Hans
Zimmermann, Görlitz)
: 12 KÖRBE, Quellensammlung
: Popol Vuh (Poopol Wuuj)
Pôpol
Wûch (IV)
Originaltext
auf K'itschê' gemäß der Edition von Sam Colop (1999),
für deutschsprachige Leser neu transliteriert
und mit
Recinos' und
Cordans Übersetzungen synoptisch parallelisiert durch Hans Zimmermann
(2008)
EL
POPOL VUH, LAS ANTIGUAS HISTORIAS DEL QUICHÉ, español:
Adrian Recinos (1947)
POPOL
VUH. Das Buch des Rates, deutsch: Wolfgang Cordan (1962)
siehe
auch: Cordans Einleitung und Versuch über
die Methode
Vorspruch
des indianischen Erzählers * Weltschöpfung
* Tierschöpfung * Menschenschöpfung:
Menschen
aus Lehm * Menschen aus Holz
* Scheitern der Holz-Menschen-Schöpfung
Die
Heldentaten der göttlichen Zwillinge Chunachpu und Schb'alanq'e:
Wuqub'-Kaqisch
(Siebenpapagei) * Die
vierhundert Jünglinge * Sipakna
* Kabraqan
Der
Abstieg von Einsjäger
und Siebenjäger (Chun – Chunachpu
und Wuqub-Chunachpu)
ins
Totenreich (Schib'alb'â),
ihre Prüfung, Opferung
und Metamorphose
Schkîk'
und der Jicara-Baum * Schwangerschaft,
Bestrafung, Rettung
durch die Eulen
Schkîk'
bei der Schwiegermutter, Prüfung
ERLÄUTERUNGEN, DEUTUNGEN
Jicara
– Crescentia cujete, auch Huacál – Baum genannt, in
Quiché zimá. Ein kräftiger, breitkroniger Baum, der
ballrunde, zwei Fäuste große Früchte hervorbringt. Ihr
Fleisch ist ungenießbar. Ihre getrocknete Schale dient allgemein
als Eßnapf und hat sich als jicara in den Wortschatz des amerikanischen
Spanisch eingegliedert.
Mythische
Weltalter – Es beginnt das Weltalter der Schwarzen
Herren. Im "Chilam Balám" von Chumayél heißt es: "Und
erhoben wurde der Schwarze Herrscher auf seine Matte und gesetzt auf seinen
Thron." L. Schultze-Jena sagt in seinem Kommentar, hier läge ein klarer
Astralmythos, und zwar die Beschreibung des Sonnenumgangs, vor. Diese Erklärung
ist unzureichend und in dieser Form sogar falsch. Es gibt noch gar keine
Sonne. Alles spielt sich in der Dämmerung der noch nicht beendeten
Schöpfung ab. Der Sonnentitel-Usurpator Siebenpapagei ist im schwarzen
Westen aufs Sonnenkreuz geschlagen. Wohl aber gibt es schon, um inder Terminologie
von Karl Kerényi zu reden, sonnenhafte Jünglinge, denen alsbald
mondhafte Jungfrauen zur Seite treten. Aus diesen gehen dann die wahre
Sonne und der wahre Mond hervor. Bis dahin ist der Quell alles Lebens nur
ein Versprechen, eine Idee. Den zu durchlaufenden Weg teilten die indianischen
Kulturen rückblickend in vier Sonnenstationen oder Weltalter ein.
Die Azteken sprachen schlicht von vier Sonnen. Die Mayas zählten sie
nach dem Sonnenherrn Ahau. Es ist kein Zufall, daß sie den Beginn
ihrer weitläufigen und komplizierten Datumsrechnung aufeinen Tag 4
Ahau setzten. Das vierte, das Menschenzeitalter hat begonnen sagten sie
damit.
Der Erzähler des Popol Vuh zählt nicht ausdrücklich
die Weltalter. Er deutet sie durch Kalendersymbole an.
Er erzählt auch nicht in streng chronologischer Reihenfolge, sondern
mit fortgesetzten Vor- und Rückgriffen. Und er erzählt schließlich
auf drei verschiedenen Ebenen.
Zunächst auf einer kosmogonischen, wobei die Gestirne aufgrund
beobachteter Verhältnisse an eherne Zahlen "angebunden werden", wie
es wirklich heißt. Des weiteren auf einer pragmatischen Ebene, die
Entwicklung der Menschheit aus dem Nomaden über Horde und Mutterrecht
zum Stamm beschreibend. Da er das Werden einer Agrargemeinschaft schildert,
werden die magischen Bezüge zwischen Gestirn-Mensch-Tier und Pflanze
sichtbar.
In dieser Weltstunde steht das eine für das andere, und das Wahlverwandte
kann sich in seine Entsprechung verwandeln. Und schließlich erzählt
der Berichterstatter auf historischer Ebene die Geschichte der Quichés,
ihren Aufstieg zu Volk und Reich. Wie diese ständig von den Vorweltaltern
durch Chrono-Magie und Nagualismus beeinflußt wird, so versucht der
Erzahler umgekehrt an mehreren Stellen nationale Quiché-Geschichte
in die Vorzeit zu projizieren. Das alles haben wir auseinanderzuhalten
und zusammenzusetzen, wenn wir mehr lesen wollen als bildreiche Fabeln.
Es ist von verschiedenen Kommentatoren darauf hingewiesen worden, daß
auf den ersten Seiten des Popol Vuh alle Grundelemente zusammengerafft
dargestellt werden, so wie eine Ouverture die Leitmotive aufklingen läßt,
die dann in der folgenden Lebensoper im einzelnen breit ausgeführt
werden. Die erste Weltstunde ist noch kein Akt, keine "Sonne". Erst nachdem
die Ordnung hergestellt ist, die störenden Elemente ausgeschaltet
sind, kann eine ordentliche Er-Zäh1ung beginnen.
Archetypen der Vorzeit sind die Titanen: nackt, ohne Haus, ohne Geräte
oder Waffen, ohne Zucht (man streiter sich mit dem Vater Siebenpapagei
um physische Qualitäten; Zeugnis des Faustrechtes); ohne Sippe, ohne
Schutzgeister daher und ohne Gott (man ruft sich selbst zum Gott aus),
sind sie die Menschenwelt der Chaosstunde. Kalendarisch entsprechen ihnen
die Tage-ohne-Namen, die fünf überzähligen xma-kaba-kin,
die in völliger Untätigkeit, unter sexueller Enthaltung, bei
ausgelöschtem Feuer und in Furcht verbracht wurden. Das Ende eines
Zyklus von 52 Jahren, wenn das Rad der durchgezählten Tage und Monate
sich in den gleichen Formen zu wiederholen anfing, wurde noch bis zur Zeit
der Spanier in wirklicher Panik erwartet. Bei den Mayas spielten wohl auch
die Zyklen baktún (400 Jahre) und katún (20 Jahre) dieselbe
Rolle der möglichen Chaoswiederkehr.
Mit der Gründung der Familie hatte die Mayakultur angefangen.
Und wie in allen frühen Horizonten ist es die Frau, die Ahnin, die
das Feuer der Hütte hütet und die Familie zusammenhält.
Im archaischen Maya der Lacandonen meint "na" gleichzeitig Mutter und Hütte.
Unsere Ahnin ist die Uralte, Ixmucané, unter verschiedenen Namen
und Titeln – so demjenigen des großen weißen Dachses
– geistert sie durch die Frühzeit. Jetzt schließt sich die erste
Familie um sie und ihr Haus. Der Mann, Ixpiyacóc, der eine recht
passive Rolle gespielt hat, verschwindet ganz. Die Söhne, die Ahpú,
sind noch Jäger, aber die Enkel treiben Hausfleiß in der Hütte.
Dies ist die Schilderung der frühesten Agrarzeit, die unter Matriarchat
steht. Alle Frühzeitkulturen waren magisch bestimmt, die indianischen
Kulturen sind es bis zum heutigen Tage. Zeugung und Geburt sind die Urthemen
menschlichen Denkens. Wohin immer wir blicken: Fruchtbarkeitszauber und
Kult von Urweibern sind die ersten Zeugnisse an Höhlenwand, in Stein
und Ton. In der Frühzeit ist die Vaterschaft sehr oft fraglich. Von
welcher Mutter man stammt, weiß man; und von welcher Großmutter,
die das junge Volk der Hütte, die wachsende Sippe, zusammenhält
und in dem Sinne wirklich "regiert". Wenn man sich von einer Ahnin herleitet,
so ist das nicht ein matrilinearer Ahnennachweis ohne tiefere Bedeutung,
vielmehr das Eingedenksein, daß man vom "großen weißen
Dachs", vom "Jaguar", vom "Reh" abstammt. Der Mensch ist magisch mit Gestirn,
Tier, Pflanze verbunden, die immaterielle Ordnung bestimmt sein praktisches
Tun.
Inzwischen reift das zweite Weltalter heran, das der Jünglinge
und Männer, die der Gängelei durch die Urmütter entspringen.
Es bildet sich der strafforganisierte Männerbund, mit Pflichten, Rängen
und Titeln. Man lebt in Höhlen, man kennt außer Körperbemalung,
Kopfputz und Knöchelzierat noch keine Kleidung; nackt sitzt man auf
den Steinen der Höhle (Darstellung des Todesgottes im Dresdner Codex).
Zu Beratungen und Empfängen aber versammelt man sich im Raum der Matten
(popobál). Reichlich ist der Vorrat an Obsidianmessern. Mit der
Mutterwelt lebt man im Krieg.
Gefangene vierteilt man, die Kopftrophäe setzt man in einen Baum.
Man ist stolz auf sein Wesen als Mann (inik – Huastéco -‚ vinik
alle Maya-Dialekte, vinác in Quiché) und hat hölzerne
Götter, nach eigenem Bild geschnitten.
Das ist ein neues und nicht freundlicheres Weltalter. Indessen lösen
sich Weltalter nicht einfach auf: sie bestehen nebeneinander weiter; oder
muß man daran erinnern, daß im Atomzeitalter nicht nur die
Lacandonen vom Usumacinta ihre Pfeile mit Obsidianspitzen verschießen?
Man kann, etwa auf Neu-Guinea, Männerbünde studieren. Und mitten
im modernen Mexiko, unter den Zapotécos am Golf von Tehuantepéc
ein recht strammes Frauenregime, das zwar nichts von matrilinear und matrilokal
weiß, aber im Hause bestimmt und die Männer von wichtigen Festen
ausschließt.
Cuchumaquic
– Man kann dieses Wort durchaus, wie es Villacorta tut, als "alter
Blutgeier" lesen, da cuch = Aasgeier darin steckt. Wir haben es auch so
bei der Aufzählung der Hadesherren dabei gelassen. Aber es gibt auch
cuchumah = vereinigen, zusammenhängen, in Ortsnamen oft gebraucht.
Dann würde "Vereiniger des Blutes, Blutahne" herauskommen. Wir lassen
den Namen daher jetzt als solchen stehen.
Ixquic
– ix = Präfix, soviel wie klein, auch Determinativum
des weiblichen Geschlechts. Die Tochter des Vorigen heißt also: Frauenblut.
Blutbaum
– Croton Sangifluus, auch Drachenblutbaum genannt. Tropischer
Baum mit dickem, rotem Saft.
In Quiché: chuh cakché. Chuh = schäumen; k'ak =
Feuer und rot; ché – Baum. Rotschaumbaum ist danach die genaueste
Übersetzung. Das Harz wurde als Weihrauch (póm) verwendet.
Das Popol Vuh erzählt die mystische Herkunft des Weihrauchs. – Ixquic
sagt nun vor diesem Baum im Hinblick auf die Todesherren: "Xa quic, xa
holomax rech ch'uxoc aré chicut ch'u vách", was Wort für
Wort heißt: "Nur quic, nur holomax ihrer sein soll dort auch vor
ihrem Angesicht".
Drei Götter
– Als Helfer in ihrer Not ruft Ixquic den Maisgott in drei Funktionen
an. Ix-toh: Überfluß-Spender; Ix-canil: Gott der Reife, aber
auch: Kostbarer; Ixcacawixtziya: Vermehrer des Maisbreies.
Magische Astronomie –
Es leuchtet ein, daß der Kalender seine Struktur nicht den komplizierten
Astralverhältnissen entlehnen kann. Feststellungen wie diejenigen,
daß 13 Venusumläufe 8 Sonnenjahren entsprechen und der Stern
deshalb in diesem Zeitraum fünfmal zwischen Erde und Sonne hindurchgeht
und die fantastische Merkuxzahl 13 x 9 x 7 = 819, setzen jahrhundertelange
Beobachtungen und eine hohe Kulturstufe voraus. Die Anfänge sind schlichter.
Seit jeher hat sich der Mensch als das Maß aller Dinge genommen.
Der Maya zählte die Finger und Zehen seines Körpers. (Die "abstrakte"
Zahlenschrift ist nichts anderes als das Loch, das 1 oder 2 Finger in den
Sand machen, 5 ist die flache Handkante.) Ein Blick auf die Sprachtabellen
zeigt, daß die Zahlen bis 20 zum ältesten Sprachgut gehören.
Hu-uinák (Quiché) hun-vinán (Uspantéca)
haben in Variationen alle Gruppen, sogar das Huastéca: "hum-inik"
und das Mam "hu-ink". (Das hun k'al = "eine Runde" des Yucatéco
ist schon seiner abstrakten Form wegen als spätere Umschreibung erkenntlich.)
Hun vinik ist ein (ganzer) Mann mit zwanzig Fingen. Diesen Begriff hunuinik
wollen wir im folgenden als eine untergeteilte Einheit festhalten. Es wurde
aber, sobald sich das magische Denken zu artikulieren begann, jedes einzelne
Fingermännchen mit einem Gott oder nágual versehen, die uns
heute nur noch in einigen Fällen, wie Affe, erkenntlich sind. (Auch
die europäischen Chiromanten sprechen ja nach antiken Vorbildern von
Jupiter-, Apollo- und Merkurfingern.) Damit waren die Bausteine für
einen Kalender gegeben. Schultze-Jena nennt ihn anthropolunar und trägt
ein überraschendes und überzeugendes Beweismaterial dazu bei.
("La vida y los creencias..."
In der frühen Weltstunde beobachtete der Mensch ständig sein
Dasein inmitten der ihn umgebenden Welt; jede auffallende Beziehung wurde
benannt und magisch gedeutet. Die Monatsblutung der Frau heißt in
Quiché "rech ri ik" = Das (Blut) vom Mond. Wenn dieses ausbleibt,
so dauert es neun Monate, bis ein vinik ans Licht dieser Welt kommt, weshalb
man auch von dem "ah bilép ik", dem Neunmondemann, spricht. Damit
erhielt die 9 einen magischen Rang, im klassischen Maya "bolón-ti-ku",
Gott Neun genannt.
Wegen der Neumondnächte war die genaue Tages- (oder Nacht-)Zahl
eines Monats für den primitiven Menschen schwer festzustellen. Es
durfte übrigens früher nur in Neumondnächten gezeugt werden,
eine Gewohnheit, an der noch heute die Lacandonen festhalten. Der Lacandone
Chankin vom Schlangenfluß Lacanhá bei Bonarnpák erklärte
einmal dem Herausgeber damit die geringe Nachkommenschaft seines Stammes,
mit drastischen und verächtlichen Worten die Sittenlosigkeit der "Leute",
d.i. Nichtlacandonen, geißelnd.
Nahm man den Monat zu 29 Tagen, so ergab sich die Zahl 261, d.h. der
Tzolkin von 260 Tagen, wenn man 1 abzog.
Mit dem Zuzählen und Abziehenvon Einheiten regulierten die Mayas,
die nicht in Brüchen rechneten, die Kommastellen der faktischen Gestirnsumläufe.
Im späteren hochkomplizierten Kalender der sogenannten Großen
Rechnung setzten sie Glyphen ein, die aussagten: Dieser Monat hat 29 Tage,
dieser 30. In einem Tzolkin von 260 Tagen entstand also ein ah bilép
ik, ein uinik, mit seinen 20 Trägern.
Sah man aber genau hin, so wurden in dem Zeitraum 13 Mondwesen ah bilép
ik hervorgebracht: 13 x 20 = 260.
Das war höchst wunderbar, und es konnte sich nur um Geister, náguals,
Götter handeln, die den einen Zwanziger uinik beg1eiteten. Schultze-Jena
bemerkt hierzu: "Fruchtbar und erfindungsreich muß der Geist dessen
gewesen sein, der zum ersten Male diese zwei Ziffern teilte: 260:20, und
der das Ergebnis 13 als Norm für eine Zahlensequenz nahm, die 20 aber
als Zähleinheit für die Tage. Damit schließt sich der anthropolunare
Zyklus."
Nachdem man so die Ziffer 13 gefunden und in der Folge ihre wahrhaft
verblüffende Wirksamkeit in kosmischen Beziehungen beobachtet hatte,
wurde sie gebührenderweise in den höchsten magischen Rang erhoben:
als oxlahun-ti-ku, Gott 13, zieht sie in den Mayaolymp ein. Wieder ist
es eine Einheit aus der Pluralität, und es sind wirkliche Götter.
Wenn wir uns die entsprechenden Glyphen ansehen, so tritt uns eine
Reihe von Götterprofilen entgegen, ein jedes mit charakteristischen
Attributen, die uns noch beschäftigen werden. Höchst aufschlußreich
ist nun, daß von den Glyphen der "Kopfvariante" nur 1-13 selbständige
Götterantlitze zeigen: die Nummern 14 bis 19 sind Wiederholungen der
vorigen mit Variationen. So erscheint unsere Uralte, Ixtmucané (5),
als Nummer 15 wieder; sehr deutlich auch die Relation 6:16 und 8:18. Die
zwanzigste Glyphe zeigt höchst verschiedene Götterprofile auf
den erhaltenen Inskriptionen, deren Grundelement eine das Kinn bedeckende
Hand ist. Oft erscheint auch die Hand allein mit einer Muschel.
In den noch nicht beendeten Gelehrtenstreit, ob diese Zeichen 20 oder
0 oder "Completion" (Thompson) bedeuten, wollen wir hier nicht eintreten.
In den, im Punkt-Strich-System vorgenommenen, Kalkulationen der Codices
steht jedenfalls für 20 eine Mondglyphe, und eine stilisierte Muschel
steht für Null und verleiht Positionswert.
Mythologisch befinden wir uns in keiner Schwierigkeit: wir sind wieder
bei Imix – Ixmucané angelangt, der Ahnin, die aus dem Nichts (0)
erschafft und den uinik (20) vollendet. Wenn die 13 Oxlahun-ti-ku mit jedem
einzelnen Fingergott des hun uinik gesprochen haben (13 x 20 = 260), ist
es der Tag 13 Ahau, die vier Wege sind durchschritten, und Imix-Ixmucané
beginnt die neue Schöpfungsrunde. Selbstverständlich wurde die
restierende Siebenzahl (20-13 = 7) bemerkt und erhielt ihren entsprechenden
Rang, wie wir bereits bei der Behandlung der Septernitäten gesehen
haben: die Ahpu "von 1 bis 7", die 7 Camés. In Yucatán erscheint
entsprechend ein Gott der Sieben Erdschichten Ah Uúk cheknál.
– Nur im Vorbeigehen sei erwähnt, daß ein Zyklus von 91 Tagen
zur Berechnung von Sonnenwende und Äquinoktien diente (13 x 7 = 91).
Der Tzolkin erfüllte also alle Bedürfnisse magisch-kosmischer
Interpretation; er reichte und reicht bis heute für die praktischen
Bedürfnisse des Agrarjahres. Für Datierungen und Berechnungen
über große Räume reichte er nicht aus. Es galt, ihn mit
dem Sonnenjahr zu kombinieren.
Damit stießen die Mayas auf die im Kosmos gesetzten Widerstände
der Umlaufzeiten, die auch unseren Gregorianischen Kalender zu allerlei
Tricks, wie einem Monat von 28 Tagen, anderen von 31 Tagen, Schaltjahren
und dem periodischen Ausfallen eines an sich erforderlichen Schaltjahres
zwingen. Unser Kalender ist weitaus willkürlicher und kosmisch "unwahrer"
als derjenige der Mayas. Versucht man das Jahr von 365 Tagen aus den Tzolkin
aufzubauen, so sah das so aus:
13 x 20 = 260
+ 13 x 8 = 104
= 13 x 28 = 364 Tage.
Abgesehen davon, daß die indifferente Zahl 8 darin eine Rolle
spielte, war das aus Multiplikation und Addition gemischte System, zu welchem
man noch eine Eins addieren mußte, unbrauchbar. Immerhin verwandte
man die Formel 364 für die Bestimmung der vier Kardinalpunkte, Sonnenzenith
und Nadir nebst den Frühlings- und Herbstzeiten, da ja neben den magischen
Zahlen 13 und 7, recht aufgefaßt, auch die vier Wege oder Himmelsrichtungen
vorkommen (13 x 7 x 4 = 364). Das war ein Teiler des Rades, dessen kleine
Unstimmigkeit (plus 1) zu korrigieren war. Aber es galt nur für die
Spezialformel.
Man wird nun wohl so überlegt haben: der Tzolkin bringt 13 uiniks
hervor – wieviel das haab, das Sonnenjahr?
Eine glatte Antwort gab es nicht, wohl aber Hilfskonstruktion: die
Zwanzigzahl ging 18 mal in 360 Tagen auf.
Diesen neuen Begriff 18 nannte man uinál. Seine Glyphe ist ein
Frosch‚ uo. Aber auch "Zeichen, Symbol" ist uo.
Davon also und nicht von U = Mond ist der Begriff abzuleiten, wenngleich
die Wissenschaft heute die Einheit als Monat nimmt. Wir werden nur den
Begriff uinál hantieren, der eine Recheneinheit ist und in keiner
Weise mit dem Mond koinzidiert. Der Name dürfte bewußt der sakrosankten
Einheit Uinik-uinák nachgebildet sein und die Froschglyphe ein daraus
entwickeltes Wortspiel. Er steht als Singularform für eine Reihe von
18 uináls, deren jeder 20 Tage regiert (oder einen uinák,
womit sprachlich die Gleichung 18 x 20 = 360 ausgedrückt ist).
Jeder der 18 uináls erhielt seine Glyphe und seinen Namen. In
Wort und Bild erkennen wir sofort zwei wichtige náguals: dzotz,
die Fledermaus, und muán, die Eule. Der 17. uinál, "kayáb",
ist etymologisch nicht ableitbar, aber die Glyphe zeigt einen Papagei mit
einem Kreuz im großen runden Auge. Umgekehrt wird der zweite uinál,
"uo" = Frosch, auch durch eine abstrakte Glyphe mit dem Himmelskreuz chaan
dargestellt, das immer wieder in dieser Reihe erscheint, sie so zu einer
Sonnensequenz und nicht zu "Monden" stempelnd. Nachdem noch in einer Variante
des Monat Ch'en (ein geläufiges Wort in Yucatéco für "Teich")
Fische stehen, dürfen wir schließen, daß die 18 vináls
alle (wie der zusammenfassende Begriff uinál = Frosch) nach Nágual-Tieren
benannt wurden. Aber náguals von wem?
Bei der Teilung von 18 in die kreative 2 und die 9 ließen die
Mayas hier die bolón-ti-ku auftreten, und zwar als die "Neun Herren
der Nacht". Von unten her regierten sie, wahrhafte Herren der Mitternachtssonne,
Erdsymbole begleiten sie. Ihre Namen sind uns nicht überliefert, ihre
Entsprechungen bei den Azteken und Zapoteken kennen wir.
Ihre Glyphen sind meist sehr schematisiert, eigentlich nur der Mächtigste,
der Neunte, erscheint regelmäßig als Profilkopf: ein alter Mann,
gekrönt von dem k'in-Zeichen, dieses oft in einer Form gezeichnet,
so daß es die dunkle, die "schwarze Sonne" bedeutet. Jeder dieser
dunklen Herren regierte über zwei Einheiten von Zwanzig, also über
40 Tage, damit 360 Tage des Sonnenjahres im Griff haltend, wie die vier
Regenten des Tzolkin ihre 65 Tage überwachten (9 x 40 = 360; 4 x 65
= 260). Von den ärgerlichen 5 überschüssigen Tagen zogen
die Herren der Nacht ihre Hand ab.
Diese blieben daher ohne Schutz. Man faßte sie als 19 uinál
unter dem Namen Uayéb als undifferenzierte Fünfergruppe zusammen
(xma-kaba-kin: die Namenlosen). – Uayéb wird als "Bett des Jahres"
gedeutet, was seine Bestätigung bei den Chorti findet, die sagen,
daß "der Herr ruht". Die Glyphe zeigt zwei dunkle tote Papageien
über dem Jahressigillum.
Indessen ruhen weder Gestirne noch Zeiten: unermüdlich dreht die
Urmutter, die Ahnin Mam, die Vie1beschäftigte, die Gestaltenreiche,
das Rad Tzolkin durch die Ewigkeit. Und so übernimmt sie schweigend,
als Göttin 5, diese 5 ausgelieferten Tage. Der Tzolkin hilft dem Haab
über den Abgrund, und am 366. Tag ist alles wieder in Ordnung: ein
neuer Tzolkin hebt unter einem neuen Regenten an; ein neues Jahr beginnt
mit seinen Prädikaten, die Herren der Nacht walten wieder ihres Amtes.
Damit waren Mond- und Sonnenrechnung in Übereinstimmung gebracht,
und es folgten anhand der Beobachtung jene fantastischen Rechnungen, deren
berühmteste die Venusgleichung ist. Die 260 Tage des Tzolkin, die
365 des Sonnenjahres und die 584 des Venusdurchgangs fallen in einen Großintervall
von 37960 Tagen zusammen. Die Formel sieht so aus (nachdem 365 = 5 x 73
und 584 = 8 x 73 ist):
(Mond) 20 x 13 = 260 x 2 x 73 = 37960
(Sonne) 8 x 13 = 104 x 5 x 73 = 37960
(Venus) 5 x 13 = 65 x 8 x 73 = 37960
Dieser Reigen der heiligen Zahlen muß die Mayas aufs höchste
verwundert und entzückt haben. Die erste Multiplikation ergibt den
Tzolkin und seine Unterabteilungen, dann ordnen sich Sonne und Venus in
das System ein, und nach 37960 Tagen fallen alle Zyklen zusammen, und die
kosmischeu Götter gelangen zu dem "großen Rastplatz", wie die
Mayas es nannten, zum "lubay".
Für die kalendarischen Bedürfnisse numerierten sie die 18
uinals durchlaufend von 1 bis 19 und 0. Mit 0 begannen sie, weil in dem
inzwischen verfeinerten Zeitgefühl nur die verstrichene Zeit gezählt
wurde. Der erste Monat hieß passenderweise Pop: der Herrscher betritt
die Matte. Da es aber noch niemanden zu regieren gibt, ist der erste Tag
des Jahres 0 Pop. Vorausgegangen sind die fünf xma-kaba-kin, die Namenlosen.
Diese alterieren unser neukonstruiertes Sonnenjahr haab in keiner Weise:
die Uinals werden zwanzigmal durchgezählt (20 x 18 = 360), dann "ruht
das Jahr" fünf Tage, um wieder mit 0 Pop neu zu beginnen. Der rastlose
Tzolkin hat sich aber weiter gedreht: Wenn die Zählung x Imix 0 Pop
begann, so ist sie, wie wir sahen, weiter im zweiten Jahr 2 Kimi 0 Pop,
darauf 3 Chuén und 4 Kib mit 0 Pop.
Im fünften Jahr ist wieder Imix da – aber mit dem Zähler
5. Es müssen 73 Tzolkin und 52 Haab = 18980 Tage = 52 Jahre vergehen,
ehe wieder 1 Imix 0 Pop entstehen kann. Diese Rechnung nennt man heute
das Kalenderrad, der Maya-Ausdruck ist unbekannt. Es arbeitete vorzüglich,
erfüllte alle magischen und praktischen Bedingungen und war bis zur
Ankunft der Spanier im Gebrauch.
Indessen war man noch nicht zufrieden. Um in leicht hantierbaren, übersichtlichen
Zyklen arbeiten zu können, schuf man neben dem Kalenderrad die sogenannte
"Lange Rechnung". Man strich kurzerhand die lästigen xma-kaba-kin
und setzte ein Jahr zu 360 Tagen, Tun genannt, das wörtlich: Stein,
übertragen: Datumsstein, Zeitmarke bedeutet. Die Verbindung des Vigesimal-Systems
mit der Positionswerte verleihenden 0 ergab nun in rascher Folge riesige
Einheiten, einfach zu schreiben und zu verstehen. Während wir, der
arabischen Schreibweise folgend, die Positionswerte von rechts nach links
um je 10 erhöhen, staffelten die Mayas die Zwanzigerreihen von unten
nach oben.
Einfache Begriffe begleiteten die einfache Schreibweise: das Jahr war
Tún; 20 Jahre ein Katún; 400 Jahre ein Baktún.
Diese drei Zahlenzyklen eröffneten fortan in der Zeit des "Alten
Reiches" die Datumsinschriften, dann erst folgten die Namen und Ziffern
des Kalenderrads, die Glyphen der regierenden Herren der Nacht, Mond- und
Venusglyphen.
Für Rechnungen, wahrlich astronomischer Art, konnte man sich des
Pictún von 8000 Jahren, des Calabtún von 160000 Jahren bis
zum Alautún von 64 Millionen Jahren bedienen. Tatsächlich haben
wir Inschriften, die sich mit solchen Einheiten befassen; es gibt eine,
die wahrscheinlich über 400 Millionen Jahre läuft.
Trotz dieser praktischen Vorteile wird der Grund für die Erfindung
des Systems magischer Art gewesen sein.
Eric Thompson bemerkt dazu: "Ich neige dem Gedanken zu, die Periode
von 360 Tagen sei gewählt worden, weil die Mayas ein formelles Jahr
wünschten, das unveränderlich mit Imix begänne und mit Ahau
ende... Zudem regieren in einem Annäherungsjahr von 360 Tagen stets
dieselben Herren der Nacht dieselben Nächte in jedem Jahr." Unter
den vielen Belegen hierfür gibt es einen durch seine Einfachheit überzeugenden
Beweis. Der Tzolkin besteht aus einer Einheit von 20 uinák, die
dreizehnmal durchgezählt wurden und stets mit 13 Ahau schlossen. Nahm
man nun den katún von 20 Jahren als eine Einheit, sozusagen einen
Groß-uinák und zählte ihn dreizehnmal durch, so erhielt
man nicht nur einen "Sonnen-Tzolkin" von 260 Jahren – es fanden sich auch
beide Zyklen auf dem "Ruheplatz" ein. Mit anderen Worten: wenn ein
katún auf 13 Ahau endete, so folgte ihm nach 260 Jahren ein katún
53 Ahau. Dergleichen Kalenderumwälzungen werden, bei dem sakralen
Charakter der Materie, nicht ohne heftige Auseinandersetzungen geblieben
sein. In der Tat wissen wir aus historischer Zeit von Kontroversen zweier
Astronomenschulen des fünften nachchristlichen Jahrhunderts um die
genaue Monatsformel.
Von den Geburtskämpfen des Kalenders sprechen in mythologischer
Form die Bücher der Jaguarpriester, die Chilám Balám,
aus Yucatán. Dort heißt es, die Neungötter, bolón-ti-ku,
hatten die Dreizehngötter, oxlahun-ti-ku, bekämpft, besiegt und
"all ihrer Insignien beraubt". Ein Blick auf die drei Systeme zeigt, daß
dies übertrieben ist. Der Tzolkin wurde nie besiegt. Im Kalenderrad
sehen die neun Herren der Nacht grollend von den 5 überschüssigen
Tagen ab und überlassen sie gar der Urmutter Imix. Auch kann es kein
Zufall sein, daß die Glyphe des 13. "Monats", Mac, auf manchen Monumenten
und wiederholt im Codex Dresden als eine Kombination von Imix und Ahau
geschrieben wird.
Das ist eine offensichtliche Kompromißformel. Die eigentliche
"Versöhnungsformel", magisch-algebraisch ausgedrückt, möchten
wir in folgender Gleichung erblicken, die Thompson aufzeigte.
13 x 360 = 4680
18 x 260 = 4680
13 Tún ergeben 4680 Tage.
18 Umdrehungen des Tzolkin ergeben dasselbe.
In mythologischer Sprache heißt das: Wenn die 13 Herren des Tzolkin
sich mit dem Jahr der Neun Herren der Nacht verbinden; wenn die neun Paare
der Nachtherren (2 x 9 = 18) sich dem Tzolkin verbinden, so gelangen sie
alle zum gleichen Ruheplatz. Oder, als algebraisches Paradox: 18 = 13.
Kürzer und dunkler konnte sich auch Heraklit nicht ausdrücken.
Wir werden nun, nach Einsieht der Chrono-Magie, in der Lage sein, die
zaubrischen Verhältnisse unseres astro-agrarischen Mythos zu erkennen.
Vorspruch
des indianischen Erzählers * Weltschöpfung
* Tierschöpfung * Menschenschöpfung:
Menschen
aus Lehm * Menschen aus Holz
* Scheitern der Holz-Menschen-Schöpfung
Die
Heldentaten der göttlichen Zwillinge Chunachpu und Schb'alanq'e:
Wuqub'-Kaqisch
(Siebenpapagei) * Die
vierhundert Jünglinge * Sipakna
* Kabraqan
Der
Abstieg von Einsjäger
und Siebenjäger (Chun-Chunachpu und Wuqub-Chunachpu)
ins
Totenreich (Schib'alb'â),
ihre Prüfung, Opferung
und Metamorphose
Schkîk'
und der Jicara-Baum * Schwangerschaft,
Bestrafung, Rettung
durch die Eulen
Schkîk'
bei der Schwiegermutter, Prüfung
*
*
*
vgl.
die Schöpfungsmythen
im
Enuma Elisch,
in der Genesis,
in Hiob
38-42 in Hesiods Theogonie und Platons
Timaios
Hans
Zimmermann, Görlitz)
: 12 KÖRBE, Quellensammlung
: Popol Vuh (Poopol Wuuj)
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