Hans
Zimmermann, Görlitz)
: 12
KÖRBE, Quellensammlung : Popol Vuh (Poopol Wuuj)
Pôpol
Wûch
Originaltext
auf K'itschê'
gemäß der Edition von Sam Colop (1999), für deutschsprachige
Leser neu transliteriert
und
mit Recinos'
und Cordans Übersetzungen synoptisch parallelisiert durch Hans Zimmermann
(2008)
EL
POPOL VUH, LAS ANTIGUAS HISTORIAS DEL QUICHÉ, español: Adrian
Recinos (1947)
POPOL
VUH. Das Buch des Rates, deutsch: Wolfgang Cordan (1962)
Vorspruch
des indianischen Erzählers * Weltschöpfung
* Tierschöpfung * Menschenschöpfung:
Menschen
aus Lehm * Menschen aus Holz
* Scheitern der Holz-Menschen-Schöpfung
Die
Heldentaten der göttlichen Zwillinge Chunachpu und Schb'alanq'e:
Wuqub'-Kaqisch
(Siebenpapagei) * Die
vierhundert Jünglinge * Sipakna
* Kabraqan
Der
Abstieg von Einsjäger
und Siebenjäger (Chun-Chunachpu und Wuqub-Chunachpu)
ins
Totenreich (Schib'alb'â),
ihre Prüfung, Opferung
und Metamorphose
dazu
Cordans Erläuterungen, Deutungen
Wolfgang Cordan:
EINLEITUNG UND VERSUCH ÜBER DIE METHODE
DAS BUCH DES RATES gehört zu
den großen Schriften des Menschheitsmorgens. Daß es bisher
nur in Fachkreisen bekannt geworden ist, liegt zum Teil an seinem Charakter
eines Geheimbuches und den damit verbundenen, seltsamen Geschicken. Zum
anderen Teil liegt es aber an der Fachwissenschaft selbst. Die Abneigung
der Angelsachsen und Spanier, fremde Sprachen zu erlernen, hat sich auf
die gesamte Amerikanistik ausgewirkt. So sind alle früheren Ausgaben
unseres Epos im Text nahezu unverständlich, im Kommentar verworren.
Erst neuerdings gibt es eine sehr gute spanische Version von Adrian Recinos,
der mehrere Mayasprachen beherrschte. Diese Fassung wurde auch ins Englische
übertragen.
In deutscher Sprache gab es, außer einigen kläglichen Vorläufern,
nur die Übersetzung von L. Schulze-Jena. Auch diese versagt, aus Unkenntnis
der Sprache, an einigen ganz entscheidenden Stellen. Das Buch ist in den
Kriegswirren untergegangen und ohne Wirkung geblieben.
Wenn nach einem Wort Unamunos die Sprache das Blut des Geistes ist,
so leuchtet ein, daß man nicht mit einem Lexikon übersetzen
kann. Man muß unter den Mayas leben, ihr Wesen in Gesten und Tonfall
erlauschen, ihre Art zu denken erlernen. Wenn ein Maya sagt: »Mein
Herz ist trocken, takín kont‘on«, so ist das etwas wesenhaft
anderes als »Ich habe Durst«.
Indianisches Wesen überwältigt jeden aufgeschlossenen Sinn.
So gewann es den Reverendo Padre Francisco Ximénez, Cura Doctrinero
por el Real Patronato del Pueblo de Sto. Tomás Chichicastenángo,
del Sacrado Orden de Predicatores.
Francisco Ximenez kam 1688, erst vierundzwanzig Jahre alt, mit einer
Schiffsladung von Klerikern, wie er selbst sagt, nach Guatemala. Über
seine Eindrücke in der Neuen Welt schweigt er. Wir sehen ihn aber
alsbald als Novizen in Chiapas, wo er in der heute nach Fray Bartolomé
de Las Casas genannten Stadt zum Priester geweiht wurde.
Chiapas und Guatemala bildeten damals eine Verwaltungseinheit der spanischen
Krone. Der junge Padre Francisco wurde in mehreren Indianerdistrikten in
Guatemala eingesetzt, erlernte rasch verschiedene Mayadialekte und begann
für sich selbst mit Notizen über die Struktur der Mayasprache.
Im Jahre 1701 wurde er als Parochial nach Santo Tomás Chuilá,
in das heutige Chichicastenángo versetzt.
Die Unterwerfung des Landes, die Erdrosselung und Lebendverbrennung
der Fürsten war kaum 180 Jahre her, die Indios lebten in Frondienst,
wo nicht in offener Sklaverei. Padre Ximenez muß ungewöhnliche
Charaktereigenschaften besessen haben. Denn es geschah das Unerhörte:
man legte ihm den Text der »Maya-Bibel« vor. Nach einem Wort
des Cortés: »Acabar con el alma del Indio«, die Seele
des Indios auslöschen, hatten die Spanier in ganz Amerika systematisch
die Kulturträger, das ist die Fürstenhäuser und die Priesterschaft,
ausgerottet. Die Tempel wurden geschleift, die Götterbilder zerschlagen,
die heiligen Schriften verbrannt.
Man kann nach alledem ermessen, welchen Akt des Vertrauens es bedeutete,
wenn dem Ximenez Älteste der Gemeinde eine Handschrift ihrer heiligsten
Überlieferung zeigten.
Ximenez war ein guter Katholik und in den Begriffen seiner Zeit befangen.
Aber er war ebenso gefangen vom indianischen Wesen und hat seine Schäfchen
wohl als liebenswerte Kinder betrachtet, deren Nacht er durch das Licht
des Wortes zu erhellen hatte.
Sein Erstaunen beim Lesen des Quiché-Textes muß sich zur
Begeisterung gesteigert haben. Da gab es eine Weltschöpfung, wo die
Götter sagten: »Erde!« und es bildete sich die Erde. Da
gab es eine Sintflut. Da gab es den Raben, der ein neues Land zeigte. Da
gab es eine Meeresdurchschreitung wie die der Kinder Israels. Und da gab
es einen leuchtenden Stern, den Ximenez für den Stern Jakobs hielt,
da es ja nicht gut der Stern von Bethlehem sein konnte.
Wir können diese Versuche eines gläubigen Gemütes, einen
unerhört starken und in eindringlicher Sprache vorgetragenen Mythos
seinem Weltbild einzuordnen, um so bereitwilliger übergehen, als die
absurdesten Interpretationen unseres Buches bis zum heutigen Tage nicht
abreißen.
Ximenez hat den Text getreulich kopiert, doppelspaltig schreibend,
indem er dem links erscheinenden Quiché-Wortlaut rechtsspaltig seine
spanische Übersetzung beigibt. Danach reichte er das Original den
Besitzern zurück. Wir haben Anlaß, sein Vorhandensein in den
Händen einer altadligen Quiché-Familie noch heute zu vermuten.
Die Rückgabe dieses dämonischen Textes, der in die Hände
der Inquisition gehört hätte, wirft ein helles Licht auf die
moralische Qualität des Padre.
Was seine Übersetzung betrifft, so kann ich der seither erhobenen
Kritik nicht beipflichten. Er stand, ein Geisteskind des beginnendenden
XVIII. Jahrhunderts, ohne die Hilfsmittel moderner Reigionswissenschaft
und moderner Linguistik gegenüber einem fremdartigen, vielschichtigen
Mythos. Er kannte nicht einmal das Wort und den Begriff Mythos — er kannte
ja nur »die Wahrheit«. Aber er sprach besser Quiché
als irgendeiner von uns allen nach ihm, und er hatte die Liebe. Er hat
sich immer und immer wieder um den Stoff bemüht, und ich gestehe,
daß ich nicht ohne Rührung auf seine Korrekturen der ersten
Reinschrift blickte, die auf dem Bildschirm der Bibliothek in Guatemala
groß und deutlich erschienen. Ximenez hat seine erste Niederschrift
durchaus im Bewußtsein dessen, was er tat, zu Papier gebracht. In
Großbuchstaben steht auf der ersten Seite:
EMPIEZAN LAS HIS
TORIAS DEL ORIGEN DE LOS INDIOS DE
ESTA PROVINCIA DE GUATEMALA . . .
(Es beginnen die Geschichten vom Ursprung der Indios in dieser Provinz
Guatemala etc.)
Nach einem kurzen »Prologo« folgen fünf »Salutaciones«
in Quiché-Sprache, jedenfalls vom Padre verfaßt.
Und dann beginnt die »Präambel« des indianischen Erzählers
mit den seither berühmt gewordenen Worten, wiederum in Majuskeln:
ARE V XE OHER
tzih . . .
(Das ist die alte Überlieferung)
Auf der nächsten, der zweiten Seite des eigentlichen Textes fängt
dann die Schöpfungsgeschichte an:
ARE V TZIHOXIC VAE
(Das ist die Kunde . . .)
Und so läuft der enggeschriebene doppelsprachig-doppelspaltige
Text über 56 Seiten, wo er mit den bitteren Worten endet: »Xere
c’uri mi cutzinic chi conohel Quiché: so ist es denn mit allem in
Quiché zu Ende.«
Es folgen hierauf einige »Scholien zu den Ursprungsgeschichten
der Indios«, die der Verfasser Ximenez aber bald abbrach.
Padre Ximenez hat dann zweimal zu Grammatiken angesetzt. Die »Primera
Parte de el Tesoro de las linguas Cacchiquel, Quiché y Tzutuhil
en que las dichas lenguas se traducen en la nuestra espanola« ruht
als zweibändiges Manuskript in der Bancroft Library, Berkeley, California.
Die einbändige »Arte de las tres lenguas, Cacchiquel, Quiché
y Tzutuhil« befindet sich in der Newberry Library, Chicago. In diesem
Werk lag lose das Original des Popol Vuh, als es in diesem Jahrhundert
wiedergefunden wurde.
Am 30. April 1722 begann Ximenez, wie er selbst gewichtig notiert,
eine »Historia Natural del Reino de Guatemala«. Von dieser
ist nur der erste Manuskriptband auf uns gekommen. Er ruht in der Bibliothek
der Sociedad de Geografia e Historia de Guatemala.
Francesco Ximenez muß im Jahre 1730 verstorben sein, denn wir
wissen, daß ihm eine rangerhöhende Bestallungsurkunde aus Spanien
nicht mehr zugestellt werden konnte.
Damit schloß ein Mann aus jener Reihe aufrechter Priester die
Augen, als deren Symbol die Gestalt Bartolomé de Las Casas durch
die Jahrhunderte strahlt.
Infolge des Autodafés von Mani nach der Eroberung von Yucatán
sind nur drei alte Maya-Codices, nach abenteuerlichen Schicksalen, auf
uns gekommen. Man bezeichnet sie heute nach ihren Standorten Dresden, Paris,
Madrid. Alle drei sind reich bebildert, und fast alle Illustrationen unseres
Kommentarteiles stammen aus ihnen. Der Dresdener Codex enthält weitläufige
astronomische Berechnungen, Mond und Venustabellen. Die anderen beiden
sind Ritualbücher und Wahrsagealmanache. Meine Lesung der Begleittexte
zu den kalendarischen und astronomischen Rechnungen im Codex Dresdensis
erweist, daß jede Himmelsrechnung der Mayas mit Astrologie verknüpft
war.
Nun haben einige gebildete Mayas in Yucatán nach dem Zusammenbruch
versucht, in lateinischer Schrift, aber in Yucatán-Maya die Überlieferung
zu retten. Es entstanden so die offenbar nach einem Grundkonzept gearbeiteten
»Chilám Balám«, die Bücher der Jaguarpriester.
Ungleich an Umfang und Genauigkeit benennen wir sie heute nach den Fundorten
in Yucatán. Das bedeutendste dieser Bücher ist das Chilam Balam
von Chumayél, von dem yucatekischen Dichter Antonio Médiz-Bolio
1930 ins Spanische übersetzt. Es hat seither manche Neuauflage erlebt.
Eine vorzügliche, kommentierte Synopsis der »Libros de Chilam
Balam« hat A. Barrera Vasquez 1948 vorgelegt.
Es muß aber gesagt werden, daß diese Bücher Dokumente
des Zusammenbruchs sind. Stark von Christlichem durchsetzt, die Vorstellungen
beider Religionen zu einem wenig anziehenden Amalgam verschmelzend, unzusammenhängend
geschrieben, sich in den Datumslisten einer Kurzform bedienend, die Schwankungen
über mehrere hundert Jahre zuläßt, leisten sie wenig zum
Kulturstudium. Man versteht sie überhaupt nur, wenn man von anderer
Seite her über die Materie unterrichtet ist. So ist denn die Rettung
des Popol Vuh gar nicht zu überschätzen. Wir erhalten in diesem
einen vollständigen Einblick in das, was für die Maya die Welt
als Wille und Vorstellung war.
Wir erleben eine mehrfache Weltschöpfung und Weltzerstörung.
Wir ziehen mit den göttlichen Zwillingen Hunahpú und Ixbalanqué
über Berge und Flüsse, wenn sie wie Herakles und Theseus das
Angesicht der Erde von Ungeheuern reinigen. Wir erleben den Kampf der Heroen
mit den Herren der Unterwelt, ihren freiwilligen Opfertod, ihre Fischverwandlung,
das Maiswunder und ihre hermaphroditische Himmelfahrt, die letzte Metamorphose
in Sonne und Mond.
Auf diesen großartigen und an vielen Stellen erschütternden
Mythos folgt in leicht sagenhaftem Gewand die Beschreibung der Herkunft
und der Staatsgründung der beiden Hauptstämme: der Quichés
und der Cakchiqueles. In diesem zweiten Teil treten sprachlich und kulturell
starke toltekische Einflüsse auf, über die im Kommentar zu handeln
ist. Im ersten Teil, der auch in reinerem Maya verfaßt steht, dürfen
wir eine Urüberlieferung sehen. Es ist daher genauso sinnlos, nach
dem »Verfasser« des Popol Vuh suchen zu wollen wie nach dem
Sänger des Gilgamesch-Epos.
Das Popol Vuh wird auf Bildtafeln aus Holz oder Hirschfell festgehalten
worden sein. Diese Bildfolgen dienten als Gedächtnisstütze für
einen auswendig zu lernenden Text. Der Leser wird im ersten Teil rhythmische
Stellen und im zweiten Teil sogar etwas wie ein Lied finden. Vor der Unterwerfung
sangen die Indios, erst seither verstummten sie.
Man wird den Text in den ersten Jahren der Niederlage in lateinischen
Buchstaben festgelegt haben. Eine solche Niederschrift, die höchstwahrscheinlich
nicht die einzige war, hat Padre Ximenez vorgelegen. Das Glück und
in nicht geringem Maße die Emsigkeit eines französischen Abbés
des vorigen Jahrhunderts, Charles Etienne Brasseur de Bourbourg, hat uns
eine weitere Reihe indianischer Schriften erhalten, die das Popol Vuh bestätigen
und mitunter ergänzen.
Da ist der, wie das Popol Vuh, in Quiché-Sprache geschriebene»Titulo
de los Senores de Totonicapán«. Als Mitverfasser tritt im
Text namentlich ein Diego Reynoso auf, der sich den Sohn von Lahuh Noh.
(Zehn Erdkraft) nennt und einen hohen Titel, Popol Uinak, führt. Durch
Padre Ximenez und den unbekannten Autor der »Isagoge Histórica
Apologética de las Indias Occidentales« (1711) sind wir über
diesen Diego unterrichtet.
Er war bei der Zerstörung der Quiché-Hauptstadt Cumarcáah
Utatlán 1524 dabei und ist um 1541 in der Umgebung des Bischofs
Marroquin nachgewiesen, der das neue Quiché-Santa Cruz eingeweiht
hatte.
Das Manuskript von Totonicapán stellt sozusagen eine Kurzform
des Popol Vuh dar. Immerhin verdanken wir ihm eine wichtige Ergänzung.
Bei dem Versuch, den Gott Tohil mit zwei Begleitern durch schöne Mädchen
verführen zu lassen, fehlt im Popol Vuh die dritte Sirene. Diese Szene
ist nach dem Manuskript von Totonicapán zu ergänzen.
Wichtiger sind die »Annalen der Cakchiqueles«, auch »Memorial
von Sololá« genannt. Sololá ist die heutige Hauptstadt
der Cakchiqueles. In flüssigem Cakchiquel geschrieben, lebhaft und
voller Anekdoten, bestätigt dieses Werk alles Wesentliche des Popol
Vuh und gibt darüber hinaus recht genauen Aufschluß über
die Quiché-Geschichte der letzten hundert Jahre vor den Spaniern,
die, als nicht sehr rühmlich, im Popol Vuh mit Schweigen oder Allgemeinheiten
übergangen wird.
Die beiden Manuskripte sind heute in einer schön ausgestatteten,
reich kommentierten Ausgabe jedermann zugänglich: The Annales of the
Cakchiquels. Translated from die Cakchiquel Maya by Adrian Recinos and
Delia Goetz. Title of the Lords of Totonicapan. Translated from the Quiché
Text into Spanish by Dionisio José Chonay. English Version by Delia
Goetz. Beide in einem Band: University of Oklahoma Press, 1953.
Adrian Recinos hat dann noch unter dem Titel »Cronicas Indigenas
de Guatemala« (Editorial Universitatia, Guatemala 1957) eine Reihe
von Dokumenten in Quiché und Spanisch veröffentlicht, die sich
im wesentlichen auf die Familiengeschichte der beiden großen Häuser
Tamub und Nihaib beziehen und den abrupten letzten Teil des Popol Vuh in
wünschenswerter Weise ergänzen.
Die Werke des Ximenez verschwanden in den Klosterbibliotheken. Der
unbekannte Zeitgenosse des Padre und Verfasser der »Isagoge Historica
Apologética« macht eine Anspielung auf das Manuskript von
Chichicastenango; und der Ende des XVIII. Jahrhunderts eine »Historia
de la Creación del Cielo y de la Tierra« schreibende Kanonikus
Ramon de Ordonez y Aguiar nimmt einiges in sehr freier Form – so die Erzählung
von Sieben Papagei – aus der zweiten Übersetzung des Ximenez in der
»Historia de la Provincia de San Vicente de Chiapa y Guatemala«,
wie er selbst angibt.
Dann brachen die lateinamerikanischen Befreiungskriege aus und, infolge
der Parteinahme der Kirche für die spanische Krone, die Kirchenverfolgungen.
Erst Mitte des Jahrhunderts beruhigten sich in Guatemala die Gemüter,
und es erfolgte unter anderem eine Revision der verstreuten Bibliotheksschätze.
Hierbei zeichnete sich ein Don J uan Gavarrete aus.
Aus Paris machte sich ein Abbe Brasseur de Bourbourg zur indianischen
Welt auf Er verblieb zunächst längere Zeit in Mexiko, lernte
Náhuatl und sammelte alte Dokumente. Nach Guatemala kam, novarum
rerum cupidus, ein Dr. Carl Scherzer aus Wien. Von 1853 bis 54 blieb er
in Zentralamerika. In Guatemala war ihm Don Juan Gavatrete sehr behilflich.
Bei der vergeblichen Suche nach den ersten beiden Binden der »Historia
de la Provincia de San Vicente de Chiapa y Guatemala«, deren dritter
Band in der Universitätsbibliothek stand, stießen sie auf des
Ximenez »Arte de las tres lenguas«, der hinten die »Historias
del origen de los indios de esta provincia de Guatemala« beigefügt
waren, also das »Original« des Popol Vuh.
Scherzer publizierte den spanischen Text 1857 in Wien und später
auch in London, eine Ausgabe, die schon wegen ihrer zahllosen Abschreibeirrtümer
nebst Druckfehlern niemand bewegen konnte.
1851 kam Brasseur de Bourbourg nach Guatemala und schloß sogleich
Freundschaft mit Juan Gavarrete. Voller Eifer stürzte er sich in das
Studium der zahlreichen Handschriften. Die Bedeutung des Manuskriptes von
Chichicastenango erkannte er sofort. Er besann sich auf seinen Abbe-Titel
und ließ sich vom Erzbischof in das damals 7000 Seelen zählende
Rabinal versetzen, um Quiché zu erlernen. Dort hat er nicht nur
das Popol Vuh übersetzt, sondern auch aus dem Nichts, d.h. aus den
Köpfen seiner Pfarrkinder den Text des Tanz- und Musikdramas »Der
Held von Rabinal« gezaubert, das kürzlich in deutscher Übersetzung
erschien.
Der Abbé hat sich auch nach San Juan Sacatepéquez versetzen
lassen, um sich im Cakchiquel für die Übersetzung der »Annalen
der Cakchiqueles« zu üben. Auch diese nämlich hatte ihm
der getreue Gavarrete verschafft.
1861 erschien in Paris in würdiger Ausstattung: Popol Vuh. Le
Livre Sacré et les mythes de l‘antiquité américaine.
Das Werk erregte sogleich beträchtliches Aufsehen. Einen häßlichen
und ganz gegenstandslosen Prioritätsstreit Scherzers können wir
übergehen, desgleichen gewisse Absonderlichkeiten Brasseurs im Kommentar:
schon Ximenez hatte Palästina in seine Vergleiche gezogen, der Verfasser
des »Isagoge« dann Babylon; seither sind die Ägypter,
die Wikinger, ja die auf der Flucht aus Ägypten verlorengegangenen
Stämme Israels mit den Mayas zusammengebracht worden.
Wohl aber ist auf eine Verwirrung einzugehen, die der Abbé bewußt
gestiftet hat. Er behauptete nämlich, in Rabinal von einem vornehmen
Indio »das Original des Popol Vuh« gekauft zu haben. Dieses
Original hat er nie näher beschrieben, und es ist auch nicht in seinem
Nachlaß gefunden worden. Vielmehr befindet sich in der Nationalbibliothek
in Paris Brasseurs Abschrift des zweisprachigen Ximenez-Textes und der
»Arte de las tres lenguas«. Mit diesen Hilfsmitteln hat der
Abbé in Rabinal seine Übersetzung gemacht. Erst später
hat ihm Gavarrete den Band überlassen, und um seinen Freund zu decken,
hat sich Brasseur der frommen Lüge bedient. Recinos ist dem allen
nachgegangen und hat das im Vorwort zur Morley-Recinos-Ausgabe des Popol
Vuh ausführlich dargelegt.
Auf der Pariser Auktion des Brasseur-Nachlasses vom 28. Januar bis
zum 4. Februar des Jahres 1884 – ein anderes Katastrophendatum der Mayageschichte
– erwarb der amerikanische Gelehrte Brinton das Manuskript von Sololá.
Der Rest ging in alle Winde. Das Ximenez-Manuskript des Popol Vuh blieb
verschollen.
Alle seitherigen Ausgaben stützten sich daher auf des Abbés
ureigenste Umschreibung des Quiché-Textes nach Ximenez. Während
des zweiten Weltkrieges war Recinos Botschafter Guatemalas in Washington.
Die ihm verbleibende Muße benutzte er zu Bibliotheksstudien. Dabei
stieß er 1941 in der Newberry Library, Chicago, auf die »Arte
de las tres lenguas« und in ihr die »Historias«, will
sagen: das Popol Vuh des Ximenez.
Recinos hat in den folgenden Jahren die Übersetzung und den sehr
sorgfältigen Kommentar fertiggestellt und gab 1947 in Buenos Aires
und Mexico seine klassisch gewordene Ausgabe ans Licht: Popol Vuh. Las
historias antiguas del Quiché.
1950 folgte die Herausgabe des »Memorial de Solalá«
(Mexico) und im gleichen Jahr in Oklahoma die englische Version des Popol
Vuh zusammen mit Sylvanus G. Morley und Delia Goetz.
Wir haben unseren Text an Hand eines Mikrofilms überprüft,
der das Manuskript der Newberry Library enthält und dessen erste Textseite
wir wiedergeben. Der Vergleich mit anderen Handschriften des Padre in der
Nationalbibliothek zu Guatemala zeigt, daß unser Text von der Hand
des Padre stammt. Wir wissen heute, daß ein gewisser Edward E. Ayer
in Europa Dokumente zur amerikanischen Geschichte erwarb und daß
seine Sammlung in die Newberry Library überging. Der Weg von Chichicastenango
über Guatemala und Paris nach Chicago ist also klar.
1955 erschien noch in Quetzaltenango eine bilingue-Version von Dora
M. de Burgess Litt. D. y Patricio Xec. Der eigentlich verantwortliche Herausgeber
ist aber Paul Burgess, ein protestantischer Missionar, der fünfzig
Jahre unter den Quichés lebte und die Sprache fließend beherrschte.
Überblicken wir noch einmal, was uns im Mayabereich außer
dem Popol Vuh für die Ergründung des religiösen Denkens
an Hilfsmitteln zur Verfügung steht, so sehen wir, daß wir ausschließlich
von spanischen Quellen abhängen. Denn die »Chilám Balám«-Schriften
sind Ruinen und die »Annalen« der Cakchiqueles sind in Bezug
auf Dinge des Ritus und des Glaubens, in offenbarer Furcht vor der Kirche,
sehr zurückhaltend. Es bleibt also nur der Weg, bei noch unberührten
oder intakten Stämmen die Glaubensformen zu studieren und von daher
auf die Vergangenheit rückzuschließen.
An anderer Stelle haben wir gezeigt, daß die Stämme in Chiapas
die großen Holzkreuze vor und in den Dörfern am Langschaft so
markieren, daß sich das gleichschenklige Mayakreuz wiederherstellt.
Den magischen Korrekturpunkt pflegen sie mit darüber gebundenen Palmen
oder Fichtenzweigen zu verdecken. Der »Herr Heiliges Kreuz«,
wie man Christus heute umschreibt, ist also der Herr des Mittelpunktes
im universalen Kreuz der Maya-Welt. Er heißt in Yucatán: Ah
can tzicnál, d.i. Der Herr der vier Weltenden.
In dem Ort Atitlán, zwischen Vulkan und See gleichen Namens,
gibt es nun ein auseinandernehmbares Idol, das eingehüllt in einem
Versteck liegt und nur zur Osterwoche hervorgeholt und zusammengesetzt
wird, »damit die Welt wieder ganz sei«. Dieses Idol heißt
»Maximón«, was doch wohl von Deus maximus abgeleitet
sein dürfte.
Die eigentümliche Verbergung des Gottes führt uns zu einem
rituellen Urelement aller Indios der nördlichen Hemisphäre.
Im zweiten Teil des Popol Vuh, dem historischen, hinterlassen die Erzväter
nach Stiftung der Religion und Stammesordnung bei ihrem Weggang ein verschnürtes
Bündel. Sein Name »Pisóm K‘ak‘ál« meint
»Verhüllte Kraft«. Wir wissen, daß das magische
Bündel der Cakchiqueles einen schwarzen Obsidianstein enthielt. Das
verschnürte Lederbündel mit magischem Inhalt ist als wichtigster
Stammesbesitz bei den nordamerikanischen Indianern, vor allem bei den Bisonjägerstämmen
bekannt.
Um an dieser Stelle die religionsgeschichtlichen Vergleiche nicht zu
weit zu führen, wollen wir uns mit der Erklärung begnügen,
daß die»Geheime Kraft« über der ungeheuren Schar
von Erdgeistern waltet. Nach indianischem Denken hat jedes Ding seinen
Herrn (ah choc). Nicht nur Bäume und Bäche haben ihre Dryaden
und Nymphen, jeder Stein, ja jeder Kunstgegenstand, wie eine Axt, ein Grabstock,
hat seinen Herrn. Und genau wie für die katholische Kirche hatte jeder
Mayatag des Kalenders seinen Regenten, nur die letzten fünf Tage des
Jahres – die in einer bequemen Rechnung in Zyklen nicht aufgingen – waren
ohne Patron. Da waren nun sozusagen alle Geister losgelassen. Damit aber
die Welt nicht aus den Fugen ging, erbarmte sich eine hohe Gottheit dieser
fünf Tage: es war der uralte Schöpfungsgott Mam, hermaphroditisch
wie die meisten Urgötter. Er hielt die Geisterwelt im Zaum, bis die
anderen Zeitgötter ihr Werk wieder willfährig trieben, und vertritt
sinngemäß, da die Mayas auch die Zahlen als Götter auffaßten,
die Zahl 5. Die Glyphe für diese Zahl zeigt einen alten Menschenkopf,
den man als Greis oder Greisin auffassen kann; die Muschelelemente des
Kopfschmuckes weisen die Darstellung im Rahmen unseres Popol Vuh als die
Sonnenahnin und Urmutter, als Ixmucané aus. Sie beherrscht in manchen
Verwandlungsformen den ganzen ersten Teil unseres Buches.
Etwas vollständig anderes als die »ah choc« sind die
»náguales«, von denen das Popol Vuh erfüllt ist.
Nágual ist die Tierform, in der sich ein Gott zu zeigen pflegt.
Die Urmutter Ixmucané bevorzugt im Popol Vuh die Gestalt des Dachses;
das einzige Mal, daß ihr Mann Ixpiyacóc in einer wichtigen
Rolle auftritt, erscheint er als Opossum.
Jeder Mensch hat nun seinen Nágual, seinen Schutzgeist, der
von dem Tag der Geburt abhängt. Personen gleichen Náguals dürfen
nicht heiraten. Die Weltauffassung der Mayas ist von dem Dualismus, besser
gesagt: der Polarität von Himmel und Erde beherrscht. Es gibt daher
eine Himmel-Sonnen-Reihe von Náguals: der Adler, der grünfedrige
Quetzalvogel, der Truthahn, alle Papageienarten, vor allem der große
feuerrote Guacamaya, der Sonnenvogel schlechthin, und der Falke.
Zur Erdreihe gehören: Affen, Schlangen, Frösche, Fische,
Schildkröten, Fledermäuse und Bienen. Da das »Buch des
Rates« der Mythos einer Agrargemeinschaft ist, werden wir die Tiere
der zweiten Reihe an jedem entscheidenden Punkt unseres Weges treffen.
Die Opferkulte nun verlangten, daß einer Gottheit die Tiere der
Gegenreihe geopfert wurden, da man ja nicht den eigenen Nágual des
Gottes töten kann. Bei Menschenopfern galt dasselbe Prinzip: dem Sonnengott
konnte nur ein Fledermaus-Mann, dem Erdgott nur ein ah tulúc, ein
Truthahn-Mann, geopfert werden. Da der Mythos nicht erklärt, sondern
das Wesen der Welt in Bildern zeigt, geschieht in einer grandiosen Szene
unseres Buches das magische Selbstopfer der göttlichen Sonnenjünglinge
Hunahpú und Ixbalanqué im Schattenreich der Erde, in Xibalbá,
dem Hades der Mayas.
Damit sind wir unversehens in die Interpretation getreten. Wir haben
uns aber, nach der Übersicht auf unsere Hilfsmittel, die entscheidende
Frage zu stellen: Wie sollen wir interpretieren?
Es gibt dem Mythos gegenüber drei Verhaltungsweisen. Man kann
ihn wörtlich glauben. Man kann ihn symbolisch oder mystisch verstehen.
Man kann ihn rationalistisch zerlegen.
Dem frühen Menschen, das heißt dem Menschen im Klima einer
Religionswerdung, stellt sich nicht einmal die Frage des Glaubens. Die
Dinge der allbeseelten Welt sind im Grunde vertauschbar, alles kann sich
in alles verwandeln, es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen
Pflanze, Tier und Mensch. Die Götter können sich selbstverständlich
in alles verwandeln. Vom Priester-Zauberer nimmt man das gleiche an. Der
gewöhnliche Mensch vollbringt das nur im Traum. Aber da in jener Geisteslage
Traumwelt und Tageswelt ihrerseits nicht unterschieden werden, ist der
Mann im Traum wirklich Gürteltier, Bison oder Affe und fühlt
sich auch am Tage als ein solcher. Lévy-Bruhl hat hierzu sehr viel
Material aus allen Erdteilen gesammelt und definierte diese Geistesstufe
als prälogisch. So wird sich ein Stamm, der sich nach einem Fisch
nennt, gegen jede Erklärung symbolischen Sinnes sträuben, er
versteht das gar nicht und antwortet: »Nein, wir sind Fische!«
Feste solcher Stämme stellen mit ihren Geister- und Götteranrufungen
und den Tänzen ein Nachspielen der Weltordnung auf besonderer, eben
festlicher Ebene dar, und die dabei entstehende Beglückung, der Rausch
ist etwas grundsätzlich anderes als die einsame Ekstase des Mystikers
unter dem Mangobaum. Es ist ein kollektiver Rausch über die ungeteilte
Welt. Die Ekstase des Einzelnen ist eins mit der Gruppe, er ist Teilnehmer
in der Gemeinschaft und durch sie Teilnehmer an der Welt.
Lévy-Bruhl hat hierfür den Begriff der Partizipation geprägt.
Nur auf diesem prälogischen Seinsgrund erblühen die Mythologeme.
Und indem wir alle, in welchem weitgetriebenen Stande der Ratio wir auch
immer leben, dieses Erlebnis der Urväter zumindest in unseren Träumen
mit uns führen, so wie wir ja auch im Mutterleib die Schöpfungsphasen
vom Plasma über das Fischwesen bis zur Menschenform durchlaufen; weil
wir alle an dem teilhaben, was C. G. Jung das »kollektive Unterbewußte«
genannt hat, so sollten wir, um unsere Forderung hier anzumelden, dem Mythos
auf der ihm gemäßen Stufe entgegenzutreten in der Lage sein.
Wenn der Traum eine in sich verknüpfte Themenkette kennt, aber
keine »vernünftiglogische« Entwicklung, wenn Widersprüche
ohne Bedeutung sind, da sie sich in einem Gesamtbild gegenseitig aufhehen,
so gilt das gleiche für den Geist des mythenschaffenden Menschen.
Daß es diesen Geist nicht mit den Maßen unseres logisch-rationellen
Geistes zu beurteilen gilt, hat Léy-Bruhl mit großer Schärfe
herausgearbeitet. Daran ändert ein später Widerruf nichts.
Die antiken Religionen sind im Mausoleum des Geistes beigesetzt und
jeder im tiefsten Sinne unfrommen Interpretation ausgeliefert. So etwa
die Methode, Götter, Göttererscheinungen, Wunder aus Naturphänomenen
zu erklären.
Die Griechen, die ja im Guten wie im Schlechten die Grundlage unserer
europäischen Kultur gelegt haben, haben auch diese Variante durch
einen gewissen Euhemeros schon vorgespielt. Leo Frobenius nannte einen
so behandelten Urtraum eine »NichtMythe«.
Es wird von einem Heutigen nicht verlangt, Kastor und Pollux, Hunahpú
und Ixbalanqué »zu glauben«, wohl aber wird die Anstrengung
gefordert, sich in die Geistesverfassung der Mythenzeit zu versetzen und
von daher die Uraussage zu verstehen. Die Interpretation kann nur aus dem
Geiste des Mythos geboren werden Erklärungen oder gar Werturteile
von einer grundsätzlich anderen Geisteswelt her sind unerlaubt.
Als Leitfaden für unsere eigenen Bemühungen an dem vorliegenden
Werk möchten wir Kerényis seither berühmt gewordene Formulierungen
zum Wesen des Mythos hierhersetzen. Sie stehen in der Einleitung des Gemeinschaftswerkes
»Einführung in das Wesen der Mythologie« von C. G. Jung
und K. Kerényi (4. Aufl., Zürich 1951).
»Bei einem echten Mythologem ist der Sinn nicht etwas, was auch
unmythologisch ebenso gut und ebenso voll ausgedrückt werden könnte.
Mythologie ist keine bloße Ausdrucksweise, an deren Stelle auch eine
andere, einfachere und verständlichere hätte gewählt werden
können . . .
Wie die Musik auch einen sinnvollen Aspekt hat, der auf dieselbe Weise
befriedigt, wie eine sinnvolle Ganzheit befriedigen kann, ebenso jedes
echte Mythologem. Dieser Sinn ist deshalb so schwer in die Sprache der
Wissenschaft zu übersetzen, weil er nur auf mythologische Weise völlig
ausgedrückt werden konnte.
Aus diesem bildhaft-sinnvoll-musikalischen Aspekt der Mythologie ergibt
sich als richtiges Verhalten zu ihr: die Mythologeme für sich reden
lassen und einfach hinhören. Die Erklärung hat dabei auf derselben
Linie zu bleiben wie die Erklärung eines musikalischen oder höchstens
eines dichterischen Kunstwerkes . . .
Die Mythologie singt wie der abgeschnittene Kopf des Orpheus auch noch
in ihrer Todeszeit, auch noch in der Ferne weiter. In ihrer Lebenszeit,
bei dem Volk, bei dem sie heimisch war, wurde sie nicht nur mitgesungen
wie eine Art Musik: sie wurde gelebt . . .
Das Leben [des antiken Menschen] fand auf diese Weise seinen eigenen
Ausdruck und Sinn. Die Mythologie seines Volkes war für ihn nicht
nur überzeugend, das heißt sinnvoll, sondern erklärend,
das heißt sinngebend.«
Auch der abgerissene Kopf des Jungen Maisgottes singt weiter. Aber
er singt in einer fremden Sprache und von einer fernen Welt. Nicht einmal
die Pflanzen und Tiere dieser Welt kennt Europa. So war es unumgänglich,
in einem ausführlichen philologischen Kommentar unsere Übertragung
zu rechtfertigen.
Eine Arbeit wie diese bedarf mannigfacher Hilfen. Von den gelehrten
Stützen sind im Anhang diejenigen aufgezählt, die während
der Arbeit um den Schreibtisch am Lago Atitlán standen und lagen.
Anderes ist im Kommentar erwähnt. Das handschriftliche Lexikon von
Herman Prowe, vieles anonym in die Arbeit eingegangene Material und viele
Ratschläge verdanke ich Frau Dr. phil. Elisa Réty de Jacobsthal,
Guatemala, die mich recht eigentlich zu dem Unternehmen nötigte.
Mein Freund Peter Seigman in New York hat die Arbeit mit allen Vor-
und Nebenstudien und die Monate der Niederschrift in nobler Weise unterstützt,
nachdem schon sein Vater Hans Seligman, Bankier zu Basel, manchen Aufenthalt
bei den Lacandonen ermöglichte. Don Car1os Samayoa Chinchilla, Direktor
des Instituto de Antropologia e Historia de Guatemala, und Don Francisco
Gall von der Direccion del Instituto cartografico habe ich die Beschaffung
des Mikrofilmes vom Ximenez-Manuskript mit der Klärung mancher Fragezeichen
zu danken.
Leser und Darbieter stehen hier vor einem großen Mysterium. Vor
der Preisgabe – und ich gestehe ein Schuldgefühl – stehen wir beide,
Publikum und Aufschlüßler; vor der noch unvollkommenen Lichtwerfung
auf wahres Dasein in einer runden Welt.
Ich habe in meinen Mitteilungen über die letzten unberührten
Mayas, die Lacandonen, vieles verschwiegen. Hier habe ich gesagt, was ich,
mit allen Hilfsquellen, weiß. Und es ist so wenig. Aber es erhellt
eine Welt, in der der einzelne nicht in ein gleichgültiges Schicksal
geworfen, sondern in eine harmonische Welt eingegliedert ist. Mit Opossum,
Gürteltier, Sternstunde, Schwarzstunde und allem. Es ist der Bericht
von einer Welt, in welcher weder die Götter noch die Menschen in atomische
Rauchpilze zerblasen, sondern zu einer metaphysisch-physikalischen Ordnung
gebunden sind. Wo nicht nur die Menschen, sondern auch die Ideen in einer
Gemeinschaft verwoben sind. Wo das Ich nur im goldenen Koordinatensystem
einer prästabilisierten Ordnung Freiheit hat.
Der moderne Mensch scheint nur noch in kollektiven Massenhysterien
eines ebenso flüchtigen wie verderblichen Gemeinschaftsgefühles
fähig zu sein. Sein eigenes Ich ist längst atomisiert. Er kann
nur noch fusionieren.
Die organische Natur ist anders. Anders sind die gewachsenen Kulturen.
Ein jüngst verstorbener Dichter unserer Zeit hat formuliert: »Das
Ich ist eine späte Stimmung der Natur.« Aber die Natur kennt
keine ablaufenden Zeiten. Sie hat Vor- und Rückgriffe jeder Art. Über
die Zerspaltung der Materie lächelt sie. Für die Zerspaltung
der Seele zum einsamen Ich hat sie Remedien.
Vielleicht können wir uns mit einem Gesang aus Gemeinschaftszeiten
in eine Gemeinschaft naturhafter, nicht-mechanischer Art zurückträumen.
Womit der Traum dem asklepischen Heilschlaf im Tempel gleichkommt.
Und wenn man ein Buch, wie das dem Leser bevorstehende, überhaupt
widmen kann, so darf es nur jenen gelten, die durch ihre Sprache beweisen,
an sehr alten, heilkräftigen und zerstörungsmindernden Überlieferungen
zu hängen, kurz jenen, die noch die Sprache des Popol Vuh sprechen:
Ve Popol Vuh ri yaóm che ronohel vinac
re ri ch‘abal Quiché riqui Cakchiquél.
5 r‘ahilabál ik Febréro ruc hunáh 1962
Panajachél (Atitlán), Wolfgang Cordan
hier
weiter zum Pôpol Wûch
Originaltext
auf K'itschê' gemäß der Edition von Sam Colop (1999),
für deutschsprachige Leser neu transliteriert
und
mit Recinos'
und Cordans Übersetzungen synoptisch parallelisiert durch Hans Zimmermann
(2008)
EL
POPOL VUH, LAS ANTIGUAS HISTORIAS DEL QUICHÉ, español: Adrian
Recinos (1947)
POPOL
VUH. Das Buch des Rates, deutsch: Wolfgang Cordan (1962)
Vorspruch
des indianischen Erzählers * Weltschöpfung
* Tierschöpfung * Menschenschöpfung:
Menschen
aus Lehm * Menschen aus Holz
* Scheitern der Holz-Menschen-Schöpfung
Die
Heldentaten der göttlichen Zwillinge Chunachpu und Schb'alanq'e:
Wuqub'-Kaqisch
(Siebenpapagei) * Die
vierhundert Jünglinge * Sipakna
* Kabraqan
Der
Abstieg von Einsjäger
und Siebenjäger (Chun-Chunachpu und Wuqub-Chunachpu)
ins
Totenreich (Schib'alb'â),
ihre Prüfung, Opferung
und Metamorphose
dazu
Cordans Erläuterungen, Deutungen
Anhang:
Edition
des K'ichê'-Originals (gemäß Sam Colop 1999) in der "spanischen"
Transliterations-Version
vgl.
die Schöpfungsmythen
in
der Genesis, in Hiob
38-42 in Hesiods Theogonie und Platons
Timaios
im
Popol Vuh und im Enuma elisch
und
in der indischen Philosophie (Sâmkhya) und in den vedischen Schöpfungs-Konzepten:
Rgveda
X,129: nâsad âsin no sad âsît 10,129
Rgveda
I, 164,46, das
ekam (das "Eine") im großen Rätsellied
Bhâgavad-Gîtâ
Yoga-Sûtras
Paul
Deussen: Sechzig Upanishads des Veda
Paul
Deussen: Vier philosophische Texte des Mahâbhârata:
Bhrgu-Bharadvâja-samvâda
* Manu-Brhaspati-samvâda
* Shukânuprashna
Shukânuprashna
(Sanskrit / dt.übers. und komm. H. Zimmermann)
Schöpfungs-Erzählung
in der Manusmrti, Kapitel 1 (Sanskrit / dt. Hans
Zimmermann 2024)
"vier
Weltalter"
*
* * * *
* *
Hans
Zimmermann, Görlitz)
: 12
KÖRBE, Quellensammlung : Popol Vuh (Poopol Wuuj)
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