Hans
Zimmermann : 12 KÖRBE: Quellen zum
Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike : Platon
: Diotima, Alkibiades (Symposion)
Platon
: Symposion, die Diotima-Rede des Sokrates
– Symposion 201d bis
212c –
Übersetzung ins Deutsche von F. Schleiermacher
(1804-1810)
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Symposion, Die
Diotima-Rede des Sokrates
[22. Das Zwischen-Sein
des Eros zwischen dem Schönen und Häßlichen,
zwischen dem Guten und Schlechten]
easo: ton de logon ton peri tou Erôtos,
hon pot’ êkousa gunaikos Mantinikês
Diotimas,
hê tauta te sophê ên kai
alla polla
– kai Athênaiois pote thusamenois pro
tou loimou
deka etê anabolên epoiêse
tês nosou,
hê dê kai eme ta erôtika
edidaxen –
hon oun ekeinê elege logon,
peirasomai humin dielthein
ek tôn hômologêmenôn
emoi kai Agathôni.
autos ep emauto, hopôs an dunômai.
Und so will ich dich denn jetzt lassen und eine Rede über den Eros,
welche ich einst von einer Mantineerin namens Diotima gehört
habe,
welche hierin und auch sonst sehr weise war,
– auch den Athenern einst bei einem Opfer vor der Pest
zehnjährigen Aufschub der Krankheit bewirkte,
welche auch mich in Liebessachen unterrichtet hat, –
die Rede also, welche diese gesprochen hat,
will ich versuchen euch zu wiederholen, von dem ausgehend,
worüber ich mit Agathon übereingekommen bin,
sonst aber ganz für mich allein, so gut ich eben kann.
dei dê, ô Agathôn, hôsper
su diêgêsô,
dielthein [201e] auton prôton, tis estin
ho Erôs kai poios tis,
epeita ta erga autou.
Es gehört sich also, o Agathon, wie auch du erklärtest,
zuerst ihn selbst zu beschreiben, den Eros, wer er ist und was für
einer,
und dann seine Werke.
dokei oun moi raiston einai houtô dielthein,
hôs pote me hê xenê anakrinousa
diêei.
Es dünkt mich also am leichtesten, es so durchzunehmen,
wie damals die Fremde, mich ausfragend, es durchging.
schedon gar ti kai egô pros autên
hetera toiauta elegon hoiaper nun pros eme Agathôn,
hon eiê ho Erôs megas theos, eiê
de tôn kalôn:
Denn ungefähr dergleichen hatte auch ich zu ihr gesagt, wie Agathon
jetzt zu mir,
daß Eros ein großer Gott sei und von den Schönen.
êlengche dê me toutois tois logois
hoisper egô touton,
hôs oute kalos eiê kata ton emon
logon oute agathos.
Sie aber widerlegte mich mit denselben Reden, womit ich jetzt diesen,
daß er weder schön wäre nach meinen eigenen Reden,
noch gut.
kai egô, pôs legeis, ephên,
ô Diotima?
aischros ara ho Erôs esti kai kakos?
Da sprach ich: Wie meinst du aber, Diotima,
ist also Eros häßlich und schlecht? –
kai ê, ouk euphêmêseis?
ephê:
ê oiei, hoti an mê kalon êi,
anankaion auto einai aischron?
Und sie: Willst du dich nicht des Frevels enthalten?
Oder meinst du, was nicht schön ist,
das sei notwendig häßlich? –
Allerdings wohl. –
ê kai an mê sophon, amathes?
ê ouk êsthêsai hoti estin
ti metaxu sophias kai amathias?
Auch was nicht weise, das töricht?
Oder hast du nicht gemerkt, daß es etwas mitteninne gibt zwischen
Weisheit und Torheit? —
Was wäre das? —
to ortha doxazein kai aneu tou echein logon
dounai
ouk oisth‘ ephê, hoti oute pistasthai
estin – alogon gar pragma pôs an eiê epistêmê?
– oute amathia – to gar tou ontos tungchanon
pôs an eiê amathia?
– esti de dêpou toiouton hê orthê
doxa, metaxu phronêseôs kai amathias.
Wenn man richtig vorstellt, ohne jedoch Rechenschaft davon geben zu können,
weißt du nicht, daß das weder Wissen ist – denn wie könnte
etwas Grundloses eine Erkenntnis sein? –
noch auch Unverstand, denn da sie doch das Wahre enthält, wie
könnte sie Unverstand sein?
Also ist offenbar die richtige Vorstellung so etwas zwischen Einsicht
und Unverstand. —
alêthê, ên d‘ egô,
legeis. [202b]
Richtig, sprach ich. —
mê toinun anankaze ho mê kalon
estin aischron einai,
mêde ho mê agathon, kakon,
houtô de kai ton erôta epeidê
autos homologeis
mê einai agathon mêde kalon,
mêden ti mallon oiou dein auton aischron
kai kakon einai,
alla ti metaxu, ephê, toutoin.
Folgere also nicht, was nicht schön ist, sei häßlich,
noch was nicht gut sei, schlecht.
Ebenso auch vom Eros, da du doch selbst eingestehst,
er sei weder gut noch schön,
glaube deshalb noch nicht, daß er häßlich und schlecht
sein müsse,
sondern etwas, sagte sie, zwischen beiden. —
kai mên, hên d’ egô, homologeitai
ge para pantôn megas theos einai.
Aber das, sprach ich, wird doch von allen eingestanden,
daß er ein großer Gott ist —
tôn mê eidotôn, ephê,
pantôn legeis,
ê kai tôn eidotôn?
Von allen Nichtwissenden, sprach sie, meinst du,
oder auch von den Wissenden? —
Von allen insgesamt. —
kai ê gelasasa kai pôs an, ephê,
ô Sôkrates,
[202c] homologoito megas theos einai para
toutôn,
hoi phasin auton oude theon einai?
Da lachte sie und sagte: Und wie, Sokrates,
könnte wohl von denen eingestanden werden, daß er ein großer
Gott sei,
welche behaupten, er sei überhaupt kein Gott? —
Wer sind doch die? fragte ich. —
heis men, ephê, su, mia d’ egô.
Einer davon bist du, sagte sie, und eine ich. —
kagô eipon, pôs touto, ephên,
legeis?
Da sprach ich: Wie meinst du doch dies? —
kai ê, raidiôs, ephê.
lege kai moi, ou pantas theous phêis
eudaimonas einai kai kalous?
ê tolmêsais an tina mê phanai
kalon te kai eudaimona theôn einai?
Und sie antwortete: Ganz natürlich.
Denn sage mir nur, meinst du nicht, daß alle Götter glückselig
und schön sind?
Oder hättest du das Herz zu sagen, daß irgendein Gott nicht
schön und glückselig sei? —
Beim Zeus, ich gewiß nicht, sprach ich. —
eudaimonas de dê legeis ou tous tagatha
kai ta kala kektêmenous?
Und glückselig nennst du doch, die das Schöne und Gute besitzen?
—
Freilich. —
alla mên Erôta ge hômologêkas
di‘ endeian tôn agathôn kai kalôn
epithumein autôn toutôn hôn
endeês estin.
Vom Eros aber hast du doch eingestanden,
daß er aus Bedürfnis nach dem Schönen und Guten
eben das begehre, dessen er bedürftig ist? —
Das habe ich eingestanden. —
pôs an oun theos eiê ho ge tôn
kalôn kai agathôn amoiros?
Wie konnte also ein Gott sein, der unbegabt ist mit Schönem und Gutem?
—
Auf keine Weise, wie es scheint. —
horais oun, ephê, hoti kai su erôta
ou theon nomizeis?
Siehst du nun, sagte sie, daß auch du den Eros für keinen Gott
hältst? —
[23. Der Eros als großer
Dämon zwischen dem Sterblichen und Unsterblichen;
seine Herkunft und sein philosophisches Wesen]
ti oun an, ephên, eiê ho Erôs?
thnêtos?
Was wäre also, sprach ich, Eros?
Etwa sterblich? —
Keineswegs. —
Aber was denn? —
hôsper ta protera, ephê, metaxu
thnêtôu kai athanatou.
Wie oben, sagte sie, zwischen dem Sterblichen und Unsterblichen. —
Was also, o Diotima? —
daimôn megas, ô Sôkrates:
kai gar pan to daimonion [202e] metaxu esti
theou te kai thnêtou.
Ein großer Dämon, o Sokrates.
Denn alles Dämonische ist zwischen Gott und dem Sterblichen. —
tina, hên d‘ egô, dunamin echon?
Und was für eine Verrichtung,
sprach ich, hat es? —
hermêneuon kai diaporthmeuon theois
ta par‘ anthrôpôn
kai anthrôpois ta para theôn,
tôn men tas deêseis kai thusias,
tôn de tas epitaxeis te kai amoibas
tôn thusiôn,
Zu verdolmetschen und zu überbringen den Göttern, was von den
Menschen,
und den Menschen, was von den Göttern kommt,
der einen Gebete und Opfer
und der andern Befehle und Vergeltung der Opfer.
en mesôi de on amphoterôn sumplêroi,
hôste to pan auto autôi sundedesthai.
In der Mitte zwischen beiden ist es also die Ergänzung,
so daß nun das Ganze in sich selbst verbunden ist.
dia thoutou kai hê mantikê pasa
chôrei
kai hê tôn hiereôn technê
tôn te peri tas thusias kai teletas [203a] kai tas epôidas
kai tên manteian pasan kai goêteian.
Und durch dies Dämonische geht auch alle Weissagung
und die Kunst der Priester in bezug auf Opfer, Weihungen und Besprechungen
und alle Wahrsagung und Bezauberung.
theos de anthrôpôi ou meignutai,
alla dia toutou pasa estin hê homilia
kai hê dialektos theois pros anthrôpous,
kai egrêgorosi kai katheudousi:
Denn Gott verkehrt nicht mit Menschen,
sondern aller Umgang und Gespräch der Götter mit den Menschen
geschieht durch dieses,
sowohl im Wachen als im Schlaf.
kai ho men peri ta toiauta sophos daimonios
anêr,
ho de allo ti sophos ôn
ê peri technas ê cheirourgias
tinas banausos.
Wer sich nun hierauf versteht, der ist ein dämonischer Mann,
wer aber nur auf andere Dinge
oder irgend auf Künste und Handarbeiten, der ist ein gemeiner.
houtoi dê hoi daimones polloi kai pantodapoi
eisin,
heis de toutôn esti kai ho Erôs.
Solcher Dämonen oder Geister nun gibt es viele und von vielerlei Art,
einer aber von ihnen ist auch Eros. —
patros de, ên d’ egô, tinos esti
kai metros?
Vater und seine Mutter? –
[203b] makroteron men, ephê, diêgêsasthai:
homôs de soi erô.
Weitläufiger, sprach sie, ist dies zwar zu erzählen,
doch will ich es dir sagen.
hote gar egeneto hê Aphroditê, hêstiônto
hoi theoi
hoi te alloi kai ho tês Metridos huos Poros.
epeidê de edeipnêsan, prosaitêsousa
hoion dê euôchias ousês aphiketo
hê Penia,
kai ên peri tas thuras.
ho oun Poros methustheis tou nektaros – oinos
gar oupô ên –
eis ton tou Dios kêpon eiselthôn
bebarêmenos êuden.
hê oun Penia epibouleuousa dia tên
autês aporian paidion poiêsasthai ek tou Porou,
kataklinetai [203c] te par autôi kai ekuêse
ton Erôta.
Als nämlich Aphrodite geboren war, schmausten die Götter,
und unter den übrigen auch Poros, der Sohn der Metis.
Als sie nun abgespeist, kam, um sich etwas zu erbetteln, da es doch
festlich herging, auch Penia
und stand an der Tür.
Poros nun, berauscht vom Nektar, denn Wein gab es noch nicht,
ging in den Garten des Zeus hinaus, und schwer und müde, wie er
war, schlief er ein.
Penia nun, die ihrer Dürftigkeit wegen den Anschlag faßte,
ein Kind mit Poros zu erzeugen,
legte sich zu ihm und empfing den Eros.
diho dê kai tês Aphroditês
akolouthos kai therapôn gegonen ho Erôs,
gennêtheis en tois ekeinês genethliois,
kai hama phusei erastês ôn peri
to kalon kai tês Aphroditês kalês ousês.
Deshalb ist auch Eros der Aphrodite Begleiter und Diener geworden,
wegen seiner Empfängnis an ihrem Geburtsfest,
und weil er von Natur ein Liebhaber des Schönen ist und Aphrodite
schön ist.
hate oun Porou kai Penias huos ôn
ho Erôs en toisautêi tuchêi
kathestêken.
Als des Poros und der Penia Sohn aber
befindet sich Eros in solcherlei Umstanden:
prôton men penês aei esti,
kai pollou dei hapalos te kai kalos, hoion
hoi polloi oiontai,
alla sklêros [203d] kai auchmêros
kai anupodêtos kai aoikos,
chamaipetês aei ôn kai astrôtos,
epi thurais kai en hodois hupaithrios koimômenos,
tên tês mêtros phusin echôn,
aei endeiai sunoikos.
Zuerst ist er immer arm
und bei weitem nicht fein und schön, wie die meisten glauben,
vielmehr rauh, unansehnlich, unbeschuht, ohne Behausung,
auf dem Boden immer umherliegend und unbedeckt,
schläft vor den Türen und auf den Straßen im Freien
und ist der Natur seiner Mutter gemäß immer der Dürftigkeit
Genosse.
kata de au ton patera epiboulos esti tois
kalois kai tois agathois,
andreios ôn kai itês kai suntonos,
thêreutês deinos,
aei tinas plekôn mêchanas, kai
phronêseôs epothumêtês kai porimos,
philosophôn dia pantos tou biou,
deinos, goes kai pharmakeus kai sophistês:
Und nach seinem Vater wiederum stellt er dem Guten und Schönen nach,
ist tapfer, keck und rüstig, ein gewaltiger Jäger,
allezeit irgend Ränke schmiedend, nach Einsicht strebend, sinnreich,
sein ganzes Leben lang philosophierend,
ein arger Zauberer, Giftmischer und Sophist,
kai oute hôs [203e] athanatos pephuken
oute hôs thêtos,
alla tote men tês autês hêmeras
thallei te kai zêi, hotan euporêsêi,
tote de apothnêskei, palin de anabiôsketai
dia tên tou patros phusin,
to de porizomenon aei hupekrei,
hôste oute aporei Erôs pote oute
ploutei,
sophias te au kai hamathias en mesôi
estin.
und weder wie ein Unsterblicher geartet noch wie ein Sterblicher,
bald an demselben Tage blühend und gedeihend, wenn es ihm gut
geht,
bald auch hinsterbend doch aber wieder auflebend nach seines Vaters
Natur.
Was er sich aber schafft, geht ihm immer wieder fort,
so daß Eros nie weder arm ist noch reich
und auch zwischen Weisheit und Unverstand immer in der Mitte steht.
[204a] echei gar hôde.
theôn oudeis philosophei oud‘ epithumei
sophos genesthai – esti gar –
oud‘ ei tis allos sophos, ou philosophei.
Dies verhält sich nämlich so:
Kein Gott philosophiert oder begehrt, weise zu werden, sondern er ist
es,
noch auch, wenn sonst jemand weise ist, philosophiert dieser.
oud‘ au hoi amatheis philosophousin oud’ epithumousi
sophoi genesthai:
auto gar touto esti chalepon amathia,
to mê onta kalon kagathon mêde
phronimon dokein autôi einai hikanon.
Ebensowenig philosophieren auch die Unverständigen oder bestreben
sich, weise zu werden.
Denn das ist eben das Arge am Unverstande,
daß er, ohne schön und gut und vernünftig zu sein,
doch sich selbst ganz genug zu sein dünkt.
oukoun epithumei ho mê oiomenos endeês
einai hou an mê oiêtai epideisthai.
Wer nun nicht glaubt, bedürftig zu sein, der begehrt auch das nicht,
dessen er nicht zu bedürfen glaubt. –
tines oun, ephên egô, ô
Diotima, hoi philosophountes,
ei mête hoi sophoi mête hoi amatheis?
Wer also, sprach ich, Diotima, sind denn die Philosophierenden,
wenn es weder die Weisen sind noch die Unverständigen?
—
[204b] dêlon dê, ephê, touto
ge êdê kai paidi,
hoti hoi metaxu toutôn amphoterôn,
hôn an eiê kai ho Erôs.
Das muß ja schon, sagte sie, jedem Kinde deutlich sein,
daß es die zwischen beiden sind,
zu denen auch Eros gehören wird.
estin gar dê tôn kallistôn
hê sophia, Erôs d‘ estin erôs peri to kalon,
hôste anankaion erôta philosophon
einai,
philosophon de onta metaxu einai sophou kai
amathous.
Denn die Weisheit gehört zu dem Schönsten und Eros ist Liebe
zu dem Schönen;
so daß Eros notwendig weisheitliebend ist
und also als philosophisch zwischen den Weisen und Unverständigen
mitteninne steht.
aitia de autôi kai toutôn hê
genesis:
patros men gar sophou esti kai euporou,
mêtros de ou sophês kai aporou.
Und auch davon ist seine Herkunft Ursache;
denn er ist von einem weisen und wohlbegabten Väter,
aber von einer unverständigen und dürftigen Mutter.
hê men oun phusis tou daimonos, ô
phile Sôkrates, hautê:
Dies also, lieber Sokrates, ist die Natur dieses Dämons.
hon de su ôiêthês erôta
[204c] einai, thaumaston ouden epathes.
ôiêthes de, hôs emoi dokei
tekmairomenêi ex hôn su legeis,
to erômenon erôta einai, ou to
erôn:
dia tauta soi oimai pankalos ephaineto ho
Erôs.
Was du aber glaubtest, daß Eros sei, ist nicht zu verwundern.
Du glaubtest nämlich, wie ich aus dem, was du sagst, vermuten
muß,
Eros sei das Geliebte, nicht das Liebende.
Daher, meine ich, erschien dir Eros so wunderschön.
kai gar esti to eraston to tôi onti
kalon kai habron kai teleon kai makariston:
to de ge erôn allên idean toiautên
echon, hoian egô diêlton.
Denn das Liebenswerte ist auch in der Tat das Schöne, Zarte, Vollendete,
Seligzupreisende.
Das Liebende aber hat ein anderes Wesen, so wie ich es beschrieben
habe.
[24.
Eros die Liebe zum Guten in jeder Gestalt,
und sie erstrebt den ständigen Besitz des Guten]
kai egô eipon, eien dê, ô
xenê, kalôs gar legeis:
toioutos ôn ho Erôs tina chreian
echei tois anthrôpois?
Darauf sagte ich: Wohl denn, Freundin, denn du hast
wohl gesprochen.
Wenn nun aber Eros ein solcher ist, welchen Nutzen
gewährt er den Menschen? —
[204d] touto dê meta taut‘, ephê,
ô Sôkrates, peirasomai se didaxai.
Dies, o Sokrates, sprach sie, will ich nun hiernächst versuchen dich
zu lehren.
esti men gar dê toioutos kai houtô
gegonôs ho Erôs,
esti de tôn kalôn, hôs su
phês.
So beschaffen also und so entstanden ist Eros.
Er geht aber auf das Schöne, wie du sagst.
ei de tis hêmas eroito:
ti tôn kalôn estin ho Erôs,
ô Sôkrates te kai Diotima?
hôde de saphesteron:
erai ho erôn tôn kalôn:
ti erai?
Wenn uns aber jemand fragte:
Was hat denn Eros vom Schönen, o Sokrates und Diotima?
Oder ich will es noch deutlicher so fragen:
Wer das Schöne begehrt, was begehrt der? —
kai egô eipon hoti genesthai autôi.
Da sprach ich: Daß es ihm zuteil werde. —
all‘ eti pothei, ephê, hê apokrisis
erôtêsin toiande:
ti estai ekeinôi hôi an genêtai
ta kala?
Aber, sagte sie, diese Antwort verlangt nach noch einer Frage, etwa dieser:
Was geschieht denn jenem, dem das Schöne zuteil wird? —
ou panu ephên eti echein egô
pros tautên tên erôtêsin procheirôs apokrinasthai.
Da sagte ich, auf diese Frage hätte ich nicht sogleich eine Antwort
bereit. —
[204e] all‘, ephê, hôsper an ei
tis metabalôn anti tou kalou tôi agathôi chrômenos
punthanoito:
phere, ô Sôkrates, erai ho erôn
tôn agathôn: ti erai?
Aber, sprach sie, wenn nun jemand tauschend statt des Schönen das
Gute setzte
und fragte:
Sprich, o Sokrates, wer das Gute begehrt was begehrt der? —
genesthai, hên d‘ egô autôi.
Daß es ihm zuteil werde, sagte ich. —
kai ti estai ekeinôi hôi an genêtai
tagatha?
Und was geschieht jenem, dem das Gute zuteil wird? —
tout‘ euporôteron, ên d‘ ego, echô
apokrinasthai,
hoti eudaimôn estai.
Das kann ich schon leichter
beantworten, sagte ich,
er wird glückselig.
—
[205a] ktêsei gar, ephê, agathôn
hoi eudaimones eudaimones,
kai ouketi prosdei eresthai hina ti de bouletai
eudaimôn einai ho boulomenos?
alla telos dokei echein hê apokrisis.
Denn durch den Besitz des Guten, fügte sie hinzu, sind die Glückseligen
glückselig.
Und hier bedarf es nun keiner weiteren Frage mehr, weshalb doch der
glückselig sein will, der es will,
sondern die Antwort scheint vollendet zu sein. —
alêthê legeis, eipon egô.
Richtig gesprochen, sagte
ich. —
tautên dê tên boulêsin
kai ton erôta touton potera koinon oiei einai pantôn anthrôpôn,
kai pantas tagatha boulesthai hautois einai
aei, ê pôs legeis?
Dieser Wille nun und diese Liebe, glaubst du, daß sie allen Menschen
gemein sind
und daß alle immer das Gute haben wollen, oder wie meinst du?
—
houtôs, ên
d‘ egô: koinon einai pantôn.
So, sprach ich, daß dies allen gemein ist. —
ti dê oun, ephê, ô Sôkrates,
ou pantas eran phamen,
[205b] eiper ge pantes tôn autôn
erôsi kai aei,
alla tinas phamen eran, tous d‘ ou?
Warum aber, sprach sie, sagen wir nicht, daß alle Lieben,
wenn doch alle dasselbe lieben und immer,
sondern sagen von einigen, daß sie lieben, von anderen aber nicht?
—
thaumazo, ên d’ egô, kai autos.
Das wundert mich selbst, sagte ich. —
alla mê thaumaz‘, ephê:
aphelontes gar ara tou erôtos ti eidos
onomazomen,
to tou holou epitithentes onoma, erôta,
ta de alla allois kataschrômetha onomasin.
Laß es dich nur nicht wundern, sagte sie.
Denn wir nehmen nur eine gewisse Art der Liebe heraus,
die wir mit dem Namen des Ganzen belegen und Liebe nennen,
für die anderen brauchen wir andere Namen. —
hôsper ti? ên d’ egô.
Wie doch etwa? sprach ich. —
hôsper tode.
oisth’ hoti poiêsis esti ti polu:
hê gar toi ek tou mê ontos eis
to on ionti hotôioun aitia
pasa esti [205c] poiêsis,
hôste kai hai hupo pasais tais technais
ergasiai poiêseis eisi
kai hoi toutôn dêmiourgoi pantes
poiêtai.
So etwa, sagte sie.
Du weißt doch, daß Dichtung etwas gar Vielfältiges
ist.
Denn was nur für irgend etwas Ursache wird, aus dem Nichtsein
in das Sein zu treten,
ist insgesamt Dichtung.
Daher liegt auch bei den Hervorbringungen aller Künste Dichtung
zugrunde,
und die Meister darin sind sämtlich Dichter. —
Ganz richtig. —
all‘ homôs ê d‘ hê, oisth’
hoti ou kalountai poiêtai
alla alla echousin honomata,
apo de pasês tês poiêseôs
hen morion aphoristhen
to peri tên mousikên kai
ta metra
tôi tou holou nonomati prosagoreuetai.
poiêsis gar touto monon kaleitai,
kai hoi echontes touto to morion tês
poiêseôs poiêtai.
Aber doch weißt du schon, daß sie nicht Dichter genannt werden,
sondern andere Benennungen haben,
und von der gesamten Dichtung wird nur ein Teil ausgesondert,
der es mit der Tonkunst und den Silbenmaßen zu tun hat,
und dieser mit dem Namen des Ganzen benannt.
Denn dies allein wird Dichtung genannt, und die diesen Teil der Dichtung
innehaben, Dichter. —
Richtig gesprochen, sagte ich. —
[205d] houtô toinun kai peri ton erôta.
to men kephalaion esti pasa hê tôn
agathôn epithumia
kai tou eudaimonein ho megistos te kai doleros
erôs panti:
So auch, was die Liebe betrifft, ist im allgemeinen
jedes Begehren des Guten und der Glückseligkeit
die größte und heftigste Liebe für jeden.
all‘ hoi allêi trepomenoi pollachêi
ep‘ auton,
hê kata chrêmatismon ê kata
pkilogumnastian ê kata philosophian,
oute eran kalountai oute erastai,
hoi de kata hen ti eidos iontes te kai espoudakotes
to tou holou onoma ischousin, erôta
te kai eran kai erastai.
Allein die übrigen, die sich anderwärtshin damit wenden,
entweder zum Gewerbe oder zu den Leibesübungen oder zur Erkenntnis,
von denen sagen wir nicht, daß sie lieben und Liebhaber sind;
sondern nur die auf eine gewisse Art ausgehen und sich der befleißigen,
erhalten den Namen des Ganzen, Liebe und lieben und Liebhaber. —
kinduneueis alêthêi, ephên
ego, legein.
Das magst du wohl richtig erklären, sagte ich.
—
kai legetai men ge tis, ephê, logos,
hôs hoi an to hêmisu [205e] heautôn
zêtôsin, houtoi erôsin:
Und so geht zwar eine Rede, sagte sie,
daß, die ihre Hälfte suchen, lieben.
ho d‘ emos logos oute hêmiseos phêsin
einai ton erôta oute holou,
ean mê tungchanêi ge pou, ô
hetaire, agathon on,
epi hautôn ge kai podas kai cheiras
ethelousin apotemnesthai hoi anthrôpoi,
ean autois dokêi ta heautôn ponêra
einai.
Meine Rede aber sagt, die Liebe gehe weder auf die Hälfte, Freund,
noch auf das Ganze, wenn es nicht ein Gutes ist.
Denn die Menschen lassen sich ja gern Ihre eigenen Hände und Füße
wegschneiden,
wenn sie, obgleich ihr eigen, ihnen böse und gefährlich scheinen.
ou gar to heautôn oimai hekastoi aspazontai,
ei mê ei tis to men agathon oikeion
kalei kai heautou,
to de kakon allotrion:
hôs ouden ge allo estin hou [206a] erôsin
anthrôpoi ê tou agathou.
ê soi dokousin?
Denn nicht an dem Seinigen hängt jeder, glaube ich,
es müßte denn einer das Gute das Angehörige nennen
und das Seinige,
das Schlechte aber Fremdes.
So daß es nichts gibt, was die Menschen lieben, als das Gute.
Oder scheinen sie dir doch etwa? —
ma Di‘ ouk emoige, ên d‘ egô.
Beim Zeus, mir nicht, sprach ich. —
ar‘ oun, ê d‘ hê, houtôs
haploun esti legein hoti hoi anthrôpoi tagathou erôsin?
Können wir aber nun schon so schlechthin sagen, daß
die Menschen das Gute lieben? —
Ja, sagte ich. —
ti de? ou prostheteon, ephê,
hoti kai einai to agathon hautois erôsin?
Wie? Müssen wir nicht hinzusetzen, daß sie lieben, das Gute
zu haben? —
Das müssen wir hinzusetzen. —
ar oun, ephê, kai ou monon einai,
alla kai aei einai?
Und, sagte sie, nicht nur es zu haben,
sondern auch es immer zu haben? —
Auch das ist hinzuzusetzen. —
estin ara sullêbdên, ephê,
ho erôs tou to agathon autôi einai
aei.
So geht denn, alles zusammengenommen,
die Liebe darauf, daß man selbst das Gute immer haben will. —
alêthestata, ephên egô,
legeis.
Vollkommen richtig erklärt, sagte ich.
[25.
Die Weise des Liebesvollzugs ist Zeugung im Schönen um der Unsterblichkeit
willen]
[206b] hote dê touto ho gerôs
estin aei, ê d’ hê,
tôn tina tropon diôkontôn
auto
kai en tini praxei hê spoudê kai
hê suntasis erôs an kaloito?
ti touto tungchanei hon to ergon? echeis eipein?
Wenn nun die Liebe immer dieses ist, sagte sie,
auf welche Art und in welcher Handlungsweise gehen ihm nun diejenigen
nach,
deren Betrieb und Anstrengung man eigentlich Liebe zu nennen pflegt?
Weißt du wohl zu sagen, was für ein Werk dieses ist? —
ou mentan se, ephên egô, ô
Diotima, ethaumazon epi sophiai
kai ephoitôn para se auta tauta mathêsomenos.
Dann würde ich ja, sprach ich, dich, o Diotima,
nicht so bewundern deiner Weisheit wegen
und zu dir gehen, um eben dieses zu lernen. —
all egô soi, ephê, erô.
esti gar touto tokos en kalôi kai kata
to sôma kai kata tên psuchên.
So will ich es dir sagen, sprach sie.
Es ist nämlich eine Geburt in dem Schönen, sowohl dem Leibe
als der Seele nach. —
manteias, ên d‘ egô, deitai hoti
pote legeis,
kai ou manthanô.
Man muß weissagen können, sprach ich,
um zu wissen, was du wohl meinst,
und ich verstehe es nicht. —
[206c] all‘ egô, ê d‘ hê,
saphesteron erô.
So will ich es dir denn deutlicher sagen.
kuousin gar, ephê, ô Sôkrates,
pantes anthrôpoi
kai kata to sôma kai kata tên
psuchên,
kai epeidan en tini hêlikiai genôntai,
tiktein epithumei hêmôn hê
phusis.
Alle Menschen nämlich, o Sokrates, sprach sie, sind fruchtbar
sowohl dem Leibe als der Seele nach,
und wenn sie zu einem gewissen Alter gelangt sind,
so strebt unsere Natur zu erzeugen.
tiktein de en men aischrô ou dunatai,
en de tôi kalôi.
[hê gar andros kai gunaikos sunousia
tokos estin.]
Erzeugen aber kann sie in dem Häßlichen nicht, sondern nur in
dem Schönen.
[...]
esti de touto theion to pragma,
kai touto en thnêtôi onti tôi
zôiôi athanaton enestin,
hê kuêsis kai hê gennêsis.
Es ist aber dies eine göttliche Sache
und in dem sterblichen Lebenden etwas Unsterbliches,
die Empfängnis und die Erzeugung.
ta de en tôi anharmostôi adunaton
genesthai.
[206d] anharmoston d‘ esti to aischron panti
tôi theiôi,
to de kalon harmotton.
In dem Unangemessenen aber kann dieses unmöglich erfolgen;
und unangemessen ist das Häßliche allem Göttlichen,
das Schöne aber angemessen.
Moira oun kai Eileithuia hê Kallonê
esti têi genesei.
Eine einführende und geburtshelfende Göttin also ist die Schönheit
für die Erzeugung.
dia tauta hotan men kalôi prospelazêi
to kuoun,
hileôn te gignetai kai euphrainomenon
diacheitai
kai tiktei te kai gennai:
Deshalb, wenn das Zeugungslustige dem Schönen naht,
wird es beruhigt und von Freude durchströmt
und erzeugt und befruchtet;
hotan de aischrôi,
skuthrôpon te kai lupoumenon suspeiratai
kai apotrepetai
kai anheilletai kai ou gennai, alla
ischon to kuêma chalepôs pherei.
wenn aber Häßlichem,
so zieht es sich finster und traurig in sich zusammen und wendet sich
ab
und schrumpft ein und erzeugt nicht, sondern trägt mit Beschwerde
seine Bürde weiter.
hothen dê tôi kuounti te kai êdê
spargônti pollê hê ptoiêsis gegone [206e]
peri to kalon
dia to megalês ôdinos apoluein
ton echonta.
estin gar, ô Sôkrates, ephê,
ou tou kalou ho erôs, hôs su oiei.
Darum beeifert sich, wer von Zeugungsstoff und Lust erfüllt ist, so
sehr um das Schöne,
weil es ihn großer Wehen entledigt.
Denn die Liebe, o Sokrates, geht gar nicht auf das Schöne, wie
du meinst. —
Sondern worauf denn? —
tês gennêseôs kai tou tokou
en tôi kalôi.
Auf die Erzeugung und Geburt im Schönen. —
Mag sein, sprach ich. —
Ganz gewiß, sagte sie. —
Warum aber auf die Erzeugung? —
hoti aeigenes esti kai athanaton hôs
thnêtôi hê gennêsis.
Weil eben die Erzeugung das Ewige ist und das Unsterbliche, wie es im Sterblichen
sein kann.
athanasias [207a] de anankaion epithumein
meta agathou ek tôn hômologêmenôn,
eiper tou agathou heautôi einai aei
erôs estin.
Nach der Unsterblichkeit aber zu streben mit dem Guten ist notwendig zufolge
des schon Eingestandenen,
wenn doch die Liebe darauf geht, das Gute immer zu haben.
anankaion dê ek toutou tou logou kai
tês athanasias ton erôta einai.
Notwendig also geht nach dieser Rede die Liebe auch auf die Unsterblichkeit.
[26. Ursache dieses
Verlangens: Nur so hat das Sterbliche am Unsterblichen Anteil]
tauta te oun panta edidaske me,
hopote peri tôn erôtikôn
logous poioito,
Dies alles lehrte sie mich,
als sie über die Liebe mit mir redete, und fragte mich auch
einmal:
kai pote êreto ti oiei, ô Sôkrates,
aition einai toutou tou erôtos kai tês epithumias?
Was meinst du wohl, o Sokrates, daß die Ursache dieser Liebe und
dieses Verlangens sei?
ê ouk aisthanêi hôs deinôs
diatithetai panta ta thêria
epeidan gennan epithumêsêi,
kai ta peza kai ta ptêna,
nosounta te [207b] panta kai erôtikôs
diatithemena,
prôton men peri to summigênai
allêlois,
epeita peri tên trophên tou genomenou,
kai hetoima estin huper toutôn
kai diamachesthai ta asthenestata tois ischurotatois
kai huperapothnêiskein,
kai auta tôi limôi parateinomena
hôst‘ ekeina ektrephein,
kai allo pan poiounta.
Oder merkst du nicht, in welchem gewaltsamen Zustande sich alle Tiere befinden,
wenn sie begierig sind zu erzeugen,
geflügelte und ungeflügelte,
wie sie alle krank und verliebt erscheinen,
zuerst wenn sie sich miteinander vermischen
und dann auch bei der Auferziehung des Erzeugten,
wie auch die schwächsten bereit sind,
dieses gegen die stärksten zu verteidigen und dafür zu sterben;
und wie sie sich selbst vom Hunger quälen lassen, um nur jenes
zu ernähren,
und so auch alles andere tun?
tous men gar anthrôpous, ephê,
oioit‘ an tis ek logismou tauta poiein:
ta de thêria tis aitia houtôs
erôtikôs [207c] diatithesthai?
echeis legein?
Denn von den Menschen könnte man sagen, sie täten dies mit Überlegung;
aber welches der Grund sein mag, warum auch die Tiere sich so verliebt
zeigen,
kannst du mir das sagen? —
kai egô au elegon hoti ouk eideiên.
Und ich sagte wieder, ich wüßte es nicht.
—
hê d‘ eipen,
dianoêi oun deinos pote genêsesthai
ta erôtika,
ean tauta mê ennoêis?
Da sprach sie:
Gedenkst du denn je etwas Großes zu leisten in Liebessachen,
wenn du dies nicht einsiehst? —
alla dia tauta toi, ô Diotima, hoper
nundê eipon, para se hêkô,
gnous hoti didaskalôn deomai.
alla moi lege kai toutôn tên aitian
kai tôn allôn tôn peri ta
erôtika.
Aber eben deshalb, sprach ich, bin ich ja zu dir
gekommen, o Diotima,
wie ich auch schon sagte, weil ich weiß,
daß ich Lehrer brauche.
Sage mir also den Grund hiervon
und von allem, was sonst in der Liebe vorkommt.
—
ei toinin, ephê, pisteueis
ekeinou einai phusei ton erôta,
hou pollakis hômologêkamen,
mê thaumaze.
Wenn du also glaubst, sprach sie,
daß die Liebe von Natur auf das gehe, worüber wir uns oft
schon einverstanden haben,
so wundere dich nur nicht.
entautha gar [207d] ton auton ekeinôi
logon hê thnêtê phusis zêtei
kata to dunaton aei te einai kai athanatos.
Denn ganz ebenso wie dort sucht auch hier die sterbliche Natur
nach Vermögen immer zu sein und unsterblich.
dunatai de tautêi monon, têi genesei,
hoti aei kataleipei heteron neon anti tou
palaiou,
epei kai en hôi hen hekaston tôn
zôiôin zên kaleitai kai einai to auto
– hoion ek paidariou ho autos legetai heôs
an presbutês genêtai:
houtos mentoi oudepote ta auta echôn
en autôi homôs ho autos kaleitai,
alla neos aei gignomenos, ta de apollus,
kai kata tas trichas, kai sarka kai osta kai
[207e] haima kai sumpan to sôma.
kai mê hoti kata to sôma,
alla kai kata tên psuchên
hoi tropoi, ta êthê, doxai, epithumiai,
hêdonai, lupai, phoboi,
toutôn hekasta oudepote ta auta parestin
hekastôi,
alla ta men gignetai, ta de apollutai.
Sie vermag es aber nur auf diese Art, durch die Erzeugung,
daß immer ein anderes Junges statt des Alten zurückbleibt.
Denn auch von jedem einzelnen Lebenden sagt man ja, daß es lebe
und dasselbe sei,
wie einer von Kindesbeinen an immer derselbe genannt wird, wenn er
auch ein Greis geworden ist:
und heißt doch immer derselbe,
unerachtet er nie dasselbe an sich behält, sondern immer ein neuer
wird
und Altes verliert an Haaren, Fleisch, Knochen, Blut und dem ganzen
Leibe;
und nicht nur an dem Leibe allein, sondern auch an der Seele,
die Gewöhnungen, Sitten, Meinungen, Begierden, Lust, Unlust, Furcht,
hiervon behält nie jeder dasselbe an sich, sondern eins entsteht
und das andere vergeht.
polu de toutôn atopôteron eti,
hoti kai hai epistêmai [208a] mê
hoti hai men gignontai, hai de apolluntai hemin,
kai oudepote hoi autoi esmen oude kata tas
epistêmas,
alla kai mia hekastê tôn epistêmôn
tauton paschei.
Und viel wunderlicher noch als dieses ist,
daß auch die Erkenntnisse nicht nur teils entstehen, teils vergehen,
und wir nie dieselben sind in bezug auf die Erkenntnisse,
sondern daß auch jeder einzelnen Erkenntnis dasselbe begegnet.
ho gar kaleitai meletan, hôs exiousês
esti tês epistêmês:
lêthê gar epistêmês
exodos,
meletê de palin kainên empoiousa
anti tês apiousês mnêmên
sôizei tên epistêmên,
hôste tên autên dokein einai.
Denn was man Nachsinnen heißt, geht auf eine ausgegangene Erkenntnis.
Vergessen nämlich ist das Ausgehen einer Erkenntnis,
Nachsinnen aber bildet statt der abgegangenen eine Erinnerung ein
und erhält so die Erkenntnis, daß sie dieselbe zu sein scheint.
toutôi gar tôi tropôi pan
to thnêton sôizetai,
ou tôi pantapasin to auto aei einai
hôsper to [208b] theion,
alla tôi to apion kai palaioumenon heteron
neon enkataleipein hoion auto ên.
Und auf diese Weise wird alles Sterbliche erhalten,
nicht so, daß es durchaus immer dasselbe wäre, wie das Göttliche,
sondern indem das Abgehende und Veraltende ein anderes Neues solches
zurückläßt, wie es selbst war.
tautêi têi mêchanêi,
ô Sôkrates, ephê, thnêton athanasias metechei,
kai sôma kai talla panta:
athanaton de allêi.
Durch diese Veranstaltung, o Sokrates, sagte sie, hat alles Sterbliche
teil an der Unsterblichkeit,
der Leib sowohl als alles übrige;
das Unsterbliche aber durch eine andere.
mê oun thaumaze ei to autou apoblastêma
phusei pan timai:
athanasias gar charin panti hautê hê
spoudê kai ho erôs hepetai.
Wundere dich also nicht, wenn ein jedes von Natur seinen eignen Sprößling
in Ehren hält.
Denn der Unsterblichkeit wegen begleitet jeden dies Bestreben und diese
Liebe.
[27. Die verschiedenen
Bemühungen um Unsterblichkeit:
Leibliche und geistige Zeugung]
kai egô akousas ton logon ethaumasa
te kai eipon eien,
ên d‘ egô, ô sophôtatê
Diotima, tauta hôs alêthôs houtôs echei?
Über diese Rede nun, als ich sie gehört,
war ich verwundert und sagte:
Wohl, weiseste Diotima, verhält sich dies
nun in der Tat so? —
[208c] kai hê, hôsper hoi teleoi
sophistai,
Und sie, wie die rechten Meister im Wissen pflegen,
sprach:
eu isthi, ephê, ô Sôkrates:
epei ge kai tôn anthrôpôn
ei etheleis eis tên philotimian blepsai,
thaumazois an tês alogias peri ha egô
eirêka
ei mê ennoeis, enthumêtheis
hôs deinôs diakeintai erôti
tou onomastoi genesthai kai kleos es
ton aei chronon athanaton katathesthai,
kai huper toutou kindunous te kinduneuein
hetoimoi eisi
pantas eti mallon ê huper tôn
[208d] paidôn,
kai chrêmata anhaliskein kai ponous
ponein houstinasoun
kai huperapothnêiskein.
Dessen sei nur versichert, o Sokrates.
Denn wenn du auch auf die Ehrliebe der Menschen sehen willst:
so müßtest du dich ja über die Unvernunft wundern in
dem, was ich schon angeführt,
wenn du nicht bedenkst, einen wie gewaltigen Trieb sie haben,
berühmt zu werden und einen unsterblichen Namen auf ewige Zeiten
sich zu erwerben.
Und für diesen sind alle bereit, die größten Gefahren
zu bestehen,
noch mehr als für ihre Kinder,
und ihr Vermögen aufzuwenden und jedwede Mühe unverdrossen
zu übernehmen
und dafür zu sterben.
epei oiei su, ephê, Alkêstin huper
Admêtou apothanein an,
ê Achillea Patroklôi epapothanein,
ê proapothanein ton humeteron Kodron
huper tês basileias tôn paidôn,
mê oiomenous athanaton mnêmên
aretês peri heautôn esesthai,
hên nun hêmeis echomen?
Denn meinst du wohl, sprach sie, Alkestis würde für den Admetos
gestorben sein
oder Achilleus dem Patroklos nachgestorben
oder euer Kodros im voraus für die Königswürde seiner
Kinder,
wenn sie nicht geglaubt hätten,
eine unsterbliche Erinnerung ihrer Tugend würde nach ihnen bleiben,
die wir jetzt auch haben?
pollou ge dei, ephê, all’ oimai huper
aretês athanatou
kai toiautês doxês eukleous pantes
panta poiousin,
hosôi an ameinous [208e] ôsi,
tosoutôi mallon:
tou gar athanatou erôsin.
Weit gefehlt, sagte sie, sondern nur für die Unsterblichkeit der Tugend
und für einen solchen herrlichen Nachruhm, glaube ich, tun alle
alles,
und zwar je besser sie sind, um desto mehr,
denn sie lieben das Unsterbliche.
hoi men oun enkumones, ephê, kata ta
sômata ontes
pros tas gunaikas mallon trepontai kai
tautêi erôtikoi eisin,
dia paidogonias Athanasian kai mnêmên
kai eudaimonian,
hôs oiontai, autois eis ton epeita chronon
panta porizomenoi:
Die nun, fuhr sie fort, dem Leibe nach zeugungslustig sind,
wenden sich mehr zu den Weibern und sind auf diese Art verliebt,
indem sie durch Kindererzeugen Unsterblichkeit und Nachgedenken
und Glückseligkeit, wie sie meinen, für alle künftige
Zeit sich verschaffen.
hoi de kata tên [209a] psuchên
– eisi gar oun, ephê,
hoi en tais psuchais kuousin eti mallon ê
en tois sômasin,
ha psuchêi proshêkei kai kuêsai
kai tekein:
ti oun proshêkei?
phronêsin te kai tên allên
aretên
– hôn dê eisi kai hoi poiêtai
pantes gennêtores
kai tôn dêmiourgôn hosoi
legontai heuretikoi einai:
Die aber der Seele nach, denn es gibt solche, sagte sie,
die auch in der Seele Zeugungskraft haben, viel mehr als im Leibe,
für das nämlich, was der Seele ziemt zu erzeugen und erzeugen
zu wollen.
Und was ziemt ihr denn?
Weisheit und jede andere Tugend,
deren Erzeuger auch alle Dichter sind
und alle Künstler, denen man zuschreibt erfinderisch zu sein.
polu de megistê, ephê, kai kallistê
tês phronêseôs
hê peri ta tôn poleôn te
kai oikêseôn diakosmêsis,
hêi dê onoma esti sôphrosunê
te kai dikaosunê
Die größte aber und bei weitem schönste Weisheit, sagte
sie, ist die,
welche in der Staaten und des Hauswesens Anordnung sich zeigt,
deren Name Besonnenheit ist und Gerechtigkeit.
– toutôn d‘ au hotan tis ek [209b] neou
enkumôn êi tên psuchên,
êitheos ôn kai hêkousês
tês hêlikias, tiktein te kai gennan êdê
epithumêi,
Wer nun diese als ein Göttlicher schon von Jugend an in seiner Seele
trägt,
der wird auch, wenn die Zeit herankommt, Lust haben zu befruchten und
zu erzeugen.
zêtei dê oimai kai houtos periiôn
to kalon en hôi an gennêseien:
en tôi gar aischrôi oudepote gennêsei.
Daher geht auch, meine Lieber, ein solcher umher, das Schöne zu suchen,
worin er erzeugen könne.
Denn in dem Häßlichen wird er nie erzeugen.
ta te oun sômata ta kala mallon ê
ta aischra aspazetai
hate kuôn,
kai an entuchêi psuchêi kalêi
kai gennaiai kai euphuei,
panu dê aspazetai to sunamphoteron,
kai pros touton ton anthrôpon euthus
euporei logôn peri aretês
kai peri hoion chrê einai [209c] ton
andra ton agathon kai ha epotêdeuein,
kai epicheirei paideuein.
Daher erfreut er sich sowohl an schönen Leibern mehr als an häßlichen,
weil er nämlich erzeugen will,
als auch, wenn er eine schöne, edle und wohlgebildete Seele antrifft,
erfreut er sich vorzüglich an beidem vereinigt
und hat für einen solchen Menschen gleich eine Fülle von
Reden über die Tugend
und darüber, wie ein trefflicher Mann sein müsse und wonach
streben;
und gleich unternimmt er, ihn zu unterweisen.
haptomenos gar oimai tou kalou kai homilôn
autôi,
ha palai ekuei tiktei kai gennai,
kai parôn kai apôn memnêmenos,
kai to gennêthen sunektrephei koinêi
met’ ekeinou,
hôste polu meizô koinônian
tês tôn paidôn pros allêlous hoi toioutoi ischousi
kai philian bebaioteran,
hate kallionôn kai athanatôterôn
paidôn kekoinônêkotes.
Nämlich indem er den Schönen berührt, meine ich, und mit
ihm sich unterhält,
erzeugt und gebiert er, was er schon lange zeugungslustig in sich trug,
und indem er anwesend und abwesend seiner gedenkt,
erzieht er auch mit jenem gemeinschaftlich das Erzeugte.
So daß diese eine weit genauere Gemeinschaft miteinander haben
als die eheliche
und eine festere Freundschaft,
wie sie auch schönere und unsterblichere Kinder gemeinschaftlich
besitzen.
kai pas an dexaito heautôi toioutous
paidas mallon gegonenai ê tous [209d] anthrôpinous,
kai eis Homêron apoblepsas kai Hêsiodon
kai tous allous poiêtas tous agathous
zêlôn, hoia ekgona heautôn
kataleipousin,
ha ekeinois athanaton kleos kai mnêmên
parechetai
auta toiauta onta:
Und jeder sollte lieber solche Kinder haben wollen als die menschlichen,
wenn er auf Homeros sieht und Hesiodos und die anderen trefflichen
Dichter,
nicht ohne Neid, was für Geburten sie zurücklassen,
die ihnen unsterblichen Ruhm und Angedenken sichern,
wie sie auch selbst unsterblich sind.
ei de boulei, ephê, hoióus Lukourgos
paidas katelipeto en Lakedaimoni
sôtêras tês Lakedaimonos
kai hôs epos eipein tês Hellados.
Oder, wenn du willst, sagte sie, was für Kinder Lykurgos in Lakedaimon
zurückgelassen hat,
Retter von Lakedaimon und, um es geradeheraus zu sagen, von ganz Hellas.
timios de par‘ humin kai Solôn dia tên
tôn nomôn gennêsin,
kai alloi [209e] allothi pollachou andres,
kai en Hellêsi kai en barbarois,
polla kai kala apophênamenoi erga,
gennêsantes pantoian aretên:
hôn kai hiera polla êdê
gegone dia tous toioutous paidas,
dia de tous anthrôpinous oudenos pô.
Geehrt ist bei euch auch Solon, weil er Gesetze gezeugt,
und viele andere anderwärts unter Hellenen und Barbaren,
die viele und schöne Werke dargestellt haben
und vielfältige Tugenden erzeugt,
denen auch schon viele Heiligtümer sind errichtet worden um solcher
Kinder willen,
der menschlichen Kinder wegen aber nie jemandem.
[28. Der Stufenweg
in der Erkenntnis des Schönen]
tauta men oun ta erôtika isôs,
ô Sôkrates, kan su [210a] muêtheiês:
ta de telea kai epoptika, hôn
heneka kai tauta estin,
ean tis orthôs metiêi,
ouk oid’ ei hois t’ an eiês.
erô men oun, ephê, egô kai
prothumias ouden apoleipsô:
peirô de hepesthai, an hoios te êis.
Soweit nun, o Sokrates, vermagst wohl auch du in die Geheimnisse der Liebe
eingeweiht zu werden;
ob aber, wenn jemand die höchsten und heiligsten, auf welche sich
auch jene beziehen,
recht vortrüge,
du es auch vermöchtest, weiß ich nicht.
Indes, sprach sie, will ich sie vortragen und es an mir nirgend fehlen
lassen.
Versuche nur zu folgen, wenn du es vermagst.
dei gar, ephê, ton orthôs ionta
epi touto to pragma archesthai
men neon onta ienai epi ta kala sômata,
kai prôton men, ean orthôs
hêgêtai ho hêgoumenos,
henos auton sômatos eran kai entautha
gennan logous kalous,
epeita de auton katanoêsai
hoti to kallos [210b] to epi hotôioun
sômati tôi epi heterôi sômati adelphon esti,
kai ei dei diôkein to ep‘ eidei kalon,
pollê anoia mê ouch hen to kai
touton hêgeisthai to epi pasin tois sômasi kallos:
Wer nämlich auf die rechte Art diese Sache angreifen will,
der muß in der Jugend damit anfangen, schönen Gestalten
nachzugehen,
und wird zuerst freilich, wenn er richtig beginnt,
nur einen solchen lieben und diesen mit schönen Reden befruchten,
hernach aber von selbst innewerden,
daß die Schönheit in irgendeinem Leibe der in jedem andern
verschwistert ist
und es also, wenn er dem in der Idee Schönen nachgehen soll,
großer Unverstand wäre, nicht die Schönheit in allen
Leibern für eine und dieselbe zu halten,
touto d‘ ennoêsanta katastênai
pantôn tôn kalôn sômatôn
erastên,
henos de to sphodra touto chalasai
kataphronêsanta kai smikron hêgêsamenon:
und wenn er dessen innegeworden,
sich als Liebhaber aller schönen Leiber darstellen
und von der gewaltigen Heftigkeit für einen nachlassen,
indem er dies für klein und geringfügig hält.
meta de tauta to en tais psuchais kallos timiôteron
hêgêsasthai tou en tôi sômati,
hôste kai ean epieikês ôn
tên psuchên tis kan smikron anthos [210c] echêi,
exarkein autôi kai eran kai kêdesthai
kai tiktein logous toioutous kai zêtein,
hoitines poiêsousi beltious tous neous,
Nächstdem aber muß er die Schönheit in den Seelen für
weit herrlicher halten als die in den Leibern,
so daß, wenn einer, dessen Seele zu loben ist, auch nur wenig
von jener Blüte zeigt,
ihm das doch genug ist und er ihn liebt und pflegt,
indem er solche Reden erzeugt und aufsucht,
welche die Jünglinge besser zu machen vermögen,
hina anankasthêi
au theasasthai to en tois epitêdeumasi
kai tois nomois kalon kai tout‘ idein
hoti pan auto autôi sungenes estin,
hina to peri to sôma kalon smikron ti
hêgêsêtai einai:
damit er selbst so dahin gebracht werde,
das Schöne in den Bestrebungen und in den Sitten anzuschauen,
um auch von diesem zu sehen, daß es sich überall verwandt
ist,
und so die Schönheit des Leibes für etwas Geringeres zu halten.
meta de ta epitêdeumata epi tas epistêmas
agagein,
hina idêi au epistêmôn kallos,
kai blepôn pros [210d] polu êdê
to kalon
mêketi to par’ heni,
hôsper oiketês, agapôn paidariou
kallos ê anthrôpou tinos
ê epitêdeumatos henos,
douleuôn phaulos êi kai smikrologos,
all’ epi to polu pelagos tetrammenos tou kalou
kai theôrôn pollus
kai kalous logous kai megaloprepeis tiktêi
kai dianômata en philosophia aphthonôi,
heôs an entautha rôstheis kai
auxêtheis katidêi
tina epistêmên mian toiautên,
ê esti kalou [210e] toioude.
Von den Bestrebungen aber muß er weiter zu den Erkenntnissen gehen,
damit er auch die Schönheit der Erkenntnisse schaue
und, vielfältiges Schöne schon im Auge habend,
nicht mehr dem bei einem einzelnen,
indem er knechtischerweise die Schönheit eines Knäbleins
oder irgendeines Mannes
oder einer einzelnen Bestrebung liebt,
dienend sich schlecht und kleingeistig zeige,
sondern auf die hohe See des Schönen sich begebend und dort umschauend,
viel schöne und herrliche Reden und Gedanken erzeuge in ungemessenem
Streben nach Weisheit,
bis er, hierdurch gestärkt und vervollkommnet,
eine einzige solche Erkenntnis erblicke, welche auf ein Schönes
folgender Art geht.
peirô de moi, ephê, ton noun prosechein
hôs hoion te malista.
Hier aber, sprach sie, bemühe dich nur, aufzumerken, so sehr du kannst,
[29.
Die Vollendung des Lebens in der Schau des Schönen selbst]
hos gar mechri entautha pros ta erôtika
paidagôgêthêi,
theômenos ephexês te kai orthôs
ta kala,
pros telos êdê iôn tôn
erôtikôn exaiphnês
katopsetai ti thaumaston tên phusin
kalon,
touto ekeino, ô Sôkrates,
hou dê heneken kai hoi emprosthen pantes
ponoi êsan,
Wer nämlich bis hierher in der Liebe erzogen ist,
das mancherlei Schöne in solcher Ordnung und richtig schauend,
der wird, indem er nun der Vollendung in der Liebeskunst entgegengeht,
plötzlich ein von Natur wunderbar Schönes erblicken,
nämlich jenes selbst, o Sokrates,
um deswillen er alle bisherigen Anstrengungen gemacht hat,
prôton men [211a] aei on
kai oute gignomenon oute apollumenon,
oute auxanomenon oute phthinon,
epeita ou têi men kalon, têi d’
aischron,
oude tote men, tote de ou,
oude pros men to kalon, pros de to aischron,
oud’ entha men kalon, entha de aischron,
hôs tisi men on kalon, tisi de aischron:
welches zuerst immer ist
und weder entsteht noch vergeht,
weder wächst noch schwindet,
ferner auch nicht etwa nur insofern schön, insofern aber häßlich
ist,
noch auch jetzt schön und dann nicht,
noch in Vergleich hiermit schön, damit aber häßlich,
noch auch hier schön, dort aber häßlich,
als ob es nur für einige schön, für andere aber häßlich
wäre.
oud‘ au phantasthêsetai autôi
to kalon
hoion prosôpon ti oude cheires oude
allo ouden hôn sôma metechei,
oude tis logos oude tis episteme,
oude pou on en heterôi tini,
hoion en zôiôi ê en gêi
ê en ouranôi [211b] ê en tôi allôi,
all‘ auto kath‘ auto meth’ autou
menoeides aei on,
ta de alla panta kala ekeinou metechonta tropon
tina toiouton,
hoion gignomenôn te tôn allôn
kai apollumenôn
mêden ekeino mête ti pleon mête
elatton gignesthai
mêde paschein mêden.
Noch auch wird ihm dieses Schöne unter einer Gestalt erscheinen,
wie ein Gesicht oder Hände oder sonst etwas, was der Leib an sich
hat,
noch wie eine Rede oder eine Erkenntnis,
noch irgendwo an einem andern seiend,
weder an einem einzelnen Lebenden, noch an der Erde, noch am Himmel;
sondern an und für und in sich selbst ewig
überall dasselbe seiend,
alles andere Schöne aber an jenem auf irgendeine solche Weise
Anteil habend,
daß, wenn auch das andere entsteht und vergeht,
jenes doch nie irgendeinen Gewinn oder Schaden davon hat,
noch ihm sonst etwas begegnet.
hotan dê tis apo tônde dia to
orthôs paiderastein
epaniôn ekeino to kalon archêtai
kathoran,
schedon an ti haptoito tou telous.
Wenn also jemand vermittels der echten Knabenliebe von dort an aufgestiegen
jenes Schöne anfängt zu erblicken,
der kann beinahe zur Vollendung gelangen.
touto gar dê esti to orthôs epi
[211c] ta erotika ienai
ê hup’ allou agesthai,
archomonon apo tônde tôn kalôn
ekeinou heneka tou kalou aei epanienai,
hôsper epanabasmois chrômenon,
apo henos epi duo
kai apo duoin epi panta ta kala sômata,
kai apo tôn kalôn sômatôn
epi ta kala epitêdeumata,
kai apo tôn epitêdeumatôn
epi ta kala mathêmata,
kai apo tôn mathêmatôn ep‘
ekeino to mathêma teleutêsai,
ho estin ouk allou ê autou ekeinou to
kalou mathêma,
kai gnôi auto teleutôn ho esti
[211d] kalon.
Denn dies ist die rechte Art, sich auf die Liebe zu legen
oder von einem andern dazu angeführt zu werden,
daß man von diesem einzelnen Schönen beginnend
jenes einen Schönen wegen immer höher hinaufsteige,
gleichsam stufenweise von einem zu zweien,
und von zweien zu allen schönen Gestalten,
und von den schönen Gestalten zu den schönen Sitten und Handlungsweisen,
und von den schönen Sitten zu den schönen Kenntnissen,
bis man von den Kenntnissen endlich zu jener Kenntnis gelangt,
welche von nichts anderem als eben von jenem Schönen selbst die
Kenntnis ist,
und man also zuletzt jenes selbst, was schön ist, erkenne.
entautha tou biou, ô phile Sôkrates,
ephê hê Mantinikê xenê,
eiper pou allothi, biôton anthrôpôi,
theômenôi auto to kalon.
Und an dieser Stelle des Lebens, lieber Sokrates, sagte die Mantineische
Fremde,
wenn irgendwo, ist es dem Menschen erst lebenswert,
wo er das Schöne selbst schaut,
ho ean pote idêis,
ou kata chrusion te kai esthêta
kai tous kalous paidas te kai neaniskous doxei
soi einai,
hous nun horôn ekpeplêxai kai
hetoimos ei kai su kai alloi polloi,
horôntes ta paidika kai sunontes aei
autois,
ei pôs hoin t‘ ên, mêt‘
esthiein mête pinein,
alla theasasthai monon kai suneinai.
welches wenn du es je erblickst,
du nicht wirst vergleichen wollen mit köstlichem Gerät oder
Schmuck
oder mit schönen Knaben und Jünglingen,
bei deren Anblick du jetzt entzückt bist und wohl gern, du wie
viele andere,
um nur den Liebling zu sehen und immer mit ihm vereinigt zu sein,
wenn es möglich wäre, weder essen noch trinken möchtest,
sondern nur anschauen und mit ihm verbunden sein.
ti dêta, ephê, oiometha, ei
tôi genoito
[211e] auto to kalon idein eilikrines,
katharon, ameikton,
alla mê anapleôn sarkôn
te anthrôpinôn
kai chrômatôn kai allês
pollês phluarias thnêtês,
all‘ auto to theion kalon dunaito monoeides
katidein?
Was also, sprach sie, sollen wir erst glauben, wenn einer dazu gelangte,
jenes Schöne selbst rein, lauter und unvermischt zu sehen,
das nicht voll menschlichen Fleisches ist
und Farben und anderen sterblichen Flitterkrames,
sondern das göttlich Schöne selbst in seiner Einartigkeit
zu schauen?
ar‘ oiei, ephê, phaulon bion [212a]
gignesthai
ekeise blepontos anthrôpou kai
ekeino hôi dei theômenou kai sunontos autôi?
Meinst du wohl, daß das ein schlechtes Leben sei,
wenn einer dorthin sieht und jenes erblickt und damit umgeht?
ê ouk enthumêi, ephê, hoti
entautha autôi monachou genêsetai,
horônti hôi horaton to kalon,
tiktein ouk eidola aretês,
hate ouk eidôlou ephaptomenôi,
alla alêthê,
hate tou alêthous ephaptomenôi:
Oder glaubst du nicht, daß dort allein ihm begegnen kann,
indem er schaut, womit man das Schöne schauen muß,
nicht Abbilder der Tugend zu erzeugen,
weil er nämlich auch nicht ein Abbild berührt, sondern Wahres,
weil er das Wahre berührt?
tekonti de aretên alêthê
kai threpsamenôi
huparchei theophilei genesthai,
kai eiper tôi allôi anthrôpôn
athanatôi kai ekeinôi?
Wer aber wahre Tugend erzeugt und aufzieht,
dem gebührt, von den Göttern geliebt zu werden,
und wenn irgendeinem anderen Menschen,
dann gewiß auch ihm, unsterblich zu sein.
[212b] tauta dê, ô Phaidre te
kai hoi alloi, ephê men Diotima, pepeismai d‘ egô:
pepeismenos de peirômai kai tous allous
peithein
hoti toutou tou ktêmatos
têi anthrôpeiai phusei sunergon
ameinô Erôtos ouk an tis
raidiôs laboi.
Solches, o Phaidros und ihr übrigen, sprach Diotima und habe ich
ihr geglaubt,
und wie ich es glaube, suche ich es auch andern glaublich zu machen,
daß, um zu diesem Besitz zu gelangen,
nicht leicht jemand der menschlichen Natur
einen besseren Helfer finden könnte als den Eros.
diho dê egôge phêmi chrênai
panta andra ton Erôta timan,
kai autos timô ta erôtika kai
diapherontôs askô,
kai tois allois parakeleuomai,
kai nun te kai aei enkômiazô tên
dunamin
kai andreian tou Erôtos kath‘ hoson
hoios t‘ eimi.
Darum auch, behaupte ich, sollte jedermann den Eros ehren
und ehre ich auch selbst alles, was zur Liebe gehört,
und übe mich darin ganz vorzüglich
und ermuntere auch andere dazu
und preise jetzt und immer die Macht und Tapferkeit des Eros,
so sehr ich nur vermag.
touton [212c] oun ton logon, ô Phaidre,
ei men boulei,
hôs enkômion eis erôta nomison
eirêsthai,
ei de, hoti kai hopêi chaireis onomazôn,
touto onomaze.
Willst du nun, o Phaidros, so nimm diese Rede dafür an,
daß ich sie als eine Lobrede auf den Eros gesprochen;
wo nicht, so nenne sie, wie und wonach du
sie nennen willst.
[30.
Plötzliches Erscheinen des Alkibiades;
seine Bekränzung des Agathon und des Sokrates]
Nachdem nun Sokrates also gesprochen, hätten die andern ihn
gelobt,
Aristophanes aber sei im Begriff gewesen, etwas zu sagen,
weil Sokrates in seiner Rede seiner erwähnt wegen der Rede.
Allein, plötzlich sei an der äußeren Tür gepocht
worden,
und es sei ein großes Geräusch entstanden,
als höre man Stimmen von Herumziehenden mit einer Flötenspielerin.
Da habe Agathon gesagt: Leute, geht keiner nachsehen?
Und wenn es von näheren Freunden einer ist, so nötigt ihn
herein;
wo nicht, so sagt nur, wir tränken nicht mehr, sondern ruhten
schon.
Nicht lange darauf habe man im Vorhause des Alkibiades Stimme gehört,
der sehr trunken schien und laut schrie,
fragend, wo Agathon sei, und fordernd, zum Agathon gebracht zu werden.
Sie hätten ihn also zu ihnen geführt,
von der Flötenspielerin unter dem Arme gefaßt
und von einigen andern seines Gefolges,
er sei aber in der Tür stehen geblieben,
bekränzt mit einem dicken Kranz von Efeu und Violen,
und Bänder in großer Menge auf dem Kopf,
und habe gesagt: Ihr Männer, seid gegrüßt!
Ihr werdet jetzt noch einen schon tüchtig trunkenen Mann zum Mittrinker
aufnehmen;
Oder sollen wir wieder gehen, wenn wir erst den Agathon bekränzt
haben,
wozu wir eben da sind?
Denn gestern, habe er hinzufügt, war es mir nicht möglich,
zu kommen;
Jetzt aber bin ich da, auf dem Haupte die Bänder,
um von meinem Haupte das Haupt dieses weisesten und schönsten
Mannes,
wenn ich so sagen darf, zu umwinden.
Wollt Ihr mich auslachen als trunken?
Meinethalben, wenn ihr auch lacht, ich weiß doch, daß ich
recht habe.
Lagt mir also nur gleich hier, soll ich auf diese Bedingungen hereinkommen
oder nicht?
Wollt ihr mittrinken oder nicht?
Alle hätten ihn darauf lärmend geheißen, hereinzutreten
und sich niederzulassen,
auch Agathon habe ihn eingeladen.
Und nun sei er gekommen, von den Leuten geführt,
und habe sogleich die Bänder abgenommen, um den Agathon zu
umwinden,
den Sokrates aber, obschon er ihn vor Augen hatte, doch nicht gesehen,
sondern sich neben den Agathon gesetzt, zwischen Sokrates und ihn,
denn Sokrates sei etwas abgerückt, damit jener sich setzen
könne.
Nachdem er sich nun gesetzt, habe er den Agathon begrüßt
und bekränzt. –
Und Agathon habe gesagt: Leute, entschuht den Alkibiades, daß
er hier zu dreien liegen kann. –
Schön, habe Alkibiades gesagt, aber wer ist uns denn hier
der dritte Mittrinker?
Und nun habe er sich herumgewendet und den Sokrates erblickt.
Und als er ihn erkannt, sei er aufgesprungen und habe ausgerufen:
O Herakles! was ist nun das?
Du, Sokrates, liegst du mir auch hier schon wieder auf der Lauer,
wie du mir immer pflegst plötzlich zu erscheinen,
wo ich am wenigsten glaube, daß du es sein wirst?
Wieso bist du nun auch da? Und warum liegst du gerade hier?
Nicht etwa beim Aristophanes oder wer sonst hier der lustige ist und
auch sein will,
sondern hast es wieder so ausgesonnen,
daß du neben dem schönsten von allen hier zu liegen kommst!
–
Da habe Sokrates gesagt: Agathon, sieh zu, ob du mir beistehen
willst!
Denn dieses Menschen Liebe hat mir schon zu gar nicht wenigem Verdruß
gereicht.
Denn seit der Zeit, daß ich mich in diesen verliebt,
darf ich nun gar nicht mehr irgendeinen Schönen ansehen und mit
einem reden,
oder er ist gleich eifersüchtig und neidisch, stellt wunderliche
Dinge an und schimpft,
und kaum, daß er nicht Hand an mich legt.
Ethik:
Philosophie/ Religion
* inter nodos – Latein/ Griechisch : Platon
Hans
Zimmermann : 12 KÖRBE: Quellen zum
Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike : Platon
: Diotima (Symposion)
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