cap. XLIX
Quod summus Spiritus se amet
Sed ecce dum huius Patris Filiique proprietates
communionemque delectabiliter intueor
nihil delectabilius in illis contemplandum inuenio
quam mutui amoris affectum.
Aber
siehe, während ich dieses Vaters und Sohnes Eigentümlichkeiten
und
ihre Gemeinsamkeit mit Ergötzen erwäge,
finde
ich in ihnen nichts Köstlicheres zu betrachten
als
die Zuneigung gegenseitiger Liebe.
Quam enim absurde negetur
summus Spiritus se amare
sicut sui memor est et
se intelligit
cum et mens rationalis
et se et illum amare posse conuincatur ex eo
quia sui et illius memor esse
et se et illum intelligere potest?
Denn
wie widersinnig würde geleugnet,
daß
der höchste Geist sich liebt,
wie
er sich seiner bewußt ist und sich denkt,
da
auch vom vernünftigen Geiste bewiesen wird, daß er sich und
jenen lieben kann,
und
zwar daraus, daß er seiner und jenes sich bewußt sein kann
und
sich und jenen denken kann,
Otiosa namque et
penitus inutilis est memoria et intelligentia cuiuslibet rei
nisi prout ratio exigit res
ipsa ametur aut reprobetur.
Denn
müßig und völlig nutzlos ist das Bewußtsein und das
Denken irgendeiner Sache,
wenn
nicht die Sache selbst, je nachdem es die Vernunft verlangt, geliebt oder
verworfen würde.
Amat ergo seipsum summus Spiritus;
sicut sui meminit et
se intelligit.
Es
liebt also sich selbst der höchste Geist,
wie
er sich seiner bewußt ist und sich denkt.
cap. L
Quod idem amor pariter procedat a Patre et
Filio
Palam certe est rationem habenti
eum non idcirco sui memorem esse aut se intelligere
quia se amat
sed ideo se amare quia
sui meminit et se intelligit
nec eum se posse amare si
sui non sit memor aut se non intelligat.
Sicherlich
ist es dem, der Vernunft hat, einleuchtend,
daß
er nicht deshalb sich seiner bewußt ist oder sich denkt, weil er
sich liebt,
sondern
deshalb sich liebt, weil er sich seiner bewußt ist und sich denkt;
und
daß er sich nicht lieben kann, wenn er sich seiner nicht bewußt
ist oder sich nicht denkt.
Nulla enim res amatur sine eius memoria aut intelligentia;
et multa tenentur memoria et intelliguntur que
non amantur.
Denn
keine Sache wird geliebt ohne daß sie bewußt wird oder gedacht
wird,
und
vieles wird im Bewußtsein bewahrt und gedacht, was nicht geliebt
wird.
Patet igitur amorem summi Spiritus ex eo procedere
quia sui memor est et
se intelligit.
Es
ist also klar, daß die Liebe des höchsten Geistes daraus hervorgeht,
daß
er sich seiner bewußt ist und sich denkt.
Quod si in memoria summi Spiritus intelligitur
Pater
in intelligentia Filius
manifestum est quia a Patre pariter et a Filio
summi Spiritus amor procedit.
Wenn
im Bewußtsein des höchsten Geistes der Vater gedacht wird,
im
Denken der Sohn,
so
ist es offenbar, daß vom Vater und Sohne in gleicher Weise
die
Liebe des höchsten Geistes hervorgeht.
cap. LI
Quod vterque pari amore diligat se et alterum
Sed si se amat summus Spiritus
procul dubio se amat Pater
amat se Filius
et alter alterum;
quia singulus Pater est summus Spiritus
et singulus Filius summus
Spiritus;
et ambo simul vnus
spiritus.
Wenn
aber der höchste Geist sich liebt,
so
liebt ohne Zweifel der Vater sich,
liebt
der Sohn sich
und
der eine den anderen,
weil
der Vater für sich höchster Geist ist
und
der Sohn für sich höchster Geist
und
beide zugleich ein Geist.
Et quia vterque pariter sui et alterius meminit
et se et alterum intelligit.
Und
weil jeder von beiden sich in gleicher Weise seiner und des anderen bewußt
ist
und
sich und den anderen denkt.
Et quoniam omnino idipsum est quod amat
vel amatur in Patre et
quod in Filio
necesse est vt pari amore vterque diligat se
et alterum.
Und
weil völlig dasselbe ist, was im Vater liebt und geliebt wird und
was im Sohne,
ist
es notwendig, daß jeder von beiden mit gleicher Liebe sich und den
anderen liebt.
cap. LII
Quod tantus sit iste amor
quantus est ipse summus Spiritus
Quantus ergo est amor iste summi Spiritus
sic communis Patri et Filio?
Wie
groß ist also diese Liebe des höchsten Geistes,
die
dem Vater und dem Sohne so gemeinsam ist?
Sed si se tantum diligit quantum
sui meminit et se intelligit
tantum autem sui memor est et intelligit se
quanta est eius essentia
quod aliter esse non potest:
profecto tantus est amor eius quantus
ipse est.
Aber
wenn er sich so sehr liebt, wie er sich seiner bewußt ist und sich
denkt,
so
sehr aber sich seiner bewußt ist und sich denkt, wie seine Wesenheit
groß ist –
was
anders nicht sein kann –,
dann
ist natürlich seine Liebe so groß, wie er selbst ist.
cap. LIII
Quod idem amor sit idipsum quod est summus
Spiritus;
et tamen ipse sit cum Patre et Filio vnus
spiritus
Verum quid potest esse par summo Spiritui
nisi summus Spiritus?
Aber
was kann dem höchsten Geiste gleich sein,
wenn
nicht der höchste Geist?
Iste itaque amor est summus Spiritus.
Diese
Liebe ist also der höchste Geist.
Denique si nulla vnquam creatura
id est si nihil vnquam aliud esset
quam summus Spiritus Pater
et Filius
nihilominus seipsos et inuicem Pater et Filius
diligerent.
Wenn
es schließlich niemals ein Geschöpf,
das
heißt, wenn niemals etwas anderes wäre
als
der höchsten Geist, Vater und Sohn,
würden
trotzdem Vater und Sohn sich selber und einander lieben.
Consequitur itaque hunc amorem non esse aliud
quam quod est Pater et Filius
quod est summa essentia.
Es
folgt also, daß diese Liebe nichts anderes ist, als was der Vater
und der Sohn ist,
das
ist die höchste Wesenheit.
At quoniam summe essentie plures esse non possunt
quid magis necessarium
quam Patrem et Filium et
vtriusque amorem
vnam esse summam essentiam?
Weil
aber mehrere höchste Wesenheiten nicht sein können:
was
ist dann notwendiger,
als
daß Vater und Sohn und beider Liebe
die
eine höchste Wesenheit sind?
Est igitur idem amor
summa sapientia summa
veritas summum bonum
et quidquid de summi Spiritus substantia dici
potest.
Es
ist also diese Liebe die
höchste
Weisheit, die höchste Wahrheit, das höchste Gut,
und
was immer von der Substanz des höchsten Geistes ausgesagt werden kann.
cap. LIV
Quod totus procedat a Patre
totus a Filio;
et tamen non sit nisi vnus amor
Intuendum est diligenter vtrum sint duo amores
vnus a Patre procedens alter
a Filio
an vnus non totus
ab vno procedens sed partim a Patre
partim a Filio
an nec plures nec
vnus partim procedens a singulis
sed vnus totus a singulis et
idem totus a duobus simul.
Es
ist sorgfältig zu erwägen, ob es eine zweifache Liebe gibt:
eine,
die vom Vater ausgeht, eine andere vom Sohne;
oder
eine, die nicht ganz von einem ausgeht, sondern zum Teil vom Vater, zum
Teil vom Sohne;
oder
weder eine mehrfache noch eine, die teilweise von den einzelnen ausgeht,
sondern
eine, ganz von jedem einzelnen und ebenso ganz von beiden zugleich.
Sed huiusmodi dubitationis certitudo hinc indubitanter
cognoscitur
quia non ex eo procedit in
quo plures sunt Pater et Filius
sed ex eo in quo vnum sunt.
Aber
die Gewißheit um diesen Zweifel wird unzweifelhaft daran erkannt,
daß
sie nicht aus dem hervorgeht, worin Vater und Sohn mehrere sind,
sondern
aus dem, worin sie eins sind.
Nam non ex relationibus suis que
plures sunt
alia est enim relatio Patris alia
Filii
sed ex ipsa sua essentia que
pluralitatem non admittit
emittunt Pater et Filius tantum pariter bonum.
Denn
nicht aus ihren Beziehungen, die mehrfach sind –
eine
andere nämlich ist die Beziehung des Vaters, eine andere die des Sohnes
–,
sondern
aus ihrer Wesenheit selbst, die eine Mehrheit nicht zuläßt,
entsenden
Vater und Sohn in gleicher Weise ein so großes Gut.
Sicut ergo singulus Pater est summus Spiritus
et singulus Filius est summus Spiritus
et simul Pater et Filius non duo sed vnus spiritus
ita a singulo Patre manat totus amor summi Spiritus
et a singulo Filio totus
et simul a Patre et Filio non duo toti
sed vnus idemque totus.
Wie
also der Vater für sich der höchste Geist ist
und
der Sohn für sich der höchste Geist,
und
Vater und Sohn zugleich nicht zwei, sondern ein Geist,
so
strömt aus dem Vater für sich die ganze Liebe des höchsten
Geistes
und
aus dem Sohne für sich die ganze
und
von Vater und Sohn zusammen nicht zwei ganze, sondern ein-und-dieselbe
ganze.
cap. LV
Quod non sit eorum Filius amor
Quid ergo?
Cum hic amor pariter habeat esse a Patre et Filio
et sic similis sit ambobus vt nullatenus dissimilis
sit illis
sed omnino idem sit quod illi:
nunquid Filius eorum aut
proles estimandus est?
Was
also?
Da
diese Liebe das Sein in gleicher Weise vom Vater und Sohn hat
und
beiden so ähnlich ist, daß sie ihnen in keiner Weise unähnlich
ist,
sondern
ganz dasselbe wie sie: ist sie dann etwa als ihr Sohn oder Kind einzuschätzen?
Sed sicut verbum mox
vt consideratur
se prolem esse eius a quo est
euidentissime probat promptam preferendo parentis
imaginem
sic amor aperte se prolem negat
quia dum a Patre et Filio procedere intelligitur
non statim tam perspicuam exhibet se
contemplanti
eius ex quo est similitudinem
quamuis ipsum considerata ratio doceat
omnino idipsum esse quod
est Pater et Filius.
Aber
wie das Wort, sobald es betrachtet wird,
sich
aufs einleuchtendste als das Kind dessen erweist, von dem es ist,
indem
es das offensichtliche Abbild des Elters zur Schau trägt,
so
verleugnet sich die Liebe offen als Kind;
denn
während gedacht wird, daß sie vom Vater und Sohne ausgeht,
bietet
sie nicht sofort dem, der sie betrachtet,
eine
so offensichtliche Ahnlichkeit mit dem, aus dem sie ist, dar,
obwohl
der erwogene Vernunftgrund lehrt,
daß
sie genau dasselbe ist, was Vater und Sohn ist.
Denique si proles eorum est
aut alter eorum erit pater eius alter
mater
aut vterque pater siue
mater est:
que omnia veritati repugnare videntur.
Wenn
sie schließlich ihr Kind ist,
so
wird entweder der eine ihr Vater, der andere die Mutter sein,
oder
jeder von beiden ist Vater oder Mutter,
was
alles sichtlich der Wahrheit widerstreitet.
Quoniam namque nullatenus aliter a Patre procedit
quam a Filio
nulla veritas patitur vt dissimili vocabulo ad
illum Pater et Filius referantur:
non est igitur alter pater eius alter
mater.
Weil
sie nämlich durchaus nicht anders vom Vater als vom Sohne ausgeht,
duldet
keine Wahrheit, daß Vater und Sohn mit einem ungleichen Namen auf
sie bezogen werden;
es
ist also nicht der eine ihr Vater, der andere die Mutter.
vt autem duo aliqua sint
que singula perfectam et
nulla consideratione differentem habeant
pariter ad aliquid vnum patris
aut matris habitudinem
nulla natura aliquo monstrari concedit exemplo.
Daß
es aber zwei Wesen gibt,
die
jedes für sich in gleicher Weise ein vollkommenes und in keiner Hinsicht
verschiedenes
Verhältnis
von Vater oder Mutter gleicherweise zu einem dritten haben,
das
durch ein Beispiel zu erhärten erlaubt keine Natur.
Ergo non est vterque scilicet
Pater et Filius
pater aut mater amoris a se manantis.
Mithin
sind nicht beide, nämlich Vater und Sohn,
Vater
oder Mutter der ihr entströmenden Liebe.
Nequaquam itaque videtur veritati conuenire
vt idem amor eorum filius sit aut proles.
Keineswegs
also scheint es mit der Wahrheit übereinzustimmen,
daß
ebendiese Liebe ihr Sohn oder Kind ist.
cap. LVI
Quod solus Pater sit genitor et ingenitus;
solus Filius genitus
solus amor nec genitus nec ingenitus
Sed videtur tamen amor idem
nec omnino secundum communis locutionis vsum
dici posse ingenitus
nec ita proprie sicut verbum genitus.
Es
scheint aber dennoch ebendiese Liebe
weder
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch gänzlich als "ungezeugt" bezeichnet
werden zu können
noch
auf so eigentümliche Weise wie das Wort "gezeugt".
Solemus enim sepe dicere aliquid gigni ex ea
re de qua existit:
vt cum dicimus splendorem aut calorem gigni ab
igne
seu aliquod effectum ex causa sua.
Wir
pflegen nämlich oft zu sagen,
etwas werde aus dem Dinge gezeugt, aus dem es entsteht;
so
wenn wir sagen, die Wärme oder die Helligkeit werde vom Feuer gezeugt
oder
eine Wirkung aus ihrer Ursache.
Secundum hanc igitur rationem
amor a summo Spiritu exiens
non omnino asseri potest ingenitus.
Diesem
Sachverhalt gemäß also
kann
die Liebe, die vom höchsten Geiste ausgeht,
nicht
gänzlich als "ungezeugt" bezeichnet werden.
Ita vero proprie sicut Verbum dici genitus non
potest;
quia Verbum verissimam esse prolem et verissimum
filium;
amorem vero nullatenus filium aut prolem esse
manifestum est.
So
eigentlich aber wie das Wort kann sie nicht als "gezeugt" bezeichnet werden,
weil
das Wort offensichtlich wahrstes Kind und wahrster Sohn ist,
die
Liebe dagegen in keiner Weise Sohn oder Kind ist.
Potest itaque imo
debet dici solus ille cuius verbum est
genitor et ingenitus;
quia solus est Pater et parens et
nullo modo ab alio est:
solum autem verbum genitum qui solum Filius et
proles est,
solus vero amor vtriusque nec
genitus nec ingenitus
quia nec Filius est nec
proles est nec omnino non est ab alio.
Mithin
kann, ja muß jener allein, dessen das Wort ist,
"Erzeuger"
und "ungezeugt" genannt werden,
weil
er allein Vater und Gebärender ist und in keiner Weise von einem anderen
ist,
das
Wort allein aber "gezeugt", weil es allein Sohn und Kind ist,
die
beiderseitige Liebe aber allein weder "gezeugt" noch "ungezeugt",
weil
sie weder Sohn noch Kind ist und nicht gänzlich nicht von einem anderen
ist.
cap. LVII
Quod amor idem sic sit increatus et creator
sicut Pater et Filius:
et tamen ipse cum illis non tres sed vnus
increatus et vnus creator
et quod idem possit dici Spiritus Patris et
Filii
Quoniam autem idem amor singulus est summa essentia
sicut Pater et Filius
et tamem simul Pater et
Filius et vtriusque amor non plures
sed vna summa essentia
que sola a nullo facta
non per aliud quam per se omnia fecit
necesse est vt quemadmodum singulus Pater
et singulus Filius est increatus et creator
ita et amor singulus sit increatus et creator
et tamen omnes tres simul non
plures
sed vnus increatus et vnus creator.
Weil
aber diese Liebe für sich die höchste Wesenheit ist wie der Vater
und der Sohn,
und
dennoch der Vater und der Sohn und die beiderseitige Liebe zusammen nicht
mehrere,
sondern
eine höchste Wesenheit,
die
allein von niemandem gemacht,
durch
nichts anderes als durch sich alles gemacht hat,
so
ist es notwendig, daß, wie der Vater für sich und der Sohn für
sich ungeschaffen und Schöpfer ist,
so
auch die Liebe für sich ungeschaffen und Schöpfer ist,
und
dennoch alle drei zusammen nicht mehrere,
sondern
ein Ungeschaffener und ein Schöpfer.
Patrem itaque nullus facit siue creat aut gignit
Filium vero Pater solus gignit sed
non facit:
Pater autem pariter et Filius non faciunt
neque gignunt
sed quodamnodo si
sic dici potest spirant suum amorem
Den
Vater also macht oder erschafft oder zeugt niemand.
Den
Sohn aber macht nicht, sondern zeugt der Vater allein;
der
Vater aber und in gleicher Weise der Sohn machen nicht noch zeugen sie,
sondern,
wenn man so sagen darf, hauchen gewissermaßen ihre Liebe.
Quamuis enim non nostro modo spiret summe incommutabilis
essentia
tamen ipsum suum amorem a se ineffabiliter procedentem
non discedendo ab illa sed
existendo ex illa
forsitan non alio modo videtur posse dici aptius
ex se emittere quam spirando.
Denn
obwohl die höchst unveränderliche Wesenheit nicht auf unsere
Weise haucht,
so
scheint sie dennoch die Liebe, die von ihr auf unaussprechliche Art hervorgeht,
nicht
indem sie sich von ihr entfernt, sondern indem sie aus ihr existiert,
–
dies kann vielleicht auf keine andere Weise passender ausgedrückt
werden
–
aus
sich zu entsenden, gleichsam durch Hauchen.
Quod si dici potest
sicut verbum summe essentie Filius est eius
ita eiusdem amor satis conuenienter appellari
potest Spiritus eius.
Wenn
man das sagen kann, dann kann,
wie
das Wort der höchsten Wesenheit ihr Sohn ist,
so
ihre Liebe sehr zutreffend ihr Geisthauch genannt werden.
Vt cum essentialiter ipse sit spiritus
sicut Pater et Filius
illi non putentur alicuius spiritus
quia nec Pater ab vllo alio est
nec Filius a Patre quasi spirante nascitur
iste autem estimetur Spiritus utriusque
quia ab vtroque suo
quodam inenarrabili modo spirante mirabiliter
procedit.
So
daß, obwohl sie wesenhaft Geist ist wie der Vater und der Sohn,
diese
nicht als Geist eines anderen angesehen werden,
weil
weder der Vater von irgendeinem anderen ist,
noch
der Sohn vom Vater als einem gleichsam Hauchenden geboren wird,
sie
aber als Geisthauch beider eingeschätzt wird,
weil
sie von beiden durch eine ihnen eigentümliche unaussprechliche Weise
von Hauchen wunderbar hervorgeht.
Qui etiam ex eo quia est communio Patris et Filii
non absque ratione quasi proprium assumere posse
videtur aliquod nomen
quod Patri Filioque commune sit
si proprii nominis exigit indigentia.
Sie
scheint auch daraus, daß sie die Gemeinschaft von Vater und Sohn
ist,
nicht
ohne Grund gleichsam als Eigentum einen Namen annehmen zu können,
der
dem Vater und dem Sohne gemeinsam ist,
wenn
das Fehlen eines eigenen Namens es erfordert.
Quod quidem si fiat
scilicet vt ipse amor nomine Spiritus
quod substantiam pariter Patris et Filii significat
quasi proprio designetur:
ad hoc quoque non inutiliter valebit
vt per hoc idipsum esse quod
est Pater et Filius
quamuis ab illis esse suum habeat
intimetur.
Wenn
das geschieht,
daß
nämlich diese Liebe mit dem "Geist"-Namen,
der
die Substanz des Vaters und des Sohnes gleicherweise anzeigt,
als
einem Eigennamen bezeichnet wird,
so
wird das auch nicht ganz sinnlos dazu dienen,
daß
durch ihn eben dies, daß sie dasselbe ist, was der Vater und der
Sohn ist,
obgleich
sie von ihnen ihr Sein hat,
einsichtig
wird.
cap. LVIII
Quod sicut Filius est essentia vel sapientia
Patris
eo sensu quia habet eamdem essentiam vel sapientiam
quam Pater;
sic idem Spiritus sit Patris et Filii essentia
et sapientia et similia
Potest quoque quemadmodum Filius est substantia
et sapientia et virtus
Patris eo sensu
quia habet eamdem essentiam et
sapientiam et virtutem quam
Pater
ita vtriusque Spiritus intelligi essentia
vel sapientia vel virtus
Patris et Filii
quia habet omnino eamdem quam habent illi.
Wie
der Sohn die Substanz und Weisheit und Kraft des Vaters ist in dem Sinne,
daß
er dieselbe Wesenheit und Weisheit und Kraft wie der Vater hat,
so
kann auch beider Geist als Wesenheit oder Weisheit oder Kraft des Vaters
und des Sohnes gedacht werden,
weil
er ganz dieselbe hat, die jene haben.
cap. LIX
Quod Pater et Filius et eorum Spiritus pariter
sint in se inuicem
Iucundum est intueri in Patre et
Filio et vtriusque Spiritu
quomodo sint in se inuicem tanta equalitate
vt nullus alium excedat.
Es
ist ergötzlich, im Vater und Sohne und beider Geist zu schauen,
wie
sie mit so großer Gleichheit ineinander sind,
daß
keiner aus dem anderen heraustritt.
Preter hoc enim
quia vnusquisque eorum sic est perfecte summa
essentia
vt tamen omnes tres simul non sint nisi essentia
vna summa
que nec sine se vel extra se nec
maior vel minor seipsa esse potest:
per singulos tamen idipsum non minus valet probari.
Denn
abgesehen davon,
daß
jeder von ihnen so vollkommen die höchste Wesenheit ist,
daß
dennoch alle drei zusammen nur eine höchste Wesenheit sind,
die
weder ohne sich oder außer sich noch größer oder kleiner
als sie selbst sein kann,
so
vermag man doch dasselbe nicht weniger für jeden einzelnen zu beweisen.
Est etenim totus Pater in Filio et communi Spiritu
et Filius in Patre et
eodem Spiritu
et idem Spiritus in Patre et Filio
quia memoria summe essentie tota est in eius
intelligentia et in amore
et intelligentia in memoria et in amore
et amor in memoria et in intelligentia.
Denn
es ist ganz der Vater im Sohne und im gemeinsamen Geiste,
und
der Sohn im Vater und demselben Geiste,
und
dieser Geist im Vater und Sohne,
weil
das Bewußtsein der höchsten Wesenheit ganz in ihrem Denken und
in der Liebe ist,
und
das Denken in dem Bewußtsein und in der Liebe,
und
die Liebe in dem Bewußtsein und im Denken.
Totam quippe suam memoriam summus
intelligit Spiritus et amat
et totius intelligentie meminit et totam amat
et totius amoris meminit et totum intelligit.
Sein
ganzes Bewußtsein denkt und liebt ja der höchste Geist
und
ist sich des ganzen Denkens bewußt und liebt es ganz
und
ist sich der ganzen Liebe bewußt und denkt sie ganz.
Intelligitur autem in memoria Pater
in intelligentia Filius
in amore vtriusque Spiritus.
Es
wird aber unter dem Bewußtsein der Vater,
unter
dem Denken der Sohn,
unter
der Liebe beider Geist verstanden.
Tanta igitur Pater et Filius et vtriusque Spiritus
equalitate sese complectuntur
et sunt in se inuicem
ut eorum nullus alium excedere aut sine eo esse
probetur.
Mit
so großer Gleichheit also umfassen sich der Vater und der Sohn und
beider Geist
und
sind ineinander,
daß
erwiesen ist, daß keiner von ihnen aus dem anderen heraustritt oder
ohne ihn ist.
cap. LX
Quod nullus eorum alio indigeat ad memorandum
vel intelligendum vel amandum;
quia singulus quisque est memoria et intelligentia
et amor
et quidquid necesse est inesse summe essentie
Sed in his nullatenus negligenter memorie commendandum
quod intuenti mihi occurrit existimo.
Doch
glaube ich, daß bei ihnen keineswegs achtlos dem Gedächtnis
überliefert werden muß,
was
mir beim Betrachten begegnet.
Sic enim necesse est
vt Pater intelligatur memoria Filius
intelligentia Spiritus amor
vt nec Pater indigeat Filio aut
communi Spiritu
nec Filius Patre vel eodem Spiritu
siue idem Spiritus Patre aut Filio
quasi Pater per se meminisse solum possit
intelligere autem nonnisi per Filium
et amare nonnisi per suum Filiique Spiritum
et Filius per se intelligere tantum queat
per Patrem autem memor sit et
per Spiritum suum amet
et idem Spiritus per se non aliud quam amare
valeat
sed Pater illi sit memor et
Filius illi intelligat.
Denn
derart ist es notwendig,
daß
der Vater als Bewußtsein, der Sohn als Denken, der Geist als Liebe
verstanden wird,
daß
weder der Vater des Sohnes oder des gemeinsamen Geistes bedarf,
noch
der Sohn des Vaters oder dieses Geistes,
oder
dieser Geist des Vaters oder des Sohnes,
als
ob der Vater durch sich nur bewußt sein könnte, denken aber
nur durch
den Sohn
und
lieben nur durch seinen und des Sohnes Geist;
und
der Sohn durch sich nur denken könnte, durch den Vater aber bewußt
wäre und durch seinen Geist liebte;
und
dieser Geist durch sich nichts anderes als zu lieben vermöchte,
der
Vater aber für ihn bewußt wäre und der Sohn für ihn
dächte.
Nam cum in his tribus vnusquisque
singulus sit summa essentia et summa sapientia sic perfecta
vt ipsa per se memor sit et intelligat
et amet
necesse est vt nullus horum trium alio indigeat
aut ad memorandum aut
ad intelligendum aut ad amandum.
Denn
da bei diesen dreien jeder einzelne eine so vollkommene höchste Wesenheit
und höchste Weisheit ist,
daß
sie durch sich bewußt ist und denkt und liebt,
ist
es notwendig, daß keiner dieser drei eines anderen bedarf,
sei
es zum Bewußtsein oder zum Denken oder zum Lieben.
Singulus enim quisque essentialiter est
et memoria et intelligentia et amor
et quidquid summe essentie necesse est inesse.
Denn
jeder einzelne ist wesenhaft
sowohl
Bewußtsein als auch Denken und Liebe
und
was immer der höchsten Wesenheit notwendig innewohnt.
cap. LXI
Quod tamen non sint tres sed vnus
seu Pater seu Filius seu vtriusque Spiritus
Quamdam hic video questionem occurrere.
Hier
sehe ich eine Frage auftauchen.
Nam si Pater ita est intelligentia et amor
sicut est memoria
et Filius sic est memoria et amor quomodo
est intelligentia
et vtriusque Spiritus non minus est memoria et
intelligentia quam amor:
quomodo non est Pater Filius et
alicuius Spiritus
et quare non est Filius Pater
et alicuius Spiritus
et cur non est idem Spiritus alicuius
Pater et alicuius Filius?
Denn
wenn der Vater ebenso Denken und Liebe ist, wie er Bewußtsein ist,
und
der Sohn ebenso Bewußtsein und Liebe, wie er Denken ist,
und
beider Geist nicht weniger Bewußtsein und Denken ist als Liebe:
wieso
ist dann nicht der Vater Sohn und Geist eines anderen,
und
warum ist nicht der Sohn Vater und Geist eines anderen,
und
warum ist dieser Geist nicht eines anderen Vater und eines anderen Sohn?
Sic quippe intelligebatur quod memoria esset
Pater
Filius intelligentia vtriusque
Spiritus amor.
So
nämlich wurde gedacht, daß das Bewußtsein der Vater sei,
der
Sohn das Denken, beider Geist die Liebe.
Verum hec questio non difficile soluitur
si ea que iam ratione inuenta sunt considerentur.
Aber
diese Frage läßt sich unschwer lösen,
wenn
das, was durch die Vernunft schon gefunden wurde, in Betracht gezogen wird.
Idcirco enim non est Pater Filius aut
alicuius Spiritus
licet sit intelligentia et amor
quia non est intelligentia genita aut
amor ab aliquo procedens
sed quidquid est
gignens est tantum
et a quo procedit alius.
Denn
deshalb ist der Vater nicht Sohn oder eines anderen Geist,
obwohl
er Denken und Liebe ist,
weil
er nicht gezeugtes Denken ist oder von einem anderen ausgehende Liebe;
sondern
was immer er ist,
ist
er nur zeugend
und
einer, von dem ein anderer ausgeht.
Filius quoque ideo non est Pater aut
alicuius Spiritus
quamuis seipso et memor sit et
amet
quia non est memoria gignens
aut amor ab alio ad similitudinem sui Spiritus
procedens
sed quidquid existit tantum
gignitur
et est a quo Spiritus procedit.
Auch
der Sohn ist deshalb nicht der Vater oder eines anderen Geist,
obwohl
er durch sich selbst sowohl Bewußtsein hat als auch liebt,
weil
er nicht zeugendes Bewußtsein ist
oder
von einem anderen nach Ähnlichkeit seines Geistes ausgehende Liebe,
sondern
was immer er ist, wird nur gezeugt
und
ist, von dem der Geist ausgeht.
Spiritum quoque non cogit esse Patrem aut Filium
hoc
quia contentus est memoria aut intelligentia
sua
cum non sit memoria gignens aut
intelligentia genita
sed solum quidquid est procedat.
Auch
den Geist zwingt nicht das, Vater oder Sohn zu sein,
daß
er in seinem Bewußtsein oder seinem Denken enthalten ist,
da
er nicht zeugendes Bewußtsein oder gezeugtes Denken ist;
sondern
was immer er ist, nur ausgeht.
Quid igitur prohibet concludi
quia vnus tantum est in summa essentia Pater
vnus Filius vnus Spiritus;
et non tres Patres aut Filii aut Spiritus?
Was
hindert also zu schließen,
daß
in der höchsten Wesenheit nur ein Vater, ein Sohn, ein Geist ist,
und
nicht drei Väter oder Söhne oder Geister?
cap. LXII
Quomodo ex his tribus plures filii nasci videantur
Sed ne forte repugnet huic assertioni quod intueor:
nam dubium esse non debet quia Pater et
Filius et eorum Spiritus
unusquisque seipsum et alios ambos dicit
sicut se et alios
intelligit.
Aber
es soll dieser Behauptung nicht etwa das, was ich schaue, widersprechen;
denn
es darf nicht zweifelhaft sein, daß ein jeder, der Vater und der
Sohn und ihr Geist,
sich
selbst und die beiden anderen spricht, wie er sich und die andern denkt.
Quod si ita est
quomodo non sunt in summa essentia tot verba
quot sunt dicentes et
quot sunt qui dicuntur?
Wenn
dem so ist:
inwiefern
sind dann in der höchsten Wesenheit nicht so viele Worte,
wie
Sprechende sind und Gesprochene sind?
Si enim plures homines vnum aliquid cogitatione
dicant
tot eius videntur esse verba quot sunt cogitantes;
quia in singulorum cogitationibus verbum eius
est.
Wenn
nämlich mehrere Menschen einen Gegenstand in Gedanken aussprechen,
scheinen
so viele Worte da zu sein, wie Bedenkende sind,
weil
in den Gedanken jedes einzelnen ein Wort davon vorhanden ist.
Item si vnus homo cogitat aliqua plura
tot verba sunt in mente cogitantis
quot sunt res cogitate.
Desgleichen
sind, wenn ein Mensch an mehrere Gegenstände denkt,
so
viele Worte im Geist des Bedenkenden, wie bedachte Gegenstände sind.
Sed in hominis cogitatione
cum cogitat aliquid quod extra eius mentem est
non nascitur verbum cogitate rei ex ipsa re
quia ipsa absens est a cogitationis intuitu
sed ex rei aliqua similitudine vel imagine
que est in cogitantis memoria
aut forte que tunc cum
cogitat
per corporeum sensum ex re presenti in mentem
attrahitur.
Jedoch
wird im Bedenken des Menschen,
wenn
er etwas bedenkt, was außerhalb seines Geistes ist,
das
Wort des bedachten Gegenstandes nicht aus dem Gegenstand selbst geboren,
weil
dieser fern von der Schau des Bedenkens ist,
sondern
aus einer Ähnlichkeit oder einer Abbildung des Gegenstandes,
die
im Gedächtnis des Bedenkenden ist,
oder
die etwa dann, wenn er daran denkt,
durch
den körperlichen Sinn aus dem gegenwärtigen Gegenstand in den
Geist hereingezogen wird.
In summa vero essentia sic sibi semper sunt presentes
Pater et Filius et eorum Spiritus
est enim sicut iam
perspectum est vnusquisque non minus in aliis
quam in seipso
vt cum inuicem se dicunt
sic videatur idem ipse qui
dicitur gignere verbum suum
quemadmodum cum a seipso dicitur.
In
der höchsten Wesenheit hingegen sind der Vater und der Sohn und ihr
Geist sich stets so gegenwärtig –
es
ist nämlich, wie schon durchschaut wurde, ein jeder nicht weniger
in den anderen als in sich selbst –,
daß,
wenn sie sich gegenseitig sprechen,
derselbe,
der gesprochen wird, ebenso sein Wort zu zeugen scheint,
wie
wenn er von sich selbst gesprochen wird.
Quomodo ergo nihil gignit Filius aut
eius Patrisque Spiritus
si unusquisque eorum verbum gignit suum
cum a seipso dicitur vel ab alio?
Wie
also sollte der Sohn und sein und des Vaters Geist nichts zeugen,
wenn
ein jeder von ihnen sein Wort zeugt,
sooft
er von sich oder von einem anderen gesprochen wird?
Quot autem verba probari possunt de summa nasci
substantia
tot eam necesse est secundum superiorem considerationem
filios gignere
et tot emittere spiritus.
So
viele Worte aber nachweislich aus der höchsten Substanz geboren werden
können,
ebensoviele
Söhne müßte sie nach der obigen Erwägung zeugen
und
ebensoviele Geister entsenden.
Hac itaque ratione videntur in illa esse
non solum multi patres et filii et procedentes
sed et alie necessitudines.
Aus
diesem Grunde also schiene es in ihr
nicht
nur viele Väter und Söhne und Hervorgehende zu geben,
sondern
auch andere Verwandtschaften.
cap. LXIII
Quomodo non sit ibi nisi vnus vnius;
hoc est vnum Verbum et ex solo Patre
Aut certe Pater et Filius et eorum Spiritus
de quibus iam certissimum est quia vere existunt
non sunt tres dicentes quamuis
singulus quisque sit dicens;
nec sunt plura que dicuntur
cum vnusquisque seipsum et alios duos dicit.
Oder
sicherlich sind der Vater und der Sohn und ihr Geist,
von
denen es bereits ganz gewiß ist, daß sie wirklich existieren,
nicht
drei Sprechende, obwohl jeder einzelne ein Sprechender ist;
noch
sind es mehrere, die gesprochen werden,
wenn
ein jeder sich selbst und die andern zwei spricht.
Sicut enim summe sapientie inest scire et intelligere
ita vtique eterne incommutabilisque scientie
et intelligentie naturale est
id semper presens intueri quod
scit et intelligit.
Wie
nämlich der höchsten Weisheit Wissen und Denken innewohnt,
so
ist es gewißlich dem ewigen und unwandelbaren Wissen und Denken natürlich,
immer
das gegenwärtig zu schauen, was es weiß und denkt.
Nihil autem aliud est summo spiritui huiusmodi
dicere
quam quasi cogitando intueri:
sicut nostre mentis locutio nihil aliud est quam
cogitantis inspectio.
Nichts
anderes aber ist für den höchsten Geist ein derartiges Sprechen,
als
gleichsam bedenkend schauen,
wie
das Sprechen unseres Geistes nichts anderes ist als eine Schau des Bedenkenden.
Certissimum autem iam considerate rationes reddiderunt
quidquid summe nature inest essentialiter
id perfecte conuenire Patri et Filio et eorum
Spiritui singulatim;
et tamen idipsum si simul dicatur de tribus non
admittere pluralitatem.
Die
schon erwogenen Gründe aber haben es ganz gewiß gemacht,
daß
das, was immer der höchsten Natur wesenhaft innewohnt,
dem
Vater, dem Sohne und ihrem Geiste einzeln in vollkommener Weise zukommt,
und
dennoch eben das, wenn es von den dreien zugleich ausgesagt wird, eine
Mehrheit nicht zuläßt.
Cum ergo constet quia sicut pertinet ad eius
essentiam scientia et intelligentia
sic eius scire et intelligere non est aliud quam
dicere
id est semper presens intueri quod scit et intelligit:
necesse est vt quemadmodum singulus Pater
singulus Filius et singulus
eorum Spiritus est sciens et intelligens
et tamen hi tres simul non sunt plures scientes
aut intelligentes
sed vnus sciens et vnus intelligens
ita singulus quisque sit dicens
nec tamen sint tres dicentes simul sed
vnus dicens.
Da
also feststeht, daß, wie zu ihrer Wesenheit das Wissen und die Denken
gehören,
so
ihr Wissen und Denken nichts anderes ist als ihr Sprechen,
das
heißt, immer gegenwärtig zu schauen, was sie weiß und
denkt,
so
ist es notwendig, daß, wie der Vater für sich und der Sohn für
sich und ihr Geist für sich wissend und denkend ist,
und
dennoch diese drei zugleich nicht mehrere Wissende und Denkende sind,
sondern
ein Wissender, ein Denkender:
so
jeder einzelne sprechend ist,
und
dennoch alle zugleich nicht drei Sprechende, sondern ein Sprechender.
Hinc illud quoque liquide cognosci potest quia
cum hi tres dicuntur
vel a seipsis vel
ab inuicem
non sunt plura que dicuntur.
Von
hier aus kann auch das klar erkannt werden,
daß,
wenn diese drei gesprochen werden,
sei
es von sich selbst oder voneinander,
nicht
mehrere sind, die gesprochen werden.
Quid namque ibi dicitur
nisi eorum essentia?
Denn
was wird dort gesprochen,
wenn
nicht ihre Wesenheit?
Si ergo illa vna sola est
vnum solum est quod dicitur:
ergo si vnum solum est in illis quod dicit
et vnum quod dicitur
vna quippe sapientia est que in illis dicit
et vna substantia que dicitur
consequitur non ibi esse plura verba sed vnum.
Weil
also diese nur eine ist,
ist
nur eines, was gesprochen wird.
Wenn
demnach bei jenen eines ist, das spricht, und eines, das gesprochen wird
–
denn
eine Weisheit ist es, die in ihnen spricht, und eine Substanz, die gesprochen
wird –,
so
folgt, daß es dort nicht mehrere Worte gibt, sondern eines.
Licet igitur vnusquisque seipsum et omnes inuicem
se dicant
impossibile tamen est in summa essentia esse
verbum aliud preter illud
de quo iam constat quod sic nascitur ex eo cuius
est verbum
vt et vera eius dici possit imago
et vere Filius eius sit.
Obwohl
also ein jeder sich selbst und alle einander sich sprechen,
ist
es dennoch unmöglich, daß es in der höchsten Wesenheit
ein anderes Wort gibt außer jenem,
von
dem bereits feststeht, daß es so aus dem, dessen Wort es ist, geboren
wird,
daß
es sowohl sein wahres Bild genannt werden kann,
als
auch wahrhaft sein Sohn ist.
In quo mirum quiddam et inexplicabile video.
Hierin
sehe ich etwas Wunderbares und Unerklärliches.
Ecce enim cum manifestum sit vnumquemque
scilicet Patrem et Filium et Patris Filiique
Spiritum
pariter se et ambos alios dicere
et vnum solum ibi esse verbum
nullatenus tamen ipsum Verbum videtur posse dici
verbum omnium trium
sed tantum unius eorum.
Denn
siehe, obwohl es offensichtlich ist, daß ein jeder,
nämlich
der Vater und der Sohn und des Vaters und des Sohnes Geist,
in
gleicher Weise sich und die beiden anderen spricht
und
es dort nur ein Wort gibt,
so
scheint dieses Wort dennoch keineswegs das Wort aller drei genannt werden
zu können,
sondern
nur des eines von ihnen.
Constat enim ipsum esse imaginem et Filium eius
cuius est verbum
et patet quia nec imago nec Filius suimet
aut a se procedentis Spiritus congrue dici potest.
Denn
es steht fest, daß es das Bild und der Sohn dessen ist, dessen Wort
es ist,
und
es ist offenkundig, daß es angemessenerweise nicht das Bild und der
Sohn seiner selbst
oder
des von ihm ausgehenden Geistes genannt werden kann.
Nam nec ex seipso nec ex procedente a se nascitur
nec seipsum aut procedentem a se existendo imitatur.
Denn
weder aus sich selbst noch aus dem von ihm Hervorgehenden wird es geboren,
noch
ahmt es sich selbst oder den von ihm Hervorgehenden durch sein Sein nach.
Seipsum quippe non imitatur
nec a se trahit existendi similitudinem
quia imitatio et similitudo non est in vno solo
sed in pluribus
Sich
selbst nämlich ahmt es nicht nach,
noch
zieht es von sich die Ähnlichkeit im Sein nach sich,
weil
Abbild und
Ähnlichkeit nicht in einem allein, sondern in mehreren sind.
Illum vero non imitatur nec ad eius similitudinem
existit
quia iste non habet ab illo esse
sed ille ab isto.
Jenen
Geist aber ahmt es nicht nach, noch existiert es nach dessen Ähnlichkeit,
weil
er, der Sohn, nicht von jenem das Sein hat,
sondern
jener von ihm.
Restat igitur hoc solum verbum illius solius
esse
de quo nascendo habet esse
et ad cuius omnimodam similitudinem existit.
Es
bleibt somit übrig, daß dieses einzige Wort dessen allein ist,
von
dem es durch Geborenwerden das Sein hat
und
nach dessen genauer Ähnlichkeit es existiert.
Vnus ergo Pater non
plures patres
vnus Filius non
plures filii
vnus procedens Spiritus non
plures procedentes spiritus
sunt in summa essentia.
Ein
Vater also, nicht mehrere Väter,
ein
Sohn, nicht mehrere Söhne,
ein
hervorgehender Geist, nicht mehrere hervorgehende Geister
sind
in der höchsten Wesenheit.
Qui cum ita tres sint
vt nunquam Pater sit Filius aut
procedens Spiritus
nec Filius aliquando sit Pater aut
Spiritus procedens
nec vnquam Spiritus Patris et Filii sit Pater
aut Filius
et singulus quisque sic sit perfectus
vt nullo indigeat:
id tamen quod sunt sic
est vnum
vt sicut de singulis pluraliter dici non potest
ita nec tribus simul.
Obgleich
diese solcherweise drei sind,
daß
niemals der Vater der Sohn ist oder der hervorgehende Geist,
noch
der Sohn jemals der Vater ist oder der hervorgehende Geist,
noch
jemals der Geist des Vaters und des Sohnes der Vater oder der Sohn ist,
und
jeder einzelne so vollkommen ist, daß er niemandes bedarf,
so
ist dennoch das, was sie sind, so sehr eines,
daß
es, wie es von den einzelnen nicht in der Mehrzahl ausgesagt werden kann,
so
auch nicht von den dreien zugleich.
Et cum pariter vnusquisque seipsum
et omnes inuicem se dicant
non tamen sunt ibi plura verba sed
unum:
et ipsum non singulorum aut
omnium simul
sed vnius tantum.
Und
obwohl in gleicher Weise ein jeder sich selbst
und
alle einander sich sprechen,
sind
dort nicht mehrere Worte, sondern eines,
und
dies ist nicht das der einzelnen oder aller zugleich,
sondern
nur eines einzigen.
cap. LXIV
Quod hoc licet inexplicabile sit
tamen credendum sit
Videtur mihi huius tam sublimis rei secretum
transcendere omnem intellectus aciem humani:
et idcirco conatum explicandi qualiter hoc sit
continendum puto.
Mir
scheint das Geheimnis einer solch erhabenen Sache
allen
Scharfsinn des menschlichen Verstandes zu übersteigen,
und
deshalb glaube ich, daß man sich des Versuches, zu erklären,
wie das sei, enthalten soll.
Sufficere namque debere existimo rem incomprehensibilem
indaganti
si ad hoc ratiocinando peruenerit vt eam certissime
esse cognoscat
etiamsi penetrare nequeat intellectu quomodo
ita sit:
nec idcirco minus his adhibendam fidei certitudinem
que probationibus necessariis nulla
alia repugnante ratione asseruntur
si sue naturalis altitudinis incomprehensibilitate
explicari non patiantur.
Denn
ich meine, es müsse für den, der eine unbegreifliche Sache erforscht,
genügen,
wenn
er durch schlußfolgerndes Denken dazu gelangt, zu erkennen, daß
sie ganz sicher ist,
auch
wenn er mit dem Verstande nicht zu durchdringen vermag, auf welche Weise
sie so ist;
und
man dürfe jenen Dingen nicht deshalb weniger Glaubensgewißheit
schenken,
die
durch zwingende Beweise, ohne daß ein anderer Vernunftgrund dagegen
spricht, behauptet werden,
wenn
sie sich ob der
Unbegreiflichkeit ihrer natürlichen Erhabenheit nicht erklären
lassen.
Quid autem tam incomprehensibile tam
ineffabile
quam id quod supra omnia est?
Was
aber ist so unbegreiflich, so unaussprechlich
wie
das, was über allem ist?
Quapropter si ea que
de summa essentia hactenus disputata sunt
necessariis rationibus sunt asserta
quamuis sic intellectu penetrari non possint
vt et verbis valeant explicari
nullatenus tamen certitudinis eorum nutat soliditas.
Wenn
deshalb das, was bis jetzt über die höchste Wesenheit erörtert
wurde,
aus
nötigenden Vernunftgründen behauptet wurde,
so
wankt – wenn es auch mit dem Verstande nicht so durchdrungen werden kann,
daß
es sich auch mit Worten erklären läßt –
dennoch
keineswegs die Festigkeit seiner Gewißheit.
Nam si superior consideratio rationabiliter comprehendit
incomprehensibile esse
quomodo eadem summa sapientia sciat ea que fecit
de quibus tam multa nos scire necesse est:
quis explicet quomodo sciat aut dicat seipsam
de qua aut nihil aut
vix aliquid ab homine sciri possibile est?
Denn
wenn die obige Überlegung vernünftigerweise begreift, daß
es unbegreiflich ist,
wie
diese höchste Weisheit das weiß, was sie gemacht hat –
worüber
wir so viel wissen müssen –:
wer
vermag zu erklären, wie sie sich selbst weiß oder spricht,
über
die vom Menschen entweder nichts oder kaum etwas gewußt werden kann?
Ergo si non eo quod seipsam dicit
generat Pater et
generatur Filius:
Generationem eius quis enarrabit? (Is
53,8)
Wenn
also darin, daß sie sich selbst spricht,
der
Vater zeugt und der Sohn gezeugt wird:
"wer
wird seine Zeugung beschreiben?"