"Salomon-in-Seide", der
sagenhafte Sohn Davids, der dritte "Gesalbte des Herrn" in Israel, Ahnherr
Jesu (gemäß Mtth 1,6) war schon
immer in der Vorstellung derer, die von ihm lasen, königlich betucht;
aber mehr als mit Samt und Brokat war dieser Psalmensänger, dem ganze
Spruchsammlungen
und die frühlingshaften Bild-Wort-Melodien des Hohen Liedes zugeschrieben
werden, in der Sicht der Leser doch mit Weisheit bekleidet, und zwar nicht
bloß mit seiner eigenen Kenntnis, Klugheit und Wissenschaft, sondern
mit immerwährender Inspiration, um die er ja Gott gebeten haben soll. So ist er das Urbild
des "Weisen" schlechthin geworden, nicht nur in den Religionen, die die
Königs- und Chronik-Bücher pflegen, sondern z.B. auch für
die islamische Kultur (Salomon bewältigt die Geister und versiegelt
sie in Flaschen, siehe die Erzählungen aus den "Alif-lajla-wa-lajla",
den "Tausend-und-ein Nächten"), für alle Zeiten, weltweit. Gibt
es leuchtendere, kunstvollere, kostbarere Gewänder als solch eine
von göttlicher Inspiration immer neu gesponnene, gewobene, durchwirkte
Weisheit? (Deshalb heißt es auch "en
pasêi têi doxêi autou",
"in allem, was von seiner Persönlichkeit geistig ausstrahlte", "in
all seinem Glanz".) Aber jedes grüne
Gewächs, jede blühende Pflanze, jedes
wachsende Gras übertrifft Salomons Pracht bei weitem und ist "herrlicher
gekleidet" mit Schönheit, Originalität und Weisheit, sei es beim
mikroskopischen Blick ins Feinste, sei es in ökologischer Landschaftsverflechtung,
sei es im ästhetischen Eindruck, wenn der nicht nur die Schönheit
genießt, sondern verehrend in den Zauber des sich entfaltenden Wesens
eintaucht. (Deshalb heißt es gleich zu Beginn: "katamathete",
"Lernt davon!") Und in der Tat kann man
von Pflanzen lernen, wie von kaum einem anderen Wesen. Denn die Weisheit,
die in der Schönheit und klugen
Organisiertheit einer jeden Pflanze sichtbar wird, ist so, daß
sie ein Bild der ganzen Schöpfung in sich darbietet, indem sie Entfaltung
zeigt, die sich entfaltende Selbstdarbietung, die immerfort treibende Entfaltung
des Lebens selbst. Sie zeigt, daß Schöpfung nicht irgendein
Ding außen ist, irgendwann in der Vergangenheit hingesetzt, sondern
ein noch gegenwärtiger Vorgang, ein lebendiger Prozeß, eine
Entwicklung, wo immerfort neu Verborgenes ans Licht gebracht wird, in aller
Vollkommenheit der jeweiligen Phase zugleich ohne Ende:
so formuliert der Sohn
sein Tun, nämlich vom Jetzt aus in Zukunftsrichtung: ein immer "neues
Lied". Die Handlung, die vom Jetzt ausgeht, ist freie Auslegung der Handlung,
die bis zu diesem Jetzt gegangen ist, ein permanent im ewigen Jetzt erfolgender
Geburtsprozeß (eben deshalb heißt es: "der SOHN"): Und dies
immer noch in der ursprünglichen Reinheit, Absichtslosigkeit und Begierdelosigkeit
des ersten, frühlingshaften Schöpfungsmorgens. Die bewußtseinsimmanente
Weisheit des Menschen kann ja kaum ohne Berechnung, Klugheit, Absicht sein;
immer wollen wir unser Vergnügen verlängern, festhalten und wiederholen,
so genießen
wir die Frucht vom Baum der Erkenntnis, verschlossen in der Todesfolge
des Sündenfalls; zwar sind auch Tiere getrieben von Lust und Angst,
aber noch ohne kluge Absicht, unschuldig, unreflektiert – doch völlig
hingegeben und selbstlos, ein bloßes Sich-Darleben, sind gewiß
die Pflanzen. Alles Leben der Tiere und Menschen beruht auf ihnen, sei
es Atmung, sei es Nahrung; die allbelebenden, nährenden, wärmenden
Kräfte der Sonne werden durch die Pflanzenwelt vermittelt, und wir
stehen unvergeltbar, unausgleichbar, uneinholbar in ihrer Schuld. Ein sternstrahliges Bild
der Sonne scheinen auch die meisten Blüten zu bieten; doch ein Bild,
ja ein Vollbild der gesamten Schöpfung ist jede Pflanze per se – nicht
nur in der jeweiligen individuellen Gestalt, sondern in der fortgesetzten
Art der immer neuen Entfaltung Blatt
um Blatt, die in der rhythmischen Gestalt ja auch räumlich sichtbar
wird, also in ihrer langfristigen, geradezu "musikalischen",
Zeiterfüllung; und sie zeigt, daß Schöpfung eben in dieser
Entfaltung des keimhaft Verborgenen zur erscheinenden Gestalt besteht.
Keimhaft verborgen wie der Vater selbst ist die schaffende, alles-seiende
Handlung, in der er, der Vater, sich verschenkt (Boethius:
"esse"); die Handlung des Sohnes entfaltet die Schöpfung, konkretisiert
die Individuen bis in die letzten Winkel und Entscheidungen der jeweiligen
Situationen dem Sinn ("Logos") des Vaters gemäß, so daß
gewissermaßen eine immerwährende Geburt von Wesen, Inspirationen
und situationsgemäßen Handlungsimpulsen längs der Keimbahn
des ewigen Jetzt stattfindet:
Der Sohn entfaltet die
verborgenen Werke des Vaters, er bringt sie in der sichtbaren Welt zur
Vollendung; er macht überhaupt den Vater erst sichtbar, "legt
ihn seit jeher aus" ("exêgêsato",
Schlüsselwort und letztes Konzentrat des Prologs Joh 1,18),
stellt ihn dar, entfaltet ihn als das Leben selbst, in überpersönlicher
Offenheit, Selbstlosigkeit, Hingabe. Der Welten-Demiourg,
der Künstler der Natur, lebt in seinem Kunstwerk, konkretisiert in
ihm die verborgene väterliche Urhandlung, macht den unsichtbaren Sinn
des Schöpfers in immer neuer Entfaltung, Befruchtung und Verwandlung
sichtbar.So
eben, wie sich das Leben in einer jeden Pflanze ausdrückt, darstellt
und gestaltet, sei es im Feinsten ihrer Binnenstruktur, sei es in ihrer
ökologischen Landschaftsverflechtung, sei es in ihrer Schönheit,
wenn der Betrachter verehrungsvoll in den Zauber des sich entfaltenden
Lebens eintaucht. Und so heißt es
an anderer Stelle auch:
ean
mê ho kokkos tou sitou pesôn eis tên gên apothanêi
Und gerade in dieser
Entfaltung, Befruchtung und Verwandlung des Lebens, wie sie sich in den
Pflanzen auf eine völlig begierdelose, reine, hingegebene Weise ausdrückt,
darstellt und gestaltet, besteht das Himmelreich selbst:
homoia
estin hê basileia tôn ouranôn kokkôisinapeôs
hon
labôn anthrôpos
espeiren
en tôiagrôiautou –
ho mikroteron
men estin pantôn tôn spermatôn
hotan
de auxêthêimeizon
tôn lachanôn estin
kai
ginetai dendron
hôste
elthein ta peteina tou ouranou
kai
kataskênoun en tois kladois autou
"Das Königreich
der Himmel ist gleich einem Senfkorn
das ein Mensch nahm
und säte es in seinen
Acker –
dies ist zwar das kleinste
von allen Samen,
wenn es aber gewachsen
ist, ist es größer als alle Kräuter
In
dem Advendslied "O
Heiland reiß die Himmel auf" (Friedrich von Spees Neufassung
des alten, nein, niemals alten, immer neuen, durch sich selbst frisch austreibenden
Jesajah-Jubels)
– lautet die dritte Strophe:
"O Erd schlag aus, schlag aus, o Erd,
daß Berg und Tal grün alles werd!
O Erd, hervor dies Blümlein bring!
O Heiland aus der Erden spring!".
Novalis
wiederum hat den Jesajah-Spee-Sproß
weitergetrieben im zwölften seiner "Geistlichen
Lieder" ("Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt?"). Im frühlingshaften,
spontan-originalen, wundersamen Aufbrechen der Lebensknospen erleben
wir den Sohn, sofern wir die unschuldige, absichtslos-reine Tätigkeit
darin empfinden; unser selbstbewegtes Handeln trägt ihn aus, er lebt
darin auf; Meister
Eckhart formuliert es so, daß er in der Seele "ausgrünt".
Marius
Victorinus in seinem ersten Trinitätshymnus (indem er betend den Vater
anspricht):