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zur Indischen Hochzeit (2002)
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Indienfahrt 9.November bis 14.Dezember 1996
Als ich alleine durch den Gang zum Einchecken ging, war ich voller Abenteuerlust
und Aufregung wegen des Flugs. Ich nahm eine Zeitung und setzte mich auf
meinen Platz zum Flug nach Zürich. Ich war mir bewußt, daß
Hans' Blick mich, ich meine die Maschine, vom Aussichtsturm verfolgte,
und ich fühlte mich noch immer bei ihm. Von oben aus sah Berlin wie
eine Großstadt im Luftbilderbuch aus. Ehrlich gesagt, ich war wenig
fasziniert. Die Wolken bedeckten bald die Aussicht und ich wandte mich
einem Artikel über Paula Modersohn-Becker in einer Bremer Zeitung
zu. Der Himmel war farbenarm, aber wolkenreich, weiße Schafe in graublauen
Himmelsfeldern.
Wunderbare Croissants und Schweizer Schokolade - ich konnte kaum irgendein
Luftbild schießen, weil ich die Sonne im Fenster hatte. Von oben
war die Schweiz atemberaubend. Die Maschine senkte sich ein paar hundert
Meter hinab und ich konnte die Felder sehen: Grün, Braun, Gelb und
Schwarz, ordentlich gerahmt mit undurchsichtigen Linien, so sichtbar deutlich.
Die niedlichen kleinen Dörfer und Wälder, die Hügel und
Straßenlinien lagen da wie gemalt. Die Welt da unten war so sauber
und schön. Jetzt waren die Wolken über uns und der Züricher
Flughafen näherte sich plötzlich. Ich mochte diesen freundlichen,
kleinen Flug.
Ich kam ganz gut zurecht auf dem Züricher Flughafen. Ich konnte
leider nicht die schönste Seite vom Flughafen sehen. Ich beeilte mich,
zu dem siebeneinhalbstündigen anderen Flug nach Bombay zu kommen.
Ich las ein wenig bis zum Einchecken. Im Flug waren mehr Inder als Ausländer,
aber mein Nachbarsitz war leer und daneben saß ein langweiliger Österreicher
mit unmöglichem Akzent. Ich las wieder Zeitung und wartete auf den
Aufstieg, aber der Kapitän sagte, daß irgendwelche Computersyssteme
für die östliche Flugrichtung ausgefallen seien. Alle warteten
und warteten. Und nach 45 Minuten starteten wir endlich. Mein Nachbar fragte
mich nach einer kleinen Konversation, ob ich mich gut in Ostdeutschland
fühle. Ich schenkte ihm ein Lächeln und sagte: "Im Osten oder
Westen die Heimat ist am besten."
Ich hatte wieder faszinierende Ausblicke von den Alpen, bis nach Salzburg
hin. Im Flug konnte man ständig die Weltkarte und unsere Flugposition
sehen. Temperatur, Luftgeschwindigkeit, Bodengeschwindigkeit in km usw.
Ich las und schrieb, dachte und bewunderte - Gott ich fliege wirklich nach
Indien!
Nach sieben und einhalb Stunden machte ich mich bereit für die
erste Begegnung mit der großen Stadt Bombay. In der Dunkelheit sah
ich von oben die Stadt: Straßenlichter, warme Farben, wie glühende
Asche. Ich war sprachlos. Später erfahre ich, daß wegen Divali
die Stadt beleuchtet war. In der Dunkelheit lag die Stadt so rührend
einsam da.
Beim Rausgehen sschaute ich mir alles mit großem Interesse an.
Frauen und Kinder saßen auf dem Fußboden. Vielleicht warteten
sie auf den nächsten Flug nach Muskat oder Abu Dhabi. Zumindest vermute
ich es, weil sie Schleier trugen.
Es war ein Abenteuer, mit der Familie nach Dombivli zu fahren. Es war
nachts, zwei Uhr, und zu meiner Überraschung gab es mehrere Polizeikontrollen.
Einmal mußte ich meine beiden Koffer aufmachen und jedes einzelne,
unbekannte Ding den Polizeibeamten erklären, auch meine sanitären
Artikel und ihre Funktion. Als ihre Neugier befriedigt war und meine unindische
Art sie wirklich überzeugt hatte, daß ich nicht ein Schmuggler,
sondern eine einfache Seele bin, ließen sie uns weiterfahren.
Nach dem freudigen Wiedersehen gingen wir vier Uhr morgens zu Bett.
In meinem Zimmer konnte ich kaum schlafen. Ich lag wach, und nach einer
halben Stunde fingen draußen die Feuerwerke zu explodieren an. Es
war dunkel, aber ich hörte Menschen sprechen, Vogelzwitschern, Spielbomben
explodieren, das Zischen von Raketen, ein Kind schrie irgendwo. Ich war
wie ein trockener Schwamm, absorbierte alles, obwohl ich ganz allein in
meinem dunklen Zimmer lag. Alle meine Sinne waren wach. Ich fühlte
mich überhaupt nicht müde, ich hatte immer noch den deutschen
Zeitrhytmus und den Gewinn von viereinhalb Stunden.
Plötzlich hatte ich Schmerzen im Herzen. Die Hitze, der schlimme
Zustand des Elternhauses - und Hans war so weit, weit weg! Es war nicht
trocken heiß wie im Sommer, aber sehr warm.
Ich hatte die unangenehmen Straßengerüche von der Fahrt
vom Flughafen nach Dombivli noch immer in meiner Nase. Fünf lange
Wochen in diesem Land ohne meinen Hans. Aber ich tröstete mich, bevor
diese Qual sich zu tief in mich hineinbohrte. Zeiten enden immer, und dann
sehe ich Hans wieder.
Ich war wieder hellwach und nahm alles wahr, was draußen passierte.
Ich wollte an diesem Fest teilnehmen. Ich dachte, wenn ich einschlafe,
vermisse ich vielleicht - nein, ganz sicher - vieles. Nur mit Zuhören
Dabeisein ist Teilnehmen.
Draußen nahmen die Feuerwerke immer mehr zu, und wegen der Hitze
blieben die Fenster auf. Es war unmöglich, zu schlafen. Endlich stand
ich um sechs Uhr auf und duschte mich mit heißem Wasser. Zu meiner
Überraschung grüßte mich Mama, als ich aus dem Badezimmer
kam, mit Lichtern und Reiskörnern. Natürlich ist es Diwali, das
Lichterfest zur Erinnerung an das glückliche Ende von Ramas Kämpfen,
und zugleich an den Sieg der Pandavas im Mahabharata. Ich dachte sofort
an meine Kindheit. Wir alle nahmen ein Bad vor Sonnenaufgang, frisch massiert
mit Duftöl und Sandelholzpuder. Früher wollte ich immer hellhäutiger
sein, deshalb tat ich immer Gelbwurz in meine Duschpaste aus Linsenmehl
und Milch.
In der Dusche standen für diese Festtage handgemachte Lämpchen,
selbstgeformt aus Weizenmehl; darin schwamm Ghee und ein Wattedocht. Ich
erinnerte mich an alles, als meine Mutter mich wieder mit Lichtern grüßte.
Den ersten Tag aß und aß ich die schmackhaften Leckerbissen,
extra zubereitet für die Festtage, und trank ständig in Milch
gekochten süßen Tee. Viele Anrufe kamen, und ich rief die Bekannten
und Freunde an. Die Türen waren immer auf, und die Nachbarn kamen
und gingen ständig und wechselten Worte mit mir. Es war nie still,
mindestens sprach jemand zu mir oder ich redete, so ging es pausenlos.
Es war herrlich, nicht allein zu sein. Später ging ich mit meinem
Vater über den Markt. Wegen der Festtage war der Markt lebendig wie
nie zuvor. Mädchen und Frauen trugen wunderbare bunte Saris oder Panjabi-Dresses
mit Brokat. Sie trugen Gold- oder Perlenschmuck und ihre gepflegten, zufriedenen,
hübschen Gesichter waren ein Augenschmaus für mich. Ich kam mir
ziemlich dumm und langweilig vor in meinen europäischen Kleidern.
Einzelhändler saßen am Straßenrand und verkauften
Farben, rostfreie Stahltöpfe, Blumen, Obst, Gemüse, Haarreifen,
Götterbilder, Kämme, Hosengürtel, Betelnüsse, Süßigkeiten,
Feuerwerk, und und und. Es war ein herrliches Durcheinander. Die Läden
hinter dieser Straßenverkaufsreihe führten Stoffe, gläserne
Armreifen, Bücher, Lebensmittel, Räucherstäbchen usw.
Am Abend besuchten wir eine alte Bekannte ohne vorherige Anmeldung.
Ich war herzlich willkommen. Nach drei Jahren war ich wieder da, gleichsam
wiedergefunden. Ich redete wie ein Wasserfall, schämte mich aber gleichzeitig
über meine deutsch eingefäbte Sprechweise. Ich dachte viel schneller
als ich sprach und meine Gestik war derartig deutsch, daß ich mir
denken kann, wie köstlich ich meine Mitmenschen amüsiert habe.
Aber nach zwei Tagen war mein Marathi wieder fließend und meine Redeweise
war indisch, wie gewünscht. Deutsche Höflichkeit und Formalität
blieb fern. In Indien war es nicht schwer, herzlich zu sein und ein Lächeln
auf den Lippen zu haben, ohne darüber nachzudenken. Ich war einfach
froh.
Bis tief in die Nacht explodierten pausenlos und schrecklich laut Feuerwerke.
Es hörte etwa um zwei Uhr nachts auf und fing um vier schon wieder
an.
Manju kam am folgenden Tag und besuchte mich. Eine Freundin, die vier
Jahre von sich nichts hören läßt! Sie lud mich zu ihrer
Hochzeit ein, und unser Wiedersehen war wie ein großer Jubel. Am
selben Tag abends fuhren wir nach Pune; fünfeinhalb Stunden Busfahrt
für 180 km. Es rüttelte und schüttelte im Bus.
Um zehn Uhr waren wir bei Sanyogita, und alle meine kleinen Nichten
und Neffen waren gekommen, um dort zu wohnen und möglichst viel Zeit
mit mir zu verbringen. Sanyogita hat eine große Wohnung, und das
neue Klimaanlagensystem wunderte mich sehr. In den nächsten Tagen
wunderte ich mich über den steigenden Wohlstand der Leute. Es ist
alles so teuer geworden seit den letzten sechs Jahren. Die Wirtschaft boomt
in Indien und die wohlhabenden Mittelklasse-Schichten verbessern ihren
Wohlstand rapide. Viel Konsumartikel besetzen jede Ecke des Hauses.
Mein Neffe Tanmay zeigt mir ganz stolz ein Video von Michael Jackson, der
gerade in Bombay ein Freikonzert gegeben hatte. In der Zeitung las ich
die Reaktionen für und wider: War es wirklich nötig, so viel
Geld in Bühnenaufbau und Straßensicherheit zu stecken, von Steuergeldern,
wenn die öffentlichen Finanzen sonst überall fehlen? Ich mußte
Tanmays Begeisterung bremsen und versucht zu erzählen, warum Michael
Jackson nicht in Deutschland singt. Aber er war zu klein und vergötterte
Michael Jackson so sehr, daß mich kaum verstand.
Ich machte alles mit den Kindern und nahm sie überall mit mir
mit. Ich wollte zu meiner ältesten Schwester Neeta und wir nahmen
eine Rikscha. Als wir da ankamen, hatte ich kein Kleingeld zum Bezahlen.
Ich bat den Rikschafahrer, zu warten, und fragte nach Wechselgeld in den
verschiedenen Läden an der Straße, aber alle weigerten sich.
Ich war ratlos, aber dann hatte ich eine Idee und kaufte Kitkat-Schokolade
für die Kinder, und es half: Ich bekam Wechselgeld und konnte den
Fahrer bezahlen. Die Schokolade kostete genausoviel wie die Rikschafahrt!
Meine Schwester zeigte mir ihre liebevoll umsorgten Spatzen, die jeden
Tag zum Essen und Trinken durchs Fenster hineinkamen und sogar im Haus
übernachteten. Sogar im Partylärm von Nandus 50. Geburtstag schliefen
sie selig.
Ich wechselte DM auf einer Bank. Der Bankdirektor war recht freundlich
zu mir und versuchte mich, davon zu überzeugen, ein Konto für
"nonresidential Indian" bei ihm zu eröffnen. Ich hätte 12-16
% Zinsen bei ihm bekommen. Ich dachte an die Großherzigkeit von 2,5
% in Deutschland; ich war eine reiche Frau und wurde sehr vornehm behandelt.
Aber ich hatte kein Interesse wegen der Inflation. Ich wollte das Geld
lieber direkt sinnvoll spenden. Ich besuchte auch das neue Appartment für
meine Eltern und machte Vorschläge für das Bad und den Balkon.
Ich wollte so gerne, daß meine Eltern nach Pune ziehen, wo alle meine
Schwestern sind, so daß sie nicht alleine in Bombay wohnen.