Daß Proklos in der
allgemeingebildeten geistesgeschichtlichen Reflexion so mißachtet
ist, daß z.B. mein altes 14-bändiges Kindlers-Literatur-Lexikon
ihn nicht kennt (!), liegt wohl weniger daran, daß die Theologen
der letzten vierzig Jahre so antiphilosophische Tendenzen pflegen, daß
sie die griechische Trinitäts-Metaphysik und die stoischen und platonischen
Grundzüge der Gotteslehre wie auch die mittelalterlichen Gottesbeweise
schlicht übergehen und aus der christlichen Fundamentaltheologie geradezu
ausklammern, als vielmehr daran, daß nach der Entdeckung der griechischen
Kulturwurzeln Europas durch die Renaissance-Humanisten noch bis ins 19.
und 20 Jahrhundert hinein ein rigider Klassizismus geherrscht hat: Schon
die hellenistische Phase der griechischen Kunst, Literatur, Philosophie-
und Religionsentwicklung galt leichthin als mit Gelehrsamkeit überladen,
als formlos-dekadent, als bis zur Nichtigkeit verspielt gegenüber
der angeblichen Strenge der klassischen Phase; und noch weniger prägende
Geltung als jenen barocken Impressionismen (die sich durchaus fruchtbar
in der römischen Kunst und Literatur fortsetzten) gestanden die neuzeitlichen
Kulturhistoriker der byzantinischen Systematisierung allen antiken Wissens
(z.B. im römischen Recht) und der statischen Frömmigkeit und
religiösen Verinnerlichung der Kunst zu. Konsequenterweise wird seit
der Aufklärung die gesamte christliche Literatur aus dem Latein- und
Griechisch-Unterricht der Schulen ausgeschieden, nachdem die Literatur
der nach-augusteischen Kaiserzeit (also Petronius, Seneca, Lucan, Sueton
und Tacitus) schon als "silberne Latinität" gegenüber der "goldenen"
abgewertet ist.
Heute schütteln wir
über die Einseitigkeiten der Renaissance- und Neohumanisten und überhaupt
der Geschmacksspießer des 19.Jahrhunderts den Kopf wie etwa über
Hansliks Verurteilungen Bruckners, Tschaikowskis und Wagners, oder über
die Mißachtung Johann Sebastian Bachs noch bis zu dessen Wiederentdeckung
durch Mendelssohn, oder über die Verfemung der spätmittelalterlichen
Architektur als "gotisch" (d.h. "barbarisch") durch die klassizistisch
orientierten Renaissance-Gelehrten, oder deren Verachtung des Mittelalters
als "dunkel" noch bis zur Aufklärung, ja gerade durch die Aufklärer.
Die großen Synthesen der Spätantike bedeuten gründliche
Durcharbeitung und argumentierend-wissenschaftliche Vereinigung der großen
Klassiker: Platons
Ideenlehre ("Sonnengleichnis"), Aristoteles'
Metaphysik und die Logoslehre
der Stoa werden so fruchtbar ineinander-interpretiert, wie seinerzeit
Parmenides,
Pythagoras
und Heraklit
in die Werke jener drei genannten klassischen Hauptschulen integriert worden
sind. Ich wage zu behaupten, daß Proklos mit seiner "Theologischen
Elementarlehre" den Schlußstein dieses ganzen Kuppelbaus "heiliger
Weisheit" (Hagia Sophia) bildet. Gewiß kann man Plotin als eigentlichen
Gründer des Neuplatonismus vorziehen, aber Proklos schafft den kristallin-transparenten
mos geometricus des Systems. Und Plotin selbst ist bereits Synhistor der
ihm vorangegangenen Synthesen des mittleren Platonismus und der stoischen
Platonismen bei Cicero,
Vergil, Seneca
und Plutarch. Wichtiger
aber noch als dieser systematische Schlußstein-Zenith der Stoichéiôsis
ist die Sonnenzentralität dieses Werkes bei den islamischen
Aristoteles-Vermittlern und christlichen
Scholastikern des Mittelalters, bei den Platonikern der Renaissance,
von den Rationalisten
des Barock bis zu Hegel hin, der ihn besonders hoch schätzte.
Die Hauptwirkung ist hintergründig: Der
"liber de causis", elementares Metaphysik-Lehrbuch der Hochscholastik,
ist eine arabische Kompilation der Stoichéiôsis, die aber
dem Aristoteles zugeschrieben wurde; Dionysius Areopagita, dessen Lehre
von den dreimal drei
Engelhierarchien im Mittelalter klassisch-dogmatischen Rang hat, bedient
sich der Lehrsätze des Prokloswerkes. Weiß Spinoza, wie inzüchtig
Gedanke und Methode seiner "Ethik" der "Theologischen Elementarlehre" verwandt
sind? Leibniz
wußte wohl, wem er den Begriff der innerlich-allidentischen "Monade"
verdankt. Kant dagegen hat wohl die "ursprüngliche Einheit der
Apperzeption", die all-synthetische all-einigende Funktion des Selbstbewußtseins,
nicht dem Proklos entnommen, sondern wiederholt diesen alten neuplatonischen
Grundgedanken eher traditionslos-unbewußt. Gibt es Neues unter der
Sonne?
die berühmteste, die
vielleicht wichtigste, folgenreichste,
in der Maßlosigkeit ihrer Ansprüche unverschämteste frühmittelalterliche
Fälschung, das Constitutum
Constantini, steht nun auch vollständig übersetzt im
Netz, erarbeitet in den letzten zwei Wochen, am Ende mit laufender Nase
und fiebrigen Schauern von Wärme und Kälte, Schmerz und Wohlgefühl
durch die müden und sensibilisierten Glieder, was man eben so "Erkältung"
nennt.
Ich mache also nicht viele
Worte, damit ich mich gleich ins Bett hauen kann, nur die folgende kleine
"12-Körbe"-Stelle, durch die ich mich dem schuftenden Kaiser verbunden
fühle:
13.
interea nosse volumus omnem populum universarum gentium ac nationum per
totum orbem terrarum
construxisse
nos intro palatinium nostrum Lateranense eidem salvatori nostro Domino
Deo Iesu Christo
ecclesiam
a fundamentis cum baptisterio
et duodecimnos sciatis de eius fundamentis secundum numerum duodecim apostolorum
Indessen
wollen wir, daß das ganze Volk aller Stämme und Nationen über
das ganze Erdenrund hin weiß,
daß
wir innerhalb unseres Lateranpalastes ebendem Erlöser, unserem Herrn,
Gott, Jesus Christus
eine
Kirche haben erbauen lassen, von den Fundamenten an, mit einer Taufkapelle,
und Ihr
sollt wissen, daß wir für ihre Fundamente, gemäß
der Anzahl der zwölf Apostel,
zwölf
Körbe voll Erde auf unseren eigenen Schultern hingetragen
haben ...
grusz,
hansz
3.
Rundbrief 2007: Apollodor
14.Februar
2007
Liebe Freunde,
Mythen sind nicht bloße
in sich geschlossene Erzählungen, sondern sie stellen sich in allen
mir bekannten Kulturen als Stamm-Äste-Verzweigungssysteme genealogischer
Lebensbäume dar, deren synchrone Generationen dann wieder zusammenfließen
können in den Heldenaktionen und Kriegen der Epen. So im mittelamerikanischen
Popol Vuh, so im indischen Mahâbhârata, so im Parzival, so
auch im antiken Mythenbaum der Griechen, in dem sich Epen und Tragödien,
Lyrik und Lehrgedicht tummeln. Der dichterisch-freie Umgang etwa eines
Euripides, aber auch
schon eines Hesiod, setzt
einen wohlbestimmten, vorgegebenen, genaukonturierten Ausgangsstoff voraus,
das zeigt der Vergleich mit den mythologischen Handbüchern, sofern
sie uns überliefert sind, insbesondere mit "dem
Apollodoros" (wahrscheinlich aus dem 1.Jahrhundert n.Chr.): ein Vergleich
etwa der "Theogonie" in den Anfangspartien
des enzyklopädischen Handbuchs mit der "Theogonia"
Hesiods; und ein Vergleich des Dionysos-Sagenkreises
bei Apollodoros mit der Erzählungsgrundlage der "Bakchen"
des Euripides und dem Homerischen
Dionysos-Hymnos.
Ich danke ganz besonders
herzlich allen, die mir vorige
Woche Genesungswünsche und die Empfehlung, "heißen Tee zu
trinken", geschickt haben; das hat mir gut getan. Die
heilsamste aller Heilsamkeiten ist Schlaf, der tiefe Schlaf, will ich noch
bestätigend ergänzen, es gibt ja auch keinen befriedigenderen
und seligeren Zustand im Leben, der ja nur den Nachteil hat, daß
wir dieser Seligkeit gerade mal im Verschimmern und Verklingen beim Aufwachen
bewußt werden (und wohl auch in Kunst, Musik und Dichtung, im ästhetischen
Reiz), ansonsten überstrahlt unser Wachbewußtsein diese Seligkeit
so, wie das Tageslicht die Sterne.
Dieser süße Frieden,
aus dem ja auch die Regeneration des Lebens hervorgeht, das, durch das
Wachbewußtsein verzehrt, gekränkt und ermüdet, im Tiefschlaf
immer neu genährt, geheilt und gestärkt wird, dieser unserem
Verstand wohlverborgene Jungbrunnen konzentriert in uns und spendet uns
ebendie universale Substanz, die bei Novalis
als "die Nacht" besungen wird, und ebendiese geheimnisvollen "Hymnen"
habe ich heute den anderen Novalis-Funden
hinzugefügt; somit kommt allmählich auch Wagners Tristan
in den Blick, diese gewissermaßen siebente "Hymne
an die Nacht" nach den sechsen des Novalis,
die Parmenides-Seite
ist nun um die restlichen Fragmente vervollständigt; eine Heraklit-Seite
wurde jener Seite an die Seite gestellt: 115 seiner in Zitat-Fragmenten
(bei Diogenes Laertios, Sextus Empiricus, Aristoteles u.a.) überlieferten
Aphorismen griechisch (sowohl in
akzentloser griechischer Schrift, "Symbol", als auch in lateinischer
Umschrift, "Times new Roman") und deutsch.
Beide Vorsokratiker schätze
ich hoch, gerade in ihrer Polarität. Parmenides
bildet mit seiner logischen Einsinnigkeit die Grundlage wissenschaftlicher
Prädikationen: Allein in der als Prädikation, als Prädikatzuschreibung,
als Satz, ausformulierten Erkenntnis zeigt sich ihm das Wesen der Dinge.
Die (seitdem heftig umstrittene) These im Kern dieser Wahrheitstheorie
ist die, daß die Kopula der prädikatsnominalen Zuschreibungen
(d.h. das "ist" in den Prädikaten, die den Satzsubjekten zugeschrieben
werden) mit dem "ist" der Existenzaussage kongruiert:
"Daß sich etwas im
Denken zeigt, bedeutet zugleich, daß seine Wirklichkeit offenliegt."
Das hat nur dann Sinn, wenn eben allein im satzförmig ausformulierten
Erkennen sich Wirklichkeit zeigt oder ergibt. Für Philosophen, die
nicht solch eine Immanenztheorie der Wahrheit vertreten, sondern etwa die
konventionellere Abbild- oder Korrespondenztheorie einer Wahrheit "da draußen"
in der Objektwelt, die in mir, dem Subjekt, wie eine zweite Welt neu aufgebaut,
repräsentiert oder wiedergespiegelt wird, gilt das als eine Verwechslung
von Kopula und Existenzaussage: "Bloße Gedanken zaubern", so würden
sie antworten, "keine Wirklichkeit hervor". "Aber besteht die Innensicht
der transparenten und vom Bewußtsein durchleuchteten Wirklichkeit",
so läßt sich zurückfragen, "nicht im gedanklichen Erkenntniszusammenhang,
in dieser schlüssigen Verbindung der Sätze, in deren logischer
Identifizierung? Und überhaupt: In welchem Verhältnis steht denn
nun die Prädikation zur Existenzaussage? Wie läßt sich
sagen, darlegen, zeigen, daß überhaupt irgendetwas oder mindestens
der Sprecher selbst existiert"?"
Dieser Fluchtpunkt der Erkenntnissuche,
subtil in der frontalen Horizontlinie des Bewußtseins "erblinzelt",
scheint außerordentlich abstrakt; die Sprüche Heraklits dagegen
erfrischen das Herz unmittelbar mit der musikalischen, offenen Spannung,
die sie in ihren bildhaften Antithesen austragen; sie sind prägnant-würzig-kurz
ausformulierte Paradoxien, Aphorismen, Zen-Koans, Pointen, Clous:
nach Parmenides
und Heraklit habe
ich nun auch versucht, Pythagoras
so authentisch und quellennah wie möglich einzunetzen, aber jeder
Kundige weiß, daß ich damit scheitern mußte: Wir haben
keine unmittelbaren und authentischen Schriften des Meisters; aber wir
sehen seine gewaltige Wirkung auf die ihm folgenden philosophischen, wissenschaftlichen
und religiösen Traditionsstromgeflechte, wie ja andererseits seine
Musikreflexion, sein mythischer Symbolismus und das asketische Ordensleben,
wie überhaupt seine "Schule", der ganze philosophisch gehobene und
als Orden organisierte Mysterienkult (Reinigung, Erkenntnis und Todesüberwindung)
bereits selbst aus älteren orphischen Wurzeln hervorgewachsen ist.
Wir haben nichts schriftlich-Authentisches
von Ammonios Sakkas, aber Plotin und Origenes waren seine Schüler:
der eine Gründer des allsynthetischen Neuplatonismus, der andere Begründer
der philosophierenden Theologie; wir haben nichts von der Hand des Sokrates,
aber unabsehbare Wirkungen durch dessen "Verschriftlicher" Platon hindurch;
wir haben keine einzige Pythagoras-Schrift, kaum sogar authentische Zitate
vergleichbar den Fragmentstücken von Parmenides und Heraklit, aber
wir sehen die Sternenmitte, den Überkreuzungspunkt der verbindenden
Fäden, diesen geheimnisvollen Keimquell der Verhältnisgleichungen
und Strahlensätze, der kosmischen Rhythmik und musikalischen Harmonie,
der Erkenntnis des zeitlos-Ewigen und todüberwindender Mysterienreligion:
Wie kann man von dem Auctor all dessen selbst so wenig, "so
garnichts" in der Hand halten?
Und in den letzten Tagen
kam noch etwas Bezauberndes aus dem Hochmittelalter hinzu: Aus den Legenden,
die die "Spiritualen", d.h. die Mönche des ursprünglichen Minoriten-
(=Franziskaner-) Ordens, der später verketzert worden ist, erzählt
und gesammelt haben, nämlich aus den "Fioretti",
den "Blütenlegenden"
um den heiligen Franziskus von Assisi, habe ich sieben besonders schöne
Beispiele ausgewählt und biete sie nun italienisch-deutsch dar: den
Einstieg (Nr.1), die herausragende 8.
über die "wahre Freude", die 9. und 10, sodann die 13., die 14.
und meine Lieblingserzählung,
die 15. "Legendenblüte", die ich selbst mit eiserner, eisigster
Willenskälte und trockenster Selbstbeherrschung nicht vorlesen kann,
ohne daß mir das Gesicht naß wird und die Stimme versagt ...
drei kleine Ostergaben überreiche
ich hier, sonnige Ostergrüße, lebenbergende Ostereier.
Zuerst und zuzweit die beiden
"gnostischen" Paulusbriefe ("Deuteropaulinen") an die Epheser
und an die Kolosser:
Die
Epistel S.Pauli an die Epheser, griech.
/ lat./ deutsch
(Luther 1454): Kap.1
: alle Dinge
zusammengefaßt in Christus : Hauptbelegstelle
für Christus als Pantokrator,
als ein den gesamten Kosmos in sich enthaltendes Individuum, das in der
Art des menschlichen Selbstbewußtseins die gesamte Objektwelt umspannt,
nur eben nicht im selbstbezogenen Genuß der Erkenntnisfrucht (wie
wir), sondern im Selbstopfer, das die Erkenntnisfrucht nicht verzehrt,
sondern in fruchtbare Handlungskeime überführt;
Kap. 5
: Christus
hat sich opfernd dargegeben Gott zu einem süßen Geruch
: wie
Weihrauch, das sinnliche Symbol des sich selbst opfernden Willens, und
in dieser Entsprechung: wie der Phoenix,
der in Duft zergeht, um aus diesem "Nichts", dieser feinen Entwerdungs-Spur,
neu wieder-zu-werden, neu hervorgeboren zu werden;
Kap. 6
: Waffenrüstung
des Geistes
: scheinbare
("paulinische") Paradoxie, daß gerade Waffen und Panzer den
Frieden, die Ungebundenheit und die unbegrenzte Erkenntnis des aufwachenden,
sich streckenden, sich gewissermaßen "räkelnden" Geistes nun
straff und hart in sich konzentrieren sollen; aber gerade das verdeutlicht
die Willenskräfte, die diesem geburtsartigen Aufwachen des Grenzenlosen
die unüberwindliche Substanz geben: Selbstbeherrschung im Sinne des
"heilenden Imperativs", im Sinne also der im allbefassenden Opfer frei-geborenen
Ichkraft.
Dem
entspricht weitegehend der mit dem Epheserbrief wohl engverwandte Kolosserbrief:
Dies,
weil ich unter anderem gerne der Frage nachgehe, in welcher Weise Christus
in den großen Weltreligionen zu finden ist (bzw. darin wirklich ist,
in deren Begriffs-Rosetten "wirkt", in deren komplizierten Erkenntnis-Kaleidoskopen
zentriert ist).
Ein
Schlüsselbegriff scheint mir beim Islam, innerhalb des Korans, der
hochaufgeladene und häufige Begriff des "Zeichens" zu
sein, der die Lesbarkeit der Welt als eines aus dem schaffenden Geist hinausgeschriebenen
sinnbergenden Textes impliziert, die "Chiffernschrift"
der Natur: Die "Zeichen Gottes" entsprächen somit am ehesten
dem johanneischen "Logos":
3,119 (113):
min ahli 'l-kitâbi ummatun qâ'imatun:
yatlûna 'âyâti'llâhi
'ânâ'a 'l-laili
aus Schriftkundigen eine Gemeinde, eine wahrhafte: die
lesen ZeichenGottes tief
in der Nacht
"Christus
in den (Natur-) Wissenschaften", etwa in der Chemie, in der Musikwissenschaft,
in den Sprachwissenschaften, in Biologie, Astronomie, Mathematik und Logik– wäre
ein weiteres Thema, vergleichbar den aphoristischen Untersuchungen des
Novalis über
"Musik der mathematischen Gleichungen, Chemie der psychologischen Beziehungen
zwischen den Menschen, Kinetik der sprachlichen Symbole, ..." Solche Gedanken
lagen den mittelalterlichen
Weltbeschreibern, genährt vom Pythagoreismus in Platons
Timaios, gewiß näher, aber mit den höheren Ansprüchen
des neuzeitlichen Empirismus und Mathematismus (insbesondere bei den Naturwissenschaften)
wäre eine entsprechende Vertiefung der religiösen Metaphysik
gewiß spannender, abgründiger, fruchtbarer als in der wohlzentrierten
Selbstspiegelung
der alten Sphärenzwiebel. Die heutige "Theologie" leistet in diesem
Feld ja leider weniger als nichts, sie verschuldet sich, sie lebt von bodenlosen
Krediten, indem sie "Glauben" (als bloßes "Fürwahrhalten
unbegründeter Aussagen", nicht als "vertrauensvolle
Versenkung in den All-Ein-Seienden") von "Erkennen" trennt.
grusz,
hansz
8.
Rundbrief 2007: Philostratos; Deuterojesaja
15.Mai 2007
Liebe Freunde,
langwierige Erweiterungs-
und Ergänzungsarbeiten zu den alten Fundstücken stehen an: die
Adern und Gänge weiter zu verfolgen, aus denen die bisherigen Schätze
herausgeschürft worden sind.
Das ist zum einen die mühsame
Fleißarbeit, den gesamten Deuterajesaja
(d.i. Jes 40-55) aus dem hebräischen Text zu transliterieren und
in wörtlich-dichter Orientierung an eben dem gewonnenen Text neu zu
übertragen, aus dem bislang nur das Kyros-Messias-Lied
und die Gottesknechtlieder
ausgelesen worden sind; diese Aufarbeitung ist nun erst bis
Kapitel 42 gediehen.
In diesem Zusammenhang habe
ich die Umschrift des Hebräischen etwas vereinfacht: Für die
langen und im hebräischen Text durch w oder j gestützten Vokale
schreibe ich nicht mehr wu, ow, ij und ej (wie ich es getan hatte, um exakt
jedem Schriftzeichen einen Buchstaben zuzordnen), sondern û, ô,
î und ê (nur äj bleibt, da Umlaute keinen Circonflexe
bekommen können); ich denke, das transliterierte Hebräisch ist
jetzt lesbarer, wenn auch vielleicht noch immer etwas krumpelig...
Zum andern habe ich zu einigen
älteren Literaturstücken und Bildern Entsprechungen in den griechischen
"eikones" (Bildbeschreibungen)
des Philostratos (erste Hälfte 3.Jhd.n.Chr.) gefunden, und zwar
diese drei:
Philostratos (man rechnet
ihn zur literarischen Epoche der "zweiten Sophistik") pflegt eine geradezu
rokokohafte Verspieltheit und Freude an poetisch-rhetorischen Stilfiguren,
an zärtlichen Einwürfen und impressionistischen Rauchwölkchen;
vieles erinnert mich an die (allerdings lateinischen) asianischen Rhetorikkünste
des Apuleius.
Soweit mein Bericht von
der Rast, noch geradezu vom Anfang der längeren
Strecke.
Ich habe eine dringende
Bitte an alle lieben Leser, an jeden einzelnen: Es wäre schön,
wenn jeder irgendeine der Dateien, der Texte, der mehrsprachigen Werke,
der alten Autoren oder der inhaltlichen Schwerpunkte (am besten nur das
jeweilige "Lieblingsstück") unter den entsprechenden Stichwörtern
bei der Wikipedia anmeldet, d.h. einen link in den dortigen Linklisten
(jeweils unten) einfügt. Ich selbst fliege immer nach einer Viertelstunde
raus, wenn ich versuche, dort einen link auf die entsprechenden Seiten
meiner Edition zu setzen, da irgendein Zensor dort meine Beiträge
als Spam mißverstanden und mit dem ewigen Bann belegt hat. Ich habe
schon Stunden damit verbracht, den unsäglichen Jakob-Böhme-Artikel
zu überarbeiten, aber immer fruchtlos. Alle möglichen einsprachigen
(englischen) Netzausgaben werden dort in den Linksammlungen jeweils aufgeführt,
aber die zwei-, drei- oder viersprachigen, originalsprachlichen und zum
Teil selbst-neuübersetzten Versionen der 12 Körbe sind bei der
Wikipedia schlecht repräsentiert. Bitte, bitte helft mir und versucht
für eure Lieblingsstücke die entsprechenden links (auf meine
Seiten) dort einzugeben, maßvoll natürlich, eben da nur, wo
es von der Sache her geboten ist und in den entsprechenden Artikeln der
Wikipedia fehlt.
Ansonsten versinken meine
Seiten langsam im Abyssus der Unbekanntheit, so als Geheimtip, und wenn
es so weitergeht, kenne ich sie schon bald selbst nicht mehr... Bitte helft
mir (aber behutsam)!
Dafür im Voraus ein
herzliches Dankeschön,
grusz,
hansz
Al-Ghazzali entwickelt in
lebhafter Wechselrede von Wahrheitssucher und Papier, dann aufsteigend
Schrifttinte, Schreibrohr, bewegender Kraft, Wille und willensbestimmenden
Geisteskräften eine Kausalitätsstufung, die hier, beim menschlichen
Bewußtsein, allerdings nicht endet, sondern nun in die Chiffernschrift
des Geistes aufsteigt, zum geistigen Schreibrohr der Schöpfung, die
auf eine dem Menschen verborgene, geheimnisvolle Weise in der kommunikativen
Weisheits-Vernetzung aller Wesen das Loblied des Schöpfers singt:
"Jedes Atom im Himmel
und auf Erden führt mit dem Geistigen geheime Zwiesprache. Dies hat keine Grenzen
und kein Ende. Denn was sie sagen, entstammt
dem endlosen Meere der göttlichen Rede.
Sie reden miteinander von
den Geheimnissen der Welt des Körperlichen und des Übersinnlichen."
Dieses Kapitel aus Al-Ghazzalis
"Wiederbelebung der Wissenschaften von der Religion" ist das eine nun im
"Bienengold"-Korb veröffentlichte Stück;
das andere von mir ausgewählte
Beispiel ist die von Annemarie Schimmel (im genannten Buch) gebotene Sammlung
von Sprüchen,
Liedern, Briefen und Gebeten des frühen Sufi-Meisters Al-Hallâj
(Halladsch), der wegen seines kühnen Mottos "ana 'l-haqq"
(ICH = die WAHRHEIT) im Jahre 922 von der islamischen Orthdoxie grausam
hingerichtet wurde. Es geht bei jenem Motto um die Absolutheit der Einzigkeit
Gottes, die allein im "Ich"-Namen der Wahrheit zum Ausdruck kommen kann,
die wie das Licht immer
ausstrahlt, nicht sich in sich zurückbiegt und daher auch im Betenden,
der alle ichbezogene Eigenheit in Hingabe auflöst, als absolutes "Ich-bin"
des Wahrheitslichtes sonnenhaft aufgeht.
Damit schließt sich
auch wieder der Kreis zu den Deuterojesaja-Sprüchen,
die nicht müde werden, das "ICH-BIN" des All-Ein-Seienden zu betonen,
zu wiederholen, ja sogar ohne
"Du"-Reflexion explosiv-frei ausstrahlen zu lassen: läßt sich
doch kein Schatten in die Lichtquelle zurückwerfen. Darin integriert
ist der Gottesname JHWH, der pures "zu SEIN" besagt, wie auch die Selbstbezeichnung
Gottes im Munde von Moses: "ähjeh aschär ähje" (Ich bin
der ICH-BIN). Reflexionslose Ichheit ist die Substanz des von sorgfältiger,
emsiger, liebevoller, schöpferischer Tätigkeit erfüllten
Geistes.
consummatumst: Die 16
Jesaja-Kapitel (40-55), deren Autor die Wissenschaftler als zweiten Jesaja,
"Deuterojesaja" bezeichnen, sind nach intensiven und extensiven Tages-
und Nachtarbeiten nun viersprachig im Netz. Sie enthalten einerseits die
Gottesknecht-Lieder
und betonen andererseits die ICH-BINheit des sich selbst gewissermaßen
"darseienden" ("JHWH") Inspirators.
Gott kann kein dingliches
Objekt sein: Dieser Gedanke wird am Beispiel des Götzenschnitzers
entwickelt, dessen Tätigkeit selbst dann nicht seinem Werkstück
untergeben sein kann, wenn er sich vor ihm anbetend niederwirft. Tätigkeit
hat ihre geistige Eigensubstanz, bildet ein eigenständiges Ursachenfeld
vor, über und jenseits der Welt der zu bearbeitenden, genießend
zu verzehrenden, den Sinnen ihre bloßen Oberflächen bietenden
Objekte. Diese ICH-Substanz ist damit noch keineswegs abstrakt, sondern
eben durch diese "Handwerker"-Reflexionen (und das an dessen Reflexionen
gespiegelte Gleichnis) wirkmächtiger Krafteinsatz des aus Tätigkeit,
aus Willen, aus Wandlungs-Zündungen bestehenden bwz. im Tun, Wollen
und Glühen "infinitiven Wesens". Beim Propheten noch inspirierend,
den Inspirierten wie eine äußere, fremde, fordernde Durchsetzungskraft
überwältigend, seit Golgatha am inneren Altar des Menschengemüts
vergegenwärtigt, seit Pfingsten im Begeisterten selbst aufleuchtend.
"ICH=JHWH": pure Ichhaftigkeit, ohne deren Reinheit brechende Reflexion,
ohne eigensüchtige Sackgassen der Absicht oder Lustwiederholung, ohne
Außenseiten, die nicht "ent-faltet" würden, ohne Objekt-Entfremdung,
die nicht erkennend durchstaunt würde, ohne gegenüberstehende
Duheit, die nicht zugleich in ewiger Vereinigung erschlossen würde,
ohne Differenz, die eben in ihrer absoluten Unaufhebbarkeit nicht mit absoluter
Identität identisch wäre: läßt
sich doch (so schrieb ich schon im letzten Rundbrief) kein Schatten in
die Lichtquelle zurückwerfen!
"Und einige derer, die Gott
erfahren haben, sagen, daß »Es gibt keinen Gott außer
Gott« das Einheitsbekenntnis der gewöhnlichen Menschen ist,
und »Es gibt keinen Gott außer Ihm« das Einheitsbekenntnis
der Elite.
Aber die Grade des Einheitsbekenntnisses
sind fünf:
(1.) »Es
gibt keine Gottheit außer Gott«,
(2.) »Es
gibt keinen Gott außer Ihm«
(3.) »Es
gibt kein Er außer Ihm«, lâ
huwa illâ huwa,
(4.) »Es
gibt kein Du außer Dir«,
und das ist noch höher
als das derjenigen, die von Gott als »Er« sprechen. Denn »er«
sagt man von einem Abwesenden. Diese aber leugnen alle Du-heiten, die sich
zeigen, und ihr Hinweis deutet auf die göttliche Gegenwart hin.
Und eine andere Gruppe ist
über diesen und ist noch höher, und sie sagen:
»Wenn jemand einen
anderen mit Du anredet, so erfährt er ihn als von sich selbst getrennt
und stellt Dualität fest, Dualität aber ist der Welt der Einheit
fern.«
Diese haben sich selbst
verloren und vergessen in der Offenkundigkeit Gottes, und sagen
(5.) »Es
gibt kein Ich außer mir«, lâ
ana illâ ana.
Am weitesten realisiert
haben diese gesprochen, denn Dualität und Ichheit und Erheit sind
alles subjektive Zusätze zu der Essenz des Durch-Sich-Selbst-Bestehens.
Sie haben diese drei Worte im Meere des Auslöschens ertränkt,
und die subjektiven Eindrücke sind hinweggerissen und die Hinweise
verschwunden, »und alle Dinge sind vergänglich außer Seinem
Angesicht« (Sura 28,88), und sie haben einen höheren
Standort erreicht. Denn solange der Mensch noch dieser Welt der Menschlichkeit
anhängt, erreicht er nicht den Platz der Göttlichkeit. Darüber
hinaus gibt es keinen anderen Ort, denn dieser hat kein Ende. Man fragte
einen Großen: »Was ist der Sufismus?« Und er sprach:
»Sein Beginn ist Gott und sein Ende hat kein Ende und keine Grenze.«"
11.
Rundbrief 2007: Schlüssel und Zeichen; Tannhäuser
17.Juli 2007
Liebe Freunde,
einige Ergänzungstexte,
aber eigengewichtige:
Aus der 6.Sure
des Korans drei besonders schöne Stellen zum Thema "Schlüssel
und Zeichen"; gerade der Begriff des "Zeichens" ist im Koran von besonderem
Reiz. In den Evangelien werden immer die vielen Krankenheilungen und die
selteneren Totenerweckungen als "Zeichen" bezeichnet, zudem noch einige
Symbolhandlungen von eucharistischer Deutungstiefe wie die Austeilung der
fünf Brote und zwei Fische an die 5000 oder die Wandlung des Wassers
der sechs Reinigungskrüge in Wein. Das gern dafür mißbrauchte
Wort "Wunder" (das in der Tat niemals dort in den Evangelien steht!) verstopft
die Zugänge zum Verständnis dieser Heilungen und Wandlungen eher,
als daß es sie öffnete; Jesus wünscht aber ausdrücklich
ein verstehendes Aufschließen der Sinne und ein Aufschlüsseln
des Sinns der Zeichenhandlungen: "Versteht
ihr immer noch nicht?" Durch das strengere Bilderverbot
für die Darstellung des Heiligen im Islam bekommen Schriftzüge,
symbolsprachliche Strukturen und optisch
multivalente "Zeichen" besondere Bedeutung. Darin begründet sich
die Lesekunst der "Chiffernschrift der Natur", wie sie besonders eindrücklich
im ersten Fragment der "Lehrlinge
zu Sais" von Novalis dargelegt wird und in al-Ghazzalis
Schreibrohr-Gleichnis aristotelisch szientifiziert wird.
Wagners
"Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg" als ergänzender
Schlußstein zum entsprechenden sogenannten "Knoten" (s.u.), in dem
Heinrich von Ofterdingen,
der Wartburgkrieg,
Klingsor und Wolfram,
das Parzival-Epos
und Wagners Künstler
im Venusberg miteinander verflochten sind, nicht zu vergessen die Venus
im Hörselberg, die sich in Frau Holda vewandelt hat und im Frühlingsgrün
"aus dem Berge hervor" kommt; Elisabeth im Gegenzug wandelt sich in den
Abendstern (Venus!). Beide Metamorphosen bilden den ästhetischen Reiz
eigens hervorgehobener Lieder: das eine a capella aus dem Kindermund des
Hirten, das andere in Wolframs reiner Verehrung, und die Streicher sinnen
und singen ihm nach.
Wagners "Isolde",
dieses musikalisch-medizinische Geheimnis, das immer "Tristan" genannt
wird, soll bald folgen.
Meine liebe indische Gattin
Uma hat nun (nicht
ohne meine eifrige Hilfe) den wesentlichen Schritt völliger Unabhängigkeit
von mir vollzogen (das verbindet!) und ein
orientalisches Café hier in Görlitz aufgemacht. OfSHAN SZI ielle
Eröffnung (aber es ist im Grunde schon seit zwei Wochen auf und labt
so manchen Gast mit Früchtebrot, Baklava, Kardamom-Kaffee und Tee
mit Ingwer-Zitronen-Honig, außerdem stehen große Wasserpfeifen
bereit) ist nun am kommenden Sonntag, dem 9.September, dem "Tag des offenen
Denkmals". Es ist ganz Umas, so ist es kein Eigenlob, wenn ich die warme
Atmosphäre und die harmonische Ausstattung des Cafés hier rühme:
mittelalterliche Gewölbedecke mit barocker Flechtband-Verzierung;
purpurn gepolsterte Bänke um die syrischen Tische mit ihren feinen
Einlegarbeiten, aber alles eher auf indischer denn auf arabischer oder
türkischer Basis, so auch in den Getränken (z.B. Lassi) und den
am Wochenende angebotenen Speisen (z.B. Tandoori-Hähnchen oder Dal
vorige Woche, ansonsten immer "Dips" zu Fladenbroten). Meine Beigabe in
den "zwölf Körben" ist "Die
Geschichte von Abu Dîsa, welcher Sperling genannt war, und von seinen
wunderbaren Erlebnissen", aus dem Arabischen von Hans Wehr (1959).
3.
So sitze ich alter Einsiedler
abends meistens allein zuhause und kann mich um meine Musikinstrumente
und Literatur kümmern. Der SPIEGEL dieser Woche mit dem niederträchtigen
Artikel von Per Hinrichs (S.161) und bloße zehn Seiten weiter dem
fruchtbaren Gegenwurf, nämlich einem begeistert-begeisternden Hymnus
auf die Romantik aus der Feder von Matthias Matussek, veranlaßte
mich zu folgendem Leserbrief:
Leserbrief zu Spiegel
Nr.36 (3.9.2007) S.161: "Die Lehre von Atlantis":
Auf jeden Fall sind rassistische
Ausfälle zu verurteilen, gleich ob sie den Theosophen im englischen
Kolonialreich, der Völkertafel
in Genesis 10 oder weiß der Himmel welchem blonden Slytherin
sonst entstammen, da mache ich, der ich Steiner
hoch schätze, auch bei ihm selbst keine Ausnahme. Der Meister
war nicht frei von Irrtümern und leider ja: er
war nicht gereinigt von den Dämonen des europäischen Weltbeherrschungs-Stolzes.
Das hat bei der Bedeutung dieses Mannes den Rang eines Sündenfalls,
das
ist Luzifers Sturz, Kot auf Engelsflügeln.
Aber Per Hinrichs' Dichotomie
von "herbeiphantasieren" und "schnöde abschreiben" ist zu simpel,
sie diffamiert die Imaginations- und die Traditions-Seite spiritueller
Erkenntnis und verschweigt den Brilliantenschliff
der "streng kontrollierten Phantasie" (Novalis), der zwischen jenen
beiden Extremen spielt.
Man blättere im Spiegel
einfach zehn Seiten weiter, wo Matussek auf Fichte und Novalis zu sprechen
kommt: Die "Intellektuelle
Anschauung" der romantischen Idealisten ist weder herbeizuphantasieren
noch schnöde bei Immanuel
Kant abzuschreiben; es gibt sie nicht einfach, sie muß sich erst
geben: "Der Geist führt einen ewigen Selbstbeweis" (Novalis).
zum Leserbrief
an den Spiegel muß ich hier, außerhalb des engen Rahmens
eines Leserbriefs, doch noch einige Anmerkungen nachtragen, bevor mir einer
von Euch, liebe Freunde, meine kurzschlüssigen Urteile "nachträgt".
Die Gründe, Rudolf
Steiner hochzuschätzen, überwiegen in meiner gedanklichen Selbstauseinandersetzung
und Selbstübereinstimmung bei weitem die Gründe, ihn aufgrund
einiger theosophischer Mottenfraßschäden historisierend einzukapseln.
Zum einen unterscheide ich,
wie es ja auch sachlich geboten ist, zwischen den wenigen Schriften
dieses "Meisters"
(ja, das ist der zutreffendste Titel, so daß er mit den unbekannt-bescheidenen
großen Zen-Äbten und Künstlern einerseits, mit neuplatonischen
Philosophen wie Plotin und Proklos,
mit den oft verketzerten und von der Orthodoxie hingerichteten Sufi-Dichtern
und den christlich meditierenden Mönchen des Mittelalters andererseits
zusammengesehen wird, d.h. mit all denen, auf die das
Lied in Jesaja 50 zutrifft) und den zahllosen Vorträgen,
die nicht umsonst allesamt mit dem Spruch eingeleitet werden, daß
sie bloße Vorlesungs-Mitschriften seien, in denen sich "Fehlerhaftes"
finden könne (!).
Zum andern sind mir eben
jene "wirklichen" Schriften unendlich wertvoll.
Die ersten von ihnen, die
sich mit Erkenntnistheorie befassen, bieten einen Grundgedanken, der, wenn
er einmal eingeleuchtet hat, kaum noch verdämmert: nämlich den,
daß das Denken eine besondere Erfahrungsart ist, die im Unterschied
zu den sinnlich kanalisierten Erfahrungen, die erst durch eben das Denken
aufgeschlüsselt werden, sich selbst erklärt, durch sich selbst
einleuchtet, im inneren Selbstüberprüfen des Sich-Befragens und
Vergleichens, des inneren Beweisens, Widerlegens und des Ausmessens logischer
Konsequenzen unmittelbar einleuchtet. Wir sind substanziell geistige Wesen,
die noch trotz allen Sündenfall-Exils unserer sinnlichen Raumverlorenheit
im Binnenraum der geistigen Welt unverlierbar zuhause sind. Wir denken,
also sind wir Sterne, Gedankenlicht-Quellen, Erkenntnis-Sonnenaufgänge.
Das brauche ich jetzt nicht bei Steiner abzuschreiben, ich formuliere hier
frei, "hansisch". Und er selbst hat es auch nicht bei Hegel abgeschrieben
(dann klänge es wohl auch etwas anders), obwohl gerade Hegel der Hauptvertreter
dieses eigentlich schlichten Gedankens der Unmittelbarkeit absoluter Vermittlung
(= Vermittlung absoluter Unmittelbarkeit) ist. Ach Gott, ich erlebe einen
Haß auf Hegel bei meinem einzigen Philosophiekollegen an der Schule,
und so dürfte es auch sonst oft der Fall sein; das tut mir mehr weh
als all die Mißverständnisse, die Rudolf Steiner gegenüber
üblich sind.
Am höchsten schätze
ich "Wie erlangt man
Erkenntnisse der höheren Welten". Ich brauche das hier nicht auszuführen,
das mit dieser Praxis- und Übungs-Frage betitelte Werkchen kann
ja jeder Leser unmittelbar selbst einsehen und mit anderen Anleitungen
dieser Art vergleichen, etwa mit den Schriften der Theresa von Avila, mit
Fichtes "Anweisung zum seligen Leben" oder (leider besonders übersetzungs-schwellig)
mit Patanjalis Yoga-Sutra.
In diesem Punkt darf und muß man unendlich anspruchsvoll sein und
den ganzen exoterischen Seim des exoterisch-exotischen Echsenschleims unserer
Jahrzehnte ausscheiden. Dazu dient der kritische Menschenverstand; und
allen "Schulungen", die den Verstand ausschalten wollen, würde ich
die von ihnen gewählte Blödheit gönnen, wenn es nicht so
viel Schmerz verursachen würde; denn in der Tat quält selbstgewählte
Blödheit, Ignoranz und Verachtung des Verstandes nicht nur den Selbstblender,
sondern auch seine Mitmenschen. Erstaunlich, wie wenige spirituelle Schulungswege
den Verstand NICHT ausschalten!
Am wichtigsten im Gesamtwerk
Rudolf Steiners finde ich seine Christozentrik. Wie bei Jakob
Böhme, Novalis
und (wovon ich überzeugt bin) Hegel, wie (in musikalischer Inspiration)
bei Bruckner und Messiaen, wie bei den "katholischen Ketzern" Teilhard
de Chardin (Evolutionsbiologe und Anthropologe) und Friedrich von Spee
(der außer seinen vielen Liedern ein bedeutendes juristisches Werk
gegen die Hexenverfolgung geschrieben hat) ist bei ihm alles auf Christus
ausgerichtet, in Christus zentriert, durch Christus heilsam erfrischt
und neubelebt; das ist der wesentliche Punkt, in dem er die alte, staubige,
gammelige englisch-indische Theosophie überwunden hat. Da ist er in
die Drachenhaut geschlüpft und hat einen Schmetterling aus dem alten
Wurm hervorgezaubert. Sowenig es einen Paulus-Personenkult braucht, um
"den Christus anzuziehen", sowenig braucht es einen Steiner-Personenkult,
um
in Christus die "Weisheit vom Menschen" konzentriert zu finden.
Daß es mit unendlichen
Schwierigkeiten behaftet ist, heutzutage sein Leben in Christus zu zentrieren,
gibt der Aufgabe erst recht den besonderen Reiz: auch ohne die ausgehöhlten
Begriffe der christlichen Dogmatik den Sachverhalt der Neugeburt aus dem
Selbstopfer, in dem alles Leben besteht und sich fortplanzt, in tausend
"anderen" Mittelpunkten des unendlichen Umkreises verwirklicht zu sehen.
Jakob Böhme z.B. beschrieb die allschöpferische Geburt des SOHNES
an einem Grashalm, der Physiologus mit dem Phoenix-Motiv,
Wolfram von Eschenbach (ganz Jesaja-prophetisch)
als "Wunsch
vom Paradeis, beides: Wurzel und Reis", Hegel in der sich selbst vermittelnden
Gedankenbewegung des Logos ("Wissenschaft der Logik"), Bruckner durch endlos
aufsteigende, Blüte aus Blüte hervortreibende Modulationswendeltreppen,
der Expressionist Jawlensky konzentriert in dem all-einigen Fensterkreuz-Gesicht
seiner letzten Jahre; so unendlich viele aber beschrieben
den "Weg" mit ihrem eigenen Leben und Sterben, nicht zu reden von all
der namenlosen Mühe und Arbeit – so wunderbar viele, ja viele (!)
Wahrheiten, immer neu sich öffnende Wege,
die sich zu immer neueren Wegen immer weiter öffnen –
vor genau einem Jahr vertonte
ich zwei Trakl-Lieder,
das eine zum Herbstausklang: Rondel
("Verflossen ist das Gold der Tage"), das andere zum ersten Auftauchen
einiger weniger gleich dahinschmelzender Sterne aus gefrorenem Tau: Ein
Winterabend ("Wenn der Schnee ans Fenster fällt"). Aber dann fiel
der Winter aus. Nun sind wir hier in Görlitz frisch tief begraben
unter weichen Lichtmassen, da kann ich die beiden Lieder endlich als Gruß
versenden.
Dann folgte eine gründliche
Durcharbeitung der Seiten, vor allem des link-Kastens, aus dem Anlaß,
daß mein älterer Rechner zugrundeging und ich meinen neueren
aktivieren mußte und mich in puncto Scanner, Drucker, vor allem aber:
Musikprogramm neu orientieren mußte, denn diese drei "Abeitsflächen"
liefen nur über die alten Fenster-Versionen des vorigen Jahrtausends.
In dem Zusammenhang wurden auch die
dreistimmigen Vertonungen des athmosphärischen Kalenders "Der Wind
weht wo er will" endlich einmal als Graphik-Dateien ins Netz geknotet.
Aber richtig groß
nach diesem Kleingemüse wurde dann die Arbeit an Boethius:
De institutione arithmetica – ja, warum macht der Altphilologe Hans
jetzt Mathematik?, nun, natürlich als Vorlauf zu den berühmteren
und von mir schon früher "an-übersetzten" fünf Büchern
"De institutione musica",
wo der alte Pythagoras
in geregelter Lehrbuchgestalt ins Mittelalter gepflanzt wird: Musik
ist dort nicht so sehr irgendeine geschickte akustische Tätigkeit
zum Genuß der Hörer, sondern der mathematische Aspekt des Universums,
Harmonie der Gestirne und aller Natur in den Verhältnissen der "ersten",
d.h. der kleinsten natürlichen bzw. (wenn diese Verhältnisse
selbst als Zahl gefaßt sind) rationalen Zahlen. Kosmische Intervallkunde.
Ein "Musiker" ist bei Boethius ein mathematikkundiger Wissenschaftler des
großen Glasperlenspiels (wie Hesse es dann nennt), und dabei mehr
sich hineinhörend in die Verzeitlichung des Ewigen als selbst sich
hineinpfuschend. Wir sehen ja durchaus auf Basis des neuzeitlichen Mathematismus
der Naturwissenschaften entsprechende harmonische Gefüge, allerdings
eher in den transparenten Kristallgittern der molekularen Akkorde des chemischen
Aufbaus der Materie, in den Frequenzverhältnissen der Radiowellen,
in der Wachstumsrhythmik
der Pflanzen und im Fraktal
der Lebensräume und Zellenschäume, also insgesamt eher
im Kleinen der Substanzen als im Großen des Alls (trotz der Schönheit
der Sterne und der Galaxien-Spiralen), aber das ist gewiß nicht
die einzige historische "Umstülpung"
der Sichtweisen und Bewußtseins-Selbstverhältnisse vom
Umfassenden zum Hier-und-Jetzt-Punkt hin.
14.
Rundbrief 2007: Das Zeichen des Jona; O Heyland reiß die Himmel auff
4.Dezember
2007
Liebe Freunde,
Die Übersetzung der
drei Boethius-Bücher
"De institutione musica" habe ich kurz unterbrochen, um das kleine
Jona-Büchlein
hebräisch-griechisch-lateinisch-deutsch ins Netz zu stellen. Wie üblich,
ist die Transkription des hebräischen Textes dabei die langwierigste
Arbeitsstrecke, sogar die Übersetzung (aus dem Hebräischen) geht
leichter von der Hand.
"Jona
im Fischbauch" gilt für Jesus (Mtth.12,39;16,4;Luk.11,29)
als Archetypus des dreitägigen Todesdurchgangs in der Passion, und
so deutet es auch der
Psalm, den der Autor der Erzählung dem Verschlungenen (im gestaltenden
Mitvollzug der Propheteneinweihung) in den Mund gelegt hat: Als Todestiefe,
aus der ihn Gott befreien soll. In dieser Befreiung erweist sich der betend
vergegenwärtigte Gott als "Lebens-Täter", als Lebenserwecker,
man möchte sagen: Als der aus dem Tod im Erweckungsimpuls selbst eigentlich
Auferstehende, als der SOHN. Eine wichtige Belegstelle für "christliche"
Befreiung aus der Todesumklammerung schon vor dem Passionsdurchbruch Christi,
und dadurch prototypisches "Zeichen" dessen, der sein Leben in die Erde
hinein versenkt.
Ungewöhnlich ist das
Jona-Buch ohnehin dadurch, daß es erzählt, statt Sprüche
zu sammeln. Und die Erzählung ist einzigartig durch ihre spannende
Knappheit und ihren Humor. Ich mußte laut lachen, als ich die Beschreibung
des bußfertigen Ninive las, wo der König dieses urbanen Sündenpfuhls
sofort, ohne Zweifel oder Rückfrage, in Sack und Asche sitzt und sogar
die Tiere streng fasten läßt; der Prophet aber ist sauer, weil
die von ihm verkündete Apokalypse nicht eintritt und er wie ein Lügner
oder ein blöder Gutmensch dasteht. Das ist ein hervorragendes Propheten-Erziehungs-Lehrstück,
geschrieben für irgendein jüdisches Propheten-Hogwarts, um Selbstironie
zu lernen und Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid des Apokalyptikers
zu überwinden.
Und die Jona-Übersetzung
habe ich dann noch kürzer unterbrochen, um mich um die beiden Jesaja-Quellen
des Adventslieds "O Heiland
reiß die Himmel auf" zu kümmern, das aus der Feder Friedrichs
von Spee stammen soll, und auch um die Fassung, die Novalis diesem Lied
in Nr.12 der "Geistlichen Lieder" gegeben hat. Das fasziniert mich durch
die Drastik der Imperative genauso wie durch den unbekümmerten Pantheismus
der den Heiland gebärenden Natur in den einzelnen Strophen. Die Natur
ist Symphonie eines in ihr sich verwirklichenden Komponisten, in ihrem
Kern und Keimkegel lebt die schöpferische Freiheit eines unbändigen
Künstlers,
15.
Rundbrief 2007: Samson, Prototyp eines Nasir Elohim
11.Dezember
2007
Liebe Freunde,
da hat er also, wie er selbst
es sagen würde, sich als Gesamtkunstwerk vollendet ("zu leben ist
eine Kunst" sagt Novalis), ist in seine Auferstehungsphase übergegangen,
begibt sich nun zu seiner Heimat im Hundsstern links unterhalb des Orion
und nimmt sich ins lärmübersteigende
Schweigen der Planeten, Sonnen, Galaxien zurück. Ich war von vielen
seiner Kompositionen fasziniert, und daß man ihn seit seiner Äußerung
über den Fall der beiden Türme ("größtes Kunstwerk
aller Zeiten: 3000 Menschen auf einen Schlag in die Auferstehung geschickt!")
versucht hat, einmütig und absolut totzuschweigen, als gäbe es
ihn plötzlich nicht mehr, darauf bin ich stets aufmerksam gewesen.
Welche Paradoxie, einen Meister der Klänge in der Stille zu verstecken,
eine derart schöpferische Person so nachhaltig zur Unperson zu erklären.
Sein offensichtlicher, aber mit Arbeit ("Ich schreibe mir die Augen wund!"
rechtfertigte er sich einmal bei Biolek gegenüber Reich-Ranitzky)
ausgewogener Größenwahn stört mich weniger als die Moralinsäure
jener Zeitgenossen, die weder einen Begriff von Kunst (denn alles ist Kunst:
es ist eine Frage der Auffassungsgabe) noch von Auferstehung (denn der
Tod ist ein von Illusionen umfaltetes Nichts in Anbetracht des ewig lebenquellenden
Jetzt) haben.
Also: zu Stockhausens Ehren
stelle ich den Gesang
der drei Jünglinge im Feuerofen ins Netz, dieses nichthebräische,
griechische Apokryphenstück in Daniel 3, mit dem vor dem Zweiten Vaticanum
die "heimlichen", stillgesprochenen Priestergebete jeder katholischen Messe
beim Gang vom Altar zur Sakristei ihren Abschluß fanden. Natürlich
nicht den glockenrein-grellen Knabengesang inmitten der elektrischen Gluten,
verschnitten mit elektrischem Knabengesang inmitten glockenrein-greller
Gluten, Humor mit Schmerz durchkreuzt von Schmerz mit Humor, dieses Wahnsinnsstück
aus dem WDR-Studio, sondern den
alten Text, den "hallelu-Jah!"-Psalm, den harekrshna-monotonen Wiederholungshymnus.
Wem zu Ehren? Dem Weltenmusiker natürlich! Aber wer lobt da den Schöpfer
mit wessen Liedern? Wer ist es, der ihn erfindungsreich und melodienintelligent
lieben will? "Lobsinget ihm", aber wer singt das richtige, das angemessene,
das die Ohren des Hörers öffnende Lied? Wer ist es, der da singt?
Ich denke, es sind die musikalischen Strukturen der Schöpfung selbst,
die sich in Ehrfurcht und Staunen finden, reflektieren und neu verwirklichen.
Und welches Lied ist richtig, angemessen, öffnet die Ohren des Allwahrnehmenden?
Jedes Lied, das das nicht vermag, muß sich doch ins Schweigen zurücknehmen,
ins lärmübersteigende ...?
Nachklapp
zum 15.Rundbrief 2007: Dschelaluddin Rumi
17.Dezember
2007
Liebe Freunde,
am heutigen Heimkehrtag
Dschelaluddin Rumis (17.12.1273) möchte ich nachträglich an seinen
800. Geburtstag erinnern, den wir gerade erst am 30.September dieses Jahres
begangen haben. Er ist Gründer des Ordens der tanzenden Derwische,
einer Hauptausprägung der islamischen Mystik, vor allem aber einer
der größten Dichter der Weltliteratur.
Zu Liedern wie dem folgenden
drehen sich die in Gott Verzückten im Kreis um die ewige Jetzt-und-Hier-Mitte
des in Kreisen von Kreisen kreisenden Universums, geordnet in zwei Halbkreisen,
deren einer das Herabsteigen der Seelen in die Verleiblichung und deren
anderer ihren Wiederaufstieg in den Himmelsschoß des All-Ein-Seienden
figuriert, sie drehen Pirouetten verzückter Schönheit, sie schöpfen
mit grußhaft erhobener Hand die Du-heit des Geliebten, des Liebenden,
der Liebe selbst:
Er sprach:
»Nie kommt die Antwort: "Ich bin hier!"
So
fürchte ich, er weist die Türe mir!«
»Dein
Ruf "O Gott!" ist mein Ruf "Ich bin hier!"
Dein
Schmerz und Flehn ist Botschaft doch von mir,
Und all
dein Streben, um mich zu erreichen,
Daß
ich zu mir dich ziehe, ist's ein Zeichen!
Dein
Liebesschmerz ist meine Huld für dich –
Im
Ruf "O Gott!" sind hundert "Hier bin ich!"«.
Chidr (Chidhr, Chider, al-Chadhir) [arab.
"der Grüne"]
– sagenhafte Gestalt des Islam.
Chidr soll als ewiger Wanderer im Reich der Finsternis bis zur Lebensquelle
vorgedrungen sein
und sich ein bis an den Jüngsten Tag reichendes, dem Alter nicht
unterworfenes Leben erworben haben.
(Brockhaus 1967)
Er ist (so würde ich es sagen) der namhaft personifizierte,
in immerwährender Geburt "ausgrünende" Auferstehungsleib, den Christus für den
Menschen dem Tod entrungen hat: ein repräsentatives Bild der Wirkung Christi in der poetisch-inspirierten
Aura des Islam. grusz, hansz
Dann, sobald der Vollmond im Krebs stand, wurde
dieser Königin, die durch Gelübde rein war,
aus ihrer Seite der Sohn zum Heil der Welt geboren,
und zwar schmerzlos und wundlos.
Der Lalitavistara
ist (wie das
Buddhacarita) eine poetisch recht üppig ausblühende und legendengesättigte
Buddha-Biographie etwa aus der Zeitenwende, auf der Schwelle vom im Kern
atheistischen, philosophisch auf die Lehrtexte
bezogenen Hinayâna (dem "kleinen Fahrzeug") zum mehr religiösen,
bildhaften Mahâyana (dem "großen Fahrzeug"), wo der
übergöttliche Buddha in fünffacher Ausgestaltung ("Tathâgatas")
mitsamt seinen weiblichen Weisheitsspiegeln die Himmel besetzt, Hierarchien
von Göttern, Engeln und Dämonen diesen Himmeln zugeordnet sind
und Gnade, Erlösung und Hilfe von oben der Frömmigkeit der Laien,
der Nichtmönche, der alltagsgebundenen Menschen, heilsam, wohltuend
und seelennährend entgegenkommen.
Daraus hier nur der "Auszug
der Königin Mâyâ zum Lumbinî-Hain". "Mâyâ",
zufälligerweise homonym mit der Mutter des griechischen göttlichen
Seelenführers und (in der Spätantike) Weisheitsvermittlers Hermes,
ist in der Hindu-Philosophie Bezeichnung für die traumhafte Erscheinungswelt,
die sinnliche Verhüllung des rein geistigen All-Ein-Seienden. In der
shivaitischen Ausprägung des Hinduismus, in der insbesondere die scholastisch
argumentierenden und wissenschaftlich kommentierenden Philosophen und die
streng konzentriert meditierenden Asketen verankert sind, spiegelt sich
der all-ein-seiende Gott (der bei den Shivaiten natürlich unter dem
Namen "Shiva" verehrt wird) in weltschöpferischer Weise in seiner
eigenen Illusionskraft, wie ein meisterlich-kluges Wesen, das sich selbst
unlösbare Rätsel-Aufgaben stellt, um sie doch zu lösen;
dieser (gern weiblich imaginierte) Gegenpol bzw. Meditations-Konzentrations-Punkt
des per se unendlichen Bewußtseins wird auch als seine lîla-shakti,
seine "Spiel-Kraft" bezeichnet. Dieses Versteckspiel des Gottes in, mit
und um sich selbst erscheint uns als Welt: das ist "Maya", der Punkt, in
dem sich das Unendliche verliert, um sich immer neu, immer wieder neu wiederzufinden.
Und diese wahrlich weit hergeholten shivaitischen Reflexionen finden noch
im Werktitel der volksfrommen Buddhalegende einen Anklang, eine homonyme
Resonanz: "Lalita-vistara"
bedeutet "Spiel-Ausführung", "ausführliche Darlegung des
großen Spiels".
"Tantae molis erat ..."
– ich denke manchmal, man sollte Shiva als einen Selbstübersetzer
sehen, der sich in einem Sanskrit-Text verhüllt, aus dessen "Mâyâ"
er sich dann in eine andere Sprache, etwa Deutsch, hervor-gebären
lassen will, so daß er sich gewissermaßen selbst sokratische
Geburtshilfe leisten kann, um sich als der wahre Inhalt anamnetisch wieder-zu-erkennen
...
Aber hier, im Lalita-vistara,
ist es zunächst die Selbstverhüllung, Leibes-Einkleidung, Inkarnation
dessen, der in Lösung des selbstgeknüpften Knotens dereinst zum
Buddha werden soll, die Empfängnis und Geburt des Bodhisattva,
in der himmlischen Szenerie vergleichbar
den offenen Himmeln der Weihnachtslegende im Lukasevangelium, so daß
man schon oft hin- und herüberlegt hat, ob diese Legende auf älteren
buddhistischen fußt (siehe Jesu Geburt als Wirkung des "Heiligen
Geistes") oder der Mahayâna-Durchbruch des Buddhismus eher auf untergründige
christliche Impulse zurückgeht. In beiden Gedanken liegt etwas Wahres,
und als dritter Gedanke in dieser polyphonen Fuge sei noch die Erörterung
des Bhâgavata-Pûrânas anläßlich
der Inkarnation des All-Ein-Seienden in Krshna hinzugefügt:
wie denn überhaupt der unbegrenzte Ozean der Göttlichkeit "in
einem Tropfen" eingeschlossen, verloren, punktualisiert sein könne.