[6.1] Interea Psyche variis iactabatur discursibus,
dies noctesque mariti vestigationibus inquieta animo,
tanto cupidior iratum licet,
si non uxoriis blanditiis lenire,
certe servilibus precibus propitiare.
et prospecto templo quodam in ardui montis vertice
'unde autem,' inquit, 'scio an istic meus degat
dominus?'
Unterdessen
trieb es Psyche in mancherlei Irrfahrten umher;
Tag und
Nacht nahmen die Nachforschungen nach dem Gemahl ihrem Herzen die Ruhe.
Aber um
so mehr begehrte sie, mochte er auch zürnen,
ihn
wenn nicht als Gattin liebkosend zu besänftigen,
so
doch durch unterwürfige Bitten gnädig zu stimmen.
Und als
sie von ferne auf einem steilen Bergesgipfel einen Tempel sah, sprach sie:
"Woher
kann ich denn wissen, ob nicht dort mein Gebieter weilt?
et ilico dirigit citatum gradum,
quem defectum prorsus adsiduis laboribus
iamque naviter emensis celsioribus iugis pulvinaribus
sese proximam intulit.
Auf
der Stelle richtet sie dahin ihren schleunigen Schritt,
den
unablässige Mühsal ganz entkräftet hatte,
aber
Hoffnung und Wunsch beschwingten.
Nachdem
sie jetzt rüstig den Berg bis zur Höhe erklommen,
trat sie
ein und nahte sich dem Göttersitz.
videt spicas frumentarias in acervo et alias
flexiles in corona
et spicas hordei videt.
erant et falces et operae messoriae mundus omnis,
sed cuncta passim iacentia et incuria confusa
et,
ut solet aestu, laborantium manibus proiecta.
Da
sieht sie Weizenähren gehäuft und andere zum Kranz gewunden,
auch Gerstenähren
sieht sie.
Es gab
auch Sicheln und jegliches Gerät zur Erntearbeit;
aber
alles lag in achtlosem Durcheinander umher,
wie
es an heißen Tagen Arbeiter hinzuwerfen pflegen.
haec singula Psyche curiose dividit
et discretim remota rite componit,
rata scilicet nullius dei fana
ac caerimonias neclegere se debere,
sed omnium benivolam misericordiam corrogare.
Das
legt Psyche sorgfältig Stück für Stück auseinander,
räumt
es gesondert beiseite und stellt es ordentlich zusammen;
vermeinte
sie doch, sie dürfe keines Gottes geweihte Stätte
und
heilige Bräuche vernachlässigen,
sondern
müsse alle zusammen um wohlwollendes Mitleid bitten.
[2] Haec eam sollicite seduloque curantem
Ceres alma deprehendit et longum exclamat protinus:
'ain, Psyche miseranda?
totum per orbem Venus
anxia disquisitione tuum vestigium furens animi
requirit,
teque ad extremum supplicium expetit
et totis numinis sui viribus ultionem flagitat:
Als
sie dies eifrig und emsig besorgt,
trifft
die segenspendende Ceres sie an und ruft gleich von weitem:
"Ist's
die Möglichkeit, arme Psyche?
Auf der
ganzen Erde forscht Venus
rasend
in ruhelosem Hin und Her nach deiner Spur,
lädt
dich zur peinlichen Bestrafung
und
heischt Rache mit all ihrer mächtigen Majestät.
tu vero rerum mearum tutelam nunc geris
et aliud quicquam cogitas
nisi de tua salute?
Tunc Psyche pedes eius advoluta
et uberi fletu rigans deae vestigia
humumque verrens crinibus suis
multiiugis precibus editis veniam postulabat:
Aber
du nimmst dich jetzt meiner Sachen an
und denkst
noch an etwas anderes
als an
deine Sicherheit?"
Da warf
sich Psyche ihr zu Füßen,
benetzte
mit reichlichen Tränen der Göttin Füße,
wischte
mit ihren Haaren den Boden
und
bettelte unter vielfältigen Gebeten um Gnade:
'per ego te frugiferam tuam dexteram istam deprecor,
per laetificas messium caerimonias,
per tacita secreta cistarum
et per famulorum tuorum draconum pinnata curricula
"Bei
deiner früchtetragenden Rechten hier flehe ich dich an,
bei
den freudebringenden Erntebräuchen,
bei
den verschwiegenen Truhengeheimnissen
und
bei deiner dienenden Flügeldrachen Fahrt,
et glebae Siculae sulcamina
et currum rapacem et terram tenacem
et inluminarum Proserpinae nuptiarum demeacula
et luminosarum filiae inventionum remeacula
et cetera, quae silentio tegit Eleusinis Atticae
sacrarium,
den
gefurchten Fluren Siziliens,
dem
jäh raffenden Wagen und der zäh haltenden Erde,
der
Proserpina Hinabfahrt zu lichtloser Hochzeit
und
der Tochter Auffahrt zu lichtvollem Wiederfinden,
und
dem übrigen, was mit Schweigen deckt des attischen Eleusis Heiligtum:
miserandae Psyches animae, supplicis tuae, subsiste.
inter istam spicarum congeriem patere vel pauculos
dies delitescam,
quoad deae tantae saeviens ira spatio temporis
mitigetur
vel certe meae vires diutino labore fessae
quietis intervallo leniantur.'
Steh
der erbarmungswürdigen Seele der Psyche, die auf Knien dich anfleht,
zur Seite.
Unter
diesem Ährenhaufen laß mich nur ein paar Tage verschwinden,
bis
sich der großen Göttin rasender Zorn im Lauf der Zeit besänftigt
oder
wenigstens meine müden Kräfte nach langer Qual
eine
Ruhepause und Erquickung finden."
[3] Suscipit Ceres: 'tuis quidem lacrimosis precibus
et commoveor et opitulari cupio,
sed cognatae meae, cum qua etiam foedus antiquum
amicitiae colo,
bonae praeterea feminae, malam gratiam subire
nequeo.
Ceres
erwidert: "Deine tränenreichen Bitten rühren mich, und ich möchte
wohl helfen;
aber
mit meiner Verwandten, die mir auch seit langem freundschaftlich verbunden
und
im übrigen eine gute Frau ist, kann ich es nicht verderben.
decede itaque istis aedibus protinus
et quod a me retenta custoditaque non fueris
Verlaß
also umgehend dies Haus,
und
wenn ich dich nicht dabehalten und eingesperrt habe,
so
kannst du von großem Glück reden."
Contra spem suam repulsa Psyche et afflicta duplici
maestitia
inter subsitae convallis sublucidum lucum
prospicit fanum sollerti fabrica structum
nec ullam vel dubiam spei melioris viam volens omittere,
sed adire cuiuscumque dei veniam,
sacratis foribus proximat.
Wider
ihre Hoffnung abgewiesen und von doppelter Traurigkeit geschlagen
wandte
sich Psyche rückwärts.
Da erspäht
sie in dem unter ihr liegenden Talgrunde inmitten eines lichten Haines
ein
Heiligtum, das in kunstvoller Bauweise errichtet war;
und da
sie keinen noch so zweifelhaften Weg zu neuer Hoffnung unbeachtet lassen,
sondern
sich an jedweden Gottes Gnade wenden will,
nähert
sie sich dem geheiligten Tor.
videt dona pretiosa et lacinias auro litteratas
ramis arborum postibusque suffixas,
quae cum gratia facti nomen deae,
cui fuerant dicata, testabantur.
tunc genu nixa et manibus aram tepentem amplexa
detersis ante lacrimis sic adprecatur:
Sie
erblickt kostbare Gaben und Tücher mit goldenen Buchstaben,
die
an Baumzweige und Pfosten geheftet waren
und mit
dem Dank für erwiesene Wohltat den Namen der Göttin,
der
sie geweiht waren, bezeugten.
Jetzt
umfängt sie niederkniend mit ihren Armen den noch lauen Altar,
wischt
zuvor ihre Tränen ab und betet also:
[4] Magni Iovis germana et coniuga,
sive tu Sami, quae sola partu
vagituque et alimonia tua gloriatur, tenes vetusta
delubra,
sive celsae Carthaginis, quae te virginem vectura
leonis
caelo commeantem percolit, beatas sedes frequentas,
sive prope ripas Inachi, qui te iam nuptam Tonantis
et reginam dearum memorat, inclitis Argivorum
praesides moenibus,
"Des
großen Jupiter Schwester und Gemahl,
magst
du zu Samos – das allein sich deiner Geburt,
deines
ersten Wimmerns und deiner Stillung rühmt – in den alten heiligen
Hallen weilen,
magst
du im hohen Karthago – dessen frommer Sinn dich als Jungfrau im Löwenwagen
am
Himmel dahinfahren läßt – den Ehrenthron einnehmen,
magst
du an den Ufern des Inachos – der deiner endlich als des Donnerers Gattin
und
der Götterkönigin gedenkt – der Argiver weitberühmte Mauern
schirmen,
quam cunctus oriens Zygiam veneratur
et omnis occidens Lucinam appellat,
sis meis extremis casibus Iuno sospita
meque in tantis exanclatis laboribus defessam
imminentis periculi metu libera.
quod sciam, soles praegnatibus periclitantibus
ultro subvenire.'
du,
welche der gesamte Orient als Zygia anbetet
und
der ganze Okzident Lucina nennt:
sei
mir in meiner höchsten Not, Juno, die Retterin
und
befreie mich, die im Erdulden solcher Leiden zu Tode ermattet ist,
von der
Angst vor drohender Gefahr!
Soviel
ich weiß, pflegst du schwangeren Frauen in der Not
deine
Hilfe anzubieten."
Ad istum modum supplicanti statim sese Iuno
cum totius sui numinis augusta dignitate praesentat
et protinus
'quam vellem.' inquit, 'per fidem, nutum meum
precibus tuis accommodare.
Da
sie in dieser Weise auf Knien fleht, erscheint augenblicklich Juno
in
der erhabenen Herrlichkeit ihrer ganzen Majestät und spricht sogleich:
"Wie
gerne wollte ich, verlaß dich, meinen Wink deinen Bitten anbequemen!
sed contra voluntatem Veneris, nurus meae,
quam filiae semper dilexi loco,
praestare me pudor non sinit.
tunc etiam legibus,
quae servos alienos profugos invitis dominis vetant
suscipi, prohibeor.'
Aber
gegen den Willen der Venus, die meine Schwiegertochter ist
und
mir stets an Kindes Statt lieb war,
entgegenzukommen
verbietet der Anstand.
Und dann
bin ich auch durch die Gesetze gebunden,
die flüchtige
Sklaven anderer wider ihrer Herren Willen aufzunehmen verbieten."
[5] Isto quoque fortunae naufragio Psyche perterrita
nec indipisci iam maritum volatilem quiens,
tota spe salutis deposita,
sic ipsa suas cogitationes consuluit:
Durch
diesen neuen Schiffbruch ihrer Unternehmungen vollends verstört
und
außerstande, ihren geflügelten Gatten noch zu erreichen,
ließ
Psyche alle Hoffnung auf ein Davonkommen fahren
und
ging so mit ihren eigenen Gedanken zu Rate:
'iam quae possunt alia meis aerumnis temptari vel
adhiberi subsidia,
cui nec dearum quidem, quamquam volentium,
potuerunt prodesse suffragia?
quo rursum itaque tantis laqueis inclusa vestigium
porrigam
quibusque tectis vel etiam tenebris abscondita
magnae Veneris inevitabiles oculos effugiam?
"Welche
anderen Mittel für meine Leiden gibt es noch zu versuchen oder anzuwenden,
da
nicht einmal die Göttinnen, wiewohl sie es wünschten,
mit
ihrer Stimme mir zu nützen vermochten?
So im
Netz gefangen, wohin soll ich wieder meine Schritte lenken,
unter
welchem Dach, ja, in welchem Schlupfwinkel
kann
ich der Frau Venus unausweichlichen Augen entrinnen?
quin igitur masculum tandem sumis animum
et cassae speculae renuntias fortiter
et ultroneam te dominae tuae reddis
et vel sera modestia saevientes impetus eius
mitigas?
qui scias an etiam quem diu quaeritas illic in domo
matris repperias?'
sic ad dubium obsequium, immo ad certum exitium praeparata
principium futurae secum meditabatur obsecrationis.
Warum
faßt du dir nicht endlich ein mannhaftes Herz,
verzichtest
tapfer auf das schwache Hoffnungsfünklein,
lieferst
dich freiwillig deiner Herrin aus
und
milderst durch Fügsamkeit, komme sie auch spät, ihre Wutausbrüche?
Wer weiß,
vielleicht kannst du auch den Langgesuchten dort im Hause der Mutter finden?"
So bereitete
sie sich zu fragwürdigern Gehorsam, nein, zum sicheren Ende,
und sann
bei sich, wie die bevorstehende Bittrede zu beginnen sei.
[6] At Venus terrenis remediis inquisitionis
abnuens caelum petit.
iubet construi currum,
quem ei Vulcanus aurifex subtili fabrica studiose
poliverat
et ante thalami rudimentum nuptiale munus obtulerat,
limae tenuantis detrimento conspicuum
et ipsius auri damno pretiosum.
Aber
Venus verzichtet auf irdische Fahndungsmittel und macht sich zum Himmel
auf.
Sie befiehlt
ihren Wagen zu schirren,
der
ihr von Vulkan dem Goldschmied in feiner Handwerkskunst emsig ziseliert
und
vor der Einweihung des Brautgemachs als Hochzeitsgabe dargebracht war,
dem
Verschleiß und Abnutzung durch die Feile Ansehnlichkeit gaben
und
Wert gerade die Einbuße an Gold.
de multis quae circa cubiculum dominae stabulant
procedunt quattuor candidae columbae
et hilaris incessibus picta colla torquentes
iugum gemmeum subeunt
susceptaque domina laetae subvolant.
Von
den vielen Tauben, die rings um der Herrin Schlafgemach ihre Schläge
haben,
kommen
vier weiße hervor und begeben sich,
munter
stolzierend und ihre schillernden Hälse drehend,
unter
das juwelenfunkelnde Joch,
lassen
ihre Herrin einsteigen und fliegen fröhlich empor.
currum deae prosequentes gannitu constrepenti
lasciviunt passeres
et ceterae quae dulce cantitant aves
melleis modulis suave resonantes adventum deae
pronuntiant.
cedunt nubes et Caelum filiae panditur
et summus aether cum gaudio suscipit deam,
nec obvias aquilas vel accipitres rapaces
pertimescit magnae Veneris canora familia.
Im
Geleit des göttlichen Wagens lärmen Sperlinge mit ausgelassenem
Gezwitscher,
und
was sonst an Vögeln anmutig singen kann,
läßt
die süßesten Melodien lieblich erschallen, die Ankunft der Göttin
zu verkünden.
Es weichen
die Wolken, der Himmel öffnet sich seiner Tochter,
und
der Äther droben nimmt mit Freuden die Göttin auf;
keine
Begegnung mit Adlern oder räuberischen Falken
hat
der großen Venus singendes Gesinde zu fürchten.
[7] Tunc se protinus ad Iovis regias arces dirigit
et petitu superbo
Mercuri, dei vocalis, operae necessariam usuram
postulat.
nec rennuit Iovis caerulum supercilium.
tunc ovans ilico, comitante etiam Mercurio,
Venus caelo demeat
eique sollicite serit verba:
Nun
lenkt sie geradeswegs zu Jupiters Königsburg
und
fordert mit herrischem Antrag
dringende
Verfügungsgewalt über Merkur, den redebegabten Gott.
Und Jupiters
schwärzliche Braue winkt kein Nein.
Gleich
fährt frohlockend jetzt, nicht ohne Begleitung Merkurs,
Venus
vom Himmel herab
und
setzt ihm folgendes geschäftig auseinander:
'frater Arcadi, scis nempe
sororem tuam Venerem sine Mercuri praesentia
nil unquam fecisse
nec te praeterit utique,
quanto iam tempore delitescentem ancillam nequiverim
repperire.
nil ergo superest quam tuo praeconio
praemium investigationis publicitus edicere.
"Lieber
Bruder aus Arkadien, du weißt ja,
deine
Schwester Venus hat ohne Merkur neben sich nie etwas getan,
und es
entgeht dir keinesfalls,
wie
lange Zeit ich schon meine Magd in ihrem Versteck nicht aufzufinden vermag.
Nichts
also bleibt übrig, als durch dich als Herold
für
die Entdeckung der Spur eine Belohnung öffentlich bekanntzumachen.
fac ergo mandatum matures meum
et indicia, qui possit agnosci, manifeste designes,
ne, si quis occultationis illicitae crimen subierit,
ignorantiae se possit excusatione defendere';
et simul dicens libellum ei porrigit,
ubi Psyches nomen continebatur et cetera;
quo facto protinus domum secessit.
Sieh
also zu, meinen Auftrag eilends auszuführen
und
genau die Kennzeichen zu beschreiben, wie sie identifiziert werden kann,
damit,
wenn jemand ihr gegen Fug und Recht Unterschlupf gewährt haben sollte,
er
sich nicht auf Unkenntnis hinauszureden und aus der Sache zu ziehen vermag!"
Unter
diesen Worten überreicht sie ihm ein Papier,
worin
Psyches Name und so weiter verzeichnet war.
Dann machte
sie sich geradewegs nach Hause davon.
[8] Nec Mercurius omisit obsequium.
nam per omnium ora populorum passim discurrens
sic mandatae praedicationis munus exequebatur:
Und
Merkur unterließ es nicht, ihr zu willfahren.
Vor aller
Völker Angesicht eilte er in der Welt umher
und führte
Amt und Auftrag der Bekanntmachung also aus:
'si quis a fuga retrahere vel occultam demonstrare
poterit
fugitivam regis filiam, Veneris ancillam, nomine
Psychen,
conveniat retro metas Murtias Mercurium praedicatorem,
accepturus indicinae nomine
ab ipsa Venere
septem savia suavia
et unum blandientis adpulsu linguae longe mellitum.'
"Wenn
jemand auf der Flucht festhalten oder im Versteck angeben kann
eine flüchtige
Königstochter, der Venus Sklavin namens Psyche,
der finde
sich rückwärts der Murtischen Zirkussäulen bei Merkur dem
Ausrufer ein,
um in
Empfang zu nehmen in Form eines Anzeigelohns
von
Venus persönlich
sieben
süße Küsse
und
als besondere Delikatesse einen verführerischen Zungenkuß."
Ad hunc modum pronuntiante Mercurio tanti praemii
cupido
certatim omnium mortalium studium adrexerat.
quae res nunc vel maxime sustulit Psyches omnem
cunctationem.
iamque fores ei dominae proximanti
occurrit una de famulitione Veneris nomine Consuetudo
statimque, quantum maxime potuit, exclamat:
Auf
diese Bekanntmachung Merkurs hatte die Lust nach so hoher Belohnung
alle
Welt zum Wetteifer aufgerufen.
Dieser
Umstand machte jetzt erst recht allem Zaudern Psyches ein Ende.
Als sie
sich schon der Tür ihrer Herrin nähert,
begegnet
ihr eine aus dem Gesinde der Venus, mit Namen Vertrautheit,
und
ruft gleich, so laut sie kann:
'tandem, ancilla nequissima, dominam habere te
scire coepisti?
an pro cetera morum tuorum temeritate istud quoque
nescire te fingis,
quantos labores circa tuas inquisitiones sustinuerimus?
sed bene,
quod meas potissimum manus incidisti et inter
Orci cancros iam ipsos haesisti,
datura scilicet actutum tantae contumaciae poenas.'
[9] Et audaciter in capillos eius inmissa manu
trahebat eam nequaquam renitentem.
"Beginnst
du liederliche Magd endlich zu begreifen, daß du eine Herrin hast?
Oder tust
du, unüberlegt wie du dich immer benimmst, als ob du auch das nicht
wüßtest,
welche
Scherereien uns all das Fahnden nach dir gemacht hat? Gut aber,
daß
du gerade in meine Hände gefallen und jetzt in Höllenzangen hängengeblieben
bist, –
natürlich
mußt du für eine solche Unverschämtheit auf der Stelle
büßen."
Und frech
fuhr sie ihr mit der Hand in die Haare
und
zerrte sie, obwohl sie sich überhaupt nicht wehrte.
quam ubi primum inductam oblatamque sibi conspexit
Venus,
laetissimum cachinnum extollit et qualem solent
frequenter irati,
caputque quatiens et ascalpens aurem dexteram
'tandem,' inquit, 'dignata es socrum tuam salutare?
an potius maritum, qui tuo vulnere periclitatur,
intervisere venisti? sed esto secura,
iam enim excipiam te ut bonam nurum condecet';
Sobald
Venus sie vorgeführt und sich gegenübergestellt sah,
erhob
sie ein breites Gelächter, wie jemand in rasendem Zorn zu tun pflegt,
schüttelte
den Kopf und kratzte sich am rechten Ohr, indem sie rief:
"Endlich
hast du dich herabgelassen, deine Schwiegermutter zu begrüßen?
Oder bist
du nur gekommen, um deinen Gatten, den deine Wunde in Gefahr gebracht hat,
einmal
zu sehen? Aber sei ohne Sorge:
ich will
dich jetzt empfangen, wie es einer guten Schwiegertochter gebührt."
et 'ubi sunt,' inquit, 'Sollicitudo atque Tristities,
ancillae meae?'
quibus intro vocatis torquendam tradidit eam.
at illae sequentes erile praeceptum
Psychen misellam flagellis afflictam et ceteris
tormentis excruciatam
iterum dominae conspectui reddunt.
Und
dann: "Wo sind Kümmernis und Traurigkeit, meine Mägde?"
Als diese
hereingerufen waren, übergab sie ihnen Psyche zur Folterung.
Die folgen
dem herrschaftlichen Gebot,
schlagen
die Arme mit Geißeln, peinigen sie mit sonstigen Foltergeräten
und
führen sie wieder der Herrin vor.
tunc rursus sublato risu Venus 'et ecce,' inquit,
'nobis turgidi ventris sui lenocinio commovet
miserationem,
unde me praeclara subole aviam beatam scilicet
faciat.
felix vero ego,
quae in ipso aetatis meae flore vocabor avia,
et vilis ancillae filius nepos Veneris audiet.
Da
erhebt Venus ein neues Lachen und spricht: "Ei sieh da,
mit
ihrem geschwollenen Bauch will sie uns verführen und unser Mitleid
erregen,
mit
dem sie mich zur strahlenden Großmutter eines prächtigen Sprößlings
machen will.
Wahrhaftig
ein Glück für mich,
daß
ich in der Blüte meiner Jahre Großmutter heißen
und
der Sohn einer niedrigen Magd als Enkel der Venus angesprochen werden soll!
quanquam inepta ego frustra filium dicam;
impares enim nuptiae
et praeterea in villa sine testibus
et patre non consentiente factae
legitimae non possunt videri
ac per hoc spurius iste nascetur,
si tamen partum omnino perferre te patiemur.'
Obwohl
es dumm und verkehrt von mir ist, ihn Sohn zu nennen.
Denn
eine nicht standesgemäße Eheschließung,
die
zudem in einem Landhaus ohne Zeugen
und
ohne Zustimmung des Vaters vollzogen wurde,
kann nicht
als gesetzlich angesehen werden.
Und somit
wird der da als Bankert geboren werden,
sofern
ich überhaupt geruhen sollte, es zu deiner Entbindung kommen zu lassen."
[10] His editis involat eam
vestemque plurifariam diloricat capilloque discisso
et capite conquassato graviter affligit,
et accepto frumento et hordeo et milio
et papavere et cicere et lente et faba
commixtisque acervatim confusis in unum grumulum
Nach
dieser Erklärung fährt sie auf sie los,
reißt
ihr das Kleid in lauter Fetzen, zerzaust ihr Haar
und schlägt
heftig zu, daß ihr Hören und Sehen vergeht.
Dann nimmt
sie Weizen und Gerste und Hirse
und
Mohn und Erbsen und Linsen und Bohnen,
mischt
sie in Mengen, schüttet sie zu einem Häufchen zusammen
'videris enim mihi tam deformis ancilla
nullo alio sed tantum sedulo ministerio
amatores tuos promereri:
iam ergo et ipsa frugem tuam periclitabor.
discerne seminum istorum passivam congeriem
singulisque granis rite dispositis atque seiugatis
ante istam vesperam opus expeditum approbato mihi.'
"Du
scheinst mir nämlich, eine häßliche Magd wie du bist,
durch
nichts anderes als Diensteifrigkeit
deine
Liebhaber zu gewinnen.
Jetzt
will ich auch selbst deine Brauchbarkeit auf die Probe stellen.
Scheide
das Durcheinander dieses Samengemengsels,
lege die
einzelnen Körner gehörig für sich auseinander
und liefere
mir gefälligst bis heute abend die ausgeführte Arbeit ab!"
Sic assignato tantorum seminum cumulo
ipsa cenae nuptiali concessit.
nec Psyche manus admolitur inconditae illi et inextricabili
moli,
sed immanitate praecepti consternata silens obstupescit.
Da
sie ihr also den Haufen all der Samen angewiesen,
ging
sie selbst zu einem Hochzeitsessen aus.
Psyche
aber legt keine Hand an die ungeordnete, unentwirrbare Masse,
sondern
wird vor Benommenheit über den ungeheuerlichen Auftrag still und starr.
tunc formicula illa parvula atque ruricola,
certa difficultatis tantae laborisque,
miserta contubernalis magni dei
socrusque saevitiam execrata,
discurrens naviter
convocat corrogatque
cunctam formicarum accolarum classem:
Sieh
da: ein Ameislein, so ein kleines Feldarbeiterlein –
mit solcher
schwierigen Mühe vertraut,
die Braut
bedauernd der großen Gottheit
und verwünschend
der Schwiegermutter Bosheit,
läuft
fleißig umher
und
lockt und lädt
die
ganze Mannschaft der umwohnenden Ameisen zusammen:
'miseremini, terrae omniparentis agiles alumnae,
miseremini et Amoris uxori, puellae lepidae,
periclitanti prompta velocitate succurrite.'
ruunt aliae superque aliae sepedum populorum undae
summoque studio singulae granatim totum digerunt
acervum
separatimque distributis dissitisque generibus
e conspectu perniciter abeunt.
"Erbarmt
euch, ihr rührigen Kinder der allgebärenden Erde,
erbarmt
euch und eilt Amors Gattin, dem reizenden Kind,
in seiner
Not geschwind und hurtig zu Hilfel"
Da stürzen
Wogen über Wogen sechsfüßiger Völker herbei,
lesen
mit allem Eifer einzeln kornweise den ganzen Haufen auseinander,
sondern
und verteilen jede Sorte für sich
und
verschwinden in einem Husch.
[11] Sed initio noctis e convivio nuptiali
vino madens et fraglans balsama Venus remeat
totumque revincta corpus rosis micantibus
visaque diligentia miri laboris
'non tuum,' inquit, 'nequissima, nec tuarum manuum
istud opus,
sed illius, cui tuo, immo et ipsius malo placuisti':
et frusto cibarii panis ei proiecto cubitum facessit.
Zu
Beginn der Nacht kehrt Venus vom Hochzeitsgelage zurück,
voll
des süßen Weines und parfümduftend,
den
ganzen Leib mit schimmernden Rosen umgürtet,
und
als sie die Arbeit erstaunlich genau getan sieht, ruft sie:
"Nicht
dein Werk, nichtsnutziges Ding, nicht deiner Hände Arbeit das da,
sondern
dessen, dem du zu deinem, nein, auch zu seinem Pech gefallen hast."
Und wirft
ihr ein Stück Hausbrot hin und macht sich zu Bett.
interim Cupido solus interioris domus
unici cubiculi custodia clausus cohercebatur acriter,
partim ne petulanti luxurie vulnus gravaret,
partim ne cum sua cupita conveniret.
sic ergo distentis
et sub uno tecto separatis amatoribus
Inzwischen
wurde Cupido, allein innen im Hause
in der
Haft eines einzelnen Schlafgemachs eingeschlossen, scharf bewacht,
teils
damit er nicht durch Leichtsinn und Mutwillen seine Wunde verschlimmere,
teils
damit er mit seiner Angebeteten nicht zusammenkomme.
So
ging also den voneinander abgesonderten
und
unter gemeinsamem Dach getrennten Liebenden
eine
garstige Nacht kaum zu Ende.
Sed Aurora commodum inequitante vocatae
Psychae Venus infit talia: 'videsne illud nemus,
quod fluvio praeterluenti ripisque longis attenditur,
cuius imi gurgites vicinum fontem respiciunt?
oves ibi nitentes aurique colore florentes incustodito
pastu vagantur.
inde de coma pretiosi velleris floccum mihi confestim
quoquo modo quaesitum afferas censeo.'
Aber
als die Morgenröte eben ihre Rosse herauflenkt,
läßt
Venus Psyche rufen und hebt solchermaßen an: "Siehst du dort den
Hain,
der
sich am vorbeispülenden Fluß und seinen langen Ufern ausdehnt,
dessen
letzte Büsche in die nahe Quelle hinabschauen?
Dort schweifen
Schafe in hellglänzendem Goldschimmer auf unbewachter Weide.
Daß
du mir dort vom Haar ihres kostbaren Vlieses eine Locke rasch herbeibringst,
–
wie auch
immer du darankommst – das stelle ich dir als Aufgabe."
[12] Perrexit Psyche volenter
non obsequium quidem illa functura,
sed requiem malorum
praecipitio fluvialis rupis habitura.
sed inde de fluvio musicae suavis nutricula,
leni crepitu dulcis aurae divinitus inspirata,
sic vaticinatur arundo viridis:
Psyche
machte sich willig auf,
aber nicht
um Gehorsam zu leisten,
sondern
um Ruhe vor den Leiden
durch
einen Sprung vom Uferfelsen zu finden.
Doch
vom Fluß her singt die holde Spenderin süßer Weisen,
von
lieblichem Lüfterauschen göttlichen Atems voll,
singt
das grüne Schilfrohr dies Orakel:
'Psyche, tantis aerumnis exercita,
neque tua miserrima morte meas sanctas aquas polluas
nec vero istud horae contra formidabiles oves feras
aditum,
quoad de solis flagrantia mutuatae calorem
truci rabie solent efferri
cornuque acuto et fronte saxea
et non nunquam venenatis morsibus in exitium
saevire mortalium;
"Psyche,
von vielen Drangsalen heimgesuchte,
entweihe
nicht durch deinen armen Tod meine heiligen Wasser
noch wende
aber auch in dieser Stunde deinen Schritt zu den furchtbaren Schafen,
solange
sie vom Brand der Sonne sich Hitze borgen;
dann
toben sie gewöhnlich in grimmiger Wut,
gehen
mit spitzigem Horn und steinerner Stirn
und
zuweilen mit giftigen Bissen den Menschen wie wahnsinnig ans Leben.
sed dum meridies solis sedaverit vaporem
et pecua spiritus fluvialis serenitate conquieverint,
poteris sub illa procerissima platano,
quae mecum simul unum fluentum bibit, latenter
abscondere.
et cum primum mitigata furia laxaverint oves animum,
percussis frondibus attigui nemoris
lanosum aurum repperies, quod passim stirpibus convexis
obhaerescit.'
Sondern
wenn zu Mittag der Sonne Gluthauch gemildert ist
und
die Tiere sich im wohligen Säuseln vom Flusse her zur Ruhe begeben
haben,
dann
kannst du unter jener hochgewachsenen Platane,
die
mit mir die gleiche Flut trinkt, dich heimlich verstecken.
Und sobald
die Schafe sich von ihrer Bösartigkeit beruhigt und entspannt haben,
durchstöbere
das Laub des benachbarten Hains,
und du
wirst allenthalben das willige Gold an den gebogenen Zweigen hangen finden!"