Abends waren einige Gäste
da; der Großvater trank die Gesundheit des jungen Brautpaars, und
versprach bald ein schönes Hochzeitfest auszurichten. Was hilft das
lange Zaudern, sagte der Alte. Frühe Hochzeiten, lange Liebe. Ich
habe immer gesehn, daß Ehen, die früh geschlossen wurden, am
glücklichsten waren. In spätem Jahren ist gar keine solche Andacht
mehr im Ehestande, als in der Jugend. Eine gemeinschaftlich genoßne
Jugend ist ein unzerreißliches Band. Die Erinnerung ist der sicherste
Grund der Liebe. Nach Tische kamen mehrere. Heinrich bat seinen neuen Vater
um die Erfüllung seines Versprechens. Klingsohr sagte zu der Gesellschaft:
Ich habe heute Heinrichen versprochen ein Mährchen zu erzählen.
Wenn ihr es zufrieden seyd, bin ich bereit. Das ist ein kluger Einfall
von Heinrich, sagte Schwaning. Ihr habt lange nichts von euch hören
lassen. Alle setzten sich um das lodernde Feuer im Kamin. Heinrich saß
dicht bey Mathilden, und schlang seinen Arm um sie. Klingsohr begann:
Die lange Nacht war eben
angegangen. Der alte Held schlug an seinen Schild, daß es weit umher
in den öden Gassen der Stadt erklang. Er wiederholte das Zeichen dreymal.
Da fingen die hohen bunten Fenster des Pallastes an von innen heraus helle
zu werden, und ihre Figuren bewegten sich. Sie bewegten sich lebhafter,
je stärker das röthliche Licht ward, das die Gassen zu erleuchten
begann. Auch sah man allmählich die gewaltigen Säulen und Mauern
selbst sich erhellen; Endlich standen sie im reinsten, milchblauen Schimmer,
und spielten mit den sanftesten Farben. Die ganze Gegend ward nun sichtbar,
und der Wiederschein der Figuren, das Getümmel der Spieße, der
Schwerdter, der Schilder, und der Helme, die sich nach hier und da erscheinenden
Kronen, von allen Seiten neigten, und endlich wie diese verschwanden, und
einem schlichten, grünen Kranze Plaz machten, um diesen her einen
weiten Kreis schlossen: alles dies spiegelte sich in dem starren Meere,
das den Berg umgab, auf dem die Stadt lag, und auch der ferne hohe Berggürtel,
der sich rund um das Meer herzog, ward bis in die Mitte mit einem milden
Abglanz überzogen. Man konnte nichts deutlich unterscheiden; doch
hörte man ein wunderliches Getöse herüber, wie aus einer
fernen ungeheuren Werkstatt. Die Stadt erschien dagegen hell und klar.
Ihre glatten, durchsichtigen Mauern warfen die schönen Strahlen zurück,
und das vortreffliche Ebenmaaß, der edle Styl aller Gebäude,
und ihre schöne Zusammenordnung kam zum Vorschein. Vor allen Fenstern
standen zierliche Gefäße von Thon, voll der mannichfaltigsten
Eis– und Schneeblumen, die auf das anmuthigste funkelten.
Am herrlichsten nahm sich
auf dem großen Platze vor dem Pallaste der Garten aus, der aus Metallbäumen
und Krystallpflanzen bestand, und mit bunten Edelsteinblüthen und
Früchten übersäet war. Die Mannichfaltigkeit und Zierlichkeit
der Gestalten, und die Lebhaftigkeit der Lichter und Farben gewährten
das herrlichste Schauspiel, dessen Pracht durch einen hohen Springquell
in der Mitte des Gartens, der zu Eis erstarrt war, vollendet wurde. Der
alte Held ging vor den Thoren des Pallastes langsam vorüber. Eine
Stimme rief seinen Namen im Innern. Er lehnte sich an das Thor, das mit
einem sanften Klange sich öffnete, und trat in den Saal. Seinen Schild
hielt er vor die Augen. Hast du noch nichts entdeckt? sagte die schöne
Tochter Arcturs, mit klagender Stimme. Sie lag an seidnen Polstern auf
einem Throne, der von einem großen Schwefelkrystall künstlich
erbaut war, und einige Mädchen rieben ämsig ihre zarten Glieder,
die wie aus Milch und Purpur zusammengeflossen schienen. Nach allen Seiten
strömte unter den Händen der Mädchen das reizende Licht
von ihr aus, was den Pallast so wundersam erleuchtete. Ein duftender Wind
wehte im Saale. Der Held schwieg. Laß mich deinen Schild berühren,
sagte sie sanft. Er näherte sich dem Throne und betrat den köstlichen
Teppich. Sie ergriff seine Hand, drückte sie mit Zärtlichkeit
an ihren himmlischen Busen und rührte seinen Schild an. Seine Rüstung
klang, und eine durchdringende Kraft beseelte seinen Körper. Seine
Augen blitzten und das Herz pochte hörbar an den Panzer. Die schöne
Freya schien heiterer, und das Licht ward brennender, das von ihr ausströmte.
Der König kommt, rief ein prächtiger Vogel, der im Hintergrunde
des Thrones saß. Die Dienerinnen legten eine himmelblaue Decke über
die Prinzessin, die sie bis über den Busen bedeckte. Der Held senkte
seinen Schild und sah nach der Kuppel hinauf, zu welcher zwey breite Treppen
von beyden Seiten des Saals sich hinauf schlangen. Eine leise Musik ging
dem Könige voran, der bald mit einem zahlreichen Gefolge in der Kuppel
erschien und herunter kam.
Der schöne Vogel entfaltete
seine glänzenden Schwingen, bewegte sie sanft und sang, wie mit tausend
Stimmen, dem Könige entgegen:
Nicht lange wird der schöne
Fremde säumen.
Die Wärme naht, die
Ewigkeit beginnt.
Die Königin erwacht
aus langen Träumen,
Wenn Meer und Land in Liebesglut
zerrinnt.
Die kalte Nacht wird diese
Stätte räumen,
Wenn Fabel erst das alte
Recht gewinnt.
In Freyas Schooß wird
sich die Welt entzünden
Und jede Sehnsucht ihre
Sehnsucht finden.
Der König umarmte seine
Tochter mit Zärtlichkeit. Die Geister der Gestirne stellten sich um
den Thron, und der Held nahm in der Reihe seinen Platz ein. Eine unzählige
Menge Sterne füllten den Saal in zierlichen Gruppen. Die Dienerinnen
brachten einen Tisch und ein Kästchen, worin eine Menge Blätter
lagen, auf denen heilige tiefsinnige Zeichen standen, die aus lauter Sternbildern
zusammengesetzt waren. Der König küßte ehrfurchtsvoll diese
Blätter, mischte sie sorgfältig untereinander, und reichte seiner
Tochter einige zu. Die andern behielt er für sich. Die Prinzessin
zog sie nach der Reihe heraus und legte sie auf den Tisch, dann betrachtete
der König die seinigen genau, und wählte mit vielem Nachdenken,
ehe er eins dazu hinlegte. Zuweilen schien er gezwungen zu seyn, dies oder
jenes Blatt zu wählen. Oft aber sah man ihm die Freude an, wenn er
durch ein gutgetroffenes Blatt eine schöne Harmonie der Zeichen und
Figuren legen konnte. Wie das Spiel anfing, sah man an allen Umstehenden
Zeichen der lebhaftesten Theilnahme, und die sonderbarsten Mienen und Gebehrden,
gleichsam als hätte jeder ein unsichtbares Werkzeug in Händen,
womit er eifrig arbeite. Zugleich ließ sich eine sanfte, aber tief
bewegende Musik in der Luft hören, die von den im Saale sich wunderlich
durcheinander schlingenden Sternen, und den übrigen sonderbaren Bewegungen
zu entstehen schien. Die Sterne schwangen sich, bald langsam bald schnell,
in beständig veränderten Linien umher, und bildeten, nach dem
Gange der Musik, die Figuren der Blätter auf das kunstreichste nach.
Die Musik wechselte, wie die Bilder auf dem Tische, unaufhörlich,
und so wunderlich und hart auch die Übergänge nicht selten waren,
so schien doch nur Ein einfaches Thema das Ganze zu verbinden. Mit einer
unglaublichen Leichtigkeit flogen die Sterne den Bildern nach. Sie waren
bald alle in Einer großen Verschlingung, bald wieder in einzelne
Haufen schön geordnet, bald zerstäubte der lange Zug, wie ein
Strahl, in unzählige Funken, bald kam durch immer wachsende kleinere
Kreise und Muster wieder Eine große, überraschende Figur zum
Vorschein.
Die bunten Gestalten in
den Fenstern blieben während dieser Zeit ruhig stehen. Der Vogel bewegte
unaufhörlich die Hülle seiner kostbaren Federn auf die mannichfaltigste
Weise. Der alte Held hatte bisher auch sein unsichtbares Geschäft
ämsig betrieben, als auf einmal der König voll Freuden ausrief:
Es wird alles gut. Eisen, wirf du dein Schwerdt in die Welt, daß
sie erfahren, wo der Friede ruht. Der Held riß das Schwerdt von der
Hüfte, stellte es mit der Spitze gen Himmel, dann ergriff er es und
warf es aus dem geöffneten Fenster über die Stadt und das Eismeer.
Wie ein Komet flog es durch die Luft, und schien an dem Berggürtel
mit hellem Klange zu zersplittern, denn es fiel in lauter Funken herunter.
Zu der Zeit lag der schöne
Knabe Eros in seiner Wiege und schlummerte sanft, während Ginnistan
seine Amme die Wiege schaukelte und seiner Milchschwester Fabel die Brust
reichte. Ihr buntes Halstuch hatte sie über die Wiege ausgebreitet,
daß die hellbrennende Lampe, die der Schreiber vor sich stehen hatte,
das Kind mit ihrem Scheine nicht beunruhigen möchte. Der Schreiber
schrieb unverdrossen, sah sich nur zuweilen mürrisch nach den Kindern
um, und schnitt der Amme finstere Gesichter, die ihn gutmüthig anlächelte
und schwieg.
Der Vater der Kinder ging
immer ein und aus, indem er jedesmal die Kinder betrachtete und Ginnistan
freundlich begrüßte. Er hatte unaufhörlich dem Schreiber
etwas zu sagen. Dieser vernahm ihn genau, und wenn er es aufgezeichnet
hatte, reichte er die Blätter einer edlen, göttergleichen Frau
hin, die sich an einen Altar lehnte, auf welchem eine dunkle Schaale mit
klarem Wasser stand, in welches sie mit heiterm Lächeln blickte. Sie
tauchte die Blätter jedesmal hinein, und wenn sie bey'm Herausziehn
gewahr wurde, daß einige Schrift stehen geblieben und glänzend
geworden war, so gab sie das Blatt dem Schreiber zurück, der es in
ein großes Buch heftete, und oft verdrießlich zu seyn schien,
wenn seine Mühe vergeblich gewesen und alles ausgelöscht war.
Die Frau wandte sich zu Zeiten gegen Ginnistan und die Kinder, tauchte
den Finger in die Schaale, und sprützte einige Tropfen auf sie hin,
die, sobald sie die Amme, das Kind, oder die Wiege berührten, in einen
blauen Dunst zerrannen, der tausend seltsame Bilder zeigte, und beständig
um sie herzog und sich veränderte. Traf einer davon zufällig
auf den Schreiber, so fielen eine Menge Zahlen und geometrische Figuren
nieder, die er mit vieler Amsigkeit auf einen Faden zog, und sich zum Zierrath
um den mageren Hals hing. Die Mutter des Knaben, die wie die Anmuth und
Lieblichkeit selbst aussah, kam oft herein. Sie schien beständig beschäftigt,
und trug immer irgend ein Stück Hausgeräthe mit sich hinaus:
bemerkte es der argwöhnische und mit spähenden Blicken sie verfolgende
Schreiber, so begann er eine lange Strafrede, auf die aber kein Mensch
achtete. Alle schienen seiner unnützen Widerreden gewohnt. Die Mutter
gab auf einige Augenblicke der kleinen Fabel die Brust; aber bald ward
sie wieder abgerufen, und dann nahm Ginnistan das Kind zurück, das
an ihr lieber zu trinken schien. Auf einmal brachte der Vater ein zartes
eisernes Stäbchen herein, das er im Hofe gefunden hatte. Der Schreiber
besah es und drehte es mit vieler Lebhaftigkeit herum, und brachte bald
heraus, daß es sich von selbst, in der Mitte an einem Faden aufgehängt,
nach Norden drehe. Ginnistan nahm es auch in die Hand, bog es, drückte
es, hauchte es an, und hatte ihm bald die Gestalt einer Schlange gegeben,
die sich nun plötzlich in den Schwanz biß. Der Schreiber war
bald des Betrachtens überdrüßig. Er schrieb alles genau
auf, und war sehr weitläuftig über den Nutzen, den dieser Fund
gewähren könne. Wie ärgerlich war er aber, als sein ganzes
Schreibwerk die Probe nicht bestand, und das Papier weiß aus der
Schaale hervorkam. Die Amme spielte fort. Zuweilen berührte sie die
Wiege damit, da fing der Knabe an wach zu werden, schlug die Decke zurück,
hielt die eine Hand gegen das Licht, und langte mit der Andern nach der
Schlange. Wie er sie erhielt, sprang er rüstig, daß Ginnistan
erschrak, und der Schreiber beynah vor Entsetzen vom Stuhle fiel, aus der
Wiege, stand, nur von seinen langen goldenen Haaren bedeckt, im Zimmer,
und betrachtete mit unaussprechlicher Freude das Kleinod, das sich in seinen
Händen nach Norden ausstreckte, und ihn heftig im Innern zu bewegen
schien. Zusehends wuchs er.
Sophie, sagte er mit rührender
Stimme zu der Frau, laß mich aus der Schaale trinken. Sie reichte
sie ihm ohne Anstand, und er konnte nicht aufhören zu trinken, indem
die Schaale sich immer voll zu erhalten schien. Endlich gab er sie zurück,
indem er die edle Frau innig umarmte. Er herzte Ginnistan, und bat sie
um das bunte Tuch, das er sich anständig um die Hüften band.
Die kleine Fabel nahm er auf den Arm. Sie schien endloses Wohlgefallen
an ihm zu haben, und fing zu plaudern an. Ginnistan machte sich viel um
ihn zu schaffen. Sie sah äußerst reizend und leichtfertig aus,
und drückte ihn mit der Innigkeit einer Braut an sich. Sie zog ihn
mit heimlichen Worten nach der Kammerthür, aber Sophie winkte ernsthaft
und deutete nach der Schlange; da kam die Mutter herein, auf die er zugleich
zuflog und sie mit heißen Thränen bewillkommte. Der Schreiber
war ingrimmig fortgegangen. Der Vater trat herein, und wie er Mutter und
Sohn in stiller Umarmung sah, trat er hinter ihren Rücken zur reitzenden
Ginnistan, und liebkoste ihr. Sophie stieg die Treppe hinauf. Die kleine
Fabel nahm die Feder des Schreibers und fing zu schreiben an. Mutter und
Sohn vertieften sich in ein leises Gespräch, und der Vater schlich
sich mit Ginnistan in die Kammer, um sich von den Geschäften des Tages
in ihren Armen zu erholen. Nach geraumer Zeit kam Sophie zurück. Der
Schreiber trat herein. Der Vater kam aus der Kammer und ging an seine Geschäfte.
Ginnistan kam mit glühenden Wangen zurück. Der Schreiber jagte
die kleine Fabel mit vielen Schmähungen von seinem Sitze, und hatte
einige Zeit nöthig seine Sachen in Ordnung zu bringen. Er reichte
Sophien die von Fabel vollgeschriebenen Blätter, um sie rein zurück
zu erhalten, gerieth aber bald in den äußersten Unwillen, wie
Sophie die Schrift völlig glänzend und unversehrt aus der Schaale
zog und sie ihm hinlegte. Fabel schmiegte sich an ihre Mutter, die sie
an die Brust nahm, und das Zimmer aufputzte, die Fenster öffnete,
frische Luft hereinließ und Zubereitungen zu einem köstlichen
Mahle machte. Man sah durch die Fenster die herrlichsten Aussichten und
einen heitern Himmel über die Erde gespannt. Auf dem Hofe war der
Vater in voller Thätigkeit. Wenn er müde war, sah er hinauf ans
Fenster, wo Ginnistan stand, und ihm allerhand Näschereien herunterwarf.
Die Mutter und der Sohn gingen hinaus, um überall zu helfen und den
gefaßten Entschluß vorzubereiten. Der Schreiber rührte
die Feder, und machte immer eine Fratze, wenn er genöthigt war, Ginnistan
etwas zu fragen, die ein sehr gutes Gedächtniß hatte, und alles
behielt, was sich zutrug. Eros kam bald in schöner Rüstung, um
die das bunte Tuch wie eine Schärpe gebunden war, zuruck, und bat
Sophie um Rath, wann und wie er seine Reise antreten solle. Der Schreiber
war vorlaut, und wollte gleich mit einem ausführlichen Reiseplan dienen,
aber seine Vorschläge wurden überhört. Du kannst sogleich
reisen; Ginnistan mag dich begleiten, sagte Sophie; sie weiß mit
den Wegen Bescheid, und ist überall gut bekannt. Sie wird die Gestalt
deiner Mutter annehmen, um dich nicht in Versuchung zu führen. Findest
du den König, so denke an mich; dann komme ich um dir zu helfen.
Ginnistan tauschte ihre
Gestalt mit der Mutter, worüber der Vater sehr vergnügt zu seyn
schien; der Schreiber freute sich, daß die beiden fortgingen; besonders
da ihm Ginnistan ihr Taschenbuch zum Abschiede schenkte, worin die Chronik
des Hauses umständlich aufgezeichnet war; nur blieb ihm die kleine
Fabel ein Dorn im Auge, und er hätte, um seiner Ruhe und Zufriedenheit
willen, nichts mehr gewünscht, als daß auch sie unter der Zahl
der Abreisenden seyn möchte. Sophie segnete die Niederknieenden ein,
und gab ihnen ein Gefäß voll Wasser aus der Schaale mit; die
Mutter war sehr bekümmert. Die kleine Fabel wäre gern mitgegangen,
und der Vater war zu sehr außer dem Hause beschäftigt, als daß
er lebhaften Antheil hätte nehmen sollen. Es war Nacht, wie sie abreisten,
und der Mond stand hoch am Himmel. Lieber Eros, sagte Ginnistan, wir müssen
eilen, daß wir zu meinem Vater kommen, der mich lange nicht gesehn
und sehnsuchtsvoll mich überall auf der Erde gesucht hat. Siehst du
wohl sein bleiches abgehärmtes Gesicht? Dein Zeugniß wird mich
ihm in der fremden Gestalt kenntlich machen.
Die Liebe ging auf dunkler
Bahn
Vom Monde nur erblickt,
Das Schattenreich war aufgethan
Und seltsam aufgeschmückt.
Ein blauer Dunst umschwebte
sie
Mit einem goldnen Rand,
Und eilig zog die Fantasie
Sie über Strom und
Land.
Es hob sich ihre volle Brust
In wunderbarem Muth;
Ein Vorgefühl der künft'gen
Lust
Besprach die wilde Glut.
Die Sehnsucht klagt' und
wußt' es nicht,
Daß Liebe näher
kam,
Und tiefer grub in ihr Gesicht
Sich hoffnungsloser Gram.
Die kleine Schlange blieb
getreu:
Sie wies nach Norden hin,
Und beyde folgten sorgenfrey
Der schönen Führerin.
Die Liebe ging durch Wüsteneyn
Und durch der Wolken Land,
Trat in den Hof des Mondes
ein
Die Tochter an der Hand.
Er saß auf seinem
Silberthron,
Allein mit seinem Harm;
Da hört' er seines
Kindes Ton,
Und sank in ihren Arm.
Eros stand gerührt
bey den zärtlichen Umarmungen. Endlich sammelte sich der alte erschütterte
Mann, und bewillkommte seinen Gast. Er ergriff sein großes Horn und
stieß mit voller Macht hinein. Ein gewaltiger Ruf dröhnte durch
die uralte Burg. Die spitzen Thürme mit ihren glänzenden Knöpfen
und die tiefen schwarzen Dächer schwankten. Die Burg stand still,
denn sie war auf das Gebirge jenseits des Meers gekommen. Von allen Seiten
strömten seine Diener herzu, deren seltsame Gestalten und Trachten
Ginnistan unendlich ergötzten, und den tapferen Eros nicht erschreckten.
Erster grüßte ihre alten Bekannten und alle erschienen vor ihr
mit neuer Stärke und in der ganzen Herrlichkeit ihrer Naturen. Der
ungestüme Geist der Flut folgte der sanften Ebbe. Die alten Orkane
legten sich an die klopfende Brust der heißen leidenschaftlichen
Erdbeben. Die zärtlichen Regenschauer sahen sich nach dem bunten Bogen
um, der von der Sonne, die ihn mehr anzieht, entfernt, bleich da stand.
Der rauhe Donner schalt über die Thorheiten der Blitze, hinter den
unzähligen Wolken hervor, die mit tausend Reizen dastanden und die
feurigen Jünglinge lockten. Die beyden lieblichen Schwestern, Morgen
und Abend, freuten sich vorzüglich über die beyden Ankömmlinge.
Sie weinten sanfte Thränen in ihren Umarmungen. Unbeschreiblich war
der Anblick dieses wunderlichen Hofstaats. Der alte König konnte sich
an seiner Tochter nicht satt sehen. Sie fühlte sich zehnfach glücklich
in ihrer väterlichen Burg, und ward nicht müde die bekannten
Wunder und Seltenheiten zu beschauen. Ihre Freude war ganz unbeschreiblich,
als ihr der König den Schlüssel zur Schatzkammer und die Erlaubniß
gab, ein Schauspiel für Eros darin zu veranstalten, das ihn so lange
unterhalten könnte, bis das Zeichen des Aufbruchs gegeben würde.
Die Schatzkammer war ein großer Garten, dessen Mannichfaltigkeit
und Reichthum alle Beschreibung übertraf. Zwischen den ungeheuren
Wetterbäumen lagen unzählige Luftschlösser von überraschender
Bauart, eins immer köstlicher, als das Andere. Große Heerden
von Schäfchen, mit silberweißer, goldner und rosenfarbner Wolle
irrten umher, und die sonderbarsten Thiere belebten den Hayn. Merkwürdige
Bilder standen hie und da, und die festlichen Aufzüge, die seltsamen
Wagen, die überall zum Vorschein kamen, beschäftigten die Aufmerksamkeit
unaufhörlich. Die Beete standen voll der buntesten Blumen. Die Gebäude
waren gehäuft voll von Waffen aller Art, voll der schönsten Teppiche,
Tapeten, Vorhänge, Trinkgeschirre und aller Arten von Geräthen
und Werkzeugen, in unübersehlichen Reihen. Auf einer Anhöhe erblickten
sie ein romantisches Land, das mit Städten und Burgen, mit Tempeln
und Begräbnissen übersäet war, und alle Anmuth bewohnter
Ebenen mit den furchtbaren Reizen der Einöde und schroffer Felsengegenden
vereinigte. Die schönsten Farben waren in den glücklichsten Mischungen.
Die Bergspitzen glänzten wie Lustfeuer in ihren Eis– und Schneehüllen.
Die Ebene lachte im frischesten Grün. Die Ferne schmückte sich
mit allen Veränderungen von Blau, und aus der Dunkelheit des Meeres
wehten unzählige bunte Wimpel von zahlreichen Flotten. Hier sah man
einen Schiffbruch im Hintergrunde, und vorne ein ländliches fröliches
Mahl von Landleuten; dort den schrecklich schönen Ausbruch eines Vulkans,
die Verwüstungen des Erdbebens, und im Vordergrunde ein liebendes
Paar unter schattenden Bäumen in den süßesten Liebkosungen.
Abwärts eine fürchterliche Schlacht, und unter ihr ein Theater
voll der lächerlichsten Masken. Nach einer anderen Seite im Vordergrunde
einen jugendlichen Leichnam auf der Baare, die ein trostloser Geliebter
festhielt, und die weinenden Eltern daneben; im Hintergrunde eine liebliche
Mutter mit dem Kinde an der Brust und Engel sitzend zu ihren Füßen,
und aus den Zweigen über ihrem Haupte herunterblickend. Die Szenen
verwandelten sich unaufhörlich, und flossen endlich in eine große
geheimnißvolle Vorstellung zusammen. Himmel und Erde waren in vollem
Aufruhr. Alle Schrecken waren losgebrochen. Eine gewaltige Stimme rief
zu den Waffen. Ein entsetzliches Heer von Todtengerippen, mit schwarzen
Fahnen, kam wie ein Sturm von dunkeln Bergen herunter, und griff das Leben
an, das mit seinen jugendlichen Schaaren in der hellen Ebene in muntern
Festen begriffen war, und sich keines Angriffs versah. Es entstand ein
entsetzliches Getümmel, die Erde zitterte; der Sturm brauste, und
die Nacht ward von fürchterlichen Meteoren erleuchtet. Mit unerhörten
Grausamkeiten zerriß das Heer der Gespenster die zarten Glieder der
Lebendigen. Ein Scheiterhaufen thürmte sich empor, und unter dem grausenvollsten
Geheul wurden die Kinder des Lebens von den Flammen verzehrt. Plötzlich
brach aus dem dunklen Aschenhaufen ein milchblauer Strom nach allen Seiten
aus. Die Gespenster wollten die Flucht ergreifen, aber die Flut wuchs zusehends,
und verschlang die scheusliche Brut. Bald waren alle Schrecken vertilgt.
Himmel und Erde flossen in süße Musik zusammen. Eine wunderschöne
Blume schwamm glänzend auf den sanften Wogen. Ein glänzender
Bogen schloß sich über die Flut auf welchem göttliche Gestalten
auf prächtigen Thronen, nach beyden Seiten herunter, saßen.
Sophie saß zu oberst, die Schaale in der Hand, neben einem herrlichen
Manne, mit einem Eichenkranze um die Lokken, und einer Friedenspalme statt
des Szepters in der Rechten. Ein Lilienblatt bog sich über den Kelch
der schwimmenden Blume; die kleine Fabel saß auf demselben, und sang
zur Harfe die süßesten I,ieder. In dem Kelche lag Eros selbst,
über ein schönes schlummerndes Mädchen hergebeugt, die ihn
fest umschlungen hielt. Eine kleinere Blüthe schloß sich um
beyde her, so daß sie von den Hüften an in Eine Blume verwandelt
zu seyn schienen.
Eros dankte Ginnistan mit
tausend Entzücken. Er umarmte sie zärtlich, und sie erwiederte
seine Liebkosungen. Ermüdet von der Beschwerde des Weges und den mannichfaltigen
Gegenständen, die er gesehen hatte, sehnte er sich nach Bequemlichkeit
und Ruhe. Ginnistan, die sich von dem schönen Jüngling lebhaft
angezogen fühlte, hütete sich wohl des Trankes zu erwähnen,
den Sophie ihm mitgegeben hatte. Sie führte ihn zu einem abgelegenen
Bade, zog ihm die Rüstung aus, und zog selbst ein Nachtkleid an, in
welchem sie fremd und verführerisch aussah. Eros tauchte sich in die
gefährlichen Wellen, und stieg berauscht wieder heraus. Ginnistan
trocknete ihn, und rieb seine starken, von Jugendkraft gespannten Glieder.
Er gedachte mit glühender Sehnsucht seiner Geliebten, und umfaßte
in süßem Wahne die reitzende Ginnistan. Unbesorgt überließ
er sich seiner ungestümen Zärtlichkeit, und schlummerte endlich
nach den wollüstigsten Genüssen an dem reizenden Busen seiner
Begleiterin ein.
Unterdessen war zu Hause
eine traurige Veränderung vorgegangen. Der Schreiber hatte das Gesinde
in eine gefährliche Verschwörung verwickelt. Sein feindseliges
Gemüth hatte längst Gelegenheit gesucht, sich des Hausregiments
zu bemächtigen, und sein Joch abzuschütteln. Er hatte sie gefunden.
Zuerst bemächtigte sich sein Anhang der Mutter, die in eiserne Bande
gelegt wurde. Der Vater ward bey Wasser und Brot ebenfalls hingesetzt.
Die kleine Fabel hörte den Lärm im Zimmer. Sie verkroch sich
hinter dem Altare, und wie sie bemerkte, daß eine Thür an seiner
Rückseite verborgen war, so öffnete sie dieselbe mit vieler Behendigkeit,
und fand, daß eine Treppe in ihm hinunterging. Sie zog die Thür
nach sich, und stieg im Dunkeln die Treppe hinunter. Der Schreiber stürzte
sich mit Ungestüm herein, um sich an der kleinen Fabel zu rächen,
und Sophien gefangen zu nehmen. Beyde waren nicht zu finden. Die Schaale
fehlte auch, und in seinem Grimme zerschlug er den Altar in tausend Stücke,
ohne jedoch die heimliche Treppe zu entdecken.
Die kleine Fabel stieg geraume
Zeit. Endlich kam sie auf einen freyen Platz hinaus, der rund herum mit
einer prächtigen Colonnade geziert, und durch ein großes Thor
geschlossen war. Alle Figuren waren hier dunkel. Die Luft war wie ein ungeheurer
Schatten; am Himmel stand ein schwarzer strahlender Körper. Man konnte
alles auf das deutlichste unterscheiden, weil jede Figur einen anderen
Anstrich von Schwarz zeigte, und einen lichten Schein hinter sich, warf;
Licht und Schatten schienen hier ihre Rollen vertauscht zu haben. Fabel
freute sich in einer neuen Welt zu seyn. Sie besah alles mit kindlicher
Neugierde. Endlich kam sie an das Thor, vor welchem auf einem massiven
Postument eine schöne Sphinx lag.
Was suchst du? sagte die
Sphinx. mein Eigenthum, erwiederte Fabel. – Wo kommst du her? – Aus alten
Zeiten. – Du bist noch ein Kind – Und werde ewig ein Kind seyn. – Wer wird
dir beystehn? – Ich stehe für mich. Wo sind die Schwestern, fragte
Fabel? – Überall und nirgends, gab die Sphinx zur Antwort. – Kennst
du mich? – noch nicht. – Wo ist die Liebe? – In der Einbildung. – Und Sophie?
– Die Sphinx murmelte unvernehmlich vor sich hin, und rauschte mit den
Flügeln. Sophie und Liebe, rief triumphirend Fabel, und ging durch
das Thor. Sie trat in die ungeheure Höhle, und ging frölich auf
die alten Schwestern zu, die bey der kärglichen Nacht einer schwarzbrennenden
Lampe ihr wunderliches Geschäft trieben. Sie thaten nicht, als ob
sie den kleinen Gast bemerkten, der mit artigen Liebkosungen sich geschäftig
um sie erzeigte. Endlich krächzte die eine mit rauhen Worten und scheelem
Gesicht: Was willst du hier, Müßiggängerin? wer hat dich
eingelassen? Dein kindisches Hüpfen bewegt die stille Flamme. Das
Öl verbrennt unnützer Weise. Kannst du dich nicht hinsetzen und
etwas vorhehmen? – Schöne Base, sagte Fabel, am Müßiggehn
ist mir nichts gelegen. Ich mußte recht über eure Thürhüterin
lachen. Sie hätte mich gern an die Brust genommen, aber sie mußte
zu viel gegessen haben, sie konnte nicht aufstehn. Laßt mich vor
der Thür sitzen, und gebt mir etwas zu spinnen; denn hier kann ich
nicht gut sehen, und wenn ich spinne, muß ich singen und plaudern
dürfen, und das könnte euch in euren ernsthaften Gedanken stören.
– Hinaus sollst du nicht, aber in der Nebenkammer bricht ein Strahl der
Oberwelt durch die Felsritzen, da magst du spinnen, wenn du so geschickt
bist; hier liegen ungeheure Haufen von alten Enden, die drehe zusammen;
aber hüte dich: wenn du saumselig spinnst, oder der Faden reißt,
so schlingen sich die Fäden um dich her und ersticken dich. – Die
Alte lachte hämisch, und spann. Fabel raffte einen Arm voll Fäden
zusammen, nahm Wocken und Spindel, und hüpfte singend in die Kammer.
Sie sah durch die Öffnung hinaus, und erblickte das Sternbild des
Phönixes. Froh über das glückliche Zeichen fing sie an lustig
zu spinnen, ließ die Kammerthür ein wenig offen, und sang halbleise:
Erwacht in euren Zellen,
Ihr Kinder alter Zeit;
Laßt eure Ruhestellen,
Der Morgen ist nicht weit.
Ich spinne eure Fäden
In Einen Faden ein;
Aus ist die Zeit der Fehden.
Ein Leben sollt'
ihr seyn.
Ein jeder lebt in Allen,
Und All' in Jedem auch.
Ein Herz wird in
euch wallen,
Von Einem Lebenshauch.
Noch seyd ihr nichts als
Seele,
Nur Traum und Zauberey.
Geht furchtbar in die Höhle
Und neckt die heil'ge Drey.
Die Spindel schwang sich
mit unglaublicher Behendigkeit zwischen den kleinen Füßen; während
sie mit beyden Händen den zarten Faden drehte. Unter dem Liede wurden
unzählige Lichterchen sichtbar, die aus der Thürspalte schlüpften
und durch die Höhle in scheuslichen Larven sich verbreiteten. Die
Alten hatten während der Zeit immer mürrisch fortgesponnen, und
auf das Jammergeschrey der kleinen Fabel gewartet, aber wie entsetzten
sie sich, als auf einmal eine erschreckliche Nase über ihre Schultern
guckte, und wie sie sich umsahen, die ganze Höhle voll der gräßlichsten
Figuren war, die tausenderley Unfug trieben. Sie fuhren in einander, heulten
mit fürchterlicher Stimme, und wären vor Schrecken zu Stein geworden,
wenn nicht in diesem Augenblicke der Schreiber in die Höhle getreten
wäre, und eine Alraunwurzel bey sich gehabt hätte. Die Lichterchen
verkrochen sieh in die Felsklüfte und die Höhle wurde ganz hell,
weil die schwarze I.ampe in der Verwirrung umgefallen und ausgelöscht
war. Die Alten waren froh, wie sie den Schreiber kommen hörten, aber
voll Ingrimms gegen die kleine Fabel. Sie riefen sie heraus, schnarchten
sie fürchterlich an und verboten ihr fortzuspinnen. Der Schreiber
schmunzelte höhnisch, weil er die kleine Fabel nun in seiner Gewalt
zu haben glaubte und sagte: Es ist gut, daß du hier bist und zur
Arbeit angehalten werden kannst. Ich hoffe daß es all Züchtigungen
nicht fehlen soll. Dein guter Geist hat dich hergeführt. Ich wünsche
dir langes Leben und viel Vergnügen. Ich danke dir für deinen
guten Willen, sagte Fabel; man sieht dir jetzt die gute Zeit an; dir fehlt
nur noch das Stundenglas und die Hippe, so siehst du ganz wie der Bruder
meiner schönen Basen aus. Wenn du Gänsespulen brauchst, so zupfe
ihnen nur eine Handvoll zarten Pflaum aus den Wangen. Der Schreiber schien
Miene zu machen, über sie herzufallen. Sie lächelte und sagte:
Wenn dir dein schöner Haarwuchs und dein geistreiches Auge lieb sind,
so nimm dich in Acht; bedenke meine Nägel, du hast nicht viel mehr
zu verlieren. Er wandte sich mit verbißner Wuth zu den Alten, die
sich die Augen wischten, und nach ihren Wocken umhertappten. Sie konnten
nichts finden, da die Lampe ausgelöscht war, und ergossen sich in
Schimpfreden gegen Fabel. Laßt sie doch gehn, sprach er tückisch,
daß sie euch Taranteln fange, zur Bereitung eures Öls. Ich wollte
euch zu eurem Troste sagen, daß Eros ohne Rast umherfliegt, und eure
Scheere fleißig beschäftigen wird. Seine Mutter, die euch so
oft zwang, die Fäden länger zu spinnen, wird morgen ein Raub
der Flammen. Er kitzelte sich, um zu lachen, wie er sah, daß Fabel
einige Thränen bey dieser Nachricht vergoß, gab ein Stück
von der Wurzel der Alten, und ging naserümpfend von dannen. Die Schwestern
hießen der Fabel mit zorniger Stimme Taranteln suchen, ohngeachtet
sie noch Öl vorräthig hatten, und Fabel eilte fort. Sie that,
als öffne sie das Thor, warf es ungestüm wieder zu, und schlich
sich leise nach dem Hintergrunde der Höhle, wo eine Leiter herunter
hing. Sie kletterte schnell hinauf, und kam bald vor eine Fallthür,
die sich in Arcturs Gemach öffnete.
Der König saß
umringt von seinen Räthen, als Fabel erschien. Die nördliche
Krone zierte sein Haupt. Die Lilie hielt er mit der Linken, die Wage in
der Rechten. Der Adler und Löwe saßen zu seinen Füßen.
Monarch, sagte die Fabel, indem sie sich ehrfurchtsvoll vor ihm neigte;
Heil deinem festgegründeten Throne! frohe Bothschaft deinem verwundeten
Herzen! baldige Rückkehr der Weisheit! Ewiges Erwachen dem Frieden!
Ruhe der rastlosen Liebe! Verklärung des Herzens! Leben dem Alterthum
und Gestalt der Zukunft! Der König berührte ihre offene Stirn
mit der Lilie: Was du bittest, sey dir gewährt. – Dreymal werde ich
bitten, wenn ich zum viertenmale komme, so ist die Liebe vor der Thür.
Jetzt gieb mir die Leyer. – Eridanus! bringe sie her, rief der König.
Rauschend strömte Eridanus von der Decke, und Fabel zog die Leyer
aus seinen blinkenden Fluten.
Fabel that einige weißagende
Griffe; der König ließ ihr den Becher reichen, aus dem sie nippte
und mit vielen Danksagungen hinweg eilte. Sie glitt in reizenden Bogenschwüngen
über das Eismeer, indem sie fröliche Musik aus den Saiten lockte.
Das Eis gab unter ihren
Tritten die herrlichsten Töne von sich. Der Felsen der Trauer hielt
sie für Stimmen seiner suchenden rückkehrenden Kinder, und antwortete
in einem tausendfachen Echo.
Fabel hatte bald das Gestade
erreicht. Sie begegnete ihrer Mutter, die abgezehrt und bleich aussah,
schlank und ernst geworden war, und in edlen Zügen die Spuren eines
hoffnungslosen Grams, und rührender Treue verrieth.
Was ist aus dir geworden,
liebe Mutter? sagte Fabel, du scheinst mir gänzlich verändert;
ohne inneres Anzeichen hätt' ich dich nicht erkannt. Ich hoffte mich
an deiner Brust einmal wieder zu erquicken; ich habe lange nach dir geschmachtet.
Ginnistan liebkoste sie zärtlich, und sah heiter und freundlich aus.
Ich dachte es gleich, sagte sie, daß dich der Schreiber nicht würde
gefangen haben. Dein Anblick erfrischt mich. Es geht mir schlimm und knapp
genug, aber ich tröste mich bald. Vielleicht habe ich einen Augenblick
Ruhe. Eros ist in der Nähe, und wenn er dich sieht, und du ihm vorplauderst,
verweilt er vielleicht einige Zeit. Indeß kannst du dich an meine
Brust legen; ich will dir geben, was ich habe. Sie nahm die Kleine auf
den Schooß, reichte ihr die Brust, und fuhr fort, indem sie lächelnd
auf die Kleine hinuntersah, die es sich gut schmecken ließ. Ich bin
selbst Ursach, daß Eros so wild und unbeständig geworden ist.
Aber mich reut es dennoch nicht, denn jene Stunden, die ich in seinen Armen
zubrachte, haben mich zur Unsterblichen gemacht. Ich glaubte unter seinen
feurigen Liebkosungen zu zerschmelzen. Wie ein himmlischer Räuber
schien er mich grausam vernichten und stolz über sein bebendes Opfer
triumphiren zu wollen. Wir erwachten spät aus dem verbotenen Rausche,
in einem sonderbar vertauschten Zustande. Lange silberweiße Flügel
bedeckten seine weißen Schultern, und die reitzende Fülle und
Biegung seiner Gestalt. Die Kraft, die ihn so plötzlich aus einem
Knaben zum Jünglinge quellend getrieben, schien sich ganz in die glänzenden
Schwingen gezogen zu haben, und er war wieder zum Knaben geworden. Die
stille Glut seines Gesichts war in das tändelnde Feuer eines Irrlichts,
der heilige Ernst in verstellte Schalkheit, die bedeutende Ruhe in kindische
Unstätigkeit, der edle Anstand in drollige Beweglichkeit verwandelt.
Ich fühlte mich von einer ernsthaften Leidenschaft unwiderstehlich
zu dem muthwilligen Knaben gezogen, und empfand schmerzlich seinen lächelnden
Hohn, und seine Gleichgültigkeit gegen meine rührendsten Bitten.
Ich sah meine Gestalt verändert. Meine sorglose Heiterkeit war verschwunden,
und hatte einer traurigen Bekümmerniß, einer zärtlichen
Schüchternheit Platz gemacht. Ich hätte mich mit Eros vor allen
Augen verbergen mögen. Ich hatte nicht das Herz in seine beleidigenden
Augen zu sehn, und fühlte mich entsetzlich beschämt und erniedrigt.
Ich hatte keinen andern Gedanken, als ihn, und hätte mein Leben hingegeben,
um ihn von seinen Unarten zu befreyen. Ich mußte ihn anbeten, so
tief er auch alle meine Empfindungen kränkte.
Seit der Zeit, wo er sich
aufmachte und mir entfloh, so rührend ich auch mit den heißesten
Thränen ihn beschwor, bey mir zu bleiben, bin ich ihm überall
gefolgt. Er scheint es ordentlich darauf anzulegen, mich zu necken. Kaum
habe ich ihn erreicht, so fliegt er tückisch weiter. Sein Bogen richtet
überall Verwüstungen an. Ich habe nichts zu thun, als die Unglücklichen
zu trösten, und habe doch selbst Trost nöthig. Ihre Stimmen,
die mich rufen, zeigen mir seinen Weg, und ihre wehmüthigen Klagen,
wenn ich sie wieder verlassen muß, gehen mir tief zu Herzen. Der
Schreiber verfolgt uns mit entsetzlicher Wuth, und rächt sich an den
armen Getroffenen. Die Frucht jener geheimnißvollen Nacht, waren
eine zahlreiche Menge wunderlicher Kinder, die ihrem Großvater ähnlich
sehn, und nach ihm genannt sind. Geflügelt wie ihr Vater begleiten
sie ihn beständig, und plagen die Armen, die sein Pfeil trifft. Doch
da kömmt der fröliche Zug. Ich muß fort; lebe wohl, süßes
Kind. Seine Nähe erregt meine Leidenschaft. Sey glücklich in
deinem Vorhaben. – Eros zog weiter, ohne Ginnistan, die auf ihn zueilte,
einen zärtlichen Blick zu gönnen. Aber zu Fabel wandte er sich
freundlich, und seine kleinen Begleiter tanzten fröhlich um sie her.
Fabel freute sich, ihren Milchbruder wieder zu sehn, und sang zu ihrer
Leyer ein munteres Lied. Eros schien sich besinnen zu wollen und ließ
den Bogen fallen. Die Kleinen entschliefen auf dem Rasen. Ginnistan konnte
ihn fassen, und er litt ihre zärtlichen Liebkosungen. Endlich fing
Eros auch an zu nicken, schmiegte sich an Ginnistans Schooß, und
schlummerte ein, indem er seine Flügel über sie ausbreitete.
Unendlich froh war die müde Ginnistan, und verwandte kein Auge von
dem holden Schläfer. Während des Gesanges waren von allen Seiten
Taranteln zum Vorschein gekommen, die über die Grashalme ein glänzendes
Netz zogen, und lebhaft nach dem Takte sich an ihren Fäden bewegten.
Fabel tröstete nun ihre Mutter, und versprach ihr baldige Hülfe.
Vom Felsen tönte der sanfte Wiederhall der Musik, und wiegte die Schläfer
ein. Ginnistan sprengte aus dem wohlverwahrten Gefäß einige
Tropfen in die Luft, und die anmuthigsten Träume fielen auf sie nieder.
Fabel nahm das Gefäß mit und setzte ihre Reise fort. Ihre Saiten
ruhten nicht, und die Taranteln folgten auf schnellgesponnenen Fäden
den bezaubernden Tönen.
Sie sah bald von weitem
die hohe Flamme des Scheiterhaufens, die über den grünen Wald
emporstieg. Traurig sah sie gen Himmel, und freute sich, wie sie Sophieens
blauen Schleyer erblickte, der wallend über der Erde schwebte, und
auf ewig die ungeheure Gruft bedeckte. Die Sonne stand feuerroth vor Zorn
am Himmel, die gewaltige Flamme sog an ihrem geraubten Lichte, und so heftig
sie es auch an sich zu halten schien, so ward sie doch immer bleicher und
fleckiger. Die Flamme ward weißer und mächtiger, je fahler die
Sonne ward. Sie sog das Licht immer stärker in sich und bald war die
Glorie um das Gestirn des Tages verzehrt und nur als eine matte, glänzende
Scheibe stand es noch da, indem jede neue Regung des Neides und der Wuth
den Ausbruch der entfliehenden Lichtwellen vermehrte. Endlich war nichts
von der Sonne mehr übrig, als eine schwarze ausgebrannte Schlacke,
die herunter ins Meer fiel. Die Flamme war über allen Ausdruck glänzend
geworden. Der Scheiterhaufen war verzehrt. Sie hob sich langsam in die
Höhe und zog nach Norden. Fabel trat in den Hof, der verödet
aussah; das Haus war unterdeß verfallen. Dornsträuche wuchsen
in den Ritzen der Fenstergesimse und Ungeziefer aller Art kribbelte auf
den zerbrochenen Stiegen. Sie hörte im Zimmer einen entsetzlichen
Lärm; der Schreiber und seine Gesellen hatten sich an dem Flammentode
der Mutter geweidet, waren aber gewaltig erschrocken, wie sie den Untergang
der Sonne wahrgenommen hatten.
Sie hatten sich vergeblich
angestrengt, die Flamme zu löschen, und waren bey dieser Gelegenheit
nicht ohne Beschädigungen geblieben. Der Schmerz und die Angst preßte
ihnen entsetzliche Verwünschungen und Klagen aus. Sie erschraken noch
mehr, als Fabel ins Zimmer trat, und stürmten mit wüthendem Geschrey
auf sie ein, um an ihr den Grimm auszulassen. Fabel schlüpfte hinter
die Wiege, und ihre Verfolger traten ungestüm in das Gewebe der Taranteln,
die sich durch unzählige Bisse an ihnen rächten. Der ganze Haufen
fing nun toll an zu tanzen, wozu Fabel ein lustiges Lied spielte. Mit vielem
Lachen über ihre possierlichen Fratzen ging sie auf die Trümmer
des Altars zu, und räumte sie weg, um die verborgene Treppe zu finden,
auf der sie mit ihrem Tarantelgefolge hinunter stieg. Die Sphinx fragte:
Was kommt plötzlicher, als der Blitz? Die Rache, sagte Fabel. – Was
ist am vergänglichsten? – Ungerechter Besitz. – Wer kennt die Welt?
– Wer sich selbst kennt. – Was ist das ewige Geheimniß? – Die Liebe.
– Bei wem ruht es? – Bei Sophieen. Die Sphinx krümmte sich kläglich,
und Fabel trat in die Höhle.
Hier bringe ich euch Taranteln,
sagte sie zu den Alten, die ihre Lampe wieder angezündet hatten und
sehr ämsig arbeiteten. Sie erschraken, und die eine lief mit der Scheere
auf sie zu, um sie zu erstechen. Unversehens trat sie auf eine Tarantel,
und diese stach sie in den Fuß. Sie schrie erbärmlich. Die andern
wollten ihr zu Hülfe kommen und wurden ebenfalls von den erzürnten
Taranteln gestochen. Sie konnten sich nun nicht an Fabel vergreifen, und
sprangen wild umher. Spinn uns gleich, riefen sie grimmig der Kleinen zu,
leichte Tanzkleider. Wir können uns in den steifen Röcken nicht
rühren, und vergehn fast vor Hitze, aber mit Spinnensaft mußt
du den Faden einweichen, daß er nicht reißt, und wirke Blumen
hinein, die im Feuer gewachsen sind, sonst bist du des Todes. Recht gern,
sagte Fabel und ging in die Nebenkammer.
Ich will euch drey tüchtige
Fliegen verschaffen, sagte sie zu den Kreuzspinnen, die ihre luftigen Gewebe
rund um an der Decke und den Wänden angeheftet hatten, aber ihr müßt
mir gleich drey hübsche, leichte Kleider spinnen. Die Blumen, die
hinein gewirkt werden sollen, will ich auch gleich bringen. Die Kreuzspinnen
waren bereit und fingen rasch zu weben an. Fabel schlich sich zur Leiter
und begab sich zu Arctur. Monarch, sagte sie, die Bösen tanzen, die
Guten ruhn. Ist die Flamme angekommen? Sie ist angekommen sagte der König.
Die Nacht ist vorbey und das Eis schmilzt. Meine Gattin zeigt sich von
weitem. Meine Feindinn ist versenkt. Alles fängt zu leben an. Noch
darf ich mich nicht sehn lassen, denn allein bin ich nicht König.
Bitte was du willst. – Ich brauche, sagte Fabel, Blumen, die im Feuer gewachsen
sind. Ich weiß, du hast einen geschickten Gärtner, der sie zu
ziehen versteht. – Zink, rief der König, gieb uns Blumen. Der Blumengärtner
trat aus der Reihe, holte einen Topf voll Feuer, und säete glänzenden
Samenstaub hinein. Es währte nicht lange, so flogen die Blumen empor.
Fabel sammelte sie in ihre Schürze, und machte sich auf den Rückweg.
Die Spinnen waren fleißig gewesen, und es fehlte nichts mehr, als
das Anheften der Blumen, welches sie sogleich mit vielem Geschmack und
Behendigkeit begannen. Fabel hütete sich wohl die Enden abzureißen,
die noch an den Weberinnen hingen.
Sie trug die Kleider den
ermüdeten Tänzerinnen hin, die triefend von Schweiß umgesunken
waren, und sich einige Augenblicke von der ungewohnten Anstrengung erholten.
Mit vieler Geschicklichkeit entkleidete sie die hagern Schönheiten,
die es an Schmähungen der kleinen Dienerinn nicht fehlen ließen,
und zog ihnen die neuen Kleider an, die sehr niedlich gemacht waren und
vortrefflich paßten. Sie pries während dieses Geschäftes
die Reize und den liebenswürdigen Charakter ihrer Gebieterinnen, und
die Alten schienen ordentlich erfreut über die Schmeicheleyen und
die Zierlichkeit des Anzuges. Sie hatten sich unterdeß erholt, und
fingen von neuer Tanzlust beseelt wieder an, sich munter umherzudrehen,
indem sie heimtückisch der Kleinen langes Leben und große Belohnungen
versprachen. Fabel ging in die Kammer zurück, und sagte zu den Kreuzspinnen:
Ihr könnt nun die Fliegen getrost verzehren, die ich in eure Weben
gebracht habe. Die Spinnen waren so schon ungeduldig über das hin-
und herreißen, da die Enden noch in ihnen waren und die Alten so
toll umhersprangen; Sie rannten also hinaus, und fielen über die Tänzerinnen
her; diese wollten sich mit der Scheere vertheidigen, aber Fabel hatte
sie in aller Stille mitgenommen. Sie unterlagen also ihren hungrigen Handwerksgenossen,
die lange keine so köstlichen Bissen geschmeckt hatten, und sie bis
auf das Mark aussaugten. Fabel sah durch die Felsenkluft hinaus, und erblickte
den Perseus mit dem großen eisernen Schilde. Die Scheere flog von
selbst dem Schilde zu, und Fabel bat ihn, Eros Flügel damit zu verschneiden,
und dann mit seinem Schilde die Schwestern zu verewigen, und das große
Werk zu vollenden.
Sie verließ nun das
unterirdische Reich, und stieg frölich zu Arcturs Pallaste.
Der Flachs ist versponnen.
Das Leblose ist wieder entseelt. Das Lebendige wird regieren, und das Leblose
bilden und ge-brauchen. Das Innere wird offenbart, und das Äußere
verborgen. Der Vorhang wird sich bald heben, und das Schauspiel seinen
Anfang nehmen. Noch einmal bitte ich, dann spinne ich Tage der Ewigkeit.
– Glückliches Kind, sagte der gerührte Monarch, du bist unsre
Befreyerin. – Ich bin nichts als Sophiens Pathe, sagte die Kleine. Erlaube
daß Turmalin, der Blumengärtner, und Gold mich begleiten. Die
Asche meiner Pflegemutter muß ich sammeln, und der alte Träger
muß wieder aufstehn, daß die Erde wieder schwebe und nicht
auf dem Chaos liege.
Der König rief allen
Dreyen, und befahl ihnen, die Kleine zu begleiten. Die Stadt war hell,
und auf den Straßen war ein lebhaftes Verkehr. Das Meer brach sich
brausend an der hohlen Klippe, und Fabel fuhr auf des Königs Wagen
mit ihren Begleitern hinüber. Turmalin sammelte sorgfältig die
auffliegende Asche. Sie gingen rund um die Erde, bis sie an den alten Riesen
kamen, an dessen Schultern sie hinunter klimmten. Er schien vom Schlage
gelähmt, und konnte kein Glied rühren. Gold legte ihm eine Münze
in den Mund, und der Blumengärtner schob eine Schüssel unter
seine Lenden. Fabel berührte ihm die Augen, und goß das Gefäß
auf seiner Stirn aus. So wie das Wasser über das Auge in den Mund
und herunter über ihn in die Schüssel floß, zuckte ein
Blitz des Lebens ihm in allen Muskeln. Er schlug die Augen auf und hob
sich rüstig empor. Fabel sprang zu ihren Begleitern auf die steigende
Erde, und bot ihm freundlich guten Morgen. Bist du wieder da, liebliches
Kind? sagte der Alte; habe ich doch immer von dir geträumt. Ich dachte
immer, du würdest erscheinen, ehe mir die Erde und die Augen zu schwer
würden. Ich habe wohl lange geschlafen. Die Erde ist wieder leicht,
wie sie es immer den Guten war, sagte Fabel. Die alten Zeiten kehren zurück.
In Kurzem bist du wieder unter alten Bekannten. Ich will dir fröliche
Tage spinnen, und an einem Gehülfen soll es auch nicht fehlen, damit
du zuweilen an unsern Freuden Theil nehmen, und im Arm einer Freundinn
Jugend und Stärke einathmen kannst. Wo sind unsere alten Gastfreundinnen,
die Hesperiden? – An Sophiens Seite. Bald wird ihr Garten wieder blühen,
und die goldne Frucht duften. Sie gehen umher und sammeln die schmachtenden
Pflanzen.
Fabel entfernte sich, und
eilte dem Hause zu. Es war zu völligen Ruinen geworden. Epheu umzog
die Mauern. Hohe Büsche beschatteten den ehemaligen Hof, und weiches
Moos polsterte die alten Stiegen. Sie trat ins Zimmer. Sophie stand am
Altar, der wieder aufgebaut war. Eros lag zu ihren Füßen in
voller Rüstung, ernster und edler als jemals. Ein prächtiger
Kronleuchter hing von der Decke. Mit bunten Steinen war der Fußboden
ausgelegt, und zeigte einen großen Kreis um den Altar her, der aus
lauter edlen bedeutungsvollen Figuren bestand. Ginnistan bog sich über
ein Ruhebett, worauf der Vater in tiefem Schlummer zu liegen schien, und
weinte. Ihre blühende Anmuth war durch einen Zug von Andacht und Liebe
unendlich erhöht. Fabel reichte die Urne, worin die Asche gesammelt
war, der heiligen Sophie, die sie zärtlich umarmte.
Liebliches Kind, sagte sie,
dein Eifer und deine Treue haben dir einen Platz unter den ewigen Sternen
erworben. Du hast das Unsterbliche in dir gewählt. Der Phönix
gehört dir. Du wirst die Seele unsers Lebens seyn. Jetzt wecke den
Bräutigam auf. Der Herold ruft, und Eros soll Freya suchen und aufwecken.
Fabel freute sich unbeschreiblich
bey diesen Worten. Sie rief ihren Begleitern Gold und Zink, und nahte sich
dem Ruhebette. Ginnistan sah erwartungsvoll ihrem Beginnen zu. Gold schmolz
die Münze und füllte das Behältniß, worin der Vater
lag, mit einer glänzenden Flut. Zink schlang um Ginnistans Busen eine
Kette. Der Körper schwamm auf den zitternden Wellen. Bücke dich,
liebe Mutter, sagte Fabel, und lege die Hand auf das Herz des Geliebten.
Ginnistan bückte sich.
Sie sah ihr vielfaches Bild. Die Kette berührte die Flut, ihre Hand
sein Herz; er erwachte und zog die entzückte Braut an seine Brust.
Das Metall gerann, und ward ein heller Spiegel. Der Vater erhob sich, seine
Augen blitzten, und so schön und bedeutend auch seine Gestalt war,
schien doch sein ganzer Körper eine feine unendlich bewegliche Flüssigkeit
zu seyn, die jeden Eindruck in den mannichfaltigsten und reitzendsten Bewegungen
verrieth.
Das glückliche Paar
näherte sich Sophien, die Worte der Weihe über sie aussprach,
und sie ermahnte, den Spiegel fleißig zu Rathe zu zielin, der alles
in seiner wahren Gestalt zurückwerfe, jedes Blendwerk vernichte, und
ewig das ursprüngliche Bild festhalte. Sie ergriff nun die Urne und
schüttete die Asche in die Schaale auf dem Altar. Ein sanftes Brausen
verkündigte die Auflösung, und ein leiser Wind wehte in den Gewändern
und Locken der Umstehenden.
Sophie reichte die Schaale
dem Eros und dieser den Andern. Alle kosteten den göttlichen Trank,
und vernahmen die freundliche Begrüßung der Mutter in ihrem
Innern, mit unsäglicher Freude. Sie war jedem gegenwärtig, und
ihre geheimnißvolle Anwesenheit schien alle zu verklären.
Die Erwartung war erfüllt
und übertroffen. Alle merkten, was ihnen gefehlt häbe, und das
Zimmer war ein Aufenthalt der Seligen geworden. Sophie sagte: das große
Geheimniß ist allen offenbart, und bleibt ewig unergründlich.
Aus Schmerzen wird die neue Welt geboren, und in Thränen wird die
Asche zum Trank des ewigen Lebens aufgelöst. In jedem wohnt die himmlische
Mutter, um jedes Kind ewig zu gebären. Fühlt ihr die süße
Geburt im Klopfen eurer Brust?
Sie goß in den Altar
den Rest aus der Schaale hinunter. Die Erde bebte in ihren Tiefen. Sophie
sagte: Eros, eile mit deiner Schwester zu deiner Geliebten. Bald seht ihr
mich wieder.
Fabel und Eros gingen mit
ihrer Begleitung schnell hinweg. Es war ein mächtiger Frühling
über die Erde verbreitet. Alles hob und regte sich. Die Erde schwebte
näher unter dem Schleyer. Der Mond und die Wolken zogen mit frölichem
Getümmel nach Norden. Die Königsburg strahlte mit herrlichem
Glanze über das Meer, und auf ihren Zinnen stand der König in
voller Pracht mit seinem Gefolge. Überall erblickten sie Staubwirbel,
in denen sich bekannte Gestalten zu bilden schienen. Sie begegneten zahlreichen
Schaaren von Jünglingen und Mädchen, die nach der Burg strömten,
und sie mit Jauchzen bewillkommten. Auf manchen Hügeln saß ein
glückliches eben erwachtes Paar in lang entbehrter Umarmung, hielt
die neue Welt für einen Traum, und konnte nicht aufhören, sich
von der schönen Wahrheit zu überzeugen.
Die Blumen und Bäume
wuchsen und grünten mit Macht. Alles schien beseelt. Alles sprach
und sang. Fabel grüßte überall alte Bekannte. Die Thiere
nahten sich mit freundlichen Grüßen den erwachten Menschen.
Die Pflanzen bewirtheten sie mit Früchten und Düften, und schmückten
sie auf das Zierlichste. Kein Stein lag mehr auf einer Menschenbrust, und
alle Lasten waren in sich selbst zu einem festen Fußboden zusammengesunken.
Sie kamen an das Meer. Ein Fahrzeug von geschliffenem Stahl lag am Ufer
festgebunden. Sie traten hinein und lösten das Tau. Die Spitze richtete
sich nach Norden, und das Fahrzeug durchschnitt, wie im Fluge, die buhlenden
Wellen. Lispelndes Schilf hielt seinen Ungestüm auf, und es stieß
leise an das Ufer. Sie eilten die breiten Treppen hinan. Die Liebe wunderte
sich über die königliche Stadt und ihre Reichthümer. Im
Hofe sprang der lebendiggewordne Quell, der Hain bewegte sich mit den süßesten
Tönen, und ein wunderbares Leben schien in seinen heißen Stämmen
und Blättern, in seinen funkelnden Blumen und , Früchten zu quellen
und zu treiben. Der alte Held empfing sie an den Thoren des Pallastes.
Ehrwürdiger Alter, sagte Fabel, Eros bedarf dein Schwerdt. Gold hat
ihm eine Kette gegeben, die mit einem Ende in das Meer hinunter reicht,
und mit dem andern um seine Brust geschlungen ist. Fasse sie mit mir an,
und führe uns in den Saal, wo die Prinzessin ruht. Eros nahm aus der
Hand des Alten das Schwerdt, setzte den Knopf auf seine Brust, und neigte
die Spitze vorwarts. Die Flügelthüren des Saals flogen auf, und
Eros nahte sich entzückt der schlummernden Freya. Plötzlich geschah
ein gewaltiger Schlag. Ein heller Funken fuhr von der Prinzessin nach dem
Schwerdte; das Schwerdt und die Kette leuchteten, der Held hielt die kleine
Fabel, die beynah umgesunken wäre. Eros Helmbusch wallte empor, Wirf
das Schwerdt weg, rief Fabel, und erwecke deine Geliebte. Eros ließ
das Schwerdt fallen, flog auf die Prinzessin zu, und küßte feurig
ihre süßen Lippen. Sie schlug ihre großen dunkeln Augen
auf, und erkannte den Geliebten. Ein langer Kuß versiegelte den ewigen
Bund.
Von der Kuppel herunter
kam der König mit Sophien an der Hand. Die Gestirne und die Geister
der Natur folgten in glänzenden Reihen. Ein unaussprechlich heitrer
Tag erfüllte den Saal, den Pallast, die Stadt, und den Himmel. Eine
zahllose Menge ergoß sich in den weiten königlichen Saal, und
sah mit stiller Andacht die Liebenden vor dem König und der Königinn
knieen, die sie feyerlich segneten. Der König nahm sein Diadem vom
Haupte, und band es um Eros goldene Locken. Der alte Held zog ihm die Rüstung
ab, und der König warf seinen Mantel um ihn her. Dann gab er ihm die
Lilie in die linke Hand, und Sophie knüpfte ein köstliches Armband
um die verschlungenen Hände der Liebenden, indem sie zugleich ihre
Krone auf Freyas braune Haare setzte.
Heil unsern alten Beherrschern,
rief das Volk. Sie haben immer unter uns gewohnt, und wir haben sie nicht
erkannt! Heil uns! Sie werden uns ewig beherrschen! Segnet uns auch! Sophie
sagte zu der neuen Königinn: Wirf du das Armband eures Bundes in die
Luft, daß das Volk und die Welt euch verbunden bleiben. Das Armband
zerfloß in der Luft, und bald sah man lichte Ringe um jedes Haupt,
und ein glänzendes Band zog sich über die Stadt und das Meer
und die Erde, die ein ewiges Fest des Frühlings feyerte. Perseus trat
herein, und trug eine Spindel und ein Körbchen. Er brachte dem neuen
Könige das Körbchen. Hier, sagte er, sind die Reste deiner Feinde.
Eine steinerne Platte mit schwarzen und weißen Feldern lag darin,
und daneben eine Menge Figuren von Alabaster und schwarzem Marmor. Es ist
ein Schachspiel, sagte Sophie; aller Krieg ist auf diese Platte und in
diese Figuren gebannt. Es ist ein Denkmal der alten trüben Zeit. Perseus
wandte sich zu Fabel, und gab ihr die Spindel. In deinen Händen wird
diese Spindel uns ewig erfreuen, und aus dir selbst wirst du uns einen
goldnen unzerreißlichen Faden spinnen. Der Phönix flog mit melodischem
Geräusch zu ihren Füßen, spreizte seine Fittiche vor ihr
aus, auf die sie sich setzte, und schwebte mit ihr über den Thron,
ohne sich wieder niederzulassen. Sie sang ein himmlisches Lied, und fing
zu Spinnen an, indem der Faden aus ihrer Brust sich hervorzuwinden schien.
Das Volk gerieth in neues Entzücken, und aller Augen hingen an dem
lieblichen Kinde. Ein neues Jauchzen kam von der Thür her. Der alte
Mond kam mit seinem wunderlichen Hofstaat herein, und hinter ihm trug das
Volk Ginnistan und ihren Bräutigam, wie im Triumph, einher.
Sie waren mit Blumenkränzen
umwunden; die königliche Familie empfing sie mit der herzlichsten
Zärtlichkeit, und das neue Königspaar rief sie zu seinen Statthaltern
auf Erden aus.
Gönnet mir, sagte der
Mond, das Reich der Parzen, dessen seltsame Gebäude eben auf dem Hofe
des Pallastes aus der Erde gestiegen sind. Ich will euch mit Schauspielen
darin ergötzen, wozu die kleine Fabel mir behülflich seyn wird.
Der König willigte
in die Bitte, die kleine Fabel nickte freundlich, und das Volk freute sich
auf den seltsamen unterhaltenden Zeitvertreib. Die Hesperiden ließen
zur Thronbesteigung Glück wünschen, und um Schutz in ihren Gärten
bitten. Der König ließ sie bewillkommen, und so folgten sich
unzählige fröliche Bothschaften. Unterdessen hatte sich unmerklich
der Thron verwandelt, und war ein prächtiges Hochzeitbett geworden,
über dessen Himmel der Phönix mit der kleinen Fabel schwebte.
Drey Karyatiden aus dunkelm Porphyr trugen es hinten, und vorn ruhte dasselbe
auf einer Sphinx aus Basalt. Der König umarmte seine erröthende
Geliebte, und das Volk folgte dem Beyspiel des Königs, und liebkoste
sich unter einander. Man hörte nichts, als zärtliche Namen und
ein Kußgeflüster. Endlich sagte Sophie: Die Mutter ist unter
uns, ihre Gegenwart wird uns ewig beglücken. Folgt uns in unsere Wohnung,
in dem Tempel dort werden wir ewig wohnen, und das Geheimniß der
Welt bewahren. Die Fabel spann ämsig und sang mit lauter Stimme:
Gegründet ist das Reich
der Ewigkeit,
In Lieb' und Frieden endigt
sich der Streit,
Vorüber ging der lange
Traum der Schmerzen,
Sophie ist ewig Priesterin
der Herzen.