2. igitur semen unde exeat, inter sapientiae
professores non constat.
Parmenides enim tum ex dextris tum e laevis
partibus + id ire + putavit.
Hipponi vero [et] Metapontino sive, ut Aristoxenus
auctor est, Samio
ex medullis profluere semen videtur, idque
eo probari,
quod post admissionem pecudum si quis mares
interimat, medullas utpote exhaustas non reperiat.
Wo
der Samen herkommt, steht bei den Fachgelehrten nicht fest.
Parmenides
glaubte nämlich, er komme aus der rechten, bzw. aus der linken Körperhälfte.
Dagegen
hält es Hippon aus Metapont oder, wie Aristoxenos aus Samos bezeugt,
für richtig,
daß
der Samen aus dem Rückenmark ausfließt, und er leitet den Beweis
aus der Beobachtung ab,
daß
sich bei männlichen Tieren, die man nach der Paarung töte, kein
Mark finde, da es eben erschöpft sei.
3. sed hanc opinionem nonnulli refellunt,
ut Anaxagoras, Democritus et Alcmaeon Crotoniates;
hi enim post gregum contentionem
non medullis modo, verum et adipe multaque
carne mares exhauriri respondent.
Aber
es gibt auch einige Stimmen gegen diese Theorie, so Anaxagoras, Demokrit
und Alkmaion aus Kroton.
Sie
halten nämlich entgegen, daß die männlichen Tiere nach
der Bespringung von Herden
sich
nicht nur im Mark, sondern auch im Fett und auch erheblich im Fleisch auszehren.
4. illud quoque ambiguam facit inter auctores
opinionem,
utrumne ex patris tantummodo semine partus
nascatur,
ut Diogenes et Hippon stoicique scripserunt,
an etiam ex matris,
quod Anaxagorae et Alcmaeoni nec non Parmenidi
Empedoclique et Epicuro visum est.
Aber
auch folgendes Problem löst bei den Fachschriftstellern widersprüchliche
Theorien aus:
ob
nämlich das Neugeborene nur aus dem Samen des Vaters gezeugt ist,
wie
Diogenes, Hippon und die Stoiker schrieben,
oder
auch aus dem der Mutter,
wie
Anaxagoras und Alkmaion, aber auch Parmenides, Empedokles und Epikur für
richtiger hielten.
5. de conformatione autem partus nihilo minus
definite se scire Alcmaeon confessus est,
ratus neminem posse perspicere, quid primum
in infante formetur.
Über
die Ausformung des Embryos, bekannte Alkmaion, wisse er keineswegs genau
Bescheid,
da
er der Meinung war, keiner könne wahrnehmen, was sich beim Kind als
erstes ausbilde.
VI. Zeugungstheorien
1. Empedocles, quem in hoc Aristoteles secutus
est,
ante omnia cor iudicavit increscere,
quod hominis vitam maxime contineat;
Hippon vero caput, in quo est animi principale;
Democritus alvum cum capite, quae plurumum
habent ex inani;
Anaxagoras cerebrum, unde omnes sunt sensus.
Diogenes Apolloniates ex umore primum carnem
fieri existimavit,
tum ex carne ossa nervosque et ceteras partes
enasci.
Empedokles
entscheidet sich dafür, und hierin ist ihm Aristoteles gefolgt,
daß
vor den sonstigen Körperteilen als erstes das Herz sich entwickle,
da
es das Leben des Menschen im höchsten Grade in sich trage.
Hippon
entschied sich für den Kopf, in dem die Steuerung der Seele sitzt.
Demokrit
nannte Bauchhöhle mit Kopf, da diese Organe den meisten Ausdehnungsraum
beanspruchen.
Anaxagoras
war für das Gehirn, von dem sich alle sinnliche Empfindung herleitet.
Diogenes
aus Apollonia glaubte, daß sich zunächst aus Flüssigkeit
Fleisch bilde,
dann
aber aus dem Fleisch sich Knochen, Sehnen und sonstige Bestandteile herausformen.
2. at Stoici una totum infantem figurari dixerunt,
ut una nascitur aliturque.
sunt qui id opinentur ipsa fieri natura,
ut Aristoteles adque Epicurus;
sunt qui potentia spiritus semen comitantis,
ut Stoici ferme universi;
sunt qui zetherium calorem inesse arbitrentur,
qui membra disponat, Anaxagoran secuti.
Die
Stoiker dagegen behaupteten, das gesamte Kind bilde sich einheitlich,
wie
es ja auch als Einheit geboren wird und heranwächst.
Dann
gibt es Philosophen mit der Vorstellung, daß dies unmittelbar von
Natur aus vor sich gehe,
z.B.
Aristoteles und Epikur.
Andere
machen dafür die Kraft eines den Samen begleitenden Geistes verantwortlich,
wie
nahezu sämtliche Stoiker.
Andere
glauben, im Samen gebe es eine ätherische Wärme, welche die Körperglieder
ordne,
nämlich
die Schule des Anaxagoras.
3. utcumque tamen formatus infans
quemadmodum in matris utero alatur, duplex
opinio est.
Anaxagorae enim ceterisque conpluribus
per umbilicum cibus administrari videtur.
at Diogenes et Hippon existimarunt esse in
alvo prominens quiddam,
quod infans ore adprehendat <et> ex eo
alimentum ita trahat
ut, cum editus est, ex matris uberibus.
Unabhängig
davon, wie sich das Kind auch ausformen mag:
es
besteht wieder eine geteilte Meinung darüber, wie es im Unterleib
der Mutter ernährt wird.
Anaxagoras
und die meisten Gelehrten sind der Ansicht,
es
werde durch den Nabelstrang mit Nahrung versorgt.
Andererseits
glaubten Diogenes und Hippon, es gebe im Mutterleib eine Art Vorsprung,
den
das Kind mit dem Munde annimmt und aus dem es seine Nahrung in derselben
Weise zieht
wie
nach der Geburt aus den Brüsten der Mutter.
4. ceterum ut mares feminaeve nascantur, quid
causae esset,
varie ab isdem philosophis proditum est.
nam ex quo parente seminis amplius fuit, eius
sexum repraesentari dixit Alcmaeon.
ex semimbus autem tenuioribus feminas, ex
densioribus mares fieri Hippon adfirmat.
Weiter:
Die Ursache für die Entstehung männlicher und weiblicher Kinder
wird
von eben diesen Philosophen verschieden angegeben.
Daß
sich das Geschlecht des Elternteils durchsetze, dessen Samenmenge größer
war, behauptete Alkmaion.
Daß
aus dünnerem Samen weibliche, aus dickerem männliche Keime entstünden,
versichert dagegen Hippon.
5. utrius vero parentis principium sedem prius
occupaverit,
eius reddi naturam Democritus rettulit.
at inter se certare feminae et maris,
et penes utrum victoria sit, eius habitum
referri auctor est Parmenides.
Daß
die geschlechtliche Natur des Elternteils wiederkehre,
dessen
Zeugungsstoff zuerst seinen Bestimmungsort eingenommen hat, berichtete
Demokrit;
ja,
weibliches und männliches Prinzip lägen miteinander im Wettstreit,
und
wer von beiden den Sieg davontrage, lehrt Parmenides, dessen Typus werde
reproduziert.
6. ex dextris partibus profuso semine mares
gigni,
at e laevis feminas
Anaxagoras Empedoclesque consentiunt,
quorum opiniones, ut de hac specie congruae,
ita de similitudine liberorum dispariles;
super qua re Empedodes disputata ratione talia
profert:
Daß
durch Samen, der aus der rechten Körperseite ausffieße, männliche,
aus
der linken Körperseite weibliche Föten entstehen,
darin
stimmen Anaxagoras und Empedokles überein.
So
sehr sich beider Meinungen in diesem Punkt decken,
so
sehr gehen sie über die Vererbung der Ähnlichkeit bei Kindern
auseinander.
Bei
der Erörterung dieser Abläufe kommt Empedokles zu folgender Feststellung.
7. si par calor in parentum seminibus fuit,
patri similem marem procreari;
si frigus, feminam matri similem.
quodsi <semen> patris calidius erit et
frigidius matris,
puerum fore, qui matris vultus repraesentet;
at si calidius matris, patris autem fuerit
frigidius,
puellam futuram, quae patris reddat similitudinem.
Wenn
der Samen beider Elternteile gleiche Wärme hatte,
werde
ein dem Vater ähnlicher Knabe gezeugt;
bei
gleicher Kälte entstehe ein der Mutter ähnliches Mädchen.
Wenn
aber der Samen des Vaters relativ wärmer, der der Mutter relativ kälter
war,
werde
das ein Knabe sein, der die Züge der Mutter widerspiegele.
War
aber der Samen der Mutter relativ wärmer, der des Vaters relativ kälter,
werde
es ein Mädchen sein, das dem Vater ähnlich sieht.
8. Anaxagoras autem eius parentis faciem referre
liberos iudicavit,
qui seminis amplius contulisset.
ceterum Parmenidis sententia est,
cum dexterae partes semina dederint, tunc
filios esse patri consi miles,
cum laevae, tunc matri.
Anaxagoras
urteilt in dem Sinne, daß die Kinder das Erscheinungsbild des Elternteils
wiedergeben,
der
die größere Samenmenge beigetragen habe.
Bei
Parmenides findet sich außerdem die Lehre,
daß,
wenn der Samen aus der rechten Seite kommt, die Söhne dem Vater ähnlich
seien,
bei
linksseitigem Samen aber der Mutter.
9. sequitur de geminis,
qui ut aliquando nascantur, modo seminis fieri
Hippon ratus <est>:
id enim cum amplius est quam uni satis fuit,
bifariam deduci.
Es
folgt nun ein Abschnitt über Zwillinge,
deren
gelegentliches Vorkommen, wie Hippon glaubte, durch die Art des Samens
bedingt sei:
ist
dieser reichlicher vorhanden als für einen Fötus erforderlich,
werde er zwiefach angelegt.
10. id ipsum ferme Empedocles videtur sensisse;
nam causas quidem, cur divideretur, non posuit,
partiri tantummodo ait,
et si utrumque sedes aeque calidas occupaverit,
utrumque marem nasci,
si frigidas aeque, utramque feminam;
si vero alterum calidiorem, alterum frigidiorem,
dispari sexu partum futurum.
Genau
dasselbe scheint auch Empedokles gedacht zu haben;
er
hat zwar keine Gründe für diese Teilung angegeben, sondern sagt
nur, er werde zerlegt,
und
wenn beide Teilmengen gleichwarme Empfängnisorte einnähmen, würden
männliche Zwillinge geboren,
bei
gleichkühlen Empfängnisorten weibliche Zwillinge;
sei
aber der eine Empfängnisort relativ warm, der andere relativ kühl,
werde
man verschiedengeschlechtliche Zwillinge haben.
VII. Embryonalphase
1. superest dicere de temporibus, quibus partus
soleant esse ad nascendum maturi.
qui locus eo mihi cura maiore tractandus est,
quod quaedam necesse est de astrologia musicaque
et arithmetica attingere.
Es
bleibt nun noch über den Zeitpunkt zu sprechen, zu dem die Leibesfrucht
in der Regel für die Geburt reif ist.
Diese
Thematik muß ich deswegen mit größerer Aufmerksamkeit
behandeln,
weil
besondere Bereiche der Astrologie, Musik und Mathematik berührt werden
müssen.
2. iam primum quoto post conceptionem mense
infantes edi soleant,
frequenter agitatum inter veteres nondum convenit.
Hippon Metapontinus a septimo ad decimum mensem
nasci posse aestimavit.
nam septimo partum iam esse maturum eo,
quod in omnibus septenanus plurimum possit,
siquidem septem formemur mensibus,
additisue alteris recti consistere incipiamus,
et post septimum mensem dentes nobis innascantur,
idemque post septimum cadant annum,
quarto decimo autem pubescere soleamus.
Schon
die erste Frage, im wievielten Monat nach der Empfängnis die Kinder
im Normalfall ausgetrieben werden,
wurde
von den alten Philosophen immer wieder diskutiert, aber noch nicht übereinstimmend
beantwortet.
Hippon
aus Metapont hat gemeint, eine Geburt sei zwischen dem 7. und 10. Monat
möglich;
denn
schon im 7. Monat sei die Leibesfrucht reif, und zwar aus dem Grund,
weil
die Siebenzahl in allen Bereichen eine entscheidende Rolle spielt, wenn
es denn richtig ist,
daß
wir in sieben Monaten ausgeformt werden,
nach
weiteren sieben Monaten anfangen, uns aufrecht hinzustellen,
dann
nach sieben Monaten unsere Zähne durchkommen,
nach
sieben Jahren diese wieder ausfallen
und
wir im 14. Lebensjahr gewöhnlich die Pubertät erreichen.
3. sed hanc a septem mensibus incipientem
maturitatem usque ad decem perductam, ideo quod in alus omnibus haec eadem
natura est,
ut septem mensibus annisve tres aut menses
aut anni ad consummationem accedant.
Aber
diese im 7. Monat beginnende Geburtsreife dehnt sich, so Hippon, deswegen
bis zum 10. Monat aus,
weil
in allen anderen Analogiefällen dasselbe Phänomen auftritt,
daß
nämlich zu den sieben Monaten oder Jahren noch drei Monate oder Jahre
zur Vollendung hinzukommen.
4. nam dentes septem mensum infanti nasci
et maxime decimo perfici mense,
septimo anno primos eorum exeidere, decimo
ultimos;
post quartum decimum annum nonnullos, sed
omnes intra septimum decimum annum pubescere.
huic opinioni in parte aliqua repugnant alii,
in parte consentiunt.
Die
Zähne z.B., meint Hippon, kommen beim siebenmonatigen Kind zum Vorschein
und
sind meistenteils im 10. Monat fertig ausgebildet.
Im
7. Lebensjahr fallen die ersten Zähne aus, im 10. die letzten.
Nach
dem 14. Lebensjahr kommen bereits einige Kinder in die Pubertät, bis
zum 17. aber alle.
Diese
Lehre wird teilweise bekämpft, teilweise wird ihr beigepflichtet.
5. nam septimo mense parere mulierem posse
plurimi adfirmant,
ut Theano Pythagorica, Aristoteles Peripateticus,
Diocles, Euenor, Straton, Empedocles, Epigenes
multique praeterea,
quorum omnium consensus Euryphonem Cnidium
non deterret
id ipsum intrepide pernegantem.
Daß
nämlich eine Frau im 7. Monat gebären kann, bestätigen die
meisten Forscher,
so
die Pythagoräerin Theano, der Peripatetiker Aristoteles, Diokles,
Euenor, Straton, Empedokles, Epigenes
und
außerdem noch viele andere;
doch
hat dieser Konsens aller den Knidier Euryphon nicht davon abhalten können,
unverzagt
die Richtigkeit dieser Lehre völlig zu verwerfen.
6. contra eum ferme omnes Epicharmum secuti
octavo mense nasci negaverunt.
Diocles tamen Carystius et Aristoteles Stagirites
aliter senserunt.
nono autem et decimo mense cum Chaldaei plurimi
et idem supra mihi nominatus Aristoteles
edi posse partum putaverint,
neque Epigenes Byzantius nono fieri posse
contendit,
nec Hippocrates Cous decimo.
Entgegen
seiner Behauptung haben fast alle Gelehrte im Anschluß an Epicharm
die
Möglichkeit einer Geburt im 8. Monat bestritten.
Aber
Diokles aus Karystos und Aristoteles aus Stageira vertraten die Gegenmeinung.
Während
die Mehrzahl der Chaldäer und der eben von mir genannte Aristoteles
geglaubt haben,
die
Leibesfrucht könne im 9. und noch im 10. Monat ausgetrieben werden,
verwarf
Epigenes aus Byzanz die Möglichkeit einer Geburt im 9.,
Hippokrates
aus Kos die Möglichkeit einer Geburt im 10. Monat.
7. ceterum undecimum mensem Aristoteles solus
recipit,
ceteri universi inprobarunt.
Im
übrigen hat allein Aristoteles noch den 11. Monat zugelassen,
was
die anderen sämtlich ablehnten.