Hans Zimmermann, Görlitz : Quellen in zwölf Sprachen : Meister Eckhart : Deutsche Predigten : Predigt 1 : Intravit Iesus in templum
 
 
Meister Eckhart
dt. PREDIGT 1
 
wahrsch. Fastenpredigt zum 11.Febr. 1326
mittelhochdeutscher Text gemäß der Edition von J.Quint (1936 ff)
 
Intravit Iesus in templum et coepit eicere vendentes et ementes
Matthaei (21,12)
 siehe auch:
quaestio: utrum in Deo sit idem esse et intelligere
 
Wir lesen in dem heiligen êwangeliô,  
daz unser herre gienc in den tempel  
und was ûzwerfende,  
die dâ kouften und verkouften,  
und sprach ze den andern,  
die dâ hâten tûben und sôgetâniu dinc veile:  
"tuot diz hin, tuot diz enwec!" (Joh 2,16)  
  
War umbe was Jêsus ûzwerfende,  
die dâ kouften und verkouften  
und hiez die hin tuon,  
die dâ hâten tûben?  
  
Er enmeinte anders niht,  
wan daz er den tempel wolte ledic hân,  
rehte als ob er spraeche:  
ich hân reht ze disem tempel  
und wil aleine dar inne sîn  
und hêrschaft dar inne hân.  
  
Waz ist daz gesprochen?  
  
Dirre tempel,  
dâ got inne hêrschen wil gewalticlîche  
nâch sînem willen,  
daz ist des menschen sêle,  
die er sô rehte glîch nâch im selber  
gebildet und geschaffen hât,  
als wir lesen, daz unser herre sprach:  
"machen wir den menschen  
nâch unserm bilde und ze unser glîchnisse."  
(1 Mos 1, 26)
  
Und daz hât er ouch getân.  
  
Als glîch hât er des menschen sêle  
gemachet im selber,  
daz in himelrîche noch in ertrîche  
von allen herlîchen crêatûren,  
diu got so wünniclîch geschaffen hât,  
keiniu ist, diu im als glîch ist  
als des menschen sêle aleine.  
  
Her umbe wil got disen tempel ledic hân,  
daz ouch niht mê dar inne sî  
dan er aleine.  
  
Daz ist dar umbe,  
daz im dirre tempel sô wol gevellet,  
wan er im alsô rehte glîch ist  
und im selber alsô wol behaget in disem tempel,  
swenne er aleine dar inne ist.  
  
Eyâ, nû merket!  
Wer wâren die liute, die dâ kouften und verkouften,  
und wer sint sie noch?  
  
Nû merket mich vil rehte!  
Ich wil nû zemâle niht predigen  
dan von guoten liuten.  
  
Nochdenne wil ich ze disem mâle bewîsen,  
welhez die koufliute dâ waren und noch sint,  
die alsô kouften und verkouften und noch tuont,  
die unser herre ûzsluoc und ûztreip.  
  
Und daz tuot er noch allen den,  
die dâ koufent und verkoufent in disem tempel:  
der enwil er einen einigen dar inne niht lâzen.  
  
Sehet, diz sint allez koufliute,  
die sich hüetent vor groben sünden  
und waeren gerne guote liute  
und tuont ir guoten werk gote ze êren,  
als vasten, wachen, beten  
und swaz des ist,  
aller hande guotiu werk,  
und tuont sie doch dar umbe,  
daz in unser herre etwaz dar umbe gebe,  
oder daz in got iht dar umbe tuo,  
daz in liep sî:  
diz sint allez koufliute.  
  
Daz ist grop ze verstânne,  
wan sie wellent daz eine umbe daz ander geben  
und wellent alsô koufen  
mit unserm herren.  
  
An disem koufe sint sie betrugen.  
  
Wan allez, daz sie hânt  
und allez, daz sie vermügen ze würkenne,  
gaeben sie daz allez durch got,  
daz sie hânt,  
und würhten sich zemâle ûz durch got,  
dar umbe enwaere in got nihtes niht schuldic  
ze gebenne noch ze tuonne,  
er enwolte ez denne gerne vergebene tuon.  
  
Wan daz sie sint, daz sint sie von gote,   
und daz sie hânt, daz hânt sie von gote   
und niht von in selber.   
  
Dar umbe enist in got umbe iriu werk  
und umbe ir geben nihtes niht schultic,  
er enwellez denne gerne tuon von sîner gnâde  
und niht umbe iriu werk noch umbe ir gâbe,  
wan sie engebent von dem irn niht,  
sie enwürkent ouch von in selber niht,  
als Kristus selber sprichet:  
"âne mich müget ir niht getuon." (Joh 15,5)  
  
Diz sint harte tôrehte liute,  
die alsô koufen wellent mit unserm herren;  
sie bekennent der wârheit kleine oder niht.  
  
Dar umbe sluoc sie unser herre ûz dem tempel  
und treip sie ûz.  
  
Ez enmac niht bî einander gestân  
daz lieht und diu vinsternisse.  
  
Got der ist diu wârheit und ein lieht in im selber 
  
Swenne denne got kumet in disen tempel,  
sô vertribet er ûz unbekantnisse,  
daz ist vinsternisse,  
und offenbaret sich selber mit liehte und mit wârheit.  
  
Denne sint die koufliute enwec,  
als diu wârheit wirt bekannt,  
und diu wârheit begert  
dekeiner koufmanschaft.  
  
Got ensuochet des sînen niht;  
in allen sînen werken ist er ledic und vrî  
und würket sie ûz rehter minne.  
  
Alsô tuot ouch dirre mensche,  
der mit gote vereinet ist;  
der stât ouch ledic und vrî in allen sînen werken  
und würket sie aleine gote ze êren  
und ensuochet des sînen niht,  
und got der würket ez in im.  
  
Ich spriche noch mê:  
alle die wîle der mensche ihtes iht suochet  
in allen sînen werken  
von allem dem,  
daz got gegeben mac oder geben wil,  
sô ist er disen koufliuten glîch.  
  
Wiltû koufmanschaft zemâle ledic sîn,  
alsô daz dich got in disem tempel lâze,  
sô soltû allez,  
daz dû vermaht in allen dînen werken,  
daz soltû lûterlîche tuon gote ze einem lobe  
und solt des alsô ledic stân,  
als daz niht ledic ist,  
daz noch hie noch dâ enist.  
  
Dû ensolt nihtes niht dar umbe begern.  
  
Swenne dû alsô würkest,  
sô sint dîniu werk geistlich und götlich,  
und denne sint die koufliute  
ûz dem tempel getriben alzemâle,  
und got der ist aleine dar inne,  
wan der mensche niht wan got meinet.  
  
Sehet, alsus ist dirre tempel  
ledic von allen koufliuten.  
  
Sehet, der mensche, der sich noch niht enmeinet  
dan aleine got und die êre gotes,  
der ist gewaerlîche vrî und ledic aller koufmanschaft  
in allen sînen werken  
und ensuochet des sînen niht,  
als got ledic ist in allen sînen werken und vrî  
und ensuochet des sînen niht.  
  
  
Ich hân ouch mê gesprochen,  
daz unser herre sprach ze den liuten,  
die dâ tûben veile hâten:  
"tuot diz enwec, tuot diz hin!"  
  
Die liute entreip er niht ûz  
noch enstrâfte sie niht sêre;  
sunder er sprach gar güetlîche: "tuot diz enwec!"  
als ob er sprechen wolte:  
diz enist niht boese,  
und doch bringet ez hindernisse in der lûtern wârheit.  
  
Dise liute daz sint alle guote liute,  
die iriu werk tuont lûterlîche durch got  
und ensuochent des irn niht daran  
und tuont sie doch mit eigenschaft,  
mit zît und mit zal, mit vor und mit nâch.  
  
In disen werken sint sie gehindert  
der aller besten wârheit,  
daz sie solten vrî und ledic sîn,  
als unser herre Jêsus Kristus vrî und ledic ist  
und enpfaehet sich alle zît niuwe âne underlaz  
und âne zît von sînem himelischen vater  
und ist sich in dem selben nû  
âne underlaz wider îngebernde volkomenlîche  
mit dankbaerem lobe in die veterlîche hôcheit  
in einer glîcher wirdicheit.  
  
Alsô solte der mensche stân,  
der der aller hoehsten wârheit wolte enpfenclich werden  
und dar inne lebende âne vor und âne nâch  
und âne hindernisse aller der werke  
und aller der bilde, diu er ie verstuont,  
ledic und vrî in disem nû  
niuwe enpfâhende götlîche gabe  
und die wider îngebernde âne hindernisse  
in disem selben liehte  
mit dankbaerem lobe  
in unserm herren Jêsû Kristô.  
  
Sô waeren die tûben enwec,  
daz ist hindernisse  
und eigenschaft aller der werke,  
diu nochdenne guot sint,  
dar inne der mensche des sînen niht ensuochet.  
  
Dar umbe sprach unser herre wol güetlîche:  
"tuot diz hin, tuot diz enwec!"  
als ob er sprechen wolte:  
ez ist guot, doch bringet ez hindernisse.  
  
Swenne dirre tempel  
alsus ledic wirt von allen hindernissen,  
daz ist eigenschaft und unbekantheit,  
sô blicket er alsô schône  
und liuhtet alsô lûter und klâr über allez,  
daz got geschaffen hât,  
und durch allez, daz got geschaffen hât,  
daz im nieman widerschînen mac  
dan der ungeschaffene got aleine.  
  
Und bî rehter wârheit,  
disem tempel ist ouch nieman glîch  
dan der ungeschaffene got aleine.  
  
Allez daz under den engeln ist,  
daz glîchet sich disem tempel nihtes niht.  
  
Die hoechsten engel selbe  
die glîchent disem tempel der edelen sêle  
etwie vil  
und doch niht alzemâle.  
  
Daz sie der sêle glîchent etlicher maze,  
daz ist an bekantnisse und an minne.  
  
Doch ist in zil gesetzet;  
dar über enmügen sie niht.  
  
Diu sêle mac wol vürbaz.  
  
Stüende ein sêle glîch dem obersten engel,  
des menschen, der noch lebete in der zît,  
der mensche môhte nochdenne  
in sînem vrîen vermügenne  
unzellîche hoeher kumen über den engel  
in einem ieglîchen nû niuwe âne zal, daz ist âne wîse,  
und über die wîse der engel  
und aller geschaffener vernunft.  
  
Und got der ist aleine vrî und ungeschaffen  
und dar umbe ist er ir aleine glîch nâch der vrîheit  
und niht nâch der ungeschaffenheit,  
wan si ist geschaffen.  
  
Swenne diu sêle kumet in daz ungemischte lieht,  
sô sleht si in ir nihtes niht  
sô verre von dem geschaffenen ihte in dem nihtes nihte,  
daz si mit nihte enmac wider komen  
von ir kraft  
in ir geschaffen iht.  
  
Und got  
der understât mit sîner ungeschaffenheit ir nihtes niht  
und entheltet die sêle in sînem ihtes ihte.  
  
Diu sêle hât gewâget ze nihte ze werdenne  
und enkan ouch von ir selber  
ze ir selber niht gelangen,  
sô verre ist si sich entgangen,  
und ê daz sie got hât understânden.  
  
Daz muoz von nôt sîn.  
  
Wan als ich ê sprach:  
"Jêsus was îngegangen in den tempel  
und was ûzwerfende,  
die dâ kouften und verkouften,  
und begunde ze sprechenne ze den andern:  
tuot diz hin!"  
jâ, sehet, nû hân ich daz wörtelîn:  
"Jêsus gienc în und begunde ze sprechenne:  
tuot diz hin! 
und sie tâten ez hin". 
  
Sehet, dô was dâ nieman mê dan Jêsus aleine  
und begunde ze sprechenne in dem tempel.  
  
Sehet, daz wizzet vür wâr:  
wil ieman anders reden in dem tempel,  
daz ist in der sêle,  
dan Jêsus aleine,  
sô swîget Jêsus, als er dâ heime niht ensî,  
und er ist ouch dâ heime niht in der sêle,  
wan si hât vremde geste, mit den si redet.  
  
Sol aber Jêsus reden in der sêle,  
sô muoz si aleine sîn und muoz selber swîgen,  
sol si Jesum hoeren reden.  
  
Eyâ, sô gât er în  
und beginnet ze sprechenne.  
  
Waz sprichet her Jêsus?   
Er sprichet, daz er ist.  
  
Waz ist er denne?   
Er ist ein wort des vaters.   
  
In dem selben worte sprichet der vater sich selber   
und alle götlîche natûre   
und allez, daz got ist, alsô als er ez bekennet,   
und er bekennet ez, als ez ist.   
  
Und wan er ist volkomen  
in sînem bekantnisse und in sîner vermügenheit,  
her umbe sô ist er ouch volkomen in sînem sprechenne.  
  
Dâ er sprichet daz Wort,  
dâ sprichet er sich und alliu dinc  
in einer andern persône  
und gibet im die selbe natûre, die er selber hât,  
und sprichet alle vernünftige geiste  
in dem selben worte  
glîch dem selben worte  
nâch dem bilde, als ez inneblîbende ist,  
nâch dem, sô ez ûzliuhtende ist,  
als ein ieglich bî im selber ist,  
niht glîch in aller wîse dem selben worte,  
mê: sie hânt mügelicheit enpfangen  
glîcheit ze enpfahenne  
von gnâden des selben wortes;  
und daz selbe wort, als ez in im selber ist,  
diz hât der vater allez gesprochen,  
daz wort und allez, daz in dem worte ist.  
  
Sît der vater diz gesprochen hât,  
waz ist denne Jêsus sprechende in der sêle?  
  
Als ich gesprochen hân:  
der vater sprichet daz wort  
und sprichet in dem worte und anders niht,  
und Jêsus sprichet in der sêle.  
  
Diu wîse sînes sprechennes  
daz ist, daz er sich selben offenbaret  
und allez, daz der vater in im gesprochen hât,  
nâch der wîse als der geist enpfenclich ist.  
  
Er offenbâret veterliche hêrschaft  
in dem geiste  
in einem glîchen unmaezigen gewalte.  
  
Swenne der geist disen gewalt enpfaehet  
in dem sune und durch den sun,  
sô wirt er gewaltic in einem ieglichen vürgange,  
alsô daz er glîch und gewaltic wirt in allen tugenden  
und in aller volkomener lûterkeit,  
sô daz in liep noch leit noch allez,  
daz got in der zît geschaffen hât,  
daz enmac den menschen niht zerstoeren,  
er enblîbe gewalticliche dar inne stânde  
als in einer götlichen kraft,  
der entgegen alliu dinc sint kleine und niht vermügende.  
  
Ze dem andern mâle offenbâret sich Jêsus in der sêle  
mit einer unmaezigen wîsheit, diu er selber ist,  
in der wîsheit sich der vater selbe bekennet  
mit aller sîner veterlichen hêrschaft  
und daz selbe wort,  
daz ouch diu wîsheit selber ist,  
und allez daz dar inne ist,  
alsô als daz selbe ein ist.  
  
Swenne disiu wîsheit mit der sêle vereinet wirt,  
sô ist ir aller zwîvel und alliu irrunge  
und alliu dünsternisse alzemâle abe genomen  
und ist gesetzet in ein lûter klârez lieht,   
daz selber got ist 
als der prophête sprichet: "herre,  
in dînem liehte sol man daz lieht bekennen."  
(Ps 35,10)  
  
Dâ wirt got mit gote bekant in der sêle;  
sô bekennet si mit dirre wîsheit  
sich selber und alliu dinc,  
und die selbe wîsheit bekennet si mit im selben,  
und mit der selben wîsheit  
bekennet si die veterliche hêrschaft  
in vruhtbaerer hêrhafticheit  
und die weseliche isticheit  
nâch einvaltiger einicheit âne einigen underscheit.  
  
Jêsus der offenbâret sich ouch   
mit einer unmaezigen süezicheit und rîcheit   
ûz des heiligen geistes kraft   
ûzquellende und überquellende und invliezende   
mit übervlüzziger voller rîcheit und süezicheit   
in alliu enpfenclichiu herzen.  
  
Swenne sich Jêsus  
mit dirre rîcheit und mit dirre süezicheit   
offenbâret und einiget mit der sêle,   
mit dirre rîcheit und mit dirre süezikeit   
sô vlîuzet diu sêle in sich selber und ûz sich selber   
und über sich selber und über alliu dinc   
von gnâden mit gewalte âne mittel   
wider in ir êrste begin.  
  
Denne ist der ûzer mensche gehôrsam  
sînem innern menschen  
unz an sînen tôt  
und ist denne in staetem vride  
in dem dienste gotes alle zît.  
  
Daz ouch Jêsus in uns komen müeze  
und ûzwerfen und hin tuon alle hindernisse  
und uns mache ein,  
als er ein ist mit dem vater  
und mit dem heiligen geiste ein got,  
daz wir alsô ein werden mit im und êwiclîchen blîben,  
des helfe uns got.  
  
Âmen. 
Wir lesen im heiligen Evangelium, 
daß unser Herr in den Tempel ging 
und hinauszuwerfen begann, 
die da kauften und verkauften, 
und zu den anderen sprach, 
die da Tauben und dergleichen Dinge feilhielten, 
»Tut dies fort, schafft dies hinweg!« (Joh 2, 16)
 
Warum begann Jesus hinauszuwerfen, 
die da kauften und verkauften, 
und hieß die wegräumen, 
die da Tauben feilhielten? 
 
Er meinte damit nichts anderes, 
als daß er den Tempel ledig haben wollte, 
recht, als ob er hätte sagen wollen: 
Ich habe das Recht auf diesen Tempel 
und will allein darin sein 
und die Herrschaft darin haben. 
 
Was will das besagen? 
 
Dieser Tempel, 
darin Gott mächtig herrschen will 
nach seinem Willen, 
das ist des Menschen Seele, 
die er so recht als ihm selbst gleich 
gebildet und geschaffen hat, 
wie wir lesen, daß unser Herr sprach: 
»Machen wir den Menschen 
nach unserm Bilde und zu unserm Gleichnis!« 
(Gen 1,26)
 
Und dies hat er auch getan. 
 
So gleich ihm selber 
hat er des Menschen Seele gemacht, 
daß im Himmelreich noch auf Erden 
unter allen herrlichen Kreaturen, 
die Gott so wundervoll geschaffen hat, 
keine ist, die ihm so gleicht, 
wie einzig des Menschen Seele. 
 
Hierum will Gott diesen Tempel ledig haben, 
auf daß denn auch nichts weiter darin sei 
als er allein. 
 
Das ist deshalb so, 
weil ihm dieser Tempel so wohl gefällt, 
da er ihm so recht gleicht 
und es ihm selber so wohl behagt in diesem Tempel, 
wenn immer er allein darin ist. 
 
Wohlan, nun gebt acht! 
Wer waren die Leute, die da kauften und verkauften, 
und wer sind sie noch? 
 
Nun hört mir genau zu! 
Ich will jetzt überhaupt nichts predigen 
als nur von guten Leuten. 
 
Dennoch will ich diesmal aufzeigen, 
welches die Kaufleute waren und noch sind, 
die so kauften und verkauften und es noch tun, 
die unser Herr hinausschlug und hinaustrieb. 
 
Und dies tut er immer noch allen denen, 
die da kaufen und verkaufen in diesem Tempel; 
von denen will er keinen einzigen darin lassen. 
 
Seht, alle die sind Kaufleute, 
die sich hüten vor groben Sünden 
und wären gern gute Leute 
und tun ihre guten Werke Gott zu Ehren, 
wie Fasten, Wachen, Beten 
und was es dergleichen gibt, 
allerhand gute Werke, 
und tun sie doch darum, 
daß ihnen unser Herr etwas dafür gebe 
oder daß ihnen Gott etwas dafür tue, 
was ihnen lieb wäre: 
dies sind alles Kaufleute. 
 
Das ist im groben Sinn zu verstehen, 
denn sie wollen das eine um das andere geben 
und wollen auf solche Weise markten 
mit unserm Herrn. 
 
Bei solchem Handel sind sie betrogen. 
 
Denn alles, was sie besitzen, 
und alles, was sie zu wirken vermögen, 
gäben sie das alles um Gottes willen hin, 
was sie haben, 
und wirkten sich um Gottes willen gänzlich aus, 
so wäre ihnen Gott dafür ganz und gar nichts 
zu geben oder zu tun schuldig, 
es sei denn, daß er es freiwillig umsonst tun wolle. 
 
Denn, was sie sind, das sind sie durch Gott,  
und was sie haben, das haben sie von Gott  
und nicht von sich selbst.  
 
Darum ist ihnen Gott für ihre Werke 
und für ihr Geben gar nichts schuldig, 
es sei denn, er wolle es gerne tun aus seiner Gnade 
und nicht für ihre Werke noch für ihre Gaben; 
denn sie geben nicht von dem Ihren, 
sie wirken auch nicht aus sich selbst, 
wie Christus selbst sagt: 
»Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh. 15, 5)
 
Dies sind sehr törichte Leute, 
die so markten wollen mit unserm Herrn; 
sie erkennen von der Wahrheit wenig oder nichts. 
 
Darum schlug sie unser Herr aus dem Tempel 
und trieb sie hinaus. 
 
Es kann nicht miteinander bestehen 
das Licht und die Finsternis. 
 
Gott ist die Wahrheit und ein Licht in sich selbst
 
Wenn denn Gott in diesen Tempel kommt, 
so vertreibt er daraus die Unwissenheit, 
das ist die Finsternis, 
und offenbart sich selbst mit Licht und mit Wahrheit. 
 
Dann sind die Kaufleute fort, 
wenn die Wahrheit erkannt wird, 
und die Wahrheit begehrt nicht 
nach irgendwelchem Kaufhandel. 
 
Gott sucht das Seine nicht; 
in allen seinen Werken ist er ledig und frei 
und wirkt sie aus echter Liebe. 
 
Ganz ebenso tut auch der Mensch, 
der mit Gott vereint ist; 
der steht auch ledig und frei in allen seinen Werken 
und wirkt sie allein Gott zu Ehren 
und sucht das Seine nicht, 
und Gott wirkt es in ihm. 
 
Ich sage noch weitergehend: 
Solange der Mensch irgend etwas sucht 
mit allen seinen Werken 
von all dem, 
was Gott zu geben vermag oder geben will, 
so ist er diesen Kaufleuten gleich. 
 
Willst du der Kaufmannschaft gänzlich ledig sein, 
so daß dich Gott in diesem Tempel belasse, 
so sollst du alles, 
was du in allen deinen Werken vermagst, 
rein nur Gott zum Lobe tun 
und sollst davon so ungebunden bleiben, 
wie das Nichts ungebunden ist, 
das weder hier noch dort ist. 
 
Du sollst gar nichts dafür begehren. 
 
Wenn du so wirkst, 
dann sind deine Werke geistig und göttlich, 
und dann sind die Kaufleute 
allzumal aus dem Tempel vertrieben, 
und Gott ist allein darin; 
denn dieser Mensch hat nur Gott im Sinn. 
 
Seht, in solcher Weise ist dieser Tempel 
ledig aller Kaufleute. 
 
Seht, der Mensch, der weder sich im Sinn hat, 
noch irgend etwas außer Gott allein und Gottes Ehre 
der ist wahrhaft frei und ledig aller Kaufmannschaft 
in allen seinen Werken 
und sucht das Seine nicht, 
so wie Gott ledig und frei ist in allen seinen Werken 
und das Seine nicht sucht. 
 
 
Ich habe weiterhin auch gesagt, 
daß unser Herr zu den Leuten sprach, 
die da Tauben feilhielten: 
»Schafft dies hinweg, tut dies fort!« 
 
Diese Leute trieb er nicht 
noch auch schalt er sie sehr, 
sondern er sprach gar gütlich: »Schafft dies hinweg!«, 
als hätte er sagen wollen: 
Dies ist nicht böse, 
und doch bringt es Hindernis für die lautere Wahrheit. 
 
Diese Leute, das sind alles gute Leute, 
die ihre Werke rein um Gottes willen tun 
und des Ihren nichts darin suchen 
und tun sie doch mit Eigensinn, 
mit Zeit und mit Zahl, mit Vor und mit Nach. 
 
In diesen Werken sind sie gehindert 
an der allerbesten Wahrheit: 
daß sie nämlich sollten frei und ledig sein, 
wie unser Herr Jesus Christus frei und ledig ist 
und sich allzeit ohne Unterlaß und zeitlos 
neu empfängt von seinem himmlischen Vater 
und will sich im selben Nun 
ohne Unterlaß vollkommen wieder eingebären 
mit dankerfülltem Lobe in die väterliche Hoheit, 
in gleicher Würde. 
 
Ganz so sollte der Mensch dastehen, 
der für die allerhöchste Wahrheit empfänglich werden 
und darin leben möchte ohne Vor und ohne Nach 
und ohne Behinderung durch alle Werke 
und alle jene Bilder, deren er sich je bewußt wurde, 
ledig und frei in diesem Nun 
neu empfangend göttliche Gabe 
und sie ungehindert wieder eingebärend 
in diesem gleichen Lichte 
mit dankerfülltem Lobe 
in unserm Herrn Jesus Christus. 
 
So wären die Tauben hinweg, 
das heißt die Behinderung 
und der Eigensinn all jener Werke, 
die ansonsten gut sind, 
in denen der Mensch das Seine nicht sucht. 
 
Darum sprach unser Herr gar gütlich: 
»Tut dies fort, schafft dies hinweg!«, 
als hätte er sagen wollen: 
Es ist zwar gut, doch bringt es Behinderung mit sich. 
 
Wenn dieser Tempel 
so frei wird von allen Hindernissen, 
das heißt von Eigensinn und Unwissenheit, 
so glänzt er so schön 
und leuchtet so lauter und klar über alles hinaus, 
das Gott geschaffen hat, 
und durch alles hindurch, das Gott geschaffen hat, 
daß niemand ihm Widerschein zu geben vermag 
als einzig der ungeschaffene Gott. 
 
Und in voller Wahrheit: 
Diesem Tempel ist wirklich niemand gleich 
als der ungeschaffene Gott allein. 
 
Alles, was unterhalb der Engel ist, 
das gleicht diesem Tempel überhaupt nicht. 
 
Die höchsten Engel selbst 
gleichen diesem Tempel der edlen Seele 
bis zu gewissem Grade, 
aber doch nicht völlig. 
 
Daß sie der Seele in gewissem Maße gleichen, 
das trifft zu für die Erkenntnis und die Liebe. 
 
Jedoch ist ihnen ein Ziel gesetzt; 
darüber können sie nicht hinaus. 
 
Die Seele aber kann wohl darüber hinaus. 
 
Stünde eine Seele gleich mit dem obersten Engel, 
und zwar die eines Menschen, der noch in der Zeit lebte, 
so könnte dieser Mensch immer noch 
in seinem freien Vermögen 
unermeßlich hoch über den Engel hinausgelangen 
in jedem Nun neu, ohne Zahl, das heißt ohne Weise, 
und über die Weise der Engel 
und aller geschaffenen Vernunft hinaus. 
 
Gott allein ist frei und ungeschaffen, 
und daher ist er allein ihr gleich der Freiheit nach, 
nicht aber im Hinblick auf die Unerschaffenheit, 
denn sie ist geschaffen. 
 
Wenn die Seele in das ungemischte Licht kommt, 
so schlägt sie in ihr Nichts 
so fern von dem geschaffenen Etwas in dem Nichts, 
daß sie mitnichten zurückzukommen vermag 
aus eigener Kraft 
in ihr geschaffenes Etwas. 
 
Und Gott 
stellt sich mit seiner Ungeschaffenheit unter ihr Nichts 
und hält die Seele in seinem Etwas. 
 
Die Seele hat gewagt, zunichte zu werden 
und kann auch von sich selbst aus 
nicht zu sich selbst gelangen 
– so weit ist sie sich entgangen, 
ehe Gott sich unter sie gestellt hat. 
 
Das muß notwendig so sein. 
 
Denn, wie ich früher sagte: 
»Jesus war hineingegangen in den Tempel 
und begann hinauszuwerfen, 
die da kauften und verkauften, 
und begann zu den anderen zu sprechen: 
Tut dies fort!« 
– ja, seht, nun nehme ich das Wörtlein: 
»Jesus ging hinein und hub an zu sprechen: 
Tut dies fort!, 
und sie taten es fort«. 
  
Seht, nun war da niemand mehr als Jesus allein, 
und er begann in dem Tempel zu sprechen. 
 
Seht, dies sollt ihr fürwahr wissen: 
Will jemand anders in dem Tempel, 
das ist in der Seele, 
reden als Jesus allein, 
so schweigt Jesus, als sei er nicht daheim, 
und er ist auch nicht daheim in der Seele, 
denn sie hat fremde Gäste, mit denen sie redet. 
 
Soll aber Jesus in der Seele reden, 
so muß sie allein sein und muß selbst schweigen, 
wenn sie Jesus reden hören soll. 
 
Nun denn, so geht er hinein 
und beginnt zu sprechen. 
 
Was spricht der Herr Jesus?  
Er spricht das, was er ist.  
 
Was ist er denn?  
Er ist ein Wort des Vaters.  
 
In diesem selben Worte spricht der Vater sich selbst  
und die ganze göttliche Natur  
und alles, was Gott ist, so wie er es erkennt;  
und er erkennt es, wie es ist.  
 
Und da er vollkommen ist 
in seinem Erkennen und in seinem Vermögen, 
darum ist er auch vollkommen in seinem Sprechen. 
 
Indem er das Wort spricht, 
spricht er sich und alle Dinge 
in einer andern Person 
und gibt ihm dieselbe Natur, die er selbst hat, 
und spricht alle vernunftbegabten Geistwesen 
in demselben Worte 
gleich demselben Worte 
nach dem Bild, insofern es innebleibend ist, 
– nach dem Bild aber, insofern es ausleuchtend ist, 
insofern also ein jedes für sich gesondert ist, 
noch nicht in jeder Weise demselben Worte gleich –. 
Allerdings haben sie die Möglichkeit bekommen, 
Gleichheit zu empfangen 
aus der Gnade des selben Wortes; 
aber dasselbe Wort, wie es in sich selbst ist, 
das hat der Vater gänzlich gesprochen, 
das Wort und alles, was in dem Worte ist. 
 
Da nun der Vater dies gesprochen hat, 
was will denn Jesus in der Seele sprechen? 
 
Wie ich gesagt habe: 
Der Vater spricht das Wort 
und spricht in dem Worte und sonst nicht; 
Jesus aber spricht in der Seele. 
 
Die Weise seines Sprechens 
ist die, daß er sich selbst offenbart 
und alles, was der Vater in ihm gesprochen hat, 
in der Weise, wie der Geist empfänglich ist. 
 
Er offenbart die väterliche Herrscherkraft 
in dem Geiste 
in gleicher unermeßlicher Macht. 
 
Wenn der Geist diese Macht 
in dem Sohne und durch den Sohn empfängt, 
so wird er mächtig mit jedem weiteren Schritt, 
so daß er gleich und mächtig wird in allen Tugenden 
und in aller vollkommenen Lauterkeit, 
also daß weder Liebes noch Leides noch alles, 
was Gott in der Zeit geschaffen hat, 
den Menschen zu verstören vermag, 
er vielmehr machtvoll darin stehen bleibt 
wie in einer göttlichen Kraft, 
der gegenüber alle Dinge klein und unvermögend sind. 
 
Zum andem Male offenbart sich Jesus in der Seele 
mit einer unermeßliehen Weisheit, die er selbst ist, 
in welcher Weisheit sich der Vater selbst 
mit seiner ganzen väterlichen Herrscherkraft 
sowie ebendas Wort erkennt, 
das ja auch die Weisheit selbst ist, 
und alles, was darin ist, 
so, wie dasselbe Eins ist. 
 
Wenn diese Weisheit mit der Seele vereint wird, 
so ist ihr aller Zweifel und alle Irrung 
und alle Finsternis ganz und gar abgenommen, 
und sie ist versetzt in ein lauteres, klares Licht,  
das Gott selbst ist
wie der Prophet spricht: »O Herr, 
in deinem Lichte wird man das Licht erkennen« 
(Ps 35,10). 
 
Da wird Gott mit Gott erkannt in der Seele; 
dann erkennt sie mit dieser Weisheit 
sich selbst und alle Dinge, 
und diese selbe Weisheit erkennt sie mit ihm selbst, 
und mit derselben Weisheit 
erkennt sie die väterliche Herrschermacht 
in fruchtbarer Zeugungskraft 
und die wesenhafte Istheit 
in einfaltiger Einheit ohne jegliche Unterschiedenheit. 
 
Jesus offenbart sich zudem  
mit einer unermeßlichen Süßigkeit und Fülle,  
eine aus des Heiligen Geistes Kraft  
herausquellende und überquellende und einströmende  
mit überströmend reicher Fülle und Süßigkeit  
in alle empfänglichen Herzen.  
 
Wenn Jesus sich  
mit dieser Fülle und mit dieser Süßigkeit  
offenbart und mit der Seele vereinigt,  
so fließt mit dieser Fülle und mit dieser Süßigkeit  
die Seele in sich selbst und aus sich selbst  
und über sich selbst und über alle Dinge hinaus  
aus Gnade, mit Macht, ohne Mittel  
zurück in ihren ersten Ursprung.  
 
Dann ist der äußere Mensch 
seinem inneren Menschen gehorsam 
bis zu seinem Tod 
und ist dann in stetem Frieden 
im Dienste Gottes allezeit. 
 
Daß Jesus auch in uns kommen müsse 
und hinauswerfen und wegräumen alle Hindernisse 
und uns Eins mache, 
wie er als Eins ist  
mit dem Vater und dem heiligen Geiste als ein Gott, 
auf daß wir ebenso eins werden mit ihm und ewig bleiben, 
dazu helfe uns Gott. 
 
Amen. 
 
siehe auch:
Meister Eckhart (Echardus): quaestio: utrum in Deo sit idem esse et intelligere (lat./dt.)+++
Entfaltet der SOHN die Werke des Vaters in der Natur? (zum Lilienspruch Mtth 6,28 f im Lichte von Joh 5,17 ff)
+
Jesaja : Berufung : Immanuel : Luzifers Sturz : der "köstliche Eckstein" : Gottesknecht und Messias
Jeremia : Berufung : Mandel=wachend : Die Braut : "Ich schaute" : Der wirkliche Gott : Selbstverfluchung : Zornwein
Hesekiel (Ezechiel, Jechesqel) : Berufung: Thronvision mit den Rädern (1,1-2,2)
~
Chândogya- & Kena-Upanishad * Rgveda * Vedânta * Yoga-Sûtra (sanskrit, deutsch)
al-Qur'ân: 16 älteste Suren * Sure 3: Jesus "das Wort" * Sure 24: Gott ist das Licht * Sure 6: Zeichen
Märchen von dem Machandelboom (Wacholderbaum) * Parzival/ Parsifal und der Gral
Schriftauslegung der Lebensschrift-Chiffre: Novalis, Die Lehrlinge zu Sais / Hymne / Astralis
Abu Hamid al-Ghazzali: das Schreibrohr * Das Lesen der Lebens-Chiffernschrift nach der Feuerprobe:
Rudolf Steiner: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?
Die chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz * Jakob Böhme: Morgenröte im Aufgang
Ovid, Metamorphoses 15: Pythagoras: der Phönix * Physiologus: Phoinix, Einhorn und Löwe
Sprüche des Sufi-Meisters Husain ibn Mansur al-Hallâj (Halladsch): "Ana'l-haqq" ("Ich = die Wahrheit")
Der LOGOS im Satzbauund in der naturdurchwaltenden Sprache * Was ist Licht?
Requiem: Dies irae * Daniel: Menschensohn * Jakobsleiter * ICH BIN der ICH BIN
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