als eifrigem Deutschlandfunk-Hörer fällt mir auf, daß in den Religionssendungen (d.h. in "Tag für Tag", heute aber auch in der Morgenandacht) im Blick auf die Weltreligionen eine (gewiß zu Recht) perspektivische Verzerrung üblich ist, bei der insbesondere der Hinduismus fremd und unverstanden bleibt. Damit fallen viele grundsätzliche Bemerkungen, Vergleiche und Darlegungen weit hinter die integrative Sicht des Zweiten Vatikanums zurück.
In letzter Zeit fiel mir
das an zwei Programmstellen besonders auf:
1. Die Würdigung Eugen
Bisers in "Tag für Tag". Natürlich habe ich nichts gegen diesen
nicht unbedeutenden Theologen und seine Porträtierung zu Anlaß
seines 90. Geburtstags. Aber ich glaube, mich zu erinnern, daß er
selbst in diesem Porträt-Rückblick mit einem Tondukument zu Wort
kam, wo er von Christentum, Judentum und Islam als den einzigen "Offenbarungsreligionen"
sprach. Aber damit wird die "Shruti" (durch inneres Hören vermittelte
Inspiration) des Brahmanismus ausgeschlossen, das sind insbesondere die
alten Veden, etwa die
hochpoetischen, kraftvollen Hymnen des Rgveda, die nicht minder
"offenbart" sind als die hebräischen Psalmen;
ferner die offenbarungsträchtigen Passagen der "Smrti" ("Tradition"
wie in der Dogmatik der katholischen Kirche) im späteren Hinduismus,
wo insbesondere die Bhagavad-Gîtâ
zu nennen wäre, die vor allem in der Theophanie
(Kap.11) den Offenbarungsvorgang selbst inmitten des Offenbarungstextes
offenbart, vergleichbar der Verklärungsszene
in den Evangelien. Natürlich ist auch der Hinduismus in seiner
uralten brahmanistischen Schicht wie auch in den jüngeren monotheistischen
Ausprägungen des Vishnuismus (und auch des Shivaismus) eben durch
die Bhagavad-Gîtâ
eine regelrechte Offenbarungsreligion
mit grundlegenden Offenbarungstexten, auf denen dann alle späteren
Traditionstexte in genau zugeordneter Weise aufzubauen haben. Das führt
auch in Indien zu einer komplizierten Scholastik
mit Dogmatik-Diskussionen, etwa über die Personalität
oder Prinzipien-Abstraktheit
des All-Ein Seienden, über die Frage, ob
Erkenntnis über Hingabe oder Hingabe über Erkenntnis steht,
über das Verhältnis von Werk und Gnade usw., wie sie auch uns
durchaus kirchenhistorisch vertraut sind (etwa aus den Auseinandersetzungen
zwischen Dominikanern und Franziskanern).
2. Die heutige (sonntägliche)
Morgenandacht von Ihnen, Herr Ulrich Lüke, wo ich die gleiche Behauptung
gehört habe, wie oben aus dem Munde Eugen Bisers, und zwar hier noch
verengt auf die Aussage, das Christentum sei die einzige Religion, in der
Gott zum Menschen geworden sei.
Nein, das ist nicht wahr;
vielmehr ist richtig: Der Vishnuismus (Vaishnavismus) behauptet eine ganze
Reihe von Inkarnationen des All-Ein
seienden Gottes, wobei die letzten beiden Inkarnationen sich als menschliche
Helden zeigen: zum einen Rama, Hauptgestalt des Epos "Ramâyana";
und zum andern Krshna, der kluge Freund der Pândavas im Hintergrund
des Epos "Mahâbhârata", der zu Beginn der Entscheidungsschlacht
als Wagenlenker des Bogenschützen Arjuna diesem die Augen dafür
öffnet, daß
er, Krshna, in Wahrheit das allumfassende göttliche Wesen sei,
in das alle mit ihrem Tod eingehen und aus dem sie wieder neugeboren werden,
das Wesen, in dem alle Wesen Existenz, Leben, Bewußtsein und Erfüllung
finden, der Gott, in den alle Opfer und Gebete einströmen, gleich
welchem Namen oder welcher Gestalt die Opfer und Gebete jeweils gelten
sollten: Hinter dem Namen der scheinbar Vielen verbirgt sich der wahre
Eine.
Das Bhagavata-Purana gibt
eine Menschen-Biographie dieser letzten Inkarnation des All-Ein Seienden
und wiederholt das aus der Bhagavad-Gîtâ
geläufige Motiv, daß Gott immer dann aus seiner vollen Wachheit
in seine Erscheinungswelt (die im Grunde sein Traum ist) hinabsteige (wie
man sich selbst im eigenen Traum erscheint), wenn Rettung und Erlösung
erforderlich sind. Damit zusammenhängend auch das "Glaubensmotiv":
Hingabe und vertrauensvolle
Versenkung in den "Herrn" werde zum Gefäß seiner Gnade und der
Erlösung.
Im Bhagavata-Purâna
findet sich auch eine muntere theologische Diskussion darüber, wie
es denn überhaupt geschehen könne, daß "der Ozean" der
göttlichen Unbegrenztheit "in dem Tropfen" der menschlichen Körperlichkeit
verloren gehen könne: Die Paradoxie des im Menschen verkörperten
Gottes (die dem Koran
immerhin so bewußt ist, daß er die Unmöglichkeit der Menschwerdung
betont) wird ausführlich dargelegt und erörtert. Das ist
mehr als die bloße Behauptung "et
homo factus est".
Im Anhang mein letzter Rundbrief, wo Buddhismus und Shivaismus in diesem Zusammenhang erwähnt werden; das mag auch genügen.
Ich empfehle Ihnen für entsprechende Inhalte und Zusammenhänge (wenn es im Deutschlandfunk wieder einmal erforderlich sein sollte) allerwärmstens und geradezu dringend: Frau Prof. Dr. Thiel-Horstmann, die ich aus meiner Studienzeit in Bonn (Indologie) gekannt habe (zu der ich selbst aber zur Zeit keinen Kontakt halte). Das wäre eine einzigartige Möglichkeit und Quelle, in der eurozentrischen Perspektive die indischen Religionen nicht hinter den sieben Schleiern des Islam aus dem Blick zu verlieren oder mit islamischen Einschränkungen auszusperren. Und natürlich sind solche Einschränkungen auch innerislamisch aufzuheben: Durch einen offen Blick auf die Sufi-Mystik, wie sie durch Annemarie Schimmels Veröffentlichungen und früher bereits durch Rückerts Übersetzungen bekannt geworden ist, von Goethes "West-Oestlichem Divan" ganz zu schweigen.
Mit freundlichen Grüßen,
Hans Zimmermann, Görlitz,
Altphilologe (Griechisch,
Latein, Sanskrit, Hebräisch)
–
http://12koerbe.de/hansz/news.htm
http://12koerbe.de/euangeleion/ioan-0.htm
––––-–––––-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-–-––-–-–-––-–-–-–-–-––
vor etwas mehr als einem Jahr sandte ich Ihnen, wie auch dem darin angesprochenen Kardinal Meisner, den hier als Anlage angehängten offenen Brief zu. Ich habe damals allerdings weder von dem Adressaten noch von Ihnen auch nur eine einzige winzige Empfangsbestätigung erhalten, von einer Antwort ganz zu schweigen. Darüber war ich zunächst verwundert und nach Ihrer langen Mißachtung meines Briefes auch traurig.
Es ist schon rein logisch
nicht möglich, daß die Vertreter monotheistischer Religionen,
deren Grundsatz es ist, daß es nur einen einzigen Gott geben kann,
wie "zu sein" auch nur ein Infinitiv
ist, an dem die vielen Seienden teilhaben können, ohne seine infinitive
Einzigkeit aufzuteilen, den Gott der Nachbarreligionen zu einem "anderen"
erklären. Im Gebet öffnen wir uns dem Einen,
und diese Öffnung überwindet alle definitiven Abgrenzungen und
Kanalwände.
Meine indische Frau erzählt
mir, daß es in ihren Schultagen üblich war, daß immer
ein Kind für alle sein Schulgebet vortrug, und das war mal ein Hindu,
mal ein Muslimkind, und das geschah trotz der alten Ausfälle der Monotheisten
gegen die "Heiden". Niemand hatte sich dabei abzusondern. Daraus könnten
wir lernen.
Mit freundlichen Grüßen,
Hans Zimmermann
12. waj-jachalom
we-hinneh ßullâm muzzâb
'arezâh
we-ro'schô maggija° hasch-schâmâjemâh
kai
enhupniasthê kai idou klimax estêrigmenê
en têi gêi
hês hê kephalê aphikneito eis ton ouranon
viditque
in somnis
scalam stantem super terram et cacumen illius
tangens caelum
Und ihm träumte, und
sieh: eine Leiter gestellt auf die Erde, und ihr Haupt berührend
den Himmel,
we-hinneh
male'akê
'älohîm °olîm we-joredîm
bô
kai
hoi angeloi tou Theou anebainon kai katebainon ep' autês
angelos
quoque Dei ascendentes et descendentes per eam
und sieh: Boten Gottes aufsteigend
und hinabschreitend an ihr!
An der Ich-Achse, die die
Leibes- und Lebens- und Bewußtseinsschichten des Menschen durchbohrt,
durcharbeitet, durchstrahlt, zentrieren sich die himmlischen Kräfte,
die Leib, Leben und Bewußtseinstransparenz existenziell ermöglichen,
in der Entwicklung aufbauen und im nächtlichen Schlaf wieder und wieder
regenerieren; sie schmiegen sich ihr an, gleiten an ihrer innigen Opferhingabe
entlang, haben ihre Substanz und ihr Leben an dieser Ich-Achse, am "Sohn
des Menschen". Aber dieses
wahre Ich-Bin ist im "Heil und Frieden" der Nacht, im tiefsten Schlaf,
verborgen, geborgen und geschützt vor der aggressiven Säure unserer
lebenverzehrenden Wachheit.
grusz,
hansz
9.
Rundbrief 2008: Der Hüter der Schwelle
Sie haben völlig
recht mit all dem, was sie ausgeführt haben, doppelt und dreifach:
1. Natürlich "transzendiert"
schon die bloße Meditationspraxis alle Textreflexion, auch wenn die
Texte, etwa die Buddhareden in ihrer spiraligen Form und im erkenntnistransparenten
Inhalt, ideale Meditationsmittel darstellen.
2. Die Fülle der
über den Pali-Kanon hinausgehenden Texte im Mahayana habe ich unterschätzt,
obwohl ich doch früher schon auf das nicht gerade kleine Jâtaka-Buch,
auf die Wandmalereien in den Ajanta-Höhlen, auf die Fünfer-Systeme
(anläßlich einiger Thankas), auf Buddhacarita und Lalitavistara
Bezug genommen habe und gerade zu den Sanskrit-Texten (studienbedingt)
etwas leichteren (Übersetzungs-) Zugang habe. (Leider komme ich an
die Texte nicht immer leicht heran).
3. Und so überschreiten
die zenbuddhistischen Praxis-Wege eher die neomythische und volksreligiöse
Bilderfülle des Mahayana, schneiden die "Phantasien" nüchtern
zurück, ermöglichen (in der japanischen Rezeption) eben den erwähnten
Klassizismus des schlichten Wesentlichen und gehen damit eben nicht in
die Richtung des "immer mehr...", sondern in die Richtung des usprünglichen
Keimkegels des Dharma, in die reine Mitte, eben in die Reinheit der Buddhaschaft
zurück. Eine "reduzierende Transzendenz" könnte man sagen, und
gewiß kein maßüberschreitend überbordendes Jenseits.
Eher Selbstbeschränkung denn alles "überschreitende" Abundanz.
...
Noch einmal herzlichen
Dank,
Ihr Hans Zimmermann
3.
Lieber Herr Zimmermann,
Danke für Ihre Antwort.
Es freut mich, dass Sie nicht "böse" sind über meine kleine Anmerkung
(das ist nicht immer selbstverständlich), sondern dem zustimmen können.
>> Die Fülle der
über den Pali-Kanon hinausgehenden Texte im Mahayana habe ich unterschätzt
Dazu noch eine kleine zusätzliche
Anmerkung: der Textumfang der Mahayana- und Tantrayana-Sutras, der weiteren
philosophischen Schriften, der klassischen Zen-Texte und Texte anderer
Schulen, wie auch der umfangreichen indischen, chinesischen, vietnamesischen,
japanischen, koreanischen, tibetischen Kommentar-Literatur geht tatsächlich
weit, weit über den Umfang des Pali-Kanon hinaus. Es gibt auch noch
etliche Texte in Turksprachen (Alttürkisch), Persisch, Mongolisch
(sogar Griechisch und Arabisch usw.) Der grösste Teil davon ist auch
noch nicht ins Englische übersetzt und noch weniger ins Deutsche.
Auch vom Pali-Kanon ist
bei weitem noch nicht alles ins Deutsche übersetzt. Dessen ganze Kernlehre,
der sog. Abhidhamma, oder auch der Vinaya (die Ordensgeschichte) ist bis
heute in westlichen Sprachen noch nicht vollständig unzugänglich
(in Deutsch fast garnicht). Ich bin mit einigen Freunden daran, diese Lücke
in den nächsten Jahren (Jahrzehnten) zu schliessen, bin allerdings
selber (leider) kein Übersetzer. Im Anschluss daran gibt es noch einen
riesigen Fundus an Kommentar- und Subkommentarschriften (in Pali, Singhalesisch,
Burmesisch, Thai u.a. Sprachen) zugänglich zu machen, von denen etliche
in der weiteren Schulgeschichte grössere Bedeutung hatten als die
Urtexte.
Womit Sie natürlich
völlig Recht haben, ist, dass jede (echte) Meditation über die
Texte hinausgeht. Das finden Sie aber nicht nur im Zen sondern in allen
Traditionen. Der Zen hat die Bedeutung der Meditation und des Loslassens
der Texte lediglich sehr viel stärker betont als die meisten anderen
Traditionen. Die gleiche Haltung können Sie aber durchaus auch im
Theravada (bei Ajahn-Chah) oder bei den Tibetern finden (im Dzogchen-System).
Das Verhältnis zwischen Scholastik (Theologie) und Mystik (Erfahrung)
war auch im Buddhismus immer ein Spannungsverhältnis und Streitpunkt.
Für mich gehört beides untrennbar zusammen, das eine gibt es
nicht ohne das andere. Und das eine neigt ohne das Andere immer entweder
zum Ausufern, zum Dogmatismus, oder zum blinden Glauben. So sagte es auch
Kant: "Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen
sind leer". Das ist der "mittlere Weg" des Buddha.
Alles Gute und
mit herzlichem Gruß
Franz-Johannes Litsch
11.
Rundbrief 2008: Elias
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