"Kommen Sie aus Kerala?"
fragte mich Rañjit, ein Freundesfreund, letzten Samstag, als wir
in einem gemütlichen Kaffeehaus in Berlin saßen. Hochwinter,
kurz nach Silvester; ich sah draußen die belebten Straßen,
die bunten Neonlichter der Geschäfte und sagte: "Nein, ich komme aus
Bombay ... ich meine aus Mumbai." Er schlürfte weiter seinen indischen
Tee, und ich löffelte den restlichen Kaffeeschaum von meiner Tasse.
Es war kurz vor 17 Uhr und schon dunkel. Zwei Kastanienbäume vor der
Fensterfront zeigten ihre blattlosen Silhouetten. Eine schöne Baumform,
warum malt sie keiner? "Ich war vor vier Jahren
in Mumbai. Es ist eine faszinierende Stadt", sagte er. Ich war halb amüsiert.
Er redete weiter von den "beautiful" Plätzen in Mumbai, deren Namen
ich ihm nannte. Dayanand lachte halbherzig über seine nostalgischen
Anfälle. Ich fand das nicht witzig und sagte: "Ja, wir leben alle
noch in Indien. Leider existiert das Land in unseren Erinnerungen und in
unseren Idealen." Die anderen stimmten lachend zu, und ich spürte
eine warme Welle von unsichtbarem Verständnis zwischen uns. Ja, so ist es. Veränderung ist
ein natürliches Gesetz, und wenn man an dieser Veränderung nicht
mitwirken kann, ist man nur ein passiver Teilnehmer, wie man eine Geschichte
in einem Buch liest. Meine Indienbesuche sind immer so ein buntes Passiv-Aktiv-Spiel.
Die Heimat ändert sich, aber ich bin trotzdem zu Hause, wenn ich dort
bin. "Was verbindet einen Menschen wirklich mit seinem Geburtsland?", frage
ich mich jedesmal, wenn ich von Indien in meine Wahlheimat zurückkomme.
Ich schreibe heute die Erinnerungen auf, um eine Antwort zu finden. Es
wird mir kaum gelingen, den chaotischen Gedankenkreisen und dem Gefühlswirrwarr
meines Besuchs ein ordentliches und vernünftiges deutsches Wort zu
schenken. Meine Pläne, Indien
zu besuchen begannen mit einer Hochzeitseinladung. Ich hatte meiner Nichte
versprochen, dass ich auf jeden Fall ihrer Hochzeit beiwohnen würde,
wenn sie eines Tages heiratete. Und ich habe mein Wort gehalten. Mein Mann brachte mich
früh morgens am 29. November zum Dresdener Flughafen. Es regnete,
als ich Abschied nahm. Ich hatte viel Zeit, bis die erste Maschine mich
nach Zürich nahm. Zuerst einmal checkte ich ein. Ich wollte gepäcklos
herumlaufen. Eine gepflegte Dame am Counter nahm meinen Rucksack und machte
die Bordkarte für mich fertig. "Ich möchte gerne einen Fensterplatz,
und nicht über dem Flügel bitte!" war meine immer gleiche Forderung.
Sie blickte an mir hoch, und ich wusste, was sie dachte: 'Meine Güte,
sie spricht ja Deutsch!' Es amüsiert mich, wenn ich die Gedanken anderer
Menschen erraten kann. "Gut, aber Sie müssen
für den Flug nach Mumbai eine neue Bordkarte in Zürich abholen.
Ich kann von hier aus keinen Platz für Sie reservieren. Haben Sie
scharfe Gegenstände in Ihrem Gepäck?" fragte sie mich. Ich musste
meine Nagelfeile demonstrativ schnell in den Rucksack packen, bevor er
auf dem laufenden Fließband verschwand. Dresden hat ein neues
Flughafengebäude, groß, aber übersichtlich. Im unterirdischen
Stockwerk befand sich sogar ein S-Bahnhof, von dem aus die roten Züge
in die Innenstadt und wieder zurück führten. Ich hatte Angst
einzuschlafen; deshalb spazierte ich überall herum und sah dem gigantischen
Bau, Cargo- und Passagierflugzeugen und den Reisenden neugierig zu. Innerlich
bereitete ich mich für den großen Sprung vor, natürlich
unbewusst. Irgendwann einmal packte mich die Unsicherheit und ich ging
durch die Sicherheitskontrolle zu meinem Gate. Ich nahm den freundlichen,
kostenlosen Service des Flughafens in Anspruch und genoss eine Tasse Kaffee
mit einer Zeitung. Die ZEIT war noch frisch mit ihrem Tintengeruch. "Die Kraft unserer Träume
liegt darin, unsere Sicht der Dinge und damit auch die Welt zu verändern.
Wenn genug Menschen einen bestimmten Traum haben, dann wird es am Ende
Realität werden." Ich las den Artikel über einen brasilianischen
Schriftsteller, Paulo Coelho. Es war interessant, was er in seinem Interview
äußerte: "Unsere Träume sind die eigentlichen Bestimmungen
unseres Lebens, und unser Universum selbst ist ein Traum Gottes." Ich dachte noch darüber
nach, und plötzlich war ich im Flugzeug! Es war wenig aufregend, als
die kleine Maschine von Crossair den Boden verließ und sich gen Himmel
emporhob. Aber es war spannend wie immer, die Stadtlandschaft von oben
zu betrachten, "durch Gottes Auge", wie Tania Blixen geschrieben hat. Ja,
es war so. Von oben aus sah Dresden mit seiner stolzen Elbe wie ein Luftbilder
aus. Ich war sprachlos und fasziniert. Bald waren wir über der Wolkenschicht,
und die Sicht 'durch Gottes Auge' verschwand. Ich plauderte mit einer Flugbegleiterin,
die heute wenig Gäste zu bedienen hatte. Die Maschine war nur halb
voll. Komischerweise sprachen wir Englisch, weil ich ihren Schweizer Akzent
nicht gut verstand. "Are you feeling cold?
Your overcoat is very thin." "No, yes, I'm flying
further to Mumbai today." Ich gab ihr eine politische Erklärung, warum
Bombay nun Mumbai heißt. Sie beneidete mich wegen des warmen Klimas
in den Tropen. "Are you studying here?" "No." "You wish to celebrate
Christmas with your family there, don't you?" "No, I am going to attend
a big wedding and I am Hindu." Ich glaube, sie hat meinen
letzten Satz nicht verstanden. "Oh, your own wedding?"
fragte sie mich. Ich zeigte ihr meine rechte Hand mit dem Ring und wir
lachten herzlich. Die Schweiz näherte
sich, und die Maschine senkte sich ein paar hundert Meter hinab. Ich konnte
die Felder sehen: grün, braun, gelb und schwarz. Ordentlich gerahmt
mit undurchsichtigen Linien, so sichtbar deutlich. Die niedlichen kleinen
Dörfer und Wälder, die Hügel und Straßenlinien lagen
wie gemalt. Die Welt unter uns war so sauber und schön. Ehrlich gesagt,
ich war ein bisschen enttäuscht, weil ich die Alpen nicht von oben
besichtigen konnte. Es war zu bedeckt. Nach der Landung eilte
ich zum Transfer, und mit mir lief ein spanischer Junge, der neben mir
gesessen hatte. Er wollte nach Madrid. Wir beide hatten Zeitdruck, die
Anschlussmaschine nicht zu verpassen. Ich erzählte ihm, dass ich kürzlich
in Nordspanien war und diese dritte große Weltsprache gerne lerne.
"POR SUPUESTO" – mein Lehrbuch, war bei mir. Es freute ihn selbstverständlich. Ich nahm meine Bordkarte
und ging durch die Sicherheitskontrolle. Meine Goldarmreifen machten Probleme
wegen des Metalldetektors, und ich musste sie mit großer Mühe
vorher ausziehen. Die Sicherheitsbeamtin sympathisierte mit meiner Qual,
und ich lachte auch über mich. Warum musste ich unbedingt auf der
Reise den Schmuck tragen? Ich hüpfte wie ein Hase durch den türlosen
Rahmen hin und her, um die Sicherheitsbeamten zufrieden zu stellen. Siebeneinhalbstündiger
Flug nach Mumbai! Es waren mehr Inder als Ausländer an Bord. Ich bekam
keinen Fensterplatz. Ich quetschte mich zwischen zwei dicke Inder in der
mittleren Reihe und nickte den beiden zur Begrüßung zu. Jeder Passagier hatte
einen eigenen Fernsehmonitor mit verschiedenen Programmen. Man konnte wählen:
Zwei indische Filme, zwei amerikanische Filme, Popmusik, indische Musik,
Fluginformation und Videospiele. Luxus pur! Die Maschine war voll bis auf
den letzten Platz, mit 300 Passagieren, die Bedienung war freundlich und
mehrsprachig. Wie soll man verstehen, warum Swissair den Konkurs angemeldet
hat? Ich las und trank viel wegen der Feuchtigkeitszufuhr im Körper.
Es war eine sehr trockene Luft in der Maschine. Nach vier Stunden dehnte
sich die Zeit immer mehr, und wir hatten immer noch den Rand der Balkanhalbinsel.
Es ist merkwürdig, die Zeit- und Raumlosigkeit zu spüren, wenn
man fliegt. Ich vermisste alles, was hinter mir geblieben war, und hatte
Bedenken, was mich wohl erwartete. Es blieb mir nichts anderes übrig,
als ständig die Weltkarte mit unserer Flugposition auf dem Monitor
zu sehen. Temperatur, Luftgeschwindigkeit, Bodengeschwindigkeit in km usw. Nach Mitternacht landeten
wir endlich. Vor fünf Jahren haben Passagiere nach der Landung immer
applaudiert. Es scheint aus der Mode zu sein. Als ich aus dem Tunnel in
das Flughafengebäude eintrat, drückte mir die vertraute Hitze
in den ganzen Körper, und der Geruch der Desinfektionsmittel stieg
in meine Nase. Der Papst küsst immer den Landesboden, wo er ankommt;
ich wollte etwas Ähnliches tun, aber die Formalitäts-Schwellen
mussten bewältigt werden: Passkontrolle, Zollerklärung, das Gepäck
abzuholen und den Weg durch die Menschenschlange zu finden, das frisst
die ganze Empfindung. Draußen warteten
meine zweitälteste Schwester und ihr Mann, um mich abzuholen. Ich
bückte mich automatisch hinab, um ihre Füße zu berühren
und den Segen zu empfangen. Die erste höfliche Geste, die eine Art
von Angelpunkt zwischen den zwei Welten war. Ja, ich war zu Hause! Die beiden wunderten
sich, weil ich innerhalb von 20 Minuten nach der Landezeit schon draußen
ankam. Üblicherweise dauert es bis zu zwei Stunden, wenn man gar kein
Glück hat. Wir hatten eine Autostrecke von 180 km bis Pune vor uns.
Mein Schwager ging den Fahrer suchen. Ich hielt die dünne weiche Hand
meiner Schwester und streichelte sie zärtlich. Wir sprachen gleichzeitig
und durcheinander vor Freude und Aufregung. Ich vermied es, über ihre
Krankheit zu sprechen. Es war ein Gedränge, und Tausende von Menschen
waren um diese Uhrzeit draußen wie bei einem Festival, und ich fragte
danach. Sujata erzählte vom indischen Cricket-Team, das gerade aus
Südafrika angekommen sei. "Das ist gar nichts,
Uma. Normalerweise ist die Menschenmenge doppelt so groß, mit Blumengirlanden
und Musikgruppen und Photographen und Reportern und viel Tamtam drum herum.
Unser Team hat dieses Mal verloren, deshalb ist es sehr ruhig heute." Ruhig? Die Definition
für dieses Wort mag wohl in einem indischen und einem deutschen Lexikon
verschieden sein. Zu meiner Überraschung umarmte jemand mich heftig
von hinten und hob mich hoch! "Du bist leicht wie ein
Spatz", sagte mein hochgewachsene Neffe mit lachender Stimme. Als ich auf
den Boden kam, freute ich mich sehr und schlug ihn vorwurfsvoll: "Du Esel,
schämst du dich nicht, deine alte Tante so zu behandeln?" Ein anderer Neffe kam
wie eine Schießkugel durch die zahlreichen Menschen geradewegs auf
mich zu und umarmte mich: "Hi, Uma, stell dir vor, wessen Hand ich gerade
geschüttelt habe. Die von Shrikant! Wow!" Shrikant ist ein berühmter
Mann in Indiens Sportwelt. Der Kapitän des indischen Cricket-Teams. "Jetzt darfst du deine
Hände nicht waschen, Tanmay, wenigstens bis du sie deinen Freunden
gezeigt hast", sagte Sujata. Als wir auf dem Parkplatz
unser Auto und den Fahrer gefunden hatten, fuhren wir in die Metropole
hinein. Mumbai schlief, und ich hatte Wehmut und Sehnsucht nach meinem
verstorbenen Vater und unserem Haus, in dem ich groß geworden war.
Das Haus in Mumbai war kürzlich verkauft worden. Die kühle Nachtluft
schien mich zu trösten. Ich hatte Mühe, wieder ordentlich Marathi
zu reden. Wenn jemand seine Muttersprache auf ausländische Art redet,
wirkt es komisch. Alle machten sich lustig
über mich, und ich lachte mit. Wir tauschten Informationen aus und
redeten und redeten. Die Neffen über Schumacher, der Schwager über
den Euro und Sujata über die Hochzeitsvorbereitungen. Nachdem wir das Industriegebiet
von Neu-Mumbai hinter uns gelassen hatten, fuhren wir zur Autobahn. Die
Autobahn ist eine neue Entwicklung, dreispurig, breit angelegt und mit
Maut-Gebühren. Außer dem Linksverkehr sahen sie mir den italienischen
Autobahnen ähnlich. Mehrere Flyovers ließen wir mit Tempo 80
km/h hinter uns. Der Fahrer war stolz auf Indiens fortgeschrittenes Verkehrssystem
und sang ab und zu Hindifilmsongs mit rhythmisch nickendem Hals. In Lonawala, auf dem
Gebirgskamm der Ghats, machten wir Pause und tranken heißen Tee mit
Milch und Kardamom in einem Gartenrestaurant. Dieser Rastplatz war voll
mit parkenden Lastwagen. Meine Schwester ließ sich ihren Tee zum
Auto kommen, weil sie in der Dunkelheit nicht groben Menschen wie Lastwagenfahrern
auffallen wollte, obwohl sie männliche Begleitung hatte. Ich schaute
mir die verschiedenen bemalten Rückwände der Lastwagen an. Sie
waren bunt und interessant. Auf manchen waren Lotosblumen oder gefaltete
Hände oder Tempeltürme oder Gandhis Profil abgebildet. Und immer
war ein Text dabei: 'Bitte hupen!', oder 'Mein Indien ist groß',
oder 'Schauen Sie her, aber liebevoll!' Ich trank meinen Tee und lachte
laut. Auf einem Schild stand sogar 'Hindus und Muslime sind Brüder'.
Ich äußerte meine Verwunderung über diese seltene Toleranz. "Der Fahrer muss ein
'Lande' sein, der hier wohnt. Der kann es sich nicht leisten, mitten unter
uns Feinde zu haben", sagte unser Fahrer bedenkenlos und grinste. Ein 'Lande'
ist ein 'Kurzer' in meiner Muttersprache. Und es ist eine obszöne
Kennzeichnung, wenn man über Muslime spricht. Ich ignorierte ihn und
las weiter die Vornamen auf den Schildern. Sie stammen meistens von den
Kindern der Lastwagenfahrer. In Indien sind die Menschen innerhalb der
Familien sehr eng miteinander verbunden. Irgendwann war die Geduld meiner
im Auto sitzenden Schwester zu Ende. Sie winkte mich mit wedelnder Hand
zu sich zum Auto und fragte: "Wie wär's, wenn
du ein paar Puñjabidresses von Sanyu bekommst? Sie werden Dir gut
stehen." Ich verstand, dass ich
mit meinem T-Shirt und den Jeans die Aufmerksamkeit der Trucker erregte;
für eine Frau aus gutem Hause war das nicht angebracht. Natürlich
hatte ich mir vorgenommen umzuschalten. Das Erscheinungsbild von Männern
und Frauen ist immer noch streng getrennt. Die Gleichberechtigung zwischen
den Geschlechtern wird hier anders betrachtet. Ich nickte gehorsam und
stimmte zu. Auf der restlichen Fahrt,
als alle schliefen außer dem Fahrer und meinem Neffen, der im Verkehrsgewirr
eines längeren Staus den Beifahrer spielte, machte ich mir mit geschlossenen
Augen Gedanken – über die Weiblichkeit! Es ist ein Nachteil, wenn
eine orientalische Frau in Europa lebt. Höflichkeit gilt als ein Juwel
im menschlichen Wesen, und von einer Frau wird selbstverständlich
Bescheidenheit verlangt. Die Sprache und das Benehmen müssen diese
fraulichen Charakterzüge ausdrücklich vorweisen, dann bist du
akzeptiert. Ich wollte in meiner Heimat nicht wie eine Fremde sein und
nahm mir fest vor, mich dem anzupassen, was ich aus früheren Jahren
kannte. Die europäische Art sollte ruhig in Europa bleiben. Ich bin
kein Individuum hier, sondern ein Teil der Gesellschaft, der mit der Gesellschaft
lebt. Ich fühlte mich ein bisschen besser, und nach der rüttelnden
und schüttelnden Fahrt kamen wir gegen fünf Uhr frühmorgens
in Pune an. Meine Mutter wartete
auf dem Balkon auf mich. Und nach dem freudigen Wiedersehen kam meine drittälteste
temperamentvolle Schwester Sanyu in ihrem Nachthemd die Treppe herunter
gerannt. Meine Mutter wohnt auf der ersten Etage, und Sanyu mit ihrer Familie
auf der dritten in einem Gebäude, das mit Ashokabäumen umrahmt
ist. Wir tranken Tee und aßen Kekse dazu. Ich kämpfte immer
noch mit meinem Marathi, und irgendwann ließ meine Konzentrationsfähigkeit
nach. Ich ging in dem Zimmer meiner Mutter zu Bett. Es war kein tiefer
Schlaf, sondern nur ein leichtes Schweben vom Dresdner Flughafen bis in
das neue Apartment meiner Mutter hier. Neben dem Bett war ein Schreibtisch
und darauf ein Photo von meinem Vater. Eine frische Blumengirlande war
um den Rahmen gelegt, und süßer Raucherstäbchenduft kitzelte
meine Nase. Dort brannte auch ein Öllämpchen, und ich dachte,
ja, Manma hat schon frühmorgens geduscht. Den ersten ganzen Tag
war ich müde, aber meine Sinne waren hellwach. Ich hatte immer noch
den deutschen Zeitrhythmus und den Gewinn von viereinhalb Stunden. Ich
nahm jedes Geräusch und jeden Geruch wahr und fühlte mich warm
und liebevoll umsorgt. Wir vier Schwestern waren zusammen und unterhielten
uns pausenlos. Die einfache Mittagsmahlzeit war ein Fest für mich.
Ich aß acht Fladenbrote mit Gemüse und trank einen ganzen Liter
hausgemachte leckere Buttermilch. Später habe ich mich selbst über
mich gewundert. In Indien ist das Essen zuerst einmal eine wohltuende Geschmackssache,
und erst in zweiter Linie denkt man an die Nährwerte. Normalerweise
ist es üblich, fünf kleinere und größere Mahlzeiten
pro Tag zu sich zu nehmen. Ich habe nur die ersten drei Tage diesen Rhythmus
mitgemacht, danach nicht mehr. Meine kleine Nichte machte
sich ein bisschen Sorgen über mein spärliches Gepäck. Ich
hatte aber wenig Kleider und viele Geschenke und Süßigkeiten
mitgebracht. Als sie ihren Anteil bekam, war sie glücklich und beruhigt.
Wir saßen den ganzen Mittag in einem Zimmer zwischen den Geschenken
und dem Geschenkpapier-Chaos aus Deutschland. Über jede Kleinigkeit
freuten sich die Kinder und die Erwachsenen. Ich war zufrieden.
Am Nachmittag kam die
Hauptperson, die Braut, mich zu begrüßen. Ein hübsches
braves Mädchen.Rashmi
erzählte mir von ihrem zukünftigen Mann und der neuen Familie
mit sprudelnder Freude. Sie arbeitet nun als Elektroingeneurin in der Software-Firma
ihrer zukünftigen Schwägerin, in einem Familienbetrieb; dadurch
kann sie am Anfang ihres ersten Ehejahres viel Freizeit gewinnen. Sie wird
zusammen mit ihrem Mann, der ein Tierarzt ist, bei den Schwiegereltern
wohnen. "Heiratest du Amit oder
auch seine ganze Familie?" fragte ich. Pune ist eine Großstadt
und typisch Marathi. Die neue Generation genießt mehr Freiheiten
und kann ihr Studium und den Beruf selbst wählen. Ihren Lebenspartner
auch. Rashmi hat ihren Bräutigam in einem Aerobicstudio getroffen
und nach zwei Jahren Rendezvous haben sich die beiden für eine Ehe
entschieden. Sie will gerne in einer 'joint family' wohnen. Beide sind
ein modernes Paar und denken rational und vernünftig. Es wird in Indien
nicht gern gesehen, wenn die älteren Familienmitglieder abgesondert
oder in einem Heim wohnen müssen. Rashmi will weiter arbeiten, und
es ist günstig für sie, sich nicht um den ganzen Haushalt allein
kümmern zu müssen. Und später, wenn sie Kinder bekommt,
sind Großeltern da, um die Kinder zu hüten. Es ist eine beiderseitige
freiwillige Entscheidung, zusammen zu leben, ohne Zwang. Nur die Familie
zählt. So heiratet meine Nichte
eine ganze Familie, und zwar mit ihrem Amit. Abends gingen wir zu
dritt auf einem Hügel in der Nähe des Wohnortes spazieren. Auf
der Straße gab es keine Ampeln oder Zebrastreifen, und ich hatte
Angst, sie zu überqueren. Ständig liefen Rikschas, Autos, Kleintransporter,
Motorroller, Scooter, Mofas, Fahrräder und Ochsenkarren auf den zwei
Spuren hin und her. Große Geschicklichkeit ist angesagt, wenn man
die andere Straßenseite heil erreichen will. Rashmi und Sanyu packten
meine Arme von beiden Seiten, und wie ein kleines Kind überquerte
ich mit dem Motto 'Augen zu und durch' siegreich die lebhaften Straßen. Tuldsai, dieser kleine
flache Berg, war etwa 300 Meter hoch, und es gab mehrere Wege. Oben auf
dem Gipfel war ein kleiner Tempel. Wir wählten den einfachsten Weg. "Der Weg zu Gott ist
mühsam und nicht einfach", philosophierte Sanyu, was ihrer Art ganz
und gar nicht entsprach. Dieser staubige Weg war bedeckt mit trockener
roter Erde, und zahlreiche Gräser wuchsen dort. Die braune Landschaft
mit ihren mickrigen Nadelbäumen wunderte mich. "Wir haben keinen Hochsommer
mit 40 Grad", sagte ich. "Aber in und nach der
Monsunzeit wird die ganze Szenerie hier saftig grün", wurde ich belehrt.
Auf dem Weg kamen wir an ein paar Blumensträuchern vorbei. Ich schaute
nach links und nach rechts und pflückte eine verlockende gelbe Orangenblüte.
Die beiden lachten über meine Heimlichtuerei. "Das gehört niemandem.
Du kannst so viele Blumen pflücken, wie du möchtest", sagte Rashmi. Ich ärgerte mich
halb über meine deutschen Angewohnheiten und halb darüber, dass
ich ertappt worden war. Nun hatte ich die wunderschöne Blüte
und gab ihr einen Ehrenplatz, und zwar in meinem Haar. Als die Dämmerung
langsam eintrat, kehrten die Hirten mit ihren Kühen zurück. manche
Kühe trugen fein klingende Glocken um ihren Hals. Ich erinnerte mich
an die Tiroler Kuhglocke, die bei mir in der Küche hing, und spürte,
wie weit entfernt meine andere Welt war. Am letzten Wochenende war ich
noch da gewesen und hatte mit meinen Freunden einen Adventskranz gebastelt.
Ich versuchte, den beiden von unserer Aktion im Wald, Tannengrün zu
sammeln, und von der Vorweihnachtszeit zu erzählen. Es war ihnen so
fremd, dass sie bloß zuhörten und nichts sagten. Vielleicht
hatte meine Schwester Angst, dass ich eine Christin geworden sei, vielleicht
waren ihr all diese Rituale verdächtig? Wir wechselten das Thema
und redeten über etwas anderes. Als wir oben auf der
Ebene am Tempel ankamen, zogen wir unsere Schuhe aus und gingen in den
Altarraum. Wir machten unsere Opfergaben mit Gandh, einem roten Pulver,
Blumen und Öllämpchen, die bereitstanden, und schritten unseren
Kreisgang um den Altar, wo die Götterfiguren waren. Es ist eine Sitte,
dass man ein wenig in Gottes Haus weilt, wenn man ihn besucht. Später
setzten wir uns draußen auf die Tempeltreppe. Es waren nicht viele
Leute da, nur ein paar Frauen und Kinder, aber viele Hunde. Die Kinder
stiegen wie Zirkusakrobaten aufeinander, um die hochhängenden Tempelglocken
zu läuten. Ein kleines Mädchen teilte mit uns ein Stück
Kokosnuss als Prasad. Prasad ist eine gesegnete Essensgabe wie Kommunionsbrot.
Ich aß es sofort, aber Sanyu putzte ihr Stück vorher gründlich
sauber, bevor sie es mit dem Gottesnamen in den Mund schob. Es war schon dunkel,
und der Vollmond schien in den Himmel. Wir sahen in diesem Gewölbe
Tausende von Sternen und versuchten verschiedene Sternbilder zu finden.
Unter unseren Füßen leuchtete die Südseite von Pune. Es
war magisch, Himmel und Erde vereinigt zu sehen. Es war nicht einfach,
diese Magie in Ruhe zu betrachten, weil wir ständig im Gespräch
waren. Aber die kurzen, augenblicklichen Pausen zwischen Scherzen und Unterhaltungen
waren sehr intensiv. Nachts konnte ich bis
zum frühen Morgen nicht einschlafen. Ich war ganz Ohr und nahm alle
kleinen Geräusche wahr, bis endlich langsam Stille eintrat. Jemand
hörte Radio, ein Kind schrie irgendwo, eine Frau spülte Geschirr;
ja, es war eine Nachbarsfrau, denn ihre Glasarmreifen machten rhythmische
Klänge. Ein alter Mann hustete, eine Katze miaute, der Wasserhahn
in unserer Küche tropfte, in meinem Zimmer knisterte die ausgeschaltete
Neonröhre leise vor sich hin. Einmal schreckte ich auf, als spät
in der Nacht jemand versuchte, sein Auto im Innenhof zu parken. Eine Synthesizermelodie
von "Stille Nacht, heilige Nacht" hörte ich in regelmäßigen
Abständen – "alles schläft, ich bin wach." Am folgenden Tag erfuhr
ich, dass die neuen japanischen Modelle immer eine automatische Warnmelodie
ertönen lassen, wenn man den Rückwärtsgang einlegt.
2.
In unserer Familie hatten
die Frauen bis 11 Uhr morgens keine Zeit. Es gab mehrere Aufgaben im Haushalt
zu erledigen: Kochen, Männer zu deren Arbeit und Kinder zur Schule
oder zum College schicken, tägliche Wäsche waschen – mit der
Maschine und mit Persil! – und auf die gute Haushaltsfee, nämlich
auf das Dienstmädchen warten. Zu uns kam eine sehr dunkelhäutige
Frau, die immer bunte Saris und viel Silberschmuck trug. Sie ging in verschiedene
Haushalte jeden Tag bis zum Nachmittag und arbeitete dort. Sie fegte und
wischte den Boden und spülte das Geschirr. Meine Mutter hatte immer
etwas an ihr auszusetzen. Wenn sie putzte, sollte sie nicht vergessen,
die Ecken und unter dem Bett zu wischen, und sie sollte nicht so viel Spülseife
benutzen, und sie sollte nicht ins Waschbecken spucken, und sie sollte
sie um Gottes willen nicht ständig 'Oma', nennen. Alle nennen meine
Mutter Manma, auch ihre Enkelkinder. Meine Mutter, die über
70 ist, ging frühmorgens spazieren, bevor der Verkehr auf der Straße
zu stark wurde. Wenn sie zurückkam, brachte sie Milch, frisches Gemüse
und eine Tageszeitung mit, in der mehr Kreuzworträtsel waren als Nachrichten.
Und nach den Waschritualen machte sie eine Puja und las in der Jnaneshvari
einen kurzen Text für den Seelenfrieden meines Vaters. Die Jnaneshvari
ist eine einfache Marathi-Version der Bhagavadgita, des heiligen Buchs
der Hindus. Sie las keinen Kommentar, sondern rezitierte die originalen
Marathi-Texte, geschrieben von einem heiligen Mann namens Jnyaneshvar in
16. Jahrhundert. Er erlangte die Erleuchtung sehr früh, als er jung
war. Für mich war er ein Revolutionär, indem er dieses heilige
Buch vom Sanskrit ins Marathi übersetzte. Damals konnte das allgemeine
Volk diese alte Sprache nicht verstehen, und die Bhagavadgita war Eigentum
nur der Priester- bzw. Gelehrtenkaste. Er entschlüsselte das Wort
Gottes für alle in einer wunderbaren poetischen Form. Sujata, Sanyu und ich
nahmen eine dreisitzige Riksha und fuhren in die Innenstadt, um ein paar
Einkäufe zu erledigen. Der Verkehr war wie in Neapel, alles fließt,
dicht gedrängt zur Mittagszeit. Es hatte keinen Sinn, über lärmende
Straßen und Luftverschmutzung zu klagen. Frauen fuhren ihre Scootys
überaus geschickt und selbstbewusst. Die meisten trugen Kopfschleier
und Sonnenbrille, und manche hatten weiße Stoffhandschuhe an. "Es ist ein Wahnsinn,
wie die Fahrzeuge in den letzten Jahren zugenommen haben. Die meisten von
denen haben gar keinen Katalysator. Und dieser giftige Brennstoffdunst
ruiniert die Haut und die Gesichtsfarbe", sagte Sujata. "Und das Haar auch",
bestätigte Sanyu, "Ich werde meine Schuppen deshalb nicht los." "Neulich
hat die Regierung ein neues Gesetz erlassen: Jeder Fahrer, weiblich oder
männlich, der ein motorisiertes Zweirad fährt, muss einen Helm
tragen." "So ein Unsinn! Denk
mal was im Sommer passieren wird. So ein gepolstertes Ding auf dem Kopf
zu tragen! Man wird darin schwitzen wie eine gekochte Kartoffel." "Ja, du hast recht." Meine Schwestern wechselten
diese Pingpong-Dialoge, ohne einen einzigen Gedenken auf Gesundheit oder
Sicherheitsmaßnahmen zu verschwenden. Es wird immer viel geredet,
wenn der Tag lang ist, ohne an das Wesentliche zu denken. Es ist so üblich
in ganz Indien, vielleicht ist die heiße Sonne daran schuld? Es war herrlich, durch
den kunterbunten Basar zu laufen. Einzelhändler saßen am Straßenrand
und verkauften Farben, rostfreie Stahltöpfe, Blumen, Obst, Gemüse,
Haarreifen, Götterbilder, Kämme, Hosengürtel, Süßigkeiten
und alles mögliche. Es war ein Durcheinander der Warenangebote. Die
Fußgängerwege waren zugeparkt mit den berüchtigten Scootern.
Die Läden hinter der Straßenfassade hatten in dieser Stadt ein
eigenes, brañchensortiertes Verteilungsystem. Zum Beispiel reihten
sich die Stoffwarenläden aneinander, ebenso die Juweliere oder die
Uhrmacher. Die verschiedenen Einzelhändler waren zusammengefasst,
ohne Konkurrenzangst. Es war nicht überall streng nach Planung geordnet,
aber manche Straßen waren berühmt nur für Seidensaris und
manche nur für Buchläden. Ich hatte keine indischen
Rupien bei mir. Es war ein Samstag; an diesem Tag arbeiten die Büros
nur halbtags, und Sonntags sind Banken und Büros geschlossen. Ich
konnte bis zum Montag kein Geld umtauschen. Meine Schwestern kauften für
mich, was ich brauchte. Die Märkte und die Geschäfte schließen
Montags. Ich wollte Zuckerrohrsaft trinken, frischgepresst in einem großen
Entsafter, aber der Strom war ausgefallen, und ich musste meinen Appetit
auf ein anderes Mal verschieben. Ich machte viele Photos aus Neugierde
und wollte die Bilder festhalten, bevor sie allzu gewohnt wurden. Mittags beim Essen waren
wir Frauen der Familie zusammen und unterhielten uns über die Verwandten
und die ehemaligen Nachbarn und über die gemeinsamen Freunde. Ich
wollte wissen, wie es ihnen allen in der letzten Jahren gegangen sei. Wir
machten uns auch Gedanken über die neue Familie, die bald durch die
Heirat mit uns verbunden sein sollte. Rashmi war ein bisschen verlegen,
weil sie auch nicht genau wusste, wie sie mit der neuen Familie klarkommen
sollte. Sie hatte häufig ihre zukünftigen Schwiegereltern und
ihre Schwägerinnen besucht. Aber es ist ein andere Sache, wenn man
mit ihnen zusammenwohnen soll. Die neue Familie hat andere Sitten, andere
Gewohnheiten, einen anderen Tagesablauf und einen anderen Lebensstil. Die Missverständnisse
und Reibereien können sich an Kleinigkeiten entzünden, zum Beispiel
wie man das Essen serviert, oder wofür man die Haushaltskasse benutzt.
Meine Schwestern bombardierten die arme Rashmi mit Ratschlägen, aber
sie war froh und lebte in ihrer eigenen Welt, hörte aber zugleich
aufmerksam zu. "Und du sollst niemals
vergleichen. Sujata hat dich gut erzogen und was du bis jetzt bei ihr gelernt
hast, wird dir in Zukunft nützen. Äußere dich bloß
nicht mit Worten wie: 'Bei meiner Mutter war es aber nicht so', wenn du
in dem neuen Haus irgendwelche Änderungen durchmachen musst", sagte
meine älteste Schwester Neeta, die gerne die Erste spielt. "Warum kann Rashmi nicht
die guten Dinge, die sie bei uns gelernt hat, in ihre neue Familie einführen?
Nehmen und Geben bereichert das Leben", sagte Manma. Meine Mutter war toleranter.
Sujata nickte respektvoll, aber weigerte sich, den Vorschlag anzunehmen
und sprach für ihre Tochter: "Alles mit der Ruhe,
Manma. Rashmi soll erst mal alles gründlich kennenlernen. Mit Geduld
und Liebe sollte sie die Herzen ihrer neuen Familie gewinnen. Ich möchte
nicht, dass meine Tochter dort von Anfang an die Herrin des Hauses spielt.
Sie sollte zuerst mit ihrer Schwiegermutter klar kommen. Ich will keine
Schwierigkeiten." Ich dachte an das, was
man in Deutschland 'Schwiegermuttersitz' nennt, und gab Rashmi den heimlichen
Tip: "Du kannst ihr einen Kaktus schenken, falls sie dich schlecht behandelt!"
Aber mein Spaß war fehl am Platz. Die Sache war ernst für Rashmi. "Du hast keine Schwiegertochter,
Manma, aber wir alle sind in fremde Häuser gegangen und wir wissen,
wie es am Anfang ist. Du weißt gar nicht, wie es heutzutage geht",
sagte meine älteste Schwester Neeta und traf die Achillesferse Manmas,
die keinen Sohn geboren hatte. Ich ging zu meiner Mutter schmusen, aber
sie wollte die Frechheit ihrer 48-jährigen ältesten Tochter nicht
dulden. "Ich war auch einmal
jung verheiratet und war die einzige Schwiegertochter in der Familie More.
Und du sollst deine Gewohnheit, mit einem kleinen Mund große Bisse
zu machen, endlich mal aufgeben", sagte Manma. Meine Mutter streichelte
mein Haar, was ich sehr wohltuend fand. Dann sagte sie überraschend
zu mir, auch, um vielleicht dieses Thema zu wechseln und die Spannung zu
lockern: "Dein Haar ist so rauh,
Mau, du sollst es mindestens hundert Mal kämmen, bevor du zu Bett
gehst." Später sagte Sujata:
"Es ist mir zu Ohren gekommen, dass Mrs. Apte für ihren Amit selbst
eine Braut suchen wollte. Sie wollte für ihren einzigen Sohn die richtige
finden. Sie ist konservativ und wollte keine Liebesheirat. Aber Mr. Apte
ist großherzig, wie unser Daddy war, und er hat die Welt gesehen.
Er respektiert die Entscheidung seines Sohnes und hat mir mehrmals gesagt,
dass ich mir keine unnötigen Sorgen um Rashmi machen muss. Nimm ein
kleines Beispiel: Rashmi wollte vorgestern mit uns nach Mumbai fahren,
um Uma vom Flughafen abzuholen. Aber er rief uns extra an und bat meinen
Mann, dass Rashmi in den nächsten Tagen kurz vor der Hochzeit keine
Anstrengungen unternehmen sollte. Sie sollte in Pune bleiben und sich schonen.
So ein verständnisvoller Mann!" So redeten wir weiter,
und meine Neffen, die aus dem College gekommen waren, hatten gar keine
Lust, an diesem Weiberquatsch teil zu nehmen. Sie legten einfach eine DVD
in ihr neues Videosystem ein, was mir nicht fremd, aber unvertraut war.
Die Frauen gingen in ein anderes Zimmer, um weiter zu reden und eine Siesta
zu halten. Ich schaute mir im abgedunkelten Wohnzimmer mit meinen beiden
Neffen und beiden Nichten diese DVD im Fernseher an. Ich mag indische Filme.
Es war ein nagelneuer Film, der kürzlich ins Kino gekommen war. Ich
kannte die meisten Schauspieler nicht. Vor elf Jahren, als ich noch in
Indien lebte, hatte ich häufig das Kino besucht. Meistens sahen wir
die Hindifilme. Rashmi erzählte mir: "Das ist der Sohn von
Rakesh Roshan, und der andere ist der zweite Sohn von Vinod Khanna. Sieht
er nicht umwerfend süß aus?" Meine kleine Nichte schubste
Rashmi mit den Ellbogen und sagte: "Denk an Amit! Bloß nicht ihn
vergessen." "Ja ja, er sieht auch
umwerfend süß aus", sagte Rashmi, die sich viel freier unter
uns fühlte. Ich kannte die Schauspieler
Rakesh Roshan und Vinod Khanna. Es war amüsant, die Söhne und
Töchter von den älteren Schauspielern und Schauspielerinnen in
der Kinowelt zu sehen. Pro Jahr werden in Indien mehr Filme produziert
als in Hollywood. Indische Filme sind heiß begehrt in arabischen
Ländern und im ehemaligen Russland und natürlich in Indien selbst.
Sie sind laut, bunt, dramatisch kitschig, und meistens geht es um die Liebe.
Immer sind mehrere Lieder und Traumszenen darin enthalten. In der freien
Natur oder im Studio mit großer Tanzbesetzung tanzen die beiden Verliebten
und besingen ihr Gefühl und ihre Leidenschaft füreinander und
schwören 'Treue für immer' in goldglänzenden Kleidern. Das
ist das Herz des Hindifilms. In den letzten Jahren ist es Mode geworden,
die Traumszenen dieser glitzernden Bollywood-Filme in den Alpen zu drehen.
Die Filmregisseure können wegen der politischen Unruhen nicht in Kaschmir
arbeiten. Deshalb machen sie die kostspielige weite Reise in die Schweiz,
nur um in schneeweißen Bergen drehen zu können. Ich erinnerte
mich an Tritin, einen Schweizer Agenten, der indische und südindische
Filmemacher in seinem Land betreut, und versuchte, Rashmi von seinem seltsamen
Beruf zu erzählen. Aber der Film war so spannend für die jungen
Leute, dass sie mir nur ihre halbe Aufmerksamkeit schenkten. In diesem Film ging es
um drei Freunde und um deren Freundschaft am Strand Goas. Natürlich
bildeten drei Liebesbeziehungen den größten Teil des Films.
Die dreieinhalbstündige oberflächliche Handlung zeigte deren
Schicksale, eine Tragödie auf echt amerikanische Art und Weise. Ich
mochte diese pseudomodische Tendenz der neueren Filmen nicht. Am Abend ging ich wieder
mit meiner drittältesten Schwester Sanyu auf dem Berg spazieren. In
unserer Kindheit sind wir miteinander überhaupt nicht klar gekommen.
Aber seit wir verheiratet sind, sind wir die besten Freundinnen. Ich redete
mit ihr wie ein Wasserfall, schämte mich aber gleichzeitig über
meine deutsch eingefärbte Sprachweise. Ich dachte viel schneller,
als ich sprach, und meine Gestik war derartig deutsch, dass ich mir denken
kann, wie köstlich ich meine Schwester und auch die Familie amüsierte.
Nach ein paar Tagen war mein Marathi allerdings wieder fließend,
und meine Redeweise war indisch, wie gewünscht. Deutsche Formalität
und distanziertes Benehmen blieben fern. Im Lauf der folgenden Tage war
es nicht schwer für mich, herzlich zu sein und ein Lächeln auf
den Lippen zu haben, ohne darüber nachzudenken. Als wir oben auf der
Hügelebene waren, erzählte mir Sanyu die Entstehungsgeschichte
des Tuldsai-Tempels. In früheren Zeiten stand hier der steinerne Bungalow
eines ehemaligen britischen Offiziers. Als er 1947 alles hinter sich ließ
und nach England zurückkehren musste, wurde der Bungalow von den Freiheitskämpfern
dem Erdboden gleichgemacht. "Anarchie pur", sagte
sie zu mir, "Ich habe die älteren Fotos im Stadtarchiv gesehen. Es
war ein schöner Bau. Diese Lage ist auch beeindruckend. Ich respektiere
die Menschen, die uns zur Unabhängigkeit geführt haben. Aber
es ist nicht vernünftig, unschuldige Sachen und schöne Bauten
aus Zorn kaputt zu schlagen, nur weil Engländer sie gebaut haben.
Er hatte einen sehr geräumigen Pferdestall. Die Ruinen standen noch
längere Zeit." "Das ist nicht wahr",
unterbrach ich sie, "In Mumbai sind zahlreiche alte gotische Bauten, in
denen die Regierung ihre Ämter hat. Sie sind gar nicht zerstört." "Aber die Namen, liebe
Uma. Seit die Shivsena-Partei an die Macht gekommen ist, hat sie mehrere
englische Namen geändert. Victoria Station und auch Sahar International
Airport heißen jetzt Chatrapati Shivaji Terminal." Ich verschob die Diskussion
auf ein anderes Mal und fragte nach dem Tempel. "Nichts", sagte sie und
versuchte den verlorenen Faden wieder zu finden. "Die Wanderer haben diesen
Tempel vor fünf Jahren gebaut. Die alten Rentnergruppen kamen jeden
Morgen auf diesen Berg, als er noch verwildert war. Sie sangen immer Gotteslob-Lieder
auf dem Wanderweg. Es war deren Idee, hier einen Tempel zu bauen. Sie haben
sich dafür engagiert und gemeinsam ein Spendenkonto eröffnet.
Viele Freiwillige und ein ehrenamtlicher Priester kommen hier täglich
her, bringen Opfergaben und halten diesen Platz sauber. Wenn hier ein Opa
dich mit 'Shri Hari' begrüßt, dann ist er sicherlich einer von
denen." Shri Hari ist die Anrede
für den Gott Krishna. Als wir in der Dunkelheit abstiegen, sagte Sanyu
mit ernster Stimme: "Pass auf, die gestorbene Frau von dem englischen Offiziers
spukt hier irgendwo herum. Du darfst dich nicht wundern, falls jemand dich
von hinten berührt!" Ich erschrak heftig, als sie mich plötzlich
an den Haaren packte. Das Abendessen war etwas
später. Vorher fragte Sanyus Mann, ob ich Lust hätte, mit ihm
einen Drink zu nehmen. Sanyus Mann hat ein eigenes Unternehmen. Ihm gehört
eine erfolgreiche Druckerei. In seinem 30 Mann großen Betrieb außerhalb
von Pune wird mit den modernsten technisch-en Geräten gearbeitet.
Sein Geschäftspartner kümmert sich um die innerbetrieblichen
Aufgaben, und er macht die öffentliche Arbeit. In seiner Druckerei
werden hauptsächlich Krankenhausformulare, Einladungskarten, Flugblätter
und Kircheninformationsseiten gedruckt. Selten gibt er Bücher heraus.
Er ist den ganzen Tag unterwegs, arbeitet hart für seine Verträge,
und natürlich macht er einen hübschen Umsatz. Es gab keinen Wein und
kein Bier, denn in der kalten Jahreszeit, nämlich 26-28 Grad tagsüber
und 12-13 Grad nachts, trinkt man Bier nicht so gern. Also konnte ich wählen:
zwischen Gin mit Limonade oder Whisky mit Soda. Wir saßen gemütlich
im Wohnzimmer bei gedämpftem Licht und hörten klassische indische
Instrumentalmusik zu unseren Drinks. Dazu knabberten wir geröstete
Erdnüsse und Papadams. Er war neugierig und stellte mir viele Fragen
über Deutschland.
3.
Der nächste Tag
war ein Sonntag. Als ich aufwachte, dachte ich daran, dass heute erster
Advent war. Um 9 Uhr morgens weckte mich Manma zum Frühstück.
Ich habe immer vorher mit heißem Wasser geduscht. Heute stand in
dem Badezimmer eine hausgemachte Duschpaste mit Kichererbsenmehl, Gelbwurz
und Milch anstatt Seife. Das macht die Poren frei und die Haut geschmeidig.
Manma wollte mich am Sonntag verwöhnen. Als Kind habe ich die Duschpaste
immer aufgegessen. Heute nahm ich mir fest vor, mich zu benehmen. Geduscht
wird immer mit einem Eimer heißen Wassers, das mit einem elektrischen
Gerät geheizt wird, und mit einem großen Becher. Man schöpft
das Wasser mit dem Becher je nach Bedarf und gießt es auf den Körper,
bevor und nachdem man sich mit der Seife gewaschen hat. Beim Haarewaschen
geht es genauso, nur braucht man dann zwei Eimer Wasser. In dem Gebäude,
wo meine Mutter und eine meiner Schwestern wohnen, wurde das Wasser immer
gegen 11 Uhr morgens abgestellt. Sie mussten vorher große Behälter
mit Wasser für den täglichen Verbrauch auffüllen. Für
die Toiletten hatten wir einen eigenen Wasserspeicher. Sonntags werden in Pune
dampfend heiße Pattis zum Frühstück gegessen. Mein Neffe,
der immer früh aufsteht, war schon in der Bäckerei gewesen. Wir
hatten ein lustiges Kommunikationssystem zwischen den zwei Wohnungen. Das
Telephon klingelte nur zweimal, dann wusste meine Mutter: aha, eine Nachricht.
Sie ging auf den Balkon und schaute zu dem Gesprächpartner, der gerade
geläutet hatte, hinauf. Vom oberen Balkon kam dann immer eine alte,
stabile Tüte an einem Seil herab. Heute waren in dieser Tüte
warmgehaltene Pattis. Diese Tüte blieb immer mit dem Seil verbunden
auf dem Balkon und diente als praktischer Transporter. Leider konnte ich
die Kartoffeln und die mit Erbsen gefüllten Blätterteig-Pattis
nicht genießen, weil sie einfach sehr, sehr scharf waren. Ich konnte den Tag so
gestalten, wie ich wollte. Meine Mutter und meine Schwester waren zu irgendwelchen
Zeremonien eingeladen worden. Ich atmete erleichtert auf, endlich einmal
wieder allein zu sein. In aller Ruhe schrieb
ich für eine halbe Stunde in meinem Tagebuch, dann riefen meine Neffen
von der Straße herauf: "Uma, komm mal runter.
Wir gehen zum Cybercafé, um ein bisschen zu surfen; oder du kannst
Hans-Kaka eine Email schreiben." "Ich habe aber gar kein
Geld ", rief ich zurück. "Macht nichts. Wir haben
welches", sagten sie. Also ging ich mit den
beiden in ein Cybercafé. Eine Stunde Surfen kostete 10 Rupien. 1
D-Mark entsprach etwa 22 Rupien. Wir waren zwei Stunden da, ohne ein einziges
Getränk zu bestellen. In einem klimatisierten Raum standen zehn Rechner,
die uns eingerechnet alle besetzt waren. Natürlich haben die Jungs
die verschiedenen Sportseiten angeschaut. Ich schrieb eine Email an meinen
Mann. Wegen des häufigen Stromausfalls musste ich jede geschriebene
Zeile vorher speichern, bevor ich weiter schrieb. Ich hatte Mühe,
weil alle Begriffe auf Englisch bezeichnet waren und ich es gewohnt war,
auf einer deutschen Tastatur zu tippen. Die Umlaute, das 'ß' und
die Satzzeichen waren nicht da, wo sie eigentlich hingehörten. Voll
Ungeduld fragte ich einmal laut: "Wo ist dieses verdammte Fragezeichen?"
Alle Insassen erschraken so sehr, dass ich dachte, ich wäre irgendwo
anders. Danach luden meine beiden
Neffen mich zum Mittagessen in eine Dhaba ein, einen offenen Puñjabi-Stehimbiss.
Wir aßen Lammcurry mit in Steinofen gebackenen Fladenbroten. Der
Koch war schmutzig, aber seine Hände, die schnell einen Hefeteig nach
dem anderen rollten, waren sehr bewunderswert. Der erinnerte mich an die
geschickten Italiener, die in den Pizzerien arbeiten. Nachdem wir in der Wohnung
geplaudert und ein wenig Karten gespielt hatten, konnte ich mit dem Temperament
der jungen Generation nicht mehr mithalten. Die beiden waren voller Lebensgeist,
rasant im Gespräch und einfach wild. Als die anderen ermüdet
nach Hause gekommen waren , borgte ich mir ein bisschen Geld von meiner
Mutter und ging in die Innenstadt. Ich wollte eine Veranstaltung in einem
Theater besuchen. Es war südindischer klassischer Tanz, Bharatnatyam.
Neun junge Tänzerinnen, die ihre jahrelange Ausbildung erfolgreich
abgeschlossen hatten, durften zum ersten Mal auf der Bühne auftreten.
'Arangetram' heißt diese Präsentationsschau vor dem Publikum.
Das Theater war voll; mehr als tausend Zuschauer waren dort versammelt.
Am Eingang bekam jeder Blumen und eine Süßigkeit zur Begrüßung
persönlich von den Tänzerinnen. Alle wünschten ihnen 'best
of luck', ich auch. Als ich in dem Dunkel
meinen Platz einnahm, hatte ich Heimweh nach Deutschland, und gleichzeitig
war mein Herz voller Vorfreude auf den Tanz. Ich wunderte mich über
meine Gemütsschwankungen und wusste keine plausible Erklärung
dafür. Ich war für ein paar Minuten rat- und rastlos. Ich beruhigte mich wieder
langsam, als das Programm anfing. Ich tauchte ein in eine Welt aus bunten
Kostümen, rhythmischen Bewegungen, perfekter Choreographie und Musik.
Bharatnatyam ist eine dynamische, schauspielerische Ausdrucksform des Tanzes.
Dieser klassische Tanz hat eine langjährige Tradition, wird seit Generationen
gepflegt und ist sehr beliebt. Meistens werden die kleineren Geschichten
aus der indischen Mythologie oder aus den großen Epen dargestellt. Besonders hat mir eine
der getanzten Geschichten gefallen. Es ging um Krishna als Kind. Er wuchs
in einer Hirtenfamilie auf. Natürlich hatte er eine Schwäche
für Milch und Milchprodukte. Er stahl immer die Butter aus den Fässern,
die meistens an der Decke aufgehängt waren. Einmal wird er ertappt,
und seine Pflegemutter Yashomati stellt ihn zur Rede. Mit geschlossenem
Mund leugnet der Cherubino seine Tat. Als die Mutter ihn zwingt, den Mund
aufzumachen, gehorcht er ihr endlich und öffnet den Mund. Yashomati
erblickt die drei Welten, Himmel, Erde und Unterwelt, das ganze Universum,
und erkennt sein göttliches Wesen. Das Programm war reichhaltig.
Die neun Tänzerinnen beherrschten ihre Künste sehr gut. Sie bekamen
einen riesigen Applaus, als sie alle zusammen eine Figur darstellten, eine
blühende Lotosblume und den mit weißen Pferden kutschierenden
Sonnengott, die Raupe, die sich in der Puppe zum Schmetterling entfaltet,
und den auf der Weltenschlange im blauen Ozean ruhenden Vishnu. Ich war
begeistert und fühlte mich angetan von dieser Originalität. Kunst, Literatur und
Musik sind eine den Menschen geschenkte Gottesgabe, und die Künstler
antworten dem Gott wiederum durch diese Künste, und die Zuschauer
durch ihre Aufmerksamkeit, Verehrung und Begeisterung. Ein unsichtbarer,
aber deutlich spürbarer Geist schwebt in den Bewegungen des Tänzers,
schwebt in der Melodie eines Musikstücks, schwebt im Wort eines Gedichts,
schwebt in der Farbe eines Gemäldes, schwebt in der Form einer Skulptur,
schwebt in den Wandlungen der Natur. Es ist ein freudiges Ereignis, wenn
ich dem Geist der Schönheit darin begegne. Als ich in der Stefanskirche
von Mainz das Blau der Chagall-Fenster bewunderte und in Florenz den David
von Michelangelo besuchte und die Sopranarie "Zerfließe mein Herze"
von Bach hörte und das Verkündigungsbild vom Isenheimer Alter
in Colmar sah und in Bilbao in das absurde Labyrinth im Guggenheim-Museum
hineinlief, bin ich dieser Schönheit begegnet. Ich kam mit lauschendem
und rauschendem Herzen heraus und wollte nicht nach Hause. Ich fragte in einem Schulbuchladen
nach Spirographen, d.h. nach einer Schablone mit durchstochenen gezackten
kleinen Scheiben, die unterschiedliche Durchmesser haben und wie Zahnräder
innerhalb eines umfassenden gezackten Rings rotieren können. Mit so
einer Schablone kann man zahlreiche wunderbare Schleifenrosetten und deren
Kombinationen zeichnen. Der Ladenbesitzer schickte mich zu einem Spezialgeschäft,
wo nur mathematische Instrumente und Zeichenhilfen verkauft werden. Dort
hatte ich auch keinen Erfolg. Der zweite schickt mich zum dritten, einem
Spielzeugladen. Der hatte auch keine und gab mir den Rat, in die Stadtmitte
zu gehen. Es war schon spät
am Abend und ich hatte Mühe, eine Riksha zu bekommen, die bereit war,
in das Stadtviertel zu fahren, wo meine Mutter wohnte. Nach einer halben
Stunde nahm mich endlich ein Fahrer mit, als ich ihm versprach, auch die
Rückfahrt zu bezahlen. Wie gemein ist die Welt, dachte ich mir, die
eine in der Dunkelheit allein herumlaufende Frau so ausnutzt. Ich war unzufrieden
über meine Kompromisse und sprach mit dem Rikshafahrer, als wir fuhren: "Bruder, es ist eigentlich
nicht in Ordnung, dass Sie soviel Geld von mir verlangen." "Es sind hin und zurück
12 Kilometer, Schwester", sagte er laut, um den Fahrlärm zu übertönen,
"Und um diese Zeit bekommen wir gar keine Fahrgäste von Shivdarshan.
Dort haben die alle ihre eigenen Fahrzeuge. Seien Sie froh, dass ich Sie
überhaupt mitnehme." Ich fühlte mich
unterdrückt von seinem 'Erbarmen' und wurde immer unzufriedener. "Dann nutzen Sie ruhig
ihre Chañcen aus, Bruder. Ich werde nicht arm von diesen 20 Rupien,
und Sie werden auch nicht reich davon." "Wie können Sie
so etwas sagen, Schwester? Ich habe eine alte Tante zu Hause, die ich pflegen
muss. Die Behandlung und die Medikamente sind nicht gerade billig. Alles
ist teuer geworden. Sie wissen schon. Ich muss auch überleben", sagte
er und hupte kräftig eine Autofahrerin an, die er unbedingt überholen
wollte. Als er mich vor der Haustür
absetzte, bekam er sofort ein älteres Ehepaar mit Hund als Fahrgäste,
die zur Stadtmitte wollten. Ich schaute ihm fragend nach, und er nickte.
Und ohne ein Wort zu wechseln, bezahlte ich ihm meinen einfachen Tarif. "Wo bist du denn so lange
gewesen?" fragte meine Mutter an der Tür. "Prabha und ihr Mann haben
bis jetzt auf dich gewartet. Du hast Daddys Cousine seit Ewigkeit nicht
gesehen. Sie kamen extra hierher, dich zu besuchen, und du läufst
überall herum wie ein Vagabund. Ich bin sehr enttäuscht von dir." Ich lachte und half ihr,
das Teegeschirr aufzuräumen, und fragte: "Hatten sie einen Hund
mit, Manma?" "Ja, warum?" fragte sie
zurück. "Ah nichts. Es riecht
hier so sehr nach Hund. Nur deshalb!" Nach dem Abendessen saßen
wir beide auf dem Balkon, und ich erzählte ihr von meiner Begeisterung
über die Tanzveranstaltung. Sie war einmal in Deutschland gewesen
und hatte meine andere Welt, in der ich auch lebte, gesehen und kennengelernt.
Durch meinen jahrelangen Briefkontakt wusste sie über mein Interesse
und über meine Art zu denken Bescheid und versuchte zu akzeptieren,
dass ich anders war als ihre anderen Töchter. Sie massierte ihre schmerzenden
Füße und ließ mich reden. Das war einer der seltenen Momente
in diesem Besuch, die ich mit meiner Mutter alleine war. Ab und zu redete
sie zwischendurch über etwas ganz anderes, wie alte Menschen es häufig
tun, nicht um mich zu unterbrechen, sondern weil sie auch nachdachte und
vieles mitempfand. Sie war mit meinem Vater sehr eng verbunden gewesen.
Obwohl sie beide im weltlichen Leben über vieles ständig gestritten
hatten, waren sie ein unauflösliches Paar. Seit sie ihn verloren hat,
vermisst sie einen ganz vertrauten Freund in ihrem Leben. Ja, ich weiß
es. Nach ein paar Stunden gab sie mir den Gutenachtkuss auf die Wange und
ging ins Bett. Ich rauchte eine Zigarette und blieb in der Dunkelheit lange
sitzen.
4.
Am Montag nach dem Frühstück
wollte ich Geld wechseln gehen. Ich ging zu Sanyus Wohnung, um mich von
ihr beraten zu lassen. Sie war beschäftigt und wollte bald das Essen
fertig haben. Ihr Mann nahm gewöhnlich eine Mahlzeit zu sich, bevor
er zur Arbeit ging. Sie setzte den Reis und die gelben Linsen schnell in
den Dampfkochtopf und fing an, die Chappatis zu rollen. Sie kochte wie
eine routinierte Hausfrau. Nebenbei redete sie mit mir: "Du kannst nicht in allen
Banken das Geld umtauschen. Es ist besser, zu Thomas Cook zu gehen. Und
dein Puñjabidress ist nicht gebügelt. Warte, ich gebe dir schnell
einen neuen. Kannst du bitte auf die Chappati in der Pfanne aufpassen?" Sie ging in ihr Schlafzimmer,
um für mich einen knitterfreien Puñjabidress zu suchen. "Ich will aber nur Baumwolle",
rief ich laut hinterher. Aus Spaß rollte ich auch eine Chappati,
um ihr zu beweisen, dass ich das auch konnte. Als sie mit zwei, drei Kleidungsstücken
zur Auswahl wieder in die Küche kam, traute sie ihren Augen nicht.
Sie hatte mich immer noch als die Studentin in Erinnerung, die Kochen und
Hausarbeit verabscheute. "Gut", sagte sie schmunzelnd,
"hier kannst du dir einen Puñjabidress auswählen. Und nimm
bitte Tanmay mit, wenn du wegfährst. Wir sind heute alle bei Sujata
eingeladen. Sie braucht Hilfe beim Geschenke-Einpacken. Ihr könnt
ja direkt zu ihr fahren. Tanmay, hör mal bitte auf, ständig fernzusehen
und geh endlich unter die Dusche. Tante Uma möchte, dass du sie begleitest." Meine Schwester regelte
alles für mich, ohne mich zu fragen. Mein Neffe kam mit der Fernbedienung
in der Hand zu uns. "Hast du heute gar kein
College?" fragte ich ihn. "Nur zwei Seminare",
sagte er nachlässig, "es lohnt sich nicht." Also gingen wir zusammen
in das multikulturelle Stadtviertel in der Nähe des Bahnhofs. Camp
heißt dieses Gebiet, wo hauptsächlich die Christen, Muslime,
Parsen und allgemein auch viele Ausländer wohnen, eine reiche Gegend.
Es war viel Betrieb auf den Straßen, und wir suchten gemeinsam das
Büro von Thomas Cook. Ich hatte meinen Pass dabei, weil ich D-Mark
bar wechseln wollte. In dem kleinen Büro mit den roten Buchstaben
reichte ich meine vertrauten Clara-Schumann-Scheine durch den Schalter
und hatte endlich eigenes Geld in der Tasche. Mein Brustbeutel war so voll
von den indischen Rupien, dass ich meinen Schal locker um die Schulter
schlagen musste, um meine Weiblichkeit und natürlich auch meinen Reichtum
gut zu verdecken. Zu Fuß gingen wir
danach zur Post. Dayanand hatte mir ein bisschen Geld anvertraut für
seine Mutter, die in Delhi wohnt. Ich und mein Neffe lernten mit gegenseitiger
Hilfe, Geld zu überweisen. Die Überweisungsformulare kosteten
25 Paisas pro Stück. Wir hatten fast keine kleinen Münzen dabei.
In meiner Kindheit gab es l0-, 5-, 2- und sogar 1-Paisa-Münzen, leicht
abgerundete Quadrate. 100 Paisa sind eine Rupie. Diese kleinen Münzen
gibt es nicht mehr. Ganz selten, wenn man Glück hat, kommen 25- oder
50-Paisa-Münzen zum Vorschein. Tanmay durchsuchte alle seine Taschen
und fand endlich eine Rupie. Am Schalter sagte eine mollige Frau mit starkem
Überbiss, "Ich habe gar kein Wechselgeld." Also kauften wir aus
purer Höflichkeit vier Überweisungsformulare. Als wir an einem
Seitenpult das Formular ausfüllten, äffte Tanmay leise die Frau
nach: "Ik aabe auk kein weckelgell", und zeigte mir heimlich die Mickymauszähne.
Er sah so komisch aus, dass ich mein Lachen mühsam herunterschlucken
musste. Ich zog die Augenbrauen hoch, kniff und zwickte ihn, aber er war
nicht zu bremsen. Als wir aus der Post
herauskamen, schimpfte ich los: "Du respektloser Kerl" und lachte dann
laut wie ein Wasserfall. "Du weißt nicht
Uma, dass sie immer mit solchen Tricks arbeiten. 'Kein Wechselgeld zu haben,
fördert den Umsatz', habe ich in Wirtschaftslehre gelernt", sagte
er zu mir. Ich stopfte die drei überflüssigen Überweisungsformulare
in meinen Rucksack und wollte danach tüchtig 'windowshoppen'. Wir kamen an einer 'Paanwala'-Bude
vorbei, und ich hatte große Lust, ein gefülltes Betelblatt zu
essen. Normalerweise es ist nicht üblich, dass die Frauen so etwas
Vulgäres tun. Paan kauen ist nur Männersache.
Nur Frauen 'für gewisse Stunden' wagen es, öffentlich Betel zu
kaufen. Deshalb fragte ich Tanmay vorsichtig um seine Erlaubnis. Als er
bejahte, bestellte ich ein süßes Betelblatt. Dort wurden auch
lose Zigaretten, Bidis, Halsbonbons und gemahlene Muntermacher, die Paan-Parag
heißen, in kleineren Packungen verkauft. Der Verkäufer nahm
zwei frische grüne Blätter aus einem nassen roten Tuch heraus
und beschmierte sie zuerst mit einer braunen und danach mit einer weißen
flüssigen Paste aus den glänzenden Messingtöpfen. Dann komponierte
er sorgfältig die verschiedenen Zutaten: Feñchelkörner,
Tamarindenblätter, Betelnussscheiben, Rosenblättermarmelade,
Nelke, Kardamomkörner und alle möglichen Zutaten, deren Namen
ich selber nicht kannte. Ich bezahlte drei Rupien für ein Paan und
es schmeckte köstlich. Man schiebt so ein dreieckig zugefaltetes Betelblatt
ganz in den Mund und kaut lange daran. Deshalb schwiegen wir auch beide
für eine ganze Weile. Tanmay zeigte mir verschiedene
Geschäfte, auch ein neu gebautes Kaufhaus, das meiner Meinung nach
überhaupt nicht zu Indien passte. Sich westlich zu orientieren gilt
als fortschrittlich und modern für die indische Gesellschaft. Inder
neigen dazu, der Welt zu zeigen, dass "wir" auch mit der Zeit gehen in
unserem Wirtschaftsleben, in der Technologie, der Medizin und im ganzen
Lebensstil. Diese Tendenz nimmt sehr zu, besonders in den Medien und in
den Konsumbereichen. "Dem, was man nicht hat, läuft man hinterher,
und wo geerntet wird, dort wird nicht verkauft" sagte ich zu mir selbst,
als wir das teure und pompöse Kaufhaus verließen. Wir unternahmen viel
zusammen an diesem Morgen bis zum frühen Nachmittag: Wir besuchten
eine Buchausstellung, schauten uns die offenen Fleischerstände im
muslimischen Viertel an, nahmen einen kleinen Imbiss bei einem Parsen.
Sie sind berühmt für ihre Backkünste und Bäckereiketten
in Pune. Wir aßen dort Chutneysandwiches und gingen zu einem Aquarium,
um uralte Schildkröten bewundern. Ich kaufte Briefpapier und Postkarten
und suchte nach den Spirographen. Als wir müde waren und nicht mehr
weiter konnten, fuhren wir nach Deccan Gymkhana, zu Sujatas Wohnung. Als
wir den Eingang betraten, hörten wir Frauenschreie aus dem oberen
Stockwerk. Ich hatte Angst, aber Tanmay kannte den Scherz. Mein anderer Neffe, Yash,
zeigte seine Kräfte gern und hob die Frauen unsere Familie der Reihe
nach hoch in die Luft und drehte sie im Kreis herum, einfach so! Na prima,
dachte ich mir und blieb auch selbst nicht verschont von seinen Kraftspielen. Rashmi hatte in der letzten
Zeit ein großes Plakat gekauft. Das brachten wir auf der Wand des
Wohnzimmers an, um einen Wasserfleck zu verdecken. Solche Flecken auf der
Wand sind nicht selten in Indien. Im Monsun sind sie ein häufiges
Problem. Die Wände von meinem ehemaligen Zimmer in Mumbai waren mit
einer speziellen Mischung von Kleister und buntem Sand verputzt worden.
Die Luftfeuchtigkeit war auch hoch dort, das Arabische Meer war nicht so
weit weg. Aber auch in Pune sickert die Feuchtigkeit durch die Wände,
obwohl es 600 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Der Zementbau ist
nicht gut isoliert, obwohl die Wände mit Ölfarben bemalt sind. Beim Mittagessen betrachteten
wir unser Werk mit Stolz. Auf dem Plakat war eine künstliche Fotografie
von einem Fluss mit grünem Uferrand zu sehen, und wir stritten um
die Namen der Blumen, die dort abgebildet waren. "Habt ihr nichts Vernünftigeres
zu tun, als über wilde Blumen zu streiten?" ermahnte uns unsere Mutter,
die unter Arbeitsdruck stand. Ich wollte eigentlich
die Einkäufe für die Hochzeit erst einmal anschauen und danach
mit dem Einpacken anfangen. Wir wollten die Koffer fertig machen mit Rashmis
Sachen, die bald in ein anderes Haus gehen sollten, und für die Hochzeitsgäste
Geschenke einpacken. Es klingelte an der Tür.
Amit war da. Ich sah ihn zum ersten Mal. Voller Nervosität gab ich
dem 25-jährigen meine Hand zur Begrüßung. Mein Gott, dachte
ich mir, der Bräutigam höchstpersönlich ist hierher gekommen,
nur um die Tante seiner Braut zu begrüßen, die in Deutschland
wohnt! Ich spürte auch einen Hauch von naivem Neid in meinem Inneren,
weil dieser wildfremde junge Mann mit Brille und Schnurrbart bald meine
geliebte Nichte von uns wegnehmen würde. Ich gab mir einen Ruck und
versuchte, die negativen Spinnengewebe aus meinen Gedanken wegzuwischen.
Es schien mir auch gelungen zu sein, er lachte herzlich über meine
Witze. Als er sah, dass ich keine eingebildete Kuh bin, nur weil ich in
einem wohlhabenden Land wohne, und dass mein Marathi überhaupt nicht
englisch eingefärbt war, wurde er sehr freundlich und offen zu mir.
Er berichtete, wie die Vorbereitungen bei ihm zu Hause im Gange waren,
und wie die Besitzer der Tier-Patienten wenig Toleranz für die geschlossene
Praxis zeigten. "'Wegen einer Familienangelegenheit
bleibt die Praxis für eine Woche geschlossen', habe ich auf ein Schild
an der Glastür geschrieben", erläuterte er ausführlich in
seiner lebensfrohen Art, "Aber manche verstehen das einfach nicht. Ich
bekomme mehrere Anrufe zu Hause. Als ich sagte, dass es eine Hochzeit gibt,
da baten sie mich wieder, täglich wenigstens für ein paar Stunden
die Praxis aufzumachen. Was soll denn das? Ich heirate doch selbst!" Wir lachten alle, und
Rashmi guckte ihn liebevoll an. Ich war indiskret, neugierig und schaute
mit genau an, wie die beiden untereinander Blicke austauschten. Es war
sehr schön. Als er sich von uns verabschiedet
hatte, machten wir Frauen es uns in Sujatas Schlafzimmer gemütlich.
Sie selbst saß auf den Fußboden in der Nähe des Tresors
und holte die Schätze einen nach dem anderen heraus. Zuerst bewunderten
wir den Goldschmuck, der nur für diesen Anlass angefertigt war. Halsketten
mit Blumenmotiven, Armreifen mit Filigranmustern, längliche Ohrringe
in Wassertropfenform. Das glitzernde Gold sah anziehend aus in seinem roten
Samtkästchen. Rashmi zeigte uns danach den Perlenschmuck, den sie
von ihrem eigenen Gehalt beisteuerte und mit Amit zusammen ausgesucht hatte:
Oberarmreifen mit jeweils zwei Rubinen, Haarschmuck mit einer Goldmedaille
in der Mitte, ein Nasenring in Mangoform und zwei Fingerringe. Sie zeigte
mir stolz ihren Verlobungsring mit Diamant und summte genüsslich die
berühmte James-Bond-Melodie: "Diamonds are forever". Ich dachte, es
wäre schon alles. Sujata holte von dem Geheimfach des Tresors den
dritten Schmucksatz mit kostbaren Steinen. Die Smaragd- und Aquamarin-Juwelen
faszinierten mich. Irgendwo bekam ich ein Minderwertigkeitsgefühl.
Dieser ganze reichhaltige Schmuck gehörte nur meiner Nichte. In Indien wird viel Geld
in Schmuck und in Immobilien investiert, als finanzielle Absicherung. Das
Land hat keine allzu hohe Inflation, wenn man es im Lauf der Jahre vergleicht.
Familien mit Kindern neigen dazu, eine Eigentumswohnung zu besitzen und
bei Gelegenheit Gold anzuschaffen. Geld kommt und geht, aber in schwierigen
Zeiten muss der Mensch nur jene zwei Dinge haben, die liquide bleiben und
einen ewigen Markt finden, so denkt die Mittelklassegesellschaft. Sujata und Sanyu besitzen
jeweils zwei Wohnungen, und die älteste Schwester Neeta, die keine
Kinder hat, geht gerne auf Weltreisen mit ihrem Ehemann. Söhne werden als
Altersversorgung angesehen. Sujata und Sanyu wollen gerne ihre Söhne
bei sich oder in der Nähe haben, wenn sie alt werden. Deshalb haben
sie auch zwei Wohnungen. In Sanyus Wohnung wohnt jetzt meine Mutter zur
Miete, und Sujatas Wohnung ist zur Zeit vermietet. Für Töchter
ist Schmuck da, der ins fremde Haus mitgeht, und wenn die Söhne heiraten,
bringen die Schwiegertöchter den Schmuck in die Familie gewissermaßen
von anderer Seite zurück. So schließt sich der Kreis. Ich kann
gut verstehen, warum Eltern eine Liebesheirat mit Skepsis betrachten. Mitgift
mag wohl gesetzlich abgeschafft sein, und die beidseitigen Eltern mögen
in der Öffentlichkeit ruhig laut in ihre Anti-Mitgift-Trompete stoßen,
es wird immer gerne gegeben und genommen. Nach dem Schmuck schauten
wir uns mehrere Seidensaries mit Brokat an. Es war schon durchgeplant,
welche Saris die Braut und die Brautmutter in verschiedenen Zeremonien
anziehen sollten. Alle nah und fern stehenden Frauen in der Familie und
Verwandtschaft, Rashmis Freundinnen und sogar die Putzfrauen hatten einen
Anspruch auf eine Sari. Natürlich bekamen die Dienstfrauen keine teure
Sari, sondern nur eine aus Baumwolle. Sujatas Mann ist ein Betriebswirtschaftler
und hat den Etat genau aufgelistet. Geschenke für nahestehende Familienmitglieder
hatten ein eigenes Budget, gesondert davon die für die ferner stehenden
Familienmitglieder. "Ich wollte einen Kañjiwaram"
, informierte Sanyu mich über ihren Sonderwunsch nach einer Brokatsari
aus einer südindischen Region, "aber sie sind meistens sehr teuer,
deshalb sagte ich Sujata, dass sie mir lieber das Geld geben soll, und
ich habe noch was dazu gelegt und eine wunderwunderschöne Kañjiwaram-Sari
gefunden im Saheli Sarishop." "Das ist ja praktisch",
sagte ich zu ihr und fühlte die Weichheit einer gelben Seiden-Sari,
die wir gerade betrachteten. "Ich habe mir auch einen
Mixer von Sujata gewünscht", sagte Manma, "Mein alter von Philips
hat nach 18 Jahren seinen Geist aufgegeben. Und jetzt brauche ich einen
neuen. Ja, Uma, wir sollten bald Masala für dich zubereiten. Sanyu
hat schon die Gewürzmischung angeröstet. Sie liegt seit einer
Woche in der Dose bereit. Wir brauchen sie nur noch in dem neuen Mixer
zu mahlen." Ich wollte unbedingt
hausgemachten Masala von Manma haben. Sie hat seit Jahren ihr eigenes spezielles
Rezept für diese pikante Gewürzmischung. Manma redete weiter:
"Mein Kleiderschrank ist überfüllt mit Saris, und seit Euer Vater
mich allein gelassen hat, habe ich auch kein Bedürfnis, ständig
neue Saris anzuziehen." Sie faltete geduldig die von uns entfalteten Stoffe
wieder zusammen. Sujata gab Yash den Auftrag, für uns alle Tee zuzubereiten.
Er sah sich gerade mit Tanmay ein eintägiges Cricket-Spiel im Fernsehen
an. "Und wie konnte ich das
vergessen? Mein Alzheimer! Uma, als du heute morgen unterwegs warst, rief
deine Freundin an", erinnerte sich meine Mutter plötzlich. "Ich habe
ihren komischen Namen vergessen, aber sie sprach sehr langsam mit gebrochenem
Englisch." Ah, Dorothee, dachte
ich mir. Wo konnte sie wohl jetzt sein? Ich hatte sie und ihre Freundin
Sabrina zur Hochzeit eingeladen. Die beiden waren seit zehn Wochen mit
ihrem Rucksack in Indien unterwegs. Zwei junge deutsche Mädchen, die
gerne diesen Subkontinent kennenlernen wollten. "Was hat sie gesagt?
Wann kommt sie nach Pune?" wollte ich wissen. "Ich habe ihr gesagt,
dass du nicht zu Hause bist. Sie ruft später noch mal an", informierte
mich Manma. Ich hatte ein bisschen Zweifel an dem Englisch meiner Mutter.
Aber ich sagte nichts und schaute mir die Saris weiter an. Wir waren jetzt
bei den Geschenken für die Familie des Bräutigams angelangt.
Für die Männer gab es Stoffe für Hemd und Hose aus guter
Qualität, sorgfältig ausgewählte Ware der Marken Bombay
Dying und Reymonds. Für Kinder und Babies waren auch Kleinigkeiten
dabei. Sujata hatte auch an Dorothee und Sabrina gedacht, zeigte mir Handtaschen
für sie und fragte, ob es in Ordnung sei. Ich lobte ihre Aufmerksamkeit
und nickte bejahend. "Wir haben für dich
und deinen Mann bis jetzt gar keine Geschenke. Sag mir bitte, was du möchtest.
Und du musst es sagen. Ihr habt einen anderen Geschmack, und ihr seid für
uns Asketen, die gar keine Vorliebe für Textilien haben. Wir wollten
nicht etwas Unnötiges für Euch besorgen. So öffne deinen
Mund ohne falsche Bescheidenheit und äußere deine Wünsche",
sagte Sujata in etwas aufdringlichem Ton. Sie schien mir belastet zu sein. "Warum ist es so wichtig?
Ich bin wunschlos glücklich", sagte ich. Sujata wollte nicht locker
lassen und fuhr fort: "Glücklich kannst du später sein. Ihr müsst
unbedingt etwas von Rashmis Hochzeit als Andenken haben. Jedes Mal, wenn
Ihr die Geschenke seht, dann sollen die Erinnerungen an dieses große
Ereignis in unserer Familie in dein Gedächtnis gerufen werden. Wir
möchten es so." "Ich denke immer an euch.
Ich brauche keine Sachen, um an euch zu denken. Statt dessen solltet Ihr
öfter mal einen Brief schreiben!" sagte ich meiner Schwester ein bisschen
irritiert. Ich hatte es mir abgewöhnt, den Zwang anderer Menschen
einfach zu akzeptieren, auch den Sympathiezwang. "Wie kannst so respekt-
und herzlos zu deiner Schwester sein?" mischte sich Sanyu dazwischen, um
die Contra-Stimmung abzudämpfen, "Es gehört zu einer Hochzeit,
dass man sich gegenseitig beschenkt. Es ist nichts falsch daran, den anderen
eine Freude zu machen." Danach war ich ehrlich
und sagte: "Mir ist nicht ganz wohl dabei. Ihr schenkt euch ja gegenseitig
solch wertvolle Sachen. Was habe ich denn euch jetzt als Geschenk mitgebracht?
Pistazien und Schokoladen-Weihnachtsmänner? Und für Rashmi habe
ich einen Schminkkasten für nur 30 Mark gekauft. Ich komme mir vor
wie die arme Tante aus Deutschland, die hier fehl am Platz ist." "Du hast andere
Prinzipien, Uma. Fühle dich nicht von all diesen teuren Saris und
dem Schmuck bedrückt", sagte Manma verständnisvoll. "Und es sind nicht nur
die Werte; Hauptsache, dass es von Herzen kommt", versuchte Neeta mich
zu trösten. Ich war beunruhigt, dann
umarmte Rashmi mich von hinten und küsste mich. "Meine kleine Tante",
schwenkte sie mich in ihren Armen hin und her und sagte, "schau, du bist
extra nach Indien geflogen, nur um bei meiner Hochzeit dabei zu sein. Das
ist das große Geschenk für mich. Und wenn du unbedingt rechnen
willst, dann denk mal, wieviel tausend Rupien du für den Flug ausgegeben
hast. So hör mal bitte auf zu maulen. Ich möchte, dass du für
die ganze Zeit hier glücklich und zufrieden bist!" Ich musste lachen über
mein kindisches Benehmen und war verwundert über Rashmis vernünftiges
Argument. Ich küsste sie liebevoll und dachte, wann ist sie überhaupt
so groß geworden? Ich erinnerte mich an den Tag, als sie geboren
war. Ich hatte dieses neugeborene kleine Bündel in den Arm genommen
und als Gottes Wunder betrachtet! Die Zeit vergeht so schnell und unser
Spatz hat jetzt Flügel bekommen. "Was nun?" fragte Sujata
und nippte ihren Tee. Ich versprach ihr, nach
der Hochzeit mit ihr einkaufen zu gehen, um etwas für uns auszuwählen. Yash und Tanmay holten
ein paar große Koffer vom Dachboden und machten sie sauber. Wir packten
Rashmis Sachen, hauptsächlich Kleider, 13 Paare Schuhe und Mädchen-Krimskram.
Sie stritt mit ihrem Bruder Yash über die gemeinsamen Bücher. "Die übersetzten
englischen Liebesromane kannst du ruhig einpacken. Deine Laura Ingalls
auch. Aber Tarzan, Faster Fene und die neuen Harry-Potter-Bände lässt
du mir bitte hier. Historische Romane kannst du auch mitnehmen. Und Finger
weg von den Computer-Büchern! Na ja, du darfst das Windows-98-Handbuch
haben, meinetwegen", sagte er großzügig zu Rashmi, "Ich muss
jetzt runter. Meine Freunde pfeifen schon." Er eilte zur Wohnungstür,
kam aber wieder in das Schlafzimmer zurückgerannt. Wie ein Schauspieler
trat er ein. O-beinig, die Schultern hängend, Kinn nach unten, Blick
nach oben, mit erhobenem Zeigefinger sagte er mit brummiger Stimme: "Ich
warne dich, Baby, nur keine Tricks. Sonst hast du es mit mir zu tun." "He Yash, verschwinde.
Du wirst hier nicht mehr gebraucht", ignorierte Rashmi ihn. Zwischendurch
kamen Anrufe, als wir beschäftigt waren. Neetas Ehemann telephonierte
gerne mehrmals am Tag von der Bank aus, wo er als Bankdirektor arbeitete
mit seiner Frau, um zu fragen, wie weit wir mit unserer Arbeit sind, und
um den aktuellen Stand des Cricket-Spiels zu erfahren, und wann er sie
abholen kommen könne, und so weiter und so fort. Sujatas Köchin
rief auch an und meldete sich krank. Sujata war entsetzt. "Immer wenn man sie am
dringendsten braucht, ist sie krank", rief sie in Panik, "Was soll ich
denn jetzt tun? In den nächsten Tagen ist das Haus voll mit so vielen
Gästen. Wir können nicht die ganze Zeit in der Küche verbringen.
Es gibt noch so viele Dinge zu erledigen! Oh, Gott, oh Gott!" Sanyu hat immer eine
Lösung für schwierige Situationen. Sie überlegte für
ein kurzen Moment und sagte: "Mach dir keinen Kopf darüber, Sujata.
Heutzutage kann man nicht auf Dienstboten zählen. So ist es nun mal.
Ich besorge dir eine Köchin für die nächsten Tage. Sie ist
nicht billig, aber sie ist sauber und fleißig. Ich gehe morgen früh
zu ihr und regele alles für dich." Die beiden redeten darüber,
und Neeta rief, während sie Geschenke sortierte, dazwischen: "Die
Planung in diesem Haushalt ist eine Katastrophe! Das Geschenkpapier fehlt." Die Jungs hatten sich
aus der Staub gemacht. Die alte Putzfrau spülte den großen Berg
von Töpfen und Pfannen vom Mittagessen in der Küche, und auf
ihren Geschmack war gar kein Verlass. Deshalb ginge ich mit Rashmi hinaus.
Die andern packten weiter. Während Rashmi ihren
Scooter vom Parkplatz holte, ging ich ein paar Schritte zu Fuß voraus
und sah Yash an der Straßenecke, von jungen hübschen Mädchen
umgeben. Als er mich sah, legte er von ferne seinen Finger auf die Lippen,
dass ich schweigen sollte. Wir fuhren zu einem Spezialgeschäft,
wo nur Papierwaren angeboten waren. Rashmi war anspruchsvoll und wählte
sorgfältig. Einfaches umweltfreundliches Geschenkpapier mit Blumenmotiven
für unsere Familie und buntes Glanzpapier für die andere, die
neue Familie. "Schlau bist du! " sagte
ich zu ihr, "Hast schon angefangen, uns unterschiedlich zu behandeln." "Manma hat mir das ausdrücklich
gesagt. Und ich folge nur ihrem Rat, so gehorsam wie ich bin!" tuschelte
sie mir zu. Sie feilschte hartnäckig mit dem Verkäufer und bekam
jeden Papierbogen zu reduzierten Preisen und für zehn Stück jeweils
einen frei. Ich war stolz auf meine geschäftstüchtige Nichte. Es war das einzige Mal
in meinem gesamten Aufenthalt, dass ich ganz allein mit ihr zusammen war.
Als wir auf dem Scooter nach Hause ritten, ja, ich nannte den Scooter motorisches
Ross, redete ich mit ihr über Amit in vertrautem Ton. Ich war neugierig
auf die Liebesgeschichte. Und sie erzählte in bündigen Worten,
wie sich die Sache zwischen ihnen beiden langsam entwickelt hatte. Der
Verkehr war rasant, dichtgedrängt und laut. Sie musste sich auf die
Fahrt konzentrieren. Ich saß hinter ihr und hielt mich an ihren Schultern
fest. Ich fragte: "Wie hat
er dir den Heiratsantrag gemacht? Und wann? Und wo? Und warum? Saß
er auf den Knien, und nahm er deine Hände in seine und sagte einen
langen Monolog über die Liebe und fragte: 'Meine Geliebte, ich kann
ohne dich nicht leben. Willst du mir das große Glück in meinem
Leben schenken und wirst mich mit deinem kostbaren Ja-Wort ehren, wenn
ich dich um deine Hand bitte...'" Ich hatte romantische literarische Vorstellungen. "Igitt, wie kitschig",
rief sie schreiend und lachte laut, als ob ihr ein Insekt in den Nacken
gefallen wäre, "So was passiert in der Realität nicht." "ABER WIE HAT ER DENN
GESAGT, DASS ER DICH LIEBT?" fragte ich sehr laut, um den Straßenlärm
zu übertönen. Ein neben uns fahrender Mofafahrer schaute überrascht
in unsere Richtung und schüttelte bedauernd den Kopf. Rashmi drückte
das Gaspedal durch, um der öffentlichen Peinlichkeit zu entgehen,
und sagte lakonisch: "Wir haben uns so verstanden.
Wir brauchten keine überflüssigen Worte." Dieses wortlose gegenseitige
Vertrauen in menschlichen Beziehungen ist etwas ganz Sonderbares. Muss
man besonders reif sein, um den Zauber der Wortlosigkeit zu verstehen,
oder ein Kind? In Indien kommt immer das Wissen vor dem Wort und über
dieses Wissen wird ein Vertrauen aufgebaut, was zu lebenslänglicher
Treue führt. Das habe ich sehr oft so erfahren. Dieses natürliche
Verständnis in der Partnerschaft ist ein kostbarer Wert im indischen
Eheleben. Die gesellschaftliche und familiäre Erziehung des Miteinander-
und Füreinander-Lebens fördert die altruistischen Charakterzüge.
Es mag wohl Höhen und Tiefen, Krise und Krach in den Partnerschaften
geben. Die Erziehung und die Geduld wirken aber unbewusst mit, Ehe und
Familie zusammenzuhalten. Ich war sicher: Rashmi kannte dieses Geheimnis
und war bereit, ihren Lebensbund mit Amit vor dem heiligen Feuer zu schließen.
5.
Ein neuer Tag, Dienstag.
Wir alle waren wieder gegen Mittag in das Hochzeitshaus eingeladen worden.
Vormittags schrieb ich zwei Briefe und fünf Postkarten nach Deutschland
und Norwegen. Es war nicht einfach, sich auf das Schreiben zu konzentrieren.
Meine kleine Nichte Janu hüpfte überall wild herum, weil sie
heute nicht zur Schule gehen brauchte, zwitscherte ständig mit mir
und wollte unbedingt die Photos noch ein mal sehen, die ich mitgebracht
hatte. Sie wunderte sich ständig über die helle Haut und die
blonden Haare meiner Freunde und meiner Familie hier. "Ist das wirklich so?"
fragte sie mich neugierig, "Oder benutzen die Deutschen jeden Tag Vikko-Turmerik-Creme?" manche indischen Frauen
benutzen diese ayurvedische Creme, um eine hellere Haut zu bekommen. "Nein", sagte ich, "Sie
sehen von Natur aus so aus. Es ist eine andere Bevölkerung als wir."
Ich versuchte, ihr von Sonnenstudios und Solariumgeräten zu erzählen. "In Europa ist es Mode,
eine braune Hautfarbe zu haben. Man liegt stundenlang unter der heißen
Sonne in südlichen Ländern, nur um braun gebrannt zu sein. "Du redest einen Quatsch!"
sagte sie mißtrauisch, "Besucht der Hans-Kaka auch das Sonnenstudio,
um schwarz zu werden, wie du?" "Nein, das tut er nicht",
antwortete ich ein bisschen verärgert, weil ich für sie als schwarz
galt. Sie schaute die Photos weiter an und blieb für eine Weile still.
Ich wendete mich wieder meinem Schreiben zu. "Warum denn nicht?" störte
sie noch einmal die segensreiche Ruhe, "Wenn er jeden Tag ein bisschen
ins Sonnenstudio geht und du jeden Tag ein bisschen Vikko-Turmerik benutzt,
dann werdet ihr gleich, wie ein echtes Ehepaar". "Janu, hole bitte deinen
Schulranzen herunter. Ich helfe dir bei den Hausaufgaben", sagte Manma
zu ihr, um sie von mir abzulenken. Janu besucht die 5. Klasse
einer Privatschule, wo alle Fächer in englischer Sprache unterrichtet
werden. Als sie mit dem Kindergarten fertig war, musste meine Schwester
einen großzügigen Beitrag an den Schulträger spenden. Diese
Schule hat einen sehr guten Ruf und ist bekannt für ihre Disziplin,
gut ausgebildete Lehrer und ein vielseitiges Angebot für die Schüler
außerhalb des Lernstoffs. Staatlich unterstützte Schulen kosten
zwar fast gar nichts, haben aber überfüllte Klassen mit Kindern
aus allen sozialen Schichten. Meine Schwester war strikt dagegen, dass
ihre Tochter mit allen möglichen Kindern zusammen die Schule besucht
und opferte deshalb gleich zu Beginn einige Ersparnisse, um ihr den Zutritt
zu sichern. Natürlich zahlt sie das monatliche Schulgeld und hat Ausgaben
für das Lernmaterial, für die Uniform und für die Schuhe.
Jetzt hat Sanyu bis zur 10. Klasse keine Sorgen um ihre Janu und ist stolz
darauf, eine gute Ausbildung für ihre Tochter gesichert zu haben. Wir haben das englische
Schulsystem in Indien: 10 + 2 + 3 Klassenstufen. Nach der 10. Klasse macht
man die erste Staatsprüfung, SSC: School Secondary Certificate Examination.
Bis dahin haben alle Schüler bis auf die Fremdsprachen den gleichen
Lernstoff. Wenn die Schüler die SSC-Prüfung mit mindesten 35
% der erreichbaren Punkte pro Fach durchgestanden haben, dann kommen sie
in das College für zwei Jahre. Hier kann man wählen zwischen
Handel, Naturwissenschaften und musischen Fächern. Es ist ein vielfältiges
Angebot, und die Schüler können ihren Interessen und Leistungen
nachgehen. Es ist selbstverständlich, dass man sehr gute Zensuren
im SSC-Examen haben muss, um naturwissenschaftliche Fächer zu studieren.
Durchschnittliche Schüler mit etwas mathematischer Begabung wählen
Handelsfächer, und die schlechten das Kunstprofil. Die jeweiligen
Prüfer wählen ihre Studenten nach der Notenskala. Nach zwei Jahren
College machen die Studenten ihre zweite große Staatsprüfung,
HSC: Higher Secondary Certificate Examination. Dann studiert man endlich
drei Jahre auf der Universität, um den Bachelor-Titel zu gewinnen,
und zwar BCom: Bachelor of Commerce, BSc: Bachelor of Scieñce und
BA.: Bachelor of Arts. Später, je nach Wunsch, wird nach zwei Jahren
der Masters-Abschluß gemacht: MCom oder MSc oder MA. Für den Doktortitel
macht man an den Universitäten unter Betreuung weitere Forschungen.
Das ist der Standard-Bildungsweg. Es gibt zahlreiche technische, hauswirtschaftliche,
landwirtschaftliche, Informatik- und Musikschulen, wo man nach zwei bis
drei Jahren sein Diplom machen kann. Je höher und länger die
akademische Titelliste hinter einem Namen ist, desto mehr Ansehen verdient
man in der indischen Gesellschaft. Janu weiß noch
nicht, was sie später studieren will. Aber ihr Bruder Tanmay ist ehrgeizig.
Er will nach der 12. Klasse eine Spezialausbildung in der Navy absolvieren,
in einer Marine-Akademie. Er bereitet sich gleichzeitig mit seinem College-Studium
auf die Zulassungsprüfung vor. Es gibt eine kleine Meinungsverschiedenheit
zwischen ihm und seinen Eltern, ob er eine militärische oder eine
kaufmännische Ausbildung machen sollte. Tanmay will gerne zum Militär
gehen. Er will in die weite Welt hinaus und neigt leicht dazu, nicht in
der Familiensippe hängen zu bleiben. Kurz vor Mittag, als
Manma, Janu und Neeta zu Sujata gingen, fuhren Sanyu und ich mit ihrem
Scooter zuerst einmal zu der Köchin. Sie wohnte in einem bescheidenen
Stadtviertel. Die eng stehenden Häuser waren niedrig und mit Asbestdächern
bedeckt. Zwischen den Häusern hing die Wäscheleine. Alte Männer
und Frauen saßen draußen in der Sonne, und kleine nackige Kinder
spielten in den Gassen. Das Haus der Köchin stand hinter einem kleinen
Tempel, aus dem laute Musik dröhnte. Sanyu verhandelte mit einer kleinen
stämmigen Frau mit weißen Haaren. Ich wartete draußen
und beobachtete eine nah liegende Chakki-Bude, eine Getreidemühle.
In meiner Kindheit gab es sie überall, aber heutzutage kaufen die
Frauen fertig verpacktes Mehl, um Zeit zu sparen. Ich habe früher
meiner Mutter geholfen, Weizen und Hirse zu säubern, bevor wir es
zur Mühle brachten. Mühlen und Wäschereien in den Großstädten
werden meistens von Nordindern betrieben, die Hindi sprechen. Ich war überrascht,
als ich hier einen sah. Ein dünner Mann in Unterhemd und grün
blau kariertem Wickelrock arbeitete dort. Auf seiner Schulter hing ein
Handtuch. Er war von oben bis unten mit Mehl bepudert, sogar seine Brusthaare
und die Wimpern waren mit weißem Staub bedeckt. Die große Mühle
war mit einem Stromerzeuger betrieben, der vertraute Geräusche machte:
"phat phat phat phat phat phat ..." Ich nahm das als Grundtakt und machte
innerlich meine eigene Melodie dazu. "Sie nimmt 200 Rupien
pro Mahlzeit, wenn sie für 20 Leute kocht und sie kann nur drei Tage
kommen. Ihr Terminkalender ist voll", sagte Sanyu, als sie raus kam und
den Scooter startete, "und sie will auch nicht einkaufen gehen." "Hast du die Chakki gesehen?
Erinnerst du dich an die Chakki, die eine Straße weiter von unserem
Haus in Mumbai war? In deinen jüngeren Jahren bist du immer gerne
zur Mühle gegangen. Manma war dankbar, dass du für sie diese
Sache erledigt hast, aber du wolltest nur mit dem Mann dort flirten, nicht
wahr?" fragte ich sie. "Hör mal auf", sagte
Sanyu, "Ich gehe nie zur Mühle. Früher hatten sie für verschiedene
Getreidesorten einen eigenen Mahltag, aber jetzt mahlen sie alles durcheinander.
Chapattis werden nicht gut dadurch. Oh, ich muss heute mit Sujata unbedingt
den Essensplan fertig stellen." "Was hast du gesagt?
Nimmt sie tatsächlich so viel Geld?" fragte ich etwas spät. "Ja, ihr geht es wirklich
gut. Sie hatte eine teure Sari an. Und man konnte in dem kleinen Zimmer
alles sehen. Fernseher, Nähmaschine, Stereoanlage, alles hat sie.
Obwohl sie eine Witwe ist, verdient sie sehr gut Geld mit ihren Söhnen
zusammen, die auch kochen", sagte Sanyu. "Kommt sie oder kommt
sie nicht?" Ich wollte sicher sein. "Ja", antwortete mir
Sanyu und fuhr fort, "Und das Haus hat sie auch frei bekommen in den sechziger
Jahren." "Warum?" fragte ich neugierig. "Als der Panshet-Staudamm
brach, waren viele Menschen obdachlos geworden. Und die damalige Kongress-Regierung
hat in diesem Stadtteil kleine Häuser bauen lassen für Hilfsbedürftige.
Ihr Mann ist in den Fluten ertrunken. Und sie ist mit ihren zwei kleinen
Kindern hier eingezogen.", informierte Sanyu mich. "Eigentlich muss man
sie loben, dass sie ihren Mut nicht verloren hat. Sie ist selbständig
und nicht auf fremde Hilfe angewiesen.", sagte ich halb zu ihr und halb
zu mir.
In der Innenstadt besuchten
wir ein dreistöckiges Kleidergeschäft. Sanyu tauschte eine Jeans
um und kaufte ein T-Shirt für Tanmay für den Verlobungs-Abend.
Das Geschäft war voll von Leuten. Ich wusste nicht, wer die Kunden
und wer die Verkäufer waren. Einer war da, der nur die Eingangstür
aufmachte, ein anderer fragte, was wir wollten, der dritte schickte uns
in das entsprechende Stockwerk. Oben waren auch höfliche Dienstboten,
die uns fragten, was für Wünsche wir hatten, und der zweite begleitete
uns bis zur Jeansabteilung. Der Raum war rechteckig, an den Wänden
mit tiefen Regalen bedeckt, und die Fächer waren voll von Jeanswaren.
Mehrere gut angezogene und präzise frisierte junge Verkäufer
standen hinter der Ladentheke. Einer zeigte uns verschiedene Jeans. Sanyu
war wählerisch, und wie die anderen Kunden ließ sie sich ruhig
25 bis 30 Stücke zeigen. Ein Junge im Schulalter räumte schnell
die abgelehnten Jeans von der Theke und ordnete sie sofort wieder in die
Fächer ein. Sanyu fragte nach einem Rabatt, als sie zwei Markeñjeans
kaufte. "Das geht nicht Schwester.
Fühlen Sie nur die Qualität. Und sie verliert ihre Farbe auch
nicht. Ich gebe ihnen eine Garantie", sagte der Verkäufer freundlich. Sanyu machte ein Pokergesicht.
"Aber die Preise ..", fing sie langsam zu handeln an. Nach einem zehnminütigen
Wortwechsel mischte sich der Abteilungsleiter ein und schmeichelte: "Na
gut, Schwester, Sie sind eine häufige Kundin und Sie haben Geschmack.
Nur für Sie lasse ich dieses mal den festen Preis herunterhandeln.
Hauptsache, dass Sie mit uns zufrieden sind. Möchten sie eine Cola
oder einen Tee?" Als die Jeans durch verschiedene
Hände nach unten zur Kasse gelangt war, besuchten wir die T-Shirt
Abteilung. Mit dem gleichen Vorgehen und mit dem gleichen Zeitaufwand erledigte
Sanyu ihren Einkauf. Unten, hinter der lang
gestreckten Kasse, war ein riesiges Wandrelief, und zwar von der Akropolis
in Athen. Ich hatte großen Drang, es zu photographieren, aber im
entscheidenden Moment klappte etwas nicht mit meiner Kamera. Die Batterien
waren leer. Wir fuhren zur dem Spielwarengeschäft,
welches mir vorgestern empfohlen worden war, um mich nach den Spirographen
zu erkundigen. Das Geschäft lag vier Meter hoch über der Straße,
und unten war ein Parkplatz. Auf der Metalltreppe saß ein südindischer
Junge, der gar kein Marathi verstand. Er rief den Geschäftsführer,
weil ich stur dabei blieb, mein Anliegen in Hindi zu sagen. Ein kleiner
dicker Mann mit einer Glatze kam schwerfällig herunter. Er hatte einen
roten länglichen 'Schendur'-Streifen auf der Stirn, vielleicht war
er gerade aus dem Tempel zurückgekommen. Ich nannte ihm mein Anliegen.
Er kratzte sich auf seinem haarlosen Kopf und sagte: "Nein, wir haben momentan
keine Spirographen im Laden. Sie werden meistens auf dem Jahrmarkt verkauft.
Vielleicht haben wir welche im Lager. Wie viel brauchen Sie, meine Tochter?" "Zehn Stück", sagte
ich. Er schickte den dunkelhäutigen
Jungen zum Lager und wir warteten. Von dem Geschäftsschild: 'Deepak
Store' hingen bunte Spielzeuge, Hubschrauber, Puppen, Cobras, Cricketschläger
mit Bällen in durchsichtigen Plastiktüten. Papageien-Grün
und Barbie-Rosa dominierten unter all diesen Plastikspielzeugen. In der
Zwischenzeit stoppte Sanyu einen vorbeifahrenden offenen Handwagen. Auf
dem Wagen waren kunstvoll arrangierte Amla-Früchte zu einer Pyramide
aufgetürmt. Der junge Verkäufer schrie laut mit seiner quiekigen
Krächzstimme: "Amlaaaaaa, Frische Amlaaaaaa, nur 12 Rupien für
ein Viertel Kilo! Amlaaaa, bloß keine Scheu, greifen Sie zu! Amlaaaaaaaaaaaa!" Amla ist eine hellgrüne,
harte und faserige saure Frucht von der Größe eines Tennisballs.
Sanyu suchte sich ein Kilo zusammen und gab dem Verkäufer 40 Rupien. "Ich werde sie raspeln
und mit Zucker und Meersalz zusammen kochen. Jeden Tag ein Löffel
davon ist gut für die Gesundheit. Das hält lange jung", sagte
sie nebenbei zu mir. Sie wog die Zeitungspapiertüte in der Hand ab
und es kam ihr verdächtig vor: "Das ist kein Kilo. Ich
habe ein Gespür für das Gewicht", sagte sie und lief schnell
hinter dem Wagen her, um noch ein Mal die Früchte wiegen zu lassen.
Ihre gelbe Chiffon-Sari mit weißen Jasminblüten wehte im Wind.
Meine Schwester, dachte ich mir, lässt sich von niemandem betrügen.
Mir gefiel ihre Überzeugungskraft, ihr Verlangen nach Gerechtigkeit.
Natürlich hatte sie recht, und die Amlas wogen viel weniger als ein
Kilo. Als sie vollkommen zufriedengestellt zurückkehrte, warf sie
mir einen Blick zu, der sagte: 'Ich habe es dir doch gleich gesagt.' Ich
machte ihr einen großen Namaskar von den Ellbogen aus, um sie zu
loben. Der südindische Junge kam nicht vom Lager zurück, und
wir hatten keine Zeit, weiter auf ihn zu warten, deshalb ließen wir
uns die Telephonnummer von dem Geschäft geben und fuhren zu Sujata. Heute war Sujatas Schwägerin
dabei. Fünf verheiratete Frauen sollten eigenhändig fünf
Süßigkeiten für die Braut kochen. So ist es Sitte. "Liebe
geht durch den Magen" ist ein Sprichwort, aber ich war nicht damit einverstanden,
dass die Glückwünsche und der Segen auch durch den Magen gehen
sollten! Vielleicht war ich zu
faul, die zeitaufwendigen und komplizierten Rezepte mit den anderen zuzubereiten.
Sheera, Laddu, Karañji, Modak und Kheer standen auf der Segensliste. Sheera wird mit geröstetem
Weizengrieß und mit Kardamom und Palmzucker zubereitet. Laddus sind
gerollte Bälle aus langsam geröstetem Kichererbsenmehl in geklärter
Butter, die später mit Zuckersirup und Gewürzen rund geformt
werden. Karañjis sind
fritierte Teigtaschen, gefüllt mit frischen Kokosraspeln und gemischt
mit Gewürzen und Zucker. Modak sind Teigtaschen
aus Reismehl, gefüllt mit kandierten Trockenfrüchten wie Mandeln,
Pistazien und Rosinen und gegart in Wasserdampf. Kheer sind handgefertigte
Nudeln, in süßer Milch gekocht. Diese süßen
Gerichte sind mit den Erfahrungen der Generationen weiterentwickelte alte
Hausrezepte. Jede Familie bereitet sie auf ihre Art und Weise zu. Es gibt
Unterschiede bei den Mengen und Zutaten, deshalb schmecken sie auch in
jedem Haus anders. Jede von diesen Süßigkeiten ist eine beliebte
Speise für bestimmte Götter und Göttinnen. Modak zum Beispiel
wird dem Gott der Weisheit Ganesha geopfert; Kheer einer Hausgöttin
namens Yallama, die das Böse vernichtet; Laddus werden dem Sonnengott
geopfert; Sheera dem Hausgott Chintamani; und die Karañjis waren
für Rashmis gestorbene Großeltern väterlicherseits bestimmt,
die auch ähnlich den Göttern geehrt wurden. "Warum hast du gar kein
Mangalsutra an?" fragte mich Manma mißbilligend. Das Mangalsutra
ist eine Kette aus Gold und schwarzen Perlen, und verheiratete Frauen sollten
es immer tragen. "Es kitzelt mich am Hals",
sagte ich zu meiner Verteidigung. "Das ist kein Argument",
sagte Sujatas Schwägerin Alka zu mir, "Uma hat sich kein bisschen
geändert." Die Familie von Sujatas
Ehemann und wir waren in früheren Zeiten Nachbarn. Wir kannten uns
von unserer Kindheit an. Alka unterrichtet Finanzökonomie an der Universität
von Pune, aber sie war die konservativste von allen. Sie hatte besondere
Ansprüche, was wir kochen sollten und wie wir es kochen sollten. Ihre
strenge Art und ihr Selbstbewusstsein machten mir zu schaffen. Sie fragte
mich, was ich in Deutschland mache. "Ich mache alles, außer
Geld zu verdienen", erzählte ich ihr scherzhaft. Meine Aktivitäten
waren reine Zeitverschwendung für sie: Hobbys, bloß um die Freizeit
zu gestalten! "Für seine Existenz
braucht jeder Mensch ein Arbeitsfeld. Und wenn man auf eigenen Beinen steht,
schafft man sich Anerkennung und Respekt", sagte sie zu mir und schaute
tief in meine Augen. "Finanzielle Unabhängigkeit
ist kein Beweis für Anerkennung. Ich wohne in einer Stadt, wo es über
22% Arbeitslosigkeit gibt. Geld verdienen brauche ich nicht. Ich bin ehrenamtlich
tätig", sagte ich ohne meinen Blick von ihr zu wenden. "Dekadenz pur!" kritisierte
sie mich, "Wir sind diejenigen, die ihr Leben lang schuften und arbeiten
und Steuern zahlen, um die schwachen Idealisten und Künstler zu unterstützen.
Uma, wach endlich auf! Die Welt läuft nur durch die arbeitenden Menschen.
Willst du nicht eine von denen sein, die in ihrem Leben etwas Handfestes
hinter sich lassen?" "Nein", war meine Antwort.
Ihre kommunistische Art zu denken überraschte mich. Ich rollte die
Teignudeln extra groß um sie zu provozieren. "Warum musst du rebellieren,
Uma?" ermahnte mich Manma, "Du solltest den Rat von Alkatai ernst nehmen.
Sie ist älter als du und hat mehr Lebenserfahrung." "Gott hat Uma zwei Ohren
geschenkt, eines zum Zuhören und das andere zum Rauslassen", sagte
Neeta lachend. "Wo ist Rashmi?" fragte
ich, weil ich gar kein Lust hatte, dieses zähe Thema weiter durchzukauen. "Sie ist beim Arzt. Sie
sollte längst zurück sein", sagte Sujata. "Ist sie krank?" fragte
ich besorgt. "Nicht eigentlich", sagte
Sujata zögernd, "Ihre Tage sind längst fällig. In vier Tagen
ist die Hochzeit und sie kann nicht unrein all die Pujas machen." "Sie kann sich die Haare
waschen und danach ruhig die Götter berühren. Das macht nichts",
sagte Sanyu, die alle absurden Vorschriften auszutricksen wusste. "Und Rashmi sollte viel
Papayas essen. Die produzieren Hitze im Körper, das fördert die
Regel", sagte Manma. "Und die Pickel auch!"
wagte Janu sich in das Gespräch einzumischen. Sanyu machte große
Augen, um Janu wegen ihrer Unverschämtheit zu vermahnen. In solchen
Gesprächen wünscht man die Kinder nur zu sehen und nicht zu hören. Als alle Süßigkeiten
fertig zubereitet waren, stellten wir sie an die Seite bis übermorgen.
Wir nahmen Abschied voneinander. Ich fuhr mit Sanyu auf
ihrem Scooter. Sie hatte ein bisschen Bedenken, weil sie keinen Helm auf
dem Kopf trug. Sie vermied die Hauptstraßen. Sie sagte: "Du hast heute bestimmt
auch die lokalen Nachrichten im Radio gehört. Die Verkehrspolizei
hat heute über eine Million Rupien als Bußgeld eingesammelt
von den motorisierten Zweiradfahrern, die keinen Helm trugen." "Es ist eine Menge Geld",
sagte ich zu ihr. "Das ist nur eine offizielle
Zahl. Man weiß ja nicht, wie viel sie in ihre eigenen Taschen gesteckt
haben. Auf jeder Kreuzung standen sie in Zivilkleidern und haben keinen
einzigen Sündenbock durchfahren lassen", erzählte Sanyu. "Du bist auch eine Sündenbockfahrerin!"
neckte ich sie. "Wann soll ich einen
Helm kaufen gehen? Sag's mir bitte? Es ist immer eine lange Schlange vor
den Geschäften, wo sie die Helme verkaufen. Ich habe gar kein Zeit
für so etwas. Sie haben von Anfang an dieses Gesetz sehr straff durchgezogen.
Warum führen sie die Änderungen nicht langsam ein? Ich verstehe
das nicht. Es wird den Leuten nicht gefallen", sagte sie. Ich wollte wissen was
so ein Helm kostet. "Zwischen 700 und 900
Rupien", informierte mich Sanyu. Obwohl sie müde war, erzählte
sie mir über den Helm ihres Ehemanns: "Mein Mann hat vor 12 Jahren
einen Helm für 70 Rupien gekauft. Er ist fast ein antikes Stück.
Er sieht nicht so modern aus wie die neuen Modelle. Er hat auch kein Visier,
und die Ohren sind auch nicht dicht zugepackt. Mein Mann sieht so witzig
aus, wenn er ihn anzieht. Aber meinetwegen kann er ruhig komisch aussehen,
solange die Verkehrspolizei ihn in Ruhe lässt." Zum Glück kamen
wir auch in aller Ruhe und ohne jegliche Kontrolle nach Hause. Wir sagten
uns Gute Nacht und ich ging zu Manmas Wohnung. Manma, die früher
angekommen war, schaute sich eine Quizsendung im Fernsehen an. Ich schrie
vor lauter Überraschung. Es war genau das Format von Günther
Jauchs "Wer wird Millionär": die gleiche Sitzordnung, die gleiche
Hintergrundmusik, die gleiche Schriftdarstellung und natürlich auch
die gleichen Spielregeln. Nur die Menschen und die Fragen waren anders.
Ich beneidete den Erfinder, der diese Idee gehabt hatte und die Lizenzen
an alle Länder verkaufte. Als Manma ins Bett ging, zappte ich lange
alle Programme des indischen Fernsehens durch und hielte danach Ausschau,
ob ich eine Big-Brother-Variante oder eine Ärzteserie fand.