Feire Fiz : Richard Wagner : Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
 
Siehe auch: "Der Sängerkrieg auf der Wartburg" (Wartburgkrieg):
Teil I: Fürstenlob * Teil II: Rätselspiel * Der Gral als Stein aus der Krone der Gerechtigkeit * Zabulons Buch
Das mittelalterliche Lied vom Tannhäuser * Elischa Beth: "...noch einen Tannhäuser schuldig" bzw. "Zwiebelgold"
Richard Wagner
 
Tannhäuser
und der Sängerkrieg auf Wartburg
 
Romantische Oper in drei Aufzügen 
 
nach dem Wortlaut der gedruckten Partitur
von 1845 (Dresdener Fassung) / 1861 (Pariser Fassung)
in kommentierendem Vergleich mit dem
"Sängerkrieg auf der Wartburg" (Wartburgkrieg)
und dem mittelalterlichen Lied vom Tannhäuser
sowie der musikalischen Reflexion und Ausgestaltung 
der Venus-Elisabeth-Polarität der ästhetischen Inspiration
durch Feire Fiz
 
1., 2. und 3. Aufzug
 
Orchestereinleitung
(Tannhäusers Pilgerfahrt)
 
DRITTER AUFZUG
 
Tal vor der Wartburg, links der Hörselberg
Wie am Schlusse des ersten Aufzugs, nur in herbstlicher Färbung. Der Tag neigt sich zum Abend.
 
    ERSTER AUFTRITT 
     
    Auf dem kleinen Bergvorsprunge rechts, vor dem Marienbilde, liegt Elisabeth in brünstigem Gebete dahingestreckt. – Wolfram kommt links von der waldigen Höhe herab. Auf halber Höhe hält er an, als er Elisabeth gewahrt. 
     
    Wolfram: 
     
      Wohl wußt' ich hier sie im Gebet zu finden, 
      wie ich so oft sie treffe, wenn ich einsam 
      aus wald'ger Höh' mich in das Tal verirre. – 
       
      Den Tod, den er ihr gab, im Herzen, 
      dahingestreckt in brünst'gen Schmerzen, 
      fleht für sein Heil sie Tag und Nacht: 
      o heil'ger Liebe ew'ge Macht! – 
       
      Von Rom zurück erwartet sie die Pilger. 
      Schon fällt das Laub, die Heimkehr steht bevor. 
      Kehrt er mit den Begnadigten zurück? 
      Dies ist ihr Fragen, dies ihr Flehen – 
      ihr Heil'gen, laßt erfüllt es sehen! 
      Bleibt auch die Wunde ungeheilt, 
      oh, würd' ihr Lindrung nur erteilt! 
     
    (Als er weiter hinabsteigen will, vernimmt er aus der Ferne den Gesang der älteren Pilger sich nähern; er hält abermals an.) 
     
    Gesang der älteren Pilger (mit welchem diese anfangs aus der Ferne sich nähern, dann von dem Vordergrunde rechts her die Bühne erreichen und das Tal entlang der Wartburg zuziehen, bis sie hinter dem Bergvorsprunge im Hintergrunde verschwinden): 
     
      Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen 
      und grüßen froh deine lieblichen Auen; 
      nun laß ich ruhn den Wanderstab, 
      weil Gott getreu ich gepilgert hab. 
       
      Durch Sühn und Buß hab ich versöhnt 
      den Herren, dem mein Herze frönt, 
      der meine Reu' mit Segen krönt, 
      den Herren, dem mein Lied ertönt. 
       
      Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, 
      er geht einst ein in der Seligen Frieden! 
      Vor Höll und Tod ist ihm nicht bang, 
      drum preis ich Gott mein Leben lang. 
      Halleluja [in Ewigkeit]! 
      Halleluja in Ewigkeit! 
     
    Elisabeth (erhebt sich, dem Gesange lauschend): 
      Dies ist ihr Sang – sie sind's, sie kehren heim! 
      Ihr Heil'gen, zeigt mir jetzt mein Amt, 
      daß ich mit Würde es erfülle! 
     
    Wolfram (während der Gesang sich langsam nähert): 
      Die Pilger sind's – es ist die fromme Weise, 
      die der empfangnen Gnade Heil verkündet. 
      O Himmel, stärke jetzt ihr Herz 
      für die Entscheidung ihres Lebens! 
     
    (Elisabeth hat von ihrem erhöhten Standpunkte herab mit größter Aufregung unter dem Zuge der Pilger nach Tannhäuser geforscht. Der Gesang verhallt allmählich; 
    die Sonne geht unter.) 
     
    Elisabeth (in schmerzlicher, aber ruhiger Fassung): 
      Er kehret nicht zurück! 
     
    Pilger: 
      Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen 
      und grüßen froh deine lieblichen Auen; (verhallend) 
      nun laß ich ruhn den Wanderstab ... 
     
 
    Elisabeth (senkt sich mit großer Feierlichkeit auf die Knie): 
     
      Allmächt'ge Jungfrau, hör mein Flehen! 
      Zu dir, Gepriesne, rufe ich! 
      Laß mich in Staub vor dir vergehen, 
      oh, nimm von dieser Erde mich! 
      Mach, daß ich rein und engelgleich 
      eingehe in dein selig Reich! 
       
      Wenn je, in tör'gem Wahn befangen, 
      mein Herz iich abgewandt von dir, 
      wenn je ein sündiges Verlangen, 
      ein weltlich Sehnen keimt in mir, 
      so rang ich unter tausend Schmerzen, 
      daß ich es tot in meinem Herzen! 
       
      Doch, konnt' ich jeden Fehl nicht büßen, 
      so nimm dich gnädig meiner an, 
      daß ich mit demutsvollem Grüßen 
      als würd'ge Magd dir nahen kann: 
      um deiner Gnaden reichste Huld 
      nur anzuflehn für seine Schuld! 
     
    (Sie verbleibt eine Zeitlang mit verklärtem Gesichte gen Himmel gewendet; als sie sich dann langsam erhebt, erblickt sie Wolfram, welcher sich genähert und sie mit inniger Rührung beöbachtet hat. – Als er sie anreden zu wollen scheint, macht sie ihm eine Gebärde, daß er nicht sprechen möge.)  
     
    Wolfram: 
      Elisabeth, dürft' ich dich nicht geleiten? 
     
    Elisabeth (drückt ihm abermals durch Gebärde aus, sie danke ihm und seiner treuen Liebe aus vollem Herzen; ihr Weg führe sie aber gen Himmel, wo sie ein hohes Amt zu verrichten habe; er solle sie daher ungeleitet gehen lassen, ihr auch nicht folgen. Sie geht langsam auf dem Bergwege, auf welchem sie noch lange in der Entfernung gesehen wird, der Wartburg zu). 
     
    ZWEITER AUFTRITT 
     
    Wolfram (ist zurückgeblieben; er hat Elisabeth lange nachgesehen, setzt sich links am Fuße des Talhügels nieder, ergreift die Harfe und beginnt nach einem Vorspiele): 
     
      Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande, 
      umhüllt das Tal mit schwärzlichem Gewande; 
      der Seele, die nach jenen Höhn verlangt, 
      vor ihrem Flug durch Nacht und Grausen bangt. 
       
      Da scheinest du, o lieblichster der Sterne, 
      dein sanftes Licht entsendest du der Ferne; 
      die nächt'ge Dämmrung teilt dein lieber Strahl, 
      und freundlich zeigst den Weg du aus dem Tal. 
       
      O du, mein holder Abendstern, 
      wohl grüßt' ich immer dich so gern: 
      vom Herzen, das sie nie verriet, 
      grüße sie, wenn sie vorbei dir zieht, 
      wenn sie entschwebt dem Tal der Erden, 
      ein sel'ger Engel dort zu werden! 
     
    (Er verbleibt mit gen Himmel gerichteten Augen, auf der Harfe fortspielend.] 
    DRITTER AUFTRITT 
     
    Es ist Nacht geworden. Tannhäuser tritt auf. Er trägt zerrissene Pilgerkleidung, sein Antlitz ist bleich und entstellt; er wankt matten Schrittes an seinem Stabe. 
     
    Tannbäuser (mit matter Stimme]: 
      Ich hörte Harfenschlag – wie klang er traurig! 
      Der kam wohl nicht von ihr. – 
     
    Wolfram: 
      Wer bist du, Pilger, der du so einsam wanderst? 
     
    Tannhäuser: 
      Wer ich bin? 
      Kenn ich doch dich recht gut; – Wolfram bist du, 
      (höhnisch) der wohlgeübte Sänger. 
     
    Wolfram (heftig auffahrend): 
      Heinrich! Du? 
      Was bringt dich her in diese Nähe? Sprich! 
      Wagst du es, unentsündigt noch [wohl] den Fuß 
      nach dieser Gegend herzulenken? 
     
    Tannhäuser: 
      Sei außer Sorg', mein guter Sänger! 
      Nicht such ich dich noch deiner Sippschaft einen. 
      Doch such ich wen, der mir den Weg wohl zeige, 
      den Weg, den einst so wunderleicht ich fand – 
     
    Wolfram: 
      Und welchen Weg? 
     
    Tannhäuser (mit unheimlicher Lüstemheit): 
      Den Weg zum Venusberg! 
     
    Wolfram: 
      Entsetzlicher! Entweihe nicht mein Ohr! 
      Treibt es dich dahin? 
     
    Tannhäuser: 
      Kennst du wohl den Weg? 
     
    Wolfram: 
      Wahnsinn'ger! Grauen faßt mich, hör ich dich! 
      Wo warst du? Sag, zogst du denn nicht nach Rom? 
     
    Tannhäuser (wütend): 
      Schweig mir von Rom! 
     
    Wolfram: 
      Warst nicht beim heil'gen Feste? 
     
    Tannhäuser: 
      Schweig mir von ihm! 
     
    Wolfram: 
      So warst du nicht? – 
      Sag, ich beschwöre dich! 
     
    Tannhäuser (nach einer Pause, wie sich besinnend, mit schmerzlichem Ingrimm). 
      Wohl war auch ich in Rom – 
     
    Wolfram: 
      So spich! Erzähle mir, Unglücklicher! 
      Mich faßt ein tiefes Mitleid für dich an. 
     
    Tannhäuser (nachdem er Wolfram lange mit gerührter Verwunderung betrachtet hat): 
      Wie sagst du, Wolfram? Bist du denn nicht mein Feind? 
     
    Wolfram: 
      Nie war ich es, so lang ich fromm dich wähnte! – 
      Doch sprich! Du pilgertest nach Rom? 
     
    Tannhäuser: 
      Nun [Wohl] denn! 
      Hör an! Du, Wolfram, du sollst es erfahren. 
     
    (Er läßt sich erschöpft am Fuße des vorderen Bergvorsprunges nieder. Wolfram will sich an seiner Seite niedersetzen.) 
     
      Zurück [Bleib fern] von mir! Die Stätte, wo ich raste, 
      ist verflucht. – Hör an, Wolfram, hör an! 
     
    (Wolfram bleibt in geringer Entfernung vor Tannhäuser stehen.) 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
Aus:  
Des Knaben Wunderhorn (1806 / 1808)  
  
Alte deutsche Lieder,  
gesammelt von L.Achim von Arnim  
und Clemens Brentano   
  
  
DER TANNHÄUSER  
  
Venus-Berg von Kornmann,  
dann in Prätorii Bloksberg=Verrichtung  
(Leipzig 1668) S.19-25  
  
  
Nun will ich aber heben an,  
Vom Tannhäuser wollen wir singen,  
Und was er wunders hat getan  
Mit Frau Venussinnen.  
  
Der Tannhäuser war ein Ritter gut,  
Er wollt groß Wunder schauen,  
Da zog er in Frau Venus Berg  
Zu andern schönen Frauen.  
  
«Herr Tannhäuser, Ihr seid mir lieb,  
Daran sollt Ihr gedenken,  
Ihr habt mir einen Eid geschworen,  
Ihr wollt nicht von mir wanken.»  
  
«Frau Venus, ich hab es nicht getan,  
Ich will dem widersprechen;  
Denn niemand spricht das mehr als Ihr,  
Gott helf mir zu den Rechten.»  
  
«Herr Tannhauser, wie saget Ihr mir!  
Ihr sollet bei uns bleiben,  
Ich geb Euch meiner Gespielen ein  
Zu einem ehelichen Weibe.»  
  
«Nehme ich dann ein ander Weib,  
Als ich hab in meinem Sinne,  
So muß ich in der Höllenglut  
Da ewiglich verbrennen.» 
 
 
      Inbrunst im Herzen, wie kein Büßer noch 
      sie je gefühlt, sucht' ich den Weg nach Rom. 
       
      Ein Engel hatte, ach! der Sünde Stolz 
          dem Übermütigen entwunden: 
      für ihn wollt' ich in Demut büßen, 
      das Heil erflehn, das mir verneint, 
      um ihm die Träne zu versüßen, 
      die er mir Sünder einst geweint! – 
       
      Wie neben mir der schwerstbedrückte Pilger 
      die Straße wallt', erschien mir allzu leicht: – 
       
      betrat sein Fuß den weichen Grund der Wiesen, 
      der nackten Sohle sucht' ich Dorn und Stein; 
      ließ Labung er am Quell den Mund genießen, 
      sog ich der Sonne heißes Glühen ein; 
       
      wenn fromm zum Himmel er Gebete schickte, 
      vergoß mein Blut ich zu des Höchsten Preis; 
      als im Hospiz der Müde sich 
        [das Hospiz die Wanderer] erquickte, 
      die Glieder bettet' ich in Schnee und Eis. 
       
      Verschloßnen Augs, ihr Wunder nicht zu schauen, 
      durchzog ich blind Italiens holde Auen. 
      Ich tat's – denn in Zerknirschung wollt' ich büßen, 
      um meines Engels Tränen zu versüßen! – – 
       
      Nach Rom gelangt' ich so zur heil'gen Stelle, 
      lag betend auf des Heiligtumes Schwelle. 
       
      Der Tag brach an: – da läuteten die Glocken, 
      hernieder tönten himmlische Gesänge; 
      da jauchzt' es auf in brünstigem Frohlocken, 
      denn Gnad und Heil verhießen sie der Menge. 
       
      Da sah ich ihn, durch den sich Gott verkündigt, 
      vor ihm all Volk im Staub sich niederließ; 
      und Tausenden er Gnade gab, entsündigt 
      er Tausende sich froh erheben ließ. – 
       
      Da naht' auch ich; das Haupt gebeugt zur Erde, 
      klagt' ich mich an mit jammernder Gebärde 
      der bösen Lust, die meine Sinn' empfanden, 
      des Sehnens, das kein Büßen noch gekühlt; 
      und um Erlösung aus den heißen Banden 
      rief ich ihn an, von wildem Schmerz durchwühlt. 
       
      Und er, den so ich bat, hub an: 
        
      "Hast du so böse Lust geteilt, 
      dich an der Hölle Glut entflammt, 
      hast du im Venusberg geweilt: 
      so bist nun ewig du verdammt! 
       
      Wie dieser Stab in meiner Hand 
      nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, 
      kann aus der Hölle heißem Brand 
      Erlösung nimmer dir erblühn! – 
       
      Da sank ich in Vernichtung dumpf darnieder, 
      die Sinne schwanden mir. – Als ich erwacht', 
      auf ödem Platze lagerte die Nacht, 
      von fern her tönten frohe Gnadenlieder. 
       
      Da ekelte mich der holde Sang – 
      von der Verheißung lügnerischem Klang, 
      der eiseskalt mir durch die Seele schnitt, 
      trieb Grauen mich hinweg mit wildem Schritt. 
       
      Dahin zog's mich, wo ich der Wonn und Lust 
      so viel genoß an ihre[r] warme[n] Brust! – 
       
    [In grauenhafter Begeisterung.] 
      Zu dir, Frau Venus, kehr ich wieder, 
      in deiner Zauber holde Nacht; 
      zu deinem Hof steig ich darnieder, 
      wo nun dein Reiz mir ewig lacht! 
     
«Du sagst mir viel von der Höllenglut,  
Du hast es doch nicht befunden;  
Gedenk an meinen roten Mund,  
Der lacht zu allen Stunden.»  
  
«Was hilft mich Euer roter Mund,  
Er ist mir gar unmehre,  
Nun gib mir Urlaub, Frau Venus zart,  
Durch aller Frauen Ehre.»  
  
«Herr Tannhäuser, wollt Ihr Urlaub han,  
Ich will Euch keinen geben,  
Nun bleibet, edler Tannhäuser zart,  
Und frischet Euer Leben.»  
  
«Mein Leben ist schon worden krank,  
Ich kann nicht länger bleiben,  
Gebt mir Urlaub, Fraue Zart,  
Von Eurem stolzen Leibe.»  
  
«Herr Tannhäuser, nicht sprecht also,  
Ihr seid nicht wohl bei Sinnen;  
Nun laßt uns in die Kammer gehn  
Und spielen der heimlichen Minnen.»  
  
«Eure Minne ist mir worden leid,  
Ich hab in meinem Sinne,  
O Venus, edle Jungfrau zart,  
Ihr seid eine Teufelinne.»  
  
«Tannhäuser, ach, wie sprecht Ihr so,  
Bestehet Ihr mich zu schelten?  
Sollt Ihr noch länger bei uns sein,  
Des Worts müßt Ihr entgelten.  
   
Tannhäuser, wollt Ihr Urlaub han,  
Nehmt Urlaub von den Greisen,  
Und wo Ihr in dem Land umbfahrn,  
Mein Lob, das sollt Ihr preisen.»  
  
  
  
  
  
  
Der Tannhäuser zog wieder aus dem Berg  
In Jammer und in Reuen:  
«Ich will gen Rom in die fromme Stadt,  
All auf den Papst vertrauen.  

Nun fahr ich fröhlich auf die Bahn,  
Gott muß es immer walten,  
Zu einem Papst, der heißt Urban,  
Ob er mich wolle behalten.  
  
Herr Papst, Ihr geistlicher Vater mein,  
Ich klag Euch meine Sünde,  
Die ich mein Tag begangen hab,  
Als ich Euch will verkünden.  
  
Ich bin gewesen ein ganzes Jahr  
Bei Venus, einer Frauen,  
Nun will ich Beicht und Buß empfahn,  
Ob ich möcht Gott anschauen.»  
  
Der Papst hat einen Stecken weiß,  
Der war vom dürren Zweige:  
«Wann dieser Stecken Blätter trägt,  
Sind dir deine Sünden verziehen.»  
  
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

    Wolfram: 
      Halt ein! Halt ein, Unseliger! 
     
    Tannhäuser: 
      Ach, laß mich nicht vergebens suchen – 
      wie leicht fand ich doch einstens dich! 
      Du hörst, daß mir die Menschen fluchen – 
      nun, süße Göttin, leite mich! 
     
    Wolfram [in hefligem Grausen]: 
      Wahnsinniger, wen rufst du an? 
     
    (Leichte Nebel hüllen allmählich die Szene ein.) 
     
    Tannhäuser: 
      Ha! Fühlest du nicht milde Lüfte? 
     
    Wolfram: 
      Zu mir! Es ist um dich getan! 
     
    Tannhäuser: 
      Und atmest du nicht holde Düfte? 
      Hörst du nicht die jubelnden Klänge? 
     
    Wolfram: 
      In wildem Schauer bebt die Brust! 
     
    Tannhäuser [immer aufgeregter, je näher der Zauber kommt]: 
      Das ist der Nymphen tanzende Menge! – 
      Herbei, herbei zu Wonn und Lust! 
     
    (Eine rosige Dämmerung beginnt die Nebel zu durchleuchten; durch sie gewahrt man wirre Bewegungen tanzender Nymphen.) 
     
    Wolfram: 
      Weh, böser Zauber tut sich auf! 
      Die Hölle naht mit [in] wildem Lauf. 
     
    Tannhäuser: 
      Entzücken dringt durch [alle] meine Sinne, 
      gewahr ich diesen Dämmerschein; 
      dies ist das Zauberreich der Minne, [außer sich] 
      im Venusberg drangen wir ein! 
     
 
    (In heller, rosiger Beleuchtung wird Venus, auf einem Lager ruhend, sichtbar.) 
     
    Venus: 
      Willkommen, ungetreuer Mann! 
      Schlug dich die Welt mit Acht und Bann? 
      Und findest nirgends du Erbarmen, 
      suchst Liebe du [nun] in meinen Armen? 
     
    Tannhäuser: 
      Frau Venus, o Erbarmungsreiche! 
      Zu dir, zu dir zicht es mich hin! 
     
    Wolfram: 
      Zauber der Hölle [Du Höllenzauber], weiche, weiche! 
      Berücke nicht des Reinen Sinn! 
     
    Venus: 
      Nahst du dich wieder meiner Schwelle, 
      sei dir dein Übermut verziehn; 
      ewig fließ' dir der Freuden Quelle, 
      und nimmer sollst du von mir fliehn! 
     
    Tannhäuser [indem er sich mit wilder Entschlossenheit von Wolfram losreißt]: 
      Mein Heil, mein Heil hab ich verloren, 
      nun sei der Hölle Lust erkoren! 
     
    Wolfram (ihn heftig zurückhaltend): 
      Allmächt'ger, steh dem Frommen bei! 
     
    [Er hält Tannhäuser von neuem.] 
      Heinrich – ein Wort, es macht dich frei –: 
      dein Heil –! 
     
    Venus [in keimender Angst]: 
      O komm! [Zu mir!] 
     
    Tannhäuser (zu Wolfram): 
      Laß ab von mir! 
     
    Venus: 
      O komm! Auf ewig sei nun mein! 
     
    Wolfram: 
      Noch soll das Heil dir Sünder werden! 
     
    Tannhäuser: 
      Nie, Wolfram, nie! Ich muß dahin! 
     
    [Tannhäuser und Wolfram ringen heftig.] 
     
    Wolfram: 
      Ein Engel bat für dich auf Erden, 
      bald schwebt er segnend über dir – 
     
    Venus: 
      Zu mir! Zu mir! 
     
    Wolfram: 
      Elisabeth! 
     
    Tannhäuser (der sich soeben von Wolfram losgerissen, bleibt, wie von einem heftigen Schlage gelähmt, an die Stelle geheftet): 
      Elisabeth! – 
     
    Sänger und Männerchor (aus dem Hintergrunde): 
      Der Seele Heil, die nun entflohn 
      dem Leib der frommen Dulderin! 
     
    Wolfram (nach dem ersten Eintritt des Gesanges): 
      Dein Engel fleht für dich an Gottes Thron – 
      er wird erhört! Heinrich, du bist erlöst! 
     
    Venus: 
      Weh! Mir verloren! 
     
    (Sie verschwindet und mit ihr die ganze zauberische Erscheinung. Das Tal, vom Morgenrot erleuchtet, wird wieder sichtbar: von der Wartburg her geleitet ein Trauerzug einen offenen Sarg.) 
 
    Dresdener Fassung: 
     
    Die Nebel verfinstern sich allmählich; heller Fackelschein leuchtet dann durch sie auf. – Die Nebel verschwinden gänzlich. Morgendämmerung. Von der Wartburg her schreitet ein Trauerzug mit Fackeln der Tiefe des Tales zu. – 
     
    Sänger und Männerchor: 
      Ihr ward der Engel sel'ger Lohn, 
      himmlischer Freuden Hochgewinn. 
     
    Wolfram (Tannhäuser in den Armen sanft umschlossen haltend): 
      Und hörst du diesen Sang? 
     
    Tannhäuser: 
      Ich höre! 
     
    (Von hier an betritt der Trauerzug die Tiefe des Tales, die älteren Pilger voran, den offenen Sarg mit der Leiche Elisabeths tragen Edle, der Landgraf und die Sänger geleiten ihn zur Seite. Grafen und Edle folgen.) 
     
    Sänger und Männerchor: 
      Heilig die Reine, die nun vereint 
      göttlicher Schar vor dem Ewigen steht! 
      Selig der Sünder, dem sie geweint, 
      dem sie des Himmels Heil erfleht! 
     
    (Auf Wolframs Bedeuten ist der Sarg in der Mitte der Bühne niedergesetzt worden. Wolfram geleitet Tannhäuser zur Leiche, an welcher dieser niedersinkt.) 
     
    Tannhäuser: 
      Heilige Elisabeth, bitte für mich! (Er stirbt.) 
     
    Dresdner Fassung: 
     
    Alle senken die Fackeln zur Erde und löschen sie so aus. Morgenrot erhellt vollends die Szene. 
     
    Die jüngeren Pilger (auf dem vorderen Bergvorsprunge einherziehend [in ihrer Mitte einen neu ergrünten Priesterstab tragend]): 
     
      Heil! Heil! Der Gnade Wunder Heil! 
      Erlösung ward der Welt zuteil. 
      Es tat in nächtlich heil'ger Stund' 
      der Herr sich durch ein Wunder kund. 
       
      Den dürren Stab in Priesters Hand 
      hat er geschmückt mit frischem Grün: 
      dem Sünder in der Hölle Brand 
      soll so Erlösung neu erblühn! 
       
      Ruft ihm es zu durch alle Land', 
      der durch dies Wunder Gnade fand! 
      Hoch über aller Welt ist Gott, 
      und sein Erbarmen ist kein Spott! 
      Halleluja! Halleluja! Halleluja! 
     
    Landgraf, Sänger, Ritter und Pilger (in höchster Ergriffenheit): 
      Der Gnade Heil ward [ist] dem Büßer beschieden, 
      nun geht er ein in der Seligen Frieden! 
     
Darnach wohl auf den dritten Tag  
Der Stecken hub an zu grünen,  
Da sandt man Boten in alle Land,  
Wohin der Tannhäuser kommen.  
  
Da war er wieder in den Berg,  
Darinnen sollt er nun bleiben  
So lang bis an den Jüngsten Tag,  
Wo ihn Gott will hinweisen.  
  
Das soll nimmer kein Priester tun,  
Dem Menschen Mißtrost geben,  
Will er denn Buß und Reu empfahn,  
Die Sünde sei ihm vergeben.  
 
 
Dieser Knoten bindet folgende Stränge:
 
Richard Wagner: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg, 1., 2. und 3.Aufzug * Das Lied vom Tannhäuser
Chrêtiens und Wolframs Parzival * Wagner: Parsifal * Tristan * Wolfram und Klingsôr im Wartburgkrieg:
Der Gral als Stein aus der Krone der Gerechtigkeit * Luzifers Sturz (Jes 14,12 ff) * Der "köstliche Stein" (1.Petrusbrief)
Goethe: Das Märchen / Deutung (R.Steiner) * Novalis: Klingsohrs Märchen im "Heinrich von Ofterdingen" * Novalis: Hymne
Elischa Beth: "...noch einen Tannhäuser schuldig" bzw. "Zwiebelgold" (Roman) * vgl. 7.Rundbrief 2005
*+)
 
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