Apollodoros. Freunde
[1. Vorbereitetheit
des Apollodor zur Erzählung und Herkunft seines Wissens]
Apollodoros:
Ich glaube auf das, wonach ihr jetzt fragt, nicht unvorbereitet zu
sein.
Denn neulich erst ging ich eben nach der Stadt von Hause aus Phaleron,
als ein Bekannter, der mich von hinten gewahr wurde, mir von weitem
scherzend zurief:
Du Phalerier Apollodoros, wirst du nicht warten? –
Da blieb ich stehen und erwartete ihn. –
Und er sagte darauf: Apollodoros, noch vor kurzem suchte ich dich,
weil ich etwas Näheres zu erfahren wünsche von der Unterhaltung
des Agathon und Sokrates und Alkibiades und der übrigen damals
bei dem Gastmahl Gegenwärtigen
wegen der Liebesreden, wie es mit denen war.
Ein anderer hat mir zwar schon davon erzählt, der es von Phoinix,
dem Sohn des Philippos, hatte;
er sagte aber, du wissest es auch, und er konnte nichts Ordentliches
davon sagen.
Also erzähle du es mir. Denn dir gebührt es auch am meisten,
deines Freundes Reden zu berichten.
Zuvor aber sage mir, sprach er, warst du selbst bei jener Gesellschaft
zugegen oder nicht? –
Darauf sagte ich: Auf alle Weise muß derjenige dir gar nichts
Ordentliches erzählt haben, der es dir erzählt hat,
wenn du glaubst, diese Gesellschaft habe neulich stattgehabt, nach
der du fragst,
so daß auch ich dabei gewesen sei. –
Das glaubte ich doch. –
Woher doch, sprach ich, o Glaukon?
Weißt du nicht, daß Agathon schon seit vielen Jahren sich
hier nicht aufgehalten hat?
Daß ich aber mit dem Sokrates lebe und es mir angelegen sein
lasse, jeden Tag zu wissen, was redet oder tut,
das ist noch nicht drei Jahre her.
Bis dahin trieb ich mich umher, wo es sich traf, und glaubte etwas
zu schaffen,
war aber schlechter daran als irgend jemand,
kaum besser als du jetzt, der du glaubst, eher alles andere tun zu
müssen als zu philosophieren. –
Spotte nur nicht, erwiderte jener, sondern sage mir, wann doch jene
Gesellschaft gewesen ist. –
Als wir noch Kinder waren, sagte ich darauf,
da Agathon mit der ersten Tragödie den Sieg davontrug, und zwar
tags darauf,
nachdem er schon das eigentliche Siegesfest mit seiner Chorgesellschaft
begangen hatte. –
Also, sprach er, ganz lange her, wie es scheint.
Aber wer hat dir davon erzählt? Etwa Sokrates selbst? –
Nein, beim Zeus, sagte ich, sondern derselbe, von dem es auch Phoinix
hat;
es war nämlich ein gewisser Aristodemos, ein Kydathenaier, ein
kleiner Mensch, immer unbeschuht,
war bei der Gesellschaft zugegen gewesen
und einer der eifrig Verehrer des Sokrates zu damaliger Zeit, wie mich
dünkt.
Indes, auch den Sokrates habe ich schon nach einigem gefragt, was ich
von jenem gehört hatte,
und er hat es mir gerade so bestätigt, wie es erzählte. –
Wie nun, sprach er, willst du es mir nicht erzählen?
Zumal auch der Weg nach der Stadt so gut geeignet ist, im Gehen zu
reden und zu hören. –
So gingen wir also und sprachen darüber;
daher ich denn, wie schon anfänglich gesagt, nicht unvorbereitet
bin.
Soll ich es also auch euch erzählen, so muß ich das wohl
tun.
Zumal ich auch sonst, wenn ich irgend philosophische Reden selbst führe
oder von andern höre,
außer daß ich denke dadurch gefördert zu werden,
mich ausnehmend daran erfreue;
wenn aber andere, besonders auch die eurigen, die der Reichen und der
Geldmänner,
das macht mir selbst Verdruß,
und auch euch Freunde bedaure ich, weil ihr glaubt, etwas zu schaffen,
da ihr doch nichts schafft.
Vielleicht nun haltet auch ihr wieder eurerseits dafür, daß
ich übel daran bin,
und ich glaube, ihr mögt ganz richtig glauben;
ich aber glaube es nicht von euch, sondern weiß es.
[2. Der Gang zum Gastmahl:
Ankunft Aristodems und Zurückbleiben des Sokrates]
Freunde:
Du bist immer derselbe, Apollodoros!
Immer nämlich schmähst du dich selbst und die andern und
scheinst mir ordentlich alle, dich selbst mit eingeschlossen,
für ganz elend zu halten außer dem Sokrates.
Woher du nun eigentlich den Beinamen bekommen hast, daß man dich
den tollen nennt, weiß ich nicht;
in deinen Reden aber bist du freilich immer so, ergrimmt auf dich selbst
und alle andern außer dem Sokrates.
Apollodoros:
O Liebster, so ist es ja klar, wenn ich so denke von nur und euch,
daß ich toll bin und von Sinnen.
Freunde:
Es lohnt nicht, Apollodoros, jetzt hierüber zu streiten.
Worum wir dich aber gebeten haben, darin sei uns ja nicht entgegen,
sondern erzähle uns, was für Reden dort sind gewechselt worden.
Apollodoros:
Das waren also ungefähr folgende.
Oder vielmehr laßt mich versuchen, euch die Sache von Anfang
an, wie jener sie mir erzählte,
wiederzuerzählen.
Er sagte nämlich, Sokrates sei ihm begegnet, gebadet und die Sohlen
untergebunden, was er selten tat.
Daher habe er ihn gefragt, wohin er denn ginge, daß er sich so
schön gemacht hätte. –
Und jener habe geantwortet: Zum Gastmahl beim Agathon.
Denn gestern am Siegesfest bin ich ihm ausgewichen aus Furcht vor dem
Gewühl;
ich sagte ihm aber zu, auf heute zu kommen.
Und nun habe ich mich so herausgeschmückt, um doch schön
zu einem Schönen zu kommen.
Aber du, setzte er hinzu, Aristodemos,
was hältst du davon, ungeladen mitzugehen zum Gastmahl? –
Darauf, sprach er, antwortete ich: Das, was du wünschst. –
So begleite mich denn, sagte er,
damit wir auch dem Sprichwort etwas antun durch eine andere Wendung,
daß auch Gute «freiwillig zum Mahl erscheinen beim Guten».
Denn Homeros scheint diesem Sprichwort nicht nur etwas Ähnliches
angetan, sondern es gar mißhandelt zu haben.
Denn obwohl in seinem Gedicht Agamemnon ein ausgezeichnet tüchtiger
Mann ist im Kriege,
Menelaos aber «weichlich war in der Schlacht»,
so dichtet er doch, daß, als Agamemnon ein Opfer veranstaltet
und ein festliches Mahl,
Menelaos ungerufen gekommen sei, der Schlechtere zu dem Mahle des Besseren.
–
Als er dies gehört, sagte er, habe er geantwortet:
Vielleicht aber wird es auch mit mir die Bewandtnis haben, daß
ich nicht so, wie du sagst, Sokrates,
sondern nach dem Homeros als ein Schlechter bei eines kunstreichen
Mannes Fest ungeladen erscheine.
Wirst du mich also auch mit etwas entschuldigen, wenn du mich einfuhrst?
Denn ich werde nicht eingestehen, daß ungeladen erscheine, sondern
geladen durch dich. –
«Nun zwei» habe jener gesagt, «wandelnd zugleich»,
wollen wir einer den andern beraten, was wir sagen wollen.
Laß uns nur gehen. –
So ungefähr, sagte er, hatten sie zusammen gesprochen und waren
dann gegangen.
Sokrates aber sei, über irgend etwas bei sich nachsinnend, unterwegs
zurückgeblieben,
und als er auf ihn gewartet, habe er ihn geheißen immer vorangehen.
Als er nun an des Agathon Haus gekommen, habe er die Türe offen
gefunden,
und es sei ihn dort, sagte er, etwas ganz Lächerliches begegnet.
Nämlich es sei ihm drinnen gleich ein Knabe entgegengekommen
und habe ihn hingeführt, wo die andern sich niedergelassen,
die er auch schon im Begriff gefunden zu speisen.
Sobald ihn nun Agathon gesehen, habe er gesagt:
Schön, daß du kommst, Aristodemos, um mit uns zu essen.
Bist du aber wegen etwas anderem gekommen: so laß das auf ein
ander Mal;
enn auch gestern suchte ich dich, um dich einzuladen, konnte dich aber
nicht finden. Aber wieso bringst du uns den Sokrates nicht mit? –
Darauf, sprach er, drehe ich mich um und sehe den Sokrates nirgends
nachkommen.
Ich sagte also, ich selbst wäre mit dem Sokrates und von ihm geladen
hierher zum Mahle gegangen. –
Sehr wohl, habe er gesagt, hast du daran getan; aber wo ist denn jener?
–
Hinter mir ging er eben herein, und ich wundere mich selbst, wo er
wohl sein mag. –
Willst du nicht nachsehen, Knabe, habe darauf Agathon gesagt, und den
Sokrates hereinbringen?
Du aber, Aristodemos, hat er gesagt, laß dich neben dem Eryximachos
nieder.
[3. Eintreffen des S. nach halb beendetem
Mahl]
Und da habe ihn ein Knabe, sagte er, abgewaschen, damit er sich legen
konnte.
Darauf sei ein anderer Diener gekommen, meldend,
der Sokrates ist abseits gegangen und steht in dem Vorhofe des Nachbarn,
und als ich ihn rief, wollte er nicht hereinkommen. –
Wunderlicher Bericht, habe Agathon gesagt, so rufe ihn doch und laß
nicht ab. –
Darauf habe er selbst aber gesagt: Nicht doch, sondern laßt ihn
nur.
Denn er das so in der Gewohnheit,
bisweilen hält er an, wo es sich trifft, und bleibt stehen.
Er wird aber gleich kommen, denke ich;
stört ihn nur nicht, sondern laßt ihn. –
So wollen wir es so halten, wenn du meinst, habe Agathon gesagt.
Uns andere aber, ihr Leute bedient nun;
auf alle Weise tragt auf , was ihr wollt,
wenn euch doch niemand Befehl erteilt, was ich noch niemals getan habe.
Denkt also, auch ich wäre von euch zum Gastmahle geladen so wie
die andern,
und bedient uns so, daß wir euch loben können. –
Darauf, sagte er, hätten sie angefangen zu speisen, Sokrates aber
wäre noch nicht kommen. –
Agathon nun habe oftmals Befehl gegeben, den Sokrat zu holen, er aber
habe es nicht zugegeben.
Endlich sei er doch gekommen, nachdem er sich nicht gar lange Zeit,
wie er pflegte, verweilt,
sondern als sie etwa bei der halben Mahlzeit gewesen.
Agathon also, der zu unterst allein gelegen, habe gesagt:
Hierher, Sokrates, lege dich zu mir, damit ich durch deine Nähe
auch mein Teil bekomme
von der Weisheit, die sich dir dort gestellt hat im Vorhofe.
Denn offenbar hast du es gefunden und hast es nun, du hättest
ja sonst nicht abgelassen. –
Da habe sich Sokrates gesetzt und gesagt:
Das wäre vortrefflich, Agathon, wenn es mit der Weisheit so wäre:
daß sie, wenn wir einander nahten, aus dem Volleren in den Leereren
überflösse,
wie das Wasser in den Bechern durch einen Wollstreifen aus dem vollen
in den leeren fließt.
Denn ist es mit der Weisheit auch so, so ist es mir viel wert, neben
dir zu liegen;
denn e ich denke mich bei dir mit mancherlei schöner Weisheit
anzufüllen.
Denn die meinige ist wohl nur etwas gar Schlechtes und Unsicheres,
da sie wie ein Traum ist;
die deinige aber ist glänzend und hat großes Gedeihen,
da sie von dir, so jung du auch noch bist, so gewaltig ausgestrahlt
und offenbar geworden ist noch neulich vor mehr als dreißigtausend
Zeugen. –
Du bist ein Spötter, Sokrates, habe Agathon gesagt.
Aber das von der Weisheit wollen wir hernach bald miteinander ausmachen,
ich und du,
und den Dionysos zum Schiedsrichter nehmen.
Jetzt aber begib dich nur zunächst ans Speisen.
[4. Verabredungen über die zu
wählende Form des Trinkens]
Nachdem nun, sagte er, Sokrates sich hierauf niedergelassen und abgespeist
hatte und die andern auch,
hätten sie das Trankopfer gebracht und, nach gehaltenem Lobgesang
auf den Gott und was sonst Sitte ist,
sich ans Trinken begeben.
Hierauf, sagte er, habe Pausanias eine solche Rede begonnen:
Wohlan, Freunde, habe er gesagt, wie werden wir nun am behaglichsten
trinken?
Ich meines Teils erkläre euch,
daß ich mich in Wahrheit ziemlich unwohl befinde vom gestrigen
Trinken und einiger Erholung bedarf;
und ich glaube, auch die meisten von euch, denn ihr wart gestern ebenfalls
zugegen.
Überlegt also, wie wir so bequem als möglich trinken können.
–
Darauf habe Aristophanes gesagt:
Daran hast du wohl gesprochen, Pausanias,
daß wir auf alle Weise suchen müssen, es uns bequem zu machen
mit dem Trinken;
denn auch ich gehöre zu denen, die gestern etwas stark benetzt
worden sind. –
Als nun dies Eryximachos, der Sohn des Akumenos, gehört, habe
er gesagt:
Gewiß sehr wohl gesprochen.
Nur eins möchte ich noch von euch hören, wie nämlich
Agathon bei Kräften ist zum Trinken. –
Gar nicht sonderlich, habe jener gesagt, bin auch ich bei Kräften.
–
Das wäre ja ein herrlicher Fund, habe Eryximachos erwidert, für
uns, ich meine mich und den Aristodemos und Phaidros,
wenn ihr, die stärksten Trinker, es jetzt aufgebt; denn wir sind
immer Schwächlinge darin.
Den Sokrates nehme ich aus; denn der ist auf beides eingerichtet, so
daß es ihm gleich gelten wird, wie wir es machen.
Da es mir also scheint, daß keiner von den Anwesenden große
Lust hat, viel Wein zu trinken:
so wird es vielleicht weniger übel auf genommen werden, wenn ich
aufrichtig sage,
was es eigentlich auf sich hat mit dem Berauschtsein.
Mir nämlich ist das, glaube ich, ganz klar geworden durch die
Heilkunde, daß der Rausch den Leuten gar nachteilig ist,
und ich möchte weder selbst gern zu weit gehen im Trinken, noch
einen andern dazu bereden,
zumal wer noch schwer ist vom vorigen Tage. –
Wohl dann, habe Phaidros der Myrrhinusier das Wort genommen,
ich pflege dir schon immer zu gehorchen, zumal wenn du etwas in die
Heilkunde Einschlagendes sagst;
nun aber wollen es ja auch die übrigen. –
Hierauf also wären alle übereingekommen, es bei ihrem diesmaligen
Zusammensein nicht auf den Rausch anzulegen,
sondern nur so zu trinken Vergnügen.
[5. Von Eryximachos vorgebrachter
Vorschlag des Phaidros, Lobreden auf den Eros zu halten]
Nachdem nun dieses schon beschlossen ist, habe Eryximachos fortgefahren,
daß jeder nur trinken soll, soviel er will, und gar kein Zwang
stattfinden:
so bringe ich nächstdem in Vorschlag, daß wir die eben hereingetretene
Flötenspielerin gehen lassen,
mag sie nun sich selbst spielen oder, wenn sie will, Frauen drinnen,
und daß wir für heute uns untereinander mit Reden unterhalten.
Auch darüber, mit was für Reden, will ich euch, wenn ihr
es verlangt, einen Vorschlag tun. –
Darauf hätten alle bejaht, sie wollten das, und ihm aufgetragen,
einen Vorschlag zu tun. –
Also habe Eryximachos gesagt:
Der Anfang meiner Rede soll mir sein aus des Euripides Melanippe,
«denn nicht mein ist die Rede»,
sondern des Phaidros hier, die ich sprechen will.
Phaidros nämlich pflegt unwillig mir zu sagen:
Ist es nicht arg, o Eryximachos, daß auf alle Götter Lobgesänge
und Anrufungen gedichtet sind von den Dichtern,
dem Eros aber, einem so großen und herrlichen Gotte,
auch nicht einer jemals von so vielen Dichtern, die es gegeben, ein
Lobgedicht gesungen hat?
Und willst du dich auch unter den edlen Sophist umsehen,
daß die auf den Herakles und andere in ungebundener Rede Lobschriften
verfertigen,
wie der vortreffliche Prodikos;
doch das ist wohl weniger zu verwundern;
aber mir selbst ist neulich ein Buch eines weisen Mannes vorgekommen,
worin das Salz eine wundervolle Lobrede erhielt seines Nutzens wegen,
und noch verschiedenes dergleichen kannst du gepriesen finden.
Daß sie nun an solche Dinge vielen Fleiß gewendet,
den Eros aber noch kein Mensch auf den heutigen Tag gewagt hat würdig
zu besingen,
sondern ein solcher Gott so gänzlich vernachlässigt ist,
darin scheint mir Phaidros ganz recht zu haben.
Daher nun wünsche ich teils ihm einen Liebesdienst zu tun und
ihm gefällig zu sein,
teils auch dünkt mich, daß es gegenwärtig uns, die
wir hier zugegen sind, gar wohl gezieme diesen Gott zu verherrlichen.
Dünkt euch nun dieses auch: so hätten wir in Reden eine hinlängliche
Unterhaltung.
Ich meine nämlich, es solle jeder von uns rechts herum eine Lobrede
auf den Eros vortragen, so schön er nur immer kann,
und Phaidros solle zuerst anfangen, da er ja auch den ersten Platz
einnimmt
und überdies der Urheber ist von der ganzen Sache. –
Niemand, o Eryximachos, hat Sokrates gesagt, wird dir entgegenstimmen;
denn weder ich düfte mich weigern, der ich ja geständig bin,
nichts als Liebessachen zu verstehen,
noch auch wohl Agathon oder Pausanias,
auch nicht Aristophanes, der es ja immer mit dem Dionysos und der Aphrodite
zu tun hat,
noch sonst irgendeiner von allen übrigen, die ich sehe.
Wiewohl wir nicht gleich gut dabei bedacht sind, die wir zu unterst
liegen;
indessen wenn nur die vor uns gründlich und schön reden,
soll uns das genügen.
Also mit gutem Glück beginne Phaidros und verherrliche uns den
Eros. –
Hiermit stimmten dann auch die übrigen alle überein und forderten
dasselbe wie Sokrates.
An alles aber, was jeder von ihnen geredet, erinnerte sich schon Aristodemos
nicht mehr genau,
noch auch ich an alles, was er mir sagte;
was aber und wessen Reden mir vorzüglich behaltenswert geschienen,
diese will ich euch alle einzeln mitteilen.
[6. Die Größe des
Eros als ältester Gott und als Urheber großer Taten]
Zuerst also, wie gesagt, erzählte er, habe Phaidros den Anfang
seiner Rede von daher genommen,
daß Eros ein großer Gott sei und bewundernswürdig
Menschen und Göttern,
sowohl von vielen anderen Seiten als auch besonders seines Ursprunges
wegen.
Denn daß der Gott zu den ältesten gehört, sagte er,
ist ehrenvoll.
Hiervon aber ist dies ein Beweis.
Eros nämlich hat keine Eltern, noch werden deren angeführt
von irgendeinem Dichter oder anderen Erzähler.
Sondern Hesiodos sagt, zuerst sei das Chaos gewesen,
«aber nach diesem breitgebrüstet die Erde, ein Sitz unwandelbar
allen, Eros auch».
Dem Hesiodos stimmt auch Akusilaos bei,
daß nach dem Chaos diese beiden gewesen wären, die Erde
und Eros.
Und Parmenides sagt von seinem Ursprung, «Aller Götter den
ersten erhob ins Leben sie Eros».
Von so vielen Seiten her wird dem Eros zugestanden, unter die ältesten
zu gehören.
Wie nun der älteste, so ist er uns auch der größten
Güter Urheber.
Denn ich meines Teils weiß nicht zu sagen, was ein größeres
Gut wäre für einen Jüngling
als gleich ein wohlmeinender Liebhaber,
oder dem Liebhaber ein Liebling.
Denn was diejenigen in ihrem ganzen Leben leiten muß, welche
schön und recht leben wollen,
dieses vermag weder die Verwandtschaft ihnen so vollkommen zuzuwenden,
noch das Ansehen, noch der Reichtum,
noch sonst irgend etwas wie die Liebe.
Was meine ich aber hiermit?
Die Scham vor dem Schändlichen und das Bestreben nach dem Schönen.
Denn ohne dieses vermag weder ein Staat noch ein einzelner große
und schöne Taten zu verrichten.
Ich behaupte närnlich, daß einem Manne, welcher liebt, wenn
er dabei betroffen würde,
daß er etwas Schändliches entweder täte oder aus Unmännhchkeit
ohne Gegenwehr von einem andern erduldete,
weder von seinem Vater gesehen zu werden soviel Schmerz verursachen
würde, noch von seinen Freunden,
noch von sonst irgend jemand als von seinem Liebling.
Und dasselbe sehen wir von dem Geliebten,
daß er sich vorzüglich vor den Liebhabern schämt,
wenn er bei etwas Schlechtem gesehen wird.
Könnte man also irgend bewirken, daß ein Staat oder ein
Heer aus Liebhabern und Lieblingen bestände:
so wäre es ja unmöglich, beides besser zu verwalten,
als indem alle sich alles Schändlichen enthalten und sich gegenseitig
um einander beeifern.
Und miteinander fechtend würden auch nur wenige solcher, um es
geradeheraus zu sagen,
alle Menschen besiegen.
Denn weniger möchte wohl von seinem Liebling ein Liebender,
daß er seine Reihe verließe oder die Waffen wegwürfe,
gesehen werden wollen als von den übrigen,
und dafür würde er lieber oftmals sterben wollen.
Gar aber den Liebling verlassen oder ihm nicht beizustehen in der Gefahr:
so feige ist wohl keiner, den da nicht Eros selbst zur Tapferkeit begeistern
sollte,
so daß er dem gleichkäme, der die beste Anlage dazu hat
von Natur.
Ja gewiß, was Homeros sagt, daß einige der Helden ein Gott
mit Mut beseelte,
das leistet Eros den Liebenden.
[7. Die Liebe gibt Mut zu der
von den Göttern am höchsten geschätzten Tat: Opferung für
den Geliebten]
Ja gar füreinander sterben mögen Liebende allein, und nicht
Männer nur, sondern sogar Frauen.
Und dessen gibt uns schon Alkestis, die Tochter des Pelias, hinlänglichen
Beweis für diese Wahrheit vor allen Hellenen,
da sie allein für ihren Gatten sterben wollte, der doch noch Vater
und Mutter hatte,
welche sie aber so weit übertraf an Freundschaft vermöge
der Liebe,
daß mit ihr verglichen sie ihrem Sohne fremd zu sein schienen
und nur dem Namen nach ihm angehörig.
Und diese Tat, welche sie verrichtet, wurde für so schön
gehalten von den Menschen nicht nur, sondern auch den Göttern,
daß obschon unter vielen, welche viele schöne Taten verrichtet,
doch nur wenigen, leicht zu überzählenden
die Götter diese Gabe verliehen, aus der Unterwelt ihre Seele
wieder loszulassen,
sie doch auch die ihrige losließen aus Freude an der Tat.
So wollen auch die Götter den Eifer und die Tüchtigkeit in
der Liebe vorzüglich ehren.
Orpheus aber, den Sohn des Oiagros, schickten sie unverrichtetersache
aus der Unterwelt zurück,
indem sie nur die Erscheinung der Frau ihm zeigten, um derentwillen
er gekommen war,
nicht aber sie selbst ihm gaben, weil er ihnen weichlich zu sein schien
wie ein Spielmann
und nicht das Herz zu haben, der Liebe wegen zu sterben wie Alkestis,
sondern sich lieber ausgedacht hatte, lebend in die Unterwelt einzugehen.
Deshalb auch haben sie ihm Strafe aufgelegt und veranstaltet, daß
sein Tod durch Weiber erfolgte,
nicht ihn wie den Achilleus, den Sohn der Thetis, geehrt und in der
Seligen Inseln geschickt,
weil dieser, da er von seiner Mutter erkundet, daß er sterben
würde, wenn er den Hektor tötete,
täte er aber dies nicht, nach Hause zurückkehren und wohlbetagt
enden würde,
dennoch es wagte, lieber seinem Liebhaber Patrokles helfend und ihn
rächend nicht nur für ihn zu sterben,
sondern auch nachzusterben dem Verstorbenen.
Weshalb auch die Götter höchlich erfreut ihn ausgezeichnet
geehrt haben,
weil er seinen Liebhaber so hoch achtete.
Aischylos aber fabelt, wenn er sagt; Achilleus sei des Patroklos Liebhaber
gewesen,
er, der schöner war nicht nur als Patroklos, sondern auch als
sämtliche Heroen
und noch unbärtig, dann auch bei weitem jünger, wie Homeros
sagt.
Sondern in der Tat ehren die Götter zwar überhaupt ganz vorzüglich
diese Tugend, die in der Liebe,
weit mehr jedoch bewundern und loben und vergelten sie es, wenn so
der Geliebte dem Liebhaber anhängt,
als wenn der Liebhaber dem Liebling.
Denn göttlicher ist der Liebhaber als der Liebling, weil in ihm
der Gott ist.
Deshalb haben sie auch den Achilleus höher als die Alkestis geehrt
durch Absendung in die Inseln der Seligen.
So behaupte demnach auch ich,
daß unter den Göttern Eros der älteste und herrlichste
und der hilfreichste ist für die Menschen
zum Besitz der Tugend und Glückseligkeit im Leben und im Tode.
[8. Unterscheidung des himmlischen
und des gemeinen Eros]
Diese Rede ungefähr, sagte er, habe Phaidros gesprochen,
nach dem Phaidros aber einige andere, deren er sich nicht mehr recht
erinnere,
die er daher auch überging und die Rede des Pausanias mitteilte.
Dieser habe gesagt:
Nicht recht gut, o Phaidros, scheint der Gegenstand unserer Reden bestimmt
zu sein,
daß es uns so schlechthin aufgegeben ist, den Eros zu loben.
Denn wenn es nur einen Eros gäbe, dann wäre das ganz schön.
Nun aber gibt es eben nicht nur einen.
Gibt es aber nicht nur einen, so ist wohl richtiger, daß zuvor
bestimmt werde, welchen man loben soll.
Ich also will versuchen, dies zu berichtigen,
zuerst den Eros beschreiben, welcher zu loben ist,
und dann auch ihn loben des Gottes würdig.
Wir wissen nämlich alle, daß es ohne Eros keine Aphrodite
gibt;
wenn also diese nur eine wäre, so würde auch ein Eros sein,
da nun aber deren zwei sind, muß es auch einen zweifachen Eros
geben.
Wie sollten aber nicht der Göttinnen zwei sein?
Die eine ist ja die ältere, die mutterlose Tochter des Uranos,
welcher wir auch den Beinamen der himmlischen geben,
und dann die jüngere, des Zeus und der Dione Tochter,
welche wir auch die gemeine nennen.
Notwendig also wird auch der eine Eros, der Gehilfe der letzteren,
mit Recht der gemeine genannt,
der andere der himrnlische.
Preisen nun muß man zwar alle Götter,
was aber jedem von diesen beigelegt ist, will ich versuchen zu zeigen.
Mit jeder Handlung nämlich verhält es sich so:
an und für sich selbst ist sie zu verrichten weder schön
noch häßlich.
Wie was wir jetzt tun, trinken, singen, sprechen, davon ist nichts
an und für sich schön;
sondern wie es in der Ausübung gerät, so wird es.
Denn schön und recht gemacht, wird es schön;
unrecht aber, wird es schlecht.
So auch, das Lieben und der Eros;
nicht jeder ist schön und wert, verherrlicht zu werden,
sondern nur, der uns anreizt, schön zu lieben.
[9. Die beiden Arten
der Liebe. –
Einschätzung der Knabenliebe in ungebildeten und barbarischen
Staaten]
Der der gemeinen Aphrodite also ist auch in Wahrheit gemein und bewirkt,
was sich eben trifft,
und dieser ist es, nach welchem die schlechten unter den Menschen lieben.
Es lieben aber solche zuerst nicht minder Frauen als Knaben;
dann, welche sie nun eben lieben, an denen mehr den Leib als die Seele;
dann, soviel sie immer können, die Unvernünftigsten, indem
sie nur auf die Befriedigung sehen,
unbekümmert, ob auf schöne Weise oder nicht.
Daher ihnen denn begegnet, daß sie tun, was ihnen eben vorkommt,
gleichermaßen wie das Gute, ebenso auch das Gegenteil.
Wie denn auch dieser Eros von der Göttin abstammt, welche teils
weit jünger ist als die andere,
teils auch ihren Ursprung beidem, Weiblichem sowohl als männlichem,
verdankt.
Der der himmlischen aber gehört zuerst einer, welche nicht von
Weiblichem, sondern nur von Männlichem abstammt,
und diese ist die Liebe der Knaben;
dann auch der, welche älter ist und keinen Anteil irgend hat an
Frevel.
Daher denn wenden sich zu dem Männlichen die von diesem Eros Angewehten,
indem sie das von Natur Stärkere und mehr Vernunft in sich Habende
lieben.
Und es unterscheidet einer wohl leicht auch in der Knabenliebe selbst
die ganz rein von diesem Eros Getriebenen.
Denn sie lieben nicht Kinder, sondern solche, die schon anfangen Vernunft
zu zeigen.
Dies trifft aber nahe zusammen mit dem ersten Bartwuchs.
Und die alsdann anfangen zu lieben, sind, denke ich, darauf eingerichtet,
für das ganze Leben vereinigt zu sein und es in Gemeinschaft hinzubringen,
nicht aber den Jüngling, nachdem sie seinem Unverstand etwas entlockt,
hernach zu verlachen und von ihm zu einem anderen zu entlaufen.
Es sollte aber auch ein Gesetz sein, nicht Kinder zu lieben,
damit nicht aufs Ungewisse so viele Bemühungen verwendet würden.
Denn bei den Kindern ist der Ausgang ungewiß, wo es hinaus will,
ob zur Schlechtigkeit oder Tugend der Seele und des Leibes.
Die Besseren nun setzen sich dieses Gesetz selbst freiwillig,
man soll aber auch jene gemeinen Liebhaber hierzu nötigen,
wie wir sie auch von edlen Frauen, soviel wir nur vermögen, abhalten,
daß sie sie nicht lieben dürfen.
Denn diese sind es, welche auch der Sache die Schmach zugefügt
haben,
daß manche sagen durften, es sei schändlich den Liebhabern
zu willfahren.
Dies sagen sie aber nur mit Hinsicht auf diese, weil sie ihre Unzeitigkeit
und Unrechtlichkeit sehen.
Denn anständig und sittig betrieben kann keine Handlung, welche
es auch sei, gerechter Tadel treffen.
Was nun aber eigentlich Sitte ist in bezug auf die Liebe, ist in andern
Staaten wohl gar sehr leicht zu erkennen;
denn ganz einfach ist es bestimmt, die hiesige aber und die in Lakedaimon
ist schwierig und verwickelt.
In Elis nämlich und unter den Böotern und wo sonst man nicht
geschickt ist im Reden,
da ist es schlechthin zur Sitte geworden, daß man für schön
hält, den Liebhabern zu willfahren,
und keiner, weder jung noch alt, wird sagen, es sei schändlich,
damit sie, meine ich, nicht erst Mühe haben, wenn sie versuchen
müßten, durch Reden die Jünglinge zu bewegen,
weil sie nämlich unvermögend sind zu reden.
In Ionien aber und sonst an vielen Orten erklärt es die Sitte
für schändlich,
wo man nämlich unter Barbaren wohnt.
Denn den Barbaren gilt der unumschränkten Gewalt wegen dies für
schändlich,
so wie auch die Lust zur Wissenschaft und zu den Leibesübungen.
Denn den Herrschenden, meine ich, ist es nicht zuträglich, daß
große Einsichten sich unter den Beherrschten hervortun,
noch auch starke Freundschaften und Verbindungen,
was doch vornehmlich pflegt sowohl durch jenes andere alles als auch
durch die Liebe gebildet zu werden.
Durch die Tat aber haben dies auch die hiesigen Tyrannen erfahren;
denn des Aristogeiton und Harmodios zu einer festen Freundschaft gediehene
Liebe zerstörte ihre Herrschaft.
Also wo es für schändlich geachtet ist, den Liebhabern zu
willfahren,
da besteht diese Sitte durch Schlechtigkeit derer, welche sie aufgestellt,
nämlich durch der Herrschenden Begehrlichkeit und der Beherrschten
Unmännlichkeit;
wo es aber schlechthin als schön festgestellt ist, da durch die
Trägheit der Seele derer, welche sie aufgestellt.
Hier aber ist eine weit schönere Sitte als jene eingeführt;
nur die, wie ich sagte, nicht leicht ist zu verstehen.
[10. Erklärung des in Athen bei
der Knabenliebe herrschenden Brauchs]
Denn bedenkt einer, daß gesagt wird, es sei schöner öffentlich
lieben als verstohlen,
und zwar vorzüglich die Edelsten und Besten, wären sie auch
minder schön als andere,
und was für sonderliche Aufmunterung dem Liebenden von allen widerfährt,
gar nicht als ob er etwas Schändliches täte;
und daß den Geliebten zu gewinnen für schön gehalten
wird, ihn nicht zu gewinnen aber für schimpflich,
und daß, um den Versuch zu machen, ob er ihn gewinnen könne,
die Sitte dem Liebhaber freigestellt hat,
gar vielerlei verwundernswürdige Dinge zu unternehmen und dafür
gelobt zu werden,
wofür, wenn jemand wagen wollte sie zu tun, indem er sonst irgend
etwas verfolgte und erreichen wollte als nur dieses,
er den schärfsten Tadel ernten würde;
denn wer etwa, um Geld von jemand zu bekommen oder zu einem Amt und
sonstiger Gewalt zu gelangen,
das tun wollte, was Liebhaber ihren Lieblingen tun,
mit demütig flehenden Stellungen und Gebärden bitten, Eide
schwören, sich vor die Türe lagern
und freiwillig Dienstleistungen verrichten, wie sie nicht einmal ein
Knecht verrichtet:
so würde er verhindert werden, die Sache so zu betreiben,
von Freunden und Feinden, indem diese ihm Schmeichelei und Niedrigkeit
vorwerfen,
jene ihn zurechtweisen und sich darüber schämen würden;
dem Liebenden aber, wenn er dies alles tut, wird es gutgeheißen,
und es ist ihm herkömmlich zugestanden, dies ohne Schande zu tun,
weil er nämlich eine gar herrliche Sache betreibe.
Ja das Stärkste ist, wie man doch insgemein sagt, daß auch,
wenn er geschworen hat,
für ihn allein Verzeihung bei den Göttern ist, wenn er den
Schwur bricht;
denn ein Liebesschwur, sagen sie, sei keiner.
So haben Götter sowohl als Menschen dem Liebenden gar viele Freiheit
gestattet,
wie die hiesige Sitte besagt.
Hiernach nun sollte man glauben, es gelte in dieser Stadt für
etwas gar Schönes,
sowohl zu lieben als den Liebhabern Freund zu werden.
Wenn aber wiederum die Väter Aufseher bestellen für die Geliebten,
um nicht zuzugeben, daß sie sich mit den Liebhabern unterhalten,
und dem Aufseher gerade dies vorzüglich aufgetragen wird,
ja auch die Gespielen und andere es ihnen zum Vorwurf machen, wenn
sie sehen, daß so etwas geschieht,
und die Älteren diesen Vorwürfen nicht Einhalt tun noch sie
dafür schelten, als täten sie Unrecht daran,
auf dieses also wiederum sehend,
sollte man im Gegenteil glauben, daß eben dies hier für
das Schändlichste gelte.
Es verhält sich aber damit, glaube ich, folgendergestalt.
Nämlich es ist nicht einerlei in allen Fällen, wie ich schon
anfangs sagte,
daß es an und für sich weder schön noch schändlich
sei,
sondern schön behandelt ist es schön, anders aber schändlich.
Schändlich nämlich ist es, einem Schlechten und auf schlechte
Art gefällig werden;
schön aber, einem Guten und auf schöne Art.
Und schlecht ist eben jener gemeine Liebhaber, der den Leib mehr liebt
als die Seele;
wie er auch nicht einmal beständig ist, da er ja keinen beständigen
Gegenstand liebt.
Denn mit der entfliehenden Blüte des Leibes, den er liebte,
verschwindet auch er und flattert davon,
viele Reden und Versprechung zuschanden machend.
Der Liebhaber eines Gemütes aber, welches gut ist, bleibt zeitlebens,
denn mit dem Bleibenden hat er sich verschmolzen.
Diese also will unsere Sitte, daß man wohl und recht prüfe,
und dem einen gefällig sei, den andern aber meide.
Deshalb ermuntert sie den Liebhaber zum Nachjagen, den Geliebten zum
Fliehen,
indem sie einen Kampf anstellt und eine Prüfung,
zu welchen von beiden wohl der Liebhaber gehöre und zu welchen
der Geliebte.
So demnach und aus dieser Ursache wird zuerst sich schnell gewinnen
zu lassen für schimpflich gehalten,
damit es an der Zeit nicht fehle, welche ja scheint das meiste am besten
zu prüfen;
dann auch durch Reichtum oder Gewalt im Staate gewonnen werden ist
schimpflich,
mag nun einer unter übler Begegnung sich beugen und nicht aushalten,
oder wenn man ihm zu Reichtümern und zu seinen Absichten im Staate
verhilft, dies nicht verschmähen.
Denn nichts dergleichen scheint sehr sicher und beständig zu sein,
ungerechnet noch, daß auch nicht einmal eine wahre Freundschaft
daraus entstehen kann.
Ein Weg also ist nach unseren Sitten noch übrig,
wie es schön sein kann, daß ein Liebling seinem Liebhaber
gefällig werde.
Denn es ist unter uns Sitte,
daß so, wie die Liebhaber ihren Lieblingen freiwillig jeglichen
Dienst leisten durften,
ohne daß es ihnen als Schmeichelei angerechnet wurde oder als
sonst etwas Schimpfliches,
so noch eine einzige freiwillige Dienstbarkeit übrig ist, welche
nicht schimpflich ist, und das ist die um die Tugend.
[11. Die eine schöne
Form der Knabenliebe. – Das Schlucken der Aristophanes]
Denn das ist bei uns Sitte, wenn jemand einem andern ergeben sein will,
weil er glaubt,, besser durch ihn zu werden,
es sei in irgendeiner Einsicht oder in einem andern Teile der Tugend,
daß ein solcher freiwilliger Dienst nicht schändlich sei
noch eine Niedrigkeit.
Diese beiden Satzungen nun muß man zusammenbringen in eins,
jene über die Knabenliebe und diese über die Philosophie
und die Tugend,
wenn es sich fügen soll, daß es schön sei, ein Liebling
werde seinem Liebhaber gefällig.
Denn wenn so beide zusammentreffen, Liebhaber und Liebling, daß
jeder die Meinung für sich hat,
jener die, daß er recht daran tue, dem Liebling, der ihm gefällig
geworden, jeglichen Dienst zu erzeigen,
dieser aber die, daß es recht sei, dem, der ihn weise und gut
macht, was es auch immer sei zu erweisen,
und dann jener auch wirklich vermag, zur Weisheit und Tugend behilflich
zu sein,
dieser aber begehrt, zur Bildung und zu jeglicher Art der Weisheit
Hilfe zu erlangen,
dann also, wenn diese beiden Satzungen in eins zusammenkommen, da allein
trifft es auch zu,
daß es schön ist für den Liebling, dem Liebhaber gefällig
zu sein, sonst aber nirgends.
Und in diesem Falle ist selbst getäuscht zu werden nichts Schändliches;
in jedem andern aber bringt es Schande, mag nun einer getäuscht
werden oder auch nicht.
Denn wenn einer einen Liebhaber als einem Reichen um des Reichtums
willen gefällig geworden
und damit hintergangen wäre, daß er kein Geld bekäme,
weil sich eben zeigte, daß der Liebhaber arm ist,
so bliebe die Sache doch um nichts minder schlecht.
Denn ein solcher, denkt man, hat doch das Seinige gezeigt, daß
er um des Geldes willen jedem jedes tun würde,
und das ist nicht schön.
Aus demselben Grunde nun, wenn jemand einem als einem Guten gefällig
geworden
und um selbst besser zu werden durch die Freundschaft seines Liebhabers,
hierin aber hintergangen wäre,
indem es sich zeigte, daß jener schlecht ist und selbst keine
Tugend besitzt:
so ist doch auch die Täuschung schön.
Denn auch dieser wiederum scheint doch, soviel an ihm lag, gezeigt
zu haben,
daß er der Tugend wegen und um besser zu werden allen zu allen
Dingen bereit wäre,
und dies wiederum ist unter allem das Schönste.
So ist es doch auf alle Weise schön, der Tugend wegen sich hinzugeben.
Dieses ist der Eros der himmlischen Göttin und selbst himmlisch
und viel wert dem Staat und den einzelnen,
indem er den Liebenden nötigt, viel Sorgfalt auf seine eigne Tugend
zu wenden, und auch den Geliebten;
jeder andere Eros aber gehört der anderen, der gemeinen.
Dieses, sagte er, ist es, o Phaidros, was ich dir so im Augenblick
über den Eros darbieten kann.
Als nun Pausanias ausgesagt hatte, denn so lehren mich die Kunstkenner
die gleichen Töne suchen,
sollte, wie Aristodemos sprach, Aristophanes reden.
Es hatte ihn aber eben, sei es nun aus Überfüllung oder sonst
einer Ursache, ein Schlucken überfallen,
und er sei nicht imstande gewesen zu reden, sondern habe gesagt –
zunächst neben ihm habe nämlich der Arzt Eryximachos gelegen:
O Eryximachos, dir kommt es zu, mir entweder den Schlucken zu vertreiben
oder für mich zu reden, bis er mir vergeht.
Darauf habe Eryximachos geantwortet: Das will ich beides tun;
ich will nämlich an deiner Stelle reden, und du hernach, wenn
es vorüber ist, an der meinigen.
Und indes ich rede, wird dir vielleicht, wenn du nur recht lange den
Atem an dich halten willst, der Schlucken vergehen;
wo nicht, so spüle ihn mit Wasser hinunter.
Wenn er aber recht hartnäckig ist, so nimm etwas, womit du die
Nase reizen kannst, und niese;
und wenn du dies ein- oder zweimal getan hast, wird er vergehen, wenn
er auch noch so heftig ist. –
So fange nun an zu reden, habe Aristophanes gesagt, und ich will dieses
tun.
[12. Der zweifache Eros als
wirksam in allen göttlichen und menschlichen Dingen]
Darauf habe Eryximachos so gesprochen:
Es scheint mir nötig zu sein, da Pausanias zwar einen schönen
Ansatz genommen zu seiner Rede,
sie aber nicht befriedigend zu Ende geführt hat,
daß ich versuchen müsse, der Rede ihren Schluß zu
geben.
Denn daß es einen zwiefachen Eros gibt, dünkt er mich sehr
richtig unterschieden zu haben;
daß er aber nicht allein über die Seelen der Menschen waltet
in Beziehung auf die Schönen,
sondern auch auf vieles andere, und auch in allen andern Dingen,
in den Leibern der Tiere sowohl als in den Gewächsen der Erde,
und kurz in allem was ist,
das glaube ich ersehen zu haben aus unserer Kunst, der Heilkunde,
wie groß und bewunderungswürdig der Gott ist
und über alles sich erstreckt in menschlichen sowohl als göttlichenDingen.
Anfangen aber will ich meine Rede mit der Heilkunde,
um doch meiner Kunst Ehre erzeigen.
Auch die Natur der Leiber nämlich hat diese zwiefache Liebe.
Denn der gesunde Zustand des Leibes und der kranke sind eingestandenermaßen
verschieden und unähnlich;
und das Unähnliche begehrt auch und liebt Unähnliches.
Ein anderer Eros also ist der über den Gesunden und ein anderer
der über den Kranken.
Und es ist, wie auch eben Pausanias sagte,
den Guten unter den Menschen zu willfahren schön;
den Ungebändigten aber häßlich.
So ist es auch mit den Leibern selbst;
dem, was gut ist an einem jeden Leibe und gesund, ist es schon zu willfahren,
und es gehört sich, und dies ist eben das, was wir heilkundig
nennen;
dem Schlecht aber und Krankhaften wäre es schändlich,
und dem muß sich verweigern, wer irgend kunstverständig
sein will.
Denn die Heilkunde ist, um es in kurzem zu sagen,
die Erkenntnis der Liebesregungen des Leibes in bezug auf Anfüllung
und Ausleerung;
und wer in diesen Dingen die schöne und die schlechte Liebe unterscheidet,
dieser ist der Heilkundigste,
und wer zum Tauschen bewegt, daß man statt der einen Liebe die
andere sich aneigne,
und wer, denen keine Liebe einwohnt und doch einwohnen sollte, sie
beizubringen versteht
oder eine einwohnende zu benehmen, der wäre der treffliche Künstler.
Denn dieser muß das Feindseligste im Leibe einander zu befreunden
wissen, daß es sich liebe.
Das Feindseligste aber ist das Entgegengesetzteste,
das Kalte dem Warmen, das Bittre dem Süßen, das Trockne
dem Nassen und alles dergleichen.
Daß diesen Liebe und Wohlwollen unser Ahnherr Asklepios einzuflößen
verstand,
dadurch hat er, wie die Dichter hier sagen und ich es glaube, unsere
Kunst gegründet.
Die Heilkunde also wird, wie gesagt, ganz von diesem Gott geleitet,
ebenso auch die Gymnastik und der Landbau.
Von der Tonkunst aber muß jedem offenbar sein, der nur ein wenig
Nachdenken daran wendet,
daß es sich mit ihr ebenso verhält wie mit jenen, was vielleicht
auch Herakleitos sagen will,
denn den Worten nach hat er es nicht richtig ausgedrückt.
Er sagt nämlich, daß das Eins «in sich entzweit sich
mit sich einige»
«wie die Stimmung einer Lyra oder eines Bogens».
Es ist aber große Unvernunft, zu sagen, eine Harmonie sei in
sich entzweit
oder könne aus noch Entzweitem bestehen.
Vielleicht aber wollte er dieses sagen, daß sie aus dem vorher
entzweiten Höheren und Tieferen,
hernach aber einig Gewordenen gewordenen durch die Tonkunst entstanden
sei.
Denn unmöglich kann aus noch entzweitem Höheren und Tieferen
eine Harmonie bestehen.
Denn Harmonie ist Zusammenstimmung,
Zusammenstimmung aber ist eine Eintracht;
Eintracht aber kann unter Entzweitem, solange es entzweit ist, unmöglich
sein;
und das Entzweite und nicht Einträchtige kann wiederum unmöglich
zusammenstimmen.
Wie auch das Zeitmaß aus dem Schnellen und Langsamen,
vorher freilich entzweiten, hernach aber einig gewordenen, entsteht.
Eintracht nun weiß allem diesen, wie dort die Heilkunst, so hier
die Tonkunst einzuflößen,
indem sie gegenseitig jedem Liebe und Wohlwollen einbildet.
Und so ist die Tonkunst eine Wissenschaft der Liebe in bezug auf Harmonie
und Zeitmaß.
Und in dem Aufstellen des Wohllautes und des Zeitmaßes selbst
ist es wohl nicht schwer, die Liebesregungen zu erkennen,
noch findet sich hierin jener zwiefache Eros.
Allein, wenn man vor den Menschen Wohllaut und Zeitmaß in Anwendung
bringen soll,
es sei nun dichtend, was man das Tonsetzen nennt,
oder nur bereits gedichtete Gesänge und Silbenmaße recht
gebrauchend, was die Ausübung heißt,
alsdann ist es schwer und bedarf eines tüchtigen Meisters.
Denn hier tritt wieder dasselbe Verhältnis ein,
daß man den sittlichen Menschen, und damit auch die sittlicher
werden, die es noch nicht sind,
gefällig sein und ihre Liebe wohl in acht nehmen muß;
und dies eben ist der schöne himmlische Eros, der der Muse Urania
angehört,
der andere aber der Polyhymnia ist der gemeine, den man mit großer
Vorsicht anwenden muß,
bei wem man ihn ja anwendet, damit man die Lust von ihm zwar einernte,
er aber doch keine Ungebundenheit hervorbringe,
so wie es in unserer Kunst gar schwer ist, mit den Gelüsten, die
sich auf die Kochkunst beziehen, richtig zu verfahren,
um die Lust davon zu genießen ohne Krankheit.
Also in der Tonkunst wie in der Heilkunst und in allen übrigen
menschlichen und göttlichen Dingen
muß man, soweit es vergönnt ist, auf den zwiefachen Eros
wohl acht haben;
denn vorhanden sind beide darin.
[13. Der Eros in der Natur
und als Objekt der Währsagekunst –
Aristophanes über das Ende des Schluckens]
Dann auch die Anordnung der Jahreszeiten und der Witterung ist voll
von beiden.
Wenn nämlich der sittige Eros gegenseitig in dem schon Erwähnten
waltet,
dem Warmen und Kalten, Trocknen und Feuchten,
und sie zu einer wohlgeordneten Stimmung und Mischung gelangen,
dann bringen sie Gedeihen und Gesundheit dem Menschen und den übrigen
Tieren sowohl als Pflanzen
und beschädigen nichts.
Wenn aber der frevelhafte Eros die Oberhand gewinnt in den abwechselnden
Zeiten des Jahres,
so verdirbt und beschädigt er das meiste.
Die Seuchen nämlich pflegen aus dergleichen zu entstehen
und vielerlei andere Krankheiten unter den Tieren und den Gewächsen.
Denn auch Reif und Hagel und Meltau entstehen aus Unmäßigkeit
und Unordnung der Liebesregungen dieser Art,
deren Erkenntnis im Lauf der Gestirne und im Wechsel der Jahreszeiten
die Sternkunde heißt.
Ferner auch alle Opferungen und was sonst die Wahrsagekunst unter sich
hat,
denn dies insgesamt ist die Gemeinschaft der Götter und Menschen
untereinander,
haben es mit nichts anderem zu tun als mit Pflege und Heilung der Liebe.
Denn alle Ruchlosigkeit pflegt zu entstehen, wenn jemand nicht dem
sittigen Eros willfährt,
noch ihm Ehre und Vorrang einräumt in allen Dingen,
sondern dem andern sowohl im Verhältnis gegen die Eltern, sie
mögen leben oder abgeschieden sein,
als gegen die Götter, worin eben der Wahrsagekunst obliegt, beiderlei
Eros zu beaufsichtigen und zu heilen.
Und so ist wiederum auch die Wahrsagekunst die Stifterin der Freundschaft
zwischen Göttern und Menschen
vermöge der Erkenntnis derjenigen Liebesregungen unter den Menschen,
welche auf Gottesfurcht und Ruchlosigkeit ausgehen.
So vielfache und große oder vielmehr alle Kraft besitzt Eros
überhaupt;
der aber an dem Guten mit Besonnenheit und Gerechtigkeit sich erweist,
der hat bei uns und bei den Göttern die meiste Gewalt und bereitet
uns jede Glückseligkeit,
daß wir sowohl miteinander umgehen können und befreundet
sein als auch mit den Herrlicheren als wir, den Göttern.
Vielleicht nun habe auch ich den Eros lobpreisend vieles vorbeigelassen,
wiewohl gewiß nicht gern.
Habe ich aber etwas ausgelassen: so ist nun deine Sache, Aristophanes,
es zu ergänzen.
Oder hast du auch im Sinne, noch auf eine andere Weise den Gott zu
preisen,
preise ihn, zumal du auch des Schluckens ledig bist.
Darauf habe, sagte er, Aristophanes das Wort genommen und gesagt:
Freilich hat er aufgehört, aber doch nicht eher, bis er mit dem
Niesen behandelt worden ist,
so daß mich auch wundert, habe er hinzugefügt,
wie doch das Wohlgeordnete des Leibes solches Geräusch und solchen
Kitzel begehren mag, wie doch das Niesen ist;
denn er hörte gleich auf, sobald ich nur das Niesen anwendete.
Darauf habe Eryximachos gesagt: Guter Aristophanes, siehe wohl zu,
was du tust!
Du ziehst mich auf, indem du im Begriff bist zu reden,
und nötigst mich also, selbst der Aufpasser deiner Rede zu werden,
ob du nicht auch etwas Lächerliches sagst, da du sonst könntest
ganz in Frieden geredet haben. –
Darauf habe Aristophanes lachend entgegnet:
Wohl gesprochen, Eryxünachos, und das Gesagte soll mir ungesagt
sein.
Also laure mir nicht auf, da ich ohnehin schon besorgt bin um das,
was ich zu sagen denke,
nicht ob ich nicht Lächerliches sagen werde, denn das wäre
ja ein Gewinn und meiner Muse einheimisch,
sondern ob nicht Belachenswertes. –
Nachdem du abgeschossen, habe jener gesagt, denkst du zu entkommen,
Aristophanes?
Gib nur wohl Achtung und rede wie einer, der sich wird verantworten
müssen.
Vielleicht indes, wenn es mir ansteht, lasse ich dich auch durch.