HAN
SHAN SZI (Hans Zimmermann) : Quellen
zum Thema "Schöpfung" und zum Weltbild der Antike und des Mittelalters
: Proklos : stoicheiôsis theologikê : propositiones
ProkloV
DiadocoV
StoiceiwsiV
qeologikh – Theologische
Elementarlehre
211 propositiones (Thesen)
griechisch / deutsch
griech. nach E.R. Dodds, Oxford 1933
/ übers. Hans Zimmermann 2006
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Propositiones (Thesen) 1-39
* 40-112 * 113-211
Das Sonnengleichnis
des Sokrates, sinngemäß auch der Logos-Prolog
des Johannesevangeliums, vor allem aber Plotins Synthese der aristotelischen
Metaphysik mit der platonischen Ideenlehre
und in der Folge dann die Reihe seiner Schüler an der Universität
von Alexandria und an der platonischen Akademie sind gewiß die hellsten
"Vorläufer" der neuplatonischen Theologie des "Nachfolgers"
(= "Diadochos") Proklos (411-485) in Athen, wenn man (wie es leider
üblich ist) die indischen Parallelentwicklungen
der All-Einheits-Philosophie von den Upanishaden
über die Bhagavad-Gîtâ
bis zu Shankaras Kommentar der Brahma-Sutras ("Vedanta")
einfach beiseitestellt.
Und auch die
Wirkung seiner "Theologischen Elementarlehre" auf die Nachwelt, Mittelalter
wie Neuzeit, ist unübersehbar: Die "platonische
Hälfte" des christlichen Mittelalters kennt ja kaum Platons
Dialoge (mit Ausnahme des Timaios und
des Unsterblichkeitsbeweises aus der Selbstbewegung
der Seele im Phaidros, den Cicero
im Somnium Scipionis übersetzte),
sondern eher einen durch die lateinischen (Augustinus, Boethius)
und byzantinischen (Dionysius Areopagita,
Johannes Damaskenos)
Theologen vermittelten Neuplatonismus, und die "aristotelische"
Hälfte des Mittelalters, scholastisch
verwissenschaftlicht, nutzt neben dem winzigen (weil dichtestkonzentrierten)
neuplatonischen Traktat "De hebdomadibus" des
Boethius als elementares Lehrbuch der Theologie
und Philosophie besonders gern den (islamisch-arabisch
vermittelten!) "Liber de causis", der
dem Aristoteles zugeschrieben wurde, bis Wilhelm
von Moerbeke die "Stoicheiosis" 1268 ins Lateinische übersetzte
und Thomas von Aquin erkannte,
daß der Liber de causis im Wesentlichen
einen Auszug aus diesem Werk des Proklos bot. So, wie einerseits
der Liber de causis das philosophische
Fundament legt, so stützen andrerseits die "Mystische Theologie",
die Untersuchung "Über die Gottesnamen" und vor allem die Engellehre
des Dionysios Areopagita das hochstrebende theologische
Gewölbe der Scholastik: Diese beiden Hauptstraßen der Proklos-Rezeption
kreuzen sich in der Summa Theologiae
des Thomas.
Die Trinitätslehre
sowie die Ursachensuche in den Gottesbeweisen
der Scholastiker, die
erkenntnisbetonte Mystik Meister Eckharts, gotische Frömmigkeit
voller Sehnsucht nach der "Hochzeit" (in pneumatischer Interpretation von
Psalm 45, Mt
22,2, 25,10, Lk12,36,
Apk 19,7), die ekstatische
Liebe der islamischen Sufis
zum "Einen", sie alle pflegen
mit oder ohne Zitat, direkt oder pseudonym vermittelt, logisch-argumentierend
oder fromm-ekstatisch, den in der "Stoicheiosis" systematisierten
neuplatonischen Grundgedanken der enwsiV,
der Einung mit dem Einen, dem En.
Die Philosophen
der Renaissance in Italien (Marsilio Ficino) sowie Deutschland (Nicolaus
Cusanus) und des barocken Rationalismus (Spinoza und Leibniz),
besonders aber die "System"-Denker des Deutschen Idealismus, Schelling
(nebst Goethe im "Westöstlichen Divan") und schließlich Hegel,
folgen zum einen dem "mos geometricus" der Darlegung (Proklos kommentierte
ja nicht nur Platons "Parmenides", sondern auch Euklids "Elemente der Geometrie",
vgl. auch Platons Menon),
zum andern dem grundlegenden Gedanken, den Novalis
vielleicht am treffendsten und knappsten formulierte (in "Blüthenstaub"
bzw. "Vermischte
Bemerkungen", 5. Aphorismus):
"Der
Geist führt einen ewigen Selbstbeweis."
Die Demonstranda
der in thematischen Schleifen ineinander geschlungenen Beweisketten dieser
Selbst-Deduktion, nämlich die hier gesondert aufgeführten "propositiones"
(Thesen) der Stoicheiosis, sind allesamt Allaussagen, beginnend mit dem
Wort pan oder
(n.Pl.) panta,
durchaus auch im Akkusativ oder Genitiv des Wortes, gelegentlich als Attribut
eines anderen Substantivs:
Pan plhqoV
metecei phi tou EnoV – lautet
der "prinzipielle" Grundsatz, mit dem das theologische System des Neuplatonikers
beginnt: "Alle Vielheit metecei
irgendwie des Einen", aber was ist die ideale Formulierung für dieses
metecein,
dieses (wörtlich gefaßt) "mit-haben"? "Alle Vielheit
hat in irgendeiner Weise teil am EINEN" ist die übliche deutsche
Übersetzung, aber das EINE ist "amereV",
hat keine Teile (siehe propositio 47).
Gewiß,
dieser alte platonische Begriff ist den spätantiken Philosophen so
geläufig, daß er auch im bereits erwähnten Traktat "De
hebdomadibus" eine zentrale Rolle spielt: Boethius
übernimmt ihn unmittelbar mit dem lateinischen "participare",
"teilnehmen" (Adjektiv: "particeps"),
um das "ens"
("das Seiende", griechisch "to
on",
bei Parmenides: "TO
EON")
als eigens von dem Philosophen gebildetes "Partizip" (!)
auf den Infinitiv "esse"
("zu SEIN") zu beziehen. Diese subtile, abstrakt scheinende, in Wirklichkeit
aber höchst innige Feindifferenzierung von SEIN und Seiendem
läßt sich im Deutschen wohl kaum als eine Art "Schnittmenge"
oder "Teilhabe" verstehen.
"Alle Vielheit
ist des EINEN teilhaftig" oder "nimmt am EINEN teil" käme
dem Sinn zwar schon näher; aber inhaltlich gesättigter wäre
gewiß die Verdichtung des Prädikats in der Formulierung "Alle
Vielheit hat Genuß am EINEN", wenn die erkenntnislichte Glückseligkeit
der Ekstasis, des Einsseins, des All-Ein-Seins mit dem EINEN, dann nicht
allzu leicht mit den grellen Farben leiblich-seelischer Freuden zu verwechseln
wäre; schon bloße Begriffe stehen ja zu den Ideen, von denen
sie logisch abzuleiten sind, im Verhältnis dieser meqexiV,
und die Freude der Erkenntnis ist so subtil, daß sie nur dem Selbstgenügsamen
zum höchsten "Genuß" wird: "Alle Vielheit ist sich des EINEN
bewußt", wenn das Eine dabei nicht als Objekt, sondern als die
Bewußtseinsquelle selbst zu Bewußtsein käme, wie ein wacher
Mensch über die Objekte hinaus immer zugleich auch "bei sich" ist.
Also auch: "Alle Vielheit ist am EINEN bei sich" bzw. "ist am
EINEN ihrer selbst bewußt"?
Gesucht wird
ein Prädikat, das die Vielheit aus dem Einen ableiten läßt,
das sie im Einen zugleich "gründen" und "sich ergründen" läßt.
Warum also nicht "Alle Vielheit findet ihren Grund im Einen", oder
noch stärker interpretierend: "Alle Vielheit empfängt ihr
Wesen vom Einen", wobei "Wesen" für qualitative "Wesenheit" gleicherweise
offen wäre wie für "Existenz", doppeldeutig wie die aristotelische
ousia
und der "Substanz"-Begriff? Diese Übersetzungen habe ich erwogen,
nicht völlig verworfen, aber dann doch auf die schlichtestmögliche
zu reduzieren versucht, die zugleich den logisch-begrifflichen Aspekt nicht
von dem ontologisch-schöpferischen dieses Prädikats trennt. Was
seinen Grund, Begründung und Existenz findet, findet "sich"; es findet
sich auch "ein" und findet sich "wieder", es "be-findet" sich überhaupt
dort, wo es sich allein findet, wo es "in irgendeiner Weise" Grund findet:
im En-kai-Pan,
dem All=Einen.
Die Übersetzung
schreitet fast täglich in kleinen Schritten voran und geht gelegentlich
zu Korrekturen eines häufigeren Begriffes zurück (wie eben gezeigt).
Hier nur abschließend noch ein kleiner Hinweis auf die schlichte
Schönheit des Implikations-Explikations-Motivs in Satz
21, die "Welt in der Knospe", implizit zugleich eine Definition der
"Monade".
1. pan plhqoV metecei
phi tou EnoV.
2. pan to metecon tou EnoV
kai en esti kai ouc en.
3. pan to ginomenon en meqexei
tou EnoV ginetai en.
1. Alle Vielheit
findet sich in irgendeiner Weise in dem EINEN.
2. Alles, was
sich im EINEN findet, ist sowohl Eines als auch Nichteines.
3. Alles, was
Eines wird, wird durch sein Sichfinden in dem EINEN Eines.
4. pan to hnwmenon eteron
esti tou Auto-EnoV.
5. pan plhqoV deuteron esti
tou EnoV.
6. pan plhqoV h ex hnwmenwn
esti h ex enadwn.
4. Alles Geeinte
ist ein anderes als das EINE selbst.
5. Alle Vielheit
folgt als Zweites dem EINEN.
6. Alle Vielheit
besteht entweder aus Geeinten oder aus Einsheiten.
7. pan to paraktikon allou
kreitton esti thV tou paragomenou
fusewV.
7. Alles,
was anderes hervorbringt,
übertrifft
das Eigenwesen des Hervorgebrachten.
liber
de causis – ein Auszug aus der Stoicheiosis
Theologike des Proklos –
im 12. Jahrhundert aus dem
Arabischen
ins Lateinische
übersetzt,
elementares philosophisches
Lehrbuch der Hochscholastik (13. Jhd.)
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