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zur Indischen Hochzeit (2002)
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Tagebuch der Indienreise von 24.Januar bis zum 17.Februar 1994
Montag auf Dienstag, 24/25.1.1994
Flug: Heathrow eine ganze Industriestadt, vertunnelt und mit lebhaftem
Verkehr durchzogen. Labyrinth außen so wie innen, ganz wie bei Rattenversuchen.
Weiter Weg durch die Geschäftsbazare des Terminals, wir mußten
rennen, um den Anschluß zu bekommen. Maschine mit Indern voll. Start,
prächtiges London. Dann Wolken über dem Balkan. Blick auf leuchtende
Inseln, wohl Dörfer und kleine Städte. Diese Inseln wie Flecken
im Dunkel. Sterne, Perlen, Kronleuchter. Später wohl orientalische
Stadt: Geometrische Anlage einzelner Teile, vielleicht Industriebetriebe?
Quaderartige, rechtwinklige Gliederung.
Über einer Wüste wirds hell; da der Ozean unmittelbar anschließt,
wohl die große arabische Wüste: absolut leer, nur unregelmäßige
Geländeformen. Tot. Regenbogenfarbiger Horizont von Blau bis Orange.
Die arabische See himmelblau, mit den Wolken davor wie der Himmel; über
uns ein tiefes Blau.
Bombay: Lehmig, schlammgelb trotz Trockenzeit. Vieles im Umbau der
Landschaft, Hochhäuser, erst beim Eintauchen werden die Hüttenstädte
sichtbar, die alle Lücken auffüllen. Der Flughafen weiträumig,
ohne die Geschäftstunnel Heathrows oder Frankfurts. Wärme, Gerüche,
besser: Gestank, Uniformierte von allen Seiten. Paßkontrolle: "Good
morning, better: Good afternoon" - Der Witz liegt im Zeitsprung von viereinhalb
Stunden. "Do you speak English?", als ich "good morning" antworte.
Wir sind zu warm angezogen. Die Temperatur hochsommerlich und wärmer.
Avinash holt uns ab, die Eltern. Taxi, Fahrer rechts. Avi steigt unten
zu, wegen der Kontrollen. Heiße Fahrt. Dreck. Städtisches Leben
hoch drei. Besonders der Verkehr, ohne Spuren und gedrängt. Blaue
Luft von Abgasen (Taxi ist offen). Sitze hart und ausgeleiert. Technischer
Stand robust. Menschenmassen - Daddys Lieblingswort ("Mensemasse"). Unsere
Uhren noch nicht umgestellt.
Wir hatten zwei Abendessen und ein Frühstück im Flug; Paneer,
Reis, Kartoffeln usw. als indische Mahlzeit. Trotzdem langsam Hunger. In
Dombivli: Korianderblätter, das typisch Indische am Essen. Umas Zimmer
ist neu hergerichtet. Aber Gestank von außen herein. Abendseite.
Wände mit Sand verputzt, blaßgrün. Klimaanlage bleibt aus.
Ventilator auf schwächster Stufe. Tage heiß, trocken, besser
auszuhalten als die Monsunzeit.
Am Abend gehe ich mit Daddy raus, Uma läßt sich die Haare
schneiden. Daddy lange in der kleinen Bank. Ein Verkehr wie in einer Großbank,
alle zwei Sekunden tritt einer ein oder aus. Nummernsystem. Wartezeit ca
20 Minuten. Wachmann, Polizist mit Gewehr. Um Halbsieben dunkel. Wir gehen
noch die Einkaufsstraßen entlang. Ein quirliges Treiben in höchster
Potenz. Gemüse, Obst, Kleinwaren, die schmuddeligen Schuhreparaturen:
wie eine Zelthütte unter dem Baum. Wäscheprügler, aber Daddy
lacht: Hätte er noch nie gesehen. Zuckerrohrsaft, werde eingeladen.
Chikkus, probieren. Kautabak. Nehme eine Handvoll von dem lakritzigen Zeug,
natürlich viel zu viel, Daddy lacht. Muß zuhause gut ausspülen
und wegtrinken. Tempel, Puppengötter. Schuhe aus. Natürlich habe
ich Zutritt. Die Leute sind fromm, machen ihre Rundgänge, opfern,
läuten die Glocke. Daddy versucht, die einzelnen Göttergeschichten
zu erzählen. Werden am Abend früh müde, gottseidank.
Mittwoch, 26.1.1994
Nationalfeiertag, Independence (1948) und Constitution (1950), im Fernsehen.
Parade, als wär's die DDR. Aber wir brechen auf nach Kalyan, Pflanzenbetrieb,
mit Bäumen und Blumen.
Dann die Marktstraßen und die stinkende, enge Großmarkthalle
von Kalyan, hauptsächlich Gemüse, dunkel unter dem Dach. Überall
in Indien die gleiche bunte, wildriechende, verkehrsunruhige Situation.
Sehr umtriebig. Kein Fleisch in den Angeboten. Sonst ungewohnt: Läden
mit Heiligenbildern, Räucherwerk, Zuckerrohrsaft-Schuppen und Kokosnußverkäufer,
sehr viel Kleinwaren, Dienstleistungsläden, besonders Wäschereien,
manchmal Schreibstuben, am gepflegtesten die Sariläden. Daddy steht
fast drei Stunden (!) in der Schlange, um die Reservierung für die
Fahrt nach Pune zu bekommen, während wir beide schon heimfahren.
Für den Nachmittag geplant: Besuch bei Daddys Freund, dann Zirkus
"Apollo".
*
Der Besuch bei Rechtsanwalt Gadakari fraß den Abend. Reicher Kollege
von Daddy. Shivaji-patriotischer Hindu, ein bißchen Politik. Süßigkeiten.
Haus gezeigt. Oma - wie wir später erfahren, die Geliebte des verstorbenen
Vaters - in einem Zimmer abgeschoben. Das trübte den Eindruck. Haus
wertvoll, aber sehr sparsam ausgestattet. Schenkt mir einen ethischen Schinken
von der Jahrhundertwende, Uma eine Makramé-Tasche. Der Gast ist
ein Gott. Hausgott Ganesha, welcher denn sonst. Trimurti auf dem weißen
Stier ist beliebt, Shiva stets als Lord Shankara bezeichnet. Säkularisation
als europäisches Erbe verstanden, aber ich argumentiere: Brahmins
sind keine Politiker, Kshatriyas keine Priester. Aber immerhin Hauspriester.
Er zeigt mir seine religiösen Bücher. Alles etwas formell. Andachtsbüchlein
mit tausend Namen des Gottes. Rezitationsmelodien. Daddy, die gute Seele,
erläutert hier und da und manchmal falsch, aber hartnäckig, usw.,
über alle Müdigkeitspunkte hinaus. Vor allem am Abend: Nochmal
- nach dem Kommentar und der ausführlichen Planliste in zwei Briefen
- die ganze Südindientour. Alles ist arrangiert und bezahlt.
Dabei - so unterhalten wir uns am Abend im Bett - sind die Eltern wohl
in die Schulden geraten. Sein Einkommen entspricht nicht mehr den gestiegenen
Preisen. Wir werden also nicht die vorgestreckten 6000 Rupien, sondern
10.000 Rupien an ihn zahlen. Er hat immerhin drei Stunden Schlange gestanden,
nur um sich und Mamma eine Fahrkarte 3.Klasse zu holen, derweil die Gäste
erster Klasse nach Pune fahren. Ach, der Arme kommt kaum zur notwendigen
Ruhe - Der Gast ist ein Gott, so immer wieder.
Do., 27.1.1994
Der Tag bestand darin, nach dem Morgentee zu Kulkantis Addresse in Andheri
zu gelangen. Von 10 bis 14 Uhr etwa: Zug bis Bombay VT, Geldwechseln (endlich!),
Chinmanlal-Papiere, an der schattigen Bazar-Galerie entlang, Zug nach Dadar,
Taxi nach Andheri; sie wohnte aber nicht mehr in der Ashram Adresse, so
mit der Riksha zum angegebenen Holy-Spirit-Hospital, also dem Namen nach
ein katholisches Krankenhaus. Viel Warterei, als sei sie da nicht bekannt.
Schließlich hilft uns eine holländische Kollegin weiter.
Wie verloren man ist zwischen diesen Millionenstädten aus Hütten
an Hütten ins Endlose!
Aber da ist ein gedrängtes Markttreiben wie sonst in den Städten,
alles Geschäft und Leben mit Wohnen und Überleben.
*
Der Dreck ist natürlich ungeheuer: Zum einen wird er sortiert,
dient als Marktartikel und Brennmaterial, zum anderen gibt es keine Scheu,
jede Ecke, auch am staubigen Straßenrand, zu bewohnen und zu nutzen,
sogar für Hausaltärchen, Götter im periphersten Lebensrand
noch zu verehren. Räucherstäbchen. Bidis., Bauarbeiten. Eine
Frau in monochrom-goldener Sari am Abwässerkanal. Meistens sind die
Frauen sehr ausgebrannt: Gesichtsfarbe, Knochen, Alter; Gewichtslos.
Der Taxifahrer zeigt uns stolz Bal Thackereys Haus. Der Rikshafahrer
mit dem "Tiger" der Maharashtra-Nationalisten am Zähler. Nach dem
Zurückkommen Tagebuch (oberer Abschnitt) und Abbruch durch Besuch
von Subhangi. Sie ist sehr klug, literarisch, aber im sozialen Gestus zu
den anderen leicht affektiert und deshalb als unangenehm angesehen. Aber
sie ist die einzige gut gebildete, vernünftige: Fragt mich, ob ich
die Schriften der Großreligionen kenne, sieht die Engstirnigkeit
des Islam. Will natürlich wissen, wie sie in Deutschland Fuß
fassen kann. Der Mann am Abend will uns in seinem Ashram zum Meditieren
sehen. Um Gottes willen! Anruf Kulkantis. Sehr kurz - um so länger
Umas Festgehaltenwerden bei den Nachbarn, die mir langsam über werden.
Jetzt ist Fr. 28.1., früh vormittags.
Frisch geduscht wie jeden Morgen. Gleich Aufbruch zu Mai Maushi. Heut
abend: Kulkanti oder Zirkus? Nur nicht die Nachbarn?!
Und doch die Nachbarn, nach dem Treffen bei Mai Maushi und Svati. Essen,
großer Teepott "ohne Milch??" für mich, Klavierspiel, Svati,
die Zahnärztin, schaut in meinen Mund: Schatten mitten in den oberen
Schneidezähnen. Kulkanti nicht erreichbar. Die Nachbarn dann, nach
rush-hour-Zugfahrt, nach Riksha-Fahrt durch die geschäftigen, aber
abgasblauen Hüttenstädte, - was für ein Erlebnis jedesmal,
das alle Beschreibung weit übersteigt! - also die Nachbarn zum dritten
Mal: Essen auf dem Boden, Musik mit dem Harmonium. Daddy zeigt uns wieder
einmal die Tour und seine Vorbereitungen. Ich erfahre erst später,
daß er das als einzigen Dank erwartet! Dabei ist er pleite. Und wir,
die reichen Nachfolger, sollen ihn noch schröpfen?
Sa. 29.1.1994
Aufbruch nach Pune. Zug erster Klasse heißt leider: gebräunte
Fenster, also keine Photos der savannenartigen Landschaft. Basaltplateau,
durch Erosion eingetalt, in tropischen Bergformen ausgewittert, wohl rötlich,
wenn die Scheibe nicht sehr täuscht. Bewässerungsfeldbau, erkennbar
an der Wallumrandung der Felder. Die Berge nicht so bewaldet, wie es bei
der Herfahrt geschienen hatte.
Pune ist auch nicht kühler tags: Nandu mit Nichte Janu holt uns
ab. Auto von Pradeeps Freund erscheint nicht (war irrtümlich zum Zentralbahnhof
gefahren), wir nehmen die Riksha, Nandu auf dem Skooter ninterher.
Reiches Apartement, Möbel, sauber. Essen, essen, unterhalte mich
viel mit Nandu.
So. 30.1.1994
Übernachtung im Schlafzimmer von Sanyu und Pradeep. Kühler,
aber Moskitos. Große Küchenschabe. Am Morgen totmüde, weil
ich, wegen des schweren Essens noch am Abend, vor fünf aufgewacht
und später wieder eingeschlafen war.
Fahren zur Puja zu Sujatas Haus. Trage weißen Dress, Uma in Sari.
Priester kommt spät. Ein Bankmann, Brahmane, der den langen Text auswendig
beherrscht. Ich muß im Grund die entsprechenden Handlungen vollbringen:
Blumen, Puder, Nahrungsfrüchte, Kampfer, die fünf Substanzen
- Zucker, Milch, Joghurt, Butter und Honig - viele Namaskars, abschließend
genealogischer Mythos des Opfers, Satyanarayana. Uma übernimmt, wenn
ich meine Beine entspannen muß. Sanyu beherrscht das Opfer, das sie
durch eine Kassette gut kennt.
*
Überhaupt können also Frauen problemlos Grhya-Pflichten übernehmen.
Nachmittags zur kleinen Rosenausstellung. Viele in scharfem, fast violetten
dunkelrot, sehr groß. Blauviolett sehr beliebt. Nur wenige der rot-schwarzsamtenen,
die ich so liebe. Danach zum Rajneesh-Garten. Das hatte ich nicht verstanden,
bekam also einen Schreck, als ich die rotgewandeten Europäer da schlafwandeln
sah. Aber der Garten ist wunderschön. Genug Wasser für solche
Planungen. Danach bin ich mit Uma in der Stadt, in einem Restaurant. Tee
und Lassi. Abends Karte an Mutti, auf Blütenblätter-Bögen.
Beschreibungen.
Mo. 31.1.1994
Brief zur Post (nach spätem Aufstehen), Buchladen. Sehr ergiebig.
Bestelle bzw. spreche mit dem Inhaber, Vater von Rashmis Freundin, meinen
Wunsch ab: "Ramayana: ohne Fußnoten, aber vollständiger Sanskrit-Text".
Finde eine Sanskrit-Englisch-Manusmriti. Und das Dhammapada, Pali-Verse,
buddhistisch, plus Übersetzung. Ungemein günstig das alles. Uma
kauft in einem kleinen Laden an einer schmalen Bazarstraße ihre Tintins,
bestellt den Rest für teures Geld: Wird von Sujata bezahlt, d.h. von
den anderen, die nach Gelegenheit für ein Geschenk suchen.
In Neetas und Nandus Haus mächtiges Essen. Bin's für die
nächsten Tage satt. Zurück zu Sujata, Rashmi zu treffen. Ab in
den Park in der Nähe. Photos. Die birkenähnlichen Bäume
sind Eukalyptus, Nilgiris. Mit den Kindern ein Eis essen gegangen, das
nicht schmelzen wollte. Die Kinder sind herrlich, voller Zutrauen, voller
Phantasie und Eifer. Abends kamen Pradeep und Nandu. Gespräch über
mögliche Druckvorhaben: Dichtungen, oder zweisprachige Sanskrit-Übersetzungen.
Nur Tee zum Abend. Alle drängen sich (zu fünft) im Wohnzimmer,
um uns das Ehebett zu überlassen. So ist's nun 22.40 Uhr: Schreibzeit.
*
Di.1.2.1994
Am Vormittag weitere Bücher im bewährten Laden: Kalidasa-Dramen,
Vedisches; Uma: Paul Brunton. Die "Tintins" sind nicht gekommen, nicht
erhältlich. Nach dem Mittagsschlaf, noch schläfrig im Wohnzimmer
mit Umas früheren Nachbarn, ein kleines Erdbeben. Kinder öffnen
Kamera - die Bilder mit der Familienrunde im Park sind "belichtet".
Da die Kamera an den Anfang zurückgedreht ist, lasse ich den Film
entwickeln. D.h. ich gehe mit Daddy - zum dritten Mal raus; zuerst war
ich mit Rashmi zum Bougainvillebaum gegangen, um ihn zu photographieren
(aber das Bild war doch noch erhalten gewesen, wie sich später herausstellt);
dann mit Uma und Kindern zum Park, um die dortigen "Glanzstücke" zu
wiederholen; nun also - zur Wäscherei, der Alte läßt sich
den Wäscheberg nicht abnehmen. Und durch den Stadtmief zu Apotheke
und Photoladen: Noch heute kann meine Neugier befriedigt werden.
Zum Musikladen; - Sujata hat falschen Schlüssel zum Skooter und
kommt uns per Riksha nach. Jajana Joshi, der Violinist aus Dombivli, nicht
erhältlich. Sujata, Uma und ich zum Lebensmittelladen, klein und zur
Straße offen, wie ein Garagenladen, um Gewürze zum Mitnehmen
zu kaufen.
Für meine Brotsehnsucht gibt's am Abend ungetoasteten Toast mit
Ommelett. Nachrichtenguckerei, d.h. Warten darauf; vorher ein Lallebei
("Der Mond ist aufgegangen") für Yash; der fragt, ob Sanyu etwa davon
nicht hatte einschlafen können. Abschied und ab zum Bahnhof, mit Daddy
und Nandu.
Oben im Bahnhof gibt es übrigens Schlafsäle und Zimmer, so
ist's üblich. Zug rollt langsam, auf die Sekunde pünktlich ein.
Keine Decken, obwohl die Nacht kühl wird. Lautes Geklapper der Schwellen.
Mi. 2.2.1994
Doch als es hell wird, bin ich am Fenster, und eine herrliche Landschaft
tut sich auf. Hochplateau des Dekkhan, Karnataka und Andhra Pradesh. Es
wird dunkel, bevor wir Madras erreichen. - Die Photoserie zeigt alle übergänge
vom Savannengürtel bis hinab ins Schwemmland. Ein ganzer Tag! -
Am Abend in der Stadt, die westlich und urban ist wie Bombay: Aufdringliche
Rikashawerber; der, den wir wählen, sagt erst 20 Rupees, am Ende will
er 60. Im Hotel: kein A/C-Raum gebucht. Da irrte Daddy. So einige Na-Jas
im Zimmer. Unrasiert, ungewaschen zum Essen, weil die Küche bald schließt.
Käse-Parattha. Kein heißes Wasser. Mein Ärger legt sich
erst mit dem nächsten Tag.
Do.3.2.1994
Wir hatten "Sapparatt-Tee" zum Morgen; d.h. eine Kanne Milch, eine Tee,
also "separate" war gemeint. Zeitung. Zum TDC-Büro: - Unsere Tour
fällt flach, da wir die einzigen Gäste seien, sonst keine Anmeldungen!!
Also Umbuchung auf die TTDC, müssen um 12 Uhr wiederkommen!
Gehen in die Stadt, über die enge Brücke zur Anna-Malai-Kreuzung,
wo die reich-westlichen Geschäfte thronen, in möglichst grader
Bahn Richtung Ozean. Sonne ins Gesicht. Die Straße wächst sich
zu einem Gemüsemarkt aus. Indische Verhältnisse, wie gewohnt,
aber weniger Räucherwerk. Kaufen Bananen (1 Rupie pro Stück)
und Äpfel (6 Rupien).
Der Ozean! Ein riesigbreiter Strand, Abfallstückchen, die den
Feuersammlern entgangen sind, keine wesentlichen Muscheln, wir ziehen Strümpfe
und wegen der Hitze des Sandes erst später die Schuhe aus, um im Meeressaum
nach Norden zu wandern, die Sonne hinter uns.
12 Uhr im ITDC-Büro - noch kein Ergebnis. Mittagessen, Schlaf.
Um vier: Umbuchung, also ab zur Anna Malai. Ganz anderes, großes
und modernes Büro, aber Stromausfall. Wir bekommen die letzten Busplätze.
Wir suchen die Tour aus dem indischen Schulatlas, der uns schon auf
der Fahrt gedient hat, heraus.
Essen am Abend zu mächtig und viel viel viel zu scharf!! Ich kann
die folgende Woche fast nur noch Bananen vertragen.
Versuche, meinen Roman zu ändern. Uma hat älteren Hindi-Film
im Fernsehen gefunden, dramatisch wie frühe italienische Frauendramen-Filme.
Morgen letzter Tag vor der Reise hier in der Ostküstenstadt.
*
Fr.4.2.1994
So war heute der Madras-Tag, ähnlich wie gestern, nur eine weiter
nach Süden gezogene Runde. Zunächst also Buchladen im Laden-Carrée
unten zwischen den Hotels. Nicht schlecht. Hat ein gutes Buch über
Bharatnatyam, das wir nicht nehmen, ein ausgezeichnetes über Ragas,
das ist's. Das andere war auch zu abstrakt und voraussetzungsvoll. Dann
Bank. Ein dicker Packen 5-Rupees-Noten behindert uns nun. Aber praktisch.
Ärger mit den Riksha-Fahrern, bis wir den einzigen honetten finden,
der uns - nach Wegerkundung zwar bei einem anderen Hotel - zum Guindi-Nationalpark
fährt. Schlangen und andere Reptilien. Krokodilbabies, auch Tieratrappen;
Boas. Der riesige Restpark ist unzugänglich! Auf zum Theosophischen
Park. Langer Fußmarsch. Wohlhabende Viertel. Madras scheint mehrere
Zentren zu haben, durch die Flüsse getrennt. Der Annie-Besant-Park
ist zauberhaft, besonders die Pflanzenschule. Photos. Aber wir müssen
zurück, um die Brücke über den Fluß zu finden. Rikshafahrer
versteht immer nur "Thomas-mole", also den Hügel, wir wollen aber
zur "Cathedral", was wirklich zu viel ist für das Kirchlein, das wir
nach dem zweiten Riksha-Ärgernis des Tages erreichen können,
durch den zweiten honetten Fahrer des Tages nach so vielen Blödköppen.
Gott, was haben die Kitschportugiesen aus dem Indienapostel gemacht!!!
Eine Schande ist's, und das Grab ist so ein Beiwerk zum üblichen sentimental
rubbish des neugotischen Scheusals von 1866. Und die Museumskammer daneben,
wo die Heiligenknochen zur Schau herumliegen, profaniert, entweiht - es
ist zum Heulen. Natürlich keine Spur von den Thomaschristen, den -
vielleicht - Nestorianern, den Verfolgungen und Verfälschungen der
katholischen Portugalisiererei, weit weg die Thomasakten, das Perlenlied,
die Gnosis des Dithymos. Ich muß die Dokumente einmal durchprüfen.
Der Thomashügel soll sein Sterbeort sein, mit einem interessanten
Kreuz, das bisher durch ein portugiesisches Blutwunder entweiht und besudelt
wurde. Ziel unkundiger Riksha-Rakshasas.
Aber wir sind wieder am Ozean. Auf dem Strand eine Palmwedel-Hüttensiedlung.
Wir waten durch die hinaufleckende Brandung, es geht ziemlich steil
hinab in die Ozeantiefe, da finde ich noch oben am Strand einen schwarzen
Kristallstein. Übrigens hat der Himmel schon seit voriger Nacht Wolken,
aber der einzige Regen macht eine sehr locker-weite Streuung von Tropfenpunkten
im Sand.
An Fischerbooten aus großen Holzschwellen vorbei, ein Fäkaliensaum
läßt uns ins sandverwirbelte Gespritze der Brandung ausweichen.
Wir sind deshalb im Folgenden naß und voller Sand.
Uma will hinaus, hinauf, hinein in die Stadt. Also gehen wir in Richtung
Westen, nachdem wir auf einem Rasenstück neben der Hauptstraße
uns geputzt und beschuht haben, neben uns rollt einer sein Fischernetz
zusammen, und landen in einem Fischbazar, der den Eindruck eines römischen
besteuerten Pissoirs macht, ich verstehe, warum Uma niemals einen Fisch
nur von weitem anblinzelt.
Und schließlich, nach Überschreitung des Buckingham-Kanals
- was für ein Name für den stinkenden Schlammgraben!! - im Hauptdurchgang
einer Hüttensiedlung mit dem üblichen Kleinstlädenrand.
Aber es geht gut hindurch. Wir kaufen zwei Stahlbecher und fünf Bananen.
Die erste Bananenanbieterin wollte nach dem Kauf den Preis glatt erhöhen.
Also verzichten wir. Andere sind umstandslos. Wie bei den Rikshas, mit
denen wir die nunmehr dritte Ärgerniswelle des Tages erleben. Sie
wissen nicht, wohin wir wollen, fordern aber Phantasiepreise im Voraus
uund weigern sich, den Taxameter einzustellen. Wenigstens prügeln
sie uns nicht, wenn wir ablehnen und weitergehen.
Straßensperren. Die Chief-Ministerin wird erwartet. Der dritte
honette Mann des Tages bringt uns - über die leere (!!!) Anna-Salai-Mountain-Road
nach Hause.
Uma ist erledigt. Und wir müssen noch waschen. Und essen. Und
tagebüchern. Und morgen um halbsechs raus.
*
Sa.5.5.94
In der Morgenfrühe die Tour. Mehrere Busse vor dem TTDC. Im Bus,
dem letzten, sind unsere Plätze fehlbelegt, und dank dem jungen Italiener
der Tour, Massimo, dürfen wir doch mit Fensterplatz nebeneinander
sitzen.
Das ländliche Indien, denn wir fahren viel durch die Dörfer
der hochkultivierten Reis-Kokos-Gemüse-Palmenlandschaft. Pondicherry:
Der Aurobindo-Ashram. Sehr sauber, still und schön geführt.
Das Grabmal immer mit Blumen versorgt. Der Meditationsraum des Weltabgeschiedenen
- Ich sehe, das ist alles noch wirklich. Hohe Geistigkeit. In der Meditation
unmittelbar Ernst und Licht des alles durchbetenden Göttlichen.
Der Ozean leider von französischer "gloire" verstellt. Man kann
sich nicht mal die Hände im Salzsaum waschen, das Denkmal blockt sich
davor auf.
Weiter durch die bäuerliche Gegend. Hütten aus Palmwedeln,
uns immer freundlich zuwinkende Menschen. Reis wird geworfelt. Die Stoppeln
ragen aus den Wasserflächen, von kleinen Dämmen umrandet, aber
keine Handtuch-Parzellierung, wohl Langfluren.
Mangroveküste. Da unternehmen wir eine Bootstour.
Krönender Abschluß heute soll der große Natyaraj-Tempel
in Citambaram sein. Vier gewaltige Tortürme, meist nur einer gut zu
sehen, so weitläufig ist die stadtgroße Anlage.
Im Innnern viel Schau und Verehrungszauber, aber wir dürfen mit
freiem Oberkörper hinein, auch Uma in Hosen. Aber ich sehe nichts,
so an den vielen Leuten vorbei, über die Schranke hinweg. Uma ist
nicht so angetan, wir sind also etwas früh wieder draußen. Die
Säulenhalle usw. haben wir ohnehin nicht sehen können.
*
So.6.5.1994
Busfahrer krank, ein neuer muß besorgt werden, aber die Zeit kann
kaum genutzt werden, wir sind auf dem Sprung: Statt um 6.30 Uhr gehts um
11 weiter. Dafür in einem Affentempo, so daß ich mich wundere,
wie der Körper das Gewackel und Geschüttel überhaupt aushält.
Zuerst um die viereckige Stadtanlage herum, dann hinaus. Ich hatte gestern
abend noch zwei neue Filmrollen erstanden, nach viel Gefrage und Gesuche
längs der belebten Straßengeschäftszeile am Abend, die
ich wie ein Analphabet an den Dingen und Angeboten durchlesen mußte,
da ich die komplizierte Schrift nicht beherrsche, noch weniger die Sprache.
An dem Tag sind dran: Ein muslimischer "Tempel", kindisch-bunt, voll
pekuniärer Puja-Angebote, das leere Gegenwärtige, einen beliebigen
Raumpunkt also, durch die übliche Kampfer-Drehbewegung zu verehren;
für Geld nur, somit übertrifft die Känolatrie noch die hinduistische
Idolatrie.
Und eine portugiesisch-katholische, nun tamilische Kirche an der Küste,
weißer Zuckerbau, es ist gerade Abendmesse, wir sehen Wandlung, Vaterunser
und Kommunion. Ich ärgere mich gewaltig, daß alle Nichtkatholiken
ausgeschlossen werden, per englischen Satz. Am Abend ein prima Hotel.
Mo.7.5.1994
Und wir wurden nicht geweckt, wachten erst um 6.30 Uhr, also zur Abfahrtszeit,
auf. Blöde Witze der Franzosen. Von der Reislandschaft der Küste
zurück ins Savannen-Binnenland. Schirmbäume, vielleicht Akazien,
die hier fence-trees heißen. Die allgegenwärtigen blühenden
Stauden mit ihren Malven-Trichtern. Später viel rote Erde, darauf
üppige Büsche. Kokoshaine dann wieder zwischen Bananenfeldern
und Reis-Naßflächen.
Zuerst eine große Tempelanlage: Shivatempel des Raja Rajachola
kurz vor 1000 n.Chr., mit gewaltigem schwarzen Stier (Nandi), ohne von
Farbe überzuckert zu sein, ein gewaltiger Turm über dem Sanctum
Sanctorum (dieser lateinische Begriff ist hier durchaus üblich); vor
allem, oh Wunder, ein stiller, einsamer Ort. Noch stiller als das Umfeld
der katholischen Kirche gestern, die doch ein Paradebeispiel für das
Hygienebedürfnis der westlich-christlichen Orientierung war. Tempel
axial, von Osten nach Westen, nicht Mandala, wie die Betonung der Tortürme
und ein mittleres Becken es sonst darlegen würden. Viele Photos, fast
der halbe Film, aber zu früh, zu dunkel.
Das war noch am Ort, nun die beschriebene Fahrt zur Ramabrücke,
dem Ansatzpunkt Hanumans. Im Bus Gesinge, mit Mikrophon. Es regnet, Nordwestmonsun.
Beim Auspacken der Koffer eine Riesenschweinerei: Mit meinem gegenwärtigen
Zeug zusammen mehr als ein Dutzend Kleidungsstücke versaut, weil der
Bus im Laderaum den Schlamm reinließ, und das saugte sich hoch. Muß
in der Nacht waschen.
Aber erst gings noch einmal zur Insel Rameshvara, wo ein Tempel Shivas
die Bedeutung des Inselkontaktes festhält. Ich rege mich vor dem Wächter
im Tempel darüber auf, nicht als Hindu eingelassen zu werden. Will
mich demnächst klüger verhalten: Oberkörper frei und Schnur
um!
Aber das Becken ist zu sehen.
Vorher sollte man mit der Kleidung ins Meer, zurück zum Tempel
usw. Dafür ist's mir heute zu "unheiß".
Schleimiger Boden des Tempels, danach entsetzlicher Fußgestank:
ein Meer von mikrobiologischen Unterwelten.
Im Bus erhalten wir von den großen Prasad-Mengen etwas ab.
Abends Bratfisch, klein, asche-schwarz, scharf, vergrätet. Massimo
sitzt bei uns. Ein alter Reisehase.
So schreibe ich, nach der Wascherei, bis fast zwölf Uhr.
*
Di.8.2.1994
Um fünf Uhr geweckt, um im Haken über Madurai nach Kanniya-Kumari,
dem Südkap, zu kommen, wohl wegen der besseren Straße.
Madurai offensichtlich eine wilde Stadt, doch wir fahren nur durch.
Genieße im Fahrerhaus die Berge rechts (westlich) hinter dem Garten
der Reisfelder, Bananen und Palmen, die Eastern Ghats. Wir setzen mit der
Fähre zum Vivekanandafelsen über, wo der berühmte Heilige
sich sammelte, bevor er auf dem Weltkongreß der Religionen die Universalität
des Hinduismus vertrat. Tempelbau, Gandhimonument, schließlich mit
vielen Leuten auf dem Granitfelsen des Kaps Sonnenuntergang über Klippen
und Sand.
Ich finde ein Stückchen Granit von der grünlichen Felsensubstanz,
das ich nun immer als "die Südspitze Indiens" vorführe.
Wir wohnen in Bungalows nahe der Küste, aber schwimmen ist dort
nicht gut möglich, es ist auch zu dunkel und in den Klippen zu gefährlich
dazu.
Am Abend gehen wir mit Massimo chinesisch essen, da trifft er einen
Landsmann, der froh ist, sein einsames Herz in der Fremde ausschütten
zu können.
Mi.9.2.1994
Fahrt zurück nach Madurai. Doch zuerst Sonnenaufgang. - Ausgerechnet
da, wo die Gute aufgehen soll, steigt eine schwarzviolette Schatenwolke
auf. Darunter etwas Rot, ausfahrende Fischerboote, die Brandung an den
Granitfelsen der Kapinselchen, aber die Sonne geht weiter links neben dem
Goldstreifen wohl auf.
Wir fahren nun etwas weiter westlich an den Bergen der Südspitze
vorbei nach Suchindram, wo wir oben nackt, unten Dhoti, durch den Tempel
geleitet werden. Klingende Säulen (Phonolithe), ein etwas bestürzender
Riesen-Hanuman, dann eine kleinere Skulptur von einem bestrafenen Bestochenen,
auf dessen aktuelle Bedeutung uns der quirlige Tempelführer gerne
hinweist.
Die Route, nun nach Norden, beschert uns nun (auf unserer linken Busseite)
die Inselberge der Ghats, nun im Morgenlicht. Davor die Reis- und zunehmend
Savannenlandschaften mit Fächerpalmen zur Palmherz- und Sagogewinnung
sowie Randstreifen von Aloe. Später auch Sonnenblumenfelder und Dornbuschsavanne.
Leuchtendrote Böden, besonders in den Aufschlüssen der badland-Becken,
etwa zum Straßengraben hin, oder bei gepflügtem Feld. Die Berge
wohl nicht nur aus Granit wie am Kap, sondern auch paläozoische Schiefer.
Der Suchindram-Tempel war aus Muschelkalk.
In Madurai bricht heftig der Monsun auf uns nieder. Diesmal wollen
wir nicht ins Allerheiligste, die bunten Verkaufsstände reizen mehr.
Vorher noch - während die anderen Stoffe und Saris einkaufen gehen
- trinke mit Massimo drei Kaffees, die immer auf eine höchst artistische,
akrobatische Weise aus einem schwarzen Sirup und Milch gemischt werden,
unterhalb des mit Palmblättern verdeckten Tempeltorturms. Schade,
daß die bunte Spielerei des 18.Jahrhunderts verdeckt ist. Also im
Tempelbazar erhandle ich einen kleinen Natyaraja und Postkarten vom Ganzen,
wie es unter normaleren Verhältnissen aussehen müßte. Uma
ist nicht dabei: Husten, leichtes Fieber.
Schwierige Rückkehr durch den völlig zusammengebrochenen
Stadtverkehr.
*
Do.10.2.1994
Fahrt Richtung Westen, in die Ghats von Osten und Westen, die sich nun
hier zum Höhepunkt des prismatischen Subkontinents verbinden, nicht
weit von der Südspitze. Es geht schließlich in Serpentinen hinauf,
hochgebirgsartig: Kodaikanal. Üppige Vegetation, oft blumig. Eukalyptuswälder
mit starken Gerüchen.
Die beiden Aussichtspunkte - auf einen über hundert Meter langen
Felsen und überhaupt ins Tal hinab - sind leider völlig verwölkt.
Verkaufsstände mit Kleidung und Glasreifen für die Arme - wir
nehmen ein Paar Ohrgehänge aus Garngeflecht und ein kleines Fläschchen
Eukalyptusöl mit.
Die Felsen sind stark verwittert. In den Aufschlüssen rote Erde
unter der braunen Verwitterungsoberfläche von ca. 30 cm. Steine schwimen
rund im Lehm, wenn sie nicht schon selbst in konzentrischen Schalen von
außen nach innen zersetzt sind. Geschieferter Granit, dunkles Krsitallin
auch mit Zersetzungsrinden. Das Material bröckelt, wenn es offen ansteht,
in der Hand grusig weg.
Neben weißen Trompeten blaue Winden, dunkler als die ipomea tricolor,
mit efeuartigen Blättern. Affen am Straßenrand.
Die Stadt Kadaikanal wie andere Städte unten auch, aber merkwürdig
über Pässe und abgrundtiefe Kerbtäler verteilt; ein feinstes
Terrassensystem überzieht deren steile Wände mit Gärten,
Obstbäumen und Aufforstungen. Autogehupe, mangelnde Verkehrsvernetzung,
zerschneidende Landschaftseinbrüche in diesem Hochgebirge nach unten
wie nach oben.
Am Abend wird's kalt, zwei Decken helfen. Sollen die anderen ihren
Louis de Funes gucken (Kassette der Franzosen). Wir gehen schlafen.
*
Fr.11.2.1994
Durchfall, Fieber, Mattigkeit. Sitze nur mit geschlossenen Augen im
Bus. Gegen Mittag kommen wir schon in Trichy (kurz für "Tiruchchirappalli")
an. Wanke mit Rucksack aufs Zimmer, lege mich schlafen. Uma geht mit auf
die Tempeltour nach Shrirangam, macht aber vom Tempeläußern,
dem buntem Besatz des Torturms, in der Hektik keine Photos, findet auch
keinen Geschmack daran. Im "nur für Hindus" präreservierten Bereich
reicht es ihr nach der ersten Geldpuja und sie kauft auf dem Rundgang mit
Massimo und dem Inder, der immer neben ihm sitzt, Blumen für die Frauen
der Gruppe. Die tragen sie am folgenden Morgen im Haar.
Am Abend erwäge ich, ob die Krankheit Malaria sein kann - dann
müßte ich mit meinem Resochin anfangen. Aber das hätte
gerade die Nebenwirkungen, die ich jetzt verstärkt als Krankheit verspüre.
Also nur nicht auf gut Glück "Malaria" behandeln. Außerdem hat
Malaria eine rhythmische Folge von Fieberschüben, während bei
mir das Fieber wohl immer gleich hoch war, ohne Schweißausbrüche,
ohne sonstige Schmerzen über das fiebrige Ziehen in den Muskeln hinaus.
Der Durchfall deutet auf anderes hin. Zwar meinen die Franzosen der Gruppe,
es sei Malaria - der eine wohnt doch schon seit 15 Jahren in Madras! -,
doch nehme ich dankbar das Angebot an, zum Krankenhaus begleitet zu werden,
wo ein gütiger Doktor alle Bedenken nimmt, mir eine billige bittere
Pille verschreibt, und siehe da: Schon am Abend setzt die Gesundung ein.
Dafür steigert sich bei Uma der Husten.
Sa.12.2.1994
Rückfahrtstag, doch am Vormittag noch ein Tempelberg, den wir als
schlammsatte und fußgewaschene Strumpfträger auslassen. Dafür
sehen wir den Felsen von unten, über einen rechteckigen Teich hinweg,
finden auch endlich ein Postamt, um unsere Post abzustoßen, die dennoch
nach uns ankommen wird. Das Material solcher Berge ist schwer zu ermitteln,
da die Verwitterung etliche Meter tief jeden Felsen in rote Erde verwandelt,
schon vorher durch-"rötet, und ein schwarzer Mantel die glatten Zuckerhutformen
bedeckt: Was wie Basalt aussieht, kann genausogut Granit sein, wie z.B.
in Kanniyakumari. Die Eiform, Zuckerhut-Ovale, zeigt tropische Schalenverwitterung
an, die aber nicht nur den Granit betrifft; später sehen wir eine
schwarze Kristallinsubstanz von dieser Formung betroffen, vielleicht die
gleiche Substanz wie der Stein, den wir in Madras am Strand gefunden hatten.
So waren auch schon die Steineier in den Erdaufschlüssen am Abhang
der Kodaikanal-Abfahrt (Palai-Hills) beschaffen: Verwitterungsreste, konzentrisch
von außen nach innen wirkende Zersetzung, umgekehrt wie bei strahligen
Kristallisationen.
Rückfahrt noch einmal durch die durchkultivierte Reislandschaft
mit Kokoshainen, Fächerpalmen ("Klobürsten"), dann oft auch die
trockeneren Savannen mit ihren fast forstförmig-regelmäßigen
Dorngewächsen, alle haben die gleiche farnartig-gefiederte Blattform,
einen Schirmwuchs, grünen jetzt nach dem letzten Wintermonsun, oder
blühen weiß. Sonnenblumen, kleinere Gemüse, Kartoffeln.
Die Bauern beim Worfeln, die Frauen beim Setzen der Sprößlinge,
in Reihen gebückt in praller Sonne. Alles voll kleiner Tempelchen,
auch auf den Feldern, wie schon auf den Bürgersteigen in den Städten.
Nach Ankunft in Madras und im Hotel Versuch, in einen Film zu gelangen,
der in einem großen Kino auf der Mountainroad läuft. Aber alle
drei Abendvorstellungen sind schon ausverkauft, und eine Schlange steht
schon für die folgenden Tage und Wochen an.
Im Hotel, diesmal AC-room, werden wir diesmal im Fernsehen mit einer
Zusammstellung älterer Musikszenen entschädigt. Sehr exakt gemachte
Choreographien der Gestik und des musikalischen Ausdrucks zu hervorragenden
Melodien. 1. Kobraflöte, Paar und Hintergrund-"Chor" mit ähnlichen
Bewegungen zum Schlangenbeschwörer. 2. "Musiklehrer" ist in Wahrheit
der Liebhaber, zumal die Mutter andauernd kontrolliert. Krishna-Radha-Lied,
so daß dessen Gehalt hier konkret verstanden werden kann. Sie wirft
seinen Tarnschnurrbart einfach fort, nachdem sie ihn erkannt hat. 3. Muslim-Stück:
Mädchen und Jungen sitzen einander gegenüber. In ihren Mitten
jeweils die beiden im Zwiegespräch. Sie reagiert sehr eckig-schnell,
aggressiv, wirft ihm wohl falsche Versprechungen vor. Er, milde, versucht
zu überzeugen. Sie immer bitter ironisch. Guter Wechselgesang auf
immer die gleiche gesungene Strophe mit pointierter Klausel. Alles natürlich
mit ausgezeichneter Rhythmik der Gesten, Mimik und Akzentuierungen. Grundkonstellationen
ins Feinste durchgestaltet. Gefühle bis zur Künstlichkeit auf
den Ausdruck gebracht. Durch die Schnelligkeit der Zeichensprache von Händen,
Kopf, Augen und aller Körperwendungen überhaupt wirken sie auch
nicht sentimental, sondern bei aller "Falschheit" amüsant, kaum mehr
bloß ironisch, sondern als durchinszeniertes Spiel, eben Musik, Musik.
Enthält das nicht mehr Kultur, als alles andere hier in Indien? Aber
selbst so eine kleine Hauspuja ist ja durchgestaltet und auswendig zelebriert
bis ins Letzte.
Nur nicht die Eisenbahn, die so berühmte, billige, indische, in
der ich hier wackle und schreibe. Es gibt einfach keine Bettdecken und
Kopfkissen. Nebenan saufen und lärmen sie noch lauter als Zug und
Ventilatoren.
Also ist es So.13.2.1994
Schade, daß der Film nur noch wenige Photos frei hatte, denn die Landschaft bot sich in bestem Licht dar, da wir nun, Zweierabteil, auf der Schattenseite saßen. Aber die eben genannten Probleme. Nun ja, es ist ja erst 21.40 Uhr, da mag sich noch manches beruhigen.