Drittes und viertes Kapitel des ersten Buches (1.decisio,
cap.3 & 4),
Hauptthema dieser zwei Kapitel:
Et
diuisit lucem a tenebris. (68)
dispositione
distingente ea per loca et tempora
quasi
diuersis hemisperiis
sibi
et regione respondentibus (69)
Und er trennte Licht und Finsternis, (68)
indem er sie im Raum voneinander schied gemäß ihren Stellen
und Zeiten,
die gleichsam in verschiedenen Sphärenhälften
einander ergänzen und mit ihrem jeweiligen Bereich gegenüberstehen.
(69)
66)
Chaos undekliniert; Einsatz dieses Begriffes
mit "heidnisch"-ovidischer Begründung mutig, sofern die folgende Ausgestaltung
angesichts der traditionellen Konzentration des Ausdrucks creare
(im strengen Sinne) auf die primordiale Schöpfung – so auch eben noch
Gervasius, s.o. cap.2 Anfang – in unorthodoxer
Gewichtung (aber durchaus biblisch: tehom)
als das eigentliche Schöpfungswerk erscheint. – Wie im Raum nur bis
zur Fixsternsphäre, reicht der Blick der antiken Weltentstehungskonzepte
zeitlich zurück bis an diese "vorliegende Materie" (Platon,
Tim 30 a), d.h. nun werden die zu Beginn von
cap.2 ausgeschlossenen Theorien wieder als bedingt gültige
integrierbar.
67) Licht als leuchtende Atmosphäre – mit Basileios,
Hexahemeron 2,8 – in der Art der (mythisch, auch ohne Sonne, als
selbstleuchtend verstandenen) Morgenröte (s.u. Empedokles);
entsprechend Petr.Com. 1,3:
Lucem vocat quandam nubem lucidam,
illuminantem superiores mundi partes,
claritate tamen tenui, ut fieri solet diluculo
et hoc ad modum solis circumagitata.
68)
Gen 1,4; Petr.Com. 1,3 dazu anmerkend: hic
incipit dispositio; vgl. die Unterscheidung der entsprechenden Schöpfungsphasen
zu Beginn von cap.1 mit den entspr.
Anm. (Phasengliederung bei Petr.Com.)
69) Über Isidor, Etym 3,43 hinaus
Sphärendynamik von Tag- und Nacht-Hälfte der Schale. Vgl.
Petr.Com. 1,3:
Presentia sui superius hemispherium et inferius vicissim
illuminat. -
Schon bei
Empedokles Tag und Nacht als erdumwandelnde Hemisphären von
eigener Licht- oder Dunkel-Substanz (nämlich als Feuer-Luft-Mischung:
Die Nachthälfte hat dabei weniger, die Taghälfte mehr Feuer),
DK 31 A 30, 31 A 51 und 56.
Secunda
die disposuit Deus superiora mundi sensilis
constituitque
celum
quod tegit omnia.
et
firmamentum inter aquas vt diximus stabiluit. (73)
Hoc
die tradunt Ebrei angelos cecidisse.
vnde
in ecclesia feria secunda
missam
de angelis ad laudem stantium canit ecclesia.
(74)
Tradunt
alii factam esse diuisionem angelorum
quando
diuisit Deus lucem a tenebris
quasi
bonos appellans lucem et malos. tenebras. (75)
Am zweiten Tag verräumlichte Gott die oberen Teile der wahrnehmbaren
Welt,
baute den Himmel, "der alles bedeckt"
und sicherte die Feste zwischen den Wassern, wie wir schon besprochen haben.
(73)
An diesem Schöpfungstag sind nach hebräischer Tradition die Engel
abgefallen,
weshalb in der Kirche am zweiten Tag der Woche
die Kirche die Votivmesse "Von den Engeln" zum Lobe der standhaft gebliebenen
singt. (74)
Nach anderer Tradition soll die Scheidung der Engel erfolgt sein,
als Gott das Licht von der Finsternis schied,
indem er also die Guten "Licht" und die Bösen "Finsternis" genannt
habe. (75)
70) Ineinander von Ovid (moles
congesta), empedokleischem Hemisphärenmodell
und Gen 1,5 (ohne die beliebte Nutzung und
Ausdeutung von dies "unus", der Kardinal-
statt Ordinalzahl ebd.): Kugelgestalt der Erde konsequent durchgeführt,
obwohl der Wandel der Tag- und Nachthälfte des Himmels um die Erde
am beleuchtenden Gestirn erst geometrisch plausibel würde (vgl.
Isidor Etym 5,30,1).
71) Etymologie von dies: "dian
(?) = claritas" wohl von deatai
(gebräuchlicher das Impf. deato, "er/sie/es
schien"), vgl. die Lemmata bei Hesychios deatai
= dokei und delos, dialon = phaneron
(s. Frisk 1, S.359 und 379). – Petr.Com.
1,3:
Et appellavit lucem diem a dia Greco, quod est claritas
sicut lux dicitur quia luit, id est purgat tenebras.
72) Etymologie von nox: "noctiu (?)
= obscurum" wohl schlicht von den adverbialen
Casus (gr. nyx) nykti,
nyktos o.ä., wenn nicht (allzu entlegen) von gr. nothos
(übertragen: "verfälscht") oder dem daraus abgeleiteten nythos
"heimlich, unvermutet" (um das tertium comparationis
"obscurum" noch zu retten). – Anders Honorius
2,28 (zit. Isidor, Etym 5,31,1): nox
dicitur a nocendo. – Petr.Com. 1,3 (anschl.):
Tenebras dixit noctem a nocendo, quia nocet oculis
ne videant,
sicut tenebre, quia tenent oculos ne videant;
sicut tamen dies exortum est a dia Greco,
ita nox a nyctim.
73)
Gleichfalls Verschränkung, "Umkleidung" eines Ovid-Ausdrucks
(quod tegit omnia caelum Met
1,5) durch kommentierende Gen 1,6,
aber fecit durch einen bloß demiourgischen
Gestaltungsausdruck ersetzt. Zu firmamentum (ut diximus)
vgl. cap.1 .
74)
Die "Feste" hiermit als verräumlichte Standhaftigkeit der oberen Geisterwelt
(nach deren Aufleuchten am "einen" Tag), entsprechend Petr.Com.
1,3:
Tertio
die congregavit aquas sub firmamento.
et
terra paululum subsidens sicut matrix ipsas conclusit (78)
et
sic que humus antea propter circumfusum humorem dici potuit.
nunc
arida dici potuit ab ariditate
et
terra quia teritur. (79)
Hiis
fatis respondit poeta cum diceret (80)
Frigida
pugnabant calidis. ac humida siccis.
mollia cum duris. sine pondere habentia pondus.
Hanc deus et melior litem natura diremit.
Nam celo terras et terris abscidit vndas /
f.5rb
et liquidum spisso secreuit ab aere celum (81)
Am dritten Tage versammelte er die Wasser unter der Feste.
Und die Erde, die in geringem Abstand darunter lag, begrenzte als ihr Boden
die Wasser. (78)
Und das, was man vorher wegen der es umströmenden Feuchte (homor)
"Humus" nennen konnte,
konnte nun Wüste, "arida", genannt werden, von seiner Trockenheit
(ariditas), her;
und Erde, "terra", weil es sich zerreiben läßt (teritur).
(79)
Diesen Sprüchen entsprach der Dichter, als er sagte: (80)
Kälte lag mit Wärme im Streit und Feuchte mit Dürre,
Weich mit Hart, und Federleicht mit allem, was schwer ist.
Diesen Zwist hat der Gott und die höhere Ordnung geschieden:
Denn vom Himmel schnitt er die Lande, vom Lande die Wogen,
Addidit
et tertio diei.
vt
germinaret terra herbam virentem et facientem
semen
et
lignum pomiferum faciens fructum. (84)
Ex
hoc arbitrantur plerique mundum factum in
vere.
quia
tunc omnia virent.
Alii
sentiunt in Augusto sub Leone
quia
subiungitur lignum faciens fructum
sed
in Martio factum docet ecclesia. (85)
Ouidio
fortassis innittitur illa veris opinio. quando dixit.
(86)
Ipsa quoque immunis rastro que intacta nec ullis
saucia vomeribus per se dabat omnia tellus.
Ver erat eternum. (87)
Und er fügte am dritten Schöpfungstage hinzu,
daß die Erde sprieße, Kraut, das grünt und Samen trägt,
und fruchttragende Obstbäume. (84)
Deshalb glauben viele, daß die Welt in einem Frühling gemacht
worden sei,
weil dann alles grün werde.
Andere meinen im August, unter dem Sternbild des Löwen,
weil die Stelle fortfährt: fruchttragende Bäume.
Die Kirche allerdings lehrt, die Welt sei im März gemacht worden.
(85)
Auf Ovid stützt sich vielleicht diese Frühlingstheorie, wenn
er sagt: (86)
Erde selbst noch heil, noch unberührt von der Hacke,
unversehrt, ohne Wunden gab sie noch alles von sich aus. (...)
Ewiger Frühling war's! (87)
82) Tum
freta diffudit noch Zitat, Ovid, Met 1,36;
Fortgang mit Met 1,38, einige Abweichungen
vom üblichen Text.
83)
Abweichung von Ovid (Lesart rupis)
zu verderbt, um sie in die Übersetzung aufzunehmen: attributives obliquis
braucht ein Bezugs-Substantiv, rupis paßt
weder als Gen. noch als Akk.; der Schreiber hat vielleicht die Deklinationsklasse
verkannt und einen Abl. "gelesen".
84)
Gen 1,11f
85) Motiv der Schöpfungs-Jahreszeit,
Petr.Com. 1,5:
Quidam dicunt mundum in vere factum,
quia viror illius temporis est, et fructificatio.
Alii quia legunt lignum faciens fructum
et additum herbam habentem semen,
factum dictum in Augusto sub leone.
Sed in Martio factum dogmatizat Ecclesia.
Vgl. Iohannes
Damaskenos, Pege gnoseos 3 (Ekdosis akribes),2,7, alles sei im Frühling
geschaffen; (danach Anwendung der aristotelischen
"Syzygien"-Lehre auf die Jahreszeiten, wie hier im folgenden
Kapitel). – Genauer erörtert Wilhelm
von Conches, Philosophia mundi 1,14 (ed. Maurach § 46) seine
Quellen:
Egyptii vero dicunt in Iulio factam esse mundi creationem,
quos secutus Macrobius dicit
in natali die mundi Cancrum gestasse Lunam, Leonem Solem.
Der "Vollmondphase des vierten
Tages" – vgl. cap.5 – mit dieser Sonnennähe
des frisch erneuerten Sichelmondes natürlich widersprechend. – Die
von Wilhelm von Conches erörterte "Ägypter"-Auffassung
(Macrobius) – gemeint ist offensichtlich das
Sothisjahr mit seinem Ausgangspunkt vom Sirius-Aufgang – wird wohl die
Unterstellung in cap.6 provoziert haben.
86)
Ovid, Met 1,101f
87) Ovid, Met 1,107 Ewiger Frühling
des goldenen Zeitalters, passend zum Paradies. Die Zitatlücke hat
V.105 in duris haerentia
mora rubetis, nicht passend zur Auffassung, daß die Erde erst
mit der Paradiesvertreibung Gen 3,18 Dornen
getragen habe.
vnde
poeta cum celum igneum quasi siderium premisisset
subiunxit
(89)
Proximus est aer celo leuitate
locoque
densior his tellus elementaque grandia traxit.
et pressa est grauitate sui. circumfluus humor
vltima possedit solidumque cohercuit orbem.
Deshalb fuhr der Dichter, nachdem er den Feuerhimmel bzw. Gestirnhimmel
vorausgeschickt hatte,
folgendermaßen fort: (89)
Luft ist eng dem Himmel verwandt an Leichte und Nähe.
Dichter als beide zog Erde den gröberen Stoff an,
schwerbedrängt von der Eigenlast. Der flüssige Kreisstrom
nahm den Rand in Beschlag und umschlang das gegründete Weltrund.
88) Sogar diese einleitenden
Bemerkungen stammen aus Petr.Com. 1,5 (Ende):
Nec nos moveat, quia in dispositione elementorum
videtur
aer non dispositus, quia non est nominatus,
sed dispositus est, cum liber aer ab aquis notam nobis formam accepit.
-
Der vieldeutige Ausdruck
liber, bei Petr.Com.
Adjektiv-Attribut zu aer, meint also die frische
Luft, als noch ungestaltete, (kein "Buch" und keinen "Wein" – retour à
la nature!)
89) Ovid, Met 1,28-31; wie Gervasius
selbst anmerkt, knüpft diese Zitatstelle an die von cap.1
(über die Äther- und Feuersphäre) an.
90) Mit dieser kontrahierenden
"Etymologie" (im Stil von Platons Kratylos)
setzt hier wieder (ohne Quellenangabe, wie stets, wenn Gervasius größere
Partien "wiedergibt") das Honorius-Referat
ein, Imago mundi 1,3:
Elementa dicitur quasi yle ligamenta.
Yle autem est materia.
91) Bestenfalls Met 1,9 (während
bei Ovid desweiteren die Betonung auf der
schichtengerechten Trennung der zuvor unharmonisch miteinander verquickten
elementarischen semina
rerum liegt), – vielmehr bis auf die Prädikate mit dem
bevorzugten Passiv-Homoioteleuton genau kopierter Honorius
a.a.O. (anschl.):
Sunt autem .IIII. elementa, ex quibus constant omnia
scilicet ignis aer aqua terra,
que in modum circuli in se revolvuntur
dum ignis in aerem,
aer in aquam,
aqua in terram convertitur
rursus terra in aquam,
aqua in aerem,
aer in ignem commutatur.
Honorius
selbst fußt u.a. auf Isidor, Etym 13,3:
Nam sic ea inter se naturali quadam ratione iuncta
dicuntur,
modo originem ab igni repetentes usque ad terram
modo a terra usque ad ignem,
ut ignis quidem in aera desinat,
aer in aquam densetur,
aqua in terram crassescat;
rursusque terra diluatur in aquam,
aqua rarescat in aera,
aer in ignem extenuetur.
Quapropter omnia elementa omnibus inesse,
sed unumquodque eorum ex eo
quod amplius habet accepisse vocabulum.
Isidor
faßt damit das aristotelische Lehrstück
von der Verwandlung der Elemente ineinander zusammen, das im folgenden
in der Syzygienformel zitiert wird.
92) Honorius a.a.O. (anschl.):
Hec singula propriis qualitatibus
quasi quibusdam brachiis in se invicem tenent
et discordem sui naturam concordi federe vicissim commiscent.
Also eine Synthese aus atomistischer
periploke, Verflechtung der Grundstoffe durch
ihre armartigen Auswüchse, vgl. die alte Atomistik
DK 68 A 37, und der empedokleisch-ovidischen
Schlichtung der elementarischen discordia,
vgl. Met 1,9.
93) (Fortsetzung Honorius 1,3:)
Nam terra arida et frigida frigide aque conectitur,
aqua frigida et humida humido aeri astringitur,
aer humidus et calidus calido igni associatur,
ignis calidus et aridus aride terre copulatur.
Formelhaftes Lehrstück
(syzygiai, Paarbildungen
der vier Elemente aufgrund der vier Grundqualitäten warm/kalt und
feucht/trocken) gemäß Aristoteles, Peri
geneseos kai phthoras (De generatione et corruptione), 330 b 3ff;
hier, vor der hochscholastischen Aristotelesrezeption, eher aus Beda,
De natura rerum, 4:
Quae tamen quadam nature propinquitate
sibimet ita comminiscentur,
ut terra quidem arida et frigida frigide aque,
aqua vero frigida et humida humido aeri,
porro aer humidus et calidus calido igni,
ignis quoque calidus et aridus terre societur aride.
Unde et ignem in terris
et in aere nubila terrenaque corpora videmus.
Schema dieser revolutio (wie Honorius den Kreislauf nennt):
aridus x humidus
terra frigidus
aqua
Deputantur
autem terre gradientia.
aque
natantia.
aeri
volantia.
igni
radiantia. (94)