Hans
Zimmermann, Görlitz
: philosophische Lyrik : Zweistern
*
Einsstern
* Zweistern *
Dreistern * Vierstern
* Fünfstern *
Sechsstern * Siebenstern
* Achtstern
ZWEISTERN
1 Introitus
* 2 Lied * 3 Wenn ich in der Straßenbahn
sitze * 4 Wir gehen jetzt in diese Kurve
5 Und
du kannst nicht auffinden * 6 Gib den Leuten dein Licht
* 7 Gewöhnlich lebte ich die Wände
8 Koordinaten
* 9 Bitte schnell sagt * 10 Deine Wege
* 11 Kreide * 12 Wenn du dich bewegst
13 Einst
weinte ich * 14 Plus und Minus
1
Introitus
Euch euch alle die ich
eingeladen habe
die ihr alle hier versammelt
seid
euch möchte ich durch
meinen Fleischwolf drehen
daß euch das Hören
und Sehen vergeht
vor lauter Hören und
Sehen
und euch die Zunge:aus
dem Mund raushängt
vor lauter Schlecken und
Schmecken
und die Backen aufweichen
vor lauter Lachen und Weinen
Euch euch alle die ihr
schaut und lauscht
die die eigene Neugier
hergelockt hat
euch möchte ich durch
meinen Fleischwolf drehen
euch möchte ich in
meinen Teppich wehen
euch möchte ich zu
einem Brei vermatschen
und so ungenießbar
wie ihr seid
verschlingen und verdauen
zerheißen und zerkauen
oder auch nur ausspucken
Euch euch alle die ihr
nie erfahren habt
wie man sich findet wenn
man sich vergessen hat
euch möchte ich durch
meinen Fleischwolf drehen
daß euch das Leben
und Sterben vergeht
die ihr in eurem Staunen
ertrinkt
und euer Bauch platzt wenn
ihr lacht
und ihr schüttet eure
Weisheit heraus
in riesigen Flocken aus
unverdauter Erfahrung
Euch euch alle die ihr
nie verstanden habt
wie man sich vergißt
wenn man sich gegessen hat
euch möchte ich durch
meinen Fleischwolf drehen
euch möchte ich zu
einem langen Zopf
aus dem bunten Stoff verflechten
der ihr seid
doch man sollte euch allesamt
in eine Wurst stopfen
in dünne Scheiten
schneiden
und die Butterbrote damit
belegen
die ihr eßt
und die vorne sitzen essen
die die hinten sitzen
und die in der Mitte sitzen
kauen an den Rändern
und die oben angeln sich
die fetten Brocken
aus dem Rest
und ich schau euch gerne
zu
bis ihr euch zur Sättigung
vernichtet habt
bis ihr zur Vernichtung
euch gesättigt habt
und ich schau euch gerne
zu
wie ihr euch verschlingt
Euch euch alle die ihr
hergekommen, seid
unbeschaut unzerkaut und
unverdaut
euch möchte ich durch
meinen Fleischwolf drehen
zu einem Lied zerkauen
zu einem Lied verdauen
2
Lied
Das Lied in meinem Ohr
zieht mein Gefühl hinein
in einen Strudelwirbelsturm
der die Gedanken bricht
befreit von Zweck und Ziel
von Angst und Bann und Zeit und Pflicht
und alle großen Mächte
spielerisch verkleint
Kein fester Schwerpunkt
baut dir ein Gefängnishaus
um dich in einen Glauben
festzunageln deinen Sinn
zu binden an die Angst
zu fragen wer ich bin
zu hören daß
die Antwort das ist was du glaubst
Und deine Freiheit ist
der Schöpfer deiner Lust
zu finden wo du suchst
zu fühlen wie du dich bewegst
wenn deine Füße
formen Schritt aus Schritt und du dich regst
und locker deine Beine
schlenkerst deiner selbst bewußt
zu treiben in dem Fluß
des reichen Bilderspiels
das deine Augen wählen
aus dem unbegrenzten Meer
das durch Erfahrung unterteilt
ein reichgestaltes Heer
an Formen dir bereithält
die du bindest wie du willst
So knüpfst du aus
der aufgelösten Welt dir ein Gewand
aus neuen Bildern setzt
Betonung Rhythmus Melodie
Musik aus den gedankenfreien
Klängen die noch nie
gehört noch nie erregt
den zitternden Verstand
Doch immer tiefer wirbelt
dich der Strudelsturm
und immer enger kreist
die Suche nach der Lust
und überschäumend
rauscht der schillernd farbenreiche Überfluß
der lustgefüllte Spiegeltraum-Gedankensturm
Bald fühlst du wie
dein Wissen immer größren Raum umfängt
und Sonnentag und Sternennacht
den Ball umgleiten der dich zieht
verlornes Korn im Weltenwirbel
das der Kraft der Sonne flieht
in Lichtgewebe dünnen
Nebeltraums versenkt
Zwar ordnest du ganz wie
du willst in deinem Spiegelblick
kristallner Sphären
Sternensteine unscheinbares Licht
in schwarzer Stille feinverteilter
Spannung Gleichgewicht
im Muster deines Blickkaleidoskopes
Stück für Stück
doch wenn du lachst zerschüttelst
du den strengen Bann
zersplittert in den starken
Wellen unbezwungner Mächte Spiel
aus rasend freiem Zufall
der dein Leben treibt ohn Angst und Ziel
im Wechsel neuer Lieder
die der Wind dir sang
3
Wenn ich in der Straßenbahn
sitze
hinter einem Rückenfragment
Kleidmuster verklingen
konkret
Die Verzierung ist der
Gegenstand
Wenn ich aus der Haustür
trete
ist diesmal alles fremd
bis ich in
die Rasenlandschaft spucke
Dich kenn ich doch
Duchelnester habe ich in
meiner Haut
warme Verstecke für
wohliges
Behagen voll Sätte
aber
das betäubt mich so
und das alles schlägt
mich anders
nieder in den Schlaf
den Straßenreiniger
der mich wegfegt
Über den Vergessenknick
mache ich alles neu
4
Wir gehen jetzt in diese
Kurve
mit Karacho hinein auch
wenn sie nie
aufhören würde
uns in die Seite zu reißen
mit ihrem Außensog
dir Müdigkeit
Nur das Steuer liegt in
deiner Hand
wie eine Wünschelrute
die titscht
dir weg jetzt und wir sind
ja nun auch
auf dem Weg durch die Zeit
und die
läuft ja ganz von
alleine ab
als Funktion der großen
Lustkammer-
Maschine die die Veränderungen
verarbeitet und verdaut
und zerteilt
und arbeitet mit der ergiebigen
Kraft des gebändigten
Lebens
voran als das Begreifen
der
ewigneuen ewigneuen Zeit
5
Und du kannst nicht auffinden
die weiße zarte
Schleierrauschbraut im
Tonkleinhackerapparat
die Pirouettenachse deiner
Spiralechorotationsmaschine
die Sssierrrangbiouwasprudelquelle
deiner Gedankenblasen
und doch füllst du
so eine ganze kleine Zelle
Raumillusion Luftschaum
Lustluft
In deinem Schlammschloß
überquillt
in meiner Traumerweckung
sanft
überkippst du ins
Überall
Rund erträumst du
den Drüberdrall
den Hyperhall in das Hinüber-
Passiertsein Und du verkriechst
dich immer tiefer
in dein Konservenzellennest
Blechschaumschnecke
in dein Mich hinein
in den Rest
unaufhörlich
Aber kehr doch besser um
und trompete dich Schmerzfleischknoten
raus aus der Windung!
In die Entspannungslust
über allen Himmeln
explodieren die Sonnen
in den Morgen
Sieh mit socher Macht
entfaltet sich zum Tag
Vereinigungs Hallfalten
Echoglanz
Geeinter Wellen Schwingung
Rhythmus Tanz
So gliedere dich ein in
diese Pracht
Ja mit solcher Macht
entfaltet sieh zum Tag
der Rosettenblütenstern
aus der Knospe dieser Nacht
6
Gib den Leuten dein Licht
dann weißt du wie
hell ihre
Gesichter sind
Gib dein Ja wenn du sie
suchst
Gib noch ein Ja wenn du
sie
hinter den vielen Windungen
ihres Lebens nicht mehr
findest
Oder laß dich von
ihnen davonwehen
das ist ganz einerlei
Wie willst du sie denn
haben
Wie willst du sie denn
haben
Wie willst du sie denn
haben
lachte Diogenes und schlenkerte
seine Lampe und rief
Du bekommst ja noch viel
mehr dazu als du alleine fassen kannst
Sei leicht sei leicht sei
leicht
Verlaß dich nicht
so viel auf andere
du bist der Neukeim am
Straßenrand
und oben spülen die
Laster durch die Autobahn die versanden dich
so nebenbei
Laß dich von ihnen
davonwehen
das ist ganz einerlei
Gib den Leuten dein Licht
Gib dein Ja wenn du sie
suchst
und sie freuen sich und
leuchten dir zurück
wenn du sie hinter den
vielen Windungen
ihres Lebens endlich
findest
Gib den Leuten dein Licht
dann weißt du
wie hell ihre Gesichter
sind
7
Gewöhnlich lebte ich
die Wände
meiner Wohnung entlang
durchglitt die harte Schale
um meinen eigentlichen
Zweck
Doch nun ziehe ich ein
in mein Haus
und fülle die Räume
die ich bewohne
schmücke die Wände
mit Bildern und Spiegeln
schaue nun von innen zum
Fenster hinaus
Tritt ein durch die Tür
mein Gast
da ich dein Lächeln
nun versteh
hüpft mir das Herz
wir leben ja
gemeinsam eine neue Dimension
8
Koordinaten
Im stumpfen Winkel gotischer
Fensterbögen
kreuzten wir unsere Wege
und schlossen auf den wilden
Rest
der Weltvernunft
Dein Wissen und mein Lachen
kreisten sanft durch alle Themen
und alle Themen bog und
brach unser Gespräch
in Gitternetze und Blickwinkelfacetten
Wagenräder die sich
gegeneinander drehten
um gemeinsame Nabe
das kreisende Leben ein
sanfter Kampf
zerreißendes Spiel
War denn die ruhige Mitte
die unbewußte Achse
zwischen uns
des Todes Pol?
Hätten wir ihn erfüllt
mitten einander
wir hätten gekreuzt
im stumpfen Winkel gotischer
Fensterbögen
den wilden Rest des Lebens
9
Bitte schnell sagt
was soll ich tun
wenn die steinerne Frau
aufwacht
wenn sie plötzlich
- die doch ein lebloser
Teil von all der Dingwüste
ist
sich löst von meiner
Blindheit
und ein Wesen wird das
sich bewegt
und eine neue Gefahr und
eine neue Macht
wenn sie dann ein neues
Selbst wird
Fremd fremd aber ich habe
dich immer gekannt
Immer habe ich dich gewollt
Doch neue Stärke drängt
dein Blick auf mich ein
und das Spiel des Windes
wirbelt uns
im Kreis zusammen zu einer
neuen Sonne
10
Deine Wege
Wer bist du der ich das
sage
Mischung aus den mir vertrauten
Ereunden
Erwartungen deren Erfüllung
gewohnt
ein unbestimmtes offenes
Ohr
Wo bist du der ich das
sage
Meine Ereunde kennen mich
nicht mehr
Erfüllt bin ich nur
ohne Erwartungen
Alles geht seine Wege
Wie bist du der ich das
sage
geblieben vor meinen Gedanken
Ob ich frage ob ich lächle
da ist deine Güte
die Antwort
Wann bist du der ich das
sage
verschwunden von meiner
Seite
Oh nein nie hat mich dein
bloßes Dasein verlassen
Was bist du der ich das
sage
geworden in all der Zeit
So viele Eormen durchwandelt
deine stetige Aufmerksamkeit
Wer bist du der ich das
sage
geworden in all der Zeit
Ob ich frage ob ich lächle
Alles geht deine Wege
11
Kreide
Sie ist die größte
Dichterin
Aus jedem ihrer Worte
spricht wahre Überzeugung
hingegeben an dich
Sie singt ein altes Lied
das klingt so jung und
unverblümt
und weckt mir meine Sinne
und blinzelt über
all dies
schnörkelreiche Treiben
ein spöttisch leises
Ja
Denn überall schlüpfen
meine langen
Finger hindurch und erwärmen
die konkreten Träume
der Gegenwart
mit Ungeduld
Und immer schon habe ich
die Ruhe gesucht
Am Grunde der treibenden
Strömung
sprechen die Steine
Nie hast du je
eine größere
Kostverächterin
gesehen als sie
und überall wo deine
Mühlen
mahlen ist sie dicht
am Mittelpunkt
ein frühes Opfer
Die Kreide die ich auf
meiner Tafel zerreibe
was bin ich Schreiberling
sie wert?
12
Wenn du dich bewegst folgen
die Farben den dünnen Linien nach
dem zarten Reiz der scharfen
Formenfronten
die Tusche und Wische meiner
grünen und roten Gelächter
die Marmeladen und Soßen
die Gefühlsfelder
überschwemmen die
Konturen deines Charakters
wenn du nicht schon weit
vorausgeglitten wärst
aus meinem Gesicht
abgelöst
Und wenn du sprichst singst
du Musik die mich ertappt
bevor der Inhalt deiner
Absicht ganz entrollt ist
die ach so helle Sinfonie
der kleinen Welt
im Spiegel deiner Stimme
meine Liebe
Was schaust du mich jetzt
an was meint dein Blick
Oh wär ich doch nur
nicht so ein stumpfer Klotz
und könnte dir leise
Antwort geben
auf deine geheimnisvollen
Wünsche
ganz dicht bei der Stille
Oh diese tosende Stille
verschlingt mich ganz und
gar
Pah dein Lachen bricht
meine Bilder in tausend Stücke
von denen jedes anders
die Welt ist
Die Wellen deiner Wirklichkeit
treiben mich fort
mich fort
wohin meine Liebe
wo bin ich
bin ich
oh -
13
Einst weinte ich
und fand keinen Trost
weil wir so auseinandersprühen
und wachsen
in Einsamkeit
Bevor wir uns teilten
waren wir wohl
Narziß
Jetzt sind wir nicht Fisch
noch Fleisch
nichts Halbes und nichts
Ganzes
Und es gilt: Alles oder
Nichts
Doch wir leben ohne Ergebnis
und ohne uns zu kennen
Warum sind wir nicht geblieben
wo wir herkommen?
Doch sieh
Es ist so viel
daß wir überhaupt
sind
Und es ist eins
ob wir in uns ertrinken
oder in dem leeren Raum
zwisehen uns
verwehen
14
Plus und Minus
Dumich Ichdich
Nordpol Südpol
Gemini wie
Tag und Nacht wie
Himmel und Erde wie
Erlebnis und Plan
paaren sich ungleiche Spiegel
an der gleitenden Symmetrieachse
die Schmetterlingsflügel
der Blindheit
mit der wir Subjekt-Objekt
durch unsere Erfahrungsschaumwatte
hindurchschmelzen hindurchwälzen
Wir Gottzwilling der vollkommenen
Unterscheidung
die wir in unserer Entzweiung
herumirren herumschwirren
auf der Flucht vor unserer
Suche
auf der Suche nach unserer
Flucht
bis wir alles ausgefüllt
haben
mit unserer Trennungsbindung
alles ausgefüllt haben
Einsstern
* Zweistern * Dreistern
* Vierstern * Fünfstern
* Sechsstern
Siebenstern
* Achtstern
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