Meditation und Mantren
1. Transzendenz und Immanenz Meditation, Versenkung, ist eine Tätigkeit, die
sich in sich selbst hinein aufhebt: Der Tätige besteht dann in
purer Tathandlungs-Substanz,
der Erkennende in reinem Erkennen,
das Bewußtsein in absolutem
Sichwissen vor aller Subjekt-Objekt-Polarisierung. Der
Geist weiß sich als Geist. Man setzt sich an einen stillen Ort, wo die Störungen durch
die Sinne so gering wie möglich sind, man sitzt aufrecht, am besten
ohne Rückenlehne, wach, schließt die Augen und konzentriert
sich mit allen Fasern seines Gemüts
auf das Versenkungsmittel, das einem durch eine Art Selbstaufhebung, Öffnung
nach innen hin, Selbsttransparenz, die unmittelbare Erfahrung des Unmittelbaren
vermitteln soll. Der entsprechende Bewußtseinszustand läßt
sich beschreiben als wacher Tiefschlaf: Die selbstzufriedene Ruhe der tiefen
Trance, von der wir normalerweise kein Bewußtsein haben, aber durchleuchtet
von der aufmerksamen Wachheit unseres Tages. Extreme Wachheit, nicht etwa
tagträumendes Dahindämmern, bei tiefster Ruhe in den Tiefen des
innersubjektiven Ozeans diesseits aller Objektgebundenheiten, Wogenwechsel
und Wellenringe. Solch ein Mittel, in seine inneren Tiefen hellwach einzutauchen,
heißt auf Sanskrit mantra, wenn damit ein sprachlich-gedankliches
Instrument gemeint ist. Heilige Texte bestehen aus Mantren, so z.B. die Hymnen
des Rgveda; und geradezu als Meditations-Hohlspiegel gedacht
und geschmiedet sind die Verse der Bhagavad-Gîtâ,
und natürlich auch die alten Merksprüche der Upanischaden. Nicht nur diese indischen, überhaupt alle heiligen Texte aller
Religionen wollen Selbstvermittlung
des All-Ein-Seienden in und durch den Menschen, also Mantren, Meditationsmittel,
sein: die Koransuren, die vielen
Bibelverse, die Ritualtexte
der Opferpriester, die Erinnerungssentenzen
der Weisen, die lyrischen
Essenzen der Sänger, die Lehrkonzentrate
der Meister. Aber selbst in Patanjalis Yoga-Sûtra
läuft nicht alles über sachlich-neutrale "Instrumente", sondern
es eröffnet sich auch ein maßgeblicher Versenkungsweg durch
die personale Verehrung Gottes, des All-Ein-Seienden,
der allerdings, wie es gerade an ebendieser
Stelle im Yoga-Sûtra heißt, durch den pranava,
das Aum-Mantra, im Meditierenden ausdrücklich präsent ist.
Und im neuen Testament ist die
betende Versenkung in den Sohn, die pistis, gewissermaßen
die Mutter einer Weltneugeburt aus dem Tod hervor; sie ist der Schoß,
aus dem die Kinder Gottes geboren werden:
Und auch wir haben erkannt und haben
uns betend versenkt
in die Liebe, die Gott für uns im Bewußtsein hat:
GOTT IST LIEBE
und wer bewußt in der Liebe bleibt,
bleibt in Gott bewußt,
und Gott bleibt in ihm bewußt. Das stärkste Mantra im Christentum, aber durchaus nicht das
einzige, ist gewiß das
Vater-unser. Denkwürdigerweise ist darin
von dem "Namen" des Vaters die Rede, der doch eben nur "Vater" genannt
wird. Dieser "Name" soll geheiligt werden; und so kann eben die Bitte "Geheiligt
werde dein Name" garnicht auf eine namentlich unterscheidbare, biographisch
umgrenzte, mit ausschließlicher Souveränität ausgezeichnete
Persönlichkeit bezogen werden, sondern erweitert die sehnsuchtsvolle
Ehrfurcht des Betenden ins offen Unendliche, ins unendlich Offene, das
unser Ursprung, unser Ziel und unsere
Mitte ist. Wenn unserem väterlichen Ziel-Mitten-Ursprung nun aber
doch ein klanglich konkreter Name gegeben werden soll, so ist diese unendliche
Offenheit in dessen Klangstruktur hineinzunehmen, wie die Stille in ein
musikalisches Motiv hineingenommen werden kann und auch hineingenommen
werden muß, wenn das musikalische Motiv ein Meditationsmantra sein
soll. Es ist ein genialer Zug des Vater-unser, daß es die Heiligung
des Namens Gottes in der Seele bereiten will, ohne diesen Namen klanglich
zu verdichten. Nicht klanglich-körperlich, sondern rein geistig-sinnhaft
ist das Mantra dieser Bitte, eine Beziehungs-Geste, eine intensiv von Hochachtung
durchtränkte Haltung, hoch-spannend weit-offen.
Die Hauptwege bzw. Mittel der Meditation sind, wie die Tätigkeiten
des Bewußtseins überhaupt, entweder anschauungsbezogen oder
gedanklich, und ebenso wie in der alltäglichen Anschauung und dem
üblichen Denken gehen die Intentionen des anschauungsbezogenen oder
gedanklichen Meditierens über die jeweilige Anschauung und den jeweiligen
Gedanken hinaus. Ich schaue etwas an, sei es sinnlich oder in der Vorstellung,
um es zu begreifen, und ich durchdenke einen Inhalt, um zu weiteren Gedanken,
weiteren Inhalten vorzustoßen, meistens in der Verbindung wiederum
weiterer Gedanken miteinander. "Überschreiten" ist die wesentliche
Bewegungsart unseres Bewußtseins. In jeder Anschauung schon will das Bewußtsein diese Anschauung
überschreiten, um mit der Wirklichkeit des Angeschauten zu kommunizieren,
in jedem Gedanken will es über diesen Gedanken hinausgehen, um die
Erkenntnis zu erweitern. In einer Meditation nun will unser Bewußtsein die gewählte
Anschauung oder den gewählten Gedanken überschreiten, um sich
selbst zu finden, die Mitte aller Mitten, seine
eigene immer morgendlich aufgehende Lichtsubstanz, seine flüssige
Geistigkeit, seine schöpferische Selbstgeburt, die im alltäglichen
Leben hinter unseren situationsgebundenen Rollenspielen, Persönlichkeitsmasken
und geltungssüchtigen Geschwätzigkeiten verborgen bleibt:
Zwei scheinbare Paradoxien queren die hier gezogene Analogie der
meditativen mit der alltäglich üblichen "Überschreitung": Zum einen, was die "Selbst"-Findung angeht: so öffnet sich
das Bewußtseinslicht der inneren Sonne,
das allsubstanzielle Ich, unsere ureigenste
unreduzierbare Selbstreferenz,
durch eine liebevolle Hingegebenheit,
durch Verehrung über Verehrung. Ich will nicht behaupten, es eröffne
sich einzig und allein durch grenzenlose Hingabe, denn vom ersten Dämmerschein
der Morgenröte
an, sobald wir etwas von Seiner Erkenntnis auch nur ahnen, ist es Gottes
Schönheit, die uns zieht, und so kommt die Verehrung schon von
selbst, sie leuchtet im Auge des Betrachters auf. Es ist nicht falsch,
zu sagen, Erkenntnis gehe der Gottesliebe
voraus, wenngleich Ehrfurcht
und Hingabe die Vorbedingung aller Weisheit sind. Zum andern "überschreitet" der Meditierende den Gedanken denkwürdigerweise
durch absolute Beschränkung auf eben diesen Gedanken, von dem er "ausgeht":
eben indem er in ihn "hineingeht". So wird letzten Endes die Vermittlung
selbst zur unmittelbaren Erfahrung der Unmittelbarkeit. In der Meditation
wird die jeweilige Anschauung bzw. der jeweilige Gedanke in intensivstmöglicher
Konzentration festgehalten, man taucht darin ein, hält alles andere
ab, läßt nichts ohne genaue Kontrolle zu, so dass alle Wandlungsschritte
der Vorstellung oder des Begreifens lückenlos der willentlichen Zielsetzung
des Meditierenden entsprechen. Ein ständiger innerer Reinigungsprozeß
ist mit dieser Selbstkontrolle verbunden, vor allem das Ausscheiden aller
träumerischen Neigungen und verführerischen Störungen aus
dem durchsichtigen Feld der nüchternen Wachheit. Herakles kämpft
mit der Hydra, oder auch: Herakles
kämpft mit dem "Meeresalten" Nereus (oder Proteus, was auf dasselbe
hinausläuft). Im Grunde ist jede Vorstellung, jeder Gedanke als Ausgangspunkt
oder Einstieg geeignet. Sie alle sind zunächst einmal Gestaltungen
des explosiv-expressiven Gestaltungswesen der facultas imaginandi, des
eben erwähnten "Proteus"
(oder "Nereus"), der erst dann seine Weisheiten offenbaren muß,
wenn er in einer seiner Gestalten festgehalten wird. Das ist uns nicht fremd. Kontrolle des Anschauens zum Beispiel bringt
Kunst hervor: Der Komponist kanalisiert das wilde Getümmel des inneren
Hörens, der Maler die Farben und Formen des inneren Gesichts, der
Tänzer choreographiert die Ausdrucksvielfalt der Bewegungen, Jean
Grenouille lotet Geruchswelten aus, der Speisemeister
"schmeckt" das Wasser aus den Reinigungskrügen zu Wein um. Selbstkontrolle des Denkens dagegen bringt deduktive Wissenschaften
hervor: Mathematik, Logik, Philosophie. Es ist gleich, wo man anfängt,
Konsequenz führt in die unendlichen Binnenräume der Wahrheit
eines jeden Gedankens. Und so kommt es, daß es doch verschiedene Grade der Eignung
und verschiedene Einstiegswinkel der Meditationsmittel gibt, abhängig
von dem, was der Meditierende eigentlich will. Die transparentesten "Fenster"
zum Blick in den Himmel sind gewiß die religiösen Wege, die
in den Religionen gepflegten "Offenbarungen",
ihr Kultus, ihre Gebete.
Aber es gibt auch Selbst-Erschwernisse, Trainings-Schwellen, regelrechte
"Übungen" an Widerständen, am "Unmöglichen".
Wenn die Übung nicht auf Selbstkondizionierung, Abrichtung, Dressur
hinauslaufen soll, empfiehlt es sich, das Erkenntnisinteresse an oberste
Stelle zu setzen oder zum Ausgangspunkt zu machen. Reine Willensschulungen
ohne vernünftige Begründung dessen, was ich denn eigentlich will,
vergewaltigen den Menschen. Vor allem Treu und Glauben der Religionen komme
die Philosophie, erkenntnistheoretische Selbstdurchdringung der Erkenntnis;
vor allem Wollen komme das Denken! Zur Hölle mit den fremdbestimmten
Loyalitäten! Unter den vielen Klassikern der Meditations-Lehrbücher ragt
eines ganz besonders durch seine Sorgfalt, seine klare Sprache und
seine überaus reiche Inhaltlichkeit heraus, nämlich Rudolf
Steiners "Wie
erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?" Und das will etwas
heißen, denn es gab auch vorher schon gute Leitfäden, wie das
genannte Yoga-Sûtra des Patanjali und die
Bhagavad-Gîtâ; die christlichen Anleitungen
zur Meditation bei den mittelalterlichen Mönchen (Bernhard, Mr.
Eckhart, Thomas von Kempen) und der Theresa von Avila, in der Neuzeit
z.B. auch Fichtes "Anweisung zum seligen Leben" auf Basis des Johannesevangeliums.
Meditationstaugliche Gedankengänge gibt es natürlich auch sonst,
bei anderen, wie z.B. in den Buddhareden oder
in den Himmelreich-Gleichnissen Mt
13, in den Aphorismen
des Novalis oder in Hegels
Wissenschaft der Logik, bei Nicolaus Cusanus oder Angelus Silesius.
So "viel, oh Sophie"! (Jandl)
2. Sprachliche Klang-Wege Meditationsbilder können konkret sein, wie Steine,
Blätter, Wolken, wie buddhistische Mandalas,
christliche Madonnen, Götterbilder,
Fensterrosen, die Knospe
oder das Sandkorn;
oder sie können abstrakt sein wie das Kreuz,
der Kreis, der Spiralenknoten.
Meditationsgedanken sind ganze Lieder oder Sätze, einzelne Wörter,
auch Aufgabenstellungen, Fragen,
schwer
faßliche Begrifflichkeiten. Das Feld der äußeren und inneren Hörwahrnehmungen
nimmt eine interessante Zwischenstellung ein: Klänge sind Anschauungen,
aber als Worte tragen sie gedanklichen Sinn. Schon
Musik ermöglicht durch ihre harmonische Eigengesetzlichkeit ganze
Räume von Meditationswegen gedanklicher Art, erkenntnistief, weisheitsvoll. Das als "Meditationsmusik" handelsübliche Gedudel ist leider
völlig unbrauchbar, langweilig, extrem hinderlich, gewissermaßen
contrameditativ, es sei denn, man möchte es sich besonders schwer
machen, um seine Konzentrationsfähigkeit inmitten höchst widriger
Umstände zu trainieren. Wird man seine Wachheit in weichen Betten
liegend üben? Musik von außen schläfert ein oder stört
die Konzentration. Meditation ist nicht Entspannung und Auflösung,
sondern punktgenaue höchste Anspannung des Geistes. Wie ist es mit dem Klangaspekt der Sprache? Das Gesamtspektrum aller
Vokale, vergleichbar dem Farbspektrum des optischen Feldes, läßt
sich in ein-zwei Silben fassen, etwa
ieäaoum und dessen Spiegelung muoaäei
oder in vollständigen Kreisen
ieäaouüi-ieöüi-ieäaouüi
als eine Art kombinierte Schleifenbildung der großen Vokalspektrums-Kreises
ieäaouüi (oder aouüieäa)
und des kleineren ieöüi, und gewiß
ist aus dem größeren dieser beiden Vokalspektrums-Kreise das
bekannteste Klangmantra gebildet worden, das
"aum" der Vedischen Meditationstexte, zumal im
Sanskrit jene "mongolisch-deutschen" Umlaute des kleineren Vokalspektrums-Kreises
nicht vorkommen, in denen die Obertöne "auf" den Vokalfarben etwas
stärker, fast schon flötenscharf hörbar und unterscheidbar,
mitschwingen. In der Tat sind Klangmeditationen viel üblicher und verbreiteter,
als man auf den ersten Blick meinen könnte: Die in den verschiedenen
Religionen heimischen Gottesnamen sind solche Klangmantren, und zwar um
so mehr, je mehr sie in Anrufungen, Litaneien, Rosenkränzen o.ä.
wiederholt und mit Verehrung getränkt werden, und noch stärker,
wenn die laute Aussprache des Gottesnamens
tabu wird, so daß er nur noch betend, lesend und meditativ angedacht
wird. Dann ist er ein sehr starkes Mantra, schon in seinem Klang, aber
mehr noch mit dem Inhalt, der in ihm zu denken ist. zu einer Liste der abstrakten Klang-Mantren
in der Transzendentalen Meditation gemäß Maharshi Mahesh Yogi