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Im inneren Verließe eines nach oben offenen Turmes. Steinstufen führen nach dem Zinnenrande der Turmmauer; Finsternis in der Tiefe, nach welcher es von dem Mauervorsprunge, den der Boden darstellt, hinabführt. Zauberwerkzeuge und nekromantische Vorrichtungen. Klingsor auf dem Mauervorsprunge zur Seite, vor einem Metallspiegel sitzend. |
Zu Beginn
des zweiten Aufzugs sei noch einmal an die "Personen
des Dramas" erinnert, wie sie vor Beginn des ersten Aufzugs aufgelistet
wurden; dort wurde im Vergleich mit den gleichnamigen Personen der Parzival-Epen
bereits festgestellt, daß
Kundry, die zwar u.a. auch die Botenfunktionen der gleichnamigen Gestalt aus dem Gralsepos übernimmt, hier nun eine ganz neuartige, tragende Rolle im gostischen Verführungsdrama Wagners bekommt; und daß Klingsor gleichfalls an Bedeutung als Gegenfigur zu Amfortas und Titurel mit seiner komplementären Gegenwelt zur Gralsburg gewinnt, wo auch die "Zaubermädchen" (vgl. Wolfram, die Schastel-marveil-Aventiure Gawans 558 ff, dort auch 637 der Zauberer Clinschor als Herr über die eingeschlossenen Frauen) eigenartig süß aufblühen dürfen. |
KLINGSOR
Schon lockt mein Zauberschloß den Toren, den, kindisch jauchzend, fern ich nahen seh'. - Im Todesschlafe hält der Fluch sie fest, der ich den Krampf zu lösen weiß. - Auf denn! An's Werk! und entzündet dort Räucherwerk, welches alsbald den Hintergrund mit einem bläulichen Dampfe erfüllt. Dann setzt er sich wieder vor die Zauberwerkzeuge und ruft, mit geheimnisvollen Gebärden, nach dem Abgrunde.)
Dein Meister ruft dich Namenlose: Urteufelin, Höllenrose! Herodias warst du, und was noch? Gundryggia dort, Kundry hier: Hierher! Hierher denn! Kundry! Dein Meister ruft: herauf! steigt Kundrys Gestalt herauf. Sie scheint schlafend. - Kundrys Gestalt macht die Bewegung einer Erwachenden. - Sie stößt einen gräßlichen Schrei aus.)
Meinem Banne wieder verfielst heut' du zur rechten Zeit. von größter Heftigkeit bis zu bangem Wimmern sich abstufend, vernehmen.)
Pfui! Dort bei dem Rittergesipp', wo wie ein Vieh du dich halten läßt? Gefällt dir's bei mir nicht besser? Als ihren Meister du mir gefangen - haha – den reinen Hüter des Grales - was jagte dich da wieder fort? (rauh und abgebrochen, wie im Versuche, wieder Sprache zu gewinnen)
Tiefe Nacht! - Wahnsinn! – Oh! – Wut! - Ach! – Jammer! - Schlaf – Schlaf - tiefer Schlaf! – Tod!
(wie zuvor)
Oh! – Sehnen – Sehnen! -
dort nach den keuschen Rittern?
den du ihnen böslich gebracht? Sie helfen dir nicht: feil sind sie alle, biet' ich den rechten Preis; der festeste fällt, sinkt er dir in die Arme; und so verfällt er dem Speer, den ihrem Meister selbst ich entwandt. - Den Gefährlichsten gilt's nun heut' zu besteh'n: ihn schirmt der Torheit Schild.
deine Macht – nichts vermag. (grell lachend)
So lacht nun der Teufel mein, daß einst ich nach dem Heiligen rang! Furchtbare Not! Ungebändigten Sehnens Pein, schrecklichster Triebe Höllendrang, den ich zum Todesschweigen mir zwang - lacht und höhnt er nun laut durch dich, des Teufels Braut? - Hüte dich! Hohn und Verachtung büßte schon einer: der Stolze, stark in Heiligkeit, der einst mich von sich stieß, sein Stamm verfiel mir, unerlöst soll der Heiligen Hüter mir schmachten; und bald – so wähn' ich - hüt' ich mir selbst den Gral. - - Haha! Gefiel er dir wohl, Amfortas, der Held, den ich zur Wonne dir gesellt?
Schwach auch er! – Schwach – alle! Meinem Fluche mit mir alle verfallen! - Oh, ewiger Schlaf, einziges Heil, wie – wie dich gewinnen?
versuch's mit dem Knaben, der naht!
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Der "Meister"
ist (mit diesem Titel) ironische Wiederspiegelung, Selbstreferenz, werkimmanente
Selbstabbildung Richard Wagners und seiner bezaubernd aufblühenden
Traumgestaltungen dionysischer Grundkonflikte:
Musik als Evokation der das Bewußtsein verführenden Natur im
harmonikalen Untergrund blühender Klangoberflächen. (Nietzsche
wird Wagner deshalb einen "Psychologen" nennen, der den Hörer "überreden"
will).
Die vielen Namen Kundrys beschreiben eine Reinkarnationen-Kette; die Wurzelpersönlichkeit, von der die weiteren nur karmanische "Folgen" zu sein scheinen, ist "Herodias", die Frau des Herodes (die ihre Tochter Salome vor dem König tanzen läßt, um dann das Haupt Johannes des Täufers von ihm zu fordern), denn da muß die legendenhafte Verhöhnung des kreuztragenden Christus geschehen sein, die Kundry unten beichtet. Das ist die immer neu durch Verführungsversuche zu überwindende Schwelle ihrer Befriedigungssuche, ihres Erlösungs- und Sündendrangs in einem. Zur Gestalt und Rolle Kundrys wurde bei ihrem ersten Erscheinen im ersten Aufzug (Sturz aus dem Himmel herab wie eine Windsbraut, um dem verwundeten Gralskönig eine letzte Medizin zu überbringen) bereits folgendes angemerkt: Cundrie, surziere (Zauberin) was ir zuoname" - so heißt bei Wolfram die häßliche Frau, die (bei Chrétien noch anonym) am Artushof erscheint, kaum daß Parzival dort aus der Faszination der drei Blutstropfen im Schnee herausgerissen und in die Ritterrunde aufgenommen worden ist. Dort verflucht sie ihn im Prophetenstil und reitet dann auf ihrem Maultier weiter. Chrétien (4608 ff) und Wolfram (312) stimmen in der Beschreibung ihrer Häßlichkeit wie ihres Reittieres überein; aber sie ist bei Wolfram zugleich kostbar mit schwerer Seide gekleidet und ist zu allem Überfluß noch hochgelehrt, d.h. sie kann Latein, Arabisch und Französisch und beherrscht Logik, Geometrie und Astronomie. Von ihrer äußerlichen Beschreibung sind bei Wagner nur die schwarzen Zöpfe übriggeblieben, - Chrétien (4614): "La damoisele fu trechie a deus treches tortes et noires" (Ihr Haar trug sie in zwei wirren schwarzen Zöpfen), - Wolfram (313): "über den huot ein zopf ir swanc unz ûf den mûl: der was sô lanc, swarz, herte und niht ze clâr, lind als eins swînes rückehâr"; alles weitere bei Wagner ist originell; sie ist auch nicht der Ausbund von Häßlichkeit, wie bei den beiden Epikern, sondern (in Spanien immerhin) eine Art "Carmen", Zigeunerin mit Verführungsreiz, ein wildes Naturwesen, zauberkräftig nicht so sehr durch die Kompensation ihrer Häßlichkeit mit scharfer Klugheit, ja Prophetie (wie bei Chrétien) oder durch Gelehrtheit in den sieben freien Künsten (wie bei Wolfram), als wegen ihrer seelischen Zerrissenheit und ihres erfahrungstiefen Alters durch mehrere Inkarnationen hindurch, hier nur knapp symbolisch repräsentiert mit ihrem "Gürtel von Schlangenhäuten". Und sie, die Verführerin und Ursache der Verwundung des Königs, reicht einen Balsam "von weiter her als du denken kannst", – von jenseits des Bewußtseins – ein, wie wir erfahren werden, weit stärkerer Kompensationsdrang als bei der häßlichen Prophetin im Epos. In der Tat ist sie die tragende Figur der ganzen Handlung, Ursache und treibende Kraft. Die Kompensation ihrer hier noch verborgenen "Nachtseite" (die aber als "Schlaf" hervordrängt) beansprucht ihre Kräfte so sehr, daß sie sofort von einer unwiderstehlichen Müdigkeit überwältigt wird – mitten am Tage! Diese dramatische Polarität und Spannung wird von Freud in der bekannten Weise beschrieben (z.B. in seiner "Traumdeutung"), ist aber durch die griechische Tragödie und besonders durch Wagners Bühnenwerke seit jeher ausgestaltet worden; Nietzsche, angeregt durch Schopenhauer, aber selbst Altphilologe und glühender Wagnerianer, greift das romantische Begriffspaar "dionysisch"-"apollinisch" von Creuzer und Schelling auf und bezieht es auf die spannende Polarität des dionysischen Wahns und seiner apollinischen Bewältigung im Bewußtsein: "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" (1871); vgl. insbesondere zu Beginn dieser Schrift die Bildbeschreibung der "Verklärung" von Raffaelo Santi im Vatikanischen Museum, wo mit der schwebenden Christusgestalt oben die vergebliche Heilung des Besessenen durch die Jünger unten kontrastiert und die einzige Verbindung der unteren und der oberen Bildhälfte durch den Blick des "Besessenen" nach oben zur schwebenden Gestalt geknüpft wird. Man beachte insbesondere die rätselhafte kniende Frauengestalt in der unteren Bildhälfte. und in Bezug auf ihren hypnotischen Schlaf: Dieses Bildmotiv der erstarrten, "leblos, wie tot" Schlafenden, die passiv aufgefunden wird, verstärkt den Charakter der Kundry-Gestalt im Parsifal als der schlechthinnigen Personifikation der Natur: Hineingezogen in den Sündenfall - bzw. in der Deutung durch Trevrizent: befleckt durch den Brudermord Kains – verliert die Erde ihre paradiesische Unschuld, bringt statt Milch und Honig Dornen und Disteln hervor, wird trocken, staubig und steinig, verliert ihre Erkenntnistransparenz: Die eigentlichen Ursachenkräfte liegen nun im Verborgenen; dem findenden Bewußtsein zeigt sich nur noch eine material erstarrte, passive Erscheinungswelt. Der "Meister" Klingsor vermag die Natur aus ihrer dionysischen Wurzel heraus zum Blühen zu bringen, eigentlich zu einem vegetativen Anschein, einer oberflächlichen Scheinblüte des eher tierischen Triebes und Treibens, dem er durch seine Selbstverschneidung ja nicht unterworfen ist. Und ausgerechnet er hält den Speer. Bezüglich Klingsors "Not" vgl. den Klingsor-Abschnitt der Titurel-Exposition durch Gurnemanz im ersten Aufzug. Eine ferne Quelle dieses Wagnerschen Sonderguts, durch ihre Ferne vielleicht nur als Anspielung im Hintergrund, ist Hesiods Theogonie: Die Entmannung des Himmels (Ouranos) ist Ursache für die Geburt der Aphrodite. Nur der ("um des Himmelreiches willen" Matth 19,12?) verschnittene (aber von Titurel dann gemäß Deuteronomium 23,2 ausgestoßene) Klingsor kann die Verführerin Kundry als ihr "Meister" evozieren. Vgl. auch die kultische Selbstkastration der Priester in der Prozession der "großen Mutter" Kybele. Und – nicht zu vergessen - die Verwundung des Gralskönigs selbst, die bei den Epikern ja eine Verletzung des Genitalbereichs darstellt, immer blutend, schmerzend, besonders im Winterfrost bis zur Passionszeit hin, am schärfsten, schneidendsten dann, wenn der Planet Saturn seine Wirkung hineinstrahlt: Kronos, der den Himmel mit einer gezähnten Sichel entmannt und das "abgemähte" Zeugungsorgan seines Vaters in die tosende Salzflut geworfen hat, wo dann die "Gliedliebende" aus dem Schaum geboren wird und überall, wo sie aus des Meeres und der Liebe Wellen heraus ihre Schritte an Land setzt, Blumen hervorsprießen läßt. |
KLINGSOR
(steigt hastig auf die Turmmauer)
Erwachte ich darum? Muß ich? – Muß? (hinabblickend) KUNDRY
(stößt, nach außen gewandt, in ein Horn)
Helden! – Auf! – Feinde nah! Ha! Wie zur Mauer sie stürmen, die betörten Eigenholde, zum Schutz ihres schönen Geteufels! - So! Mutig! Mutig! - Haha! Der fürchtet sich nicht: - dem Helden Ferris entwand er die Waffe; die führt er nun freislich wider den Schwarm unheimliches ekstatisches Lachen bis zu krampfhaftem Wehegeschrei.)
Dem schlug er den Arm, jenem den Schenkel. Haha! – Sie weichen.
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Ihre spröde
Außenseite täuscht nicht darüber hinweg, daß Kundry
selbst (gleich der vom Baum faszinierten Ischah des Paradieses) von
Schönheit verführt und rettungslos verliebt ist, von Anfang
an (vgl. ihr Verhalten im
ersten Aufzug).
Parsifal hat etwas vom Siegfried des "Rings", so jedenfalls das übermütige Motiv: unbefangenes, unschuldiges Draufgängertum; ja: beide sind Ektypoi des Naturburschen im Märchen, "der auszog, das Fürchten zu lernen". Bei Wagner ist der entsprechende Archetypos in beiden Fällen so gewichtet, daß der Held letztlich die Liebe kennenlernt, indem er sich die gebannte Braut erweckt, seine dialogisch-anamnetische "Lehrerin". |
(Das bläuliche
Licht ist erloschen:
volle Finsternis in der Tiefe, wogegen glänzende Himmelsbläue über der Mauer.)
Wie das ich euch gönne! Möge denn so das ganze Rittergezücht unter sich selber sich würgen! Ha! Wie stolz er nun steht auf der Zinne! Wie lachen ihm die Rosen der Wangen, da kindisch erstaunt in den einsamen Garten er blickt! des Hintergrundes um.)
Wie? Schon am Werk? - Haha! Den Zauber wußt' ich wohl, der immer dich wieder zum Dienst mir gesellt! |
Auch hier Verdunklung
der Szene wie
bei der Gralsenthüllung: wie zum imaginativen Aufbau einer "anderen"
Welt, Abblendung der Rahmensituation, um der imaginativen (in einer Art
Meditation bildhaft aufgebauten) Welt Raum zu schaffen.
Man möchte meinen, die ganze Szenerie wird noch einmal neu aufgerollt von dem Zeitpunkt an, wo Kundry in ihre Trance versunken ist: Nun die antithetische Parallele, die entsprechende, komplementäre "andere Seite des Berges", die untergründige Seite der Liebesglut des Grals und seiner Leibeshingabe, das Ursachenfeld der Verwundung des Gralshüters, die Magie des Schweigens Parsifals: Die Anamnese nach dem Kuß wird eine untergründige Identität beider "Verdunklungs"-Szenen erweisen. |
(Er will fliehen, als
er aus einem Blumenhage
Kundrys Stimme vernimmt und betroffen stillsteht.) KUNDRY PARSIFAL
So nannte träumend mich einst die Mutter. der Stimme Kundrys erschrocken und haben sich alsbald von Parsifal zurückgehalten.) KUNDRY
Dich grüßet Wonne und Heil zumal. Ihr kindischen Buhlen, weichet von ihm; früh welkende Blumen, nicht euch ward er zum Spiele bestellt! Geht heim, pfleget der Wunden: einsam erharrt euch mancher Held. zaghaft und widerstrebend von Parsifal und ziehen sich, nach dem Schlosse zu, zurück.) I. M. Dich zu lassen! III. M. Dich zu meiden! II. M. Dich zu meiden! 3. M. Oh, wie wehe! 1. M. Oh, wehe! 2. M. Oh! Wehe der Pein! CHOR Oh, wehe! 1., 2., 3. M. Von allen möchten gern wir scheiden, mit dir allein zu sein. 1., II., III. M. Mit dir allein zu sein. 2. UND II. Leb wohl! CHOR Leb wohl, leb wohl! 1. UND 1. M. Leb wohl! ALLE Leb wohl, du Holder, du Stolzer, du – Tor! (Mit dem letzten sind die Mädchen unter Gelächter im Schlosse verschwunden.) PARSIFAL
nach der Seite hin um, von welcher die Stimme kam. Dort ist jetzt, durch Enthüllung des Blumenhages, ein jugendliches Weib von höchster Schönheit - Kundry, in durchaus verwandelter Gestalt - auf einem Blumenlager, in leicht verhüllender, phantastischer Kleidung, annähernd arabischen Stiles - sichtbar geworden.) |
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(Parsifal noch ferne
stehend.)
«Fal parsi», Dich, reinen Toren: «Parsifal». So rief, als in arab'schem Land er verschied, dein Vater Gamuret dem Sohne zu, den er, im Mutterschoß verschlossen, mit diesem Namen sterbend grüßte. Ihn dir zu künden, harrt' ich deiner hier: was zog dich her, wenn nicht der Kunde Wunsch?
was jetzt ich schau' und was mit Bangen mich erfüllt. - Entblühtest du auch diesem Blumenhaine?
Fern – fern – ist meine Heimat: - daß du mich fändest, verweilte ich nur hier. Von weither kam ich, wo ich viel ersah'. Ich sah' das Kind an seiner Mutter Brust, sein erstes Lallen lacht mir noch im Ohr; das Leid im Herzen, wie lachte da auch Herzeleide, als ihren Schmerzen zujauchzte ihrer Augen Weide! Gebettet sanft auf weichen Moosen, den hold geschläfert sie mit Kosen, dem, bang in Sorgen, den Schlummer bewacht' der Mutter Sehnen, den weckt' am Morgen der heiße Tau der Muttertränen. Nur Weinen war sie, Schmerzgebaren um deines Vaters Lieb' und Tod; vor gleicher Not dich zu bewahren, galt ihr als höchster Pflicht Gebot: den Waffen fern, der Männer Kampf und Wüten, wollte sie still dich bergen und behüten. Nur Sorgen war sie, ach! und Bangen: nie sollte Kunde zu dir hergelangen. Hör'st du nicht noch ihrer Klage Ruf, wann spät und fern du geweilt? Hei! Was ihr das Lust und Lachen schuf, wann sie suchend dann dich ereilt! Wann dann ihr Arm dich wütend umschlang, ward dir es wohl gar beim Küssen bang? - Doch ihr Wehe du nicht vernahm'st, nicht ihrer Schmerzen Toben, als endlich du nicht wieder kam'st und deine Spur verstoben: sie harrte Nächt' und Tage, bis ihr verstummt die Klage, der Gram ihr zehrte den Schmerz, um stillen Tod sie warb: ihr brach das Leid das Herz, und - Herzeleide - starb. - (immer ernsthafter, endlich furchtbar betroffen, sinkt, schmerzlich überwältigt, zu Kundrys Füßen nieder)
Mutter! Süße, holde Mutter! Dein Sohn, dein Sohn mußte dich morden! O Tor! Blöder, taumelnder Tor! Wo irrtest du hin, ihrer vergessend - deiner, deiner vergessend? Traute, teuerste Mutter! |
Hier die Deutung
zweier Namen:
"Parsifal" als "reiner Tor", durch Umstellung gewissermaßen doppelt genäht (in welcher Sprache aber heißt "Fal" soviel wie "Tor"? es klingt an englisch "fool" an; "Parsi" erinnert an die altpersische Reinheits-Religion Zarathustras), und die hier etwas verstecktere Selbstdeutung der verwandelten "Kundry" als "Künderin" und "Kunde" - mit der feinsinnigen Doppeldeutigkeit eines genitivus subiectivus oder obiectivus: Wunsch nach Kunde oder Wunsch der personifizierten Kundry-Kunde selbst, der magischen Prophetengestalt (Cundrie) aus den Epen? Mit der rhetorischen Frage
"Was zog dich her..." beginnt sie, aus der Deutung dieser beiden Namen
ihre Verführung zu entfalten.
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KUNDRY
des Trostes Süße, labte nie auch dein Herz: das Wehe, das dich reut, die Not nun büße im Trost, den Liebe dir beut! (im Trübsinn immer tiefer sich sinken lassend)
konnt' ich vergessen! Ha! Was alles vergaß ich wohl noch? Wes war ich je noch eingedenk? Nur dumpfe Torheit lebt in mir! (immer noch in liegender Stellung, beugt sich über Parsifals Haupt, faßt sanft seine Stirne und schlingt traulich ihren Arm um seinen Nacken)
wird Schuld in Reue enden, Erkenntnis in Sinn die Torheit wenden: die Liebe lerne kennen, die Gamuret umschloß, als Herzeleids Entbrennen ihn sengend überfloß! Die Leib und Leben einst dir gegeben, der Tod und Torheit weichen muß, sie beut' dir heut' - als Muttersegens letzten Gruß der Liebe – ersten Kuß. und heftet nun ihre Lippen zu einem langen Kusse auf seinen Mund.) |
Es ist zu erwägen,
ob Kundry nicht zugleich von sich selbst singt, wenn sie den psychoanalytischen
(bzw. in älteren Kategorien: den gnostisch-erlösenden) Grundsatz
zitiert, daß Schuldbekenntnisse – Verantwortungsanerkenntnisse, Erkenntnisse
überhaupt – die entsprechende Schuld aufheben, in die Verantwortungs-Wurzel
der Handlungen zurückgreifen, das Bewußtsein metanoetisch wenden.
"Denn nie lügt Kundry..." (Gurnemanz im ersten Aufzug) |
PARSIFAL
(fährt plötzlich mit einer Gebärde des höchsten Schreckens auf: seine Haltung drückt eine furchtbare Veränderung aus; er stemmt seine Hände gewaltsam gegen das Herz, wie um einen zerreißenden Schmerz zu bewältigen)
Die Wunde! - Die Wunde! - Sie brennt in meinem Herzen. - Oh, Klage! Klage! Furchtbare Klage! Aus tiefstem Herzen schreit sie mir auf. Oh! – Oh! - Elender! - Jammervollster! Die Wunde sah' ich bluten: - nun blutet sie in mir! - Hier – hier! Nein! Nein! Nicht die Wunde ist es. Fließe ihr Blut in Strömen dahin! Hier! Hier im Herzen der Brand! Das Sehnen, das furchtbare Sehnen, das alle Sinne mir faßt und zwingt! Oh! – Qual der Liebe! - Wie alles schauert, bebt und zuckt in sündigem Verlangen! ... und Verwunderung auf Parsifal hinstarrt, gerät dieser in völlige Entrücktheit; schauerlich leise)
dumpf auf das Heilgefäß: das heil'ge Blut erglüht; Erlösungswonne, göttlich mild, durchzittert weithin alle Seelen: nur hier, im Herzen, will die Qual nicht weichen. Des Heilands Klage da vernehm' ich, die Klage, ach! die Klage um das entweihte Heiligtum: - «Erlöse, rette mich aus schuldbefleckten Händen!» So rief die Gottesklage furchtbar laut mir in die Seele. Und ich? Der Tor, der Feige? Zu wilden Knabentaten floh' ich hin!
Wie büß ich Sünder meine Schuld? |
Vgl. die Amfortas-Klage im ersten Aufzug; hintergründige Identität der beiden "verdunkelten" Szenen – Gralsburg und Zaubergarten - d.h. besonders auch der Gralsspeisung und des erweckenden Kusses. |
KUNDRY
(deren Erstaunen in leidenschaftliche Bewunderung übergegangen, sucht schüchtern sich Parsifal zu nähern)
Blick' auf! Sei hold der Huldin Nah'n! (immer in gebeugter Stellung, starr zu Kundry aufblickend, während diese sich zu ihm neigt und die liebkosenden Bewegungen ausführt, die er mit dem Folgenden bezeichnet)
So rief sie ihm; - und diesen Blick, deutlich erkenn' ich ihn - auch diesen, der ihm so friedlos lachte. Die Lippe, – ja – so zuckte sie ihm; - so neigte sich der Nacken - so hob sich kühn das Haupt; - so flatterten lachend die Locken, - so schlang um den Hals sich der Arm - so schmeichelte weich die Wange -! Mit aller Schmerzen Qual im Bunde, das Heil der Seele entküßte ihm der Mund! - Ha! – Dieser Kuß! - Verderberin! Weiche von mir! Ewig – ewig – von mir! und stößt Kundry von sich.) |
Vgl. das Hirtenlied im Tannhäuser (Umdeutung der Venus im Hörselberg zur frühlingshaften Gottesmutter, nachdem Tannhäuser durch den Ausruf "Mein Heil ruht in Maria!" die Szene verwandelt hat): "Frau Holda trat aus dem Berg hervor..." |
KUNDRY
(in höchster Leidenschaft)
Fühlst du im Herzen nur And'rer Schmerzen, so fühle jetzt auch die meinen! Bist du Erlöser, was bannt dich, Böser, nicht mir auch zum Heil dich zu einen? Seit Ewigkeiten – harre ich deiner, des Heilands, ach! so spät! Den ich einst kühn geschmäht. - Oh! – Kenntest du den Fluch, der mich durch Schlaf und Wachen, durch Tod und Leben, Pein und Lachen, zu neuem Leiden neu gestählt, endlos durch das Dasein quält! - Ich sah – Ihn – Ihn - und – lachte ... da traf mich Sein Blick. - Nun such' ich ihn von Welt zu Welt, ihm wieder zu begegnen: in höchster Not - wähn' ich sein Auge schon nah', den Blick schon auf mir ruh'n: - da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder, - ein Sünder sinkt mir in die Arme! Da lach' ich – lache -, kann nicht weinen: nur schreien, wüten, toben, rasen in stets erneuter Wahnsinns Nacht, aus der ich büßend kaum erwacht. - Den ich ersehnt in Todesschmachten, den ich erkannt, den blöd Verlachten, laß mich an seinem Busen weinen, nur eine Stunde mich dir vereinen, und, ob mich Gott und Welt verstößt, in dir entsündigt sein und erlöst!
wärst du verdammt mit mir für eine Stunde Vergessens meiner Sendung in deines Arm's Umfangen! - Auch dir bin ich zum Heil gesandt, bleibst du dem Sehnen abgewandt. Die Labung, die dein Leiden endet, beut nicht der Quell, aus dem es fließt: das Heil wird nimmer dir gespendet, eh' jener Quell sich dir nicht schließt. Ein And'res ist's – ein And'res, ach! nach dem ich jammernd schmachten sah, die Brüder dort in grausen Nöten den Leib sich quälen und ertöten. Doch wer erkennt ihn klar und hell, des einz'gen Heiles wahren Quell? O Elend, aller Rettung Flucht! O Weltenwahns Umnachten: in höchsten Heiles heißer Sucht nach der Verdammnis Quell zu schmachten! (in wilder Begeisterung)
der welthellsichtig dich machte? Mein volles Liebesumfangen läßt dich dann Gottheit erlangen! Die Welt erlöse, ist dies dein Amt: - schuf dich zum Gott die Stunde, für sie laß mich ewig dann verdammt, nie heile mir die Wunde.
(drängend)
Erlösung gabst du dann auch mir. |
Das ist Kundrys
Beichte; sie dürfte dieses Bekenntnis nur nicht wieder verdrängen
wollen, denn ihre Entsühnung beginnt hier mit dem "Bekenntnis", mit
der durch "Erkenntnis in Sinn gewendeten Torheit".
wie gut daß ich die stunde der sendung nicht vergaß und hörte kundrys kunde sie grüßte ihn mit seiner süßen mutter letztem gruß und sang der letzte gruß der mutter sei - der liebe erster kuß die mutter starb da warst du längst schon fort sie starb an deinem fortgang (muttermord?!) ihr brach (so schüttelt sie mit einer leisen spur von spott) das leid das herz und herzeleide starb du lieber gott dann küßte sie verlangend ihn mit langem langem kuß ihm wars der todesgruß wie gut daß er die stunde der sendung nicht vergaß und sich erinnerte: die wunde! und er erkannte daß die lust der liebe von klingsohr in das todesschweigen seiner eignen triebe hineingezwungen war - so hat der junge sich bezwungen (denn lernen wiederholt erinnerung) und nein gesungen ich habs gehört - ich hab den sender grad gefunden ich hörte wie er bohrte: wer nur eine dieser stunden vergäße seiner sendung wär auf ewigkeit verloren dies höre jeder hörer der zu hören hat die ohren |
PARSIFAL
zeigest du zu Amfortas mir den Weg. (in Wut ausbrechend)
Den Verfall'nen, laß ihn verderben, - den Unsel'gen, Schmachlüsternen, den ich verlachte – lachte – lachte! Haha! Ihn traf ja der eig'ne Speer!
mit der heil'gen Wehr?
der einst mein Lachen bestraft: Sein Fluch – ha! – mir gibt er Kraft; gegen dich selbst ruf ich die Wehr, gibst du dem Sünder des Mitleids Ehr'! - Ha! Wahnsinn! -
Nur eine Stunde mein - nur eine Stunde dein -: und des Weges sollst du geleitet sein! Er stößt sie heftig von sich.) PARSIFAL
(rafft sich mit wilden Wutrasen auf und ruft dem Hintergrunde zu)
Haltet den Frechen! Herbei! Wehr't ihm die Wege! Wehr't ihm die Pfade! Und flöhest du von hier und fändest alle Wege der Welt, den Weg, den du suchst, des Pfade sollst du nicht finden! Denn Pfad und Wege, die dich mir entführen, so – verwünsch' ich sie dir: Irre! Irre, - mir so vertraut - dich weih' ich ihm zum Geleit'! (ist auf der Burgmauer herausgetreten und schwenkt eine Lanze gegen Parsifal)
Dich bann' ich mit der rechten Wehr: den Toren stelle mir seines Meisters Speer! welcher über dessen Haupte schweben bleibt.) PARSIFAL (erfaßt den Speer mit der Hand und hält ihn über seinem Haupte)
bann' ich deinen Zauber: wie die Wunde er schließe, die mit ihm du schlugest, - in Trauer und Trümmer stürz' er die trügende Pracht! der Mauertrümmer zu Kundry zurück.)
wo du mich wiederfinden kannst! (Kundry hat sich ein wenig erhoben und nach ihm geblickt.) (Vorhang zu.) |
Folge des (durchaus wirksamen!) Fluchs: Zuerst muß Kundry den Gral erreichen; Parsifal tritt verzichtend-resignierend hinter Kundry, hinter ihren Lebensgang und Weg zurück. Wie Theseus nur durch den Ariadne-Faden aus dem Labyrinth gelangt, so kann Parsifal nur mit Hilfe Kundrys heimgelangen. Beide bilden gewissermaßen nur ein Bewußtsein: Die zu Beginn des dritten Aufzugs musikalisch exponierte "Irrfahrt" ist das Rasen, Suchen, Resignieren beider in einem, und zwar zuerst Kundrys, dann - ihr folgend – Parsifals. |