Diese Ordnung - um die Tatorgane erweiterbar - hat sich als außerordentlich
starr erwiesen. Sie ist mit den vielen anderen Fünfergruppierungen
etwa der Upanishaden
(z.B. Brhadâranyaka-Up.
1,4,17) oder gar der Veden nicht
leicht in Zusammenhang zu bringen. So werden dort eher vier Elemente
aufgezählt, oder drei, in allen Variationen, und der Äther ist
selten so dicht an die Elemente angegliedert, eher finden sich noch Sonne
und Mond, Rede und einige Tatorgane dazwischen,(z.B. Brhadâr.-Up.
3,7). Überhaupt zeichnen sich die frühen Upanishaden
durch eine Erfahrungs- und Gedanken-Experimentierfreudigkeit
aus, deren Beharrlichkeit noch nicht zur Dogmatik erstarrt. Fester gefügt
sind dann schon die Systembestandteile im Buddhismus, z.B. die Lehre von
den zehn Gesamtbereichen (krtsnâyatanâni),
in denen die Elemente aufgezählt werden, oder innerhalb des Kausalnexus
die sechs Bereiche (âyatanâni oder
dhâtavah), ohne daß eine
der sâmkhyistischen genau entsprechende
Fünfergruppe festzustellen wäre, (Frauwallner
I, S.176, 190, besonders S.237):
"Gewöhnlich wird von den vier großen Elementen (mahabhûtâni)
gesprochen. Es sind dies Erde (prthivi),
Wasser (apah), Feuer (tejah)
und Wind (vayuh), und diese vier großen
Elemente bilden z.B. den menschlichen Körper, in dem das Erkennen
seinen Sitz hat. Daneben treffen wir aber auch auf eine Reihe von sechs
Elementen (dhâtavah), in der
neben den genannten vier Elementen auch das Erkennen und der Raum (âkâshah)
erscheint. Was die Eigenschaften der Elemente betrifft, so werden sie nicht
ausdrücklich als solche angeführt. Als Objekte der Sinnesorgane
wird eine Sechszahl genannt, Formen (rûpâni),
Töne (shabdâh), Gerüche
(gandhâh), Geschmäcker (rasâh)
und Berührbares (sprashtavyam), wozu
als Sechstes, als Objekt des Denkens (manah),
die Gegebenheiten (dhârmâh)
kommen. Eine Verknüpfung dieser Objekte mit den Elementen als Eigenschaften
derselben wird nicht versucht."
Also kann, man zunächst festhalten, daß die
S.2
Upanishaden, besonders Kaushîtakî-Upanishad
3, in ihrer Methode, etwas in seinem Wesentlichen zu durchfragen,
sich ganz in solchen Verbindungen wie der von Element und Organ bewegen,
während andrerseits die aufkommenden dogmatischen Lehrsysteme zahlenmäßig
fixierte Gruppen bilden, die nicht schon zu solchen Komplexen gefügt
sein müssen, wie die Fünfergruppe im Sâmkhyâsystem,
wo ja mehrere fixierte Gruppen stabil parallelgeschaltet sind. Dies kann
als augenfälligstes Grenzkriterium genommen werden. Nur, daß
daran die Schwierigkeit deutlich wird, daß eine Begründung für
ihre Konstruktion nicht gegeben wird und ein Übergang von der upanishadischen
Varianz zu diesem Kristallsplitter nicht erkennbar ist. Zwar kennen wir
etliche Vorformen, die vergleichbar sind, doch ist der Punkt zunächst
nicht deutlich auszumachen, wo der Zuordnungszwang (etwa: Erde - Geruch)
begründet wird und von dem ab er nicht mehr in Frage steht.
2. Diese Fünfergruppe wird aus einem Übergeordneten emaniert.
Hier unterscheiden sich die Protosysteme. Die Frage nach "Dualismus" oder
"Monismus" der emanativen Ableitung gehört hierhin. Allerdings sind
diese Begriffe zu klären. Sie werden in der Regel nicht zur Kennzeichnung
der Art der Prinzipiierung gebraucht. Entweder kann man sie als "Antwort"
auf die Frage nehmen, ob neben dem emanierenden Prinzip (oder darüber)
noch ein anderes Entgegengesetztes angenommen wird. Oder man kann sie zu
einer Kennzeichnung von Einheit bzw. Vielheit des (erlöst-) Geistigen
gebrauchen, - denn das Geistige muß hier nicht das Emanierende sein
und ist es im klassischen System auch nicht mehr. Was ist dann Dualismus?
Im ersten Fall z.B. wäre der Buddhismus dualistisch, mit seiner Scheidung
des nirvâna von der Bewegung
der dharma-Partikel,
wodurch das Absolute von einem kausalnektischen Leben, das durchaus emanative
Züge in seiner Bedingungsfolge hat, abgetrennt wird. Im zweiten Fall
dagegen wäre er monistisch, da die dharmabewegten
Unterschiede durch Erlösung abgestreift werden und außerhalb
der absoluten Ruhe bleiben. Doch ist dies nicht eindeutig, da die Beschränkung
auf den meditativen, subjektsinnerlichen Weg nicht zu einer kommunikativen
Übereinkunft kommen lassen kann, die das nirvâna
als ein Eines, Gemeinsames ansetzt. Die Übereinkunft ist soweit
negativer Art und die Entfaltung des buddhistischen
Lehrsystems selbst bewegt sich dann zwischen der theoretizistisch-positiven
oder praktizistisch-negativen Fassung des Absoluten. Dies nur als äußeres
Beispiel für die Verschiedenheit des Gebrauchs der Begriffe "Monismus"
und "Dualismus".
S.3
3. Und daran schließlich werden Probleme erst deutlich, die auf
die Deduktionsrichtung aufmerksam machen und in der Behandlung der Fünfergruppe
(auf den ersten Blick) nur leichtfertig behandelt zu sein scheinen: Was
wird woraus entwickelt und wohin? Und hier erst tut sich der Abgrund auf,
den manche zwischen zwei "Geistesströmungen" in Indien vermutet haben
(u.a. Frauwallner 1, S.268 f.)
für deren eine die upanishadischen
Auffassungen - trotz ihrer großen Vielfalt - stehen und deren andere
in Jainismus, Vaisheshika
u.a. hervorzutreten scheint. Man kann hier den Dualismus von Eroberer-
und Substrat-Kultur vermuten (E. Zimmer) - dies ist hier nun nicht das
Thema; aber eine Kluft öffnet sich hier doch, zwischen einer Auffassung,
die die Einheit in ein Geistiges setzt, das in Emanation sich zu sinnlichgrober
Vielfalt entwickelt - das ist das, was von der upanishadischen
Ineinanderdeutung allen Lebens in späterer Zeit übriggeblieben
ist - und der anderen Auffassung, die in den Geistern eine Vielheit sieht,
die in Einschließung in ein Substrat zu erlösungsbedürftigen
Individuen qualifiziert werden. Und zeitlich betrachtet kann man eine grobe
Tendenz im Sâmkhyâsystem annehmen,
das von der ersten Auffassung sich in Richtung der zweiten entwickelt,
die dann in der Kârikâ
am deutlichsten ausgeführt wird, bis die Purânas
in theistischer Spekulation den sogenannten Dualismus des entwickelten
Sâmkhyâsystems dialektisch auslegen,
so daß aus der Spannung von Geist und gunas
sich ein neuer, personaler Monismus belebt.
Nun, das ist grob hingestellt, und es stimmt insofern schon nicht,
als keine rechten Trennlinien erkennbar sind und alle skizzierten Polaritäten
wie die Farben in einem Kaleidoskop bunt durcheinandergehen, wenn sie auch
splitterhaft starr und getrennt zu bleiben scheinen. Was kann da verbürgen,
daß eine "Farbe" zu einem und keinem anderen System gehört,
und daß die Extrapolation vom Bestandteil auf die denkexperimentelle
Voraussetzung nicht so fehlgeht wie so manche Spekulation über das
historisch nicht Greifbare fehlging?
Es fehlt nun also an der historischen Leitlinie, und so steht man in
dem Wagnis, Schichten bilden zu müssen, aus denen sich Geschichte
konstruieren läßt. Die Form,. in der uns die Vorläufer,
Prototypen und Systeme überliefert sind, ist hier noch erschwerend,
als zugunsten einer knappen, für mündliche Tradierung geeigneten
Formulierung in Shlokas ein freies Verweisen
auf Zusammenhänge, Fragestellungen und Begründen weggekürzt
ist und vor allem noch, da mannigfache Einschübe die ursprüngliche
Tendenz einer Ableitung brechen und umdeuten. Dies wirkt dann in eine andere
Schwierigkeit zudem noch hinein: nämlich die Begriffsbildungen. Da
dieses Problem an der Übersetzung aufbricht, ist es nunmehr am Text
zu erläutern.
S.4
Übersetzung und Kommentar von Mahâbhârata
224,6 bis 75:
atra te vartayishye 'ham itihâsam
purâtamam
jagau yad bhagavân vyâsah
putrâya pariprcchate (6)
6) Ich werde dir hier einen alten Bericht wiedergeben,
welchen der ehrwürdige Vyâsa
seinem fragenden Sohn rezitiert hat.
adhîtya
vedân akhilân sângopanishadas thatâ
anvicchan naishthikam karma dharmanaipuna-darshanât
(7)
7) Nachdem er alle Veden
mit den anhängenden Wissenschaften und
Upanishaden gelernt
hatte,
forschend nach vollendetem Werk aus Einsicht
in die Perfektion des Gesetzes,
krshnadvaipâyanam vyâsam
putro vaiyâsakih shukah
papraccha samdeham imam chinna-dharmârtha-samshayam
(8)
8) befragte der Sohn des Vyâsa,
Shuka, den Krshnadvaipâyana
Vyâsa
über dieses Problem, ihn, der alle Zweifel
über den Zweck des Gesetzes gelöst hatte:
bhûta-grâmasya kartâram
kâla-jñâne ca nishcayam
brâhmanasya ca yat krtyam
tad bhavân vaktum arhati (9)
9) "Den Schöpfer der Wesensschar, und
die Gewißheit in der Kenntnis der Zeit,
was Pflicht des Brahmanen
ist, das mögen Sie mir bitte sagen."
tasmai provâca tat sarvam pitâ
putrâya prcchate
atîtânâgate vidvân
sarva-jñah sarva-dharmavit (10)
10) Diesen lehrte der Vater all dies, den
fragenden Sohn,
der in Vergangenem und Zukünftigem Kundige,
der Allwissende, der Kenner aller Gesetze:
an-âdy-antam ajam divyam ajaram dhrûvyam
avyayam
apratarkyam avijñeyam brahmâgre
samavartata (11)
11) Das anfangs- und endlose, ungeborene,
göttliche, nichtaltemde, sichere, unvergängliche,
das unerschließbare und unerkennbare
brahman existierte
im Anfang.
Eine bedeutende Variante zum "unvergängliche" dieses letzten Verses
findet sich in 11 Manuskripten, die "avyaktam",
"unentfaltete" anstelle des "avyayam" haben.
Ferner steht für "samavartata" ("existierte")
in 12 Manuskripten "sampravartate", "beginnt,
geht hervor"; diese Bedeutungen klingen auch - vom Tempus abgesehen - in
"samavartata" mit, aber die Adjektive beruhigen
alles, was Bewegung assoziiert, zu einem bloßen, nichtobjektiven
Dasein.
Mit diesem Vers beginnen die Parallelstellen, die sich im ersten Kapitel
der Manusmrti
befinden, und mit denen unser Text zu vergleichen ist. Zunächst
jedoch bricht die Schilderung der gefragten Schöpfer-Emanation mit
ihrem ersten Vers hier ab und ein in der metrischen Form und im inhaltlichen
Thema verschiedener Teil setzt hier ein, ab Vers 12. Erst Vers 31 und die
folgenden nimmt diese Antwort wieder auf. Diese Trennungsgrenzen sind so
scharf, daß Hacker annimmt,
daß hier voneinander unabhängige Quellen zusammengefügt
sind, die selbst "Kleine Lehrstücke" darstellen.
Die Manusmrti
hatte die gleichen Lehrstücke zur Quelle und ordnete sie integrativer
an.
Es sind also von hier an zu unterscheiden:
dann folgt in unserem Text die Fortsetzung
S.5
Das Inhaltliche des Verses 11 wirst von Hacker
auseinandergesetzt. Das hier subjizierte brahman
sei ein unpersönliches Wesen. "Die Eigenschaften, mit welchen
es hier charakterisiert wird, zeigen nicht an, ob das brahman
ein geistiges Wesen oder etwas wie erste Materie ist." Diese Behauptung
trifft das im Punkt 5 der Einleitung anvisierte Problem des Was des Einen.
Nun, es muß als dritte Möglichkeit durchaus erwogen werden,
ob das Eine von der Disjunktion Geist/Substrat frei sein kann. Die Art
der Emanation müßte darüber weiteren Aufschluß geben.
Eher noch: die Auffassung, die die scharfe Trennung von Substrat und Geist
nicht kennt, ist die vedische
und (früh-) upanishadische.
Da verwandelt sich alles ineinander und das metamorphisierendr Leben sucht
ein integrativ sich vermittelndes, kein bloß abstraktes Geistiges.
Dieses Alles-Seiende wird brahman genannt,
und sofern es ein volles Leben ist, ist die Bezeichnung "unpersönlich"
unzutreffend, auch wenn oder gerade wenn es nicht als Person einem zu energisierenden
Substrat gegenübergestellt wird. Wir sagen "das Bewußtsein,
das Leben, das Ich", ohne damit Impersonslität zu behaupten. Aber
der Gesichtspunkt ist ein anderer: Die auf dualistischem (im ersten Sinne)
Boden erwachsende theistische Spekulation betont durchaus die Personalität
des Gottes und deutet den brahman-Begriff
in "erste Materie" um. Die Frage ist, wo, von woher, von wann an dieser
Dualismus in das upanishadische Gedanken-
und Erfahrungs-Experimentieren hereinwirkt und Systeme ausfällt. Also:
Wo findet sieh "Verjüngung" von Texten durch Einrahmungen und Einschübe?
Zu denken ist an die Lesart "avyaktam", die
substrathafte Anklänge, nämlich an die Kennzeichnung der prakrti
im Sâmkhyâ-System, hat,
wo dies Wort nicht "unentfaltet", sondern "noch nicht entfaltet" meint.
Aber das meint es auch hier, ohne deshalb den Substrataspekt notwendig
vom Selbstwerdungsaspekt abtrennen zu müssen.
Wie lauten die Attribute des brahman hier?
Sie negieren endliche Eigenschaften, zunächst des Zeitunterworfenseins,
schreiben positiv Himmlischkeit und Stabilität zu, und erklären
es schließlich als nichtobjektivierbar (unerkennbar). Im Vergleich
mit upanishadischen Texten ähnlicher
Abstraktionsstufe, etwa Mundaka-Upanishad
1,6, wird deutlich, daß die Attribute zwischen subjektiven und objektiven
nicht getrennt sind. Sie ermöglichen einen Erfahrungsdurchgang durch
die eigene "Person", eben alles Endliche negierend, um so das Eigentliche
konkret an sich selbst zu finden. Gewöhnlich geht das introspektive
Experiment dabei von außen nach innen - ohne festgelegten Ablauf,
also durchaus durch einen neuen Erfahrungsbereich hindurch weiter ausgreifend,
mit neuen Spiralbögen - so wie in unserem Text zuerst das auch räumlich
zu verstehende Gegensatzpaar "anfangs- und endlos" und dann das an Menschen
als Lebensdauerwesen negierbare "ungeboren" und "alterslos" betrachtet
wird, wodurch die positiven Attribute "sicher" und "beständig" - bestimmt
nicht materiell gemeint - verstehbar werden
S.6
und der Schritt von der Entgrenzung des Selbstgefühls in die Entgrenzung
des Denkens vollzogen werden kann. So besteht die Möglichkeit, sich
in den Zustand des Bewußtseins zu versetzen, aus dem das brahman
in der Folge aufwacht(!).
Die Manusmrti
betont in ihrer Fassung des ersten Grundes noch stärker den
Sachverhalt, daß es der allen Dingen gemeinsame Schlaf ist, aus dem
sie in wohlgeordneter Folge aufwachen, und zuerst wachen sie als das allumfassende
noch einfache Bewußtsein selbst auf; eine auf die introspektive Methode
verweisende imaginative Schöpfungs-Wissenschaft. Zunächst ist
alles ''prasuptam iva", "gleichsam im Schlaf".
Vers 7 verstärkt noch, die Introspektions-Mittlerrolle dieser Imagination
("asavatîndriyah") und die Identität
aller Wesen im Aufwachenden ("sarvabhûtamayo"),
der nunmehr (Vera 6: "svayambhur bhagâvân")
personal wirkt, allerdings im Bilde des alten Mythos von Purusha
und Virâj, oder Hiranyagarbha;
das "samavartata" des Shukaprashnatextes
klingt gleichfalls an den hiranyagarbha-Mythos
an, da Rgveda X,121,1
mit den Worten beginnt: "hiranyagarbhah
samavartatâgre".
Der Vers 11 kommt mit entscheidenden Varianten im
Brahmândapurâna,
im Kûrmapurâna, Lingapurâna,
Mârkandeyapurâna und
im Vâyupurâna vor (entsprechend
Kirfels "Das Purâna
Pañcalakshana" S.46). Dieser Zusammenhang wird
von Hacker im selben Aufsatz
bearbeitet, in dem auch der Shukânuprashnatext
behandelt wird, "The Sâmkhyization
of the Emanation Doctrine Shown in a Critical Analysis of Texts"
(Kl. Schriften, pp. 167 - 204).
Unser Text bricht hier nach Vers 11 übergangslos in das Thema
der Zeiteinteilung um:
kâshthâ nimesha dasha pañca
caiva
trimshat tu kâshthâ ganayet
kalâm tâm
trimshat kalâsh câpi bhaven muhûrto
bhâgah kalâyâ dashamash
ca yah syât (12)
12) Eine kâshthâ
(Sekunde) besteht nur aus 15 Lidschlägen;
30 kâshthâs
soll man auf eine kalâ (Minute) berechnen;
wiederum 30 kalâs
sollen ein muhûrta
(Stunde) sein,
zuzüglich dem, was der 10. Teil einer
kalâ sein
soll.
trimshan muhûrtash ca bhavet ahash ca
râtrish ca samkhyâ munibhih
pranîtâ
mâsah smrto râtry-ahanî
ca trimshat-
samvatsaro dvâdasha-mâsa ukthah
samvatsaram dve ayate vadanti
samkhyâvido dakshinam
uttaram ca (13)
13) Und 30 muhûrtas
sind ein Tag
und eine Nacht, eine von den munis
eingesetzte Zählung;
und ein Monat gilt als 30 mal Tag und Nacht;
das Jahr wird ein Zwölfmonatiges genannt.
Das Jahr nennen die Mathematiker zwei Gänge,
und zwar den südlichen und den nördlichen.
aho-râtre vibhajate sûryo mânusha-laukikê
râtrih svapnâya bhûtânâm
ceshtayai karmanâm ahah (14)
14) Die Sonne teilt Tag und Nacht, menschliche
und kosmische;
die Nacht dem Schlaf der Wesen, der Betätigung
der Werke den Tag.
pishye râtry-ahanî mâsah
pravibhâgas tayoh punah
krshno-'hah karma-ceshthâyâm
shuklah svapnâya sharvarî
(15)
15) Eine Manen-Tag-und-Nacht ist ein Monat,
aufgeteilt wiederum in zwei:
die dunkle Hälfte (von Vollmond bis Neumond)
als Tag zur Betätigung der Werke,
die helle Hälfte (vom Neumond zum Vollmond)
dem Schlaf als die (gestirnte) Nacht.
S.7
daive râtry-ahnî varsham
pravibhâgavas tayoh punah
ahas tatrodagayanam râtrih syâd
dakshinâyanam (16)
16) Eine Götter-Tag-und-Nacht ist ein
Jahr, aufgeteilt wiederum in zwei:
der Tag ist dort der Gang nach Norden,
die Nacht der Gang der Sonne nach Süden.
ye te râtry-ahnî pûrve kîrtite
daiva-laukike
tayoh samkhyâya varshâgram
brâhme vakshyâmy ahah-kshape (17)
17) Die Tag-und-Macht, welche oben erwähnt
ist als göttliche und kosmische,
von beiden die Summe der Jahre gezählt
habend werde ich dir die brahman-Tag-und-Nacht
sagen.
teshâm samvatsarâgrâni
pravakshyâmy anupûrvashah
krte tretâyuge caiva dvâpare
ca kalau tathâ (18)
18) Deren Jahressummen werde ich der
Reihe nach angeben,
wie sie im krta-,
und im tretâ-Weltalter
und im dvâpara- und
auch im kali-Weltalter
sind.
catvâry âhu
sahasrâni varshânâm tatkrtam yugam
tasya tâvacchatî samdhyâ
samdhyâmshash ca tathâvidah (19)
19) Man sagt, viertausend Jahre dauere dies
krta-Weltalter,
dessen Morgen-Dämmerung ebensoviele Hunderte,
und gleichermaßen die Abenddämmerung.
itareshu sasamdhyeshu sasamdhyâmsheshu
ca trishu
ekâpâyena samyânti sahasrâni
atâni ca (20)
20) Bei den anderen dreien mit ihren Morgen-
und Abenddämmerungen
kommen die Tausende und Hunderte durch Abziehen
von (jeweils) Eins zusammen.
etâni shâshvatâl lokân
dhârayanti sanâtanân
etad brahmavidâm tâta viditam
brahma shâshvatam (21)
21) Diese tragen die ewigen, beständigen
Welten,
dieses ist den brahma-Kundigen,
mein Lieber, bekannt als das ewige brahman.
Hier befindet sich die Nahtstelle zwischen Zeiteinteilungs- und yugadharmas-Lehrstück.
Der Vers 21 streicht das Ganze unter dem brahma-Begriff
ein, was an dieser Stelle insofern sinnvoll ist, als ja ein Übergang
von der bloßen Metrik der Zeitkreislaufe in das Inhaltliche, Zeitunterworfene
der dharmas in den verschiedenen Weltaltem
geschieht. Die Manusmrti
macht hier einen Einschub, der nocheinmal eine Emanation der Elemente
schildert. Dann geht sie wieder parallel mit unserem Text:
catush-pât sakalo dharmah satyam
caiva krte yuge
nâdharmenâgamah
kashcit paras tasya pravartate (22)
22) Vierfüßig und vollständig
ist das Gesetz und auch die Wahrhaftigkeit im krta-Weltalter;
keine Bereicherung durch Gesetzlosigkeit macht
sich breit, die diesem fremd ist.
itareshvâgamâd dharmah
pâdashastv avaropyate
caurikânrtamâyâbhir
adharmâsh copacîyate (23)
23) In den anderen aber wird das Gesetz
wegen der Bereicherung je um einen Fuß vermindert;
durch Diebstahl, Unwahrheit und Trug wird
auch die Gesetzlosigkeit vermehrt.
arogâh sarvasidddharthâsh
catur varshashatâyushah
krte tretâdishveteshâm
pâdasho hrsate vayah
24) Ohne Krankheit, in den Unternehmungen
stets erfolgreich,
mit einem Leben von vier Jahrhunderten im
krta,
nimmt das Leben je um einen Fuß in tretâ,
und so weiter in den anderen, ab.
vedavâdâsh cânuyugam hrsantîti
ca nah shrutam
âyûmshi câshishash
caiva vedasyaiva ca yat phalam (25)
25) Auch die Vedaworte
nehmen je nach Weltalter ab, so ist von uns gehört worden,
und die Lebenslängen und sogar die Segenssprüche
und auch, was die Frucht des Veda ist.
anye krta-yuge dharmâs tretâyâm
dvâpare 'pare
anye kali-yuge dharmâ yathâshakti
krtâ iva (26)
26) Andere sind die Gesetze im krta-Weltalter,
in der tretâ,
und andere im dvâpara;
andere sind die Gesetze im kali-Weltalter,
gleichsam ihrer Kraft entsprechend angeordnet.
tapah param krta-yuge tretâyâm
jñâtam uttamam
dvâpare yajñam evâhur dânam
eva kalau yuge (27)
27) Askese ist das Höchste im krta-Weltalter,
in der tretâ ist
Erkenntnis das Oberste;
im dvâpara
nennen sie Opfer und im kali-Weltalter
nur das Geben.
S.8
Die Weltalter-Lehre, die etwa in. der griechischen Auffassung mehr
aus der Aufeinanderfolge der einander bekämpfenden Göttergeschlechter
abgeleitet wurde, ist hier aus der Metrik der Zeit selbst abgeleitet und
hat so den quasi geometrischen Charakter einer deduktiven Gesetzlichkeit,
ausgehend vom krta-Weltalter, dem "Vollständigen",
zu den "fußweise Verminderten". Ein besonderer Grund für die
Gesetzmäßigkeit des Abgleitens, die das Gesetz der Vollständigkeit
zur Rhythmik der Weltalter modifiziert, wird nicht genannt.. Es ist somit
die Schilderung einer nicht durch Tätigkeit zu überwindenden
Eigendynamik der im fortschreitenden Aufwachen verfallenden Welt. Der Schlaf
ist gewissermaßen der Höhepunkt, von dem die "Entwicklung" deszendiert,
bis sie in der Vernichtung am Ende des brahman-Tages
in das Höchste - den Schlaf - zurückgenommen wird. Die Anordnung
der Ideale der Weltalter in Vers 27 bezieht sich auf den Urzustand vor
dem Aufwachen, indem Askese ein Zurückhalten aller Tätigkeit
und allen Drängens und Wollens ist, wie sie der allesseiende Prajâpati
vor dem Aufwachen geübt hat. Eine Teilerklärung des Deszendierens
kann darin gesehen werden, daß die Glut in ihrem Zurückgehaltenwerden
noch gesteigert wird, daß also der Schöpfungsdrang sich noch
verstärkt und ins Maßlose gerät. Nach Brhad.-Up.
1,4 ist dann Erkenntnis der daraus hervorgehende, in sich zurückgekoppelte
Erkenntnisakt. Von dem tapas ist sie unterschieden
durch den sich ausdrückenden Wunsch, die Frage; tapas
gibt die Kraft, Erkenntnis gibt die Form, in der nâma-rûpa-Gesetzlichkeit.
Im Opfer dann wird Handlung zurückgekoppelt, einerseits in die Ganzheit
- so im. Opfer des Purusha Rgveda
X, 90 - andrerseits in der Absicht, bestimmte "Früchte" aus dieser
umfassenden Handlung zu erlangen. Das Geben ist ein letztes Zurück,
und nur als Opferspende zielt es ersichtlich auf die gemeinsame Mitte all
dieser Weltalter-Ideale ab, alles wieder in den schlafenden Prajâpati
zurückzunehmen. Diese vier Ideale sind nicht scharf voneinander
zu trennen, zumal die oberen das Konzentrat der jeweils unteren darstellen,
unter dem Gesichtspunkt des In-sich-zurück-Sammmelns. Der Text selbst
nimmt in späteren Versen die Rolle der tretâ,
also den Standpunkt des Erkennens ein, um auf das tapas
als sein Höheres und das Opfer als Darstellungsmaterial einzugehen.
In unserem Text werden nicht - wie in der Manusmrti
- auch die Stände aus Zeiteinteilung und Aufwachen abgeleitet,
zumal die Frage des Shuka auch nur auf die
Brahmanenpflichten geht. Die Emanation der
Stände schließt das Lehrstück enger an den Purusha-Sûkta
(Rgveda X, 90) an. Nicht so in unserer Fassung.
Die folgenden Verse machen den Übergang von der Zeiteinteilung
- die vom Kleinsten anfangend zu den umfassendsten Aiônen fortgegangen,
ist - über den Begriff des Brahmatages
zum Aufwachen des von Schöpfungsglut in Zurückhaltung Erfüllten.
Der Übergang zum "îshvara"-Begriff
ist oben schon behandelt worden, was die Frage nach "persönlich" oder
"unpersönlich" angeht. Nun, es ist eher darauf zu achten, wo der Übergang
vom innermenschlich-Überpersönlichen zum Objektiven geschieht.
S.9
etâm dvâdasha-sâmhasrîm
yugâkhyâm kavayo viduh
sahasram parivrttam tad brâhmam
diva-samucchyate (28)
28) Von diesen kennen die Weisen 12.000 für
die Zählung je eines der Weltalter;
ein Tausenderumlauf wird ein Brahmatag
genannt.
Das bedeutet nach der üblichen Auffassung: 12 000 Jahre dauert
ein Gesamtweltalter, deren jedes aus den vier Waltalterphasen krta,
tretâ, dvâpara
und kali besteht. 1000 solcher Gesamtweltalter
bilden den Brahmatag; über eine Dauer
der Morgen- und Abenddämmerung, vergleichbar denen der Weltalterphasen
wird in unserem Text nichts berichtet, obwohl eine Ergänzung zur Zwölfzahl
der Hunderter denkbar wäre. Die Gesamtjahreszahl eines Brahmatages
beläuft sich nach der üblichen Deutung dieses Verses auf 12 000
000. Schwieriger ist die Deutung der entsprechenden Stelle in der Manusmrti.
Sie bezeichnet die Weltalterspanne der 12 000 Jahre als ein yuga
der Götter, und so kann man einen Unterschied von Götteryuga
und Menschenyuga, und diesem vorausgehend
einen Unterschied von Götter-Jahr und Menschen-Jahr ansetzen, wie
William Jones den Vers 69 der Manusmrti
(entsprechend Vers 19 in unserem Text) in seiner
Übersetzung auf "Jahre der Götter" bezieht, ohne "der Götter"
als Ergänzung zu kennzeichnen, nachdem er noch Vers 67 auf das Jahr
des Menschen (als einen Tag der Götter) bezogen hat. Nun, es ist eine
etwas ausgreifendere Zählung in späterer Zeit üblich geworden
- dies klingt in der manvantâra-Zählung
der Manusmrti
schon an - in der das kleine kali-Weltalter
432 000 Jahre umfaßt, das Gesamtweltalter mal 71 ein manvantâra
ergibt, 14 von diesen zu einem kalpa addiert
werden und so der Tag Brahmas mit 4 000 000
000 Jahren gezählt werden kann. Auch hört diese Zählung
hier nicht auf, sondern kann von den Tagen Brahmas
zu seinen Monaten, Jahren und Lebenslängen fortschreiten, die
selbst in die Lebenslängen Vishnus als
bloße Jahre eingegliedert sind, und eventuell so fort zu Shiva
und zur göttlichen Mutter. Dieses purânische
Thema kommt im Shukânuprashna,
genauer: in diesem Lehrstück über die Zeiteinteilung, noch nicht
zur Entfaltung. Es liegt ihm auch eine ganz andere Theologie zugrunde.
râtris tâvatithî
brâhmi tad âdau vishvam îshvarah
pralaye 'dhyâtmam âvishya suptvâ
so 'nte vibuddhyate (29)
29) Die Nacht ist ebensogroß wie der Brahmatag.
All dies war im Anfang der Herr.
Bei der Auflösung in das Überselbst
eingetreten seiend, geschlafen habend, wacht er am Ende auf.
Für "adhyâtman" (Akk.) haben
15 Manuskripte "dhyânam", "Meditation".
Es ist unwahrscheinlich, daß der Begriff hier einen Zustand noch
über dem âtman meint, sondern das
Selbst ist wohl als in sich selbst hineingesteigert zu verstehen, zumal
es darin das Selbst aller Wesen konzentriert. Der Zusammenhang von Schlaf
und âtman ist der der Ekstasis, nicht
der der Dumpfheit. So findet er in den frühen Upanishaden
seine Behandlung, besonders Brh.-Up,
4,3.
S.10
sahasra-yuga-paryantam ahar yad brahmano
viduh
râtrim yuga-sahasrântâm
te 'ho-râtra-vido janâh (30)
30) Weil die Brahmanen
den Tag als bis zu 1000 Zeitaltern dauernd
kennen
und die Nacht als das Ende des Weltaltertausends,
sind diese Menschen Tag- und Nacht-Kundige.
pratibuddho vikurute brahmâkshayyam
kshapâkshaye
srjate ca mahad bhûtam tasmâd
vyaktâtmakam manah (31)
31) Als der Aufgewachte wandelt sich das unvergängliche
brahman bei Vergehen
der Nacht
und emaniert das Große Wesen und daraus
das Bewußtsein, das selbst entfaltet ist.
Hauptschwierigkeit des Verses ist die masculine Nominativendung des
"Aufgewachten", die dies Wort nicht Adjektiv zum neutralen brahman
sein läßt. Und Vers 29 hat den Begriff
des "Herrn" eingeführt. Es ist aber bisher gezeigt worden, daß
das "unpersönlich"-per-genus scheinende brahman
durchaus als über- oder innerpersönlich aufzufassen ist,
so daß es dem "Herrn" nicht als Substrat untersteht - so kämen
wir von einem Emanationssystem zu einem demiourgischen System - sondern
als sein eigenes Leben er selbst ist; brahman als
akkusativisch aufzufassen würde voraussetzen, daß es außerhalb
des ekstatisch-Schlafenden sich befunden hätte - gegen den Text -
oder daß es als Erstes emaniert worden sei oder durch das Sichwandeln
emaniert würde. Dieser Gedanke, der nicht zu dem bisherigen Text paßt,
kann ja durch Einschub der Vershälfte 31 ab hineingetragen worden
sein, um den Text theistisch zu verjüngen. Davon geht Hacker aus.
Es bleibt aber noch denkbar, den "Herrn" als eine Rolle des brahman,
als seine voremanative Allpersönlichkeits-Hülle gewissermaßen,
anzusehen, entsprechend der Aussage in Vers 29: "All
dies war im Anfang der Herr". Es ist ja diese Prajâpati-Gestalt
- oder wem ist der "Herr" ähnlicher? - selbst in ihr âtman-Sein
konzentriert. So könnte brahman sogar
Akkusativ sein, ohne aus dem Aufwachenden herausgesetzt werden zu müssen:
als sein Zustand: "Aufgewacht wandelt er sich, das unvergängliche
brahman selbst."
Bezüglich der Emanationen wird dann ja auch ein anderes Wort gebraucht,
also das "vikurute" unterschieden von "srjate".
Er entläßt aus sich (bzw. es, das brahman,
entläßt aus sich), strömt aus, oder gar: schleudert aus
sich heraus - es muß nicht sanft sein, wenn man den Schöpfungsdrang
der asketischen Glut darin sieht - ; nicht dagegen: es oder er bearbeitet,
oder erzeugt aus dem Nichts, es sei denn, man meint mit dem Nichts ihn
oder es selbst.
Das "Große Wesen" oder "Große Gewordene" - hier verbirgt
sich das Problem der Ableitungsrichtung. Denn "bhûtam"
bedeutet ja gleicherweise "Element", "Produkt". Und so scheint hier die
Ableitungsrichtung wirksam zu sein, die von den Elementen her in Richtung
der Organe geht, - eine häufige Auffassung der Sâmkhyâ-Protosysteme.
Nur punktuell wäre sie hier wirksam, aber als Spannungsmoment zunächst
festzuhalten. "mahat" ist (später) das
Wort für "buddhi". So ist dies der wohl
wichtigste Text als Zeugnis für ein Schwanken des mahat-Begriffs
zwischen "mahâbbûtam" und "mahat"
- hier eben: "mahad bhutam".
S.11
Dieses Schwanken ist schwierig zu verstehen, denn es sind ja gerade
die Gegensätze des Groben und des geistig-Umfassenden im Begriff des
Großen vereinigt. Wie kann der Gegensatz gemildert und diese Schwanken
damit verfeinert werden? Zunächst einmal damit, daß die "Elemente",
sofern sie als Emanat den Organen vorausgehen, noch upanishadisch-lebendig-seelenhaft
verstanden sein könnten. Die Organe sind dann nicht das nachfolgende
Subjekt, sondern die Differenzierungen des aus den Empfindungen selbst
bestehenden Materials. Zum zweiten damit, daß das geistig-Umfassende
("mahat") ein Subjekt-Objekt ist, sich selbst
zum Gegenstand habendes Erkennen in der Art und Struktur des Prajâpati,
des aufgewachten, d.h. in die unterscheidende Erkenntnis übergehenden
All-Ichs. Dies wird sich in Vers 44 bestätigen, nicht nur das Letztgesagte,
also die durch Selbstreflexion schaffende (emanierende) Prajâpati-Identität
des großen Wesens, sondern auch sein Schwanken ins Elementarische.
Die Unterscheidungen sind nicht scharf und trennen noch nicht so Starres
wie das klassische Sâmkhyâ-System.
Nicht nur, daß Brahmanspekulation und
Prajâpati-Imagination durch unseren
Text hindurch anvisiert werden können, sondern auch die Bedeutungen
der Begriffe fließen noch lebendiger ineinander über: manas
ist hier nicht das endlichkeitsgebundene Wahrhaben, im Nyayasystem
als Apprehension des Zeitlichdifferenten definiert, sondern gleichfalls
das alles umgreifende Bewußtsein, nun aber gekennzeichnet als "vyaktâtmakam
manah". Da eine funktionale Abschließung vom Prinzip
hier nicht erfolgt, kann man durchaus ein Wortspiel heraushören: manas
, dessen Selbst (âtman) entfaltet
ist., - in dem Sinne, daß es eine Funktion des Selbstes ist. Andrerseits
ist später "vyakta" der Terminus technicus
für alle Emanate, also alles, was aus dem "avyakta",
der prakrti, hervorgeht.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang das Attribut "sad-asad-âtmakam",
das die Manusmrti
dem manas an gleich drei Stellen (Verse
11, 14 und 74)
beilegt. Soll es die vedische sat-asat-Spekulation
entscheiden? Man denkt etwa an Rgveda
X, 129: "nâsad âsin no sad âsît
tadânîm", wo es dann im 4.
Vers heißt: "manaso retah pratamam
yad âsîd" und im selben Vers: "sato
bandhum asati ..." Bezüglich dieser Hymne griffe dann die Manusmrti
den manas-Begriff
als das dem Weder-Noch-Zustand nachfolgende sichgebärende Eine auf,
genauer, als das sich schon als manas Geborenhabende,
denn das Eine ist in seinem tapaszustand ja
eben weder seiend noch nichtseiend und so erst der Same ("retas")
des Bewußtseins. Dieses nun, als im Herzen
wohnend ("hrdi") kann mit dem
Band des Seins im Nichtsein identifiziert
werden - ein einfacher Sinn dieser Hymne. Diese Interpretation, wie sie
wohl in dem Attribut "sad-asad-âtmakam"
angelegt zu sein scheint, ergänzt von.anderer Seite die Ableitungsart
des Shukânuprashna, wo manas
als zweiter Emanationsschritt die Rolle des Bandes übernimmt.
S.12
Die Rolle des Bandes insofern, als es einerseits die umfassende Bewußtheit
in die Differenzierungen der Empfindungselemente überführt und
andrerseits subjektive und objektive Seite der Fünfergruppe vermittelt.
In beiden Bedeutungen von "Band" verbindet es sich zu einer dritten: durch
die Emanationsfolge hindurch als Richtung, oder Identitätsachse des
Emanierenden und Emanierten, wirksam zu sein, so daß alles ein großes
Wesen bleibt. So trägt es das Schwanken des bhûta-Begriffs.
Wie ist diese Band-Funktion mit der des "Seins
im Nichtsein" (RV X, 129,4) vergleichbar,
die von der Manusmrti
aufgegriffen wird? Auch in einer anderen "Schöpfungshymne"
spätvedischer Zeit findet sich dies Begriffspaar: RV
X, 72, 2 und 3 "devânâm pûrvye
yuge 'satah sad ajâyata" - "Im ersten
Weltalter der Götter wurde aus dem Nichtsein das Sein geboren".
Man mag unter dem Nichtsein das Dunkel ("tamas")
verstehen, von dem der Keim des Einen umhüllt ist; so in der erstgenannten
Hymne und in der Manusmrti
Vers 5, wo die Glieder des Nominalsatzes schwer zu scheiden sind:
"âsîd idam tamo-bhûtam aprajñâtam
alakshanam", und das Wesen selbst
dies Dunkel ist. Nun, die Verhüllung durch das asat
verdunkelt noch das sat,
nach obiger Rgvedahymne: "tama
âsît tamasâ gûlham agre 'praketam salilam sarvam
â idam" - "Im
Anfang war Dunkel in Dunkel verborgen, eine unkenntliche Flut war all dies".
So, in der Verdunklung beider, versteht sich beides, Sein und Nichtsein,
als nichtseiend, als "weder-noch"; und so erfolgt mit dem Erwachen., dem
Geborenwerden der zurückgehaltenen Glut, die Erhellung beider zu einem
"sowohl - als auch". Im Übergang vom Einen zu seiner Reflexion als
manas ist es
das vom Nichtsein umhüllte keimhafte Sein, ein sichwerdendes Werden,
das als manas auch
diese dynamische Natur behält, Werdenskeim zu sein,
"Band des Seins im Nichtsein".
Ein anderes Gegensatzpaar, Lesart in drei Manuskripten,
die anstelle des ''tasmâd-vyaktâtmakam"
sinnreich "vyaktâvyaktâtmakam"
setzen, ist mit dem Manas-Attribut der Manusmrti
zu vergleichen. So wie das sad-asat-Paar
auf vedische Wurzeln verweist, so ist dieses andere Begriffsdoppel im eigentlichen
Sâmkhyâsystem
zuhause. Das sieht nach Textverjüngung aus. Allerdings ist es ungewöhnlich
- unter späteren Gesichtspunkten - , das Denken (manas)
mit beiden Attributen zu belegen. Nun, die in den anderen Manuskripten
vorherrschende Lesart ist darin noch "jünger", indem sie nur das Entfaltetsein
dem manas beläßt.
Oben schon, in Vers 11, fand sich - als Lesart von 11 Manuskripten - für
das noch in Negationen verhüllte brahman
das Attribut "avyakta",
"unentfaltet". Die im klassischen System als das Unentfaltete schlechthin
gekennzeichnete prakrti kommt
im Shukânuprashna keineswegs
vor. So findet sich kein Unterschied zu der eben ausgeführten Deutung
des Seins im Nichtsein als Selbstentfaltung aus dem Nichtentfaltetsein
heraus. Allerdings
S.13
ist Entfaltetsein nicht einfach mit Sein identisch,
vielmehr bleibt Sein das Zentrum der Entfaltung, als manas
in den Emanaten. Auch ist das Nichtsein nicht
völlig kongruent mit dem Nochnichtentfaltetsein; jenes ist mehr das
von außen Verhüllende, das wie eine Keimhülle zu sprengen
ist, dieses ist mehr innersubjektiv, entspricht mehr dem nichtseienden
Sein vor der Selbstgeburt, dem Keimzustand inmitten der dunklen Flut. Die
Naht von Sein und Nichtsein verläuft durch das manas
als Linie zwischen Identität, Selbstbejahung,
Selbstsetzung, Geburt einerseits und Unkenntlichkeit, Noch-nicht-Begriffensein,
Aufgabenspannung, Sog ins Werden, in die Preisgabe der konzentrierten Zurückhaltung
andrerseits; so fällt diese Linie zuerst in das Nichtsein selbst -
das ist der "Weder-noch-Zustand" - und dann in das Sein selbst, als "Sowohl-als-auch-Zustand".
Dies zweite ist manas ,
und nun fragt sich: Wie findet der Übergang vom Einen zum manas
statt? Diese Systembildungsfrage beginnt ganz
deutlich in dar späten Rgvedahymne
X, 129; sie steht - nicht noch einmal
so deutlich als Frage formuliert, aber der Sache nach - hinter den protosâmkhyistischen
Emanationssystemen, und sie ist für die
Methodik der Upanishaden
nicht entscheidend gewesen (soweit mir die Fragen und die Arten zu fragen
der Upanishaden
geläufig sind); sie bildet mutmaßlich.einen eigenen.Entwicklungsstrang.
Die Naht von Nichtentfaltetsein und Entfaltetsein verläuft durch das
manas als eben
dieses Übergehen, die Wandlung, das Überschreiten der Trennlinie
und folgt schon als Teil der Antwort auf die Frage nach der Geburt des
Einen. Die Wälle oder Brücken, die die Welten trennen (Chândogya-Up.
8,4,1) verlaufen gewissermaßen senkrecht
aufeinander: als Affirmation und Schranke zuerst (sat
und asat)
und als Zeiterzeugung daraus (Entfaltung des von Natur aus Unentfalteten).
Der zu der hiermit skizzierten Fragestellung
gehörige Begriff des Einen wird im folgenden Vers eingeführt;
dort ergibt sich sodann ein neues Begriffspaar:
brahma tejo-mayam shukram yasya sarvam idam
jagat
ekasya bhûtam bhûtasya dvayam
sthâvara-jangâmam (32)
32) Das brahman,
aus Feuer bestehend, rein, (ist das,) woraus diese ganze Welt ist;
aus (diesem) Einen das Wesen, aus dem Wesen
ein Paar: das Feststehende und das Bewegliche.
Zunächst bestätigt sich in der ersten
Vershälfte die Deutung des brahman als
des tapas-Zustandes
des zurückgehaltenen Emanationsdranges.
Mit der Präposition "aus" sind die Genetive
wiedergegeben, die die Glieder der Abfolge genetisieren. Syntaktische Probleme
ergeben sich aus der bloßen Reihung der Nominalsatzglieder, die im
Zusammenhang mit Hackers Interpretation
zu behandeln sind.
Zunächst jedoch läßt sich das
bisher gewonnene Inhaltliche fortführen.
weiter zu S.14
ff
vgl.:
Schöpfungs-Erzählung
in der Manusmrti, Kapitel 1 (Sanskrit / dt. Hans
Zimmermann 2024):
Schöpfung:
der aus sich selbst Entstandene *
das Ei * purusha
* manas * Götter
und Veden
Manu
* die zehn Maharshis * die
sieben Manus * Tiere * Pflanzen
* große Weltperioden
Bhrgu:
die sieben Manu-Zeitalter * puranische
Zeitengliederung * die fünf Elemente
die
vier Weltalter * Sonderrolle
der Brahmanen * dieses Lehrbuch
* Inhaltsverzeichnis