruhebett zurück, wo sie sitzend während des Folgenden bleibt, das Auge unabgewandt nach dem Steuerbord gerichtet.)  
 
Kurwenal (der Brangäne kommen sieht, zupft, ohne sich zu erheben, Tristan am Gewande):  
Hab acht, Tristan! 
Botschaft von Isolde: 
 
Tristan (auffahrend):  
Was ist? Isolde? – 
(Er faßt sich schnell, als Brangäne vor ihm anlangt und sich verneigt.)  
Von meiner Herrin? 
Ihr gehorsam 
was zu hören meldet höfisch 
mir die traute Magd? 
 
Brangäne: 
Mein Herre Tristan, 
Euch zu sehen 
wünscht Isolde, 
meine Frau. 
 
Tristan: 
    Grämt sie die lange Fahrt, 
    die geht zu End'; 
    eh noch die Sonne sinkt, 
    sind wir am Land. 
    Was meine Frau mir befehle, 
    treulich sei's erfüllt. 
 
Brangäne: 
So mög' Herr Tristan zu ihr gehn: 
das ist der Herrin Will'. 
 
Tristan: 
    Wo dort die grünen Fluren 
    dem Blick noch blau sich färben, 
    harrt mein König 
    meiner Frau: 
    zu ihm sie zu geleiten, 
    bald nah ich mich der Lichten; 
    keinem gönnt' ich 
    diese Gunst. 
 
Brangäne: 
Mein Herre Tristan, 
höre wohl: 
deine Dienste 
will die Frau, 
daß du zur Stell' ihr nahtest 
dort, wo sie deiner harrt. 
 
Tristan: 
    Auf jeder Stelle, 
    wo ich steh, 
    getreulich dien ich ihr, 
    der Frauen höchster Ehr'; 
    ließ' ich das Steuer 
    jetzt zur Stund', 
    wie lenkt' ich sicher den Kiel 
    zu König Markes Land? 
 
Brangäne: 
    Tristan, mein Herre, 
    was höhnst du mich? 
    Dünkt dich nicht deutlich 
    die tör'ge Magd, 
    hör meiner Hernn Wort! 
    So, hieß sie, sollt' ich sagen: 
    Befehlen ließ' 
    dem Eigenholde 
    Furcht der Herrin 
    sie, Isolde: 
 
Kurwenal (aufspringend): 
Darf ich die Antwort sagen? 
 
Tristan (ruhig): 
Was wohl erwidertest du? 
 
Kurwenal: 
    Das sage sie 
    der Frau Isold'! 
    Wer Komwalls Kron' 
    und Englands Erb' 
    an Irlands Maid vermacht, 
    der kann der Magd 
    nicht eigen sein, 
    die selbst dem Ohm er schenkt. 
    Ein Herr der Welt 
    Tristan der Held! 
    Ich ruf's: du sag's, und grollten 
    mir tausend Frau Isolden! 
(Da Tristan durch Gebärden ihm zu wehren sucht und Brangäne entrüstet sich zum Weggehen wendet, singt Kurwenal der zögernd sich Entfernenden mit höchster Stärke nach:)  
    "Herr Morold zog zu Meere her, 
    in Komwall Zins zu haben; 
    ein Eiland schwimmt 
    auf ödem Meer, 
    da liegt er nun begraben! 
    Sein Haupt doch hängt im Irenland, 
    als Zins gezahlt von Engeland: 
    Hei! Unser Held Tristan, 
    wie der Zins zahlen kann!' 
(Kurwenal, von Tristan fortgescholten, ist in den Schiffsraum hinabgestiegen; Brangäne in Bestürzung zu Isolde zurückgekehrt, schließt hinter sich die Vorhänge, während ganze Mannschaft außen sich hören läßt.)  
 
Alle Männer. 
    Sein Haupt doch hängt 
    im Irenland, 
    als Zins gezahlt 
    von Engeland: 
    Hei! Unser Held Tristan, 
    wie der Zins zahlen kann! 
DRITTER AUFTRITT 
 
Isolde und Brangäne allein, bei vollkommen wieder geschlossenen Vorhängen. – Isolde erhebt sich mit verzweiflungsvoller Wutgebärde. Brangäne stürzt ihr zu Füßen.  
 
Brangäne: 
Weh,ach wehe! 
Dies zu dulden! 
 
Isolde (dem furchtbarsten Ausbruche nahe, schnell sich zusammenraffend):  
Doch nun von Tristan! 
Genau will ich's vernehmen. 
 
Brangäne: 
Ach, frage nicht! 
 
Isolde: 
Frei sag's ohne Furcht! 
 
Brangäne: 
Mit höf'schen Worten 
wich er aus. 
 
Isolde: 
Doch als du deutlich mahntest? 
 
Brangäne: 
    Da ich zur Stell' 
    ihn zu dir rief: 
    wo er auch steh', 
    so sagte er, 
    getreuhlich dien' er ihr, 
    der Frauen höchster Ehr'; 
    ließ' er das Steuer 
    jetzt zur Stund', 
    wie lenkt' er sicher den Kiel 
    zu König Markes Land? 
 
Isolde (schmerzlich bitter):  
"Wie lenkt' er sicher den Kiel 
zu König Markes Land?" 
(Grell und heflig.)  
Den Zins ihm auszuzahlen, 
den er aus Irland zog! 
 
Brangäne: 
Auf deine eignen Worte, 
als ich ihm die entbot, 
ließ seinen Treuen Kurwenal – 
Isolde: 
    Den hab ich wohl vernommen, 
    kein Wort, das mir entging. 
    Erfuhrest du meine Schmach, 
    nun höre, was sie mir schuf. 
    Wie lachend sie 
    mir Lieder singen, 
    wohl könnt' auch ich erwidern 
    von einem Kahn, 
    der klein und arm 
    an Irlands Küste schwamm, 
    darinnen krank 
    ein siecher Mann 
    elend im Sterben lag. 
    Isoldes Kunst 
    ward ihm bekannt; 
    mit Heilsalben 
    und Balsamsaft 
    der Wunde, die ihn plagte, 
    getreulich pflag sie da. 
    Der "Tantris" 
    mit sorgender List sich nannte, 
    als Tristan 
    Isold' ihn bald erkannte, 
    da in des Müß'gen Schwerte 
    eine Scharte sie gewahrte, 
    darin genau 
    sich fügt' ein Splitter, 
    den einst im Haupt 
    des Iren-Ritter, 
    zum Hohn ihr heimgesandt, 
    mit kund'ger Hand sie fand. 
    Da schrie's mir auf 
    aus tiefstem Grund! 
    Mit dem hellen Schwert 
    ich vor ihm stund, 
    an ihm, dem Überfrechen, 
    Herrn Morolds Tod zu rächen. 
    Von seinem Lager 
    blickt' er her – 
    nicht auf das Schwert, 
    nicht auf die Hand – 
    er sah mir in die Augen. 
    Seines Elendes 
    jammerte mich! – 
    Das Schwert – ich ließ es fallen! 
    Die Morold schlug, die Wunde, 
    sie heilt' ich, daß er gesunde 
    und heim nach Hause kehre, 
    mit dem Blick mich nicht mehr beschwere! 
  
Brangäne: 
O Wunder! Wo hatt' ich die Augen? 
Der Gast, den einst 
ich pflegen half? 
 
Isolde: 
    Sein Lob hörtest du eben: 
    "Hei! Unser Held Tristan" – 
    der war jener traur'ge Mann. 
    Er schwur mit tausend Eiden 
    mir ew'gen Dank und Treue! 
    Nun hör, wie ein Held 
    Eide hält! 
    Den als Tantris 
    unerkannt ich entlassen, 
    als Tristan 
    kehrt' er kühn zurück; 
    auf stolzem Schiff, 
    von hohem Bord, 
    Irlands Erbin 
    begehrt' er zur Eh' 
    für Komwalls müden König, 
    für Marke, seinen Ohm. 
    Da Morold lebte, 
    wer hätt' es gewagt 
    uns je solche Schmach zu bieten? 
    Für der zinspflicht'gen 
    Kornen Fürsten 
    um Irlands Krone zu werben! 
    Ach, wehe mir! 
    Ich ja war's, 
    die heimlich selbst 
    die Schmach sich schuf! 
    Das rächende Schwert, 
    statt es zu schwingen, 
    machtlos ließ ich's fallen! 
    Nun dien ich dem Vasallen! 
 
Brangäne: 
Da Friede, Sühn' und Freundschaft 
von allen ward beschworen, 
wir freuten uns all' des Tags; 
wie ahnte mir da, 
daß dir es Kummer schüf'? 
 
Isolde: 
    O blindeAugen, 
    blöde Herzen! 
    Zahmer Mut, 
    verzagtes Schweigen! 
    Wie anders prahlte 
    Tristan aus, 
    was ich verschlossen hielt! 
    Die schweigend ihm 
    das Leben gab, 
    vor Feindes Rache 
    ihn schweigend barg; 
    was stumm ihr Schutz 
    zum Heil ihm schuf – 
    mit ihr gab er es preis! 
    Wie siegprangend 
    heil und hehr, 
    laut und hell 
    wies er auf mich: 
    "Das wär' ein Schatz, 
    mein Herr und Ohm; 
    wie dünkt Euch die zur Eh'? 
    Die schmucke Irin 
    hol ich her; 
    mit Steg' und Wegen 
    wohlbekannt, 
    ein Wink, ich flieg 
    nach Irenland: 
    Isolde, die ist Euer! 
    Mir lacht das Abenteuer!" 
    Fluch dir, Verruchter! 
    Fluch deinem Haupt! 
    Rache! Tod! 
    Tod uns beiden! 
 
 
Brangäne 
(mit ungestümer Zärtlichkeit auf Isolde stürzend):  
    O Süße! Traute! 
    Teure! Holde! 
    Goldne Herrin! 
    Lieb Isolde! 
(Sie zieht Isolde allmählich nach dem Ruhebett.)  
    Hör mich! Komme! 
    Setz dich her! 
    Welcher Wahn, 
    welch eitles Zürnen! 
    Wie magst du dich betören, 
    nicht hell zu sehn noch hören? 
    Was je Herr Tristan 
    dir verdankte, 
    sag, konnt' er's höher lohnen 
    als mit der herrlichsten der Kronen? 
    So dient' er treu 
    dem edlen Ohm; 
    dir gab er der Welt 
    begehrlichsten Lohn: 
    dem eignen Erbe, 
    echt und edel, 
    entsagt er zu deinen Füßen, 
    als Königin dich zu grüßen! 
(Isolde wendet sich ab.)  
    Und warb er Marke 
    dir zum Gemahl, 
    wie wolltest du die Wahl doch schelten, 
    muß er nicht wert dir gelten? 
    Von edler Art 
    und mildem Mut, 
    wer gliche dem Mann 
    an Macht und Glanz? 
    Dem ein hehrster Held 
    so treulich dient, 
    wer möchte sein Glück nicht teilen, 
    als Gattin bei ihm weilen? 
 
Isolde (starr vor sich hinblickend):  
Ungeminnt 
den hehrsten Mann 
stets mir nah zu sehen! 
Wie könnt' ich die Qual bestehen? 
 
Brangäne: 
Was wähnst du, Arge? 
Ungeminnt? – 
(Sie nähert sich schmeichelnd und kosend Isolde:)  
    Wo lebte der Mann, 
    der dich nicht liebte? 
    Der Isolden säh' 
    und in Isolden 
    selig nicht ganz verging'? 
    Doch, der dir erkoren, 
    wär' er so kalt, 
    zög' ihn von dir 
    ein Zauber ab: 
    den bösen wüßt' ich 
    bald zu binden. 
    Ihn bannte der Minne Macht. 
(Mit geheimnisvoller Zutraulichkeit ganz zu Isolde:)  
    Kennst du der Mutter  
    Künste nicht?  
    Wähnst du, die alles  
    klug erwägt,  
    ohne Rat in fremdes Land  
    hätt' sie mit dir mich entsandt? 
 
Isolde (düster):  
    Der Mutter Rat 
    gemahnt mich recht; 
    willkommen preis ich 
    ihre Kunst: 
    Rache für den Verrat, 
    Ruh' in der Not dem Herzen! 
    Den Schrein dort bring mir her! 
 
Brangäne: 
    Er birgt, was Heil dir frommt. 
(Sie holt eine kleine goldne Truhe herbei, öffnet sie und deutet auf ihren Inhalt.)  
    So reihte sie die Mutter, 
    die mächt'gen Zaubertränke. 
    Für Weh und Wunden 
    Balsam hier; 
    für böse Gifte 
    Gegengift. 
(Sie zieht ein Fläschchen hervor.)  
    Den hehrsten Trank, 
    ich halt ihn hier. 
Isolde: 
    Du irrst, ich kenn ihn besser; 
    ein starkes Zeichen schnitt ich ihm ein. 
(Sie ergreift ein Fläschchen und zeigt es.)  
    Der Trank ist's, der mir taugt! 
Brangäne (weicht entsetzt zurück):  
    Der Todestrank! 
(Isolde hat sich vom Ruhebett erhoben und vernimmt mit wachsendem Schrecken den Ruf des Schiffsvolks.)  
 
Schiffsvolk (von außen): 
HoHe! Ha! He! 
Am Untermast 
die Segel ein! 
Ho! He! Ha! He! 
 
Isolde: 
Das deutet schnelle Fahrt. 
Weh mir! Nahe das Land! 
 
(Durch die Vorhänge tritt mit Ungestüm Kurwenal herein.)  
 
VIERTER AUFTRITT 
 
Die Vorigen und Kurwenal: 
 
Kurwenal: 
Auf! Auf! Ihr Frauen! 
Frisch und froh! 
Rasch gerüstet! 
Fertig nun, hurtig und flink! 
(Gemessener.) 
Und Frau Isolden 
soll ich sagen 
von Held Tristan, 
meinem Herrn: 
Vom Mast der Freude Flagge, 
sie wehe lustig ins Land; 
in Markes Königschlosse 
mach' sie ihr Nahn bekannt. 
Drum Frau Isolde 
bät' er eilen, 
fürs Land sich zu bereiten, 
daß er sie könnt' geleiten. 
 
Isolde (nachdem sie zuerst bei der Meldung in Schauer zusammengefahren, gefaßt und mit Würde): 
Herrn Tristan bringe 
meinen Gruß 
und meld ihm, was ich sage. 
Sollt' ich zur Seit' ihm gehen, 
vor König Marke zu stehen, 
nicht möcht' es nach Zucht 
und Fug geschehn, 
empfing ich Sühne 
nicht zuvor 
für ungesühnte Schuld. 
Drum such er meine Huld. 
 
(Kurwenal macht eine trotzige Gebärde. Isolde fährt mit Steigerung fort.) 
 
Du merke wohl 
und meld es gut! 
Nicht woll' ich mich bereiten, 
ans Land ihn zu begleiten; 
nicht werd ich zur Seit' ihm gehen, 
vor König Marke zu stehen; 
begehrte Vergessen 
und Vergeben 
nach Zucht und Fug 
er nicht zuvor 
für ungebüßte Schuld: 
die böt' ihm meine Huld! 
 
Kurwenal: 
Sicher wißt, 
das sag ich ihm; 
nun harrt, wie er mich hört! 
 
(Er geht schnell zurück. Isolde eilt auf Brangäne zu und umarmt sie heftig.) 
 
Isolde: 
Nun leb wohl, Brangäne! 
Grüß mir die Welt, 
grüße mir Vater und Mutter! 
 
Brangäne: 
Was ist? Was sinnst du? 
Wolltest du fliehn? 
Wohin soll ich dir folgen? 
 
Isolde (faßt sich schnell): 
Hörtest du nicht? 
Hier bleib ich, 
Tristan will ich erwarten. 
Getreu befolg, 
was ich dir befehl, 
den Sühnetrank 
rüste schnell; 
du weißt, den ich dir wies? 
 
(Sie entnimmt dem Schrein das Fläschchen.) 
 
Brangäne: 
Und welchen Trank? 
 
Isolde: 
Diesen Trank! 
In die goldne Schale gieß ihn aus; 
gefüllt faßt sie ihn ganz. 
 
Brangäne (voll Grausen das Fläschchen empfangend): 
Trau ich dem Sinn? 
 
Isolde: Sei du mir treu! 
 
Brangäne: 
Den Trank – für wen? 
 
Isolde: 
Wer mich betrog – 
 
Brangäne: 
Tristan? 
 
Isolde: 
– trinke mir Sühne! 
 
Brangäne (zu Isoldes Füßen stürzend): 
Entsetzen! Schone mich Arme! 
 
Isolde (sehr heftig): 
Schone du mich, 
untreue Magd! 
Kennst du der Mutter 
Künste nicht? 
Wähnst du, die alles 
klug erwägt, 
ohne Rat in fremdes Land 
hätt' sie mit dir mich entsandt? 
Für Weh und Wunden 
gab sie Balsam, 
für böse Gifte 
Gegengift. 
Für tiefstes Weh, 
für höchstes Leid 
gab sie den Todestrank. 
Der Tod nun sag ihr Dank! 
 
Brangäne (kaum ihrer mächtig): 
O tiefstes Weh! 
 
Isolde: 
Gehorchst du mir nun? 
 
Brangäne: 
O höchstesLeid! 
 
Isolde: 
Bist du mir treu? 
 
Brangäne: 
Der Trank? 
 
Kurwenal (eintretend): 
Herr Tristan! 
 
(Brangäne erhebt sich erschrocken und verwirrt. Isolde sucht mit furchtbarer Anstrengung sich zu fassen.) 
 
Isolde (zu Kurwenal): 
Herr Tristan trete nah! 
 
FÜNFTER AUFTRITT 
 
Tristan: Isolde: Brangäne: Später Kurwenal, Schiffsvolk, Ritter und Knappen. 
 
Kurwenal geht wieder zurück. Brangäne, kaum ihrer mächtig, wendet sich in den Hintergrund. Isolde, ihr ganzes Gefühl zur Entscheidung zusammenfassend, schreitet langsam, mit großer Haltung, dem Ruhebett zu, auf dessen Kopfende sich stützend sie den Blick fest dem Eingange zuwendet. – Tristan tritt ein und bleibt ehrerbietig am Eingange stehen. – lsolde ist mit furchtbarer Aufregung in seinen Anblick versunken. – Langes Schweigen. 
 
Tristan: 
Begehrt, Herrin, 
was Ihr wünscht. 
 
Isolde: 
Wüßtest du nicht, 
was ich begehre, 
da doch die Furcht, 
mir's zu erfüllen 
fern meinem Blick dich hielt? 
 
Tristan: 
Ehrfurcht 
hielt mich in Acht. 
 
Isolde: 
Der Ehre wenig 
botest du mir; 
mit offnem Hohn 
verwehrtest du 
Gehorsam meinem Gebot. 
 
Tristan: 
Gehorsam einzig 
hielt mich in Bann. 
 
Isolde: 
So dankt' ich Geringes 
deinem Herrn, 
riet dir sein Dienst 
Unsitte 
gegen sein eigen Gemahl? 
 
Tristan: Sitte lehrt, 
wo ich gelebt: 
zur Brautfahrt 
der Brautwerber 
meide fern die Braut. 
 
Isolde: 
Aus welcher Sorg'? 
 
Tristan: 
Fragt die Sitte! 
 
Isolde: 
Da du so sittsam, 
mein Herr Tristan, 
auch einer Sitte 
sei nun gemahnt: 
den Feind dir zu sühnen 
soll er als Freund dich rühmen. 
 
Tristan: 
Und welchen Feind? 
 
Isolde: 
Frag deine Furcht! 
Blutschuld 
schwebt zwischen uns. 
 
Tristan: 
Die ward gesühnt. 
 
Isolde: 
Nicht zwischen uns! 
 
Tristan: 
Im offnen Feld 
vor allem Volk 
ward Urfehde geschworen. 
 
Isolde: 
Nicht da war's, 
wo ich Tantris barg, 
wo Tristan mir verfiel. 
Da stand er herrlich, 
hehr und heil; 
doch was er schwur, 
das schwur ich nicht: 
zu schweigen hatt' ich gelernt. 
Da in stiller Kammer 
krank er lag, 
mit dem Schwerte stumm 
ich vor ihm stund: 
schwieg da mein Mund, 
bannt' ich meine Hand – 
doch was einst mit Hand 
und Mund ich gelobt, 
das schwur ich schweigend zu halten. 
Nun will ich des Eides walten. 
 
Tristan: 
Was schwurt Ihr, Frau? 
 
Isolde: 
Rache für Morold! 
 
Tristan: 
Müht Euch die? 
 
Isolde: 
Wagst du zu höhnen? 
Angelobt war er mir, 
der hehre Irenheld; 
seine Waffen hatt' ich geweiht; 
für mich zog er zum Streit. 
Da er gefallen, 
fiel meine Ehr': 
in des Herzens Schwere 
schwur ich den Eid, 
würd' ein Mann den Mord nicht sühnen, 
wollt' ich Magd mich des erkühnen. 
Siech und matt 
in meiner Macht, 
warum ich dich da nicht schlug? 
Das sag dir selbst mit leichtem Fug. 
Ich pflag des Wunden, 
daß den Heilgesunden 
rächend schlüge der Mann, 
der Isolden ihm abgewann. 
Dein Los nun selber 
magst du dir sagen! 
Da die Männer sich all ihm vertragen, 
wer muß nun Tristan schlagen? 
 
Tristan (bleich und düster): 
War Morold dir so wert, 
nun wieder nimm das Schwert 
und führ es sicher und fest, 
daß du nicht dir's entfallen läßt! 
(Er reicht ihr sein Schwert dar.) 
 
Isolde: 
Wie sorgt' ich schlecht 
um deinen Herren; 
was würde König Marke sagen, 
erschlug' ich ihm 
den besten Knecht, 
der Kron' und Land ihm gewann, 
den allertreusten Mann? 
Dünkt dich so wenig, 
was er dir dankt, 
bringst du die Irin 
ihm als Braut, 
daß er nicht schölte, 
schlüg' ich den Werber, 
der Urfehde-Pfand 
so treu ihm liefert zur Hand? 
Wahre dein Schwert! 
Da einst ich's schwang, 
als mir die Rache 
im Busen rang, 
als dein messender Blick 
mein Bild sich stahl, 
ob ich Herrn Marke 
taug als Gemahl: 
Das Schwert – da ließ ich's sinken 
Nun laß uns Sühne trinken' 
(Sie winkt Brangäne: Diese schaudert schwankt und zögert in ihrer Bewegung. Isolde treibt sie mit gesteigerter Gebärde an. Brangäne laßt sich zur Bereitung des Trankes an.) 
 
Schiffsvolk (von außen): 
Ho! He! Ha! Hei 
Am Obermast 
die Segel ein! 
Hoi Hei Hai Hei 
 
Tristan (aus düsterem Brüten auffahrend): 
Wo sind wir? 
 
Isolde: 
Hart am Ziel! 
Tristan, gewinn ich Sühne? 
Was hast du mir zu sagen? 
 
Tristan (finster): 
Des Schweigens Herrin 
heißt mich schweigen: 
faß ich, was sie verschwieg, 
verschweig ich, was sie nicht faßt. 
 
Isolde: 
Dein Schweigen faß ich, 
weichst du mir aus. 
Weigerst du die Sühne mir? 
 
Schiffsvolk (vonaußen): 
Hoi Hei Hai Hei 
 
(Auf Isoldes ungeduldigen Wink reicht Brangäne ihr die gefüllteTrinkschale.) 
 
Isolde (mit dem Becher zu Tristan tretend, der ihr starr in die Augen blickt): 
Du hörst den Ruf? 
Wir sind am Ziel. 
In kurzer Frist 
stehn wir (mit leisem Hohne) 
vor König Marke: 
Geleitest du mich, 
dünkt dich's nicht lieb, 
darfst du so ihm sagen: 
"Mein Herr und Ohm, 
sieh die dir an: 
ein sanfires Weib 
gewännst du nie. 
Ihren Angelobten 
erschlug ich ihr einst, 
sein Haupt sandt' ich ihr heim; 
die Wunde, die 
seine Wehr mir schuf, 
die hat sie hold geheilt. 
Mein Leben lag in ihrer Macht: 
das schenkte mir 
die holde Magd, 
und ihres Landes 
Schand und Schmach 
die gab sie mit darein, 
dein Ehgemahl zu sein. 
So guter Gaben 
holden Dank 
schuf mir ein süßer 
Sühnetrank; 
den bot mir ihre Huld, 
zu sühnen alle Schuld." 
 
Schiffsvolk (außen): 
Auf das Tau! 
Anker los! 
 
Tristan (wild auffahrend): 
Los den Anker! 
Das Steuer dem Strom! 
Den Winden Segel und Mast! 
(Er entreißt ihr die Trinkschale.) 
 
Wohl kenn ich Irlands 
Königin 
und ihrer Künste 
Wunderkraft. 
Den Balsam nützt' ich, 
den sie bot: 
den Becher nehm ich nun, 
daß ganz ich heut genese. 
Und achte auch des Sühneeids, 
den ich zum Dank dir sage! 
Tristans Ehre – 
höchste Treu'! 
Tristans Elend – 
kühnster Trotz! 
Trug des Herzens! 
Traum der Ahnung! 
Ew'ger Trauer 
einz'ger Trost: 
Vergessens güt'ger Trank, 
dich trink ich sonder Wank! 
(Er setzt an und trinkt.) 
 
Isolde: 
Betrug auch hier? 
Mein die Hälfte! 
(Sie entwindet ihm den Becher.) 
Verräter! Ich trink sie dir! 
(Sie trinkt. Dann wirft sie die Schale fort. Beide, von Schauer erfaßt, blicken sich mit höchster Aufregung, doch mit starrer Haltung, unverwandt in die Augen, in deren Ausdruck der Todestrotz bald der Liebesglut weicht. Zittern ergreift sie. Sie fassen sich krampfhafl an das Herz und führen die Hand wieder an die Stirn. Dann suchen sie sich wieder mit dem Blick, senken ihn verwirrt und heften ihn wieder mit steigender Sehnsucht aufeinander.) 
 
Isolde (mit bebender Stimme): 
Tristan! 
 
Tristan (überströmend): 
Isolde! 
Isolde (an seine Brust sinkend): 
Treuloser Holder! 
 
Tristan (mit Glut sie umfassend): 
Seligste Frau! 
 
(Sie verbleiben in stummer Umarmung. Aus der Ferne vernimmt man Trompeten.) 
 
Ruf der Männer (von außen auf dem Schiffe): 
Heil! König Marke Heil! 
 
Brangäne (die, mit abgewandtem Gesicht, voll Verwirrung und Schauder sich über den Bord gelehnt hatte, wendet sich jetzt dem Anblick des in Liebesumarmung versunkenen Paares zu und stürzt händeringend voll Verzweißung in den Vordergrund): 
Wehe! Weh! 
Unabwendbar 
ewge Not 
für kurzen Tod! 
 
Tör'ger Treue 
trugvolles Werk 
blüht nun jammernd empor! 
(Tristan und Isolde fahren aus der Umarmung auf) 
 
Tristan (verwirrt): 
Was träumte mir 
von Tristans Ehre? 
 
Isolde: 
Was träumte mir 
von Isoldes Schmach? 
 
Tristan: 
Du mir verloren? 
 
Isolde: 
Du mich verstoßen? 
 
Tristan: 
Trügenden Zaubers 
tückische List! 
 
Isolde: 
Törigen Zürnens 
eitles Dräun! 
 
Tristan: 
Isolde! 
 
Isolde: 
Tristan! 
 
Tristan: 
Süßeste Maid! 
 
Isolde: 
Trautester Mann! 
 
Beide. 
Wie sich die Herzen 
wogend erheben! 
Wie alle Sinne 
wonnig erbeben! 
Sehnender Minne 
schwellendes Blühen, 
schmachtender Liebe 
seliges Glühen! 
jach in der Brust 
jauchzende Lust! 
Isolde! Tristan! 
Welten-entronnen, 
du mir gewonnen! 
Du mir einzig bewußt, 
höchste Liebeslust! 
 
(Die Vorhange werden weit auseinandergerissen; das ganze Schiff ist mit Rittern und Schiffsvolk bedeckt, die jubelnd über Bord winken, dem Ufer zu, das man, mit einer hohen Felsenburg gekrönt, nahe erblickt. – Tristan und Isolde bleiben, in ihrem gegenseitigen Anblick verloren, ohne Wahrnehmung des um sie Vorgehenden.) 
 
Brangäne (zu den Frauen, die auf ihren Wink aus dem Schiffsraum heraufsteigen): 
Schnell, den Mantel, 
den Königsschmuck! 
 
(Zwischen Tristan und Isolde stürzend.) 
Unsel'ge! Auf! 
Hört, wo wir sind! 
(Sie legt Isolde, die es nicht gewahrt, den Königsmantel an.) 
 
Alle Männer. 
Heil! Heil! Heil! 
König Marke Heil! 
Heil dem König! 
 
Kurwenal (lebhafl herantretend): 
Heil Tristan, 
glücklicher Held!  
Mit reichem Hofgesinde 
dort auf Nachen 
naht Herr Marke: 
Hei, wie die Fahrt ihn freut, 
daß er die Braut sich freit! 
 
Tristan (in Verwirrung aufblickend): 
Wer naht? 
 
Kurwenal: 
DerKönig! 
 
Tristan: 
Welcher König? 
 
(Kurwenal deutet über Bord.) 
 
Alle Männer (die Hüte schwenkend): 
Heil! König Marke Heil! 
 
(Tristan starrt wie sinnlos nach dem Lande.) 
 
Isolde (in Verwirrung): 
Was ist, Brangäne? 
Welcher Ruf? 
 
Brangäne: 
Isolde! Herrin! 
Fassung nur heut! 
 
Isolde: 
Wo bin ich? Leb ich? 
Ha! Welcher Trank? 
 
Brangäne (verzweiflungsvoll): 
Der Liebestrank. 
 
Isolde (starrt entsetzt auf Tristan): 
Tristan! 
 
Tristan: 
Isolde! 
 
Isolde: – 
Muß ich leben? 
(Sie stürzt ohnmachtig an seine Brust.) 
 
Brangäne (zu den Frauen): 
Helft der Herrin! 
 
Tristan: 
O Wonne vollerTücke! 
O truggeweihtes Glücke! 
 
Alle Männer (Ausbruch allgemeinen Jauchzens): 
Heil dem König! 
Kornwall Heil! 
 
(Trompeten vom Lande her.) 
(Leute sind über Bord gestiegen, andere haben eine Brücke ausgelegt, und die Haltung aller deutet auf die soeben bevorstehende Ankunft der Erwarteten, als der Vorhang schnell fallt.) 
 
 
Richard Wagner : Tristan und Isolde : 1. Akt  /  2. Akt  /  3. Akt
 
 
Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg, 1., 2. und 3.Aufzug * Das Lied vom Tannhäuser
Chrêtiens und Wolframs Parzival * Wagner: Parsifal * Tristan * Wolfram und Klingsôr im Wartburgkrieg:
Der Gral als Stein aus der Krone der Gerechtigkeit * Luzifers Sturz (Jes 14,12 ff) * Der "köstliche Stein" (1.Petrusbrief)
Goethe: Das Märchen / Deutung (R.Steiner) * Novalis: Klingsohrs Märchen im "Heinrich von Ofterdingen" * Novalis: Hymne
Elischa Beth: "...noch einen Tannhäuser schuldig" bzw. "Zwiebelgold" (Roman) * vgl. 7.Rundbrief 2005
*+)
Index * Rheingold-Travestie * lapsit exillîs (Index) * Mr.Eckhart * Böhme: Aurora * Chym. Hochzeit * Venus-Geburt
Rgveda * Nietzsche: Raffaels "Transfiguration" * Proklos * Pascal: l'infini * Leibniz: Monaden * Kant: Raum und Zeit
Novalis: Lehrlinge zu Sais / Hymne / Astralis / Klingsohrs Märchen / Hymnen an die Nacht * Novalis, Schelling
Kafka: Parabeln * Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? / Theosophie * Luzifers Sturz
1.Joh-Brief * Paulus * Hebräerbrief * Entfaltet der SOHN die Werke des Vaters auch in der Natur?
Gott ist Licht * Gott ist Liebe * Gott ist Geist * Pfingsten * Johannesevang.: Hochzeit zu Kana * Perlenlied
Das Hohe Lied: "Wo ist denn dein Freund hingegangen?" * Runge: Der Morgen * Euripides: Die Bakchen
 
* emaille?! an den Autor, Übersetzer und Herausgeber (FEIRE FIZ)
 
FEIRE FIZ : lapsit exillis : Gral : Tristan : 1.Akt
 
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