Feire Fiz (Hans Zimmermann) : Quellensammlung : Philosophieseite : Novalis, Lehrlinge zu Sais, und Schelling, Weltalter
 
Schaffende Betrachtung, intellektuelle Anschauung,
Selbsterinnerung des Weltorganismus –
dào kê dào : fei cháng dào – míng kê míng : fei cháng míng
Schlüsselstellen bei
Novalis (Lehrlinge zu Sais) und Schelling (Weltalter)
 
und im Anhang:
Runge: "Der Morgen"
Sprüche Salomonis 8,22 ff (hebr./griech./lat./deutsch) als Traditionsquelle
("JHWH hat mich gehabt als Ursprung seiner Wege")
und ein Ausschnitt aus einem philosophischen Briefwechsel
sowie weitere Linksabbiegungen
zu philosophischen, religiösen und altsprachlichen Quellen
 
Friedrich von Hardenberg (Novalis)
Die Lehrlinge zu Sais
(1798-1800)
 
Anfang von Fragment 1:
Der Lehrling
Ernst Chladni (1787): Klangfiguren (beobachtet an mit Sand bedeckten Metallplatten, die mit einem Geigenbogen zum Schwingen gebracht wurden)
 
 
In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben; allein die Ahndung will sich in keine feste Formen fügen, und scheint kein höherer Schlüssel werden zu wollen. Ein Alcahest scheint über die Sinne der Menschen ausgegossen zu seyn.
Nur augenblicklich scheinen ihre Wünsche, ihre Gedanken sich zu verdichten. So entstehen ihre Ahndungen, aber nach kurzen Zeiten schwimmt alles wieder, wie vorher, vor ihren Blicken.
 
Von weitem hört‘ ich sagen:
die Unverständlichkeit sey Folge nur des Unverstandes;
dieser suche, was er habe, und also niemals weiter finden könnte.
Man verstehe die Sprache nicht,
weil sich die Sprache selber nicht verstehe, nicht verstehen wolle;
die ächte Sanscrit spräche, um zu sprechen,
weil Sprechen ihre Lust und ihr Wesen sey.
 
Nicht lange darauf sprach einer:
Keiner Erklärung bedarf die heilige Schrift.
Wer wahrhaft spricht, ist des ewigen Lebens voll,
und wunderbar verwandt mit ächten Geheimnissen dünkt uns seine Schrift,
denn sie ist ein Accord aus des Weltalls Symphonie.
 
 
aus Fragment 2:
Die Natur
 
Um die Natur zu begreifen,
muß man die Natur innerlich in ihrer ganzen Folge entstehen lassen.
 
Bey dieser Unternehmung muß man sich bloß
von der göttlichen Sehnsucht nach Wesen, die uns gleich sind,
und den nothwendigen Bedingungen dieselben zu vernehmen, bestimmen lassen, denn wahrhaftig die ganze Natur ist nur
als Werkzeug und Medium des Einverständnisses vernünftiger Wesen begreiflich.
 
Der denkende Mensch kehrt zur ursprünglichen Funktion seines Daseyns,
zur schaffenden Betrachtung, zu jenem Punkte zurück,
wo Hervorbringen und Wissen in der wundervollsten Wechselverbindung standen, zu jenem schöpferischen Moment des eigentlichen Genusses,
des innern Selbstempfängnisses.
 
Wenn er nun ganz in die Beschauung dieser Urerscheinung versinkt,
so entfaltet sich vor ihm in neu entstehenden Zeiten und Räumen,
wie ein unermeßliches Schauspiel,
die Erzeugungsgeschichte der Natur,
und jeder feste Punkt, der sich in der unendlichen Flüssigkeit ansetzt,
wird ihm eine neue Offenbarung des Genius der Liebe,
ein neues Band des Du und des Ich.
 
Die sorgfältige Beschreibung dieser innern Weltgeschichte
ist die wahre Theorie der Natur;
durch den Zusammenhang seiner Gedankenwelt in sich,
und ihre Harmonie mit dem Universum,
bildet sich von selbst ein Gedankensystem
zur getreuen Abbildung und Formel des Universums.
Aber die Kunst des ruhigen Beschauens,
der schöpferischen Weltbetrachtung ist schwer,
unaufhörliches ernstes Nachdenken und strenge Nüchternheit fordert die Ausführung, und die Belohnung wird kein Beifall der mühescheuenden Zeitgenossen,
sondern nur eine Freude des Wissens und Wachens,
eine innigere Berührung des Universums seyn.
vergleiche Novalis, Geistliche Lieder VII: Hymne
 
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
System des transzendentalen Idealismus
(1800)
 
aus § 1, Begriff der Transzendental-Philosophie
Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige seyn,
kraft welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste. –
 
Die toten und bewußtlosen Produkte der Natur sind nur mißlungene Versuche der Natur, sich selbst zu reflektieren, die sogenannte tote Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phänomenen noch bewußtlos schon der intelligente Charakter durchblickt. –
 
Das höchste Ziel, sich selbst ganz Objekt zu werden, erreicht die Natur erst durch die höchste und letzte Reflexion, welche nichts anderes als der Mensch, oder, allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes und Bewußtes erkannt wird.  
 
Ende von § 2, Folgesätze
Die Natur der transzendentalen Betrachtungsart muß also überhaupt darin bestehen, daß in ihr auch das, was in allem andern Denken, Wissen oder Handeln das Bewußtseyn flieht, und absolut nicht-objektiv ist, zum Bewußtseyn gebracht, und objektiv wird, kurz, in einem beständig sich-selbst-Objekt-werden des Subjektiven.
 
Die transzendentale Kunst wird eben in der Fertigkeit betehen, sich beständig in dieser Duplizität des Handelns und des Denkens zu erhalten.
dào kê dào : fei cháng dào – míng kê míng : fei cháng míng
 
 
Friedrich Wilhelm Josef Schelling
Die Weltalter
(1813)
Einleitung
Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige erkannt, das Zukünftige wird geahndet.   Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.   Die bisher geltende Vorstellung von der Wissenschaft war, daß sie eine bloße Folge und Entwickelung eigener Begriffe und Gedanken sey. Die wahre Vorstellung ist, daß es die Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die in ihr sich darstellt.  
Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und zwar, wie wohl behauptet werden darf, auf eine Art, daß sie es nicht leicht wieder verlieren kann. Es ist nicht zu hart, wenn geurtheilt wird, daß, nach dem einmal geweckten dynamischen Geist, jedes Philosophiren, das nicht aus ihm seine Kraft nimmt, nur noch als ein leerer Mißbrauch der edeln Gabe zu sprechen und zu denken angesehen werden kann.
 
Das Lebendige der höchsten Wissenschaft kann nur das Urlebendige seyn, das Wesen, dem kein anderes vorausgeht, also das älteste der Wesen.  
Dieses Urlebendige, da nichts vor oder außer ihm ist, von dem es bestimmt werden möchte, kann sich, inwiefern es sich entwickelt, nur frei, aus eignem Trieb und Wollen, rein aus sich selber, aber eben darum nicht gesetzlos, sondern nur gesetzmäßig entwickeln. Es ist keine Willkür in ihm; es ist eine Natur im vollkommensten Verstande des Worts, wie der Mensch der Freiheit unbeschadet und eben dieser wegen eine Natur ist.
 
Nachdem die Wissenschaft dem Gegenstand nach zur Objektivität gelangt ist,
so scheint es eine natürliche Folge, daß sie dieselbe auch der Form nach suche.
 
Warum war oder ist dieß bis jetzt unmöglich? Warum kann das Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, wo die Wahrheit wieder zur Fabel und die Fabel zur Wahrheit wird.
 
Dem Menschen muß ein Princip zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwicklungen von der Gegenwart bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurück verfolgen, er allein bis zum Anfang der Zeiten aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Princip von dem Anfang der Zeiten wäre?
 
Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich, hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. In ihr liegt die höchste Klarheit der Dinge, und nicht so wohl wissend ist sie als selber die Wissenschaft.
 
Aber nicht frei ist im Menschen das überweltliche Princip noch in seiner uranfänglichen Lauterkeit, sondern an ein anderes geringeres Princip gebunden. Dieses andere ist selbst ein gewordenes und darum von Natur unwissend und dunkel; und verdunkelt nothwendig auch das höhere, mit dem es verbunden ist.   Es ruht in diesem die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Ur-Bild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild.
 
Vielleicht würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem dunkeln selber die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntniß läge.
 
Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredelung, bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm nicht beigegeben ist, um von demselben gefesselt zu bleiben, sondern damit es selbst ein anderes habe, in welchem es sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden könne.
 
Denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung, zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm Eins ist, unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen. –  
Es ist also im Menschen eines, das wieder zur Erinnerung gebracht werden muß, und ein anderes, das es zur Erinnerung bringt; eines, in dem die Antwort liegt auf jede Frage der Forschung, und ein anderes, das diese Antwort aus ihm hervorholt; dieses andere ist frei gegen alles und vermag alles zu denken, aber es wird durch jenes Innerste gebunden, und kann ohne die Einstimmung dieses Zeugen nichts für wahr halten.
 
Das Innerste dagegen ist ursprünglich gebunden und kann sich nicht entfalten; aber durch das andere wird es frei und eröffnet sich gegen dasselbe. Darum verlangen beide gleich sehr nach der Scheidung, jenes, damit es in seine ursprüngliche Freiheit heimkehre und sich offenbar werde, dieses, damit es von ihm empfangen könne und ebenfalls, obgleich auf ganz andere Art, wissend werde.  
Diese Scheidung, diese Verdoppelung unserer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwei Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes,
ein unwissendes, das aber Wissenschaft sucht, und ein wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß,
dieses stille Gespräch, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen, ist es, von welcher die äußere, darum Dialektik genannt, das Nachbild, und wo sie zur bloßen Form geworden, der leere Schein und Schatten ist.  
Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewußte, aber das Gewußte ist hier kein von Anbeginn fertig daliegendes und vorhandenes, sondern ein aus dem Innern durch einen ganz eigenthümlichen Proceß immer erst entstehendes.
 
Durch innerliche Scheidung und Befreiung muß das Licht der Wissenschaft aufgehen, ehe es leuchten kann.
 
Was wir Wissenschaft nennen, ist nur erst Streben nach dem Wiederbewußtwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr, als sie selbst; aus welchem Grund ihr unstreitig von jenem hohen Manne des Alterthums der Name Philosophie beigelegt worden ist. Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meinung, die Philosophie durch Dialektik endlich in wirkliche Wissenschaft verwandeln zu können, die vollkommenste Dialektik für die Wissenschaft selber anzusehen, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, da ja eben das Daseyn und die Nothwendigkeit der Dialektik beweist, daß sie noch keineswegs wirkliche Wissenschaft ist.
 
Der Philosoph indeß befindet sich hiebei in keinem andern Fall als der andere Historiker auch. Denn auch dieser muß, was er zu wissen verlangt, den Aussagen alter Urkunden oder der Erinnerung lebender Zeugen abfragen, und bedarf vieler Schedungskunst oder Kritik, um das Falsche von dem Wahren, das Irrige vom Rechten in den erhaltenen Überlieferungen zu sondern. Auch bedarf er gar sehr jene Scheidung in sich selbst, wohin das gehört, was man zu sagen pflegt, er müsse sich von den Begriffen und Eigenheiten seiner Zeit frei zu machen suchen, und noch vieles andere, wovon hier zu reden zu weitläuftig wäre.
 
Alles, schlechthin alles, auch das von Natur Äußerliche, muß uns zuvor innerlich geworden seyn, ehe wir es äußerlich oder objektiv darstellen können. wenn im Geschichtsschreiber nicht selbst die alte Zeit erwacht, deren Bild er uns entwerfen will, so wird er nie wahr, nie anschaulich, nie lebendig darstellen. Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme? Was sie bei so vielen ist, die zwar das meiste von allem Geschehenen wissen, aber von eigentlicher Geschichte nicht das Geringste verstehen.
 
Nicht menschliche Begebenheiten allein, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, daß sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großentheils offen da, sind vielfach durchforscht, zum Theil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht, sondern bleiben todt, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden, d. i. auf eben jenes Innerste seines Wesens zurückgeführt worden, das für ihn gleichsam der lebendige Zeuge aller Wahrheit ist.
 
Nun haben von jeher einige gemeint, es sey möglich, jenes Untergeordnete ganz bei Seite zu setzen, und alle Zweiheit in sich aufzuheben, so daß wir gleichsam nur innerlich seyen und ganz im Überweltlichen leben, alles unmittelbar erkennend. Wer kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Princip und demnach einer Erhöhung der Gemüthskräfte in Schauen schlechthin leugnen? Ein jedes physisches und moralisches Ganzes bedarf zu seiner Erhaltung von Zeit zu Zeit der Reduktion auf seinen innersten Anfang. Der Mensch verjüngt sich immer wieder und wird neuselig durch das Einheitsgefühl seines Wesens. In eben diesem schöpft besonders der Wissenschaftssuchende beständig frische Kraft; nicht der Dichter allein, auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Er bedarf ihrer, um durch das Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höheren Vorstellungen gegen die erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik verwahrt zu werden. Ein anderes aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältniß zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, daß, was in diesem untheilbarer Weise zusammen war, in ihm entfaltet und theilweise auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d.h. es muß stückweise, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann.
 
Darum wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußern Welt sieht ein jeder mehr oder weniger das Nämliche, und kann es doch nicht jeder aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente; eine Reihe aufeinanderfolgender Processe, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife; diesen Verlauf in der Pflanze z.B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte, und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinander halten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann.
 
Ebenso kann der Mensch jene Folge von Processen, wodurch aus der höchsten Einfalt des Wesens zuletzt die unendliche Mannichfaltigkeit erzeugt wird, in sich selbst durchlaufen und unmittelbar gleichsam erfahren, ja, genau zu reden, muß er sie in sich erfahren.
 
Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm, und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das ihm nothwendige Maß, er ist eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegenstand selber; eben darum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen das Unaussprechliche dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, jedoch ohne dessen gewiß zu seyn, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande gleichsam als in einem Spiegel wieder beschauen zu können.
 
Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes beziehunsgweise äußere Princip; denn es muß alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaftliebende keusch zu bewahren suchen wird. Die erste hat an Tiefe, Fülle und Lebendigkeit des Inhalts vor der letzten gerade so viel voraus, als der wirkliche Gegenstand vor seinem Bilde, die Natur vor ihrer Darstellung voraus hat; und allerdings bis zur Unvergleichbarkeit geht diese Verschiedenheit, wenn eine todte das Wesen in Formen und Begriffen suchende Philosophie zur Vergleichung genommen wird. Daher die Vorliebe inniger Gemüther für sie, die ebenso leicht erklärbar ist, als die Vorliebe für die Natur im Gegensatze der Kunst. Denn diesen Vorzug haben die theosophischen Systeme vor allen bisher geltenden, daß in ihnen wenigstens eine Natur ist, wenn auch eine ihrer selbst nicht mächtige, in den andern dagegen nichts als Unnatur und eitel Kunst. Aber so wenig Natur der recht verstandenen Kunst, so wenig ist die Fülle und Tiefe des Lebens recht verstandener Wissenschaft unerreichbar; nur allmählicher gelangt sie dazu, mittelbarer und durch stufenmäßiges Fortschreiten, so daß der Wissende immer von seinem Gegenstande verschieden, dagegen dieser auch von ihm getrennt bleibt und Objekt einer besonnenen, ruhig genießenden Beschauung wird.
 
Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Eine andere Frage aber ist, ob nie der Punkt kommt, wo sie frei und lebendig wird, wie im Geschichtschreiber das Bild der Zeiten, bei dessen Darstellung er einer Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß die Wissenschaft, da sie der Sache und der Wortbedeutung nach Historie ist, es auch der äußeren Form nach seyn könnte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und letzten Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückzukehren vermöchte?
 
Unserem Zeitalter schien es vorbehalten, zu dieser Objektivität der Wissenschaft wenigstens den Weg zu öffnen. Solange diese sich auf das Innerliche, Ideale beschränkt, fehtl es ihr an dem natürlichen Mittel äußerer Darstellung. Jetzt ist, nach langen Verirrerungen, die Erinnerung an die Natur und an ihr vormaliges Einsseyn mit ihr der Wissenschaft wieder geworden. Aber dabei blieb es nicht. Kaum waren die ersten Schritte, Philosophie mit Natur wieder zu vereinigen, geschehen, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden mußte, und wie es, weit entfernt das Letzte zu seyn, vielmehr das Erste ist, von dem alle, auch die Entwicklung des göttlichen Lebens, anfängt. Nicht mehr von der weiten Ferne abgezogener Gedanken beginnt seitdem die Wissenschaft, um von diesen zum Natürlichen herabzusteigen; sondern umgekehrt, vom bewußtlosen Daseyn des Ewigen anfangend, führt sie es zur höchsten Verklärung in einem göttlichen Bewußtseyn hinauf. Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Abdruck von den höchsten Begriffen. Eine kurze Zeit, und die Verachtung, womit ohnedieß nur noch die Unwissenden auf alles Physische herabsehen, wird aufhören, und noch einmal wahr werden das Wort: Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Eckstein worden. Dann wird die so oft vergebens gesuchte Popularität von selbst sich ergeben. Dann wird zwischen der Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr seyn. Es wird Eine Welt seyn, und der Friede des goldnen Zeitalters zuerst in der einträchtigen Verbindung aller Wissenschaften sich verkünden.
 
Bei diesen Aussichten, welche die gegenwärtige Schrift auf mehr als eine Weise zu rechtfertigen suchen wird, darf sich wohl ein oft überlegter Versuch hervorwagen, der zu jener künftigen objektiven Darstellung der Wissenschaft einige Vorbereitung enthält.
 
Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt, im Geist umfassend, wie von Sehern der Vorzeit gerühmt wird, was war, was ist und was seyn wird. Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen.   Wir dürfen unsere Zeit nicht verkennen. Verkündiger derselben, wollen wir ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist, noch die unsrige verkennen. Noch ist sie eine Zeit des Kampfs. Noch ist des Untersuchens Ziel nicht erreicht. Nicht Erzähler können wir seyn, nur Forscher, abwägend das Für und das Wider jeglicher Meinung, bis die rechte feststeht, unzweifelhaft, für immer gewurzelt.
 
 
Anhang: 
 Philipp Otto Runge: Der Morgen
 
Philipp Otto Runge : Die Zeiten : Der Morgen
Novalis: Astralis / Hymne
  
Sprüche Salomonis 8,22-31
- die "Weisheit" – hebr. châke, griech. (LXX) sophia, lat. (Vulgata) sapientia spricht:
 22. JHWH qânânij re'schijt darekow                                  qädäm mipe°âlâjw me-'âs
     Kyrios ektisen me archên hodôn autou                           eis erga autou
     Dominus possedit me in initio viarum suarum                   antequam quidquam faceret a principio
     JHWH hat mich gehabt als Ursprung seiner Wege,          als vorderstes seiner Werke von jeher.
 
 23. me-°owlâm nißßakettij                                                 me-ro'sch miq-qademej 'âräz
     pro tou aiônos ethemeliôsen me en archêi                       pro tou tên gên poiêsai
     ab aeterno ordinata sum                                                et ex antiquis antequam terra fieret
     Von Ewigkeit her bin ich belehnt,                                   vom Uranfang her, von den Vorzeiten der Erde:
 
 24. be-'ejn-tehomowt chowlâlettij                                      be-'ejn ma°ejânowt nikebbaddej-mâjim
     kai pro tou tas abyssous poiêsai                                    pro tou proelthein tas pêgas tôn hydatôn
     nondum erant abyssi et ego iam concepta eram              necdum fontes aquarum eruperant
     Da nicht waren die Abgründe, entsprang ich;                 da nicht waren die Brunnen, quellend von Wasser,
 
 25. betäräm hârijm hâtebbâ°wu                                         li-penej gebâ°ot chowlâlettij
     pro tou orê hedrasthênai                                               pro de pantôn bounôn gennai me
     necdum montes gravi mole constiterant                         ante colles ego parturiebar
     bevor die Berge eingesenkt waren                                vor dem Antlitz der Hügel entsprang ich!
 
 26. °ad-lo' °âshâh 'äräz we-chwuzowt                              we-ro'sch °âperowt tebel
     Kyrios epoiêsen chôras kai aoikêtous                          kai akra oikoumena tês hyp' ouranon
     adhuc terram non fecerat et flumina                              et cardines orbis terrae
     Da er noch nicht gemacht hatte Erdland und Fluren      und die Urstaubwüsten des Erdenrunds,
 
 27. ba-hakijnow schâmajim schâm ânij                            be-chwuqow chwug °al-penej tehowm
     hênika hêtoimazen ton ouranon, symparêmên autôi      kai hote aphôrizen ton heautou thronon ep anemon
     quando praeparabat caelos aderam                            quando certa lege et gyro vallabat abyssos
     da er bereitete die Himmel, dort war auch ich:            da er schränkte den Umkreis über dem Antlitz des Abgrunds,
 
 28. be-'ammezow schechâqijm mimmâ°al                       ba-°asows °ijnowt tehowm
     hênika ischyra epoiei ta anô nephê                             kai hôs asphaleis etithei pêgas tês hyp' ouranon
     quando aethera firmabat sursum                                et librabat fontes aquarum
     da er festete die Lufträume droben                            da stark wurden die Brunnen des Abgrunds,
 
 29. be-shwumow laj-jâm chuqqow                                 wu-majim lo' ja°aberwu-päjn
     en tôi tithenai auton têi thalassêi akribasmon autou      kai hydata ou pareleusontai stomatos autou
     quando circumdabat mari terminum suum                   et legem ponebat aquis ne transirent mines suos
     da er setzte dem Meere seine Schranke                     und den Wassern, nicht zu überschreiten sein Geheiß,
 
     be-chwuqow mowßedej 'âräz                               30. wâ-'ähejäh 'äzelow 'âmown
     kai ischyra epoiei ta themelia tês gês                           êmên par' autôi harmozousa
     quando appendebat fundamenta terrae                       cum eo eram cuncta componens
     da er schränkte die Gründe des Erdlandes:                 und ja: da war ich neben ihm als Pflegling,

     wâ-'ähejäh scha°aschu°ijm jowm jowm                      meshachäqät le-pânâjw be-kâl-°et
     egô êmên hêi prosechairen kath' hêmeran de              euphrainomên en prosôpôi autou en panti kairôi
     et delectabar per singulos dies                                    ludens coram eo omni tempore
     und ich war Ergötzen Tag um Tag,                             spielend vor seinem Antlitz allezeit,
 
 31. meshachäqät be-tebel 'arzow                                   we-scha°aschu°aj 'ät-benej 'âdâm
     hote euphraineto tên oikoumenên syntelesas              kai eneuphraineto en hyiois anthrôpôn
     ludens in orbe terrarum                                             et deliciae meae esse cum filiis hominum
     spielend im Rund seines Erdenlandes,                        und hatte mein Ergötzen an den Söhnen des Menschen.
 

 
Novalis:
Klingsohrs Märchen von Fabel und Eros  (zu Ende des ersten Teils des Heinrich von Ofterdingen)
Astralis (Lied zu Anfang des zweiten Teils des Heinrich von Ofterdingen)
Vier Buchstaben bezeichnen mir Gott (Blüthenstaub 2)
Die Lehrlinge zu Sais (philosophisches Romanfragment)
Hymne (Geistliche Lieder, Nr.VII: Leib und Blut)
Hymnen an die Nacht
 
Jakob Böhme: Die Morgenröte im Aufgang
Einführung, inhaltliche Zusammenfassung, Verknüpfung mit den maßgeblichen Bibelstellen
Das Hohe Lied: "Wo ist denn dein Freund hingegangen, du Schönste?", "Morgenröte im Aufgang"
+
Heinrich von Ofterdingen (vgl. Tannhäuser), Wolfram und Klingsôr
im "Sängerkrieg auf der Wartburg" (mittelhochdeutsch)
 
 
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Abendmahlshymne (Geistliche Lieder, Nr.VII)
Advendslied (Geistl.Lieder, Nr.XII
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