der weitere  Text  mit  Übersetzung der
                       OTIA IMPERIALIA 
                               des Gervasius von Tilbury

                          Zehntes und elftes Kapitel des ersten Buches  (1.decisio, cap.10 und 11),
                      herausgegeben nach dem Manuskript Vat.Lat.933
und vorläufig-roh übersetzt  aus dem Lateinischen
von Hans Zimmermann – bibliographische und weitere Angaben zu Beginn und Ende der Einleitung

Hauptthema der folgenden Kapitel: der Mensch im Paradies
 

KAPITELÜBERSCHRIFTEN (laut Manuskript zwischen prefatio und dec.1,
                                                 hier noch einmal zur Orientierung des Lesers
                                                    und zum "Anklicken" wiederholt):
        

PREFATIO: collatio sacerdotii et regni

I.     DE origine mundi et eius creatione et quot modis mundus acipitur et celum
II.    diuersitas opinionum et confutatio hereticorum Albigensium.
III.   de dispositione Chaos
IV.    DE dispositione aeris
V.     De sole luna stellis et signis
VI.    quot modis annus distingitur
VII.   DE ornatu aeris et ventis.
VIII.  DE iumentis reptilibus et bestiis.
IX.    DE creatione anime et spiritus
X.     DE quatuor monarchiis et quinque zonis et paradiso
XI.    DE fonte et quatuor fluuiis
XII.   de rore celi et pluuia et nebulis.
XIII.  DE mari.
XIV.   DE ligno vite et ligno scientie boni et mali
XV.    DE oculis apertis post peccatum
XVI.   DE gladio versatili
XVII.  DE duobus paradissis et infernis
XVIII. DE faunis et satiris.
XIX.    de filiis Ade et de diuisione eorum et prima ciuitate
XX.     DE inuentione musice et multorum artificiorum
XXI.    DE Seth et eius generatione
XXII.   De Enos et Methusalem
XXIII.  DE causa diluuii.
XXIV.  DE diluuio et archa et yri.
 

   1. Über den Ursprung der Welt und ihre Schöpfung, und was alles "Welt" und "Himmel" heißt.
   2. Die Verschiedenheit der Meinungen und die Widerlegung der heterodoxen Albigenser.
   3. Über die räumliche Aufarbeitung des Chaos.
   4. Über die Gestaltung der Atmosphäre.
   5. Über Sonne, Mond, Sterne und Zeichen.
   6. Auf wie viele Weisen das "Jahr" definiert wird.
   7. Über die Ausstattung der Atmosphäre und die Windrichtungen.
   8. Über Zugtiere, Kriechtiere und Raubtiere.
   9. Über die Schöpfung von Seele und Geist.
 10. Über die vier Weltreiche, die fünf Weltzonen und das Paradies.
 11. Über die Quelle und die vier Flüsse.
 12. Über den Tau des Himmels und Wolken und Nebel.
 13. Über das Meer.
 14. Über den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
 15. Über die Öffnung der Augen nach der Sünde.
 16. Über das "wendige Schwert".
 17. Über die zwei Paradiese und Höllen.
 18. Über Faune und Satyrn.
 19. Über die Söhne Adams und ihre Trennung und den ersten Staat.
 20. Über die Erfindung der Musik und der vielen Künste.
 21. Über Seth und seine Nachkommenschaft.
 22. Über Enos und Methusalem
 23. Über die Ursache der Sintflut.
 24. Über Sintflut, Arche und Regenbogen.
 
 
nun also:
 
 decisio I, cap. X und XI
   1.Buch, Kapitel 10 und 11
 
 
X. de .iiij. monarchiis et .v. zonis et paradyso
  10. Über die vier Weltreiche, die fünf Weltzonen und das Paradies

Exposuimus de origine mundi et dispositione / et ornatu.                     f.7^vb
prout a maioribus traditum accepimus
vt imperialis magestas creatorem suum agnoscat ex creatione.
reuereatur ex operum dispositione.
veneretur ex ornatu.
vtque ex vilitate lutee materie de qua sumus
et celsitudine rationis qua intelligimus
memoret imperator quod puluis est et cinis in cinerem revertetur.
fallax enim equus ad salutem et gigas in multitudine virtutis sue non saluabitur.
cum morietur princeps. non descendet cum eo gloria eius.
Hinc est quod imperator pomum aureum fert in sinistra plenum fauilla et cinere.
vt per auri fulgorem gloria notetur imperii.
et per fauillam. leuis glorie temporalis transsitus designetur.
 
   Wir haben den Ursprung der Welt, ihre Verräumlichung und Ausstattung so dargelegt,
   wie wir es als Überlieferung von den Vorfahren empfangen haben,
   auf daß die kaiserliche Majestät ihren Schöpfer aus seiner Schöpfung erkenne,
   aufgrund der Verräumlichung seiner Werke hochachte,
   und wegen der Ausstattung (der Elementarreiche mit Lebewesen) verehre.
   und damit aufgrund der Wertlosigkeit des Lehmstoffs, aus dem wir sind,
   und wegen der Erhabenheit der Vernunft, mit der wir erkennen,
   der Kaiser zur Erinnerung bringe, daß er Staub ist und als Asche zur Asche zurückkehren wird.
   Ein trügerisches Pferd zum Heil und ein Gigant in der Menge seiner Tatkraft wird nicht geheilt werden.
   Wenn der Fürst stirbt, steigt seine Ehre nicht mit ihm hinab.
   Von daher kommt es, daß der Kaiser eine goldene Frucht in der Linken trägt, die mit Asche gefüllt ist,
   damit durch den Glanz des Goldes die Ehre der Herrschaft kenntlich gemacht werde
   und durch die Asche das zeitliche Dahingehen der leichtgewichtigen Ehre bezeichnet werde.
 
 
 
Iam nunc ad orbis descriptionem transseundeum nobis est.
sed prius monarchia primi parentis est repetenda.
hunc orbis dominum nouimus atque monarcham.
Cui terra data est in possessionem
et animantia in subiectionem vt de illo dici possit
omnia subiecta sub pedibus eius oues et boues
vrsi in siluis et pecudes campi. volucres celi et pisces maris.
Cuius dominationem notat nominis eius interpretatiua conpactio.
 
   Wir müssen nun noch zur Beschreibung des Weltrundes hinabgehen;
   aber zuvor muß die Alleinherrschaft des ersten Urvaters in Erinnerung gebracht werden.
   Ihn kennen wir als Herrn des Weltenrundes und Alleinherscher,
   dem die Erde zum Besitz gegeben worden ist
   und die Lebewesen zur Unterwerfung, so daß von jenem gesagt werden kann:
   Alles ist unter seine Füße gelegt, Schafe und Rinder,
   Bären in den Wäldern und Vieh des Feldes, Vögel des Himmels und Fische des Meeres.
   Die bedeutungsträchtige Zusammenfügung seines Namens macht seine Herrschaft schon kenntlich.
 
 
 
vt enim ait augustinus.                                                                 (augus.)
adam in quatuor literis grecis ex quibus constat.
quatuor habet principia verborum grecorum.
anathole. quod est oriens.
Disis. quod est occidens.
arctos quod est septemtrio.
mesembria quod est meridies
quasi subiciantur ei quatuor orbis climata.
 
   Wie nämlich Augustinus sagt,
   hat Adam in den vier griechischen Buchstaben, aus denen er besteht,
   die Initialen von vier griechischen Wörtern:
   Anatole, (Aufgangsland) – das ist der Orient,
   Dysis, (Untergangsland) – das ist der Okzident,
   Arktos, (Bärenland) – das ist der Norden (unter dem Siebengestirn, dem großen Bären),
   Mesembria, (Mittagsland) – das ist der Mittag (Süden)
   Und so seien ihm gleichsam die vier Wendemarken des Weltenrunds unterworfen.
 
 
<Unde in Historia seu Bibliotheca Versificata:
Anatole dedit (A), Dysis (D), contulit Arctos
(A), Mesembrios (M): collige, fiet ADAM.>
 

porro post Adam memini tres monarchiam tenuisse                         (monarchie)
non in dominatione animantium sed in possessione terrarum.

primus fuit noe. secundus alexander macedo. tertius augustus cesar.
Dixit enim deus ad noe crescite et multiplicamini
et sit tremor vester super animantia terre.
Hic terram excoluit et orbem in tres filios diuisit /            f.8^ra
vt exequentibus apparebit.
 
   Ferner erinnere ich mich daran, daß nach Adam dreie die Alleinherrschaft  innegehabt haben,
   nicht in Herrschaft über die Lebewesen, aber in der Besitznahme der Länder:
   Der erste war Noe, der zweite der Makedone Alexander, der dritte Kaiser Augustus.
   Es sprach nämlich Gott zu Noe: "Wachset und mehret euch,
   und es komme das Zittern vor euch über alle Lebewesen der Erde."
   Dieser bebaute die Erde und teilte das Weltenrund unter seine drei Söhne,
   wie aus dem folgenden deutlich werden wird.
 
 
De alexandro legimus quod in occidente timebatur
et cum totum occupasset orientem in aream inuasit.
marisque temptauit profundum.
et vsque ad permissos a deo terminos.
terram tum a monstruosis animantibus habitatam intrauit
ab oriente redeuntem
exterritarum tocius orbis prouinciarum legati operiebantur
hoc est carthaginiensium. totius affrice ciuitatum
sed et hyspanorum gallorum. sicilie sardinieque. plurime preterea partis italie
tantus timor in summo oriente constituti.
duces populosque vltimi occidentis inuaserat
Vt inde peregrinam cerneres legationem
quo vix crederes peruenisse rumorem.
 
   Über Alexander lesen wir, daß er im Westen gefürchtet wurde
   und daß er, als er den ganzen Orient besetzt hatte, in die Weite vorgedrungen sei
   und die Tiefe des Meeres versucht habe zu ergründen
   und bis zu den von Gott gestatteten Grenzen
   die damals von monströsen Lebewesen bewohnte Erde betreten habe.
   Den vom Orient zurückkehrenden
   erwarteten Gesandte der aufgeschreckten Provinzen des ganzen Weltenrunds,
   nämlich der Karthager, der Städte ganz Afrikas,
   aber auch der Spanier, der Gallier, Siziliens und Sardiniens, außerdem des größten Teils Italiens;
   solch eine Furcht vor dem, was im östlichsten Orient aufgebaut war,
   hatte die Führer und Völker des westlichsten Okzidents befallen,
   daß man daher eine Gesandtschaft aus jener Fremde erleben durfte,
   wohin doch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eine Kunde durchgedrungen war.
 
augusti nomen occidens suscepit scitaque perhorruit.
Hic anno ab vrbe condita septingentesimo quinquagesimo secundo
cesar augustus ab oriente in occidentem a septentrione in meridiem
ac per totum oceani circulum cunctis gentibus vna pace compositis
Iani portas tertio tunc ipse clausit.
quas ex eo per .xii. ferme annos quietissimo semper obseratas sono
ipsa etiam rubigo signauit.
Nec prius vnquam nisi sub extrema senectute augusti.
pulsal te. atheniensium seditione et dacorum commotione patuerunt.
augusti quoque dominationem testatur lucas. Cum ait.
Exiit edictum a cesare augusto vt describeretur vniversus orbis
si totum descripsit vtique toti imperauit
 
   Den Namen des Augustus empfing der Okzident; der Skythe erschauderte.
   Hier, im 752. Jahre nach der Gründung Roms
   schloß Kaiser Augustus, weil vom Orient bis zum Okzident, vom Norden bis zum Süden
   und durch den ganzen Ozeankreis alle Völker in einem gemeinsamen Frieden vereinigt waren,
   die Ianustore dann persönlich zum dritten Mal;
   und daß sie von da an durch fast zwölf  Jahre immer in stillstem Schweigen verschlossen waren, 
   zeigte auch ihr eigener Rost an.
   Nie zuvor, außer im letzten Greisenalter des Augustus,
   geschlagen vom Aufstand der Athener und dem Aufruhr der Daker, standen sie offen.
   Die Herrschaft des Augustus bezeugt auch Lukas, wo er sagt:
   Es ging ein Edikt aus vom Kaiser Augustus, daß das gesamte Weltenrund beschrieben werde.
   Wenn er alles beschrieben hat, hat er jedenfalls alles beherrscht.
 
 
Porro monarchia ade caput habuit in paradisso.
vbi dum vixit sine peccato regnauit.
et vt rex animantibus sibi subiectis inposuit nomina.
lingua quidem ebrea que vsque ad diuisionem linguarum sola in vsu erat.                   historia
Est autem adam creatus / in agro damasceno.                                             f.8^rb
et statim vt creatus in paradisum translatus
qui locus est a principio plantatus hoc est ab oriente.
a principio in eden plantatus est. id est in deliciis.
quia idem sonat eden. quod delicie. Est ergo locus amenissimus.
longo terre et maris tractu a nostra habitabili regione segregatus.
sic excelsus. vt vsque ad lunarem globum attingat.
Vnde et aque diluuii ad locum hunc non peruenerunt.
vtrum autem sit vltra torridam zonam non assero sed id defendi potest.
quod locus propter solis interpositum calorem nobis inaccessibilis perhibetur.
 
   Ferner hatte die Alleinherrschaft Adams ihr Haupt im Paradies,
   wo er, solange er lebte, ohne Sünde regierte.
   und wie ein König den ihm untergebenen Lebewesen die Namen gab,
   wohl in hebräischer Sprache, die bis zur Trennung der Sprachen allein in Gebrauch war.
   Adam wurde allerdings im Gebiet von Damaskus geschaffen
   und wurde sofort, sobald er geschaffen war, in das Paradies versetzt,
   das ein vom Anfang her, das heißt vom Orient aus, gepflanzter Ort ist.
   Vom Anfang her wurde er in Eden gepflanzt, das heißt in Genüssen,
   denn "Eden" heißt "Genüsse"; es ist folglich ein höchst genußreicher Ort,
   durch die weite Dehnung des Landes und Meeres von unserer bewohnbaren Gegend abgesondert,
   so erhaben, daß er bis an die Mondsphäre heranrührt.
   Daher gelangten die Wasse der Sintflut nicht bis zu diesem Ort.
   Ob er aber jenseits der heißen Zone liegt, kann ich nicht sicher sagen; es läßt sich aber verteidigen,
   weil dann der Ort – wegen der dazwischengesetzten Sonnenhitze uns unzugänglich - abgeriegelt wird.
 
sane de quinque zonarum distinctione id arbitror quod ait ouidius filosofus.
Vtque due dextra celum totidemque sinistra.
parte secant zone quinta est ardentior illis.
sic onus inclusum numero distinxit eosdem.
cura dei totidemque plage tellure premuntur.
quarum que media est. non est habitabilis. Estu.
Nix tegit alta duas. totidem inter vtramque locauit.
temperiemque dedit mixta cum frigore flamme.
 
   Ich halte für wahr, was der Philosoph Ovid über die Unterscheidung der fünf Zonen sagt:
   Wie je zwei Zonen nach Süden zur Rechten und nordwärts zur Linken
   Teilen den Himmel – die fünfte dazwischen ist heißer als jene -,
   So hat die Sorge des Gottes die allumschlossene Stofflast gegliedert,
   Prägen symmetrisch-gleich die Klimagürtel das Erdland.
   Unbewohnbar vor Glut ist die mittlere dieser fünf Zonen,
   Schnee deckt tief die beiden Pole; dazwischen sind zweie;
   Wärme, maßvoll gemischt aus Flammen und Frost, gab er ihnen.
 
 
Sunt ergo zone circuli terram distinguentes
quorum duo sunt extremi inhabitabiles. a frigore ad quos nonquam sol accedit.
medius inhabitabilis calore a quo nonquam sol recedit.
medii duo habitabiles hic ardore ille frigore temperati.
vt notari potest in igne sub diuo accenso in yeme qui quinque lineas facit
Vnam in medio feruidam. duas circumgelidas. duas inter has temperatas.
quas si circuiret nimirum circulos faceret.
Ex his sane zonis vel circulis primus septemmtrionalis.
secundus solsticialis. tertius equinoctialis.
quartus yemalis. Quintus australis nominatur.
sed solus solsticialis est habitabilis.
 
   Es sind folglich die Zonen Kreise, die die Erde untergliedern,
   von denen die zwei äußersten vor Frost unbewohnbar sind; die Sonne gelangt nie zu ihnen.
   Die mittlere ist unbewohnbar vor Hitze; die Sonne zieht sich nie von ihr zurück.
   Die jeweils mittleren beiden sind bewohnbar; dieser mit Wärme, jener mit Kälte abgedämpft,
   wie erkannt werden kann am Feuer unter dem entzündeten Himmel im Winter, der fünf Linien zieht,
   eine in der Mitte glühend; zwei im Umfeld gefroren; zweie zwischen diesen gemäßigt;
   die es, wenn es umliefe, selbstverständlich zu Kreisen schließen würde.
   Von diesen Zonen oder Kreisen wird gewiß der erste der des großen Bären,
   der zweite der der Sonnenwende, der dritte der der Tag-und-Nacht-Gleiche,
   der vierte der winterliche, der fünfte der süd-östliche genannt.
   Aber allein der der Sonnenwende ist bewohnbar.
 
 
Porro maiores nostri Civitatem sanctam ihrusalem /                          f.8^va
in medio nostre habitabilis sitam scripserunt. secundum illud.
operatus est salutem in medio terre.
Vnde ita exponitur illud evangelium.
Exiit edictum a cesare augusto vt describeretur vniversus orbis.
Hec descriptio prima. facta est a preside sirie cirino.
Prima dicta est quod ad cirinum presidem sirie.
quia enim iudea inumbilico nostre habitabilis est.
provisum est vt in ea inchoaret
de inde per circumstantes. prouincias alii presides prosequerentur.
 
Ferner haben unsere Vorfahren geschrieben, daß die heilige Stadt Jerusalem
in der Mitte unserer bewohnbaren Zone liege, gemäß dem Wort:
Er bewirkte das Heil in der Mitte des Erdlandes.
Daher wird jenes Evangelium folgendermaßen dargelegt:
Es ging ein Edikt aus vom Kaiser Augustus, daß das ganze Weltenrund beschrieben werde.
Diese Beschreibung ist als erste vom Vorsteher Syriens, Kyrinus, durchgeführt worden.
Sie gilt als erste, da bei Kyrinus, dem Vorsteher Syriens dafür gesorgt wurde
- weil nämlich Judäa Nabel unserer bewohnbaren Zone ist -,
daß die Beschreibung an dem Punkt beginne,
und von da an durch die umliegenden Provinzen die anderen Vorsteher sie fortsetzen sollten.
 
 
Vnde tradunt tantam terram a ihrusalem. protendi ad orientem. quantam ad occidentem.
quod probant ex eo quod legitur
deus ab austro veniet et sanctus de monte faran.
auster enim et aquilo qui pro borrea scribitur. vt ibi
ab aquilone pandetur omne malum
et alibi. Ponam sedem meam ab aquilone. et ero similis altissimo
per contrapositionem opositi.
per effectum et locorum distanciam obiecti.
equaliter distant a centro quod est inter orientem et occidentem.
Hoc autem circumferentie centrum arbitrantur. quidam in illo loco esse
vbi dominus locutus est ad samaritanam ad puteum.
Illic enim in solstitio estiuo meridiana hora
sol recto tramite descendit in aquam putei
vmbram nullam aliqua parte monstrans quod apud sienem fieri tradunt philosophi.
sicut plenius deo duce dicetur infra
in discriptione meridiane partis maioris asie et egipti inferioris.
 
Daher heißt es, von Jerusalem aus erstrecke sich genausoviel Land nach Osten wie nach Westen.
Das belegt man mit dem Bibelwort:
Gott wird vom Süden (Auster, "Südwind") kommen und der Heilige vom Berg Faran.
Südwind (Auster) und Nordwind (Aquilo) nämlich, der für den Boreas eingesetzt wird,
z.B.: "Vom Nordwind eröffnet sich alles Übel"
oder an anderer Stelle: "Ich werde meinen Thron im Norden aufbauen und dem Höchsten gleich sein",
sind - durch die Entgegensetzung der Gegenüberliegenden,
durch die Wirkung und die Distanz ihrer Orte einander gegenübergestellt -
gleich weit von der Mitte entfernt, die auch zwischen Osten (Orient) und Westen (Okzident) liegt.
Einige glauben jedoch, dieses Zentrum der umgebenden Länder befinde sich dort,
wo der Herr zu der Samaritanerin am Brunnen gesprochen habe;
Dort nämlich zur Sommersonnenwende, zur Mittagsstunde,
habe die Sonne lotrecht in das Brunnenwasser gestrahlt,
indem sie nirgendwo irgendeinen Schatten gezeigt habe,
was, wie die Philosophen überliefern, bei Siene geschehe;
davon soll, so Gott will, unten etwas umfangreicher gehandelt werden,
bei der Beschreibuntg des größeren Südteiles von Asien und Unterägypten.
 
 
 
XI.     De fonte et quatuor fluuiis paradisi.
   11. Über die Quelle und die vier Flüsse des Paradieses
 
Fons siue fluuius egrediebatur ad irrigandum paradissum.
Hoc est ligna paradisi.
fons iste matrix fuit omnium aquarum quasi abissus.
et irrigabat hoc est ministrabat humorem.
dicitur enim terra circumiacens humectari a fluminibus per dracones
quasi per vias subterraneas. vel per meatus xiiij. vel xvi. stadiis.
 
Ein Quell oder Fluß ging hervor, das Paradies zu benetzen;
das heißt: die Gewächse des Paradieses.
Dieser Quell war die Mutter aller Gewässer gleich dem Abyssus
und benetzte, das heißt: er verhalf zur Feuchtigkeit.
Das umliegende Land nämlich soll von Flüssen durch Drachen befeuchtet werden,
gleichsam wie durch unterirdische Wege oder durch Gänge von 14 oder 16 Stadien.
 
 
fons hic diuiditur. in iiii flumina quorum vnus dicitur fison.
hic a gangaro rege indie dictus est ganges
et sonat secundum isidorum fison caterua quia x. flumina recepit in se.
vel mutatio oris quia faciem mutat exiens a paradiso.
tum / in colore quia hic clarus ibi obscurus. alibi turbidus.                      f.8^vb
tum in quantitate. quia alibi paruus alibi difusus.
tum in sensu quia alibi frigidus alibi calidus.
Hic circuit terram euilath. sic dictam ab euila nopote noe.
Id est India.
 
Dieser Quell teilt sich in vier Flüsse, deren einer Phison genannt wird.
Dieser wurde nach Gangarus, dem König von Indien, Ganges genannt
und es bedeutet nach Isidor der Phison "Schar", weil er zehn Flüsse in sich aufnimmt,
oder "Änderung des Gesichts", weil er sein Aussehen ändert beim Austritt aus dem Paradies,
zum einen in der Farbe, weil er hier hell, dort dunkel, an anderer Stelle verwirbelt ist,
zum andern in der Größe, weil er einmal klein ist, ein andermal auseinanderströmt,
dann wieder in der Temperatur, weil er einmal kalt, ein andermal warm erscheint.
 
 
Alius fluuius gion qui et Nilus
et sonat yatus terre vel terrenus quia turbidus est
hic circuit ethiopiam et postea transit iuxta ihrusalem per egiptum.
 
Der zweite Fluß ist der Gihon, der Nil genannt wird,
und er bedeutet "Abgrund der Erde" oder "irdischer", weil er verwirbelt ist;
dieser umströmt Äthiopia und geht später bei Jerusalem hinüber nach Ägypten.
 
 
Tercius tigris. propter sui velocitatem vt tigridis.
Hic fluit contra assirios.
 
Der dritte ist der Tigris, so genannt wegen seiner gleichsam "tigerhaften" Schnelligkeit.
Dieser strömt zu den Assyrern hin.
 
 
Quartus eufrates quasi frugifer vel fructuosus
hic est in caldea Vnde venit abraham
et irrigat terram mesopotamie.
 
Der vierte ist der Euphrat, das heißt "fruchtbringend" oder "fruchtbar";
er fließt in Chaldäa, wo Abraham herkam,
und befeuchtet das Land Mesopotamiens.
 
 
Hec itaque iiii. flumina ab eodem fonte manantia. separantur.
et iterum quedam eorum inter se commiscentur iterumque diuiduntur
nonnumquam a terra obsorbentur. et iterato emergunt.
sicut scimus fluuium gardonem in narbonensi prouincia in confinio ciuitatis nemausensis.
in estate frequenter absorberi sub loco qui Vocatur campigniacum
deindeque sub castro sancti priuati
in lacum et ampliorem amnem renasci.
 
Und so scheiden sich diese vier Ströme voneinander, die aus demselben Quell fließen,
und einige von ihnen mischen sich wieder untereinander und trennen sich wieder,
versickern zuweilen in der Erde und sprudeln wieder hervor,
wie wir es vom Gard in der narbonensischen Provinz, im Grenzgebiet nach Nimes hin wissen,
daß er im Sommer häufig versickert unterhalb des Campigniacum genannten Ortes,
und dann unterhalb der Burg des hlg. Privatus
in Form eines Sees und eines breiteren Stromes neugeboren wird.
 
 
Porro vbi nobis quatuor dicta flumina oriantur.
diuersi diuersa senciunt.
Dicitur ganges prorumpere in locis caugasi montis.
Nilus. non procul ab athlante.
Tigris et eufrates in armenia.
 
Desweiteren - wo nun für uns die vier genannten Flüsse wieder hervorkommen
- darüber denkt jeder anders.
Es heißt, der Ganges breche im Gebiet des Kaukasusgebirges hervor;
der Nil nicht weit entfernt vom Atlasgebirge;
Tigris und Euphrat in Armenien.
 
 
Sane quod diximus paradisum                                                    mirum
locum esse diluuio inaccessum. nemo miretur.
cum idem de olimpo plurimi tradiderunt.
Asserunt enim olimpum montem tracie tante celsitudinis esse
quod vsque ad liquidum aera vadat
quod probatur quia nullus ibi vel leuis aure motus sentitur
cui est pro argumento quod litere si pulueri cacuminis imprimantur.
reuoluto anno in sua figura integre perseuerant.
Sed et pro nimia aeris raritate. aues illic viuere nequeunt.
nonnumquam filosophi illuc ascendentes diu ibi manere non poterant.
si non pongias aquas plenas in manibus tenerent
quas naribus apponentes. crassiorem inde aerem attrahebant.
 
Gewiß wird niemand darüber verwundert sein, wenn wir sagen, das Paradies
sei ein Ort gewesen, der von der Sintflut nicht erreicht worden ist,
wenn viele doch dasselbe vom Olymp überliefert haben.
Sie behaupten nämlich, das Olympmassiv in Thrakien sei von solcher Himmelserhabenheit,
daß es bis an die klare Luft reiche;
dies werde dadurch bewiesen, daß dort nicht ein noch so lindes Lüftchen wahrgenommen werde;
dem dient als Beleg, daß, wenn Buchstaben dem Staub auf dem Gipfel eingedrückt werden,
diese nach Ablauf eines Jahres in ihrer Gestalt unversehrt erhalten bleiben.
Aber es können auch wegen der extremen Verdünnung der Luft Vögel dort oben nicht leben.
Wissenschaftler, die einige Male da hinaufstiegen, hätten sich nicht lange dort aufhalten können,
wenn sie nicht mit Wasser getränkte Schwämmein ihren Händen gehalten hätten,
die sie an ihre Nase gedrückt hätten und woraus sie dichtere Luft gesogen hätten.
 
weiter zu den folgenden Kapiteln:
 
XII.   de rore celi et pluuia et nebulis.
XIII.  DE mari.
XIV.   DE ligno vite et ligno scientie boni et mali
XV.    DE oculis apertis post peccatum
XVI.   DE gladio versatili
XVII.  DE duobus paradissis et infernis
XVIII. DE faunis et satiris.
 
 12. Über den Tau des Himmels und Wolken und Nebel.
 13. Über das Meer.
 14. Über den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
 15. Über die Öffnung der Augen nach der Sünde.
 16. Über das "wendige Schwert".
 17. Über die zwei Paradiese und Höllen.
 18. Über Faune und Satyrn.

Mittelalterliche Weltkarten:
antike Basis:
Ciceros Somnium Scipionis (via Macrobius)
Martianus Capella (Globus-Karte mit äquatorialem Ringozean)
Ambrosius Theodosius Macrobius (Zonenkarten)
Weltkarten des 8. Jahrhunderts n.Chr.
Weltkarte von Albi
Weltkarte nach Isidor von Sevilla
Beatuskarte von Osma
angelsächsische Weltkarte – "Cottonian" (10. Jhd.)
Weltkarte des Heinrich von Mainz (1110)
Weltkarte nach Martianus Capella im Lamberti Liber Floridus (12. Jhd.)
Ebstorfer Weltkarte des Gervasius von Tilbury:
oben links: Osteuropa, Asien
oben Mitte: Vorderer Orient, Indien, Paradies
im "Scheitel" der geosteten Karte:
Paradies - Christus - Indien
oben rechts: Arabien, Äthiopien
unten links: West- und Mitteleuropa
unten Mitte: Südeuropa und Mittelmeer
unten rechts: Afrika
Londoner Psalterkarte (1.Hälfte 13.Jhd.)
Die Weltkarte des Richard von Haldingham (~1280), Hereford
Weltkarte des Ranulf Higden im Polychronicon (vor 1363)
Genesis 2: das Paradies und die vier Weltströme 
 
Hildegard von Bingen: Bilder aus dem Liber Divinorum Operum
2. Schau: der kosmische Mensch
4. Schau: die Erdkugel als Dotter inmitten der Sphären-Schichten
 
Thomas von Aquin:
Summa Theol. prima pars qu.2: IST Gott?
Fünf Gottesbeweise (lat., dt.):
movens ipse amotum, efficiens primum, ESSE necessarium, perfectio, causa intelligens
Absolute Bewegungsursache, erste Verwirklichung, notwendiges SEIN, Vollkommenheit, Intelligenz