Zen-Kunst

Hans Zimmermann, Görlitz : 12 KÖRBE, Quellensammlung in zwölf Sprachen : Ethik / Weltreligionen / Philosophie : Zen : Kunst (Tuschebilder) : China ZEN (chin. Ch'an, von sanskrit Dhyâna, Meditation) -Kunst Tuschemalerei im i-p'in, d.h. im "ungebundenen", spontanen Stil chinesische Tuschebilder Mu-ch'i, Liang-K'ai, Yü-chien, Yin-to-lo,

Yü-chien: Ein Bergdorf in sich lichtendem Nebel

japanische Tuschebilder Mokuan, Kao, Josetsu, Shubun, Sesshu, Dasoku, Niten (Miyamoto Musashi)

Josetsu: Welsfang mit einem Flaschenkürbis

Fugai Ekun, Hakuin Ekaku, Suiô Genro, Takujû Kosen, Shunsô Shôju, Yamaoka Tesshû

Was ist Zen?

Von den anderen großen Richtungen des Buddhismus, dem Hinayana (dem "kleinen Fahrzeug" der ältesten Traditionsschicht in Südostasien und auf Ceylon), dem Vajrayana ("Diamantfahrzeug" in Tibet) und dem Mahayana (dem jüngeren "großen Fahrzeug" in China und Japan), das sich in den gleichen Gebieten wie der spätere "Meditations-", d.h. (auf Sanskrit) "Dhyâni"-Buddhismus, chinesisch "Ch'an", japanisch "Zen", ausgebreitet hat und dadurch so etwas wie den kontrastiven exoterischen und volksreligiösen Hintergrund eben dieses exoterischen "Meditations"-Buddhismus bildet, unterscheidet sich der Ch'an oder Zen grundlegend dadurch, daß er über die unübersehbare Schrifttradition, Kommentarschachtelung und Scholastik der übereinanderwuchernden Textgewächse in frischer Unmittelbarkeit hinausgeht, sie als bloße Lernmittel auf dem Weg zur spirituellen Meisterschaft "transzendiert", die Erleuchtung des meditierend übenden Mönchs absolut in den Mittelpunkt stellt und die Übungs- und Traditionswege somit als bloße Wege nimmt:

Was über jene alten Schrift-Wege der Tradition hinaus also ist Zen?

Zen ist gemäß dem folgenden Prinzipien-Motto (gatha) seines Gründers Bodhidharma (jap. Daruma):

"eine besondere Vermittlung außerhalb der lehrhaften Unterweisung;

keine Abhängigkeit von Buchstaben oder Wörtern,

unmittelbar auf den Geist in einem jeden von uns zielend

und in das eigene Wesen blickend, wodurch man die Buddhaschaft erlangt"

Der Erleuchtungsblitz (jap. "Satori") kann in einer Seele durchbrechen, die von Stolz, Erwartungen und Eigeninteressen gereinigt ist; dem dienen die praktischen Tätigkeiten ("Welch ein Wunder, wie herrlich! Ich ziehe Wasser, ich trage Holz", Pang Chüh-shih, T'ang-Zeit) genauso wie die strenge Konzentration der Versenkungsübungen und die berühmten Koans, wie z.B. die paradoxe Aufgabe, die Hakuin seinen Schülern stellte: "Klatsche mit einer Hand!"

Das ist Lebenskunst, Leben als Kunst: ein Verhalten, durch das in jeder Situation die Frische ihrer Einzigartigkeit, ihrer Originalität, ihrer unvordenklichen Neuheit aufleuchten kann. Solche selbstredenden Lebensschrift-Chiffren, Handlungs-Überraschungen und Verhaltens-Pointen zeigen dem prüfenden Blick des Meisters die Erleuchtung des Schülers an. Meister erkennen Meister.

Aus dieser Lebens-Kunst (griech. technê tou ZÊN ...) differenzierten die Zenmeister dann einige besondere Kunstformen, und zwar über das Hof-Fegen und Bambus-Schneiden der Mönche hinaus noch die ritterlich-sportlichen Übungen der Samurai (Bogenschießen, Schwertfechten), aber auch das Teezubereiten, das Dichten in knappen 17-Silbern ("Haiku") und last but not least das, worum es eben hier geht: die Tuschemalerei in "ungebundener, spontaner" Manier (i-p'in).

Beliebt sind schlichte Kreise ("Ensô"), neben denen ein Spruch kalligraphisch ausgeführt ist, auch senkrechte Striche, sei es der Bambus-Wanderstab alter Mönche (shujô), sei es der Eisenstock (kanabô) des Abtes, und natürlich auch kraftvoll-ruppige und wild oder leicht dahinfließende Spruch-Kalligraphien an und für sich;

dann die Porträt-Darstellung des oben zitierten Bodhidharma (Daruma), der den Meditations-Buddhismus von Indien kommend in China einführte, erkennbar an brillengroßen lidlosen Augenkreisen, in deren staunender Offenheit die Pupillen sich als Sternenpunkte überwach-scharf zentrieren;

ferner die künftige Inkarnation des Buddha Maitreya als "Pu-tai" (jap. "Hotei"), fruchtig-friedlich rundlich-ruhig glücksgeladen;

desweiteren duftige Landschaften, deren Berghang- und Gebüsch-Fragmente aus Nebel und Sprühregen wie aus dem Nichts auftauchen; dazu gehört natürlich auch die Landschafts-Abbreviatur des berühmtesten japanischen Meisters der Tuschemalerei Sesshu;

und auch bäuerlich anmutende Szenenfolgen, die Vergeblichkeit, Suche oder Weg des Erkennens symbolisieren.

Über all diese Standards hinaus überraschen uns formal und inhaltlich die beiden Bilder des chinesischen Künstlers der südlichen Sung-Zeit Liang K'ai, auf denen der Zen-Patriarch Hui-nêng in zackig hingefetzten Strichen skizziert ist, wie er Bambus schneidet das eine Bild, und das andere: wie er lachend die Sutras zerreißt...

All diese alten Meisterstücke der Sung-Zeit wurden in China nicht besonders hoch geachtet und wären im allgemeinen Niedergang des Buddhismus im neuzeitlichen China wohl verloren gegangen, wenn nicht die japanischen Ashikaga-Shogune und die Zenmeister der Muromachi-Epoche sie in entzückter Hochschätzung erworben, durch Sonderemissäre nach Japan geholt und als klassische Grundmuster der dort erst aufblühenden Künste betrachtet hätten. Das Klassische ist uns durch seine Abbreviatur, seine Reduktion auf das schlichtest-Wesentliche, zugleich das Modernste, siehe die "sechs Kakifrüchte" von Mu-ch'i. Unglaublich, die unprätentiöse, bescheidene Schönheit des Wirlichen in diesem Bild, und unglaublicher noch der ästhetisch-reine Blick der japanischen Sammler in der Ashikaga-Zeit, die auf die unmerklich-beiläufige Raffinesse seiner Schlichtheit, die Grauton-Schattierungs-Melodie der sechs verschiedenen Gleichen, aufmerksam geworden sind! Meister erkennen Meister.

~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ Zeit-Tabelle der Dynastien und Epochen in China und Japan sowie der hier hier exemplarisch dargebotenen Zen-Künstler:

China:

T'ang 618-907

"Fünf Dynastien" 907-960
Nördl. Sung 961-1127
Südl. Sung 1127-1278

Liang-K'ai: Der Dichter Li-tai-po

Japan:

Heian-Zeit 794-1192

Zen-Patriarchen:

Eisai 1141-1215

Dogen 1200-1253

Kamakura-Zeit 1192-1338

in China:

Bodhidharma trifft 527 in China ein

Hui-nêng (Eno) 637-713

Liang K'ai ~1140-1210 (?)

Mu-ch'i ~1210-1280

Yü-chien (13.Jhd.)

Yin-t'o-lo (Indra) (~1300)

in Japan:

Yüan (Mongolen) 1278-1368

Ming 1368-1644

Muso Soseki (Kokushi) 1275-1351

(Ashikaga-Shogune 1333-1573)
Muromachi-Zeit 1338-1573

Kao         -1345
Mokuan   -1348

Josetsu ~1400
Shubun (1.Hälfte 15.Jhd.)
Sesshu    1420-1502

Dasoku (2.Hälfte 15.Jhd.)

Ts'ing (Mandschu)
1636 (1644)-1912

Nobunaga und Hideyoshi 1573-1598
(Momoyama-Zeit 1573-1615)

Tokugawa-Shogune 1603-1867
(Edo-Zeit 1615-1868)

Meiji-Zeit 1868-1912

Miyamoto Musashi (Niten) 1584-1645
Fugai Ekun     1568-1655

Hakuin Ekaku 1685-1768
Suiô Genro     1717-1789
Takujû Kosen 1760-1833
Shunsô Shôju 1751-1839

Yamaoka Tesshû 1836-1888

Mu-ch'i: Kaki-Früchte

Mu-ch'i: Bodhidharma

Mu-ch'i: Affen (rechter Teil des Triptychons "Kuan Yin, Kranich, Affen")

Mu-ch'i: Aus "Acht berühmte Ansichten des Hsiao- und des Hsiang-Flusses"

Liang K'ai: Hui-nêng schneidet Bambus Hui-nêng zerreißt die Sutras

Liang K'ai: Pu-tai

Yü-chien: Ein Bergdorf in sich lichtendem Nebel

Yin-t'o-lo: Tan-hsia verbrennt die Buddha-Statue

Der Ch'an- (Zen-) Meister Tan-hsia (jap. Tanka), in einem Kloster zu Besuch, behalf sich bei strenger Winterkälte dadurch, daß er eine der hölzernen Buddha-Statuen nahm und mit ihr ein Feuerchen machte, um sich zu wärmen. Dem darüber empörten Tempeldiener antwortete Tan-hsia, mit einem Stock in der Asche herumstochernd: "Ich sammle die Shariras, die Reliquien des Buddha, die unzerstörbaren Substanzen, die man nach der Einäscherung finden muß und die seine Heiligkeit beweisen."

"Wie kannst Du in der Asche hölzerner Buddhastatuen solche Shariras finden? Absurd!"

"Nun, wenn man in dieser Asche keine findet, darf ich dann noch die beiden übrigen Buddhas für mein Feuerchen haben?"

Yin-t'o-lo: Han-shan und Shih-tê

Han-shan und Shih-tê (jap.: Kanzan und Jittoku) sind ein Narrenpaar, das die Klöster "heimsuchte", ein Hauptmotiv der Zenkunst, das immer wieder dargestellt wird: der eine mit einem leeren Blatt Papier in der Hand, der andere mit einem Wisch oder einem Besen, um die Spinnwegen des Geistes wegzufegen.

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