Rudolf
Steiner : Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten : Die
Stufen der Einweihung
DIE STUFEN DER EINWEIHUNG
Die Vorbereitung
: Die Erleuchtung : Kontrolle
der Gedanken und Gefühle
Die folgenden Mitteilungen sind Glieder einer geistigen
Schulung, über deren Namen und Wesenheit jeder sich klar wird, der
sie richtig anwendet. Sie beziehen sich auf die drei Stufen, durch welche
die Schule des geistigen Lebens zu einem gewissen Grade der Einweihung
führt. Aber nur so viel von diesen Auseinandersetzungen wird man hier
finden, als eben öffentlich gesagt werden kann. Es sind dies Andeutungen,
welche aus einer noch viel tieferen, intimen Lehre herausgeholt sind. In
der Geheimschulung selbst wird ein ganz bestimmter Lehrgang befolgt. Gewisse
Verrichtungen dienen dazu, die Seele des Menschen zum bewußten Verkehr
mit der geistigen Welt zu bringen. Diese Verrichtungen verhalten sich etwa
zu dem, was im folgenden mitgeteilt wird, wie der Unterricht, den man jemandem
in einer höheren streng geregelten Schule gibt, zu der Unterweisung,
die man ihm gelegentlich auf einer vorbereitenden Schule zuteil werden
läßt. Doch kann die ernste und beharrliche Verfolgung
dessen, was man hier angedeutet findet, zur wirklichen Geheimschulung führen.
Allerdings, das ungeduldige Probieren, ohne Ernst und Beharrlichkeit, kann
zu gar nichts führen. – Von Erfolg kann das Geheimstudium nur sein,
wenn dasjenige zunächst eingehalten wird, was bereits gesagt worden
ist, und auf dieser Grundlage fortgeschritten wird.
Die Stufen, welche die angedeutete Überlieferung
angibt, sind die folgenden drei: 1. Die Vorbereitung, 2. die Erleuchtung,
3. die Einweihung. Es ist nicht durchaus notwendig, daß diese drei
Stufen sich so folgen, daß man die erste ganz durchgemacht
hat, bevor die zweite, und diese, bevor die dritte an die Reihe kommen.
Man kann in bezug auf gewisse Dinge schon der Erleuchtung, ja der Einweihung
teilhaftig werden, wenn man in bezug auf andere sich noch in der Vorbereitung
befindet. Doch wird man eine gewisse Zeit in Vorbereitung zu verbringen
haben, bevor überhaupt eine Erleuchtung beginnen kann. Und wenigstens
für einiges wird man erleuchtet sein müssen, wenn der Anfang
mit der Einweihung gemacht werden soll. In der Beschreibung aber müssen,
der Einfachheit wegen, die drei Stufen hintereinander folgen.
Die Vorbereitung
Die Vorbereitung besteht in einer ganz bestimmten
Pflege des Gefühis- und Gedankenlebens. Durch diese Pflege werden
Seelen- und Geistesleib mit höheren Sinneswerkzeugen und Tätigkeitsorganen
begabt, wie die Naturkräfte den physischen Leib aus unbestimmter lebendiger
Materie mit Organen ausgerüstet haben.
Der Anfang muß damit gemacht werden, die Aufmerksamkeit
der Seele auf gewisse Vorgänge in der uns umgebenden Welt zu lenken.
Solche Vorgänge sind das sprießende, wachsende und gedeihende
Leben einerseits, und alle Erscheinungen, die mit Verblühen, Verwelken,
Absterben zusammenhängen, andererseits. Überall, wohin der Mensch
die Augen wendet, sind solche Vorgänge gleichzeitig vorhanden. Und
überall rufen sie naturgemäß auch in dem Menschen Gefühle
und Gedanken hervor. Aber nicht genug gibt sich unter gewöhnlichen
Verhältnissen der Mensch diesen Gefühlen und Gedanken hin. Dazu
eilt er viel zu rasch von einem Eindruck zum anderen. Es handelt sich darum,
daß er intensiv die Aufmerksamkeit ganz bewußt auf diese Tatsachen
lenke. Er muß, wo er Blühen und Gedeihen einer ganz bestimmten
Art wahrnimmt, alles andere aus seiner Seele verbannen und sich kurze Zeit
ganz allein diesem einen Eindrucke überlassen. Er wird sich
bald überzeugen, daß ein Gefühl, das in einem solchen Falle
durch seine Seele früher nur durchgehuscht ist, anschwillt, daß
es eine kräftige und energische Form annimmt. Diese Gefühlsform
muß er dann ruhig in sich nachklmgen lassen. Er muß dabei ganz
still in seinem Innern werden. Er muß sich abschließen von
der übrigen Außenwelt und ganz allein dem folgen, was seine
Seele zu der Tatsache des Blühens und Gedeihens sagt.
Dabei soll man nur ja nicht glauben, daß man
weit kommt, wenn man seine Sinne etwa stumpf macht gegen die Welt.
Erst schaue man so lebhaft, so genau, als es nur irgend möglich ist,
die Dinge an. Dann erst gebe man sich dem in der Seele auflebenden
Gefühle, dem aufsteigenden Gedanken hin. Worauf es ankommt, ist, daß
man auf beides, im völligen inneren Gleichgewicht, die Aufmerksamkeit
richte. Findet man die nötige Ruhe und gibt man sich dem hin, was
in der Seele auflebt, dann wird man nach entsprechender Zeit das Folgende
erleben. Man wird neue Arten von Gefühlen und Gedanken in seinem
Innern aufsteigen sehen, die man vorher nicht gekannt hat. Je öfter
man in einer solchen Weise die Aufmerksamkeit auf etwas Wachsendes, Blühendes
und Gedeihendes und damit abwechselnd auf etwas Welkendes, Absterbendes
lenkt, desto lebhafter werden diese Gefühle werden. Und aus den Gefühlen
und Gedanken, die so entstehen, bauen sich die Hellseherorgane ebenso auf,
wie sich durch Naturkräfte aus belebtem Stoffe Augen und Ohren des
physischen Körpers aufbauen. Eine ganz bestimmte Gefühlsform
knüpft sich an das Wachsen und Werden; eine andere ganz bestimmte
an das Verwelken und Absterben. Aber nur dann, wenn die Pflege dieser Gefühle
auf die beschriebene Art angestrebt wird. Es ist möglich, annähernd
richtig zu beschreiben, wie diese Gefühle sind. Eine vollständige
Vorstellung kann sich davon jeder selbst verschaffen, indem er diese inneren
Erlebnisse durchmacht. Wer oft die Aufmerksamkeit auf den Vorgang des Werdens,
des Gedeihens, des Blühens gelenkt hat, der wird etwas fühlen,
was der Empfindung bei einem Sonnenaufgang entfernt ähnlich ist.
Und aus dem Vorgang des Welkens, Absterbens wird sich ihm ein Erlebnis
ergeben, das in ebensolcher Art mit dem langsamen Aufsteigen des Mondes
im Gesichtskreis zu vergleichen ist. Diese beiden Gefühle sind zwei
Kräfte, die bei gehöriger Pflege, bei immer lebhafter werdender
Ausbildung zu den bedeutsamsten geistigen Wirkungen führen. Wer sich
immer wieder und wieder planmäßig, mit Vorsatz, solchen Gefühlen
überläßt, dem eröffnet sich eine neue Welt. Die Seelenwelt,
der sogenannte astrale Plan, beginnt vor ihm aufzudämmern. Wachsen
und Vergehen bleiben f;ir ihn nicht mehr Tatsachen, die ihm solch unbestimmte
Eindrücke machen wie vorher. Sie formen sich vielmehr zu geistigen
Linien und Figuren, von denen er vorher nichts ahnte. Und diese Linien
und Figuren haben für die verschiedenen Erscheinungen auch verschiedene
Gestalten. Eine blühende Blume zaubert vor seine Seele eine ganz bestimmte
Linie, ebenso ein im Wachsen begriffenes Tier oder ein im Absterben befindlicher
Baum. Die Seelenwelt (der astrale Plan) breitet sich langsam vor ihm aus.
Nichts Willkürliches liegt in diesen Linien und Figuren. Zwei Geheimschüler,
die sich auf der entsprechenden Stufe der Ausbildung befinden, werden bei
dem gleichen Vorgange stets dieselben Linien und Figuren sehen. So gewiß
zwei richtig sehende Menschen einen runden Tisch rund sehen, und nicht
einer rund und der andere viereckig, so gewiß stellt sich vor zwei
Seelen beim Anblicke einer blühenden Blume dieselbe geistige Gestalt.
– So wie die Gestalten der Pflanzen und Tiere in der gewöhnlichen
Naturgeschichte beschrieben werden, so beschreibt oder zeichnet der Kenner
der Geheimwissenschaft die geistigen Gestalten der Wachstums- und Absterbensvorgänge
nach Gattungen und Arten.
Wenn der Schüler so weit ist, daß er
solch geistige Gestalten von Erscheinungen sehen kann, die sich seinem
äußeren Auge auch physisch zeigen: dann wird er auch nicht weit
entfernt sein von der Stufe, Dinge zu sehen, die kein physisches Dasein
haben, die also dem ganz verborgen (okkult) bleiben müssen, der keine
Unterweisung in der Geheimlehre erhalten hat.
Zu betonen ist, daß der Geheimforscher sich
nicht in ein Nachsinnen verlieren soll, was dieses oder jenes Ding bedeutet.
Durch solche Verstandesarbeit bringt er sich nur von dem rechten Wege
ab. Er soll frisch, mit gesundem Sinne, mit scharfer Beobachtungsgabe in
die Sinnenwelt sehen und dann sich seinen Gefühlen überlassen.
Was die Dinge bedeuten, das soll nicht er mit spekulierendem Verstande
ausmachen wollen, sondern er soll es sich von den Dingen selbst sagen lassen.
[Bemerkt soll werden, daß künstlerisches Empfinden,
gepaart mit einer stillen, in sich versenkten Natur, die beste Vorbedingung
für die Entwickelung der geistigen Fähigkeiten ist. Dieses Empfinden
dringt ja durch die Oberfläche der Dinge hindurch und gelangt dadurch
zu deren Geheimnissen.]
Ein Weiteres, worauf es ankommt, ist das, was die
Geheimwissenschaft die Orientierung in den höheren Welten nennt.
Man gelangt dazu, wenn man sich ganz von dem Bewußtsein durchdringt,
daß Gefühle und Gedanken wirkliche Tatsachen sind, genau
so wie Tische und Stühle in der physisch-sinnlichen Welt. In der seelischen
und in der Gedankenwelt wirken Gefühle und Gedanken aufeinander wie
in der physischen die sinnlichen Dinge. Solange jemand nicht lebhaft von
diesem Bewußtsein durchdrungen ist, wird er nicht glauben, daß
ein verkehrter Gedanke, den er hegt, auf andere Gedanken, die den Gedankenraum
beleben, so verheerend wirken kann wie eine blindlings losgeschossene Flintenkugel
für die physischen Gegenstände, die sie trifft. Ein solcher wird
sich vielleicht niemals erlauben, eine physisch sichtbare Handlung zu begehen,
die er für sinnlos hält. Er wird aber nicht davor zurückschrecken,
verkehrte Gedanken oder Gefühle zu hegen. Denn diese erscheinen ihm
ungefährlich für die übrige Welt. In der Geheimwissenschaft
kann man aber nur vorwärtskommen, wenn man auf seine Gedanken und
Gefühle ebenso achtet, wie man auf seine Schritte in der physischen
Welt achtet. Wenn jemand eine Wand sieht, so versucht er nicht, geradewegs
durch dieselbe durchzureen; er lenkt seine Schritte seitwärts. Er
richtet sich eben nach den Gesetzen der physischen Welt. – Solche Gesetze
gibt es nun auch für die Gefühls- und Gedankenwelt. Nur können
sie dem Menschen da nicht von außen sich aufdrängen. Sie müssen
aus dem Leben seiner Seele selbst fließen. Man gelangt dazu, wenil
man sich jederzeit verbietet, verkehrte Gefühle und Gedanken zu hegen.
Alles willkürliche Hin- und Hersinnen, alles spielerische Phantasieren,
alle zufällig auf- und abwogenden Gefühle muß man sich
in dieser Zeit verbieten. Man macht sich dadurch nicht gefühlsarm.
Man wird nämlich bald finden, daß man reich an Gefühlen,
schöpferisch in wahrer Phantasie erst wird, wenn man in solcher Art
sein Inneres regelt. An die Stelle kleinlicher Gefühlsschwelgerei
und spielerischer Gedankenverknüpfung treten bedeutsame Gefühle
und fruchtbare Gedanken. Und diese Gefühle und Gedanken führen
den Menschen dazu, sich in der geistigen Welt zu orientieren. Er
kommt in richtige Verhältnisse zu den Dingen der Geisteswelt. Eine
ganz bestimmte Wirkung tritt für ihn ein. Wie er als physischer Mensch
seinen Weg findet zwischen den physischen Dingen, so führt ihn jetzt
sein Pfad zwischen Wachsen und Absterben, die er ja auf dem
oben bezeichneten Weg kennenlernt, hindurch. Er folgt dann allem Wachsenden,
Gedeihenden und auch andererseits allem Verwelkenden und Absterbenden so,
wie es zu seinem und der Welt Gedeihen erforderlich ist.
Eine weitere Pflege hat der Geheimschüler der
Welt der Töne angedeihen zu lassen. Man unterscheide da zwischen
dem Tone, der durch das sogenannte Leblose (einen fallenden Körper,
eine Glocke oder ein Musikinstrument) hervorgebracht wird, und dem, welcher
von Lebendigem (einem Tiere oder Menschen) stammt. Wer eine Glocke hört,
wird den Ton wahrnehmen und ein angenehmes Gefühl daran knüpfen;
wer den Schrei eines Tieres hört, wird außer diesem Gefühl
in dem Tone noch die Offenbarung eines inneren Erlebnisses des Tieres,
Lust oder Schmerz, verspüren. Bei der letzteren Art von Tönen
hat der Geheimschüler einzusetzen. Er soll seine ganze Aufmerksamkeit
darauf lenken, daß der Ton ihm etwas verkündet, was außer
der eigenen Seele liegt. Und er soll sich versenken in dieses Fremde. Er
soll sein Gefühl innig verbinden mit dem Schmerz oder der Lust, die
ihm durch den Ton verkündet werden. Er soll darüber hinweg sich
setzen, was für ihn der Ton ist, ob er ihm angenehm oder unangenehm
ist, wohlbehaglich oder mißfällig; nur das soll seine Seele
erfüllen, was in dem Wesen vorgeht, von dem der Ton kommt. Wer planmäßig
und mit Vorbedacht solche Übungen macht, der wird sich dadurch die
Fähigkeit aneignen, mit einem Wesen, sozusagen, zusammenzufließen,
von dem der Ton ausgeht. Einem musikalisch empfindenden Menschen wird solche
Pflege seines Gemütslebens leichter sein als einem unmusikalischen.
Doch darf niemand glauben, daß der musikalische Sinn schon diese
Pflege ersetzt. Man muß, als Geheimschüler, in dieser Art der
ganzen Natur gegenüber empfinden lernen. – Und dadurch senkt
sich in Gefühls- und Gedankenwelt eine neue Anlage. Die ganze Natur
fängt an, dem Menschen durch ihr Ertönen Geheimnisse zuzuraunen.
Was vorher seiner Seele unverständlicher Schall war, wird dadurch
sinnvolle Sprache der Natur. Und wobei er vorher nur Ton gehört
hat, beim Erklingen des sogenannten Leblosen, vernimmt er jetzt eine neue
Sprache der Seele. Schreitet er in solcher Pflege seiner Gefühle vorwärts,
dann wird er bald gewahr, daß er hören kann, wovon er
vorher nichts vermutet hat. Er fängt an, mit der Seele zu hören.
Dazu muß dann noch etwas anderes kommen, um
zum Gipfel zu gelangen, der auf diesem Gebiete zu erreichen ist. – Was
für die Ausbildung des Geheimschülers ganz besonders wichtig
ist, das ist die Art, wie er anderen Menschen beim Sprechen zuhört.
Er muß sich daran gewöhnen, dies so zu tun, daß dabei
sein eigenes Innere vollkommen schweigt. Wenn jemand eine Meinung
äußert, und ein anderer hört zu, so wird sich im Innern
des letzteren im allgemeinen Zustimmung oder Widerspruch regen. Viele Menschen
werden wohl auch sofort sich gedrängt fühlen, ihre zustimmende
und namentlich ihre widersprechende Meinung zu äußern. Alle
solche Zustimmung und allen solchen Widerspruch muß der Geheimschüler
zum Schweigen bringen. Es kommt dabei nicht darauf an, daß er plötzlich
seine Lebensart so ändere, daß er solch inneres, gründliches
Schweigen fortwährend zu erreichen sucht. Er wird damit den Anfang
machen müssen, daß er es in einzelnen Fällen tut, die er
sich mit Vorsatz auswählt. Dann wird sich ganz langsam und allmählich,
wie von selbst, diese ganz neue Art des Zuhörens in seine Gewohnheiten
einschleichen. – In der Geistesforschung wird solches planmäßig
geübt. Die Schüler fühlen sich verpflichtet, übungsweise
zu gewissen Zeiten sich die entgegengesetztesten Gedanken anzuhören
und dabei alle Zustimmung und namentlich alles abfällige Urteilen
vollständig zum Verstummen zu bringen. Es kommt darauf an, daß
dabei nicht nur alles verstandesmäßige Urteilen schweige, sondern
auch alle Gefühle des Mißfallens, der Ablehnung oder auch Zustimmung.
Insbesondere muß sich der Schüler stets sorgfältig beobachten,
ob nicht solche Gefühle, wenn auch nicht an der Oberfläche, so
doch im intimsten Innern seiner Seele vorhanden seien. Er muß sich
zum Beispiel die Aussprüche von Menschen anhören, die in irgendeiner
Beziehung weit unter ihm stehen, und muß dabei jedes Gefühl
des Besserwissens oder der Überlegenheit unterdrücken. – Nützlich
ist es für jeden, in solcher Art Kindern zuzuhören. Auch der
Weiseste kann unermeßlich viel von Kindern lernen. – So bringt es
der Mensch dazu, die Worte des anderen ganz selbstlos zu hören,
mit vollkommener Ausschaltung seiner eigenen Person, deren Meinung und
Gefühlsweise. Wenn er sich so übt, kritiklos zuzuhören,
auch dann, wenn die völlig entgegengesetzte Meinung vorgebracht wird,
wenn das «Verkehrteste» sich vor ihm abspielt, dann lernt er
nach und nach mit dem Wesen eines anderen vollständig zu verschmelzen,
ganz in dasselbe aufzugehen. Er hört dann durch die Worte hindurch
in des anderen Seele hinein. Durch anhaltende Übung solcher Art wird
erst der Ton das rechte Mittel, um Seele und Geist wahrzunehmen. Allerdings
gehört dazu die allerstrengste Selbstzucht. Aber diese führt
zu einem hohen Ziele. Wenn diese Übungen nämlich in Verbindung
mit den anderen getrieben werden, die angegeben worden sind bezüglich
des Tönens in der Natur, so erwächst der Seele ein neuer Hörsinn.
Sie wird imstande, Kundgebungen aus der geistigen Welt wahrzunehmen, die
nicht ihren Ausdruck finden in äußeren Tönen, die für
das physische Ohr wahrnehmbar sind. Die Wahrnehmung des «inneren
Wortes» erwacht.
Dem Geheimschüler offenbaren sich allmählich
von der Geisteswelt aus Wahrheiten. Er hört auf geistige Art zu sich
sprechen. [Nur wer durch selbstloses Zuhören es dahin
bringt, daß er wirklich von innen aufnehmen kann, still, ohne Regung
einer persönlichen Meinung oder eines persönlichen Gefühls,
zu dem können die höheren Wesenheiten sprechen, von denen man
in der Geheimwissenschaft spricht. Solange man noch irgendeine Meinung,
irgendein Gefühl dem zu Hörenden entgegenschleudert, schweigen
die Wesenheiten der Geisteswelt.] – Alle höheren Wahrheiten
werden durch solches «inneres Einsprechen» erreicht. Und was
man aus dem Munde eines wahren Geheimforschers hören kann, das hat
er durch diese Art in Erfahrung gebracht. – Damit aber soll nicht gesagt
sein, daß es unnötig sei, sich mit geheimwissenschaftlichen
Schriften zu befassen, bevor man selbst in solcher Weise «inneres
Einsprechen» vernehmen kann. Im Gegenteil: das Lesen solcher Schriften,
das Anhören der Geheimforscherlehren sind selbst Mittel, auch zu eigener
Erkenntnis zu gelangen. Jeder Satz der Geheimwissenschaft, den der Mensch
hört, ist geeignet, den Sinn dahin zu lenken, wohin er gelangen muß,
soll die Seele wahren Fortschritt erleben. Zu all dem Gesagten muß
vielmehr eifriges Studium dessen treten, was die Geheimforscher der Welt
mitteilen. Bei aller Geheimschulung gehört solches Studium zur Vorbereitung.
Und wer alle sonstigen Mittel anwenden wollte, er käme zu keinem Ziele,
wenn er nicht die Lehren der Geheimforscher in sich aufnähme. Denn
weil diese Lehren aus dem lebendigen «inneren Worte», aus der
«lebendigen Einsprechung» geschöpft sind, haben sie selbst
geistiges Leben. Sie sind nicht bloß Worte. Sie sind lebendige Kräfte.
Und während du den Worten eines Geheimkundigen folgst, während
du ein Buch liest, das einer wirklichen inneren Erfahrung entstammt, wirken
in deiner Seele Kräfte, welche dich ebenso hellsehend machen,
wie die Naturkräfte aus lebendigem Stoffe deine Augen und Ohren gebildet
haben.
Die Erleuchtung
Die Erleuchtung geht von sehr einfachen Vorgängen
aus. Auch dabei handelt es sich darum, gewisse Gefühle und Gedanken
zu entwickeln, die in jedem Menschen schlummern und die erwachen müssen.
Nur wer mit voller Geduld, streng und anhaltend die einfachen Vorgänge
durchnimmt, den können sie zur Wahrnehmung der inneren Lichterscheinungen
führen. Der erste Anfang wird damit gemacht, in einer bestimmten Art
verschiedene Naturwesen zu betrachten, und zwar zum Beispiele: einen durchsichtigen,
schön geformten Stein (Kristall), eine Pflanze und ein Tier. Man suche
zuerst seine ganze Aufmerksamkeit auf einen Vergleich des Steines mit dem
Tier in folgender Art zu lenken. Die Gedanken, die hier angeführt
werden, müssen von lebhaften Gefühlen begleitet durch die Seele
ziehen. Und kein anderer Gedanke, kein anderes Gefühl dürfen
sich einmischen und die intensiv aufmerksame Betrachtung stören. Man
sage sich:
«Der Stein hat eine Gestalt; das Tier hat
auch eine Gestalt. Der Stein bleibt ruhig an seinem Ort. Das Tier
verändert seinen Ort. Es ist der Trieb (die Begierde), welcher das
Tier veranlaßt, seinen Ort zu ändern. Und die Triebe sind es
auch, denen die Gestalt des Tieres dient. Seine Organe, seine Werlczeuge
sind diesen Trieben gemäß ausgebildet. Die Gestalt des Steins
ist nicht nach Begierden, sondern durch begierdelose Kraft gebildet.»
[Die hier gemeinte Tatsache, insofern sie sich auf Kristallbeobachtung
bezieht, ist von solchen, die nur in äußerlicher Weise (exoterisch)
davon gehört haben, in mancherlei Art verdreht worden, woraus Verrichtungen
wie «Kristallsehen» und so weiter entstanden sind. Derlei Manipulationen
beruhen auf Mißverständnissen. Sie sind in vielen Büchern
beschrieben worden. Aber sie bilden niemals den Gegenstand wahren (esoterischen)
Geheimunterrichtes.] Wenn man sich intensiv in diese Gedanken versenkt
und dabei mit gespannter Aufmerksamkeit Stein und Tier betrachtet: dann
leben in der Seele zwei ganz verschiedene Gefühlsarten auf. Aus dem
Stein strömt die eine Art des Gefühls, aus dem Tiere die andere
Art in unsere Seele. Die Sache wird wahrscheinlich im Anfange nicht gelingen:
aber nach und nach, bei wirklicher geduldiger Übung, werden sich diese
Gefühle einstellen. Man muß nur immerfort und fort üben.
Erst sind die Gefühle nur so lange vorhanden, als die Betrachtung
dauert, später wirken sie nach. Und dann werden sie zu etwas, was
in der Seele lebendig bleibt. Der Mensch braucht sich dann nur zu besinnen:
und die beiden Gefühle steigen immer, auch ohne Betrachtung eines
äußeren Gegenstandes, auf. – Aus diesen Gefühlen und den
mit ihnen verbundenen Gedanken bilden sich Hellseherorgane. – Tritt
dann in der Betrachtung noch die Pflanze hinzu, so wird man bemerken, daß
das von ihr ausgehende Gefühl, seiner Beschaffenheit und auch seinem
Grade nach, in der Mitte liegt zwischen dem vom Stein und dem vom Tier
ausströmenden. Die Organe, welche sich auf solche Art bilden, sind
Geistesaugen. Man lernt mit ihnen allmählich etwas wie seelische
und geistige Farben zu sehen. Solange man nur das sich angeeignet hat,
was als «Vorbereitung» beschrieben worden ist, bleibt die geistige
Welt mit ihren Linien und Figuren dunkel; durch die Erleuchtung wird sie
hell. – Auch hier muß bemerkt werden, daß die Worte «dunkel»
und «hell» sowie die anderen gebrauchten Ausdrücke nur
annähernd aussprechen, was gemeint ist. Will man sich aber der gebräuchlichen
Sprache bedienen, so ist nichts anderes möglich. Diese Sprache ist
ja nur für die physischen Verhältnisse geschaffen. – Die Geheimwissenschaft
bezeichnet nun das, was für das Hellseherorgan vom Stein ausströmt,
als «blau» oder «blaurot». Dasjenige, was vom Tier
empfunden wird, als «rot» oder «rot–gelb». In der
Tat sind es Farben «geistiger Art», die da gesehen werden.
Die von der Pflanze ausgehende Farbe ist «grün», das nach
und nach in ein helles ätherisches Rosarot übergeht. Die Pflanze
ist nämlich dasjenige Naturwesen, welches in höheren Welten in
einer gewissen Beziehung ihrer Beschaffenheit in der physischen Welt gleicht.
Nicht dasselbe ist aber bei Stein und Tier der Fall. – Nun muß man
sich klar sein, daß mit den oben genannten Farben nur die Hauptschattierungen
des Stein-, Pflanzen- und Tierreiches angegeben sind. In Wirklichkeit sind
alle möglichen Zwischenschattierungen vorhanden. Jeder Stein, jede
Pflanze, jedes Tier hat seine ganz bestimmte Farbennuance. Dazu kommen
die Wesen der höheren Welten, die niemals sich physisch verkörpern,
mit ihren oft wundervollen, oft auch gräßlichen Farben. In der
Tat ist der Farbenreichtum in diesen höheren Welten unermeßlich
viel größer als in der physischen Welt.
Hat der Mensch einmal die Fähigkeit erworben,
mit «Geistesaugen» zu sehen, so begegnet er auch, über
kurz oder lang, den genannten höheren, zum Teil auch tieferen Wesen,
als der Mensch ist, die niemals die physische Wirklichkeit betreten.
Hat der Mensch es so weit gebracht, wie hier beschrieben
ist, so stehen ihm die Wege zu vielem offen. Aber es ist keinem anzuraten,
noch weiter zu gehen ohne sorgfältige Beachtung des vom Geistesforscher
Gesagten oder sonst von ihm Mitgeteilten. Und auch für das schon Gesagte
ist eine Beachtung solcher kundigen Führerschaft das Allerbeste. Hat
übrigens der Mensch in sich die Kraft und Ausdauer, es so weit zu
bringen, wie es den angegebenen elementaren Stufen der Erleuchtung entspricht,
so wird er ganz gewiß auch die rechte Führung suchen und finden.
Eine Vorsicht ist aber unter allen Umständen
notwendig, und wer sie nicht anwenden will, der soll am besten alle Schritte
in die Geheimwissenschaft unterlassen. Es ist notwendig, daß der
Mensch, der Geheimschüler wird, nichts verliere von seinen Eigenschaften
als edler, guter und für alles physisch Wirkliche empfänglicher
Mensch. Er muß im Gegenteile seine moralische Kraft, seine innere
Lauterkeit, seine Beobachtungsgabe während der Geheimschülerschaft
fortwährend steigern. Um ein Einzelnes zu erwähnen: Während
der elementaren Erleuchtungsübungen muß der Geheimschüler
dafür sorgen, daß er sein Mitgefühl für die Menschen-
und Tierwelt, seinen Sinn für Schönheit der Natur immerfort vergrößere.
Sorgt er nicht dafür, so stumpfen sich jenes Gefühl und dieser
Sinn durch solche Übungen fortwährend ab. Das Herz würde
hart, der Sinn stumpf. Und das müßte zu gefährlichen Ergebnissen
führen.
Wie sich die Erleuchtung gestaltet, wenn man im
Sinne der obigen Übungen über Stein, Pflanze und Tier zum Menschen
heraufsteigt, und wie, nach der Erleuchtung, der Zusammenschluß der
Seele mit der geistigen Welt unter allen Umständen sich einmal einstellt
und zur Einweihung hingeleitet: davon wird in den nächsten Abschnitten
gesprochen werden, soweit das sein kann.
Es wird in unserer Zeit von vielen Menschen der
Weg zur Geheimwissenschaft gesucht. Auf mancherlei Art wird das getan;
und viele gefährliche, ja verwerfliche Prozeduren werden probiert.
Deshalb sollen diejenigen, die etwas Wahrhaftes von diesen Dingen zu wissen
meinen, anderen die Möglichkeit geben, einiges aus der Geheimschulung
kennenzulernen. Nur soviel ist hier mitgeteilt worden, als solcher Möglichkeit
entspricht. Es ist notwendig, daß etwas von dem Wahren bekannt werde,
damit nicht das Irrtümliche großen Schaden anrichte. Durch die
hier vorgezeichneten Wege kann niemand Schaden nehmen, der nichts forciert.
Nur das eine muß beachtet werden: niemand darf mehr Zeit und Kraft
auf solche Übungen verwenden, als ihm nach seiner Lebensstellung,
nach seinen Pflichten zur Verfügung stehen. Niemand darf durch den
Geheimpfad irgend etwas in seinen äußeren Lebensverhältnissen
augenblicklich ändern. Will man wirkliche Ergebnisse, dann muß
man Geduld haben; man muß nach wenigen Minuten der Übung
aufhören können und ruhig seiner Tagesarbeit nachgehen. Und nichts
darf sich von Gedanken an die Übungen in die Tagesarbeit mischen.
Wer nicht im höchsten und besten Sinne warten gelernt hat,
der taugt nicht zum Geheimschüler und wird auch niemals zu Ergebnissen
kommen, die einen erheblichen Wert haben.
Kontrolle der Gedanken und Gefühle
Wenn jemand die Wege zur Geheimwissenschaft in der
Art sucht, wie es in dem vorhergehenden Kapitel beschrieben worden ist,
dann darf er nicht versäumen, sich während der ganzen Arbeit
durch einen fortwirkenden Gedanken zu stärken. Er muß
sich nämlich stets vor Augen halten, daß er nach einiger Zeit
schon ganz erhebliche Fortschritte gemacht haben kann, ohne daß sie
sich ihm in der Weise zeigen, wie er es vielleicht erwartet hat. Wer dies
nicht bedenkt, wird leicht die Beharrlichkeit verlieren und nach kurzer
Zeit alle Versuche aufgeben. Die Kräfte und Fähigkeiten, welche
man zu entwickeln hat, sind anfänglich von sehr zarter Art. Und ihre
Wesenheit ist etwas ganz anderes als das, wovon sich der Mensch vorher
Vorstellungen gemacht hat. Er war ja nur gewohnt, sich mit der physischen
Welt zu beschäftigen. Die geistige und seelische entzog sich seinen
Blicken und auch seinen Begriffen. Es ist daher gar nicht zu verwundern,
daß er jetzt, wo sich in ihm geistige und seelische Kräfte entwickeln,
diese nicht sogleich bemerkt. – Darinnen liegt die Möglichkeit einer
Beirrung für den, welcher sich, ohne sich an die Erfahrungen zu halten,
welche kundige Forscher gesammelt haben, auf den Geheimpfad begibt. Der
Geheimforscher kennt die Fortschritte, welche der Schüler macht, lange
bevor dieser sich selbst ihrer bewußt wird. Er weiß, wie die
zarten geistigen Augen sich heranbilden, ehe der Schüler etwas davon
weiß. Und ein großer Teil der Anweisungen dieses Geheimforschers
besteht eben darinnen, das zum Ausdrucke zu bringen, was bewirkt, daß
der Schüler das Vertrauen, die Geduld, die Ausdauer nicht verliere,
bevor er zur eigenen Erkenntnis seiner Fortschritte gelangt. Geben kann
ja der Geheimkundige seinem Zögling nichts, was in diesem nicht –
auf verborgene Art – schon liegt. Er kann nur anleiten zur Entwickelung
von schlummernden Fähigkeiten. Aber, was er aus seinen Erfahrungen
mitteilt, wird eine Stütze sein dem, der sich aus dem Dunkel zum Lichte
durchringen will.
Gar viele verlassen den Pfad zur Geheimwissenschaft
bald, nachdem sie ihn betreten haben, weil ihnen ihre Fortschritte nicht
sogleich bemerklich werden. Und selbst, wenn die ersten für den Zögling
wahrnehmbaren höheren Erfahrungen auftreten, so betrachtet sie dieser
oft als Illusionen, weil er sich ganz andere Vorstellungen von dem gemacht
hat, was er erleben soll. Er verliert den Mut, weil er entweder die ersten
Erfahrungen für wertlos hält oder weil sie ihm doch so unscheinbar
vorkommen, daß er nicht glaubt, sie könnten ihn in absehbarer
Zeit zu irgend etwas Erheblichem führen. Mut und Selbstvertrauen
sind aber zwei Lichter, die auf dem Wege zur Geheimwissenschaft nicht
erlöschen dürfen. Wer es nicht über sich bringen kann, eine
Übung, die scheinbar unzähligemal mißglückt ist, immer
wieder und wieder geduldig fortzusetzen, der kann nicht weit kommen.
Viel früher als eine deutliche Wahrnehmung
von den Fortschritten tritt ein dunkles Gefühl auf, daß man
auf dem rechten Wege sei. Und dieses Gefühl sollte man hegen und pflegen.
Denn es kann zu einem sicheren Führer werden. Vor allem muß
man den Glauben ausrotten, als ob es ganz absonderliche, geheimnisvolle
Verrichtungen sein müßten, durch die man zu höheren Erkenntnissen
gelangt. Man muß sich klarmachen, daß von den Gefühlen
und Gedanken ausgegangen werden muß, mit denen der Mensch ja fortwährend
lebt, und daß er diesen Gefühlen und Gedanken nur eine andere
Richtung geben muß, als die gewohnte ist. Ein jeder sage sich zunächst:
in meiner eigenen Gefühls- und Gedankenwelt liegen die höchsten
Geheimnisse verborgen: ich habe sie bisher nur noch nicht wahrgenommen.
Alles beruht schließlich darauf, daß der Mensch fortwährend
Leib, Seele und Geist mit sich herumträgt, daß er sich aber
nur seines Leibes im ausgesprochenen Sinne bewußt ist, nicht
seiner Seele und seines Geistes. Und der Geheimschüler wird sich der
Seele und des Geistes bewußt, wie sich der gewöhnliche Mensch
seines Leibes bewußt ist.
Deshalb kommt es darauf an, die Gefühle und
Gedanken in die rechte Richtung zu bringen. Dann entwickelt man die Wahrnehmungen
für das im gewöhnlichen Leben Unsichtbare. Hier soll einer der
Wege angegeben werden, wie man das macht. Eine einfache Sache ist es wieder,
wie fast alles, was bisher mitgeteilt worden ist. Aber von den größten
Wirkungen ist sie, wenn sie beharrlich durchgeführt wird und wenn
der Mensch vermag, mit der nötigen intimen Stimmung sich ihr hinzugeben.
Man lege ein kleines Samenkorn einer Pflanze vor
sich hin. Es kommt darauf an, sich vor diesem unscheinbaren Ding die rechten
Gedanken intensiv zu machen und durch diese Gedanken gewisse Gefühle
zu entwickeln. Zuerst mache man sich klar, was man wirklich mit Augen sieht.
Man beschreibe für sich Form, Farbe und alle sonstigen Eigenschaften
des Samens. Dann überlege man folgendes. Aus diesem Samenkorn wird
eine vielgestaltige Pflanze entstehen, wenn es in die Erde gepflanzt wird.
Man vergegenwärtige sich diese Pflanze. Man baue sie sich in der Phantasie
auf. Und dann denke man: Was ich mir jetzt in meiner Phantasie vorstelle,
das werden die Kräfte der Erde und des Lichtes später wirklich
aus dem Samenkorn hervorlocken. Wenn ich ein künstlich geformtes Ding
vor mir hätte, das ganz täuschend dem Samenkorn nachgeahmt wäre,
so daß es meine Augen nicht von einem wahren unterscheiden könnten,
so würde keine Kraft der Erde und des Lichtes aus diesem eine Pflanze
hervorlocken. Wer sich diesen Gedanken ganz klar macht, wer ihn innerlich
erlebt, der wird sich auch den folgenden mit dem richtigen Gefühle
bilden können. Er wird sich sagen: in dem Samenkorn ruht schon
auf verborgene Art – als Kraft der ganzen Pflanze – das, was später
aus ihm herauswächst. In der künstlichen Nachahmung ruht diese
Kraft nicht. Und doch sind für meine Augen beide gleich. In
dem wirklichen Samenkorn ist also etwas unsichtbar enthalten, was
in der Nachahmung nicht ist. Auf dieses Unsichtbare lenke man nun Gefühl
und Gedanken. [Wer da einwenden wollte, daß bei einer
genaueren mikroskopischen Untersuchung sich ja doch die Nachahmung von
dem wirklichen Samenkorn unterscheide, der zeigte nur, daß er nicht
erfaßt hat, worauf es ankommt. Es handelt sich nicht darum, was man
genau wirklich in sinnenfälliger Weise vor sich hat, sondern darum,
daß man daran seelisch-geistige Kräfte entwickle.] Man
stelle sich vor: dieses Unsichtbare wird sich später in die sichtbare
Pflanze verwandeln, die ich in Gestalt und Farbe vor mir haben werde. Man
hänge dem Gedanken nach: das Unsichtbare wird sichtbar werden.
Könnte ich nicht denken, so könnte sich mir auch nicht
schon jetzt ankündigen, was erst später sichtbar werden wird.
Besonders deutlich sei es betont: Was man da denkt,
muß man auch intensiv fühlen. Man muß in Ruhe,
ohne alle störenden Beimischungen anderer Gedanken, den einen
oben angedeuteten in sich erleben. Und man muß sich Zeit lassen,
so daß sich der Gedanke und das Gefühl, die sich an ihn knüpfen,
gleichsam in die Seele einbohren. – Bringt man das in der rechten Weise
zustande, dann wird man nach einiger Zeit – vielleicht erst nach vielen
Versuchen – eine Kraft in sich verspüren. Und diese Kraft wird eine
neue Anschauung erschaffen. Das Samenkorn wird wie in einer kleinen Lichtwolke
eingeschlossen erscheinen. Es wird auf sinnlich–geistige Weise als eine
Art Flamme empfunden werden. Gegenüber der Mitte dieser Flamme
empfindet man so, wie man beim Eindruck der Farbe Lila empfindet;
gegenüber dem Rande, wie man der Farbe Bläulich gegenüber
empfindet. – Da erscheint das, was man vorher nicht gesehen hat und was
die Kraft des Gedankens und der Gefühle geschaffen hat, die man in
sich erregt hat. Was sinnlich unsichtbar war, die Pflanze, die erst später
sichtbar werden wird, das offenbart sich da auf geistig sichtbare Art.
Es ist begreiflich, daß mancher Mensch das
alles für Illusion halten wird. Viele werden sagen: «Was sollen
mir solche Gesichte, solche Phantasmen?» Und manche werden abfallen
und den Pfad nicht fortsetzen. Aber gerade darauf kommt es an: in diesen
schwierigen Punkten der menschlichen Entwickelung nicht Phantasie und geistige
Wirklichkeit miteinander zu verwechseln. Und ferner darauf, den Mut zu
haben, vorwärts zu dringen und nicht furchtsam und kleinmütig
zu werden. Auf der anderen Seite aber muß allerdings betont werden,
daß der gesunde Sinn, der Wahrheit und Täuschung unterscheidet,
fortwährend gepflegt werden muß. Der Mensch darf während
all dieser Übungen nie die volle bewußte Herrschaft über
sich selbst verlieren. So sicher, wie er über die Dinge und Vorgänge
des Alltagsiebens denkt, so muß er auch hier denken. Schlimm wäre
es, wenn er in Träumerei verfiele. Verstandeskiar, um nicht zu sagen:
nüchtern, muß er in jedem Augenblicke bleiben. Und der größte
Fehler wäre gemacht, wenn der Mensch durch solche Übungen sein
Gleichgewicht verlöre, wenn er abgehalten würde, so gesund und
klar über die Dinge des Alltagslebens zu urteilen, wie er das vorher
getan hat. Immer wieder soll sich der Geheimschüler daher prüfen,
ob er nicht etwa aus seinem Gleichgewicht herausgefallen ist, ob er derselbe
geblieben ist innerhalb der Verhältnisse, in denen er lebt. Festes
Ruhen in sich selbst, klarer Sinn für alles, das muß er sich
bewahren. Allerdings ist streng zu beachten, daß man sich nicht jeder
beliebigen Träumerei hingeben soll, sich nicht allen möglichen
Übungen überlassen soll. Die Gedankenrichtungen, die hier angegeben
werden, sind seit Urzeiten in den Geheimschulen erprobt und geübt.
Und nur solche werden hier mitgeteilt. Wer solche anderer Art anwenden
wollte, die er sich selbst bildet oder von denen er da oder dort hört
und liest, der muß in die Irre gehen und wird sich bald auf dem Pfade
uferloser Phantastik befinden.
Eine weitere Übung, die sich an die beschriebene
anzuschließen hat, ist die folgende. Man stelle sich einer Pflanze
gegenüber, die sich auf der Stufe der vollen Entwickelung befindet.
Nun erfülle man sich mit dem Gedanken, daß die Zeit kommen werde,
wo diese Pflanze abstirbt. Nichts wird von dem mehr sein, was ich jetzt
vor mir sehe. Aber diese Pflanze wird dann Samenkörner aus sich entwickelt
haben, die wieder zu neuen Pflanzen werden. Wieder werde ich gewahr, daß
in dem, was ich sehe, etwas verborgen ruht, was ich nicht sehe. Ich erfülle
mich ganz mit dem Gedanken: diese Pflanzengestalt mit ihren Farben wird
künftig nicht mehr sein. Aber die Vorstellung, daß sie Samen
bildet, lehrt mich, daß sie nicht in Nichts verschwinden werde. Was
sie vor dem Verschwinden bewahrt, kann ich jetzt ebensowenig mit Augen
sehen, wie ich früher die Pflanze im Samenkorn habe sehen können.
Es gibt also in ihr etwas, was ich nicht mit Augen sehe. Lasse ich
diesen Gedanken in mir leben und verbindet sich das entsprechende
Gefühl in mir mit ihm, dann entwickelt sich wieder, nach angemessener
Zeit, in meiner Seele eine Kraft, die zur neuen Anschauung wird.
Aus der Pflanze wächst wieder eine Art von geistiger Flammenbildung
heraus. Diese ist natürlich entsprechend größer als
die vorhin geschilderte. Die Flamme kann etwa in ihrem mittleren Teile
grünlichblau und an ihrem äußeren Rande gelblichrot empfunden
werden.
Es muß ausdrücklich betont werden, daß
man, was hier als «Farben» bezeichnet wird, nicht so
sieht, wie physische Augen die Farben sehen, sondern daß man durch
die geistige Wahrnehmung Ähnliches empfindet, wie wenn man
einen physischen Farbeneindruck hat. Geistig «blau» wahrnehmen
heißt etwas empfinden oder erfühlen, was ähnlich dem ist,
was man empfindet, wenn der Blick des physischen Auges auf der Farbe «Blau»
ruht. Dies muß berücksichtigen, wer allmählich wirklich
zu geistigen Wahrnehmungen aufsteigen will. Er erwartet sonst, im Geistigen
nur eine Wiederholung des Physischen zu finden. Das müßte ihn
auf das bitterste beirren.
Wer es dahin gebracht hat, solches geistig zu sehen,
hat viel gewonnen. Denn die Dinge enthüllen sich ihm nicht nur im
gegenwärtigen Sein, sondern auch in ihrem Entstehen und Vergehen.
Er fängt an, überall den Geist zu schauen, von dem die sinnlichen
Augen nichts wissen können. Und damit hat er die ersten Schritte dazu
getan, um allmählich durch eigene Anschauung hinter das Geheimnis
von Geburt und Tod zu kommen. Für die äußeren Sinne
entsteht ein Wesen bei der Geburt; es vergeht im Tode. Dies ist aber nur
deshalb, weil diese Sinne den verborgenen Geist des Wesens nicht wahrnehmen.
Für den Geist sind Geburt und Tod nur eine Verwandlung, wie das Hervorsprießen
der Blume aus der Knospe eine Verwandlung ist, die sich vor den sinnlichen
Augen abspielt. Will man das aber durch eigene Anschauung kennenlernen,
so muß man in der angedeuteten Art erst den geistigen Sinn dafür
erwecken.
Um gleich noch einen Einwand hinwegzunehmen, den
manche Menschen machen könnten, die einige seelische (psychische)
Erfahrung haben, sei dieses gesagt. Es soll gar nicht bestritten werden,
daß es kürzere, einfachere Wege gibt, daß manche aus eigener
Anschauung die Erscheinungen von Geburt und Tod kennenlernen, ohne erst
alles das, was hier beschrieben wird, durchgemacht zu haben. Es gibt eben
Menschen, welche bedeutende psychische Anlagen haben, die nur eines kleinen
Änstoßes bedürfen, um entwickelt zu werden. Aber das sind
Ausnahmen. Der hier angegebene Weg ist jedoch ein allgemeiner und sicherer.
Man kann sich ja auch einige chemische Kenntnisse auf einem ausnahmsweisen
Weg erwerben; will man aber Chemiker werden, dann muß man den allgemeinen
und sicheren Weg gehen.
Ein folgenschwerer Irrtum würde sich ergeben,
wenn jemand glauben wollte, er könne, um bequemer zum Ziele zu gelangen,
sich das besprochene Samenkörnchen oder die Pflanze bloß
vorstellen, bloß in der Phantasie vorhalten. Wer dies tut, kann
wohl auch zum Ziele kommen, doch nicht so sicher wie auf die angegebene
Art. Die Anschauung, zu der man kommt, wird in den meisten Fällen
nur ein Blendwerk der Phantasie sein. Bei ihr müßte dann die
Umwandlung in geistige Anschauung erst abgewartet werden. Denn darauf kommt
es an, daß nicht ich in bloßer Willkür mir Anschauungen
schaffe, sondern darauf, daß die Wirklichkeit sie in mir erschafft.
Aus den Tiefen meiner eigenen Seele muß die Wahrheit hervorquellen;
aber nicht mein gewöhnliches Ich darf selbst der Zauberer sein, der
die Wahrheit hervorlocken will, sondern die Wesen müssen dieser Zauberer
sein, deren geistige Wahrheit ich schauen will.
Hat der Mensch durch solcherlei Übungen in
sich die ersten Anfänge zu geistigen Anschauungen gefunden, so darf
er aufsteigen zur Betrachtung des Menschen selbst. Einfache Erscheinungen
des menschlichen Lebens müssen zunächst gewählt werden.
– Bevor man aber dazu schreitet, ist es notwendig, besonders ernstlich
an der vollen Lauterkeit seines moralischen Charakters zu arbeiten. Man
muß jeden Gedanken daran entfernen, daß man etwa auf diese
Art erlangte Erkenntnis zum persönlichen Eigennutz anwenden werde.
Man muß mit sich darüber einig sein, daß man niemals
eine Macht über seine Mitmenschen, die man etwa erlangen werde,
im Sinne des Bösen ausnutzen werde. Deshalb muß jeder, der Geheimnisse
über die menschliche Natur durch eigene Anschauung sucht, die goldene
Regel der wahren Geheimwissenschaften befolgen. Und diese goldene Regel
ist: wenn du einen Schritt vorwärts zu machen versuchst in
der Erkenntnis geheimer Wahrheiten, so mache zugleich drei vorwärts
in der Vervollkommnung deines Charakters zum Guten. – Wer diese Regel befolgt,
der kann solche Übungen machen, wie nunmehr eine beschrieben werden
soll.
Man vergegenwärtige sich einen Menschen, von
dem man einmal beobachtet hat, wie er nach irgendeiner Sache verlangt
hat. Auf die Begierde soll die Aufmerksamkeit gerichtet werden.
Am besten ist es, den Zeitpunkt in der Erinnerung wachzurufen, in dem die
Begierde am lebhaftesten war und in dem es ziemlich unentschieden war,
ob der Mensch das Verlangte erhalten werde oder nicht. Und nun gebe man
sich der Vorstellung an das, was man in der Erinnerung beobachtet, ganz
hin. Man stelle die denkbar größte innere Ruhe der eigenen Seele
her. Man versuche so viel, als nur möglich ist, blind und taub zu
sein für alles andere, was ringsherum vorgeht. Und man achte besonders
darauf, daß durch die angeregte Vorstellung in der Seele ein Gefühl
erwache. Dieses Gefühl lasse man in sich heraufziehen wie eine
Wolke, die an dem sonst ganz leeren Horizont heraufzieht. Es ist ja nun
natürlich, daß in der Regel die Beobachtung dadurch unterbrochen
wird, daß man den Menschen, auf den man die Aufmerksamkeit lenkt,
nicht lange genug in dem geschilderten Seelenzustand beobachtet hat. Man
wird wahrscheinlich Hunderte und aber Hunderte von vergeblichen Versuchen
anstellen. Man darf eben die Geduld nicht verlieren. Nach vielen Versuchen
wird man es dahin bringen, daß man in der eigenen Seele ein Gefühl
erlebt, das dem Seelenzustand des beobachteten Menschen entspricht. Dann
wird man aber auch nach einiger Zeit bemerken, daß durch dieses Gefühl
in der eigenen Seele eine Kraft erwächst, die zur geistigen Anschauung
des Seelenzustandes des anderen wird. Im Gesichtsfelde wird ein Bild
auftreten, das man wie etwas Leuchtendes empfindet. Und dieses geistig
leuchtende Bild ist die sogenannte astrale Verkörperung des beobachteten
Seelenzustandes der Begierde. Wieder als flammenähnlich empfunden
kann dieses Bild beschrieben werden. Es wird in der Mitte wie gelbrot sein
und am Rande wie rötlichblau oder lila empfunden werden. Viel kommt
darauf an, daß man mit solcher geistigen Anschauung zart umgehe.
Man tut am besten, wenn man zunächst zu niemand davon spricht als
nur etwa zu seinem Lehrer, wenn man einen solchen hat. Denn versucht man
eine solche Erscheinung durch ungeschickte Worte zu beschreiben, so gibt
man sich meistens argen Täuschungen hin. Man gebraucht die gewöhnlichen
Worte, die doch für solche Dinge nicht bestimmt und daher für
sie zu grob und schwerfällig sind. Die Folge ist dann, daß man
durch den eigenen Versuch, die Sache in Worte zu kleiden, verführt
wird, sich in die wahren Anschauungen allerlei Phantasieblendwerke hineinzumischen.
Wieder ist eine wichtige Regel für den Geheimschüler: Verstehe
über deine geistigen Gesichte zu schweigen. Ja, schweige sogar
vor dir selber darüber. Versuche nicht, was du im Geiste erschaust,
in Worte zu kleiden oder mit dem ungeschickten Verstande zu ergründen.
Gib dich unbefangen deiner geistigen Anschauung hin und störe sie
dir nicht durch vieles Nachdenken darüber. Denn du mußt bedenken,
daß dein Nachdenken anfangs ganz und gar nicht deinem Schauen gewachsen
ist. Dieses Nachdenken hast du dir in deinem bisherigen, bloß auf
die physisch–sinnliche Welt beschränkten Leben erworben; und was du
dir jetzt erwirbst, geht darüber hinaus. Suche also nicht, an das
neue Höhere den Maßstab des alten anzulegen. Nur wer schon einige
Festigkeit hat im Beobachten innerer Erfahrungen, der kann darüber
reden, um durch solches Reden seine Mitmenschen anzuregen.
Zu der beschriebenen Übung mag eine ergänzende
kommen. Man beobachte in der gleichen Art, wie einem Menschen die Befriedigung
irgendeines Wunsches, die Erfüllung einer Erwartung zuteil geworden
ist. Gebraucht man dabei dieselben Regeln und Vorsichten, die eben für
den anderen Fall angegeben worden sind, so wird man auch da zu einer geistigen
Anschauung gelangen. Man wird eine geistige Flammenbildung bemerken, die
in der Mitte als gelb sich fühlt und die wie mit einem grünlichen
Rande empfunden wird.
Leicht kann der Mensch durch solche Beobachtung
seiner Mitmenschen in einen moralischen Fehler verfallen. Er kann lieblos
werden. Daß dies nicht der Fall sei, muß eben mit allen nur
erdenkbaren Mitteln angestrebt werden. Beobachtet man so, dann soll man
eben durchaus schon auf der Höhe stehen, in der es einem zur völligen
Gewißheit geworden ist, daß Gedanken wirkliche Dinge
sind. Man darf sich da nicht mehr gestatten, über seinen Mitmenschen
so zu denken, daß die Gedanken mit der höchsten Achtung
der Menschenwürde und der Menschenfreiheit nicht verträglich
wären. Daß ein Mensch nur ein Beobachtungsobjekt für uns
sein könnte: dieser Gedanke darf uns nicht einen Augenblick erfüllen.
Hand in Hand mit jeder Geheimbeobachtung über die menschliche Natur
muß die Selbsterziehung dahin gehen, die volle Selbstgeltung eines
jeden Menschen uneingeschränkt zu schätzen und das als etwas
Heiliges, von uns Unantastbares – auch in Gedanken und Gefühlen –
zu betrachten, was in dem Menschen wohnt. Ein Gefühl von heiliger
Scheu vor allem Menschlichen, selbst wenn es nur als Erinnerung gedacht
wird, muß uns erfüllen.
Nur an den zwei Beispielen sollte vorläufig
hier gezeigt werden, wie man sich zur Erleuchtung über die menschliche
Natur durchringt. Daran konnte aber wenigstens der Weg gezeigt werden,
der zu betreten ist. Wer die notwendige innere Stille und Ruhe findet,
die zu solcher Beobachtung gehören, dessen Seele wird schon dadurch
eine große Verwandlung durchmachen. Das wird bald so weit gehen,
daß die innere Bereicherung, die sein Wesen erfährt, ihm Sicherheit
und Ruhe gibt auch in seinem äußeren Verhalten. Und dieses verwandelte
äußere Verhalten wird wieder zurückwirken auf seine Seele.
Und so wird er sich weiter helfen. Er wird Mittel und Wege finden, immer
mehr von der menschlichen Natur zu entdecken, was den äußeren
Sinnen verborgen ist; und er wird dann auch reif werden, einen Einblick
zu tun in die geheimnisvollen Zusammenhänge zwischen der Menschennatur
und all dem, was sonst noch im Weltall vorhanden ist. – Und auf diesem
Wege naht sich der Mensch immer mehr dem Zeitpunkte, wo er die ersten Schritte
der Einweihung bewerkstelligen kann. Bevor diese aber getan werden
können, ist noch eines notwendig. Es ist dies etwas, dessen Notwendigkeit
der Geheimschüler zunächst vielleicht am wenigsten einsehen wird.
Später aber wird er dies.
Was nämlich der Einzuweihende mitbringen muß,
ist ein in gewisser Beziehung ausgebildeter Mut und Furchtlosigkeit.
Der Geheimschüler muß geradezu die Gelegenheiten aufsuchen,
durch welche diese Tugenden ausgebildet werden. In der Geheimschulung sollten
sie ganz systematisch herangebildet werden. Aber auch das Leben selbst
ist namentlich nach dieser Richtung hin eine gute Geheimschule; vielleicht
die beste. Einer Gefahr ruhig ins Auge schauen, Schwierigkeiten ohne Zagen
überwinden wollen: solches muß der Geheimschüler können.
Er muß zum Beispiel einer Gefahr gegenüber sich sofort zu der
Empfindung aufraffen: meine Angst nützt nach gar keiner Seite; ich
darf sie gar nicht haben; ich muß nur an das denken, was zu tun ist.
Und er muß es so weit bringen, daß für Gelegenheiten,
in denen er vorher ängstlich war, «Angsthaben», «Mutlos-werden»
für ihn wenigstens im eigentlichen innersten Empfinden unmögliche
Dinge werden. Durch die Selbsterziehung nach dieser Richtung entwickelt
nämlich der Mensch in sich ganz bestimmte Kräfte, die er braucht,
wenn er in höhere Geheimnisse eingeweiht werden soll. So wie der physische
Mensch Nervenkraft braucht, um seine physischen Sinne zu benutzen, so bedarf
der seelische Mensch jener Kraft, die nur entwickelt wird in mutvollen
und furchtlosen Naturen. Wer zu den höheren Geheimnissen vordringt,
der sieht nämlich Dinge, welche dem gewöhnlichen Menschen durch
die Täuschungen der Sinne verborgen bleiben. Denn, wenn die physischen
Sinne uns auch die höhere Wahrheit nicht schauen lassen, so sind sie
eben dadurch auch des Menschen Wohltäter. Durch sie verbergen sich
für ihn Dinge, welche ihn, unvorbereitet, in maßlose Bestürzung
versetzen müßten, deren Anblick er nicht ertragen könnte.
Diesem Anblick muß der Geheimschüler gewachsen werden. Er verliert
gewisse Stützen in der Außenwelt, die er eben dem Umstande verdankte,
daß er in Täuschung befangen war. Es ist wirklich und buchstäblich
so, wie wenn man jemand auf eine Gefahr aufmerksam machte, in der er schon
lange geschwebt hat, von der er aber nichts gewußt hat. Vorher hatte
er keine Angst; jetzt aber, nachdem er weiß, überkommt ihn die
Angst, obwohl die Gefahr durch sein Wissen nicht größer geworden
ist.
Die Kräfte der Welt sind zerstörende und
aufbauende: das Schicksal der äußeren Wesenheiten ist Entstehen
und Vergehen. In das Wirken dieser Kräfte, in den Gang dieses Schicksals
soll der Wissende blicken. Der Schleier, der im gewöhnlichen Leben
vor den geistigen Augen liegt, soll entfernt werden. Der Mensch selbst
aber ist mit diesen Kräften, mit diesem Schicksal verwoben. In seiner
eigenen Natur sind zerstörende und aufbauende Kräfte. So unverhüllt
die anderen Dinge vor das sehende Auge des Wissenden treten, so unverhüllt
zeigt die eigene Seele sich selbst. Solcher Selbsterkenntnis gegenüber
darf der Geheimschüler nicht die Kraft verlieren. Und sie wird ihm
nur dann nicht fehlen, wenn er einen Überschuß an ihr mitbringt.
Damit dieses der Fall sei, muß er lernen, in schwierigen Lebensverhältnissen
die innere Ruhe und Sicherheit zu bewahren; er muß in sich ein starkes
Vertrauen in die guten Mächte des Daseins erziehen. Er muß darauf
gefaßt sein, daß manche Triebfedern ihn nicht mehr leiten werden,
die ihn bisher geleitet haben. Er wird ja einsehen müssen, daß
er bisher manches nur getan und gedacht hat, weil er in Unwissenheit befangen
war. Solche Gründe, wie er sie bisher gehabt, werden wegfallen. Er
hat manches aus Eitelkeit getan; er wird sehen, wie unsäglich wertlos
alle Eitelkeit für den Wissenden ist. Er hat manches aus Habsucht
getan; er wird gewahr werden, wie zerstörend alle Habsucht ist. Ganz
neue Triebfedern zum Handeln und Denken wird er entwickeln müssen.
Und eben dazu gehören Mut und Furchtlosigkeit.
Vorzüglich handelt es sich darum, im tiefsten
Innern des Gedankenlebens selbst diesen Mut und diese Furchtlosigkeit zu
pflegen. Der Geheimschüler muß lernen, über einen Mißerfolg
nicht zu verzagen. Er muß zu dem Gedanken fähig sein: «Ich
will vergessen, daß mir diese Sache schon wieder mißglückt
ist, und aufs neue versuchen, wie wenn nichts gewesen wäre.»
So ringt er sich durch zu der Überzeugung, daß die Kraftquellen
in der Welt, aus denen er schöpfen kann, unversieglich sind. Er strebt
immer wieder nach dem Geistigen, das ihn heben und tragen wird, wie oft
auch sein Irdisches sich als kraftlos und schwach erwiesen haben mag. Er
muß fähig sein, der Zukunft entgegenzuleben, und in diesem Streben
sich durch keine Erfahrung der Vergangenheit stören lassen. – Hat
der Mensch die geschilderten Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade,
dann ist er reif, die wahren Namen der Dinge zu erfahren, die der
Schlüssel zu dem höheren Wissen sind. Denn darin besteht die
Einweihung, daß man lernt, die Dinge der Welt bei demjenigen
Namen zu benennen, die sie im Geiste ihrer göttlichen Urheber haben.
In diesen ihren Namen liegen die Geheimnisse der Dinge. Deshalb sprechen
die Eingeweihten eine andere Sprache als Uneingeweihte, weil die ersteren
die Bezeichnung der Wesen nennen, durch welche diese selbst gemacht sind.
– Soweit von der Einweihung (Initiation) selbst gesprochen werden kann,
soll das im nächsten Kapitel folgen.
Rudolf
Steiner:
Wie erlangt man
Erkenntnisse der höheren Welten?
Vorrede 1909 : Vorrede
1914 : Nachwort 1918
Bedingungen : Innere
Ruhe
Die Stufen
der Einweihung
Die Vorbereitung : Die
Erleuchtung : Kontrolle
der Gedanken und Gefühle
Die Einweihung
Praktische Gesichtspunkte
Die Bedingungen zur
Geheimschulung
Über
einige Wirkungen der Einweihung
Veränderungen
im Traumleben des Geheimschülers
Die
Erlangung der Kontinuität des Bewußtseins
Die
Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung
Der Hüter der Schwelle
Leben und Tod : Der große
Hüter der Schwelle
*
* *
*
* *
*
°
pagina domestica editoris /
index / links /
lapsit exillis (index) * emaille?!
-
° Rgveda,
Yoga-Sutras,
Bhagavad-Gita;
Genesis, Johannes-Evangelium
.
-
° Thomas von Aquin:
Summa
Theol. prima pars qu.2: IST Gott? Fünf
Gottesbeweise
. – ° Jakob
Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang
. – ° Joh.Val.
Andreae: Chymische Hochzeit
Christiani Rosencreutz / Fama
Frat. / Confessio
Frat.
. – ° Novalis:
Die Lehrlinge zu Sais; Schelling: Die Weltalter (Einleitung)
. – ° Wolfram
/ Chretien / Wagner: Parzival/ Parsifal und der Gral
. – ° Feuerprobe
und Lebensschrift-Chiffre: Von dem Machandelboom
. – ° Anthroposophie-links
Verzeichnis
der Schriften und Lebenslauf Rudolf Steiners
Rudolf
Steiner : Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten : Die
Stufen der Einweihung