I. Widmung 1. Munera ex auro vel quae [ex] argento nitent,
caelato opere quam materia cariora, ceteraque hoc genus blandimenta fortunae inhiat
is, qui vulgo dives vocatur; te autem, Quinte Caerelli, virtutis non minus
quam pecuniarum divitem, id est vere divitem, ista non capiunt; Nach
Geschenken, die von Gold oder Silber glänzen, wertvoll eher durch
ihre Ziselierung als durch ihr Material, und
anderen derartig reizenden Glücksgütern hechelt derjenige, der
im landläufigen Sinne "reich" heißt; dich
aber, Quintus Caerellius, an Tugend nicht weniger reich als an Vermögen,
das heißt wahrhaft reich, ergreifen
diese Dinge nicht; 2. non quod eorum possessionem vel etiam usum
a te omnino abieceris, sed quod sapientium disciplina formatus satis
liquido conperisti huius modi sita in lubrico bona malave per
se non esse, sed tôn mesôn, hoc est bonorum
malorumque media censeri. und
zwar nicht, weil du etwa ihren Besitz oder gar ihren Gebrauch völlig
von dir weist, sondern
weil du, gebildet in einer Weisheitsschule, mit hinreichender geistiger
Beweglichkeit erfahren hast, daß
derartige, auf schwankendem Fundament ruhende Güter nicht an sich
gut oder schlecht sind, sondern
als tôn mesôn, d.h. als Mittleres zwischen Gutem und Schlechtem
gelten. 3. 'haec', ut comicus ait Terentius, 'perinde
sunt, ut illius est animus, qui ea possidet: qui uti scit, ei bona; illi, qui non utitur recte, mala.' "Sie
sind", wie wie der Komödiendichter Terenz sagt, "eben so, wie
der Charakter des Menschen ist, der sie besitzt; wer
sie zu gebrauchen weiß, für den sind sie gut; dem,
der sie nicht recht gebraucht, sind sie schlecht." 4. igitur quoniam quisque non quanto plura
possidet, sed quanto pauciora optat, tanto est locupletior, opes tibi in animo maximae, et eae quidem, quae non modo bona generis
humani praecedant, sed quae ad deorum immortalium aeternitatem
penitus accedant, quod enim Xenophon Socraticus dicit 'nihil egere est deorum, quam minime autem proximum a deis.' Da
man also um so wohlhabender ist, nicht je mehr man besitzt, sondern je
weniger Wünsche man hat, so
gelten dir die innerseelischen Besitztümer als die höchsten, und
zwar solche, die nicht nur die Güter der Menschheit überschreiten, sondern
an die Ewigkeit der unsterblichen Götter ganz dicht herankommen; das
sagt nämlich der Sokratesschüler Xenophon: "Keiner
Sache zu bedürfen, ist den Göttern eigen; möglichst
weniger Dinge zu bedürfen, steht den Göttern am nächsten." 5. quare cum dona pretiosa neque tibi per
animi virtutem desint nec mihi per rei tenuitatem supersint, quodcumque hoc libri est meis opibus conparatum natalicii titulo tibi misi. Da
also kostbare Geschenke dir aufgrund deiner innerseelischen Tugendhaftigkeit
nicht fehlen und
mir angesichts der Dürftigkeit meines Besitzes auch nicht zur Verfügung
stehen, schicke
ich dir, was auch immer an diesem Buche durch mein Vermögen zustandegekommen
ist, unter
dem Titel eines "Geburtstagsgeschenks". 6. in quo non, ut plerisque mos est, aut ex ethica parte philosophiae praecepta
ad beate vivendum, quae tibi scriberem, mutuatus sum, aut ex artibus rhetorum locos laudibus tuis
celebrandis persecutus – ad id enim virtutum omnium fastigium ascendisti, ut cuncta ista, quae vel sapienter monentur
vel facunde praedicantur, vita moribusque superaveris – sed ex philologis commentariis quasdam quaestiunculas
delegi, quae congestae possint aliquantum volumen
efficere, In
diesem Buche habe ich nicht, wie das bei den meisten üblich ist, aus
dem Ethikdrittel der Philosophie Weisungen für ein glückliches
Leben entlehnt, um sie dir zu schreiben, bin
auch nicht Phrasen aus Rhetorenhandbüchern gefolgt, um deinen Ruhm
zu feiern – schließlich
bist du zu solch einem Gipfel aller Tugendhaftigkeit aufgestiegen, daß
du all das, was da so weise angemahnt oder wortreich gepriesen wird, durch
dein bisheriges Leben und sittliches Verhalten bereits übertroffen
hast – sondern
ich habe aus philologischen Abhandlungen einige kleinere Problemfragen
ausgewählt, die
zusammengefaßt wohl eine ganze Buchrolle ausmachen können. 7. idque a me docendi studio vel ostentandi
voto non fieri praedico, ne in me, ut vetus adagium est, iure dicatur: sus Minervam. Ich
sage vorweg, daß ich dies weder aus Belehrungseifer noch aus Geltungsbedürfnis
erarbeitet habe, schon
damit mir nicht, wie ein altes Sprichwort lautet, zu Recht vorgehalten
wird: "Das
Schwein wetteifert mit Minerva!"; 8. <iam> vero cum tuo collatu scirem me
plura didicisse, ne beneficiis tuis viderer ingratus, nostrorum veterum sanctissimorum hominum exempla
sum secutus. sondern
weil ich weiß, daß ich bei der Begegnung mit dir eher der Lernende
war, bin
ich, um nicht als undankbar für deine Wohltaten zu erscheinen, dem
Beispiel unserer Vorfahren gefolgt, die Menschen von ehrfurchtgebietender
Heiligkeit gewesen sind. 9. illi enim quod alimenta patriam lucem se
denique ipsos dono deorum habebant, ex omnibus aliquid deis sacrabant, magis adeo ut se gratos adprobarent quam quod deos hoc arbitrarentur indigere. Weil
jene nämlich ihre Nahrung, ihre Heimat, das Tageslicht, ja sogar sich
selbst als Gaben der Götter ansahen, weihten
sie von allem einen Teil den Göttern, und
zwar mehr zu dem Zweck, sich als dankbar zu erweisen, als
deshalb, weil sie geglaubt hätten, die Götter seien dessen bedürftig. 10. itaque cum perceperant fruges, ante quam vescerentur, deis libare instituerunt, et cum agros atque urbes deorum munere possiderent, partem quandam templis sacellisque, ubi eos
colerent, dicaverunt; quidam etiam pro cetera corporis bona valetudine crinem deo sacrum pascebant. Daher
führten sie den Brauch ein, wenn sie die Feldfrucht geerntet hatten, bevor
sie selbst aßen, den Göttern eine Spende darzubringen, und
da sie ihre Felder und Städte durch eine Zuwendung der Götter
besaßen, erklärten
sie einen bestimmten Teil zu größeren und kleineren heiligen
Bezirken, um sie dort zu verehren; manche
ließen sogar für die allgemeine körperliche Gesundheit das
Haupthaar als Weihgabe für einen Gott wachsen. 11. ita ego, a quo plura in littera percepi, tibi haec exigua reddo libamina.
So
erstatte auch ich dir, von
dem ich in Bezug auf die Wissenschaften den größeren Teil empfangen
habe, diese
dürftigen Opferspenden. II. Opfer
für den Genius
1. Nunc quoniam liber de die natali inscribitur,
a votis auspicia sumantur. itaque 'hunc diem', quod ait Persius, 'numera
meliore lapillo', idque quam saepissime facias exopto et, quod idem subiungit, 'funde merum Genio'. Da
das Buch "Über den Tag der Geburt" betitelt ist, soll der Anfang mit
den guten Wünschen gemacht werden. "So
zähle denn", um mit Persius zu reden, "diesen Tag mit einem besseren
Steinchen", und
ich wünsche dir, daß du dies noch sehr oft tun mögest, und
wie derselbe Dichter fortfährt, "gieß ungemischten Wein für
den Genius aus." 2. hic forsitan quis quaerat, quid causae
sit, ut merum fundendum Genio, non hostia faciendum
putaverit. quod scilicet, ut Varro testatur in eo libro,
cui titulus est Atticus et est de numeris, id moris institutique maiores nostri tenuerunt, ut, cum die natali munus annale Genio solverent, manum a caede ac sanguine abstinerent, ne
die, qua ipsi lucem accepissent, alii demerent. Hier
könnte man die Frage stellen, was der Grund dafür sei, daß
er meint, dem
Genius müsse ungemischter Wein gespendet werden und nicht Schlachtopfer
dargebracht werden. Natürlich
ist der Grund der, wie Varro in dem Buch bezeugt, das den Titel "Atticus"
hat und von Zahlen handelt, daß
unsere Vorfahren an dieser Art des Brauchtums und der Tradition festgehalten
haben, um,
wenn sie an ihrem Geburtstag dem Genius die Jahresgabe abstatteten, die
Hand von Mord und Blut fernzuhalten: um an dem Tage, an
welchem sie selbst das Licht der Welt erblickt hätten, es einem anderen
Wesen nicht zu nehmen. 3. denique Deli ad Apollinis Genitoris aram,
ut Timaeus auctor est, nemo hostiam caedit. illud etiam in hoc die observandum, quod Genio factum neminem oportet ante gustare
quam eum, qui fecerit. Sed et hoc a quibusdam saepe quaesitum solvendum
videtur, qui<s> sit Genius curve eum potissimum
suo quisque natali veneremur. Am
Altar des Apollo Genitor zu Delos schließlich schlachtet niemand,
wie Timaios berichtet, ein Opfertier. Auch
diese Besonderheit ist an diesem Tage zu beachten, daß
niemand die dem Genius dargebrachte Opfergabe kosten soll vor dem, der
sie dargebracht hat. Aber
auch folgende, schon oft von manchen gestellte Frage, scheint mir, muß
gelöst werden, wer
nämlich der Genius ist, und warum wir gerade ihm jeweils an unserem
Geburtstag Ehrfurcht erweisen. III. Der
Genius
1. Genius est deus, cuius in tutela ut quisque
natus est vivit. hic sive quod ut genamur curat, sive quod
una genitur nobiscum, sive etiam quod nos genitos suscipit ac tutatur,
certe a genendo Genius appellatur. Genius
ist der Gott, unter dessen Schutz jeder lebt, sobald er geboren ist. Sei
es weil er dafür Sorge trägt, daß wir gezeugt werden, sei
es weil er selbst gleichzeitig mit uns gezeugt wird, oder sei es auch,
weil er uns als Gezeugte übernimmt und beschützt – sicher hat
er seinen Namen 'Genius' von 'genere' (zeugen). 2. eundem esse Genium et Larem multi veteres
memoriae prodiderunt, in quis etiam Granius Flaccus in libro, quem ad Caesarem de indigitamentis
scriptum reliquit. hunc in nos maximam, quin immo omnem habere
potestatem creditum est. Daß
Genius und Lar identisch sind, haben viele alte Autoren überliefert,
darunter auch Granius Flaccus, der
uns die Caesar gewidmete Schrift "Über religiöse Anrufungsformeln"
hinterlassen hat. Von
diesem hat man geglaubt, daß er über uns die größte,
ja sogar alle Gewalt habe. 3. nonnulli binos Genios in his dumtaxat domibus,
quae essent maritae, colendos putaverunt. Euclides autem Socraticus duplicem omnibus omnino nobis Genium dicit
adpositum, quam rem apud Lucilium in libro saturarum
XVI licet cognoscere. Genio igitur potissimum per omnem aetatem
quotannis sacrificamus, Einige
nahmen an, man müsse zwei Genien verehren, allerdings nur in Häusern,
in denen Ehepaare wohnen. Andererseits
behauptet der Sokratesschüler Eukleides, uns
allen wäre in jedem Falle ein doppelter Genius zugeordnet, was
man auch mit dem 16. Buch der Satiren des Lucilius belegen kann. In
aller Regel opfern wir also dem Genius jährlich das ganze Leben hindurch, 4. quamquam non solum hic sed et alii sunt
praeterea dei conplures hominum vitam pro sua quisque portione adminiculantes, quos volentem cognoscere indigitamentorum
libri satis edocebunt. sed omnes hi semel in uno quoque homine numinum
suorum effectumrepraesentant, quocirca non per omne vitae spatium annuis
religionibus arcessuntur. obwohl
nicht nur er es ist, sondern auch mehrere andere Götter, die
das Leben jeweils in ihrem Bereich hilfreich unterstützen, und
wer sie alle kennenlernen will, den werden die Bücher "Über
die Anrufungsformeln" zur Genüge belehren. Aber
diese alle vergegenwärtigen nur einmal bei jedem einzelnen Menschen
die Kraft ihrer göttlichen Wirkung, und
deshalb werden sie nicht durch das gesamte Leben immer wieder mit jährlichen
Opfern herbeigeholt. 5. Genius autem ita nobis adsiduus observator
adpositus est, ut ne puncto quidem temporis longius abscedat, sed ab utero matris acceptos ad extremum vitae
diem comitetur. sed cum singuli homines suos tantummodo proprios
colant natales, ego tamen duplici quotannis officio huiusce
religionis adstringor; Der
Genius ist uns aber als wachsamer Beschützer in der Weise beigegeben, daß
er sich auch nicht den kleinsten Augenblick weiter entfernt, sondern
uns von der Übernahme vom Mutterleibe an bis an den letzten Tag des
Lebens begleitet. Während
nun sonst die Menschen nur immer ihren eigenen Geburtstag feiern, fühle
ich mich jedes Jahr zu zweifachem Dienst in diesem Kult verpflichtet. 6. nam cum ex te tuaque amicitia honorem dignitatem
decus adque praesidium, cuncta denique vitae praemia recipiam, nefas arbitror, si diem tuum, qui te mihi
in hanc lucem edidit, meo illo proprio neclegentius celebravero. ille enim mihi vitam, hic vitae fructum adque
ornamentum pepererunt. Denn
da ich von dir und deiner Freundschaft meine Ehre, Würde, Wertschätzung
und Sicherheit, ja
schließlich alles, was das Leben lebenswert macht, empfange, müßte
ich es als Frevel ansehen, wollte ich deinen Tag, der dich für mich
dem Licht der Welt geschenkt hat, mit
geringerer Achtung feiern als jenen eigenen. Denn
jener gab mir das Leben, dieser aber gab meinem Leben Erfolg und Auszeichnung. IV. Urzeugung
des Menschen 1. Quoniam aetas a die natali initium sumit suntque ante hunc diem multa, quae ad hominum
pertinent originem, non alienum videtur de iis prius dicere, quae
sunt natura priora. igitur quae veteribus de origine humana fuerint
opiniones, ex his quaedam breviter exponam. Da
nun die Lebenszeit beim Geburtstag ihren Anfang nimmt, und
da schon vor diesem Tage viele Kräfte wirken, die für die Entstehung
der Menschen bestimmend sind, scheint
es nicht unangebracht, zuerst von den Kräften zu sprechen, die der
Geburt naturgemäß vorausgehen. Ich
will also von den Theorien aus alter Zeit einiges über die Entstehung
des Menschen kurz vortragen. 2. prima et generalis quaestio inter antiquos
sapientiae studiosos versata est, quod, cum constet homines singulos ex parentum
seminibus procreatos successione prolis multa saecula propagare, alii semper homines fuisse nec umquam nisi ex hominibus natos atque eorum generi caput exordiumque nullum
extitisse arbitrati sunt, alii vero fuisse tempus, cum homines non essent, et his ortum aliquem principiumque natura
tributum. Als
erstes und allgemeinstes Problem ist bei den alten Fachgelehrten das folgende
behandelt worden, nämlich: daß,
da es ja feststeht, daß ein jeder Mensch aus dem Samen seiner Eltern
hervorgegangen ist und
sich seinerseits in der Geschlechterfolge durch viele Generationen weiter
fortpflanzt, so
haben die einen angenommen, es habe von jeher Menschen gegeben, und
sie seien immer nur aus Menschen hervorgegangen, und
es habe keinen Anfang und Hervorgang gegeben; die
anderen aber haben angenommen, es habe eine Zeit gegeben, in der es keine
Menschen gab, und
es müsse ihnen von der Natur irgendeine Urzeugung und Erstmaligkeit
zuerteilt worden sein. 3. sed prior illa sententia, qua semper humanum
genus fuisse creditur, auctores habet Pythagoran Samium et Ocellum Lucanum et Archytan
Tarentinum omnesque adeo Pythagoricos; sed et Plato Atheniensis et Xenocrates et
Dicaearchus Messenius itemque antiquae Academiae philosophi non
aliud identur opinati. Aristoteles quoque Stagirites et Theophrastus
multique praeterea non ignobiles peripatetici idem scripserunt eiusque rei exemplum dicunt, quo negant omnino posse reperiri, avesne ante an ova generata sint, cum et ovum sine ave et avis sine ovo gigni
non possit. Die
erste Theorie nun, nach der es immer schon ein Menschengeschlecht gegeben
haben soll, hat als Urheber den
Pythagoras aus Samos, Okellos Lukanos, Archytas aus Tarent und überhaupt
alle Pythagoräer; aber
auch der Athener Plato, Xenokrates, Dikaiarchos aus Messene und
ebenso die Philosophen der alten Akademie haben offenbar nicht anders gedacht. Auch
Aristoteles aus Stageira, Theophrast und außer ihnen viele andere
nicht unbedeutende Peripatetiker haben
in diesem Sinne geschrieben und dabei einen Grundsatz formuliert, demzufolge
man überhaupt nicht herausfinden könne, ob
die Vögel oder die Eier zuerst erschaffen worden seien, da
weder ein Ei ohne Vogel noch ein Vogel ohne Ei entstehen könne. 4. itaque et omnium, quae in sempiterno isto
mundo semper fuerunt futuraque sunt, aiunt principium fuisse nullum, sed orbem esse quendam generantium nascentiumque, in quo unius cuiusque geniti initium simul
et finis esse videatur. Überhaupt
von allen Lebewesen, die jemals auf dieser immerwährenden Welt waren
und sein werden, behaupten
sie, habe es niemals eine Urzeugung gegeben, vielmehr
gebe es eine Art Kreislauf von Zeugung und Geburt, worin
gleichzeitig Anfang und Ende eines jeden gezeugten Wesens zu liegen scheine. 5. qui autem homines aliquos primigenios divinitus naturave factos crederent, multi
fuerunt, sed aliter adque aliter haec existimatione
versarunt. Aber
auch die Vertreter der Auffassung, daß gewisse Urmenschen durch
Götterkraft oder Natur geschaffen worden seien, waren zahlreich, haben
aber dieses Modell in immer anderer Weise durch immer neue Annahmen umgestaltet. 6. nam ut mittam, quod fabulares poetarum
historiae ferunt, homines primos aut Promethei molli luto esse
formatos aut Deucalionos Pyrrhaeque duris lapidibus
enatos, quidam ex ipsis sapientiae professoribus nescio
an magis monstruosas, certe non minus incredibiles rationum suarum
proferunt opiniones. Denn,
um die Fabelgeschichten der Dichter wegzulassen, so
lehren sie, die Urmenschen seien aus dem weichen Lehm des Prometheus gebildet oder
aus den harten Steinen Deukalions und Pyrrhas hervorgesprossen; einige
von den Profiweisen selbst bringen ich weiß nicht was für phantastischere, sicherlich
aber nicht weniger unglaubhafte Vorstellungen im Rahmen ihrer Theorien
hervor. 7. Anaximander Milesius videri sibi ex aqua terraque calefactis exortos esse sive
pisces seu piscibus simillima animalia; in his homines concrevisse fetusque ad pubertatem intus retentos, tunc demum ruptis illis viros mulieresque, qui iam se alere possent, processisse. Empedodes autem egregio suo carmine, quod eiusmodi esse praedicat Lucretius, 'ut vix humana videatur stirpe creatus" tale
quiddam confirmat: Anaximander
aus Milet lehrte, seiner Ansicht zufolge seien
aus erwärmtem Wasser und Erdreich Fische bzw. ganz fischähnliche
Tiere entstanden; in
diesen hätten sich die Menschen konkretisiert, und
die Föten hätten sich in ihnen bis zur Geschlechtsreife verpuppt, bis
dann endlich durch deren Aufbrechen Männer und Frauen hervorgekommen
seien, die
sich schon selbständig ernähren konnten. Empedokles
untermauert in seinem herausragenden Gedicht, von dem Lukrez begeistert
sagt, es sei derart, "daß
es kaum menschlichem Stamme entsprossen zu sein scheint", etwa folgende
Vorstellung: 8. primo membra singula ex terra quasi praegnate
passim edita, deinde coisse et effecisse solidi hominis
materiam igni simul et umori permixtam. cetera quid necesse est persequi, quae non
capiant similitudinem veritatis? haec eadam opinio etiam in Parmenide Veliensi
fuit pauculis exceptis ab Empedocle dissensis. Zuerst
seien die einzelnen Gliedmaßen aus der gleichsam kreißenden
Erde allenthalben hervorgekommen, hätten
sich dann vereinigt und, aus Feuer und Feuchte gemischt, den Stoff des
fertigen Menschen geschaffen. Ist
es etwa nötig, das Übrige durchzugehen, das ja doch nicht einmal
den Anschein der Wahrheit haben kann? Derselben
Ansicht war auch Parmenides aus Elea, mit
Ausnahme einiger weniger von Empedokles abweichender Einzelheiten. 9. Democrito vero Abderitae ex aqua limoque
primum visum esse homines procreatos. nec longe secus Epicurus: enim credidit limo
calefacto uteros nescio quos radicibus terrae cohaerentes primum increvisse
et infantibus ex se editis ingenitum lactis umorem natura ministrante praebuisse; quos ita educatos et adultos genus hominum
propagasse. Demokrit
aus Abdera hatte jedoch die Ansicht, die Menschen seien anfänglich
aus Wasser und Schlamm hervorgegangen. Und
nicht viel anders Epikur: Er glaubte nämlich, im erwärmten Schlamm
seien gebärmutterartige Behältnisse, die mit Wurzeln in der Erde
hafteten, erst einmal emporgewachsen und hätte den aus ihnen hervorgebrachten
Kindern mit Unterstützung der Natur einen eigenständigen Milchstrom
zur Verfügung gestellt; auf
solche Weise aufgezogen und herangewachsen hätten die Urmenschen dann
das Menschengeschlecht fortgepflanzt. 10. Zenon Citieus, Stoicae sectae conditor,
principium humano generi ex novo mundo constitutum putavit primosque homines ex solo adminiculo divini
ignis, id est dei providentia, genitos. Zenon
aus Kition, der Begründer der stoischen Schule, war der Meinung, seinen
Ursprung habe das Menschengeschlecht einer Erneuerung der Welt zu verdanken; die
ersten Menschen seien allein mit Hilfe des göttlichen Feuers, d.h.
durch die Vorsehung Gottes, hervorgebracht worden. 11. denique etiam vulgo creditum est, ut plerique
genealogoe auctores sunt, quarundam gentium quae ex adventicia stirpe
non sint, principes terrigenas esse, ut in Attica et
Arcadia Thessaliaque, eosque autochthonas vocitari. in Italia Nymphas indigenasque Faunos nemora
quaedam tenuisse non difficile rudis antiquorum credulitas
recepit. Schließlich
hat man noch im Volk etwas geglaubt, wie es auch sehr viele genealogische
Autoren schreiben: Bei
einigen Volksstämmen, die nicht von einem hinzugezogenen Volk abstammen, seien
die ersten erdentsprungen, wie z.B. in Attika, Arkadien und Thessalien, und
diese nenne man dann 'Autochthone'. Daß
in Italien ureingeborene Nymphen und Faune bestimmte Haine bewohnt hätten, hat
sich die noch ungeschulte Leichtgläubigkeit der Alten ohne Schwierigkeit
zu eigen gemacht. 12. nunc vero eo licentiae poeticae processit
libido, ut vix auditu ferenda confingant post hominum memoriam progeneratis iam gentibus
et urbibus conditis homines e terra diversis modis editos, ut in Attica fertur regione Erichthonius ex
Vulcani semine humo exortus, et in Colchide vel Boeotia consitis anguis
dentibus armati spartoe, e quibus mutua caede inter se necatis pauci
superasse traduntur, qui in conditu Thebarum Cadmo fuerint adiumento; Jetzt
freilich ist die dichterische Freiheit dermaßen zur Willkür
entartet, daß
Dinge zusammenphantasiert werden, die man kaum anhören kann: Als
nach Beginn der Menschheitsgeschichte bereits Volksstämme hervorgebracht
und Städte gegründet waren, seien
auf verschiedene Weise Menschen aus der Erde herausgestoßen worden, wie
z. B. in Attika Erichthonios aus dem Samen des Vulcanus von der Erde geboren
worden sei, in
Kolchis oder Böotien nach Aussaat von Drachenzähnen bewaffnete
Sälinge (spartoi), von
denen einige, nachdem sie einander in wechselseitigem Blutbad getötet
hatten, übrig geblieben wären, die
dem Kadmos bei der Gründung von Theben als Helfer gedient hätten. 13. nec non in agro Tarquiniensi puer dicitur
divinitus exaratus nomine Tages, qui disciplinam cecinerit extispicii, quam Lucumones tum Etruriae potentes exscripserunt. Und
auch im Gebiet von Tarquinia soll ein Knabe auf göttliche Weise ausgepflügt
worde sein, mit Namen Tages, der
die Lehre von der Eingeweideschau hervorgesungen haben soll, die
dann die Lukumonen, die damaligen Machthaber in Etrurien, aufgeschrieben
hätten.