Die
Uralten – Es wird deutlich, daß auch Tzakól und Bitól
ohne das Urpaar Alóm – Caholóm nichts vermögen. Mond
und Sonne werden einst durch sie erschaffen werden, die wahren Menschen
und die geistigen Fähigkeiten der Menschen. Darum werden sie in der
Anrufung und in der ganzen magischen Szene mit vielen Ehrennamen, wie "Ehrwürdige,
Erste" (Mamóm), Ahne (mám), "Sonnenahne" belegt. Ausdrücklich
wird gesagt, daß man sie Großer Eber und Großer Dachs
nennen soll. Damit sind ihre magischen Tierentsprechungen (ihr nágual,
siehe dies Stichwort) gemeint, in die sie sich verwandeln können.
– Es wird aber auch gesagt, sie seien "zweimal Erzeuger"; "zweimal Gebärerin",
womit nicht nur der inhärente Hermaphroditismus angedeutet wird, sondern
die damit verbundene Verwandlungsmöglichkeit in ein zweites Nágual-Paar:
Opossum und Coyote. – Den beiden Tierbenennungen geht das Wort Hunahpú
voraus (Hunabpú-vúch, Hunahpú-utíu). Die sonnenhafte
Sippe der (Hun)-Ahpús muß noch aus den beiden Uralten hervorgehen,
die als Urheber Recht auf den Titel haben sowie auch balám (balóm)
– Jaguar in der Urzeit wie später in geschichtlichen Tagen als Titel
dient. Er steht hier, um die Geisttiere (nágual) ausdrücklich
den beiden Erhabenen zuzuordnen.
Den Ixmucané einmal gegebenen Titel Chiracán scheint
mir Villacorta richtig als Erdmutter gedeutet zu haben. Und unter diesem
Aspekt versteht sich ihre Erscheinungsform als Schildkröte oder Krokodil,
die Thompson weiter unten aus dem Kalender nachweist. Auch Vishnu, der
indische Schöpfungsgott, erscheint als Schildkröte im Urmeer
schwimmend, die Welt auf seiner Panzerschale tragend.
Toltecat
– Die mit offensichtlichem Stolz vorgetragene Passage gipfelt in
der Nennung des Namens Tolteke. Die archäologischen Befunde bestätigen
die hohe Kunstfertigkeit der Tolteken. Bei den Nachfolgevölkern, wie
den Azteken, war der Name Tolteke gleichbedeutend mit "Gebildeter, Künstler".
Tsité
– "Arbol de pito" in Guatemala (Erythrina corallodendron). Die
Schoten dieses Baumes enthalten glänzende feuerrote Bohnen, deren
Keimpunkt von einem tiefschwarzen Fleck umgeben ist. Die Besonderheit dieser
Hülsenfrucht ist, daß sie nicht altert. Der Herausgeber besitzt
solche aus dem Lacandonengebiet des Rio Usumacinta, die in sieben Jahren
weder schrumpften noch an Glanz verloren. Die Lacandonen fertigen aus ihnen
Halsketten, vielleicht magischer Bedeutung. In der Quiché-Gegend
wird diese Wunderbohne noch heute zusammen mit Maiskörnern zu Wahrsagezwecken
benutzt, wie in unserem Text.
Leonhardt Schultze-Jena beschreibt ein Tsité-Orakel unter den
heutigen Quichés genau in "La vida y las Creencias de los Indigenas
Quichés de Guatemala". Es handelt sich um ein Abzählungssystem,
ähnlich wie die Abzählung der Schafgarbenstengel bei der Befragung
des chinesischen Orakelbuches I Ging. Im magischen Ritual repräsentiert
das Maiskorn die weibliche, die Tsité-Bohne das männliche Element.
Bei den Chol-Mayas gibt es für Tsité einen sehr derben erotischen
Ausdruck. – In der folgenden Anrufung: "Du,
Mais ! Du, Tsité!" ist der weitere Text von allen Übersetzern
verdunkelt worden. Brasseur de Bourbourg nannte die Stelle "fort lascif".
Schultze-Jena hat in seiner Übersetzung als einziger den genauen Sinn
wiedergegeben. – Ob man das folgende Kih (quih) wörtlich als Sonne
oder übertragen als Schicksalstag übersetzen will, ist eine Ermessensfrage.
Der Himmel wird nun aufgefordert, nicht hinzusehen, wenn sich Tepeu
und Gucamátz vereinigen.
Die befremdliche Stelle wird sogleich verständlich, wenn wir uns
des hermaphroditischen Charaktersder Götter erinnern. Tepeu spielt
hier den weiblichen Part. – Schultze-Jena übersetzt hier und durch
das ganze Buch "Die Mächtige", Tepeu als weibliche Gottheit nehmend.
Das ist gegen jede Evidenz. Bei den Mexikanern ist tepeuh ein Titel, und
zwar ein männlich-kämpferischer.
Flüssiges
Harz – Lava. Das Popol Vuh wurde inmitten der Vulkankette Guatemalas
konzipiert.
Xecotcovách
– Seit der ersten Abschrift des Popol Vuh durch Padre Ximenez hatte
niemand, auch der Padre nicht, eine befriedigende Deutung dieses anscheinend
aus heterogenen Elementen zusammengesetzten Wortes geben können.
Es gibt aber das Verbum cotcomih – trennen, ausreißen, abschneiden.
Vách ist Auge, Gesicht. Cotcovách ist also ganz wörtlich
"Der Augenausreißende", in welcher Funktion das Tier im Text auftritt.
Die Vorsilbe xé kann man nach Wahl von xec – Befehl ableiten oder
als das Vergangenheitspräfix xe auffassen, wodurch sich dann "Die
zum Augenausreißen Bestimmten" oder "Diejenigen, die die Augen ausrissen"
ergibt. Da durch das ganze Popol Vuh hin Wortspiele mit den zahlreichen
Gleichlauten (Homophonen) getrieben werden, darf man wohl auf diesem Wege
an die als Totenvogel erwartete Eule, tecolóte, denken.
Camalótz
– Camé (Quiche) – Tod. Die Fledermaus, dzótz, ist
das Symbol von Tod und Wiederauferstehung. Sie erscheint auf vielen Graburnen
der verschiedensten mittelamerikanischen Kulturen. Nach ihr nennt sich
ein aus vielen Gründen bemerkenswerter Stamm im Hochland von Chiapas
"Tzotziles": Fledermausleute.
Cotzbalám
– wörtlich: der auf der Lauer liegende Jaguar. Der Jaguar
ist ein Nachttier. Seine gelben und schwarzen Recken werden mit den Mondphasen
assoziiert.
Tucumbalám
ist der Tapir. Aufgescheuchte Tapirherden zerstampfen alles, was
ihnen in den Weg kommt. – Balám: Jaguar, wird sehr oft als kultischer
Titel gebraucht. Die Urtiere erhalten auch sonst Titel wie "Ah" – Herr,
Meister. Balám ist demnach hier als rituelle Floskel zu nehmen.
Reibesteine
– Viereckige, auch ovale Dreifußplatten aus dem jeweiligen
Lokalstein. Auf ihnen wird mit einer Steinmangel der gekochte Mais zerrieben.
In vorkolumbianischer Zeit war dies Urgerät der indianischen Haushaltung
oft kunstvoll mit Skulpturen geschmückt.
Die Allbeseelung der Indios, die keine anorganischen Stoffe kennt,
lebt unter den Cakchiqueles des Atitlán-Sees bis heute fort. So
rücken die Frauen die drei Steine, auf denen der Maiskessel ruht,
nach dem Kochen vom Herd, "um den Steinen nicht länger wehe zu tun".
Die Männer, die jeden Baum als Phallus sehen, bedeckten den abgeschlagenen
Stumpf mit Laub und Erde, "damit er sich seiner Nacktheit nicht schäme".
Federvieh
– Die Mayas hielten sich Truthahn, Fasan und Waldhuhn. Dr. Horkheimer
weist aber die Vokabeln verschiedener vorspanischer Hühnerrassen für
die Anden nach, so daß wohl die Behauptung europäischen Importes
irrig ist.
Holí-holí
/ Huki-huki – Lautmalerei für die Geräusche des Maismahlens.
Affenwelt
und Diluvium – Auch die Lacandonen bewahren noch eine ausführliche
Überlieferung an ein Affenzeitalter und Diluvium. Bei den Hochlandindianern
von Chiapas treten während des dreitägigen Frühlingsfestes
fantastisch verkleidete Jünglinge als Tänzer, Spaßmacher
und Bannerträger auf. Sie tragen hohe Kappen aus Affenfell und ihr
Titel ist im Tzotzil-Maya "mashes", Affen. – In den mexikanischen "Annalen
von Cuauhtitlán" heißt es von einer vierten Weltschöpfung:
"Viele Menschen kamen um im Wasser. Andere wurden in die Wälder geschleudert
und verwandelten sich in Affen."
zur Fortsetzung der Erläuterungen und
Deutungen (Cordan)