Feire Fiz (Hans
Zimmermann) :
12 KÖRBE, Quellensammlung in zwölf
Sprachen : mittelalterliche
Weltkarten
Die
Ebstorfer Weltkarte
des
Gervasius (von Tilbury),
Probst in Ebstorf (erste Hälfte des 13.Jahrhunderts)
Größte
Radkarte des Mittelalters – Durchmesser des im Zweiten Weltkrieg verbrannten
Originals: etwa 3,50 m;
in
den Fünfziger Jahren des 20.Jhds. wurden vier Nachbildungen aufgrund
der älteren photographischen Dokumentationen erstellt.
Durch
Anklicken der sechs Teile (nämlich drei der oberen, drei der unteren
Hälfte der Karte) gelangt man zu deren großen Bildversionen:
oben
links: Osteuropa, Asien - oben
Mitte: Vorderer Orient, Indien, Paradies - oben
rechts: Arabien, Äthiopien
unten
links: West- und Mitteleuropa - unten
Mitte: Südeuropa und Mittelmeer - unten
rechts: Afrika
* * *
Die
umhüllenden Sphären der leichteren Elemente (Luftraum und Ätherschalen)
sind bei diesem Kartentyp gelegentlich durch bunte Streifen angedeutet,
so auch hier durch einen dünnen roten und dann einen deutlich abgesetzten
blauen Sphärenkreis.
Daß
der "orbis" bei allen kosmologischen Umschreibungen eine "Kugel" meint,
geht nicht nur aus der Erklärung des Plinius am Anfang der naturalis
historia (1,5) hervor "formam eius in speciem orbis absoluti globatam",
sondern auch aus Ciceros Formulierung "orbibus vel potius globis"
im Somnium Scipionis.
Dieser Auffassung entspricht,
selbst wenn sie von naturwissenschaftlichen Begründungen weit entfernt
ist, auch die Darstellung der Erde
als Globus innerhalb der anderen Elemente-Sphären in
der vierten Schau des Liber Divinorum Operum der Hildegard
von Bingen. Wie Ovid
(als Nicht-Naturwissenschaftler) in der Antike, ist Hildegard von Bingen
und später auch Dante der ideale Zeuge für die Selbstverständlichkeit
der "Erde als Kugel" im gesamten Mittelalter. Für den Aristotelismus
der späteren Hochscholastik (z.B. für Albertus Magnus) ist das
überhaupt kein Problem.
(Vgl.
die Bibliographie zur "Welt als Kugel" in Antike und Mittelalter, Reinhard
Krüger)
Auch
der Reichsapfel in der Hand des Kaisers erscheint in den mittelalterlichen
Abbildungen als T-Karte: Er stellt den orbis terrarum dar – natürlich
nicht als aufrecht gehaltene Platte, sondern als Kugel.
Liber Floridus des Lambertus
von St. Omer 1120
Universitätsbibiothek
Gent MS 18, 138 v
In der Entwicklung der
Weltkarte von der Darstellung
zweier Hemisphären, die durch den äquatorialen Ringozean voneinander
getrennt sind - also
einer Nordhalbkugel links in der geosteten Karte und einer Südhalbkugel
rechts – hin zu der Radkarte, wie sie in der Ebstorfer
Karte vollendet ist, ist diese T-förmige Untergliederung der drei
alten Kontinente durch das Mittelmeer und dessen "Fortsetzungen" und "Zuwächse"
- Schwarzes Meer und Rotes Meer – zunächst noch ganz auf die Nordhalbkugel
(links) bezogen. Die rechte Hälfte enthält in der "antiken" Fassung,
die in Ciceros Somnium Scipionis
und bei Martianus Capella
zur literarischen Darstellung gekommen ist, "nur" eine hypothetische Spiegelung
der Verhältnisse auf der Nordhalbkugel: dem Nordpol und seinen unbewohnbar-kalten
Regionen steht der Südpol gegenüber, "temperierte" Breiten ermöglichen
eine Oikoumene, eine bewohnbare Zone für die Antipoden, aber man kann
nicht zu ihnen gelangen, da nicht nur der äquatoriale Ringozean, sondern
auch die Gluthitze der tropischen Wüsten ein Hinüberwandern und
Sichaustauschen mit den "Gegenfüßern" verhindert. Die Feuchtigkeit
der Tropen war trotz der Monsun-Erfahrung des Alexander-Heerzugs nicht
in das System integriert.
*
Im nächsten Schritt
wandert der Äquator und "sein" Ringozean immer weiter nach rechts,
nach Süden, um nicht die halbe Pergamentseite für die rein hypothetische
terra australis incognita verschwenden zu müssen: Sie wird
immerhin noch angedeutet, aber schließlich verschwindet sie bei der
T-gegliederten Radkarte aus der Sicht; die bekannte Welt der nördlichen
Oikoumene findet Raum in der ganzen Kreisfläche und erscheint, um
das Mittelmeer gebogen, nun in der Gestalt, die sich dem ozeanischen Rund
der Hydrosphäre (und den mit farbigen Linien angedeuteten Atmosphären
und Äthersphären) einschmiegt wie ein Embryo den umhüllenden
Häuten.
Die Ordnung von Kreis
und Mitte, also von Peripherie und Mittelpunkt, sowie die klare "Orientierung"
der geosteten Karten bestimmt das Programm der Radkarten in Vollendung:
Die Mitte, Nabe des Rades, Nabel oder Herz der kontinentalen terra,
ist Jerusalem, der Ringozean erste umhüllende Sphäre des festen
Elements. Der Scheitel oder Höhepunkt des Ganzen ist aber Orientierungspol:
Das Paradies liegt immer dort, im Jenseitstraum Indiens, mit dem Quelltopf
der großen Weltströme, überragt vom Antlitz
des Weltinbegriffs.
Die "Orientierung" ist
hier im wörtlichsten Sinne die theologisch-programmatische "Ostung"
der Weltkarte, entsprechend der "kibla" der Messe und der Hochaltäre
in den Kirchen. Der Gedanke ist originell, aber nicht abwegig, daß
die Ebstorfer Weltkarte in dem Kloster als Altarbild diente.
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