6. Etruscis quoque libris fatalibus aetatem
hominis duodecim hebdomadibus discribi
Varro commemorat.
quae dum <ad novies septenos annos prodigiis
privatim factis perferretur>,
ad decies septenos annos posse fatalia deprecando
rebus divinis proferri,
ab anno autem septuagensimo nec postulari
debere nec posse ab deis impetrari;
ceterum post annos octoginta quattuor a mente
sua homines abire,
neque his fieri prodigia.
Daß
in den etruskischen Schicksalsbüchern die Zeit des Menschen in zwölf
Jahrsiebte unterteilt werde,
berichtet
Varro.
Zwar
werde das Alter bis zu neunmal sieben Jahren mit privaten empfangenen Vorzeichen
durchgestanden
und
man könne die Schicksale durch Gebet und Kulthandlungen bis zum zehnten
Jahrsiebt aufschieben,
vom
siebzigsten Lebensjahre an dürfe man dies aber weder fordern noch
sei es von den Göttern zu erlangen.
Im
übrigen träten die Menschen nach dem vierundachtzigsten Lebensjahre
geistig ab
und
erhielten ohnehin keine göttlichen Zeichen mehr.
7. Sed ex eis omnibus proxime videntur adcessisse
naturam,
qui hebdomadibus humanam vitam emensi sunt.
fere enim post septimum quemque annum articulos
quosdam
et in his aliquid novi natura ostendit, ut
et in elegia Solonis cognoscere datur.
ait enim in prima hebdomade dentes homini
cadere,
in secunda pubem apparere, in tertia barbam
nasci,
in quarta vires, in quinta maturitatem ad
stirpem relinquendam,
in sexta cupiditatibus temperari, in septima
prudentiam linguamque consummari,
in octava cadem manere, in qua alii dixerunt
oculos hebescere,
in nona omnia fieri languidiora, in decima
hominem morti fieri maturum.
<deest de prima hebdomade>
tamen in secunda hebdomade vel incipiente
tertia vocem crassiorem et inaequabilem fieri,
quod Aristoteles appellat tragizein, antiqui
nostri irquitallire,
et inde ipsos putant irquitallos appellari,
quod tum corpus ircum olere incipiat.
Von
allen diesen Gelehrten scheinen mir diejenigen der Natur am nächsten
zu kommen,
die
das Menschenleben nach Jahrsiebten maßen.
Denn
rund alle sieben Jahre macht die Natur gewisse Einschnitte
und
fördert in diesem Zeitabschnitt etwas Neues zutage, wie man aus einer
Elegie Solons entnehmen kann.
Dort
heißt es nämlich, im ersten Jahrsiebt verliere der Mensch die
Milchzähne,
im
zweiten beginne die Pubertät, im dritten sprieße der Bart,
im
vierten komme die Körperkraft zur Hochform, im fünften die Reife
für die Fortpflanzung der Art,
in
der sechsten würden die Triebe beherrscht, im siebten gelangten Wissen
und Sprache auf ihre Höhe,
im
achten halte dieses Können unverändert an (nach anderen tritt
in dieser Phase die Augentrübung ein),
im
neunten schließlich lasse alles nach, in der zehnten werde der Mensch
reif für den Tod.
<Die
erste Stufe: das Kleinkind>
Im
zweiten Jahrsiebt indes oder zu Beginn des dritten wird die Stimme gröber
und ungleichmäßiger,
was
Aristoteles blöken (tragizein) nennt; unsere Vorfahren nannten es
'irquitallire' (blöken wie ein Bock),
weshalb
ihrer Ansicht nach die Knaben selbst 'irquitalli' hießen,
weil
nämlich jetzt der Körper nach Bock (ircus) zu riechen beginne.
8. de tertia autem aetate adulescentulorum
tres gradus esse factos in Graecia
priusquam ad viros perveniatur,
quod vocent annorum quattuordecim paida, mellephêbon
autem quindecim, dein sedecim ephêbon,
tum septemdecim ex ephêbon.
Beim
dritten Lebensabschnitt, dem der Heranwachsenden, habe man in Griechenland
drei Stufen angesetzt,
bevor
das Mannesalter erreicht wird:
Der
Vierzehnjährige heiße Knabe, der Fünfzehnjährige Jungephebe,
der Sechzehnjährige Ephebe;
der
Siebzehnjährige sei dann jenseits der Ephebenstufen ('Exephebe').
9. Praeterea multa sunt de his hebdomadibus,
quae medici ac philosophi libris mandaverunt,
unde apparet, ut in morbis dies septimi suspecti
sunt et krisimoi dicuntur,
ita per omnem vitam septimum quemque annum
periculosum et velut krisimon esse
et climactericum vocitari.
Darüber
hinaus sind viele Siebenzahllehren in medizinischen und philosophischen
Werken überliefert,
aus
denen man sieht, daß, wie bei Krankheiten immer die siebten Tage
auffällig sind und 'kritische' heißen,
so
auch im gesamten Leben die jeweils siebten Jahre gefährlich und sozusagen
'kritisch' sind
und
daher 'klimakterische' genannt werden.
10. sed ex his genethliaci alios aliis difficiliores
esse dixerunt,
et nonnulli eos potissimum, quos ternae hebdomades
conficiunt, putant observandos,
hoc est unum et vicensimum, et quadragensimum
secundum, dein tertium et sexagensimum, postremum octogensimum et quartum,
in quo Staseas terminum vitae defixit.
Die
Nativitätsforscher haben behauptet, von diesen seien einige besonders
problematisch,
und
manche glauben, man müsse besonders die beachten, die jeweils drei
Jahrsiebente abschließen,
also
das einundzwanzigste, das zweiundvierzigste, das dreiundsechzigste
und
schließlich das vierundachtzigste Lebensjahr, mit dem ja Staseas
das Lebensende festgesetzt hat.
11. alii autem non pauci unum omnium difficillimum
klimaktêra prodiderunt,
anno scilicet undequinquagensimo, quem conplent
anni septies septeni.
ad quam opinionem plurimorum consensus indinat;
nam quadrati numen potentissimi ducuntur.
Und
nicht wenige andere behaupteten, ein klimakterisches Jahr sei das problematischste
von allen,
nämlich
das neunundvierzigste, das von siebenmal sieben Jahren erfüllt werde.
Zu
dieser Theorie neigt die einhellige Meinung der Mehrheit,
denn
Quadratzahlen gelten als besonders einflußreich.
12. denique Plato ille veniat, veteris philosophiae
sanctissimus,
qui quadrato numero annorum vitam humanam
consummari putavit,
sed novenario, qui conplet annos octoginta
et unum.
fuerunt etiam, qui utrumque reciperent numerum,
undequinquagensimum et octogensimum unum,
et minorem nocturnis genesibus, maiorem diurnis
scriberent <fieri>.
So
möge denn schließlich der berühmte Platon, die erhabenste
Gestalt der alten Philosophie, auftreten,
der
der Meinung war, daß das Menschenleben im Quadrat einer Jahreszahl
zur letzten Vollendung gelange,
allerdings
der Neunzahl, die einundachtzig Lebensjahre ergibt.
Es
gab aber auch Philosophen, die sich an beide Zahlen hielten, an die neunundvierzig
und die einundachtzig, und die kleinere Zahl den bei Nacht Geborenen zuordneten,
die größere den bei Tag Geborenen.
13. plerique alternari duos istos numeros
subtiliter decreverunt,
dicentes septenarium ad corpus, novenarium
ad animum pertinere;
hunc medicinae corporis et Apollini adtributum,
illum Musis, quia morbos animi, quos appellant
pathê, musice lenire ac sanare consueverit.
Die
meisten entschieden sich dafür, daß diese beiden Zahlen einander
abwechselten,
und
sie behaupteten, die Siebenzahl beziehe sich auf den Körper, die Neunzahl
auf die Seele.
Die
Siebenzahl sei der Therapie des Körpers und dem Apollon zugeordnet,
die
Neunzahl den Musen, da Musik die Seelenkrankheiten, Pathê genannt,
zu lindern und zu heilen pflege.
14. itaque primum klimaktêra annum quadragensimum
et nonum esse prodiderunt,
ultimum autem octogensimum et unum,
medium vero ex utroque permixtum anno tertio
et sexagensimo,
quem vel hebdomades novem vel septem enneades
conficiunt.
Und
so hat man als erstes klimakterisches Jahr das neunundvierzigste tituliert,
als
das letzte jedoch das einundachtzigste,
dazwischen
liegt das aus beiden Zahlen gebildete dreiundsechzigste,
eine
Zahl, die sich aus neun Jahrsiebten oder sieben Jahrneunten zusammensetzt.
15. hunc licet quidam periculosissimum dicant,
quod ad corpus et ad animum pertineat,
ego tamen ceteris duco infirmiorem.
nam utrumque quidem supra dictum continct
numerum, sed neutrum quadratum,
et ut est ab utroque non alienus, ita in neutro
potens.
nec multos sane, quos vetustas claro nomine
celebrat, hic annus absumpsit.
Mögen
einige dieses Jahr für das gefährlichste halten, bezieht es sich
doch auf Leib und Seele zugleich,
so
halte ich persönlich es doch für machtloser als die beiden anderen;
zwar
enthält die Dreiundsechzig die beiden eben genannten Zahlen in sich,
aber keine als Quadratzahl;
und
wie sie zwar etwas mit beiden Zahlen zu tun hat, so ist doch ihr Einfluß
in beiden gering.
Und
in der Tat hat dieses Jahr nicht so viele, deren Namen die Geschichte ruhmvoll
überliefert, weggerafft.
16. Aristotelen Stagiriten reperio;
sed hunc ferunt naturalem stomachi infirmitatem
crebrasque morbidi corporis offensiones adeo
virtute animi diu sustentasse,
ut magis mirum sit ad annos LXIII eum vitam
pertulisse,
quam ultra non protulisse.
So
stoße ich z.B. auf Aristoteles aus Stageira.
Der
Überlieferung nach hatte er aber eine natürliche Magenschwäche
und
häufige Attacken seines kränklichen Körpers lange Zeit mit
solcher seelischer Tapferkeit durchlitten,
daß
das größere Wunder besteht darin, daß er überhaupt
zum dreiundsechzigsten Jahre gelangt ist,
als
darin, daß er nicht darüber hinaus gekommen ist.
XV.
1. Quare, sanctissime Caerelli, cum istum
annum, qui maxime fuerat corpori formidolosus,
sine ullo incommodo transieris,
ceteros, qui leviores sunt, klimaktêras
minus tibi extimesco,
praesertim cum in te animi potius quam corporis
naturam sciam dominari,
eosque viros, qui tales fuerunt, non prius
vita excessisse,
quam ad annum illum octogensimum et unum pervenerint,
in quo Plato finem vitae et legitimum esse
existimavit et habuit legitimum.
Weil
du nun, hochverehrter Caerellius, dieses Lebensjahr, das fürs körperliche
Leben so überaus gefürchtet ist,
ohne
jeden Schaden hinter dich gebracht hast,
brauche
ich für die restlichen klimakterischen Jahre, da sie leichter wiegen,
nicht so sehr um dich zu bangen,
zumal
ich weiß, daß bei dir eher das geistige Moment als das körperliche
die Priorität besitzt.
Und
ich weiß auch, daß Männer wie du nicht gestorben sind,
bevor
sie ihr einundachtzigstes Lebensjahr ereicht hatten.
Dieses,
meinte Platon, ist das normgerechte Lebensende, und so hielt er es auch
selbst.
2. hoc anno et Dionysius Heracleotes, ut vita
abiret, cibo abstinuit,
et contra Diogenes Cynicus cibi cruditate
in choleram solutus est.
Eratosthenes quoque ille orbis terrarum mensor
et Xenokrates Platonicus veteris Academiae
princeps ad eundem annum vixerunt.
Erst
in diesem Alter hat Dionysios aus Herakleia, um zu sterben, sich der Nahrung
enthalten,
und
umgekehrt hat der Kyniker Diogenes sich durch Nichtverdauen der Nahrung
in Galle aufgelöst.
Auch
Eratosthenes, der berühmte Berechner des Erdumfangs,
und
der Platoniker Xenokrates, Schulhaupt der Alten Akademie, lebten bis zum
einundachtzigsten Jahre.
3. non pauci etiam per animi spiritum molestiis
corporis superatis limitem
istum transgressi sunt, ut Carneades, a quo
tertia academia est, quae dicitur nova,
qui ad annum nonagensimum <vixit>,
vel Cleanthes, <qui annos> uno minus centum
explevit.
at Xenophanes Colophonius maior annorum centum
fuit.
Democritum quoque Abderiten et Isocraten rhetorem
ferunt prope ad id aetatis pervenisse,
quo Gorgian Leontinum, quem omnium veterum
maxime senem fuisse
et octo supra centum annos habuisse constat.
Nicht
wenige haben sogar, indem sie körperliche Gebrechen durch Geisteskraft
überwanden,
diese
Grenze überschritten, wie Karneades, der Begründer der dritten,
sogenannten Neuen Akademie,
der
es auf neunzig Jahre brachte,
oder
Kleanthes, der neunundneunzig Jahre vollmachte.
Aber
Xenophanes aus Kolophon ist über hundert Jahre alt geworden,
Demokrit
aus Abdera und der Redner Isokrates sollen etwa ebenso alt geworden sein
wie
Gorgias aus Leontinoi, der bekanntlich von allen Menschen der Vorzeit der
älteste war
und
hundertacht Jahre alt geworden ist.
4. Quodsi cultoribus sapientiae sive per animi
virtutem seu lege fati diutina obtigit vita,
non despero, quin te quoque diu corpore adque
animo valentem longior maneat senectus.
quem enim veterum, <quos> nunc memoria
suspicimus,
prudentia vel temperantia vel iustitia vel
fortitudine tibi antestare dicimus?
quis eorum, si adesset, non in te omnium virtutum
praedicationem conferret?
quis tuis laudibus se postponi erubesceret?
illud certe, ut arbitror, dignum est praedicatione,
quod,
cum illis ferme omnibus quamvis prudentissimis
et procul a re publica amotis
non contigerit sine offensione et odio plerumque
capitali vitam degere,
tu tamen officiis municipalibus functus
honore sacerdoti in principibus tuae civitatis
conspicuus
ordinis etiam equestris dignitate gradum provincialium
supergressus
non modo sine reprehensione et invidia semper
fuisti,
verum etiam omnium omnino amorem cum maxima
gloria consecutus es.
Wenn
aber den Philosophen durch Geisteskraft oder durch Schicksalsgesetz ein
langes Leben beschert wurde,
darf
ich darauf hoffen, daß auch auf dich ein recht langes Alter wartet,
da du stark bist an Leib und Seele.
Denn
wen von den historischen Größen, deren Andenken wir heute noch
ehren, können wir nennen,
der
dich an Intelligenz, Beherrschtheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit überträfe?
Wer
von ihnen würde nicht, wäre er anwesend, den Lobpreis aller Tüchtigkeit
auf dich lenken?
Wer
brauchte sich zu schämen, erst hinter deinem Ruhm eingestuft zu werden?
Ganz
sicher scheint mir aber der Umstand rühmenswert, daß du,
während
es fast allen anderen, selbst den Weisesten, auch wenn sie sich vom politischen
Leben fernhielten,
nicht
gelungen ist, ohne Reibereien und lebensgefährliche Ablehnung durchs
Leben zu gehen,
daß
du also trotz der Wahrnehmung kommunaler Ämter
als
ein Mann, der wegen seiner Priesterwürde bei den Ersten deiner Stadt
geachtet ist
und
durch den Erwerb seiner Ritterwürde über den Provinzialismus
hinausgekommen ist,
daß
du also nicht nur stets außerhalb von Neid und Tadel gestanden,
sondern
sogar die Sympathie aller zu höchstem Ruhme gewonnen hast.
5. quis a te nosci aut ex amplissimo senatus
ordine non expetiit,
aut ex humiliore plebis non optavit?
quis mortalium vel te vidit vel de tuo nomine
accepit,
quin et loco fratris germani diligat et vice
parentis veneretur?
quis ignorat probitatem primam, fidem summam,
benignitatem incredibilem,
modestiam verecundiamque singularem ceteraque
humanitatis officia
penes te unum esse?
et quidem maiora, quam possint digne a quoquam
referri?
quare et ego his nunc commemorandis supersedebo.
de eloquentia quoque sileo,
quam omnia provinciarum nostrarum tribunalia,
omnes praesides noverunt,
quam denique urbs Roma et auditoria sacra
mirata sunt.
haec se et ad praesens et in futura saecula
satis ipsa nobilitat.
Wer
hätte nicht deine Bekanntschaft gesucht, selbst wenn er aus erhabenstem
senatorischen Stande kam, oder aus dem niedrigeren Stande des Volkes?
Wer
von den Sterblichen hätte dich je erblickt oder hätte auch nur
deinem Namen erhascht,
ohne
dich wie einen leiblichen Bruder zu lieben und wie seinen Vater zu verehren?
Wer
wüßte denn nicht, daß erstrangige Rechtlichkeit, höchste
Verläßlichkeit, unglaubliche Güte,
einzigartige
Bescheidenheit, Zurückhaltung und die sonstigen Pflichten der Menschlichkeit
sich
allein in deiner Person vereinen?
Und
erst die bedeutenderen: Wie könnten sie würdig von jemandem berichtet
werden?
Aus
diesem Grunde verzichte auch ich darauf, das anzuführen, was jetzt
anzuführen wäre.
Auch
von deiner Beredsamkeit schweige ich,
da
sie ja allen Gerichtshöfen unserer Provinzen und allen Provinzialstatthaltern
bekannt ist,
und
schließlich sogar die Bewunderung Roms und seiner erhabenen Hörerschaft
fanden:
Diese
Gabe macht sich selbst zur Genüge berühmt, in der Gegenwart und
in kommenden Epochen.
XVI.
1. Nunc vero quatenus de die natali scribo,
meum munus inplere conabor,
tempusque hodiernum, quo maxime flores,
quam potero lucidissimis notis signabo.
ex quo etiam primus ille tuus natalis liquido
noscetur.
Da
ich aber über das Thema 'Geburtstag' schreibe, will ich jetzt versuchen,
meine Aufgabe zu vollenden
und
den heutigen Zeitpunkt, in den der Gipfelpunkt deines Lebens fällt,
mit
den eindeutigsten Begriffen, die ich finden kann, definieren.
Von
diesem Ansatz aus wird auch dein eigentlicher, ursprünglicher Geburtstag
deutlich erkennbar werden.
2. tempus autem non diem tantummodo vel mensem
vel annum vertentem appello,
sed et quod quidam lustrum aut annum magnum
vocant et quod saeculum nominant.
Unter
'Zeit' verstehe ich aber nicht nur Tag, Monat und Kalenderjahr,
sondern
auch das sogenannte Lustrum oder das 'Großjahr' sowie die Säkularepoche.
3. Ceterum de aevo, quod est tempus unum et
maximum, non multum est quod in praesentia dicatur.
est enim inmensum, sine origine, sine fine,
quod eodem modo semper fuit et semper futurum
est,
neque ad quemquam hominum magis quam ad alterum
pertinet.
Im
übrigen ist über den Aiôn, d.h. über die Eine allumfassende
Zeit, für jetzt nicht viel zu sagen.
Sie
ist nämlich unermeßlich, ohne Anfang und ohne Ende;
sich
gleich bleibend hat sie immer existiert und wird immer existieren;
zu
keinem Menschen hat sie einen höheren Bezug als zu anderen.
4. hoc in tria dividitur tempora: praeteritum,
praesens, futurum.
<e> quibus praeteritum initio caret, exitu
futurum.
praesens autem, quod medium est, adeo exiguum
et inconprehensibile est,
ut nullam recipiat longitudinem,
neque aliud esse videatur quam transacti futurique
coniunctio,
adeo porro instabile, ut ibidem sit numquam,
et quidquid transcurrit, a futuro decerpit
et adponit praeterito.
Die
Gesamtzeit gliedert sich in drei Zeitstufen: Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft.
Von
diesen hat die Vergangenheit keinen Anfangspunkt, die Zukunft keinen Endpunkt,
die
Gegenwart, zwischen Vergangenheit und Zukunft liegend, ist dermaßen
minimal und unfaßbar,
daß
sie überhaupt keine Ausdehnung besitzt;
sie
ist offenbar nichts weiter als das Gelenk zwischen vergangener und bevorstehender
Zeit.
Sie
ist so flüchtig, daß sie nie an einem Punkte verweilt;
vielmehr
bricht sie alle die Zeit, die verstreicht, von der Zukunft ab und fügt
sie der Vergangenheit an.
5. haec inter se tempora, ante actum dico
et venturum, neque paria sunt
neque ita, ut alterum altero longius breviusvc
videatur.
quidquid enim non habet finem, conlationem
mensurae non recipit.
Diese
beiden Seiten der Zeit, ich meine die verflossene und die kommende, sind
weder einander gleich
noch
so sehen, als erscheine die eine Seite länger oder kürzer als
die andere.
Was
nämlich kein Ende hat, entzieht sich jedem Maßstab.
6. quapropter aevum neque annorum nec saeculorum
numero
nec denique ullo finiti temporis modulo metiri
conabor
haec enim ad aetatem infinitam non sunt brumalis
unius instar horae.
Deswegen
will ich gar nicht erst versuchen, den Aiôn durch eine Zahl von Jahren
oder Säkularepochen
oder
sonst einen festen zeitlichen Parameter auszumessen;
denn
im Verhältnis zur unendlichen Ewigkeit sind auch diese nicht mehr
als eine einzige Winterstunde.
7. Itaque ut saecula possim percurrere et
hoc nostrum praesens designare,
omissis aureis argenteisque et hoc genus poeticis,
a conditu urbis Romae, patriae nostrae communis,
exordiar.
Um
die Säkularepochen durchlaufen zu können und unsere Epoche einordnen
zu können,
will
ich daher, ohne auf goldene, silberne und all diese Sorten poetischer Zeitalter
einzugehen,
von
der Gründung Roms, unserer gemeinsamen Heimatstadt, an beginnen.
XVII.
1. Et quoniam saecula aut naturalia sunt aut
civilia,
prius de naturalibus dicam.
Und
da man 'natürliche' und 'bürgerliche' Säkularepochen begrifflich
unterscheidet,
will
ich zuerst von den natürlichen sprechen.
2. Saeculum est spatium vitae humanae longissimum
partu et morte definitum.
quare, qui annos triginta saeculum putarunt,
multum videntur errasse.
hoc enim tempus genean vocari Heraclitus auctor
est, quia orbis aetatis in eo sit spatio.
orbem autem vocat aetatis, dum natura ab sementi
humana ad sementim revertitur.
hoc quidem geneâs tempus alii aliter
definierunt:
Herodicus annos quinque er viginti scribit
dici genean, Zenon triginta.
Unter
einer Säkularepoche versteht man die längstmögliche Zeitspanne
eines Menschenlebens, begrenzt durch Geburt und Tod.
Aus
diesem Grunde geht die Veranschlagung einer Epoche mit dreißig Jahren
offensichtlich weit in die Irre.
Für
eine solche Zeitspanne setzte nämlich Heraklit den Begriff 'Generation'
fest, weil der Kreislauf eines Lebensalters mit dieser Spanne erfaßt
wird.
Unter
dem Kreislauf eines Lebensalters versteht er die Zeit, innerhalb welcher
die Natur des Menschen vom Samenzustand wieder zur Aussamung gelangt.
Die
Dauer einer Generation ist allerdings immer wieder anders definiert worden:
Herodikos
schreibt, Generation heiße ein Abschnitt von fünfundzwanzig
Jahren, Zenon gibt dreißig Jahre an.
3. saeculum autem <quid> sit, usque adhuc
arbitror ad subtile examinatum non esse.
poetae quidem multa incredibilia scripserunt,
nec minus historici Graeci,
quamvis eo<s> a vero per non fuit decedere:
ut Herodotus, apud quem legimus
Arganthonion Tartessiorum regem centum et
quinquaginta annorum fuisse,
aut Ephorus, qui tradit
Areadas dicere apud se reges antiquos aliquot
ad trecentos vixisse annos.
Was
aber eine Säkularepoche ist, hat meines Wissens bisher niemand im
einzelnen untersucht.
Die
Dichter haben jedenfalls allerlei unglaubliche Dinge darüber geschrieben.
Nicht
besser steht es mit den griechischen Historikern,
obwohl
es für sie nicht zulässig war, von der Wahrheit abzugehen.
Ich
erinnere z. B. an Herodot, bei dem man liest,
der
Tartessierkönig Arganthonios sei hundertfünfzig Jahre alt geworden.
Oder
an Ephoros und seinen Bericht,
daß
nach Überlieferung der Arkader in deren Land einige Könige aus
alten Zeiten an die dreihundert Jahre gelebt hätten.
4. verum haec ut fabulosa praetereo.
sed inter ipsos astrologos, qui in stellarum
signorumque ratione verum serutantur,
nequaquam etiam convenit.
Epigenes in centum duodecim annis longissimam
vitam constituit,
Berosos autern <in> centum sedecim.
alii ad centum viginti annos produci posse,
quidam etiarn ultra crediderunt.
fuerunt qui non idem putarent ubique observandum,
sed varie per diversas regiones, prout in
singulis sit caeli ad circulum finitorem inclinatio,
quod vocatur clima.
Nein,
diese Dinge übergehe ich als pure Erfindungen.
Aber
sogar bei den Astrologen, die im System der Planeten und Sternbilder nach
der Wahrheit suchen,
gibt
es noch keinerlei Einigkeit.
Epigenes
legte das längstmögliche Menschenleben auf hundertzwölf
Jahre fest,
Berossos
auf hundertsechzehn Jahre;
andere
meinten, bis auf hundertzwanzig Jahre gehen zu können, manche sogar
noch darüber hinaus.
Es
gab auch Gelehrte, die glaubten, daß man nicht überall dieselben
Beobachtungen anstellen könne,
sondern
daß sie in den verschiedenen Landstrichen je nach der Neigung des
Himmels zum Horizont abweichen,
d.h.
je nach der geographischen Breite.
5. Sed licet veritas in obscuro lateat, tamen
in unaquaque civitate quae sint naturalia
saecula, rituales Etruscorum libri videntur docere,
in quis scriptum esse fertur initia sic poni
saeculorum:
quo die urbes adque civitates constituerentur,
de iis, qui eo die nati essent, eum, qui diutissime
vixisset,
die mortis suae primi saeculi modulum finire,
eoque die qui essent reliqui in civitate,
de his rursum eius mortem,
qui longissimam egisset aetatem, finem esse
saeculi secundi.
sic deinceps tempus reliquorum terminari.
sed ea quod ignorarent homines, portenta mitti
divinitus,
quibus admonerentur unumquodque saeculum esse
finitum.
Aber
mag auch die Wahrheit ungeklärt bleiben, so scheinen doch,
was
in jeder Bürgerschaft als natürliche Säkularepoche gilt,
die Ritualbücher der Etrusker zu lehren,
in
denen geschrieben sein soll, daß die Anfangspunkte der Epochen folgendermaßen
anzusetzen seien:
Man
geht aus von dem Tag, an dem sich Städte und Bürgerschaften konstituiert
haben:
wer
nun von den Menschen, die an diesem Gründungstag geboren sind, am
längsten lebe,
der
bestimme durch seinen Todestag den Parameter der ersten Epoche.
Wer
aber von den anderen Menschen, die an diesem Stichtag in der Gemeinde lebten,
wiederum
am längsten lebe, dessen Tod zeige wieder das Ende der zweiten Epoche
an.
Entsprechend
werde die Zeitdauer der folgenden Epochen begrenzt.
Da
die Menschen dies aber nicht beachteten, würden göttliche Zeichen
gesandt
zur
Mahnung, daß wieder eine Epoche beendet sei.
6. haec portenta Etrusci pro haruspicii disciplinaeque
suae peritia
diligenter observata in libros rettulerunt.
quare in Tuscis historiis, quae octavo eorum
saeculo scriptae sunt,
ut Varro testatur, et quot numero saecula
ei genti data sint,
et transactorum singula quanta fuerint
quibusve ostentis eorum exitus designati sint,
continetur.
itaque scriptum est quattuor prima saecula
annorum fuisse centenum,
quintum centum viginti trium, sextum undeviginti
et centum, septimum totidem,
octavum tum demum agi, nonum et decimum superesse,
quibus transactis finem fore nominis Etrusci.
Diese
Zeichen haben die Etrusker vermöge ihrer Erfahrung in Opferschau und
Orakeln
sorgfältig
registriert und schriftlich dokumentiert.
Daher
ist in der Etruskergeschichte, die in deren achter Säkularepoche niedergeschrieben
wurde,
wie
Varro bezeugt, alles darüber enthalten: wieviele Epochen diesem Volke
überhaupt zugemessen sind,
wie
lange im einzelnen die bereits verstrichenen Epochen gewesen seien,
und
mit welchem Vorzeichen ihr Ausgang angezeigt wurde.
Dort
steht also geschrieben, die vier ersten Säkularepochen hätten
je hundert Jahre gedauert,
die
fünfte hundertdreiundzwanzig Jahre, die sechste hundertneunzehn, desgleichen
die siebte,
die
achte sei schließlich derzeit im Vollzug, eine neunte und eine zehnte
stehe noch bevor,
und
nach deren Verstreichen werde das Ende des Etruskernamens gekommen sein.
7. Romanorum
autem saecula quidam ludis saecularibus putant distingui.
cui rei
fides si certa est, modus Romani saeculi est incertus.
temporum
enim intervalla, quibus ludi isti debeant referri,
non modo
quanta fuerint retro ignoratur, sed ne quanta quidem esse debeant scitur.
Die
Säkularepochen der Römer können, wie manche meinen, nach
den Säkularfeiern unterschieden werden.
Aber
selbst wenn dieses Kriterium zuverlässig ist, so bleibt doch die Bemessung
der Römerepoche ungewiß.
Denn
die Größen der Zeitabstände, in denen diese Feiern abgehalten
werden sollen,
sind
nicht nur rückwärts gesehen unbekannt, sondern man weiß
nicht einmal, wie groß sie sein müssen.
8. nam ita institutum esse, ut centesimo quoque
anno fierent,
id cum Antias aliique historici auctores sunt,
tum Varro de scaenicis originibus libro primo
ita scriptum reliquit:
'cum multa portenta fierent,
et murus ac turris, quae sunt inter portam
Collinam et Esquilinam, de caelo tacta essent,
et ideo libros Sibyllinos XV viri adissent,
renuntiarunt,
uti Diti patri et Proserpinae ludi Tarentini
in campo Martio fierent tribus noctibus,
et hostiae furvae immolarentur, utique ludi
centesimo quoque anno fierent.'
Denn
daß sie alter Satzung zufolge alle hundert Jahre stattfinden,
berichtet
neben Valerius Antias und anderen Historikern
vor
allem Varro im 1. Buch "Über den Ursprung der Bühnenspiele" mit
folgenden Worten:
"Als
sich viele Wunderzeichen einstellten
und
die Stadtmauer samt Türmen zwischen der Porta Collina und der Porta
Esquilina vom Blitz getroffen war,
und
als deshalb das Kollegium der Fünfzehnmänner die Sibyllinischen
Bücher konsultierte, da kündeten diese:
man
solle Vater Dis und Proserpina Tarentinische Spiele auf dem Marsfeld darbringen,
drei Nächte lang,
nämlich
nachtschwarze Opfertiere schlachten und diese Spiele alle hundert Jahre
veranstalten."
9. item Titus Livius libro CXXXVI:
'eodem anno ludos saeculares Caesar ingenti
apparatu fecit,
quos centesimo quoque anno, his enim terminari
saecula, fieri mos erat.'
contra ut decimo centesimo <quo>que anno
repetantur,
tam commentarii XV virorum
quam Divi Augusti edicta testari videntur,
adeo ut Horatius Flaccus in carmine, quod
saecularibus ludis cantatum est,
id tempus hoc modo designaverit: