Hans Zimmermann : zur Zirkularität der Zeit : Novalis : Hymnen an die Nacht
 
aus Schriftkundigen eine Gemeinde, eine wahrhafte: die lesen Zeichen Gottes tief in der Nacht (Koran 3,113)
 
Novalis
(Friedrich von Hardenberg)
 
Hymnen an die Nacht
 
links: Versgliederung der Handschrift 1797-1800; rechts: Text des Athenäums-Drucks 1801, der Handschrift analog gegliedert
 
1., 2., 3.,
4.: Hinüber wall ich,
 
5.: Das furchtbar zu den frohen Tischen trat,
Der Jüngling bist du, der seit langer Zeit,
Gehoben ist der Stein,
 
6.: Hinunter in der Erde Schooß
 
 
 
      
     
    Über der Menschen  
    Weitverbreitete Stämme  
    Herrschte vor Zeiten  
    Ein eisernes Schicksal  
    Mit stummer Gewalt.  
    Eine dunkle  
    schwere Binde  
    lag um ihre  
    bange Seele.  
    Unendlich war die Erde.  
    Der Götter Aufenthalt  
    Und ihre Heymath.  
    Reich an Kleinoden  
    Und herrlichen Wundern.  
    Seit Ewigkeiten  
    Stand ihr geheimnißvoller Bau.  
    Über des Morgens  
    Blauen Bergen  
    In des Meeres  
    Heiligen Schoos  
    Wohnte die Sonne  
    Das allzündende  
    Lebendige Licht.  
     
5.   
   
Ueber der Menschen   
weitverbreitete Stämme   
herrschte vor Zeiten   
ein eisernes Schicksal   
mit stummer Gewalt.   
Eine dunkle,   
schwere Binde   
lag um ihre   
bange Seele.   
Unendlich war die Erde –   
der Götter Aufenthalt,   
und ihre Heymath.   
 
 
Seit Ewigkeiten   
stand ihr geheimnißvoller Bau.   
Ueber des Morgens   
rothen Bergen,   
in des Meeres   
heiligem Schooß   
wohnte die Sonne,   
das allzündende,   
lebendige Licht.   
 
Alte Welt. Der Tod. Xstus – neue Welt. Die Welt der    
Zukunft – Sein Leiden – Jugend – Botschaft.    
Auferstehung. Mit den Menschen ändert die    
Welt sich. Schluß – Aufruf.    
  
    Ein alter Riese  
    Trug die selige Welt  
    Fest unter Bergen  
    lagen die Ursöhne  
    Der Mutter Erde –  
    Ohnmächtig  
    In ihrer zerstörenden Wuth  
    Gegen das neue  
    Herrliche Göttergeschlecht,  
    Und die befreundeten  
    Frölichen Menschen.  
    Des Meeres dunkle  
    Blaue Tiefe  
    War einer Göttin Schoos.  
    Himmlische Schaaren  
    Wohnten in frölicher Lust  
    In den krystallenen Grotten –  
    Flüsse und Bäume  
    Blumen und Thiere  
    Hatten menschlichen Sinn.  
    Süßer schmeckte der Wein  
    Weil ihn blühende Götterjugend  
    Den Menschen gab –  
    Des goldnen Korns  
    Volle Garben  
    Waren ein göttliches Geschenk.  
    Der Liebe trunkne Freuden  
    ein heiliger Dienst  
    Der himmlischen Schönheit.  
    So war das Leben  
    Ein ewiges Fest  
    Der Götter und Menschen.  
    Und kindlich verehrten  
    Alle Geschlechter  
    Die zarte, köstliche Flamme  
    Als das Höchste der Welt.  
    Nur Ein Gedanke wars  
     
  
  
  
  
  
Ein alter Riese   
trug die selige Welt.   
Fest unter Bergen   
lagen die Ursöhne   
der Mutter Erde.   
Ohnmächtig   
in ihrer zerstörenden Wuth   
gegen das neue   
herrliche Göttergeschlecht   
und dessen Verwandten,   
die frölichen Menschen.   
Des Meers dunkle,   
grüne Tiefe   
war einer Göttin Schooß.   
In den krystallenen   
Grotten schwelgte   
ein üppiges Volk.   
Flüsse, Bäume,   
Blumen und Thiere   
hatten menschlichen Sinn.   
Süßer schmeckte der Wein   
von sichtbarer Jugendfülle geschenkt –   
ein Gott in den Trauben –   
eine liebende, mütterliche Göttin,   
empor wachsend   
in vollen goldenen Garben –   
der Liebe heilger Rausch   
ein süßer Dienst   
der schönsten Götterfrau –   
ein ewig buntes Fest   
der Himmelskinder und der Erdbewohner   
rauschte das Leben, wie ein Frühling,   
durch die Jahrhunderte hin –   
Alle Geschlechter verehrten kindlich   
die zarte, tausendfältige Flamme,   
als das höchste der Welt.   
Ein Gedanke nur war es.   
Ein entsetzliches Traumbild,  
 
    Der furchtbar zu den frohen Tischen trat  
    Und das Gemüth in wilde Schrecken hüllte.  
    Hier wußten selbst die Götter keinen Rath,  
    Der das Gemüth mit süßen Troste füllte,  
    Geheimnißvoll war dieses Unholds Pfad  
    Des Wuth kein Flehn und keine Gabe stillte –  
    Es war der Tod, der dieses Lustgelag  
    Mit Angst & Schmerz & Thränen unterbrach.  
      
    Auf ewig nun von allem abgeschieden  
    Was hier das Herz in süßer Wollust regt –  
    Getrennt von den Geliebten, die hienieden  
    Vergebne Sehnsucht, langes Weh bewegt –  
    Schien nur dem Todten matter Traum beschieden  
    Ohnmächtges Ringen nur ihm auferlegt.  
    Zerbrochen war die Woge des Genusses  
    Am Felsen des unendlichen Verdrusses.  
      
    Mit kühnem Geist und hoher Sinnenglut  
    Verschönte sich der Mensch die grause Larve –  
    Ein blasser Jüngling löscht das Licht & ruht –  
    Sanft ist das Ende, wie ein Wehn der Harfe –  
    Errinnrung schmilzt in kühler Schattenflut  
    Die Dichtung sangs dem traurigen Bedarfe  
    Doch unenträthselt blieb die ewge Nacht  
    Das ernste Zeichen einer fernen Macht.  
     
     
Das furchtbar zu den frohen Tischen trat   
Und das Gemüth in wilde Schrecken hüllte.   
Hier wußten selbst die Götter keinen Rath,   
Der die beklommne Brust mit Trost erfüllte.   
Geheimnißvoll war dieses Unholds Pfad   
Des Wuth kein Flehn und keine Gabe stillte;   
Es war der Tod, der dieses Lustgelag   
Mit Angst und Schmerz und Thränen unterbrach.   
   
Auf ewig nun von allem abgeschieden,   
Was hier das Herz in süßer Wollust regt,   
Getrennt von den Geliebten, die hinieden   
Vergebne Sehnsucht, langes Weh bewegt,   
Schien matter Traum dem Todten nur beschieden,   
Ohnmächtiges Ringen nur ihm auferlegt.   
Zerbrochen war die Woge des Genusses   
Am Felsen des unendlichen Verdrusses.   
   
Mit kühnem Geist und hoher Sinnenglut   
Verschönte sich der Mensch die grause Larve,   
Ein sanfter Jüngling löscht das Licht und ruht –   
Sanft wird das Ende, wie ein Wehn der Harfe.   
Erinnrung schmilzt in kühler Schattenflut,   
So sang das Lied dem traurigen Bedarfe.   
Doch unenträthselt blieb die ewge Nacht,   
Das ernste Zeichen einer fernen Macht.   
  
 
    Zu Ende neigte  
    Die Alte Welt sich.  
    Der lustige Garten  
    Des jungen Geschlechts  
    Verwelkte  
    Und hinaus  
    In den freyeren Raum  
    Strebten die erwachsenen  
    Unkindlichen Menschen.  
    Verschwunden waren die Götter.  
     
     
    Einsam und leblos  
    Stand die Natur  
    Entseelt von der strengen Zahl  
    Und der eisernen Kette  
    Gesetze wurden.  
    Und in Begriffe  
    Wie in Staub und Lüfte  
    Zerfiel die unermeßliche Blüthe  
    Des tausendfachen Lebens.  
    Entflohn war  
    Der allmächtige Glauben  
    Und die allverwandelnde  
    Allverschwisternde  
    Himmelsgenossinn  
    Die Fantasie.  
    Unfreundlich blies  
    Ein kalter Nordwind  
    Über die erstarrte Flur  
    Und die Wunderheymath  
    Verflog in den Aether  
    Und des Himmels  
    Unendliche Fernen  
    Füllten mit leuchtenden Welten sich.  
     
    Ins tiefere Heiligthum  
    In des Gemüths höhern Raum  
    Zog die Seele der Welt  
    Mit ihren Mächten  
    Zu walten dort  
    Bis zum Anbruch  
    Des neuen Tags,  
    Der höhern Weltherrlichkeit.  
     
    Nicht mehr war das Licht  
    Der Götter Aufenthalt  
    Und himmlischen Zeichen –  
    Den Schleyer der Nacht  
    Warfen Sie über sich  
    Die Nacht ward  
    Der Offenbarungen  
    Fruchtbarer Schoos.  
     
     
     
     
    Mitten unter den Menschen  
    Im Volk, das vor allen  
    Verachtet,  
    Zu früh reif  
    Und der seligen Unschuld der Jugend  
    Trotzig fremd geworden war,  
    Erschien die neue Welt  
    Mit niegesehnen Angesicht –  
    In der Armuth  
    Wunderbarer Hütte –  
    Ein Sohn der ersten Jungfrau  
    & Mutter –  
    Geheimnißvoller Umarmung  
    Unendliche Frucht.  
    Des Morgenlands  
    Ahnende, blüthenreiche  
    Weisheit  
    Erkannte zuerst  
    Der neuen Zeit Beginn.  
    Ein Stern wies ihr den Weg  
    Zu des Königs  
    Demüthiger Wiege.  
    In der weiten Zukunft Namen  
    Huldigte sie ihm  
    Mit Glanz & Duft  
    Den höchsten Wundern der Natur.  
     
    Einsam entfaltete  
    Das himmlische Herz sich  
    Zu der Liebe  
    Glühenden Schoos  
    Des Vaters hohen Antlitz zugewandt –  
    Und ruhend an dem ahndungsselgen Busen  
    Der lieblichernsten Mutter.  
    Mit vergötternder Inbrunst  
    Schaute das weissagende Auge  
    Des blühenden Kindes  
    Auf die Tage der Zukunft,  
    Nach seinen Geliebten,  
    Den Sprossen seines Götterstamms,  
    Unbekümmert über seiner Tage  
    Irrdisches Schicksal.  
    Bald sammelten die kindlichsten Gemüther  
    Von allmächtiger Liebe  
    Wundersam ergriffen  
    Sich um ihn her.  
    Wie Blumen keimte  
    Ein neues, fremdes Leben  
    In seiner Nähe –  
    Unerschöpfliche Worte  
    Und der Botschaften Fröhligste  
    Fielen wie Funken  
    Eines göttlichen Geistes  
    Von seinen freundlichen Lippen.  
     
    Von ferner Küste  
    Unter Hellas  
    Heitern Himmel geboren  
    Kam ein Sänger  
    Nach Palaestina.  
    Und ergab sein ganzes Herz  
    Dem Wunderkinde:  
     
Zu Ende neigte   
die alte Welt sich.   
Des jungen Geschlechts   
Lustgarten   
verwelkte –   
hinauf in den freyeren,   
wüsten Raum   
strebten die unkindlichen,   
wachsenden Menschen.   
Die Götter verschwanden   
mit ihrem Gefolge –   
  
Einsam und leblos   
stand die Natur.   
Mit eiserner Kette   
band sie die dürre Zahl   
und das strenge Maaß.   
Wie in Staub und Lüfte   
zerfiel in dunkle Worte   
die unermeßliche Blüthe des Lebens.   
Entflohn war   
der beschwörende Glauben,   
und die allverwandelnde,   
allverschwisternde   
Himmelsgenossin,   
die Fantasie.   
Unfreundlich blies   
ein kalter Nordwind   
über die erstarrte Flur,   
und die erstarrte Wunderheymath   
verflog in den Aether.   
Des Himmels Fernen   
füllten mit leuchtenden Welten sich.   
  
Ins tiefre Heiligthum,   
in des Gemüths höhern Raum   
zog mit ihren Mächten   
die Seele der Welt –   
zu walten dort   
bis zum Anbruch   
der tagenden   
Weltherrlichkeit.   
  
Nicht mehr war das Licht   
der Götter Aufenthalt   
und himmlisches Zeichen –   
den Schleyer der Nacht   
warfen sie über sich.   
Die Nacht ward   
der Offenbarungen   
mächtiger Schooß –   
in ihn kehrten die Götter zurück –   
schlummerten ein, um in neuen   
herrlichem Gestalten auszugehn   
über die veränderte Welt.   
  
Im Volk, das vor allen   
verachtet   
zu früh reif   
und der seligen Unschuld der Jugend   
trotzig fremd geworden war,   
erschien mit niegesehenem Angesicht   
die neue Welt –   
In der Armuth   
dichterischer Hütte –   
Ein Sohn der ersten Jungfrau   
und Mutter –   
Geheimnißvoller Umarmung   
unendliche Frucht.   
Des Morgenlands   
ahndende, blütenreiche   
Weisheit   
erkannte zuerst   
der neuen Zeit Beginn –   
Zu des Königs   
demüthiger Wiege   
wies ihr ein Stern den Weg.   
In der weiten Zukunft Namen   
huldigten sie ihm   
mit Glanz und Duft,   
den höchsten Wundern der Natur.   
  
Einsam entfaltete   
das himmlische Herz sich   
zu einem Blüthenkelch   
allmächtger Liebe –   
des Vaters hohem Antlitz zugewandt   
und ruhend an dem ahndungsselgen Busen   
der lieblich ernsten Mutter.   
Mit vergötterter Inbrunst   
schaute das weissagende Auge   
des blühenden Kindes   
auf die Tage der Zukunft,   
nach seinen Geliebten,   
den Sprossen seines Götterstamms,   
unbekümmert über seiner Tage   
irdisches Schicksal.   
Bald sammelten die kindlichsten Gemüther   
von inniger Liebe   
wundersam ergriffen   
sich um ihn her.   
Wie Blumen keimte   
ein neues fremdes Leben   
in seiner Nähe.   
Unerschöpfliche Worte   
und der Botschaften fröhlichste   
fielen wie Funken   
eines göttlichen Geistes   
von seinen freundlichen Lippen.   
  
Von ferner Küste,   
unter Hellas   
heiterm Himmel geboren,   
kam ein Sänger   
nach Palästina   
und ergab sein ganzes Herz   
dem Wunderkinde:   
 
    Der Jüngling bist du, der seit langer Zeit  
    Auf unseren Gräbern steht in tiefen Sinnen –  
    Ein tröstlich Zeichen in der Dunkelheit  
    Der höhern Menschheit freudiges Beginnen.  
    Was uns gesenkt in tiefe Traurigkeit  
    Zieht uns mit süßer Sehnsucht nun vonhinnen.  
    Im Tode ward das ewge Leben kund –  
    Du bist der Tod und machst uns erst gesund.  
     
     
Der Jüngling bist du, der seit langer Zeit   
Auf unsern Gräbern steht in tiefen Sinnen;   
Ein tröstlich Zeichen in der Dunkelheit –   
Der höhern Menschheit freudiges Beginnen.   
Was uns gesenkt in tiefe Traurigkeit   
Zieht uns mit sößer Sehnsucht nun von hinnen.   
Im Tode ward das ewge Leben kund,   
Du bist der Tod und machst uns erst gesund.   
  
 
 
    Der Sänger zog  
    Voll Freudigkeit  
    Nach Indostan  
    Und nahm ein Herz  
    Voll ewger Liebe mit,  
    Und schüttete  
    In feurigen Gesängen  
    Es unter jenem milden Himmel aus  
    Der traulicher  
    An die Erde sich schmiegt,  
    Daß tausend Herzen  
    Sich zu ihm neigten  
    Und die fröliche Botschaft  
    Tausendzweigig emporwuchs.  
     
    Bald nach des Sängers Abschied  
    Ward das köstliche Leben  
    Ein Opfer des menschlichen  
    Tiefen Verfalls –  
    Er starb in jungen Jahren  
    Weggerissen  
    Von der geliebten Welt  
    Von der weinenden Mutter  
    Und seinen Freunden.  
    Der unsäglichen Leiden  
    Dunkeln Kelch  
    Leerte der heilige Mund,  
    In entsezlicher Angst  
    Naht' ihm die Stunde der Geburt  
    Der neuen Welt.  
    Hart rang er mit des   
      alten Todes Schrecken  
    Schwer lag der Druck der  
      alten Welt auf ihn  
    Noch einmal sah er  
      freundlich nach der Mutter –  
    Da kam der ewigen Liebe  
    Lösende Hand –  
    Und er entschlief.  
     
    Nur wenige Tage  
    Hieng ein tiefer Schleyer  
    Über das brausende Meer –  
    über das finstre bebende Land  
    Unzählige Thränen  
    Weinten die Geliebten.  
    Entsiegelt ward das Geheimniß  
    Himmlische Geister hoben  
    Den uralten Stein  
    Vom dunklen Grabe –  
    Engel saßen bey dem Schlummernden,  
    Lieblicher Träume  
    Zartes Sinnbild.  
    Er stieg in neuer Götterherrlichkeit  
    Erwacht auf die Höhe  
    Der verjüngten, neugebornen Welt  
    Begrub mit eigner Hand  
    Die alte mit ihm gestorbne Welt  
    In die verlaßne Höhle  
    Und legte mit allmächtiger Kraft  
    Den Stein, den keine Macht erhebt, darauf.  
     
Der Sänger zog   
voll Freudigkeit   
nach Indostan –   
das Herz   
von süßer Liebe trunken;   
und schüttete   
in feurigen Gesängen   
es unter jenem milden Himmel aus,   
  
  
daß tausend Herzen   
sich zu ihm neigten,   
und die fröliche Botschaft   
tausendzweigig emporwuchs.   
  
Bald nach des Sängers Abschied   
ward das köstliche Leben   
ein Opfer des menschlichen   
tiefen Verfalls –   
Er starb in jungen Jahren,   
weggerissen   
von der geliebten Welt,   
von der weinenden Mutter   
und seinen zagenden Freunden.   
Der unsäglichen Leiden   
dunkeln Kelch   
leerte der liebliche Mund –   
In entsetzlicher Angst   
nahte die Stunde der Geburt   
der neuen Welt.   
Hart rang er mit des  
            alten Todes Schrecken –   
Schwer lag der Druck der  
            alten Welt auf ihm.   
Noch einmal sah er  
            freundlich nach der Mutter –   
da kam der ewigen Liebe   
lösende Hand –   
und er entschlief.   
  
Nur wenig Tage   
hing ein tiefer Schleyer   
über das brausende Meer,   
über das bebende Land –   
unzählige Thränen   
weinten die Geliebten –   
Entsiegelt ward das Geheimniß –   
himmlische Geister hoben   
den uralten Stein   
vom dunkeln Grabe.   
Engel saßen bey dem Schlummernden –   
aus seinen Träumen   
zartgebildet –   
Erwacht in neuer Götterherrlichkeit   
erstieg er die Höhe   
der neugebornen Welt –   
begrub mit eigner Hand   
der Alten Leichnam   
in die verlaßne Höhle,   
und legte mit allmächtiger Hand   
den Stein, den keine Macht erhebt, darauf.   
 
    Noch weinen deine Lieben  
    Thränen der Freude  
    Thränen der Rührung  
    Und des unendlichen Danks  
    An deinem Grabe –  
    Sehn dich noch immer  
    Freudig erschreckt  
    Auferstehn  
    Und sich mit dir –  
    Mit süßer Inbrunst  
    Weinen an der Mutter  
    Seligen Busen  
    Und an der Freunde  
    Treuem Herzen –  
    Eilen mit voller Sehnsucht  
    In des Vaters Arm  
    Bringend die junge  
    Kindliche Menschheit  
    Und der goldnen Zukunft  
    Unversieglichen Trank.  
     
    Die Mutter eilte bald dir nach  
    In himmlischen Triumpf –  
    Sie war die Erste  
    In der neuen Heymath  
    Bey dir.  
    Lange Zeiten  
    Entflossen seitdem  
    Und in immer höhern Glanze  
    Regte deine neue Schöpfung sich  
    Und Tausende zogen  
    Aus Schmerzen & Qualen  
    Voll Glauben & Sehnsucht  
    Und Treue dir nach.  
    Und walten mit dir  
    Und der himmlischen Jungfrau  
    Im Reiche der Liebe;  
    Und dienen im Tempel  
    Des himmlischen Todes.  
     
Noch weinen deine Lieben   
Thränen der Freude,   
Thränen der Rührung   
und des unendlichen Danks   
an deinem Grabe –   
sehn dich noch immer,   
freudig erschreckt,   
auferstehn –   
und sich mit dir;   
sehn dich weinen   
mit süßer Inbrunst   
an der Mutter seligem Busen,   
ernst mit den Freunden wandeln, Worte sagen,   
wie vom Baum des Lebens gebrochen;   
sehen dich eilen mit voller Sehnsucht   
in des Vaters Arm,   
bringend die junge   
Menschheit,   
und der goldnen Zukunft   
unversieglichen Becher.   
  
Die Mutter eilte bald dir nach –   
in himmlischem Triumpf –   
Sie war die Erste   
in der neuen Heymath   
bey dir.   
Lange Zeiten   
entflossen seitdem,   
und in immer höherm Glanze   
regte deine neue Schöpfung sich –   
und tausende zogen   
aus Schmerzen und Qualen,   
voll Glauben und Sehnsucht   
und Treue dir nach –   
wallen mit dir   
und der himmlischen Jungfrau   
im Reiche der Liebe –   
dienen im Tempel   
des himmlischen Todes   
und sind in Ewigkeit dein.   
 
    Gehoben ist der Stein  
    Die Menschheit ist erstanden  
    Wir alle bleiben dein  
    Und fühlen keine Banden  
    Der herbste Kummer fleucht  
    Vor deiner goldnen Schaale  
    Im lezten Abendmale  
    Wenn Erd und Leben weicht.  
      
    Zur Hochzeit ruft der Tod  
    Die Lampen brennen helle  
    Die Jungfraun sind zur Stelle  
    Um Oel ist keine Noth.  
    Erklänge doch die Ferne  
    Von deinem Zuge schon  
    Und ruften uns die Sterne  
    Mit Menschenzung und Ton.  
      
    Nach dir, Maria, heben  
    Schon tausend Herzen sich  
    In diesem Schattenleben  
    Verlangten sie nur dich.  
    Sie hoffen zu genesen  
    Mit ahndungsvoller Lust  
    Drückst du sie, heilges Wesen  
    An deine treue Brust.  
      
    So manche die sich glühend  
    In bittrer Qual verzehrt  
    Und dieser Welt entfliehend  
    Nur dir sich zugekehrt  
    Die hülfreich uns erschienen  
    In mancher Noth und Pein –  
    Wir kommen nun zu ihnen  
    Um ewig da zu seyn.  
      
    Nun weint an keinem Grabe  
    Für Schmerz, wer liebend glaubt.  
    Der Liebe süße Habe  
    Wird keinem nicht geraubt.  
    Von treuen Himmelskindern  
    Wird ihm sein Herz bewacht  
    Die Sehnsucht ihm zu lindern  
    Begeistert ihn die Nacht.  
      
    Getrost das Leben schreitet  
    Zum ewgen Leben hin  
    Von innrer Glut geweitet  
    Verklärt sich unser Sinn.  
    Die Stemwelt wird zerfließen  
    zum goldnen Lebens Wein  
    Wir werden sie genießen  
    Und lichte Sterne seyn.  
      
    Die Lieb' ist frey gegeben  
    Und keine Trennung mehr  
    Es wogt das volle Leben  
    Wie ein unendlich Meer –  
    Nur Eine Nacht der Wonne  
    Ein ewiges Gedicht –  
    Und unser aller Sonne  
    Ist Gottes Angesicht.  
     
Gehoben ist der Stein –   
Die Menschheit ist erstanden –   
Wir alle bleiben dein   
Und fühlen keine Banden.   
Der herbste Kummer fleucht   
Vor deiner goldnen Schaale,   
Wenn Erd und Leben weicht   
Im letzten Abendmahle.   
   
Zur Hochzeit ruft der Tod –   
Die Lampen brennen helle –   
Die Jungfraun sind zur Stelle –   
Um Oel ist keine Noth –   
Erklänge doch die Ferne   
Von deinem Zuge schon,   
Und ruften uns die Sterne   
Mit Menschenzung' und Ton.   
   
Nach dir, Maria, heben   
Schon tausend Herzen sich.   
In diesem Schattenleben   
Verlangten sie nur dich.   
Sie hoffen zu genesen   
Mit ahndungsvoller Lust –   
Drückst du sie, heilges Wesen,   
An deine treue Brust.   
   
So manche, die sich glühend   
In bittrer Qual verzehrt   
Und dieser Welt entfliehend   
Nach dir sich hingekehrt;   
Die hülfreich uns erschienen   
In mancher Noth und Pein –   
Wir kommen nun zu ihnen   
Um ewig da zu seyn.   
   
Nun weint an keinem Grabe,   
Für Schmerz, wer hebend glaubt.   
Der Liebe süße Habe   
Wird keinem nicht geraubt –   
Die Sehnsucht ihm zu lindern,   
Begeistert ihn die Nacht –   
Von treuen Himmelskindern   
Wird ihm sein Herz bewacht.   
   
Getrost, das Leben schreitet   
Zum ewgen Leben hin;   
Von innrer Glut geweitet   
Verklärt sich unser Sinn.   
Die Stemwelt wird zerfließen   
Zum goldnen Lebenswein,   
Wir werden Sie genießen   
Und lichte Sterne Seyn.   
   
Die Lieb' ist frey gegeben,   
Und keine Trennung mehr.   
Es wogt das volle Leben   
Wie ein unendlich Meer.   
Nur Eine Nacht der Wonne –   
Ein ewiges Gedicht –   
Und unser aller Sonne   
Ist Gottes Angesicht.   
 
      
      
      
      
      
    Hinunter in der Erde Schoos  
    Weg aus des Lichtes Reichen  
    Der Schmerzen Wuth und wilder Stoß  
    Ist froher Abfahrt Zeichen.  
    Wir kommen in dem engen Kahn  
    Geschwind am Himmelsufer an.  
      
    Gelobt sey uns die ewge Nacht,  
    Gelobt der ewge Schlummer,  
    Wohl hat der Tag uns warm gemacht  
    Und welck der lange Kummer.  
    Die Lust der Fremde gieng uns aus.  
    Zum Vater wollen wir nach Haus. 
      
    Was sollen wir auf dieser Welt  
    Mit unsrer Lieb' & Treue –  
    Das Alte wird hintangestellt,  
    Was kümmert uns das Neue.  
    O! einsam steht und tiefbetrübt  
    Wer heiß und fromm die Vorzeit liebt.  
      
     3   
    Die Vorzeit, wo in Jugendglut  
    Gott selbst sich kundgegeben  
    Und frühem Tod in Liebesmuth  
    Geweiht sein süßes Leben  
    Und Angst und Schmerz nicht von sich trieb  
    Damit er uns nur theuer blieb.  
      
     2   
    Die Vorzeit wo an Blüthen reich  
    Uralte Stämme prangten,  
    Und Kinder für das Himmelreich  
    Nach Tod & Qual verlangten  
    Und wenn auch Lust & Leben sprach  
    Doch manches Herz für Liebe brach.  
      
     1   
    Die Vorzeit wo die Sinne licht  
    In hohen Flammen brannten,  
    Des Vaters Hand und Angesicht  
    Die Menschen noch erkannten,  
    Und hohen Sinns, einfältiglich  
    Noch mancher seinem Urbild glich.  
      
    Mit banger Sehnsucht sehn wir sie  
    In dunkle Nacht gehüllet  
    Und hier auf dieser Welt wird nie  
    Der heiße Durst gestillet.  
    Wir müssen nach der Heymath gehn  
    Um diese heilge Zeit zu sehn.  
      
    Was hält noch unsre Rückkehr auf –  
    Die Liebsten ruhn schon lange  
    Ihr Grab schließt unsern Lebenslauf  
    Nun wird uns weh und bange.  
    Zu suchen haben wir nichts mehr –  
    Das Herz ist satt, die Welt ist leer.  
      
    Unendlich und geheimnißvoll  
    Durchströmt uns süßer Schauer  
    Mir däucht aus tiefen Fernen scholl  
    Ein Echo unsrer Trauer  
    Die Lieben sehnen sich wol auch  
    Und sandten uns der Sehnsucht Hauch.  
      
    Hinunter zu der süßen Braut,  
    Zu Jesus dem Geliebten,  
    Getrost die Abenddämmrung graut  
    Den Liebenden Betrübten.  
    Ein Traum bricht unsre Banden los  
    Und senkt uns in des Vaters Schoos.  
     
6.   
   
SEHNSUCHT NACH DEM TODE   
   
   
Hinunter in der Erde Schooß,   
Weg aus des Lichtes Reichen,   
Der Schmerzen Wuth und wilder Stoß   
Ist froher Abfahrt Zeichen.   
Wir kommen in dem engen Kahn   
Geschwind am Himmelsufer an.   
   
Gelobt sey uns die ewge Nacht,   
Gelobt der ewge Schlummer.   
Wohl hat der Tag uns warm gemacht,   
Und welk der lange Kummer.   
Die Lust der Fremde ging uns aus,   
Zum Vater wollen wir nach Haus.   
   
Was sollen wir auf dieser Welt   
Mit unsrer Lieb' und Treue.   
Das Alte wird hintangestellt,   
Was soll uns dann das Neue.   
! einsam steht und tiefbetrübt,   
Wer heiß und fromm die Vorzeit liebt.   
   
   
Die Vorzeit wo die Sinne licht   
In hohen Flammen brannten,   
Des Vaters Hand und Angesicht   
Die Menschen noch erkannten.   
Und hohen Sinns, einfältiglich   
Noch mancher seinem Urbild glich.   
   
Die Vorzeit, wo noch blüthenreich   
Uralte Stämme prangten,   
Und Kinder für das Himmelreich   
Nach Quaal und Tod verlangten.   
Und wenn auch Lust und Leben sprach,   
Doch manches Herz für Liebe brach.   
   
Die Vorzeit, wo in Jugendglut   
Gott selbst sich kundgegeben   
Und frühem Tod in Liebesmuth   
Geweiht sein süßes Leben.   
Und Angst und Schmerz nicht von sich trieb,   
Damit er uns nur theuer blieb.   
   
   
 
Mit banger Sehnsucht sehn wir sie   
In dunkle Nacht gehüllet,   
In dieser Zeitlichkeit wird nie   
Der heiße Durst gestillet.   
Wir müssen nach der Heymath gehn,   
Um diese heilge Zeit zu sehn.   
   
Was hält noch unsre Rückkehr auf,   
Die Liebsten ruhn schon lange.   
Ihr Grab schließt unsern Lebenslauf,   
Nun wird uns weh und bange.   
Zu suchen haben wir nichts mehr –   
Das Herz ist satt – die Welt ist leer.   
   
Unendlich und geheimnißvoll   
Durchströmt uns süßer Schauer –   
Mir däucht, aus tiefen Fernen scholl   
Ein Echo unsrer Trauer.   
Die Lieben sehnen sich wohl auch   
Und sandten uns der Sehnsucht Hauch.   
   
   
Hinunter zu der süßen Braut,   
Zu Jesus, dem Geliebten –   
Getrost, die Abenddämmrung graut   
Den Liebenden, Betrübten.   
Ein Traum bricht unsre Banden los   
Und senkt uns in des Vaters Schooß.   
 
 
Novalis:
Klingsohrs Märchen von Fabel und Eros  (zu Ende des ersten Teils des Heinrich von Ofterdingen)
Astralis (Lied zu Anfang des zweiten Teils des Heinrich von Ofterdingen)
Vier Buchstaben bezeichnen mir Gott (Blόthenstaub 2)
Die Lehrlinge zu Sais (philosophisches Romanfragment)
Hymne (Geistliche Lieder, Nr.VII: Leib und Blut)
Hymnen an die Nacht
 
Heinrich von Ofterdingen (vgl. Tannhäuser), Wolfram und Klingsôr 
im "Sängerkrieg auf der Wartburg" (mittelhochdeutsch)
 
William Blake:
Songs of Innocence and of Experience * The book of Thel
The book of Urizen * The book of Ahania * The book of Los
 
Philipp Otto Runge: Der Morgen : Lilie
 
Goethe: Das Märchen von der grünen Schlange und der Lilie
 
P. Vergilius Maro: 4.Ekloge : 6.Ekloge : Anchises' Lehren
 
Apuleius: Das Märchen von Cupido (Amor) und Psyche
 
12 KÖRBE: Quellen zum Thema "Schöpfung":
Genesis 1-11 : Psalmen : Rgveda : Platon : Proklos : Cicero : Ovid : Mar.Victorinus : J.Böhme : Schelling
 
das Lied der "Weisheit" in den Sprüchen Salomons Kap.8:
"JHWH hat mich gehabt als Ursprung seiner Wege"
 
Hans Zimmermann:
Was ist Musik? / Was ist Licht? / Was ist Geist? / Was ist Zeit?
Siebenstern (philos.Lyrik) : Das Mandala eines Tages : Meditation und Mantren
 
Astralis
 
Rundbriefe 2002 / 2003 / 2004 / 2005 / 2006 / 2007 / 2008 / 2009 / 2010 / 2011 / 2012
aktuelle Rundbriefe * emaille?!
 
Hans Zimmermann : zur Zirkularität der Zeit : Novalis : Hymnen an die Nacht