Ich weiß: Es gibt
nichts, was so sehr Geschmackssache ist wie Musik: zwischen eingängiger
Schlichtheit und exoterischer Abgehobenheit, zwischen rhythmischer Eindringlichkeit
und harmonischer Intelligenz, zwischen Bekanntheitsnähe und Überraschungsfremde.
Grundsätzlich lasse ich als Komposition nur "übrig", was mir
um Ohr bleibt, gänzlich (in allen Tönen!) aus dem Gedächtnis
wiederhergestellt werden kann und einen gewissen Anziehungs-Reiz hat. Ich
hoffe, nichts ist "dumm" bei all meiner Amateurhaftigkeit; ich selbst bevorzuge
die ersten vier dieser neun Stücke, auch das sechste und das achte.
Besonders empfohlen: Das
erste (BBBCCC).
Mit Schlagzeug wäre
natürlich alles eingängiger, gewürzter, getriebener und
treibender zugleich. Aber so muß alles für sich selbst sprechen,
ohne die übliche Gliedmaßenmaschine.
Die "Namen" nennen die ersten
Töne der jeweils ersten Hauptmotive, das war für mich konkreter
und leichter wiederzuerkennen als irgendwelche blumig-illustrativen Zuschreibungen.
1.
BBBCCC (6 min.) – Modulationstreppen-Motiv
im 3/8-Takt, später 4/4.
5
CBAsBAs (6 1/2 min.) – wuchtig-schwer
Also:
das erste, oder sonst eins von den ersten vier ...
grusz,
hansz
5.
Rundbrief 2004:Jeremia
Liebe
Freunde!
Neue Seite:
Jeremia 1,4-19, hebräisch, griechisch (Septuaginta), lateinisch (Vulgata),
deutsch (am hebr.Text orientiert):
http://12koerbe.de/phosphoros/jeremia.htm
"... Und wie von alters her im Stillen / ein Liebewerk nach eignem Willen
/ der Philosoph, der Dichter schuf ..." (Goethe, "Vermächtnis"),
so befasse ich mich seit einigen Tagen mit Paulus einerseits (Galaterbrief),
andererseits mit dem Künder Jirmejâhu (Jeremias). Sonst kam
mir Paulus immer etwas hart vor, aber jetzt staune ich erst über seine
Erlösungs-Ekstasen, und die theologischen Formeln, die auch bei aller
didaktischen Polarisierung so schwer zu verstehen sind, zeigen erst ihre
expressive Seligkeit, ihren Freiheitsjubel, ihre Erkenntnisfreude, wenn
sie mit dem alten Testament zusammengehalten werden, mit dem sie in ungeheurer
Spannung stehen; auf keinen Fall darf man die "Gesetzesüberwindung"
der Paulusbriefe in irgendeiner Weise schematisch nehmen, trotz der immer
wiederkehrenden Formulierungen, andernfalls böte der Heidenapostel
dümmliche Polemik, gedankenlose Oberflächlichkeit, wertloses
Sektierertum unter Mißachtung jahrtausendealter Erfahrung, verglichen
mit der gallenbitteren, medizinischen Sprachgewalt gerade des Jirmejâhu.
Wie läßt sich eine formalistische Oberflächlichkeit, eine
bloße Entwertung des Gesetzes (weil es ja nicht "gerecht" mache),
von erfahrungssattem Ernst unterscheiden? Wäre es nicht allzu albern,
sich mit paulinischen Sentenzen gegen den Schmerz der vielen geschichtlichen
Passionen und des leidgetränkten Untergangs, Todes, Vergessenwerdens
der vielen Völker, Kulturen, Städte, Erfahrungstöpfe und
Handlungssackgassen unempfindlich zu machen, der – gerade mal, ausnahmsweise,
ein seltener Fall – in den wenigen meteorischen Sternenstrichen
der hebräischen Prophetensprüche aufglimmt, bevor ihr Bewußtsein
verschwindet?
Die Oberflächlichkeit vieler Zuversichtler rührt, scheint mir,
daher, daß sie den bewußten Träger und Erfahrer allen
Leids als irgendeine uns äußere, fremde, für uns stellvertretend
einspringende Person ansehen, obwohl gerade Paulus (auf den man sich gerne
beruft) es immer und immer wieder und immer nur so zu fassen versucht,
daß er ihn durch uns hindurchgehen läßt, daß wir
ihn "anziehen", aufnehmen, als unser eigentliches Wesen innerhalb unserer
Handlungsverantwortung begreifen, so daß wir mit ihm gekreuzigt sind,
er mit uns empfindet, wir mit ihm sterben.
So auch die Katastrophe und Verzweiflung des zornigen Gottes im Jeremias-Buch:
Da toben die Gewalten des Krieges, der Verwüstung, drastisch und ungemildert,
jedes Fürbitten-Geeiere und -Geseiere bleibt ungehört: Strafe
für die Verehrung alter Götter und für das Vergessen der
Wachbewußtseinsquelle, des Ich-bin-der-ich-bin. Das traumverlorene
Getaumel der Gottvergessenen wird seiner eigenen Besoffenheit überlassen,
ist schon exiliert, bevor Nebukadnezar den Tempel plündert und zerstört.
Wachheit, Selbstverantwortung, liebevolle Sorgfalt der Lebensführung
und eine immer sich öffnende Lernbereitschaft zu halten, beizubehalten,
durchzuhalten, ist ein subtiler Akt, und den geistigen Schmerz und den
verzweifelten Zorn des Wachheitsverlustes überhaupt zu bemerken, ist
zu subtil, als daß es zur Sprache käme. Wie soll der sich im
Menschen suchende Geist die Berauschten wecken? An der historischen Katastrophe
wird die Besoffenheit erst bemerkbar; der Künder benennt den Verlust
der Wachheitsquelle als Ursache. Im Benennen der Ursache leuchtet die Ich-bin-Quelle
wieder auf, wie die Sonne in Abendwolken, brennende Streifen durch die
Kühle, Krähenscharen, Nacht.
Im Stillen (mein Liebewerk) ist alles, was ich in tagelanger Arbeit umgesetzt
habe, so ein winziges Nichts: Nicht das flüssige Metall der Jeremias-Verse,
nicht einmal eine Sammlung, ein Auszug davon, – nein, ich habe gerade
mal die "Berufungs"-Vision geschafft.
Dafür bin ich aber reich belohnt worden, weil ich die Mandelzweig-Stelle
entdecken durfte: Verankerung des mir so lieben Machandelboom-Märchens
hier, in Jeremias 1,11: Wer (beim Märchen) bei "Machandel" an "Mandel"
dachte, der findet sich hier per Beleg bestätigt; aber wer weiß,
das "Machandel" "Wacholder" bedeutet, gleichfalls: Das hebräische
Wort für "Mandelbaum" ist dem für "wachen, Wachsein" gleich:
"schoqed".
grusz, hansz
P.S.:
Machandelboom-Märchen:
http://12koerbe.de/phosphoros/machand.htm
Jeremia 1,4-19, hebräisch,
griechisch (Septuaginta), lateinisch (Vugata), deutsch (am hebr.Text orientiert):
http://12koerbe.de/phosphoros/jeremia.htm
6.
Rundbrief 2004: Jeremia, apokalyptische Prophetie
Liebe
Freunde!
Den fleißigen Jeremias-Lesern
im Hintergrund des Schüler-Bibelkreises am Gymnasium Augustum insbesondere
ist dieser Rundbrief und die frische
große neue Jeremias-Seite gewidmet, und natürlich auch allen
(inzwischen über 400) Empfängern dieser Mitteilungen hier.
Die hebräisch-griechisch-lateinisch-deutsche
Stellensammlung geht nun also über das Berufungskapitel
und die Mandel-wachend-Homonymie
des Jeremias-Anfangs
weit hinaus:
http://12koerbe.de/phosphoros/jeremia2.htm
und enthält Die
Braut (2,1-3); "Ich
schaute" (4,19-26); Der
wirkliche Gott (9,20-23; 10,10-13); Selbstverfluchung
des Künders (20,14-18); Zornwein
(25,15f. 27-38), also einige der bildkräftigsten, markantesten, explosivsten
Stellen des Jeremiasbuches. Die meiste Mühe machte mir die Transkription
des hebräischen Textes; dann natürlich auch die Übersetzung
(die wie immer nur als krude Arbeitshilfe zur eigenen Erschließung
des Hebräischen Textes gedacht ist) und Wort-für-Wort-Analogisierung
der vier Sprachen.
Menschen, die täglich
in die Tiefen Gottes eintauchen ("Was das Auge nicht gesehen ...", 1.Korinther
2,9.10), die das Christuswort (ins Bodenlose) ausloten, daß Gott
Geist ist, und diejenigen, die reflektierend, tätig oder per Mitmenschenfreundlichkeit
das Prinzip des 1. Johannesbriefes auslegen, daß Gott die Liebe ist,
stehen beim Verständnis des Jeremiastextes gewiß vor einigen
Aufgaben.
Wie ist die Eifersucht,
wie vor allem ist der heiß auflodernde Zorn zu verstehen, der in
diesen poetisch-verdichteten Parallelismen zum Ausdruck kommt?
Die Worte glühen geradezu
auf, eine verwandelnde Kraft durchstrahlt, durchjagt, durchweht die Schriftzüge,
so daß der sonst unsichtbare Geisthauch in ihnen sinnlich zum Ausdruck
kommt. Es ist wie bei einer Musik, in der die Sturmwoge die Klangwände
durchbiegt, die Spannungswogen bricht, durch die Töne hindurchzuatmen
scheint. Gerade in der vernichtenden Gewalt leuchtet die pure Tätigkeit
des Ich-bin-der-ich-bin auf, denn Tätigkeit, Tathandlung, Wille ist
zielgerichtete Veränderung all dessen, woran sich das Bewußtsein
betätigt, wo die Handlung hindurchgreift, worauf dieser Wille abzielt.
Kurz: Geist verwandelt; sei es, indem er alle Schuldschatten wegbrennt,
sei es, indem er sympathisch die Seelen durchfärbt, die sich ihm opfern,
dem reinen Opfer selbst.
Ich komme wieder (oder noch
immer) auf das Abendwolken-Bild des vorigen Rundbriefes zurück:
Niemand hat den Vater je gesehen,
sagt das Ende des Johannesprologs, obwohl doch die Prophetenbücher
den Gott Israels so konkret und dicht ausdrücken; aber das, was sich
so intensiv, bitter, scharf, heftig, gewaltig in unsere Sinne hinein-spricht,
eifersüchtig, zornig, dann wieder verzeihend, frisch, verliebt – ist
nicht der Vater selbst, sondern sein Wirken und Widerschein in den menschlichen
Seelen (besonders der Künder), in deren geschichtlichen Erfahrungen
(Schmerz, Krieg, Exil) und in den Naturgewalten (als Kunstwerk Gottes):
Die Ich-bin-Sonne tauchte bereits ins Meer hinab, doch oben schreien noch
die Wolken, verbrennen purpurn, verglühen; in der Osternacht erst
geht sie aus dem Tode neugeboren wieder auf. In den Propheten beginnt schon
ihre Passion, ihr Eintauchen in den Menschen, ihr Umschmelzen der Seelen.
Über das apokalyptische
Motiv vom Zornwein staune ich noch; ich habe den Mund noch nicht zu, könnte
hier deshalb noch nichts Verständliches dazu sagen (wenn ich das überhaupt
jemals könnte),
grusz,
hansz
7.
Rundbrief 2004: zu Passion und Ostern: Jesaja
Liebe
Freunde!
Nach dem Donnergrollen der
Jeremias-Gewitter
nun die hellen Blitzflammen
in Jesajas Initiation? Die Berufung des Propheten offenbart den himmlischen
Kultus, wie wir ihn mit den Anfangsbitten des Vaterunser in uns aufnehmen,
oder er uns in ihn. "Seraphim" bedeutet "Schlangen", aber auch "Gluten",
und von denen, die sich in Jesajas Offenbarung versenkt haben, so z.B.
von den Gestaltern der Messe ("Sursum corda ... vere dignum et iustum est
..." und darauf folgend das dreifache "Sanctus..."), vorher schon von Dionysius
Areopagita, dem Kirchenvater der neun Engelchöre (mit den Seraphim
als den gottnächsten und für das Licht des Allbewußten=Allliebenden=Allseienden
durchsichtigsten höchsten Wesen der Schöpfung), und auch durch
das Stigmatisierungserlebnis des sterbenstief in die Passion versenkten
Franziskus – von all diesen erfahren wir, daß es die Gluten
einer grenzenlos opferbereiten Liebe seien, die sich in den Seraphim darstelle.
Aus dem letzten Drittel
(Deuterojesajabzw. Tritojesaja) des hebräischen Buches habe ich die
berühmten "Gottesknecht"-Lieder transliteriert, mit Septuaginta und
Vulgata parallelisiert und dann der in allen drei klassischen Sprachschichten
konservierten Wortfolge entsprechend übertragen; eine wirklich übersetzende
Nach- oder Neudichtung entsteht dabei nicht, aber ich wollte (wie immer)
eher den Blick in den tiefen Wasserspiegel da unten offenhalten, als etwas
Wasser zu schöpfen, als Eigenes weiterzureichen und den Brunnen zu
schließen und zu verschweigen. Vielleicht bekommt irgendein unbekannter
Leser Geschmack an der dicht-konkreten Kürze des Hebräischen:
http://12koerbe.de/phosphoros/jesaja.htm
– Berufung, Immanuel-Sprüche
http://12koerbe.de/phosphoros/jesaja2.htm
– Gottesknecht-Lieder
Der Geist des Jesaja faßte
seine Inspiration in feinste Dichtung, in durch ihre Bilder kühn ausgreifende
Verse – ein Wunderwerk der Weltliteratur, Vergilisches "virgultum",
frisch ausgrünend. Die Inspirationsquelle offenbart ein immer Neues,
Junges, Aufkeimendes, das nicht alt wird.
Das ist der Prophet des
Christentums. Jesus selbst liest in Kapernaum die Stelle aus Kap. 61 vor:
Jeremias
vergleichsweise ist ein wahrer Moslem: Spannung von Gesetz und Strafe,
überbrückt durch die letztendliche Barmherzigkeit des zunächst
grenzenlos eifersüchtigen Gerichtsherrn. Die Evangelien zitieren gerne
die Propheten, in Erfüllung wie auch in Überwindung des alten
Gegenpols der Tradition, des Gesetzes; vor allem aber zitieren sie Jesaja,
denn in dessen Liedern kommt ein ganz neuer Sinn der Passion zu Bewußtsein:
das freiwillige Opfer des Schuldlosen, der die Folgen der Verfehlungen,
und zwar nicht nur die Schmerzsymptome, sondern die Krankheit selbst, auf
sich nimmt, mitträgt, durchträgt und eben durch die Freiwilligkeit
des Opfers – er ist ja schuldlos – seine heilende Liebe in
das Geschehen einfließen läßt. Die äußerlich
gesehen "passive" "Passion" wird durch die schuldlose Freiwilligkeit von
innen her aktiv ausgefüllt.
"Abdi", "mein Knecht" heißt
dieser Geduldsfleißige, wohnt im gesamten Volk wie eine allen gemeinsame
Seelensubstanz, reflektiert im prophetischen Dichter, wie ja auch das Leiden
des Kriegs und Exils und die verehrte Wachheitsquelle allen gemeinsam ist,
sei es, daß sie an ihr in gesetzgeleiteter Strenge orientiert sind,
sei es, daß sie ihren Verlust verschmerzen müssen; und er ist
innerhalb aller Leidgeprüften "der Mensch" schlechthin.
In diesem "Ecce homo" wartet
ein österlicher Keimling auf den Frühling, wie auch der 22. Psalm,
den der allen sichtbar gewordene Sichopfernde am Kreuz zitiert, eine Neugeburt
aus der Angst, dem Schrecken und der Bewährung des Betenden hervorgehen
läßt:
(Man beachte, wie die Sorgfalt
des prophetischen Bewußtseins geradezu "das Gras wachsen hört":
eine subtile Schöpfungs-Musik, die innerlich vernehmbar wird, bevor
sie durch die Zeitenkreise, Rhythmen und Schwingungen des äußeren
Lebens hindurchfließt und dort in vielfältigen Entwicklungszweigen
ausbricht:)
"Die ersten Frühlinge
– siehe: sie sind gekommen!
Und die jüngsten
Neulinge – ich künde sie an!
Bevor sie hervorsprießen
– hören lasse ich sie euch!"
"Ja:
wie das Erdland hervorführt seinen Sproß,
und
wie ein Garten seine Saaten aufsprießen läßt . . ."
grusz,
hansz
8.
Rundbrief 2004: Jesaja erweitert
Liebe
Freunde!
Von den wunderbaren Liedern
der Jesaja-Schule (wenn denn Deutero- und Tritojesaja wirklich Folgegenerationen
des großen Sehers sind, aber Geist fließt von Lehrer zu Schüler
und Schülersschüler todlos weiter) sind nun noch einige weitere
Stellen in die Sammlung aufgenommen worden, so daß sich da nun folgende
finden:
und
Ich habe also nicht bis
Weihnachten warten wollen, um die Immanuel-Sprüche hineinzunehmen,
die zum Teil ja schon auf der Wurzel-Jesse-Seite zum großen Westfassaden-Fenster
in Chartres mit dem Lebensbaum der Kabbala verglichen worden sind, da einige
der göttlichen Qualitäten, der Sephirot, unter den Bestimmungen
des "Kindes" auftauchen, wo sich ja auch die berühmten Parallelen
zu Vergils 4. Ekloge finden, das Immanuel-Zitat im Matthäusevangelium
nicht zu vergessen.
Und die Gottesknechtlieder
sind gleichfalls um einige Verse ergänzt: 42,1-9 nun erweitert bis
Vers 20: das "neue Lied", das Motiv des Gottes in Geburtswehen – oder
ist es dessen Selbstopfer in Abdi, "meinem Knecht"? oder der den sich mitteilenden
Gott austragende Prophet (vergleichbar einer entsprechenden Stelle bei
Jeremias), der sich in Nöten windet? Dieses Motiv ist ja im (auf diesen
Seiten zweisprachig veröffentlichten) Qumran-Psalm apokalyptisch-dramatisch
ausgestaltet, siehe
und wird auch im Johannesevangelium
(Joh 16,21) erwähnt:
Vor allem aber ist es gewiß
die konkrete Erfahrung jedes Gottbegeisterten. Auffällig bei Jesaja
die gewaltige Veränderungswelle, die das Bild durchatmet: erst der
kriegerisch ausfahrende Held, dann Geburtsdurchbruch der zurückgehaltenen
Kräfte, die dann aber alles Leben zur Wüste machen und austrocknen,
und dann die Führung der Blinden, denn – "Wer
ist blind – wenn nicht mein Knecht?", ein mehr als rätselhafter
Ausklang der Strophe, der Wandlungs-Sturzwoge dieses Gesangs. Modulationen,
Tonartwechsel, offen strandende Melodiespannungen – ? Geistige Blindheit,
mit der das Wachbewußtsein in den menschlichen Leib einzieht, körperliche
Verhärtung und Vertrocknung, an der das Bewußtsein aufwacht,
unter Verlust der alldurchdringenden paradiesischen Ahnung, der alten Gottes-Allgegenwart?
– "Abdi".
Hinzu kommt auch:
50,4. "Mein
Herr JHWH gab mir die Zunge eines limmud" –
aber was ist ein "limmud"?
Ein Schüler, aber es ist zugleich ein Gelehrter, einer, der ausgelernt
hat, wie z.B. Jeremias in seiner Berufungsvision, wo ihm von JHWH selbst
zertifiziert wird: "Gut hast du geschaut", nämlich richtig, mit prophetischem
Bewußtsein. Ein Schüler, der gelehrt, und ein Gelehrter, der
lernt, weiß: "summa scientia nihil scire", und die Substanz seines
ausgrünenden Wissens ist das immer neue Aufwachen selbst:
"daß ich wisse, zu ermuntern den Müden, die Rede weckt er am
Morgen,
am Morgen weckt er mir das Ohr, zu hören wie die Eingeweihten"
Soweit Jesaja.
Demnächst wird wohl
mit dem ersten Johannesbrief eine Apostelbriefserie anfangen, aber ich
möchte auch noch die Berufungsvision des Hesekiel (Ezechiel) neben
die des Jeremias und des Jesaja stellen, so daß die Querverbindungen
mit Jakob Böhmes Aurora und der Johannes-Apokalypse gelegt werden
können.
Verbindungen in dem Gewebe,
ach, was für eine unabsehbare Arbeit! Der Kasten mit den links auf
den Seiten unten muß dem entsprechend geändert werden, wieder
einmal.
Solange und soweit meine
Kräfte reichen,
grusz,
hansz
P.S.: Daß ich doch
hier in Görlitz fruchtbar mit den Schülern arbeiten könnte!
Daß hier nur eine Spur von Bibelarbeit möglich wäre! Aber
die christlich orientierten meiden mich wie die Pest, da ich ein bestallter
"Lehrer" bin. Fast möchte ich glauben, ich sei ein "limmud", siehe:
5. Mein Herr JHWH
öffnete mir das Ohr,
und ich – nicht widerstrebte ich; zurück nicht wich ich.
6. Meinen Rücken
gab ich den Schlagenden; und meine Kinnbacken den Raufenden;
aber ich weiß es besser.
Ich bins nicht.
9.
Rundbrief 2004: 1.Johannesbrief
Liebe
Freunde!
Bei Texten, die ein Höchstmaß
an Weisheit mit einem Mindestmaß an Worten vermitteln, bekommen die
einzelnen Wörter des scheinbar schlichten Textes eine schwer auszulotende
Bedeutungstiefe. Von der Art sind z.B. die beiden berühmtesten "Wort"-Gedichte
der Neuzeit: Eichendorffs Vierzeiler "Schläft ein Lied in allen Dingen"
und der zwölfzeilige österliche Zauberspruch des Novalis "Wenn
nicht mehr Zahlen und Figuren".
Aber viel schlichter noch
sind die Sentenzen des Johannesevangeliums und des Ersten Johannesbriefes,
in deren Beginn es jeweils um eben den Logos geht, (der von der Vulgata
an mit "Wort", verbum, übersetzt wird).
Für das Johannesevangelium
habe ich seinerzeit "Sinn"
vorgeschlagen, da dort der "Logos" absolut, ich meine damit: ohne Genetivattribut,
steht; so ist dieses Wort sein eigener Sinn und dadurch zugleich die Sinnentfaltung
des Ganzen, der väterlichen archê, in der die Prototypen
der Schöpfung verborgen liegen, die durch den schöpferischen
Logos hervorgebracht werden, leben und einander erkennen.
Im Brief, gleich im ersten
Satz, wird der Logos als das "Wort des Lebens" konkreter bestimmt;
und noch dichter, noch bestimmter: Er erfüllte alle Sinne des Erfahrenden,
sogar den Tastsinn! Dieses Erfahren von innen her, aber "bis an den Rand"
aller Sinne, bis an die Kommunikations-Schwelle der Außenwelt, charakterisiert
die Auferstehungserlebnisse der Evangelien; zwischen den schriftauslegenden
Gesprächspartnern geht eine neue Welt auf, spricht sich das Wort neu
aus, nährt Fische- und Brot-mit-teilend die Auslegenden.
Der erste Johannesbrief
ist das an Schlichtheit des Wortschatzes bei unauslotbarer Weisheit des
Inhalts unüberbietbare Herz der Apostelbriefe und mit seinen beiden
Definitionen Gottes (zu ergänzen um eine dritte, nämlich die
Gottesbestimmung Jesu
im Gespräch mit der Samariterin am Brunnen: "Pneuma
ho Theos": "Gott ist Geist")
1,5: "ho Theos phôs
estin" –
"Gott ist Licht"
und 4,16:
"ho Theos agapê estin" –
"Gott ist Liebe"
das Herz der Bibel insgesamt,
ja ich sage: der zahllosen heiligen Texte der Weltliteratur überhaupt!
– soweit der alles erforschende Geisthauch (1.Kor
2,9 f) sie durchatmet.
Ich weiß nicht, warum
diese ehrfurchtsvolle Versenkung in den Namen Gottes so selten ist in allen
Schriften, die dem Brief vorausgegangen sind (wie die Charakteristiken
Gottes im Alten Testament) oder später sind, aber den Charakter des
"älteren" haben (wie der Koran). Vielleicht deshalb, weil Liebe im
Bewußtsein der Menschheit erst sehr jung ist, überhaupt noch
selten ist, vielleicht auch noch gar nicht in Reinheit zutage kommt? Sie
ist durch Passionen verhüllt, verwirklicht sich wohl am begierdelosesten
in Freundschaft, in ihrer gefühlten Substanz und Begeisterung gewiß
in aller Verliebtheit, mit der sie deshalb (im Deutschen) auch den Namen
gemeinsam hat. Ich erinnere mich hier an die unerfüllte, rasende Verliebtheit
JHWHs im Brautgleichnis Jeremias 2,1-3, Abendwolkenglut, Wiederschein der
erwartungslos-wachen Sonne unter dem Horizont; darauf antworten die Bräutigamgleichnisse
des Neuen Testaments. Daß die Verliebtheit Gottes in den Menschen
eine unendliche Sehnsucht ist, deren Erfüllung in Unerfüllbarkeit
aufgeht, offenbart Novalis in der "Hymne" der "Geistlichen Lieder", Nr.
7 ("Wenige kennen das Geheimnis der Liebe, fühlen Unersättlichkeit
und ewigen Durst ...") (http://12koerbe.de/lapsitexillis/hymne.htm)
(Nebenbei auch: "Sonne,
die mit ihrem Blick",
http://12koerbe.de/hansz/3iseut.htm#Sonne)
Im Johannesbrief ist sie
das In-ein-ander des im Bewußtsein seiner Sünden demutvoll Betenden
mit dem, der den Betenden erlösend durchlebt; das Schlüsselwort
ist "menein",
"im Bewußtsein bleiben". Der ganze Kreis der Meditation (ein Möbiusband,
d.h. Verwandlung vor dem Kreisschluß des Satzes) lautet:
Und
auch wir haben erkannt
und
haben uns betend versenkt
in
die Liebe, die Gott für uns im Bewußtsein hat:
und wer
bewußt in der Liebe bleibt,
bleibt
in Gott bewußt,
und Gott
bleibt in ihm bewußt.
grusz,
hansz
10.
Rundbrief 2004: Troia, Hesekiel, Paulus
26.Mai 2004
Liebe
Freunde!
Heute ein dreifacher Rundbrief:
1. Der Troia-Film – endlich!
Ich habe ihn sehnsüchtig erwartet, seit ich in den Vorschauen (er
wurde ja massiv beworben) die Invasions-Armada (in etwa zitiert aus "Der
längste Tag") auf der Leinwand-Ägäis gesehen habe, was für
ein Bild! Gibt es überhaupt irgendeinen Vorläufer, eine bedeutende
Ilias-Verfilmung aus früheren Jahrzehnten? Der Ilias-Ausschnitt des
Krieges nimmt durchaus den größten Teil dieses Films ein, das
ist eine tiefe Verbeugung des Regisseurs vor Homer, und hier meine tiefe
Verbeugung vor Wolfgang Petersen!
Es ist also keine ästhetisierende
Kritiksucht oder Schulmeisterei, wenn ich doch den Homer in die andere
Waagschale werfe: Mit der Beschränkung auf den "Zorn des Achilles"
(der sich gekränkt vom Kampf zurückzieht, ja darin besteht sein
Zorn: eben NICHT mehr Trojaner abschlachten zu wollen; der dann aber, weil
sein Mignon Patroklos von Hektor getötet wird, rachedurstig in den
Kampf zurückkehrt, und so endet die Ilias mit Hektors Bestattung,
nicht etwa mit dem Pferd) und mit seinem fulminanten Einstiegskapitel ist
Homer der geschicktere, gerafftere, modernere, spannendere, einfach der
bessere Erzähler, z.B. in der Steigerungskurve der Pest-Episode (1,46
ff): Apollo eilt hinab, Bogen und Köcher über den Schultern,
–
"und
bei jedem Schritt erklangen drinnen die Pfeile
an des Grollenden Schultern; so stieg er nieder, der Nacht gleich.
Und er kniete fern von den Schiffen und sandte den Pfeil aus;
furchtbar dröhnte dabei der Klang des silbernen Bogens.
Und er erlegte zuerst Maultiere und hurtige Hunde,
doch dann, zielend gegen sie selbst mit dem spitzigen Pfeile,
schoß er, und immer brannten zuhauf die Feuer der Toten."
Kunst des Weglassens bei
Homer, Sprung in die Folge, aus der das Weggelassene (der Pesttod der vielen
Menschen) mit um so größerem Schrecken deutlich wird.
Dann bedauert ein Homerbegeisterter
wie ich, daß der gute Petersen die Götterhälfte der Ilias
einfach gestrichen hat. Reflexionen über den Sinn des Kämpfens
sind an deren Stelle getreten, also Reflexionen des 20. Jahrhunderts, aber
die Kämpfe um die "heilige Stadt" sind bei Homer doch von Anfang an
mit der Götterwelt verknüpft (siehe das zitierte Beispiel). Es
ist, als streiche man aus einem Bild alle helleren Farben oder aus einer
Sinfonie alle Streicher.
Sehr gut: die bei den Griechen
immer gern zitierte, dargestellte und verarbeitete Liebe von Hektor und
Andromachê, das Thema "Abschied der Andromachê", wo jeder weiß,
daß der verantwortungsbewußte Bruder des Helenaentführers
Paris den Kampf mit Achilles wohl kaum überleben wird: das erzählt
eben auch der Film, mit einer Andromachê, die vielleicht die Helena
an Anmut übertrifft.
2. Was ist (per me) neu
im Netz? Zunächst einmal der dritte der großen Propheten, Hesekiel
(Ezechiel):
http://12koerbe.de/phosphoros/hesekiel.htm
Die Thronvision mit den
vier ZÔIA (rechts-südlich der Löwe, links-nördlich
der Stier, unbestimmt in der Ost-West-Achse bzw. vorne-hinten also Adler
und Mensch; diese vier entsprechen einem Kreuz durch die zwölf Zeichen
des Zodiakus mit dem jeweils zentralen Zeichen der vier Jahreszeiten) und
den belebten Rädern voller Augen. Je älter die Darstellungen
himmlischer Wesen sind, desto tierartiger erscheinen sie, und die Menschengestalt
der Engel kämpft sich erst allmählich durch, befreit sich, bereinigt
sich erst im Laufe des 1. Jahrtausends vor Christus von den tiergewaltig-expressiven
Ausgestaltungen der untergründigen Seelenkräfte. Aber menschengestaltig
thront auch schon der sich-Seiende selbst über den vier ZÔIA
und ihren geistbelebten Himmelsrädern.
3. nach dem 1.Johannesbrief
nun der 1.Korintherbrief des Paulus (Kap.1/2 und die berühmten Kap.12-15):
http://12koerbe.de/euangeleion/paul-krt.htm#was
das Auge nicht gesehen
Nebenbei bemerkt: Im ganzen
Qur'ân (Koran) habe ich bisher noch kein Kopftuchgebot für Frauen
gefunden, aber bei Paulus himself, 1.Kor 11,2-16; vielleicht nimmt das
Frau Schawan demnächst in die "christlichen Grundlagen" der baden-württembergischen
Verfassung und ihres Schulgesetzes auf?
Und desweiteren: Im 2.Korintherbrief
vertritt dieser Paulus doch durch die Bank weg die pure "Werkgerechtigkeit",
wie sie ja durchaus auch den Evangelien entspricht; ein Widerspruch zu
dem von Luther vereinnahmten Römerbrief ist das aber eigentlich noch
nicht, da hier wie dort der Auferstandene selbst es ist, der im wahren,
verantwortungsernsten Ich (nicht im damit gern verwechselten Empfindungs-
oder Wunschbild vom Ich) der Menschen wirkt und per se als Tätigkeitsquelle
deren Individualität durchlebt; denn auch die "ZÔÊ" des
Johannesbriefes und des Johannesevangeliums ("Leben") ist pure opferfreudige
Handlung, Wandlung, Tätigkeit in sich, reine Beflissenheit, Bienenemsigkeit
in ihrer dichtesten Intensität, in ihrer innigsten Hingegebenheit;
und der Auferstandene – Paulus sagt immer "der Christus in mir"
– geht durch die Menschen hindurch, bleibt nicht wie ein Fremder außen
vor.
Im 1.Korintherbrief, im
12. bis 15. Kapitel dieses Briefes, geht Paulus weiter: Da zeigt er, daß
der Auferstandene nicht nur im lebendigen Handlungsquell der Menschen aufgeht,
sondern besonders auch ZWISCHEN den Menschen, die mit ihren jeweiligen
Begabungen einander ergänzen und so ein nach den Persönlichkeiten
differenziertes Miteinander entfalten. Dieses Miteinander belebt all diese
Persönlichkeiten mit ihren geistigen Begabungen als Organe des Christus.
Das ist etwas ganz anderes,
als der übliche üble Frontalunterricht der harten Kirchenbank,
wo man sich bepredigen lassen muß und zwischendrin traurige Lieder
mit schlechten Texten singt. Wir Philologen sind jener Spiralpackung der
Begabungen, wo die Menschen im Kreis reihum einander den SINN mitteilen,
vielleicht sogar näher: Denn Paulus beschreibt insbesondere die Aufgabenteilung
zwischen den spontan in "Zungen" (=Sprachen) übersprudelnden (pardon)
Hip-hop-Rappern der Antike und denen, die deren Orakelsprüche ins
Verständliche übersetzen konnten. Durch die verschiedenen Tätigkeiten
und Fähigkeiten strömt die Erkenntnis hindurch, die Begeisterung,
vor allem aber (weil sonst alles sinnlos wäre) die nüchtern-bewußte
Zuneigung, Quelle aller Charakterstärke.
Frohe Pfingsten!
grusz,
hansz
11.
Rundbrief 2004: Immanuel Kant; Indien
12.Juli
2004
Liebe
Freunde!
Kants Erkenntnistheorie
ist auch heute noch "unerhört": Seine Beweise der transzendentalen
Idealität des Raumes und der Zeit (als "reiner Anschauungsformen")
sind kaum ins allgemeine Weltverständnis gedrungen; sie fordern noch
immer die philosophische Durcharbeitung unserer Gesamterfahrung heraus:
Ist es denn denkbar, vorstellbar, nachvollziehbar, daß all das, was
uns durch die Kanäle der Sinne reizt und von uns begrifflich als "Dinge,
Ereignisse, Weltzusammenhänge" interpretiert wird – daß eben
all das, was wir als Wirklichkeit verstehen – uns nur räumlich
erscheint, aber gar keine von uns unabhängige eigene Räumlichkeit
hat? Und daß all das, was unsere Binnengespräche mit Empfindung
füllt, sein zeitliches Nacheinander erst in der Selbst-Auseinandersetzung
des Bewußtseins erhält, in der einen Dimension des inneren Sinns?
Ganz fremd ist uns der Gedanke
allerdins nicht mehr, seit wir Bilder und Musik auf Träger konzentrieren
können, eindimensional digitalisiert, und die wiederum mehrdimensionale
Projektion und Wiederverzeitlichung der zuvor ins Extrem der binären
Bitfolgen abstrahierten "Daten" nachvollziehen können. Leichthin erklären
wir das Gehirn zum Rechner, der die Myriaden Daten, mit denen ihn die Sinnesrezeptoren
gefüttert haben, wie ein DVD-Spieler verräumlicht und verzeitlicht;
nur daß Gehirne selbst vor dem Auge jedes äußeren Betrachters
1. Dinge der Raumwelt sind
(also den Raum voraussetzen und selbst zur Erscheinungswelt gehören)
und
2. dem äußeren
Betrachter keinen Gedanken und keine Empfindungen aufdecken, die ihre Bahnen
durchkreuzen (das nennt man die "absolute Privatheit" der Empfindungen
und aller Bewußtseinsregungen überhaupt, z.B. auch der Erinnerungen:
Sie sind nicht eigentlich mitteilbar oder austauschbar; sie bilden die
Eigenwelt, den "Weltinnenraum" des Individuums).
Gewiß enthält das,
was dem äußeren Betrachter als Gehirn erscheint, in seiner (unter
dem Erscheinungsbild) verborgenen Eigenwirklichkeit das Organ, das die
empfangenen Daten selektiert, interpretiert und zu einer ganzen sinnlichen,
räumlichen und zeitlichen Welt entfaltet; (und damit zugleich eine
Intelligenz, die unsere individuelle weit übersteigt).
Wir denken, empfinden, bewegen
uns mittels des Gehirns, nehmen es selbst dabei aber nicht wahr, so wie
sich das Auge auch nicht selbst sieht, es sei denn, man schaut in einen
Spiegel. Beim Blick in den Spiegel sieht man eben diesen selbst kaum (wenn
er klar ist); eben auch so könnte man das Gehirn als leiblichen Individualisierungs-Spiegel
des Bewußtseins ansehen, zumindest als dessen Medium (wie die Sinnesorgane
Medium bzw. Kanal der Wahrnehmungen sind). Das Gehirn denkt so wenig, wie
das Auge selbst sieht oder das Ohr hört.
Kant spricht also nicht
vom Gehirn, wenn er die Wurzelbedingungen unseres Bewußtseins aufzeigt
(und braucht deshalb nicht auf das uns erscheinende Objekt namens "Gehirn"
Bezug zu nehmen), sondern von apriorischen Voraussetzungen aller Erfahrung.
Immer, wenn etwas nicht weggedacht werden kann und für alle Erfahrung
ohne Ausnahme gilt, zeigt sich die entsprechende Instanz als "a priori",
als Voraussetzung aller Erfahrung, als organhafte Binnenstruktur unsereres
Bewußtseins, durch die Erfahrung erst möglich wird. Das Subjekt
strahlt gewissermaßen reine Objektivität (allgemeingültig
für alle Objekte) aus, die einzelnen Erfahrungs-Objekte dagegen sind
bloß subjektiv, jeweilig, situationsbedingt.
In diesem "objektivierenden"
Subjekt, unter den nicht wegdenkbaren Bewußtseinsstrukturen, finden
sich z.B. Raum und Zeit: Etwas in uns verräumlicht alle äußeren
und verzeitlicht überhaupt alle sinnlichen Daten; dieses Etwas nennt
Kant "reine Anschauungsformen". Ihre Allgemeingültigkeit und Erfahrungsunabhängigkeit
zeigt sich in Geometrie und Arithmetik (so ja schon seit Platons
"Menon", wo der apriorische Charakter, die innere "Längst-Vorhandenheit"
der Ideen gerade mittels eines geometrischen Beispiels bewiesen wird).
Sie sind aber keine Allgemeinbegriffe (wie die gleichfalls unwegdenkbaren
Kategorien); ihr Anschauungs-Charakter zeigt sich in ihrer allumfassenden
Einzigkeit und darin, daß sie die kontinuierliche Matrix aller sinnlichen
Anschauung bilden, gewissermaßen ihren Hintergrund, ihren Projektionsschirm.
Womit wir wieder bei der Analogie mit moderneren Informationsverarbeitungs-Apparaten
gelandet wären...
Hinzugefügt zu den
Beweisen der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit habe ich
noch die vier Antinomien aus der Kritik der reinen Vernunft,
vier Paare einander jeweils
widersprechender Beweise:
Neu ist auch ein kleiner
Versuch zur Frage "Entfaltet der Sohn die Werke des Vaters auch in der
Natur?", wo es vor allem um das Schöpfungskonzept des Johannesevangeliums
geht. Irgendwie, scheint mir, hat es etwas mit der transzendentalen Idealität
von Raum und Zeit zu tun, aber wohin kann man denn schon entfliehen, um
nichts damit zu tun zu haben? In außerräumliche Räume etwa?
in außerzeitliche Zeiten? ...
Ad Indias! – morgen früh
fliegen wir davon, hinaus in die bewußtseinsimmanenten Raumesweiten...
mag sich der Jet interpretatorisch hindurchbohren durch die auf ihn eindrängenden
atmophärischen Daten... bis Mumbai ihm entgegenkommt, so tauchen wir
in die Waschküche des Monsun hinein... werden einige Tage später
nach Pune zu Umas Familie und dann für zwei Wochen nach Delhi, Agra
(um endlich, endlich einmal das Taj Mahal zu sehen!) und nach Rajasthan
reisen, wo die Hitze wohl kaum durch solche Regenfluten gedämpft wird,
wie in Maharashtra.
Wer gedanklich mitfliegen
will, der lese Uma Zimmermanns Bericht von der "Indischen Hochzeit" ihrer
Nichte Rashmi, die vor zwei Jahren geheiratet hat; eine amüsante und
aufschlußreiche Erzählung zwischen den Kulturen:
grusz,
hansz
12.
Rundbrief 2004: Indien, Ajanta und Taj Mahal
25.8.2004
Liebe
Freunde!
Zurück aus dem Monsun,
aus dem Gewühl von Mumbai, mit dem die Indienreise begann und mit
dem sie endete, versuche ich, etwas von dem Vielen der vier Wochen mitteilbar
zu machen. Ich wollte und möchte auch noch demnächst gerade den
indischen städtischen Alltag zeigen, obwohl Lärm, Gerüche
und Hitze nur in der Art von Ahnungen und flüchtigen Erinnerungen
aus den Bildern aufsteigen. Ein Tonbandgerät ist viel geeigneter;
ich liebe die Rufe der Muezzins, wenn der Himmel zu fahlen beginnt, die
Melodien wie arabische Schriftzüge in gedehnten Bögen und schnellen
Schleifen.
Zwei Bildergalerien sind
nun im Netz, zuerst nun Ajanta:
http://12koerbe.de/hanumans/ajanta.htm
Da sieht man einige Wandbilder
der buddhistischen Höhlenklöster, die in Ajanta in den Trapp-Basalt
gegraben wurden: Hallen mit quadratischem Grundriß, an den drei Seiten
(ohne die Seite des Eingangsportals) reiht sich Zelle an Zelle, in denen
die Mönche meditierten und schliefen. Die Wände sind über
und über mit Szenen aus den früheren Inkarnationen des Buddha
bemalt (die entsprechende Legenden heißen "Jatakas"); in der ersten
Höhlenkammer findet sich auch das berühmte Bild von Padmapani
("Lotus-Hand"), der die Erleuchtung des Buddha hat, aber aus Mitleid für
die Mitmenschen darauf verzichtet, in das Nirvana einzugehen, um ihnen
zu helfen, beizustehen, noch bis in die Höllengluten hinab ihnen Kühlung
und Trost zu spenden: ein "Bodhisattva" reinsten Wassers. Die flache Decke
dieser Höhlenkammer war wie in Kassetten (hier aber ohne Vertiefung)
in Quadrate gegliedert, deren jedes ein wunderbares Bild zeigte, und ich
fand dort auch ein Bild aus meinem Schullesebuch der 6. oder 7. Klasse
wieder: einen rosigen Elephanten in einem Lotosteich. Damals wunderte ich
mich über die Fehlfarben-Realitätsverschiebung, aber hier, in
Ajanta, zeigte sich der Zusammenhang mit dem Buddha vor seiner (letzten)
Geburt: seine noch ungeborene große Seele wird als Elephant dargestellt,
und so erscheint er ja auch seiner Mutter Maya im Traum und kündigt
die Schwangerschaft an. Schade, daß es keine umfassende Dokumentation
von diesen Bildern gibt bzw. daß die entsprechenden Versuche bisher
gescheitert sind.
Die andere Bildergalerie
zeigt die "Krone des Palastes", das Taj Mahal: 1631-1638
für Arjumand Banu Begam ("Mumtaz Mahal", "Erwählte des Palastes"),
die 1631 bei der Geburt ihres 14. Kindes starb, erbaut gemäß
den Plänen des Moghul-Kaisers Shah-Jahan ("Herr der Welt", 1628-1658),
der selbst in diesem Mausoleum neben seiner Gattin begraben liegt.
http://12koerbe.de/bienengold/tajmahal.htm
Man betritt die Gartenanlage
des Grabmals von Süden durch ein Portal aus rotem Sandstein (typisch
für die Bauten der Moghulkaiser, etwa in den roten Forts von Delhi,
Agra und Fatehpur Sikri) und hellem Marmor mit bunten Intarsien.
Aus weißlichem Marmor
mit eingelegten Achat-, Karneol-, Jade- und Lapislazuli-Blütenborten
und mit feinen Blumenreliefs in den Seitenflächen der Torbögen
und Außennischen besteht auch das das oktogonale, von der großen
Knospe der Zwiebelkuppel überwölbte Mausoleum der "Mumtaz Mahal"
und des "Shah-Jahan", das Taj Mahal: eine liebesüße Frucht,
die ihre Blüte (die "Mumtaz"), ihren nährenden Baum, ja ihren
Schöpfer selbst umkammert; ein Gehäuse, dessen innerste Kerne
(die "Erwählte" und ihr traurig-verträumter, von Aurangzeb gestürzter
Gatte), die Füße nach Süden, den Kopf nach Norden, das
Gesicht nach Westen gen Mekka gewandt, den "jawm
ad-dini", den jüngsten Tag, erwarten, an dem die Menschen aus
dem Erdenschlummer hervorbrechen und zum ewigen Frühling des Paradieses
auskeimen. Dieser Hoffnung geben die kalligraphischen Spruchbänder
mit Koranversen über die Auferstehung und das Paradies Ausdruck, die
außen die großen Torbogen-Nischen der Hauptseiten in den vier
Himmelsrichtungen und innen alle acht Wandflächen des oktogonalen
Zentralbaus umrahmen.
grusz,
hansz
13.
Rundbrief 2004: einige Bilder von der Indienreise
4.9.2004
Liebe
Freunde!
Von den Hunderten der Bilder,
die wir in der Indienreise dieses Sommers geschossen haben, stelle ich
nur eine kleine Auswahl
ins Netz, in chronologischer Folge:
die regenverhangenen Westghats
(Monsun zum Quadrat),
Ajanta und Ellora (nur als
Hinweis auf die bereits veröffentlichte Ajanta-Seite),
Straßenbilder aus
Pune, das den neugierigen Lesern durch die
"Indische Hochzeit", die meine Frau geschrieben hat, als Wohnort der
Familie bekannt ist,
Alt-Delhi mit dem Qutb al-Minar,
Bauten aus dem 13.Jhd., als dort die Mamluken-Sultane über Nordindien
herrschten,
Agra (mit "Daumennägeln"
zur bereits veröffentlichten Taj-Mahal-Seite),
Fatehpur-Sikri, der kurzzeitige,
aber groß angelegte Palast Akbars, der einen weisen Ausgleich, ja
eine wohldurchdiskutierte Synthese von Islam und Hinduismus gesucht hat
und das Grabmal eines Sufi-Heiligen im Zentrum des Palastes bauen ließ,
ein Mausoleum mit Marmorwänden, die zu überaus feinen Gittern
durchbrochen sind;
Haridvar (Pilgerstadt an
der Ganga),
von Rajasthan nur zwei Bilder
aus Jaipur, zunächst noch ohne die Photos aus unserer Lieblingsstadt
Udaipur.
Vielleicht sprechen die
Bilder für sich selbst, wenn man auch beachten muß, daß
alles Heilige der Hindus auf Sprache und Text der vedischen Phase und auf
der Diskussion mit der Philosophie der Buddhisten basiert, und daß
die üppigen Skulpturen der Tempel erst mit dem nachbuddhistischen
Hinduismus ins Kraut schießen; und daß andererseits die Formensprache
islamischer Bauten durch das Bilderverbot streng bleibt: Die Schrift hat
auch dort den Vorrang.
Welch eine Auseinandersetzung
über die Jahrhunderte, wo sich ein größerer Gegensatz als
zwischen dem bilder- und mythenreichen Hinduismus und dem abstrakten Monotheismus
des Islam kaum denken läßt, obwohl gerade die Alleinheitsphilosophie
des Vedanta sich mit dem alleinigen Gott der Sufis in der Mystik zusammenschließt,
wie ja gerade Akbar und sein Heiliger Chisti immer betont haben.
Ich bedaure, in meinem Studium
nicht Hindi und Arabisch gelernt zu haben: Zwar kommen mir manche arabischen
Begriffe vom Hebräischen her bekannt vor (wie ja auch der Koran eine
dem alten Testament verwandte Prophetensprache pflegt), und zwar bildet
Sanskrit die allzu alte, allzu entfernte Ausgangsbasis der nordindischen
Sprachen, aber der große islamische Spitzbogen, wo die beiden Sprachäste
sich in persich-indischer Lyrik und Mystik in den Urdu-Dichtungen vereinigen,
bleibt mir unerschlossen. Das ist der Angelpunkt des Entzückens, von
dem Goethes West-östlicher Diwan seinen Ausgang nimmt. Aber ich kann
noch nicht einmal die arabischen Koranverse auf den Türrahmen des
Taj Mahal lesen!
Mit Seufzen und Bedauern,
grusz,
hansz