Hans
Zimmermann, Görlitz
: 12 KÖRBE: Quellen zum Weltbild des
Mittelalters
Das
Heilige Grab
in Görlitz
mit
der
Kapelle
Zum Heiligen Kreuz:
Adamskapelle
(Unterkapelle) und Golgathakapelle
(Oberkapelle)
durch
Georg Emmerich zwischen 1481 und 1504 nach
seiner Sühne-Pilgerfahrt (1465)
-
bzw. nach Agnete Fingers Jerusalemreise 1476
-
als
Kopie des Heiligen Grabes in Jerusalem erbaut
"Originaler
als das Jerusalemer Original" – dieses dem Heiligen Grab in Görlitz
gern zugesprochene Attribut meint den Sachverhalt, daß die Grabkapelle
in Jerusalem seit dem Zeitpunkt, wo Georg Emmerich
sie nach seiner (oder Agnete Fingers) Pilgerfahrt
in Görlitz hat nachbauen lassen, durch Feuer beschädigt (1555)
und später neu – mit Veränderungen entsprechend dem damaligen
Zeitgeschmack – wieder aufgebaut worden ist (1808). Der mittelalterliche
Zustand von den Kreuzfahrerzeiten bis ins 16. Jahrhundert ist an der Görlitzer
"Kopie" folglich eher abzulesen als an der überarbeiteten Fassung
in Jerusalem.
Dazu
kommt, daß nicht nur das "Grab" selbst, sondern auch die Kapelle
Zum Heiligen Kreuz mit der Golgathakapelle
(Oberkapelle) und der Adamskapelle
(Unterkapelle) – allerdings ohne die Überbauung durch eine alles überwölbende
Grabeskirche wie in Jerusalem -, ja daß sogar die umfassendere landschaftliche
Situation mit dem "Ölberg" gegenüber und dem zwischen beiden
Anhöhen eingeschnittenen "Kidrontal" in der Görlitzer Anlage
nachgebildet bzw. in das entsprechende Landschaftsrelief und seine Lage
zur Stadt hineingelegt, hineingeschrieben und hineingedeutet worden ist,
so daß der Kreuzweg, der jeden Karfreitag in Görlitz von der
Peterskirche bis zum Heiligen Grab gegangen wird, und das Empfinden des
Besuchers die Passions-, Begräbnis- und Auferstehungs-Chiffre der
Evangelien und der litararisch dem alten Jerusalemer Programm zugrundeliegenden
"Schatzhöhle" (einer syrischen Bibelparaphrase
aus der Schule Ephraims des Syrers) sowie des darin enthaltenen apokryphen
Adambuchs hier sinnenfällig nachziehen, herauslesen und auslegen kann.
Das
Grab selbst entspricht in Gliederung und Ausrichtung – Eingang im Osten,
innere Kammer im Westen – dem Salomonischen Tempel, der selbst die steingewordene
Stiftshütte des mosaischen Gesetzes darstellt: Durch einen Vorraum
("Heiliges"), in dem seit der Barockzeit ein österlicher Verkündigungsengel
aufgestellt ist, gelangt man in das "Allerheiligste", die eigentliche Begräbnisstätte
des Grabes, die durch ihr Leersein wie der leere Kokon des Schmetterlings
die Auferstehung anzeigt. Die
Eingangsfront ist mit markanten "Siegeln" besetzt, entsprechend dem Bericht
bei Matthäus, wo das Grab
bewacht und versiegelt worden sei, damit nicht durch einen Raub des Leichnams
seitens der Jünger eine Auferstehung erschlichen werden könne.
Hinter
dem Grab senkt sich das Tal zum Kidronbach hinab, gegenüber auf der
Anhöhe des "Ölbergs" der Gethsemane-Garten.
Dort gelangt man in Görlitz zum Stadtfriedhof, zum alten Nikolaifriedhof
(mit Jakob Böhmes
Grab) und über das Nikolaiviertel zurück zur höher gelegenen
Altstadt, an deren Peterskirche (mit dem Vogthof als "Richthaus des Pilatus")
der Kreuzweg beginnt, der von dort hierhin zum Heiligen Grab führt.
Georg Emmerich hat seine Pilgerfahrt ins Heilige Land als Sühne leisten
müssen: Selbst Sohn einer der Patrizierfamilien dieser durch Tuchhandel
reichen Stadt, geboren 1422, hat er 1464 Benigna Horschel, die Tochter
einer gleichfalls hochrangigen, reichen Nachbarfamilie (nur zwei Häuser
weiter am Untermarkt) "im Hause ihres Vaters" geschwängert; seine
Familie verweigerte in der Folge die von den Horschels geforderte Heirat,
offensichtlich wegen der politischen Verwicklung dieser Görlitzer
Patrizier in die Auseinandersetzung zwischen dem böhmisch-hussitischen
Georg Podjebrad (1420-1471) einerseits und dem katholischen Ungarnkönig
Matthias Corvinus (1443-1490) andererseits um die böhmische Krone:
Die Horschelfamilie gehörte der Partei des ersteren an und war dementsprechend
an der gescheiterten "Pulververschwörung" ein Jahr nach Georg Podjebrads
Königskrönung (1467) beteiligt, die Emmerichfamilie der Partei
des Ungarn, die sich dann auch endgültig durchsetzte, weil der zunächst
überlegene Georg Podjebrad 1471 verstarb.
In
dieser Romeo- und Julia-Dramatik hat die Sühne-Pilgerfahrt nach Jerusalem
somit auch etwas von Flucht und Ausflucht an sich. Der Büßende
wendete seine Fahrt in einen grandiosen Propaganda-Erfolg: noch in Jerusalem
zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen, mit der Rückkehr rehabilitiert,
1474 zum Schoppen gekürt, schließlich sechsmal Bürgermeister
der Stadt. Schon vor der Pilgerreise war er ein ausgebildeter Jurist, nach
seiner Rehabilitierung ein erfolgreicher Händler und Bergbauunternehmer,
und zugeich erwarb er als größter Grundbesitzer der Gegend im
Laufe seines Lebens eine Anzahl von Dörfern samt den entsprechenden
Lausitzer Lößböden und den an die Scholle gebundenen Bauern.
Die
von der Emmerichfamilie aufgestellten Epitaphe in der Adams- und Kreuzkapelle
nennen ihn quasi als Urheber bzw. Auftraggeber der Kopie; nicht ganz unwahrscheinlich
ist, daß zumindest einige ergänzende, vielleicht die älteren
Kopie-Zeichnungen ("Abrisse") und Pläne korrigierende Skizzen und
Ausmessungen, die dem Görlitzer Nachbau zugrundeliegen, von der Rom-
und Jerusalemreise der Görlitzer Bürgerin Agnete
Finger herrühren, die 1476 im Gefolge des Herzogs Albrecht von Sachsen
zu den heiligen Stätten gelangte und wohl einen fähigen Begleiter
mit sich führte, der offensichtlich die letztgültigen "Abrisse"
angefertigt hat. Jedenfalls begann der Bau der Görlitzer Anlage erst
nach Agnete Fingers Jerusalemfahrt im Jahr 1481.
Kapelle
Zum Heiligen Kreuz:
Golgathakapelle
(Oberkapelle) und Adamskapelle (Unterkapelle)
Epitaph
mit lateinischen Inschriften
in
der Golgathakapelle, Rückwand
|
Golgathakapelle,
Blick zur Altarseite
(geostet,
wie auch die Adamskapelle
unterhalb
der Golgathakapelle)
|
Adamkapelle
- Blick zur Altarfront des traditionell "orientierten" (geosteten) sakralen
Raumes (gegenläufig zur dem Tempel entsprechenden West-Ausrichtung
des Heiligen Grabes); rechts oben in der Wand ein "Riß" gemäß
dem Erdbeben der Osternacht -
entsprechend
dem Adamgrab unterhalb des Kreuzes auf Golgatha hier unterhalb der Golgathakapelle,
von der eine "Blutrinne" das Erlöserblut in Adams Erd-Eingeschlossenheit
hinabfließen läßt, vgl. die "Schatzhöhle",
wo die Gleichörtlichkeit von Schöpfungszentrum, Paradies (oberhalb
des entsprechenden Erdenzentrums), Wohnort (Berg) der Patriarchen zwischen
Adam und Noah, Landeort der Arche, Melchisedeks Jerusalemer Altar, Isaaks
Opferstelle, und schließlich von Kreuzigung und Auferstehung die
vertikale Achse des gottumschlossenen Weltzeitraums bildet.
domum
(Hans Zimmermann), index (hanumans),
index (lapsit exillis), index
(henkaipan), * Requiem:
Dies irae * emaille?!
die
bisherigen Rundbriefe * Verlag
Gunter Oettel: "Lausitzer Jerusalem"
emaille?!
an den Autor, Übersetzer und Herausgeber
dieser Seiten (Hans Zimmermann)
Görlitz
: Heiliges Grab
|