Aussprache:
Keine Umschreibung in unseren Buchstaben, auch nicht die Einführung
phonetischer Zeichen, kann die Vielfalt der Maya-Anlaute ausdrücken.
Die Folge ist, daß wahrlich jede Grammatik, jeder Textdruck seine
Privatorthographie pflegt. Padre Ximenez hat damit den Anfang gemacht,
indem er seltsame und irreführende Zeichen erfand. Der Text des POPOL
VUH lag mir in sieben verschiedenen Umschreibungen vor. Der klarsten, der
von Recinos, bin ich bei Textzitaten gefolgt. Sie beruht auf der spanischen
Aussprache:
ch ist danach ein scharfes tsch;
x ist danach ein englisches sh;
y ist das deutsche j;
qu ist das stimmlose k;
h ist im Anlaut und in der Wortmitte immer hart, wie im deutschen Bach;
im Auslaut verschwebend guttural.
Wir sprechen also Pópol Wuch; Kitsché; Kak-tschikél;
Chun-Ach-Pú; Ischbalanké.
Das Apostroph bedeutet die schwierige Stockung, den Hiatus, gleich
im Anlaut. Aber nur so unterscheiden sich Gleichlauter wie cux (kusch)
= beißen und c'ux (keusch) = Herz. So ist chik'in (tschikein)
= Westen und xiquin (schikin) = Ohr, tzikin aber Vogel.
Quiché
Qui – viel; ché – Baum. Also: Waldland.
Als der Conquistador Pedro de Alvarado mit seinen mexikanischen Hilfstruppen
eindrang, erfolgte eine allgemeine Umtaufe auf mexikanische oder spanische
Worte. Cuauhtlemallan ist die wörtliche aztekische Übersetzung
von Quiché. Daher Guatemala.
Tzakól
– Tzac – errichten, bauen; ol – Pluralpostfix. In einigen Mayasprachen
wie z.B. Ké'kchi ist ah tzakol schlicht: Maurer.
Bitól –
Eigentlich also: die Former, wie ja auch elohim, das dritte Wort der hebräischen
Genesis, Plural ist. Bit – bilden, formen, Figuren aus Ton machen.
Alóm –
Die Gebärerin. Die Große Mutter.
Caholóm
– Der Söhne-Erzeuger. Der Große Vater.
Jagendes
Oppossum – Im Text: Hunahpu uúh. Uch (Quiché); och
(Maya): Opossum. Dem Iltis ähnliches Klettertier aus der weitverzweigten
Familie der Marsupalien. Etwa katzengroß mit langem haarlosem Kletterschwanz.
Der in Nordamerika verbreitete Didelphis Virginianus hat Beuteltaschen
wie das Känguruh. Dem mittelamerikanischen Opossum fehlt die Tasche.
– Erscheinungsform von Ixpiyacóc.
Jagender
Coyote – Vom mexikanischen coyotl – Wüstenhund (Canis latrans).
Sein charakteristisches Heulen wird lautmalerisch in der Quiché-Vokabel
Utíu – Coyote nachgeahmt. Er benutzt gerne die Höhlen der Dachse,
um Junge zu werfen.
Hunahpú
– Ahpú ist Jäger im klassischen Maya; hun die Zahl
Eins. Die mittelamerikanischen Religionen liebten es, ihre Götter
zu numerieren. Also: Jäger Nummer Eins. Recinos weist aber sehr hübsch
darauf hin, daß "die Quiché noch einen tieferen Grund als
diese Etymologie haben mußten, um der Gottheit diesen Namen zu geben"
(Adrian Recinos: Popol Vuh. Neueste Ausgabe Mexico – Buenos Aires 1960.
pag. 165, Anm. 3). – Tatsächlich werden sie an Hunabku, "der einzige
(höchste)Gott", gedacht haben, den Kronos der Vorväter, der unsichtbar
über allen Göttern schwebte und kein Bild hatte. – Im Quiché-Kalender
ist Hunahpú der Name des letzten, wichtigsten Tages der zwanzigtägigen
Woche, sozusagen der Sonntag. Ihm entspricht der Tag Ahau, Großer
Herr, im Mayakalender und der Tag Xochitl, Blume und zugleich Symbol der
Sonne, bei den Azteken.
– In unserem Text kann Hunahpú keineswegs der Jäger (wörtlich:
ein Blasrohr-Mann) der Heroenzeit sein. Im Vorspruch des Erzählers
werden die Urgötter nebst ihren Tierformen angerufen. Ixpiyacóc
und Ixmucané gehen in mancherlei Verkleidungen durch den Schöpfungsbericht.
Da natürlich kein Gott sein eigenes Geisttier (nagual) jagt, Opossum
und Coyote aber Raubtiere sind, ist die Stelle mit "Jagendes Opossum" und
"Jagender Coyote" zu übersetzen; eigentlich: Göttlicher Jäger
Opossum; Göttlicher Jäger Coyote. Auch Recinos und Burgess fassen
die Stelle so auf.
Großer
Weißer Eber – Ac (Quiché) ist das amerikanische Wildschwein
Pekari (peccary). In den Wäldern Zentralamerikas, die sehr angriffslustige
Art mit breitem weißem Halskragen, von den Lacandonen K'ek genannt.
(Tayassu Tajacu). Eine Erscheinungsform von Ixpiyacóc.
Dachs –
Tziis (Quiché) – der amerikanische Dachs (Taxidia taxis), in Mittelamerika
tejón genannt. Grauer Rücken, schwarzer Bauch; Kopf weiß
mit zu den Ohren laufenden dunklen Streifen. Kommt auch braunschwarz in
den Wäldern Mittelamerikas vor. Nachttier. Frucht- und Wurzelfresser;
der aber auch Vögel, Eier und kleine Säugetiere zur Nahrung nimmt.
Das sehr spielerische Tier schließt sich leicht dem Menschen an.
Es ist das Geisttier der Ixmucané.
Als Sac Nim Tsiis, Großer Weißer Dachs, noch heute im Quiché-Gebiet
mit der strahlenden Sonne im Sternbild des Stieres identifiziert; in der
europäischen Astronomie: Alpha Tauri (Aldebaran).
Tepeu –
sprich: Tê-pê-û, aus der Náhuatl-Sprache der Tolteken-Azteken.
Tepe-uh – Eroberer, Sieger in der Schlacht (Alonzo de Molina: Vocabulario
de lengua Mexicana. México 1571). Die Mayaform ist ahtepehual. Auch
wie "König", "Fürst" gebraucht. Wir haben hier den ersten Einbruch
toltekischer Elemente in unserem Buch. Auch im Yucatéco gibt es
das Verbum tepal – regieren, seit dem Toltekeneinmarsch.
Gucumátz
– Kukúm – Feder, weithin assoziiert mit der glänzenden,
blaugrünen Feder des Quetzalvogels. Cumatz – Schlange. Es ist der
Kukulkán der Yucatán-Mayas; der Quetzalcóatl der Tolteken.
Der alte Elementengott, die Harmonie von Himmel (Flügel) und Erde
(Schlange), von oben und unten symbolisierend, tritt mit Fug als zentrale
Figur im Schöpfungsmythos des Popol Vuh auf. – Quetzalcóatl
war auch Titel der Priesterkönige der Tolteken. Der historische Quetzalcóatl,
der um das Jahr 1000 den Zug der Tolteken von Tollan (Tula), nördlich
von Mexico, nach Yucatán und Guatemala leitete, tritt im historischen
mythologischen Teil des Popol Vuh unter dem Namen Nacxit auf.
Die
grünen Herren – Ah raxa lac – Herr der grünen flachen
Schale = Erde. Ah raxa sel – Herr der blauen gewölbten Schüssel
= Himmel. Ah hat im Umgangsmaya die Bedeutung von "Kundiger im Verfertigen
von etwas" angenommen: Meister. – raxa (Maya: yax) ist grün und blau.
– Das Gemeinte ergibt sich jeweils aus dem Zusammenhang.
Ixpiyacóc
/ Ixmucané – Recinos übersetzt "der Alte" und "die
Alte", nach dem Mayawort ixnúk, Alte, und setzt sie als Entsprechung
der Mexikaner-Götter Cipactonál und Oxomóco, die nach
der toltekischen Überlieferung die Rechnung und die Astronomie erfanden.
– Villacorta gibt eine andere Ableitung und interpretiert die Götter
als aufgehende und untergehende Sonne. Mag seine Etymologie als solche
anfechtbar sein, so trifft seine Deutung des hellen und schwachen Lichtes
das Rechte. Denn zweimal erhalten sie im Text den Titel "ratit kib, ratit
zac" – Sonnenahne, Lichtahne. – Die zahlenstarken und traditionsfesten
Mayastämme im Hochland von Chiapas (Mexiko) verehren noch heute Chultotik,
Herr Sonne, und Chulmetik, Frau Mond. Tolik (tatik) ist Vater, metik Mutter
im Tzotzil-Dialekt dieser Indios. Man darf also "der Alte" und "die Alte"
übersetzen, wenn man sie sich als Sonnen- und Mond-Ahnen denkt. Burgess
hat "Der schnell Erscheinende" und "Die sich Verhüllende". Die unmittelbar
folgenden Titel matzanel und ch'ukenel, der Beschützer und die Verbergerin,
scheinen wieder auf Sonne und Mond bezogen zu sein.
Zur Zeit der Druckproben war dem Herausgeber die Entschlüsselung
der Mayaglyphen und die Lesung der Codici gelungen. Es stellt sich heraus,
daß Recinos mit der Deutung der Urmutter vollkommen recht hatte.
Sie erscheint auf der ersten Teilseite des Codex Dresdensis und bringt
dem Gott Kukulchan, wie er da heißt, Weben und Flechten bei.
Sie trägt als Kopfschmuck die Schleife des abgelaufenen Jahres,
(der Leser wird sehen, daß sie die Patronin der überschüssigen
Tage des Mayakalenders ist). Die direkt über ihr stehende Personalglyphe
besteht aus drei Elementen. Das erste sagt "chak", rot oder groß,
das zweite ixnac‚ Alte, das dritte ist ein typisches Mayawortspiel, da
die Glyphe ein Bündel Agavenblätter, den Sisalfaden, das Gewebe
und den Titel "hochheilig" bedeuten kann (chel, chelem, chele). Die Glyphe
spricht also doppelsinnig von der hochheiligen Urweberin Ixnuc. Die ganze
Zeile lautet entschlüsselt:
"U k'uchkax kukulchán chele chak ixnúk ichbén
hmen",
es flechten Kukulkan und die hochheilige Alte, die Spender des Überflusses.
So finden wir gleich auf der ersten Seite des Codex Dresdensis einen
linguistischen Beweis für das hohe Alter der Überlieferung und
den weit zurückreichenden Zusammenhang zwischen Quichés und
Yucatanmayas.
Auch im Codex Troano (Madrid) erscheint die Uralte im Zusammenhang
mit Weben und Spinnen. Auf Seite CII Troano legt sie sich auf einem Tischchen
Bündel von Agavenfäden (Sisal) zurecht. Der Text lautet:
Pidzbilah u kukuch sac ixnuc oxocoan
Es zieht vom Rocken, was sie gesponnen,
die weiße Alte, die Spenderin.
Brasseur, der bekanntlich den Codex Troano entdeckte, identifizierte
schon 1869 in seinem großangelegten Kommentar die nebenstehende Figur
mit Ixmucané.
Gott –
Im Quiché-Text steht hier das spanische Wort Dios. in der Schöpfungsgeschichte
des eigentlichen Buches steht für Gott: caba-vil, mit welchem in der
heutigen Umgangssprache ein altes Götterbild gemeint ist. – Es ist
hier im Text zu spüren, wie auch in dem schneidenden letzten Satz
des Popol Vuh, daß der Erzähler nur widerwillig das Christentum
erwähnt.
Popul
Vuh – Buch der Ratsversammlung oder des Rates. Abgeleitet von popol
– Ort der Bastmatten, d.i. des Rat-Hauses, und vuh – Buch. In manchen Gegenden
wird in einer seltsamen Koinzidenz das Wort wirklich bûh, wie das
deutsche "Buch", ausgesprochen. Da im Text selbst darauf hingewiesen wird,
daß die Schrift Gegenstand der Erläuterung, Rat-Suche und Rat-Gebung
war, haben wir es doppelsinnig Buch des Rates genannt.
Überseeisches
Licht – Erinnerung an die Erleuchtung im Ursprungsland Tula, die
Wanderung und Überquerung des Meeres.
Huracán
– Der Riesige. So nach "Vocabulario de la Lengua Cakchiquel ved.
Guatemalteca". (Manuskript in der American Philosophical Society, Philadelphia.
Zitiert im Popol Vuh. – English Version by Delia Goetz and Sylvanus G.
Morley.) Gott des Sturmes, in die modernen Sprachen als Begriff für
die Wirbelstürme der Karibischen See eingegangen. Man kann den Namen
aber auch aus dem klassischen Maya ableiten, wo er dann der "Einbeinige"
bedeutet. Denkt man an die Hurrikane, die oft in Form von Windhosen auf
die karibischen Küsten zurasen, so ist die Konzeption des Gottes Einbein
aus der Anschauung der Natur wohl einzusehen, obwohl uns diese rationalistische
Deutung wenig gefällt. Jedenfalls tritt als Erdbebengott der Titan
"Zweibein" auf.
Cakulhá
– Cak (k'ak): Feuer; ul – drinnen, in; ha – Wasser. Feuer-im-Wasser:
Blitz.
Chipi-Cakulhá – Das, was aus dem Blitz kommt: Donner.
Raxa-Cakulhá – Der Blitz von unten, von der grünen Erde.
Auch das Spanische unterscheidet genau zwischen rayo, dem Strahl, und
seinem Gegen-Feuer relámpago.
Im Cakchiquel ist raxhaná-hih das Wetterleuchten.
Die
Uralten – Es wird deutlich, daß auch Tzakól und Bitól
ohne das Urpaar Alóm – Caholóm nichts vermögen. Mond
und Sonne werden einst durch sie erschaffen werden, die wahren Menschen
und die geistigen Fähigkeiten der Menschen. Darum werden sie in der
Anrufung und in der ganzen magischen Szene mit vielen Ehrennamen, wie "Ehrwürdige,
Erste" (Mamóm), Ahne (mám), "Sonnenahne" belegt. Ausdrücklich
wird gesagt, daß man sie Großer Eber und Großer Dachs
nennen soll. Damit sind ihre magischen Tierentsprechungen (ihr nágual,
siehe dies Stichwort) gemeint, in die sie sich verwandeln können.
– Es wird aber auch gesagt, sie seien "zweimal Erzeuger"; "zweimal Gebärerin",
womit nicht nur der inhärente Hermaphroditismus angedeutet wird, sondern
die damit verbundene Verwandlungsmöglichkeit in ein zweites Nágual-Paar:
Opossum und Coyote. – Den beiden Tierbenennungen geht das Wort Hunahpú
voraus (Hunabpú-vúch, Hunahpú-utíu). Die sonnenhafte
Sippe der (Hun)-Ahpús muß noch aus den beiden Uralten hervorgehen,
die als Urheber Recht auf den Titel haben sowie auch balám (balóm)
– Jaguar in der Urzeit wie später in geschichtlichen Tagen als Titel
dient. Er steht hier, um die Geisttiere (nágual) ausdrücklich
den beiden Erhabenen zuzuordnen.
Den Ixmucané einmal gegebenen Titel Chiracán scheint
mir Villacorta richtig als Erdmutter gedeutet zu haben. Und unter diesem
Aspekt versteht sich ihre Erscheinungsform als Schildkröte oder Krokodil,
die Thompson weiter unten aus dem Kalender nachweist. Auch Vishnu, der
indische Schöpfungsgott, erscheint als Schildkröte im Urmeer
schwimmend, die Welt auf seiner Panzerschale tragend.
Toltecat
– Die mit offensichtlichem Stolz vorgetragene Passage gipfelt in
der Nennung des Namens Tolteke. Die archäologischen Befunde bestätigen
die hohe Kunstfertigkeit der Tolteken. Bei den Nachfolgevölkern, wie
den Azteken, war der Name Tolteke gleichbedeutend mit "Gebildeter, Künstler".
Tsité
– "Arbol de pito" in Guatemala (Erythrina corallodendron). Die
Schoten dieses Baumes enthalten glänzende feuerrote Bohnen, deren
Keimpunkt von einem tiefschwarzen Fleck umgeben ist. Die Besonderheit dieser
Hülsenfrucht ist, daß sie nicht altert. Der Herausgeber besitzt
solche aus dem Lacandonengebiet des Rio Usumacinta, die in sieben Jahren
weder schrumpften noch an Glanz verloren. Die Lacandonen fertigen aus ihnen
Halsketten, vielleicht magischer Bedeutung. In der Quiché-Gegend
wird diese Wunderbohne noch heute zusammen mit Maiskörnern zu Wahrsagezwecken
benutzt, wie in unserem Text.
Leonhardt Schultze-Jena beschreibt ein Tsité-Orakel unter den
heutigen Quichés genau in "La vida y las Creencias de los Indigenas
Quichés de Guatemala". Es handelt sich um ein Abzählungssystem,
ähnlich wie die Abzählung der Schafgarbenstengel bei der Befragung
des chinesischen Orakelbuches I Ging. Im magischen Ritual repräsentiert
das Maiskorn die weibliche, die Tsité-Bohne das männliche Element.
Bei den Chol-Mayas gibt es für Tsité einen sehr derben erotischen
Ausdruck. – In der folgenden Anrufung: "Du,
Mais ! Du, Tsité!" ist der weitere Text von allen Übersetzern
verdunkelt worden. Brasseur de Bourbourg nannte die Stelle "fort lascif".
Schultze-Jena hat in seiner Übersetzung als einziger den genauen Sinn
wiedergegeben. – Ob man das folgende Kih (quih) wörtlich als Sonne
oder übertragen als Schicksalstag übersetzen will, ist eine Ermessensfrage.
Der Himmel wird nun aufgefordert, nicht hinzusehen, wenn sich Tepeu
und Gucamátz vereinigen.
Die befremdliche Stelle wird sogleich verständlich, wenn wir uns
des hermaphroditischen Charaktersder Götter erinnern. Tepeu spielt
hier den weiblichen Part. – Schultze-Jena übersetzt hier und durch
das ganze Buch "Die Mächtige", Tepeu als weibliche Gottheit nehmend.
Das ist gegen jede Evidenz. Bei den Mexikanern ist tepeuh ein Titel, und
zwar ein männlich-kämpferischer.
Flüssiges
Harz – Lava. Das Popol Vuh wurde inmitten der Vulkankette Guatemalas
konzipiert.
Xecotcovách
– Seit der ersten Abschrift des Popol Vuh durch Padre Ximenez hatte
niemand, auch der Padre nicht, eine befriedigende Deutung dieses anscheinend
aus heterogenen Elementen zusammengesetzten Wortes geben können.
Es gibt aber das Verbum cotcomih – trennen, ausreißen, abschneiden.
Vách ist Auge, Gesicht. Cotcovách ist also ganz wörtlich
"Der Augenausreißende", in welcher Funktion das Tier im Text auftritt.
Die Vorsilbe xé kann man nach Wahl von xec – Befehl ableiten oder
als das Vergangenheitspräfix xe auffassen, wodurch sich dann "Die
zum Augenausreißen Bestimmten" oder "Diejenigen, die die Augen ausrissen"
ergibt. Da durch das ganze Popol Vuh hin Wortspiele mit den zahlreichen
Gleichlauten (Homophonen) getrieben werden, darf man wohl auf diesem Wege
an die als Totenvogel erwartete Eule, tecolóte, denken.
Camalótz
– Camé (Quiche) – Tod. Die Fledermaus, dzótz, ist
das Symbol von Tod und Wiederauferstehung. Sie erscheint auf vielen Graburnen
der verschiedensten mittelamerikanischen Kulturen. Nach ihr nennt sich
ein aus vielen Gründen bemerkenswerter Stamm im Hochland von Chiapas
"Tzotziles": Fledermausleute.
Cotzbalám
– wörtlich: der auf der Lauer liegende Jaguar. Der Jaguar
ist ein Nachttier. Seine gelben und schwarzen Recken werden mit den Mondphasen
assoziiert.
Tucumbalám
ist der Tapir. Aufgescheuchte Tapirherden zerstampfen alles, was
ihnen in den Weg kommt. – Balám: Jaguar, wird sehr oft als kultischer
Titel gebraucht. Die Urtiere erhalten auch sonst Titel wie "Ah" – Herr,
Meister. Balám ist demnach hier als rituelle Floskel zu nehmen.
Reibesteine
– Viereckige, auch ovale Dreifußplatten aus dem jeweiligen
Lokalstein. Auf ihnen wird mit einer Steinmangel der gekochte Mais zerrieben.
In vorkolumbianischer Zeit war dies Urgerät der indianischen Haushaltung
oft kunstvoll mit Skulpturen geschmückt.
Die Allbeseelung der Indios, die keine anorganischen Stoffe kennt,
lebt unter den Cakchiqueles des Atitlán-Sees bis heute fort. So
rücken die Frauen die drei Steine, auf denen der Maiskessel ruht,
nach dem Kochen vom Herd, "um den Steinen nicht länger wehe zu tun".
Die Männer, die jeden Baum als Phallus sehen, bedeckten den abgeschlagenen
Stumpf mit Laub und Erde, "damit er sich seiner Nacktheit nicht schäme".
Federvieh
– Die Mayas hielten sich Truthahn, Fasan und Waldhuhn. Dr. Horkheimer
weist aber die Vokabeln verschiedener vorspanischer Hühnerrassen für
die Anden nach, so daß wohl die Behauptung europäischen Importes
irrig ist.
Holí-holí
/ Huki-huki – Lautmalerei für die Geräusche des Maismahlens.
Affenwelt
und Diluvium – Auch die Lacandonen bewahren noch eine ausführliche
Überlieferung an ein Affenzeitalter und Diluvium. Bei den Hochlandindianern
von Chiapas treten während des dreitägigen Frühlingsfestes
fantastisch verkleidete Jünglinge als Tänzer, Spaßmacher
und Bannerträger auf. Sie tragen hohe Kappen aus Affenfell und ihr
Titel ist im Tzotzil-Maya "mashes", Affen. – In den mexikanischen "Annalen
von Cuauhtitlán" heißt es von einer vierten Weltschöpfung:
"Viele Menschen kamen um im Wasser. Andere wurden in die Wälder geschleudert
und verwandelten sich in Affen."
Siebenpapagei
– Uúk: sieben; k'ak: Feuer; quix: Feder Uucub-k'aquix:
Sieben Feuerfeder, Siebenpapagei. Wir sind hier in die Reihe der Natur-
und Kalendergötter eingetreten.
Der Mayakalender bestand aus 18 namentlich benannten Monaten zu 20
Tagen; die 5 überschüssigen Tage galten als unheilvoll und waren
die "Namenlosen" (xma-kaba-kin). Die Reihe der zwanzig Tage, die man auch
als Woche auffassen kann, da sie sich nicht mit dem Monat deckt, wurde
nun von 1 bis 13 durchnumeriert, dergestalt, daß der erste Tag Imix
(Krokodil als Welt und Kalenderträger) seine 1 erhält. Der 13.
Tag Ben (Rohr) ist also 13 Ben. Da aber nun die Zählung neu beginnt,
wird der 54. Tag Ix (kleiner Jaguar, Ozolote) 1 Ix. – Der letzte Tag Ahau
(Herr, im Kalender mit dem Sonnengott assoziiert) erhält 7 Ahau, ein
beliebtes Datum. Nun folgt, da die "Woche" neu beginnt, 2 Imix.
Ein Tag Papagei ist in keinem Kalender bekannt. Die Glyphe des Monats
Kayáb zeigt einen Papageienkopf, ihre symbolische Bedeutung ist
aber komplizierter. Wohl ist der fünfzehnte Tag der Quichés
Tzih: Vogel, dem Tzikin, Vogeltag in den Chiapaskalendern entsprechend.
Die Entsprechung im Aztekenkalender ist Cuauhtli: Adler. Der Adler ist
Sonnenvogel bei Tolteken und Azteken, im Mayabereich hat der Papagei diese
Funktion. Es wird also hinter dem heutigen Tzih die Idee Papagei mit dem
dazugehörigen Mythos stehen. – Franz Termer hat gezeigt, daß
in dem Gebiet des Nachbarstammes der Quiché, dem alten Mayastamme
der Mames, der Tag "Tzikin" als Unglückstag gilt, während das
Äquivalent von Hunahpú-Ahau immer ein Glückstag ist. –
Nach unserem Mythos leuchtet das ein.
Uúcúb Caquix: trägt sogar
in seinem Namen Sieben Feuerfeder eine Herausforderung: er usurpiert den
Titel des wahren Sonnengottes Kin-ich K'ak-mó: Sonnenauge-Feuervogel.
Der Mythos schildert also die Züchtigung und Vernichtung des übermütig
gewordenen Sonnentrabanten Papagei durch den wahren Herrn Ahau (Hunahpú).
Er wird ins Reich der Schatten geschickt, nachdem ihm aller Glanz entnommen.
Ixbalanqué
– wörtlich: dem Jaguar ähnlich. Tigrillo, Ozolote.
Als Ix: vierzehnter Kalendertag. Ein Aspekt des hier einsetzenden, hintergründigen
Berichtes ist also die Auseinandersetzung des an magische Zahlen gebundenen
Himmels mit den bloßen Naturkräften. Der Kampf der Olympier
gegen die Titanen. Kosmos gegen Chaos.
Zipacná
– Der Starke. Der Atlas des Popol Vuh. Die Namensähnlichkeit
mit den mexikanischen Erdgöttern Cipactli und Cipactonál ist
nicht zu überhören.
Cabracán
– Der Erschütterer (wörtlich: der Zweibeinige);
Chimalmát
– Villacorta gibt eine sehr gezwungene Ableitung als "Böser
Mund, Streitsüchtige". Indessen ist die Hauptwurzel aus dem aztekischen
Königshaus der Chimalpopóca wohlbekannt. Chimalli (aztekisch)ist
Schild. "Maitl" ist aztekisch Hand; "ma" bei den Quichénachbarn,
den Pipiles. – Da chimalli auch übertragen im Sinne von Schutz, Beistand
gebraucht wird (vergl. die deutsche Wendung "Schutz und Schild"), kann
der Name "die helfende Hand", Gefährtin, bedeuten. Bei den Chorti-Indios
an Guatemalas Hondurasgrenze bedeuten die beiden Titaneneltern mit ihren
beiden Söhnen die vier We1tträger (ihnen entsprachen bei den
alten Mayas die vier Bacáb oder Weltträger). Im "Baile de los
Gigantes" stellen die Chorti noch heute den Mythos dar. – Im mexikanischen
Mythos ist Chimalmát die zweite Frau des Königs von Chicomostoc
und Mutter von Quetzalcóatl.
Die
Vulkankette – Sie ist in der Folge von Ost nach West genannt.
Chi-k'ak: – Feuermund, heute "Fuego" genannt.
Hunahpú: Jäger, heute wegen einer Schlammeruption "Agua"
genannt, während die Indios bei dem alten Götternamen bleiben
Pecúl: Der Krater, heute Acatenángo (alle drei unfern
von Guatemala City, den Westhorizont beherrschend)
Yaxcanúl: Der Schreckliche, heute Sta. Maria
Macamób: Erloschenes Blasrohr, heute Zuñil (beide nahe
der Stadt Quezaltenango)
Huliznáb: Der "Rauchende", Nachbar des Tacaná, der das
Mayaparadies Paxil überragt, heute mexikanisch
Tajamúlco genannt.
Nance
(Byrsonima crassifolia) – Tropischer Baum mit kirschengroßen
Früchten, die gerne zu einem Likör verarbeitet werden.
Schutzgeister
(Nagual) – Im Text nágual, ein Wort, das noch jedem Indio
Zentralamerikas, auch wenn er katholisiert und "integriert" ist, einen
magischen Schauer verursacht. Die náguals sind Schutzgeister, meist
Tiere, die jeden Lebenden begleiten. Der Tag der Geburt bestimmt den nágual.
Die Indios in Chiapas und Guatemala führen fast alle hinter den spanischen
Namen als Drittnamen ihren nágual, den sie vor Außenstehenden
ängstlich verbergen. Denn es genügt, das Geisttier eines Feindes,
etwa ein Gürteltier, zu fangen und unter magischen Riten zu quälen,
um dem Gegner Krankheit oder gar den Tod zu senden. Der nágual hat
auch eine Tabu-Wirkung: bei einer vorgenommenen Hochzeit kommen die beiderseitigen
Schwiegereltern zusammen, um zu prüfen, ob nicht etwa gleiche náguals
im Begriff stehen, eine inzestuöse Verbindung einzugehen. Ursprünglich
gab es neben dem individuellen nágual noch das übergeordnete
Totem-Tier des Stammes. Als solche treten hier die aus der Schöpfung
bekannten Alten, Eber und Opossum, für ihre Urenkel, unsere Heldenzwillinge
auf. Die richtige Schreibweise wäre náhual, aber die durch
die Spanier geschaffene Verwirrung von g für h und v für u können
wir nicht mehr ändern.
Vierhundert
Jünglinge – Der Naturmythos ist offenbar: Vernichtung eines
ganzen Stammes durch ein Erdbeben. Indessen dürfen wir uns mit diesem
oberflächlichen Euhemerismus nicht begnügen. Zunächst einmal
kann die Zahl nicht zufällig sein. Die Mayas rechneten die Zeit in
Einheiten von 20 Jahren, Katun genannt, und Baktúns von 400 Jahren.
Das Ende der Zyklen war mit großen Feierlichkeiten und Setzung von
Datumstelen verbunden. Es wird also ein von Katastrophen begleitetes Baktún-Ende
in mythologischer Form erzählt. Aber auch der Baktún steht
hier nur für eine größere Einheit. Die zentralamerikanischen
Kulturen kennen vier Weltzeitalter, in dessen viertem wir heute leben.
Rafael Girard hat gemeint, daß der Untergang von Siebenpapagei und
seinen Söhnen das Ende des ersten Weltzyklus bedeutet. Soziologisch
gesprochen ist es der Übergang vom alleinschweifenden Jäger und
Sammler (Siebenpapagei, der Fruchtesser; Zipacná, der Krebssammler)
zur Gemeinschaft der Siedler: Die Jünglinge erbauen die Jungmännerhütte
im Kollektiv. Und sie finden es "nicht gut", daß Zipacná allein
den Stamm trägt Auch die bezeichnende Frage
nach Vater und Mutter, d.h. nach Clan und nágual, gehört
hierher; eben hierdurch entsteht die Bindung zu Gruppen und Stämmen.
Zipacná, der Schweifende, ist die feindliche, die überwundene
Ordnung. Er muß sterben. Bei der Überwindung Cabracáns
wird die Motivkette noch deutlicher, indem die Götterjünglinge
ihrerseits Sippe und festen Wohnsitz leugnen, um das Vertrauen des Nomaden
zu gewinnen.
Ein hoher Mast dient noch heute in Zeremonien zur Erinnerung an die
Seßhaftwerdung. Bei dem von Rafael Girard ausführlich beschriebenen
Tanz der Giganten unter den Chortis bedecken sich die Darsteller von Sonne
und Mond die Gesichter, um getreu der Überlieferung die Dämmerzeit
anzudeuten. Anläßlich des Festes vom 18. bis 21. Dezember in
Chichicastenango wird unter vielfachen Zeremonien ein 20 bis 30 Meter langer
Stamm gefällt und von "400 Jünglingen" zum Hauptplatz des Ortes
geschleppt. Zwei Affenmasken versuchen dann, die Jünglinge am Besteigen
des Mastes zu hindern. Deren vier gelangen schließlich bis zur Spitze
und werfen sich kopfüber in den Raum, an Stricke geknotet, die über
ein Rad an der Mastspitze langsam abrollen. So schweben sie zur Erde: der
Triumph des Menschen über die niedere Natur. Dieses sehr bekannte
Schauspiel des "Palo Volador" kann man auch in Papántla, an der
Golfküste Mexicos, sehen. Da es sich dort um einen in vorgeschichtlichen
Zeiten, vermutlich durch den Einbruch der Olmécas, von den übrigen
Mayastämmen abgetrennten Zweig handelt, steht das sehr hohe Alter
der Popol-Vuh-Überlieferung außer Frage. Der Nahuatologe Juan
Hasler hat den Mythos der 400 Jünglinge auch unter den primitiven
Otomi-Stämmen Mittelmexikos nachgewiesen. (Juan Hasler: Damuzá
– Notas sobre una comunidad Otomi de la Huasteca. Mexico 1952.)
Plejaden
– Hier lautet der Text: "ix cha chicut an ri ix é coc
chi chumila ri Motz u bi cumál", d.i. "Und man sagt von ihnen, daß
sie sich zu den Sternen fügten, die Motz genannt werden." Motz ist
Kurzform des Náhua-Wortes momotzli: Opferaltar. Der himmlische Opferaltar
ist von Brasseur dc Bourbourg und anderen als die Plejaden identifiziert
worden. Man kann auch von Motz – Haufen, Menge ableiten. Alle Bearbeiter
weisen darauf hin, daß hier eines der beliebten Wortspiele vorliegt:
Mótz und omúch (sprich: o-mútsch) vierhundert (Jünglinge).
Ek –
Eine Bromelienart, deren gezacktes Blatt mit ebensolcher roten Blüte
heute "Hahnenfuß" genannt wird.
Pahác
– Nach Ximénez eine kleine Blattpflanze.
Meaguán
– Am Fuß dieses Gebirges liegt der Ort Rabinál,
wo Brasseur de Bourbourg Quiché lernte.
Krebsfang
– Auf dem Rücken
liegen (Mund nach oben) ist die Todesstellung. Der Mythos gerät
immer tiefer in magische Bezüge. Ein Tzotzil-Indio aus Chiapas und,
nach allem von Rafael Girard Berichteten, ein Chorti würde die Sage
so interpretieren: "Der Krebs ist der nágual von Zipacná.
Indem die Zwillinge ihn tot hinlegen (rücklings), ist das Ende des
Riesen gekommen. Er stirbt aber erst, als sie ihn selbst dazu bewegen,
auf dem Rücken zu schwimmen. Da erst wirkt der Zauber." Tatsächlich
wird der Krebs im Text das "Zauberding",
cumatzih (in Maya mactzil), der Zwillinge
genannt.
Und
am Schluß heißt es ausdrücklich: nur durch den nágual
wurde Zipacná besiegt. –
Noch drastischer wird Magie an Cabracán
geübt. Indem sein nicht
namentlich genannter nágual-Vogel in der Kalkerde der Toten geröstet
wird, ißt sich der Titan buchstäblich den Tod an diesem Mahl.
Es ist zudem das Textwort für weiße Erde : "Zahcáb",
das Ritualwort für die weiße Farbe, mit der der Leib von Menschenopfern
bestrichen wurde. – Das Motiv der weißen Todesfarbe erscheint auch
bei den Griechen.
Ende
der Titanen –
Der Codex Vaticanus hat die Darstellung eines Vulkanberges. An seinem
Fuß, in einer Höhle, beratschlagen zwei Jünglinge mit lebhaften
Gesten. Draußen fliegt ein Vogel vorbei und kriecht ein Schalentier
am Abhang – die zwei náguals. Unter dem Gebirge liegt, mit dem Mund
nach oben, eine riesige, nackte Gestalt, durch den Text als Gigant bezeichnet.
Das Ende der Titanenwelt. (Reproduziert bei Girard)
Siebenpapagei erscheint im Codex Borgia: ein Arara mit dem Arm Hunahpús
im Schnabel.
Unaufzählbare
Geschehnisse – Hier spricht Villacorta von "vielen bösen
Taten Cabracáns" und Recinos von "zahllosen Taten der Jünglinge".
Im Text steht aber ganz einfach: "mavi ahilan qui banoh varal chuvach uléu",
d. i. "nicht erzählbare viele Taten auf dieser Erde". Der Erzähler,
der ja im Text wiederholt selbst hervortritt, gibt zu verstehen, daß
er die irdischen Geschehnisse nun verläßt (er wiederholt im
nächsten Absatz noch einmal „varal chuvach uléu“, auf dieser
Erde), weil er unter die Erde geht, sich der Unterwelt zuwendet.