Hans Zimmermann,
Görlitz : 12
KÖRBE: Quellentexte in zwölf Sprachen : Mândûkya-Upanishad
grham/
Index * Indienreise * Buddha
(Sâmañña-Phala Sutta)/ Lalitavistara/
Ajanta/ Thankas/
Jâtakas/ Zen-Kunst
Sanskrit/
Grammatik * Rgveda
(Soma) * Mahâbhârata * Râmâyana
* Gîtâ * Vedânta
* Yoga * Meditation
und Mantren
Rgveda,
Schöpfungslieder im 10. Mandala:
Brhaspati:
Aditi-Daksha 10, 72 *
1. Vishvakarman 10, 81 *
2. Vishvakarman 10, 82
Purusha
10, 90 * Hiranyagarbha/Prajâpati
10,121 * nâsad
âsin no sad âsît 10,129
vgl.
Rgveda I, 164,46,
das ekam im
großen Rätsellied
Schöpfungs-Erzählung
in der Manusmrti, Kapitel 1 (Sanskrit / dt.übers. Hans
Zimmermann)
Protosânkhyasysteme
in Mahâbhârata XII (Shantiparvan), Mokshaparvan:
Shukânuprashna
(Sanskrit / dt.übers. und komm. H. Zimmermann)
vgl.
Paul Deussen (dt.übers.). Vier philosophische Texte
des Mahâbhârata:
Bhrgu-Bharadvâja-samvâda
* Manu-Brhaspati-samvâda * Shukânuprashna
Deussen S.573
Die
Mândûkya-Upanishad
des Atharvaveda
mit der Kârikâ
des Gaudapâda
über dieselbe.
Übersetzung,
Einleitung und Kommentar:
Paul
Deussen (Kiel 1897/19052)
Sanskrit-Text
(der Upanishad) gemäß Eighteen principal Upanishads
ed. V.P.Limaye und R.D.Vadekar Pune 1958
transliteriert
und ins Netz gestellt von Hans Zimmermann, Görlitz 2012
EINLEITUNG.
Die Mândûkya-Upanishad,
in Prosa, trägt zwar den Namen einer halb verschollenen Schule des
Rgveda, wird aber zum Atharvaveda
gerechnet und ist, wie nicht nur die zahlreichen Zitate, sondern
auch die systematische Geschlossenheit ihrer Darstellungsweise zeigen,
erheblich später als die prosaischen Upanishad's
der drei ältern Veden, von deren Weitschweifigkeit ihre Kürze
und Präzision sehr merklich absticht. Mit der Maitrâyana-Upanishad
bieten sich mehrere Berührungspunkte, und es wird noch näherer
Untersuchung bedürfen, auf welcher Seite die Priorität ist. Hingegen
macht die Mândûkya-Upanishad
den meisten Upanishad's des Atharvaveda
gegenüber einen mehr altertümlichen Eindruck, namentlich
sofern sie an dem Worte Om nur drei und noch
nicht dreiundeinehalbe Mora's unterscheidet.
Der Grundgedanke der Mândûkya-Up.
ist, daß in der Silbe Om die ganze Welt
ausgedrückt ist. Den Beweis für diesen Satz führt sie wie
folgt: Die Welt ist Brahman, Brahman
ist der Âtman, der Âtman
aber ist der Om-Laut, sofern dessen
Moren die vier Viertel oder Füße, d.h. die vier Zustände
des Âtman entsprechen. Diese vier Zustände
sind:
1) das Wachen, Vaishvânara
(so benannt, weil seine Eindrücke allen gemeinsam sind;
vielleicht, nach Shankara, auf Chând.5,11–18
zurückgehend), in welchem der Âtman nach
außen erkennt;
2) der Traumschlaf, Taijasa
(der lichte, weil in ihm der Âtman
sein eigenes Licht ist, svena bâsâ,
svena jyotishâ prasvapiti, Brh.4,3,9),
in welchem der Âtman nach innen
S.574 erkennt;
3) der Tief schlaf, Prâjña
(weil in ihm der Âtman nach
Brh.4,3,21
mit dem prâjña âtman,
d.h. Brahman, vorübergehend eins wird);
4) der "Vierte", Caturtha
(Turîya, Turya), in
welchem die Auslöschung der Weltausbreitung nicht, wie beim dritten
Zustande, unbewußt, sondern mit Bewußtsein vollbracht wird.
Dem ersten Zustande entspricht in om (a
+ u + m) das a, dem zweiten
das u, dem dritten das m,
dem vierten der moralose (amâtra)
Teil des Wortes, wie durch Etymologiespiele bewiesen wird.
Die Mândûkya-Upanishad
wird von Shankara im Kommentar zu den Brahmasûtra's
auffallenderweise nicht benutzt; hingegen ist sie nicht nur auf mehrere
Upanishad's des Atharvaveda
von großem Einflusse gewesen, sondern dient auch, wiewohl
mit veränderter Bedeutung ihrer Grundbegriffe, mehr als irgendeine
andre Upanishad den geistvollen Konstruktionen
des Vedântasâra zur Voraussetzung.
Ihre größte Bedeutung
aber liegt darin, daß sie Anlaß gegeben hat zu einem der merkwürdigsten
Monumente der indischen Philosophie, nämlich zu der Kârikâ
des Gaudapâda,
einem Werk, dessen Wertschätzung sich schon darin kund gibt, daß
seine vier Teile (deren erster die Mândûkya-Upanishad
einschließt) als vier Upanishad's
gerechnet zu werden pflegen. Daß der Autor dieser Kârikâ
, welcher in der schroffsten Weise den reinen Advaita-Standpunkt
vertritt, derselbe Gaudapâda sei,
der in seinem Kommentar zur Sânkhyakârikâ
die Lehre des Kapila als das Mittel
der Erlösung preist, können wir nicht glauben, und wenn spätere,
wie Vâcaspatimishra und Vijñânabhikshu
die verschiedensten Systeme kommentiert haben, so ist das doch
etwas andres; denn die Mândûkya-Kârikâ
ist in ihren drei letzten Teilen ein vollkommen selbständiges
Werk, und der Autor desselben proklamiert, offenbar ans tiefster Überzeugung,
einen Standpunkt, welcher es ihm unmöglich machen mußte, sich
auch nur vorübergehend zum Interpreten der Lehre der "Zweiheitler"
zu machen, die er so entschieden bekämpft. Hingegen ist es sehr glaublich,
daß unser Gaudapâda der
Lehrer des Govinda, des Lehrers des
Shankara, gewesen sei; beide, Gaudapâda
und Shankara, stehen in allem Wesentlichen
auf demselben Standpunkte, und viele Gedanken nnd Bilder, in denen Shankara
sich ergeht, sehen wir bei Gaudapâda
schon auftauchen (Akkomodation der Schrift, Polemik gegen die Kausalität,
das objektlose Erkennen usw.; Schlange und Strick, Weltraum und Topfraum,
Traum, Mâyâ, Wüstenspiegelung
usw.); ja, man kann sagen, daß Shankara die
Lehren des Gaudapâda in ähnlicher
Weise zum Systeme fortbildet wie Platon die des Parmenides.
Gaudapâda
und Parmenides, – dieser Vergleich
wird sich jedem Leser des hier zum erstenmal übersetzten indischen
Gedichtes von selbst aufdrängen, da der Grundgedanke beider Philosophen
derselbe ist, ja auch die Ausführung desselben oft merkwürdige
Berührungspunkte zeigt. Alle Behauptungen des Parmenides
laufen auf die beiden hinaus, daß es 1) keine Vielheit und 2)
kein Werden gibt; und dem entsprechend bewegt sich das indische Gedicht
von Anfang bis zu Ende in den beiden Begriffen 1) des advaitam,
der Nichtvielheit, 2) der ajâti,
des Nichtwerdens; und
S.575 wenn
wir auch, wie gewöhnlich in Indien, eine geordnete Disposition vermissen,
so daß dieselben Gedanken in ermüdender Weise immer wieder vorkommen,
wenn wir auch oft statt der Erklärungen nur Bilder, statt der Beweise
bloße Behauptungen empfangen, so wird doch jeder Sachkenner den Eindruck
gewinnen, daß das Gedicht des Gaudapâda
ebenso wie das des Parmenides auf
tiefer und echter, wenn auch nur intuitiver, metaphysischer Einsicht beruht.
Wir wollen hier nur noch
den Gedankengang der vier Teile in seinen Hauptzügen andeuten, indem
wir im übrigen auf unsere Übersetzung verweisen, welche, durch
den Zwang des Metrums und der dadurch geforderten Kürze, nicht überall
so wörtlich sein konnte, wie es nach andrer Seite erwünscht gewesen
wäre; doch hoffen wir den Gedanken nirgendwo verfehlt zu haben. Nicht
aber befinden wir uns überall in Übereinstimmung mit dem unter
Shankara's Namen überlieferten Kommentar,
welcher oft entschieden fehl greift; z.B. wenn er 4,83 von den vier Thesen
1) asti, 2) na
asti, 8) asti, na asti,
4) na asti iti na asti "er ist nicht
nicht", die vierte für gleichbedeutend mit na
asti, na asti, iti (vielleicht las er so) nimmt und auf den
Atyantashûnyavâda, d.h. wohl die
buddhistische Schule der Mâdhyamika's,
bezieht; – und so in vielen andern Fällen.
I. Der erste Teil des Gedichtes
ist wesentlich eine metrische Paraphrase der Mândûkya-Upanishad;
eigentümlich ist daran nur die Kritik der Weltschöpfungstheorien
v.6–9: Die Welt ist nicht eine Machtentfaltung (vibhûti)
Gottes, nicht ein durch ihn hervorgebrachtes, traumartiges Blendwerk (svapnamâyâ);
sie ist weder durch einen Wunsch Gottes (icchâ),
noch durch die Macht der Zeit (kâla)
entstanden, weder zum Genusse (bhoga)
noch zur Unterhaltung (krîdâ)
Gottes geworden, denn âptakâmasya
kâ sprhâ? "was kann wünschen, wer alles
hat?" – vielmehr ist sie nur Gottes Selbstwesenheit (svabhâva)
und von ihm so wenig verschieden wie von der Sonne
die Strahlen, welche alle dasselbe, nämlich lauter Licht sind.
Im Gegensatze zu diesem
ersten Teile sind die drei andern durchaus selbständig und ohne unmittelbaren
Zusammenhang mit der Upanishad, über
deren Gedanken sie weit hinausgehen: daher sie auch eigene charakteristische
Überschriften führen als Vaitathyam,
Advaitam und Alâtashânti.
II. Vaitathyam,
"die Unwahrheit" der empirischen Realität und der an ihr festhaltenden
Theorien.
1) Vers
1–18. Die Vielheit im Wachen beruht ebenso auf Täuschung wie die im
Traume; und wie der Traum durch das Aufwachen widerlegt wird, so wird das
Wachen wiederum widerlegt durch den Traum (Vers 6–7); in beiden kalpayati
âtmanâ âtmânam âtmadevah svamâyayâ,
Vers 12. Zum Schluß folgt dann Vers 17–18 das berühmte Bild
von dem Strick, welcher im Dunkeln als Schlange angesehen wird; so der
Âtman im Dunkel des Nichtwissens als
Welt.
2) Vers
19–29. Jeder Versuch, den Âtman unter
empirischen Formen vorzustellen, ist verfehlt; ein jeder stellt ihn sich
nach dem vor, was er von der Welt kennt, wie durch eine lange Reihe von
Beispielen erläutert wird.
S.576
3) Vers
30–38. Wieder folgen Bilder und die Versicherung, daß es keine Vielheit
and kein Werden gebe. Die Schilderung des Muni,
der dies erkannt hat, bildet den Schluß.
III. Advaitam,
"die Unzweiheit".
1) Vers
1–16. Gegenüber der "Armseligkeit" der theologischen Gottesverehrung,
welche Gott in die Zeit and das Werden herabzieht, entwickelt der Dichter
die Lehre vom Advaitam, der Identität
des Âtman and des Jîva,
der höchsten und der individuellen Seele an dem vortrefflich durchgeführten
Bilde von dem Weltraume und dem Raum im Topfe. Dies, meint er, sei auch
die Anschauung der Schrift, und wo sie anders, von einer Weltschöpfung
usw., rede, da geschehe es nur, indem sie sich der Fassungskraft der Menschen
anpasse.
2) Vers
17–30. Polemik gegen das Werden und die Vielheit. Diejenigen, welche ein
Werden annehmen, verwickeln sich in Widersprüche; kein Ding kann doch,
von sich selbst, von seiner eignen Natur abgehend, anders werden, als es
ist: prakrter anyathâbhâvo
na kathañcid bhavishyati, ein Hauptsatz, auf den
der Verfasser immer wieder zurückkommt, und der, wie hier 3,21, noch
4,7 und 4,29 wörtlich wiederkehrt. (Auch ist dieser Satz unbestreitbar,
nur daß eben jene ewig mit sich identische Natur, in eine Vielheit
sukzedierender Zustande auseinandergezogen, das Werden ist.) Ganz parmenideisch
ist die Argumentation in Vers 27 and 28, und der ganze Unterschied besteht
nur darin, daß Parmenides mehr die
Ursache, Gaudapâda mehr die Wirkung
ins Auge faßt, um von ihr zu zeigen, daß sie weder als ein
Seiendes noch als ein Nichtseiendes werden kann. Entstehen, so argumentiert
er, kann etwas weder als ein Seiendes noch als ein Nichtseiendes; ersteres
(sato janma) ist unmöglich, weil
dann jâtam jâyate, entstehen
wurde, was schon vorher da ist (oude
pot' ek tou eontos ephêsei pistios ischus gignesthai ti par' auto),
letzteres (asato janma) ist unmöglich,
weil ein Nichtseiendes ("der Sohn der Unfruchtbaren") nie entsteht (out'
ek mê eontos easô phasthai s' oude noein. ou gar phaton oude
noêton estin hopôs ouk esti.).
3) Vers
31–48. Den Schluß bildet wieder der Ausblick auf das Praktische.
Daß es keine Vielheit gibt, ist daran ersichtlich, daß sie
verschwindet, sobald das Manas "außer
sich kommt", zum Nicht-Manas wird (manaso
amanîbhâve). Dies wird bewerkstelligt durch den
Yoga, und zwar (da der Verfasser nicht mit
jedem Yoga einverstanden ist 3,39, wie der
Apostel Paulus nicht mit jeder Askese, 1.Kor.13,3)
durch den Asparshayoga, den "Ungefühl-Yoga",
welcher darin besteht, daß die Dinge vom Bewußtsein nicht mehr
gefühlt werden, nicht mehr für dasselbe existieren. Erreicht
wird derselbe durch Niederhaltung des Manas (manaso
nigraha), des Organs des Vorstellens und Wollens, und ist wohl
zu unterscheiden von dem Schwinden des Bewußtseins im Schlafe. In
ihm wird die Seele eins mit Brahman und besteht
als reines, die Objekte in sich befassendes Subjekt des Erkennens in unaussprechlicher,
höchster Lust (Vers 47).
S.577
IV. Alâtashânti,
die Beilegung des Feuerbrandkreises.
1) Vers
1–46. Nachdem die Hauptsätze des vorigen Abschnitts, daß ein
Werden weder des Seienden noch des Nichtseienden denkbar ist, und daß
kein Ding je anders werden kann, als es seiner Natur nach ist, nochmals
eingeschärft worden, weist der Dichter die Widersprüche, die
im Kausalitätsbegriffe liegen, nach; die Verhältnisse von Ursache
und Wirkung (kâranam und
kâryam), Grund und Erfolg (hetu
und phalam), Wahrgenommenem
und Wahrnehmung sind undenkbar; daher es kein Werden gibt, auch nicht des
Samsâra, welcher nie, und der Erlösung,
welche immer bestanden hat (Vers 30–31). Auch in dem vorstellenden Subjekte
ist kein Werden: die Vorstellungen des Wachens beruhen ebenso wie die des
Traumes, wie hier abermals ausgeführt wird, auf Irrtum, so daß
es weder im Objekte noch im Subjekte ein Werden gibt.
2) Vers
47–52. Aber woher der Schein von Vielheit und Werden? Diese Frage wird
durch ein höchst originelles und in seiner Art glänzendes Bild
beantwortet, welches dem ganzen Buche seinen Namen alâtashânti
gegeben hat. Alâta (von
lâ anfassen, "das was man nicht
anfassen kann") ist der an dem einen Ende glühende Holzspan. Durch
Schwingen desselben entsteht eine feurige Linie oder ein feuriger Kreis
(alâtacakram, auch Maitr.6,24;
vgl. auch Mahâbh.7,1825), ohne daß
doch dabei etwas zu dem einheitlichen Funken hinzukäme oder aus ihm
herausträte. Einem solchen Funkenkreise ist die ganze Welt vergleichbar;
sie ist nur in dem Bewußtsein (vijñanam);
alle Dinge sind Schwingungen des einen und einheitlichen Bewußtseins.
3) Vers
53–77. Wieder kommt der Dichter auf die Unmöglichkeit des Werdens,
das Verhältnis von Grund und Folge, die Verwandtschaft von Traum und
Wachen zurück, um, zurückweisend auf das vorhergegangene Bild,
zu erklären, daß alles Objektive und Subjektive nur cittaspandanam,
Bewußtseinsschwingung sei (Vers 72). Wieder weist er auf die Widersprüche
der Zweiheitler hin, während nach ihm im Vedânta
die Zweiheit nur als Lehrmittel dient und nach vollbrachter Belehrung
wegfällt.
4) Vers
78–100. Zum Schlusse folgt eine Schilderung des Toren, der an der Vielheit
hängt, und des "Erweckten" (buddha),
welcher sich als das, was alle von Ewigkeit her sind (âdibuddha
und âdishânta,
Vers 92. 93), als die ewige Identität, als reine, von aller Weltlichkeit
freie, objektlose Intelligenz erkannt hat.
Erster
Teil.
§ 1.
om ity etad aksharam
idam sarvam
1. Om! Diese Silbe ist die ganze Welt.
Ihre Erläuterung ist wie folgt.
bhûtam bhavad
bhavishyad
yac cânyat trikâlâtîtam
Das Vergangene, das Gegenwärtige und
das Zukünftige,
S.578
dieses alles ist der Laut Om.
Und was außerdem noch über die
drei Zeiten hinausliegend ist,
auch das ist der Laut Om.
sarvam hy etad brahma
ayam âtmâ
brahma
so 'yam âtmâ
catushpât (2)
2. Denn dies alles ist Brahman,
Brahman aber
ist dieser Âtman (die Seele),
und dieser Âtman
ist vierfach.
jâgaritasthâno
bahihprajñah
saptânga ekonavimshatimukhah
sthûlabhug
vaishvânarah prathamah pâdah (3)
3. Der im Stande des Wachens befindliche,
nach außen erkennende,
siebengliederige 1,
neunzehnmündige 2,
das Grobe genießende Vaishvânara
ist sein erstes Viertel.
svapnasthâno
'ntahprajñah
saptânga ekonavimshatimukhah
prativiktabhuk taijaso
dvitîyah pâdah (4)
4. Der im Stande des Träumens befindliche,
nach innen erkennende,
siebengliederige 1,
neunzehnmündige 2,
das Auserlesene genießende 3
Taijasa ist sein zweites Viertel.
1
Chând.5,18,2
(Shankara).
2
Zehn Indriya's, fünf Prâna's,
Manas, Buddhi, Ahankâra, Cittam (Shankara).
Vgl. unten, S.623 Anm.
3
Brh.4,2,3,
oben S.462.
yatra supto
na kañcana
kâmam kâmayate
na kañcana
svapnam pashyati
5. Der Zustand, "wo er, eingeschlafen,
keine Begierde mehr empfindet
sushuptasthâna
ekîbhûtah
Der im Stande des Tiefschlafes befindliche,
"einsgewordene" (Brh.4,4,2),
"durch und durch ganz aus Erkenntnis bestehende"
(Brh.4,5,13),
"aus Wonne bestehende" (Taitt.2,5),
die Wonne genießende,
das Bewußtsein als Mund habende
Prajña
ist sein drittes Viertel.
esha sarveshvarah
6. "Er ist der Herr des Alls"
(Brh.4,4,22),
1. Allwärts, außenbewußt
Vishva,
Innenbewußt ist Taijasa,
Ganz nur Bewußtsein ist Prajña,
Einer ist's, der für dreie gilt.
2. Aus rechtem Auge blickt Vishva,
Im Manas drinnen
Taijasa,
Im Raum im Herzen weilt Prajña,
So ist dreifach im Leib sein Stand.
3. Grobes genießend ist Vishva.
Auserlesenes Taijasa,
S.579
Wonne genießend ist Prajña,
Dreifach so sein Genießen ist.
4. An Grobem sättigt sich Vishva,
An Auserles'nem Taijasa,
An Wonne sattigt sich Prajña,
Dreifach ist seine Sättigung.
5. Wer ist in diesen drei Ständen
Genießer? was Genuß-Objekt?
Wem dieses wohlbewußt beides,
Der genießt und wird nicht befleckt
(Îshâ 2).
6. Ein Ursprung ist aller Wesen
Als seiender, das ist gewiß:
Der Geist (purusha)
als Lebenskraft (prâna)
schuf sie
Getrennt wie Sonnenstrahlen nur.
7. Manche halten die Weltschöpfung
Für eine Machtentfaltung (vibhûti)
nur,
Andre wieder für Traum halten
Die Schöpfung und für Blendwerk
(mâyâ) nur.
8. Viele lassen die Weltschöpfung
Auf Wunsch Gottes allein entstehn,
Andre glauben, die Zeit habe
Alle Wesen hervorgebracht.
9. Zum Genuß sich, zum Spielzeuge
Schuf sie Gott, meinen andere; –
Nein! sie ist Gottes Selbstwesen!
Was kann wünschen, wer alles hat?
§
2.
nântahprajñah
na bahihprajñah
7. Nicht nach innen erkennend und nicht nach
außen erkennend,
noch nach beiden Seiten erkennend,
auch nicht durch und durch aus Erkenntnis
bestehend,
weder bewußt noch unbewußt,
–
adrshtam
avyavahâryam agrâhyam
alakshanam
acintyam avyapadeshyam
unsichtbar, unbetastbar, ungreifbar,
uncharakterisierbar, undenkbar, unbezeichenbar,
nur in der Gewißheit des eignen
Selbstes gegründet,
die ganze Weltausbreitung auslöschend,
beruhigt, selig, zweitlos, –
caturtham manyante
das ist das vierte Viertel,
S.580
10. Allgenugsam zur Austilgung
Aller Schmerzen, unwandelbar,
Als Einheit alles durchdringend
Ist der Gott, der der Vierte heißt
11. Wirkung-und-Ursachbehaftet
Sind der Vishva
und Taijasa,
Ursachbehaftet ist Prajña,
Beide gelten vom Vierten nicht.
12. Nicht der Wahrheit noch Unwahrheit,
Nicht seiner selbst noch anderer
Ist irgend sich bewußt Prajña,
–
Ewig alles der Vierte schaut.
13. Im Nichterkennen der Vielheit
Sind der Prajña
und Vierte gleich;
Doch Prajña
liegt im Keimschlummer,
Der Vierte keinen Schlummer kennt.
14. Traum and Schlaf sind der zwei ersten,
Traumloser Schlaf des Prajña
ist,
Weder Träumen noch auch Schlafen
Schreibt zu dem Vierten, wer ihn kennt.
16. Der Träumende erkennt irrig,
Gar nicht erkennt der Schlafende;
Beide irren; wo das schwindet,
Da wird der vierte Stand erreicht.
16. In anfanglosem Weltblendwerk.
Schläft die Seele; wenn sie erwacht,
Dann wacht in ihr das zweitlose
Schlaf- und traumlose Ewige.
17. Bestünde die Weltausbreitung,
So müßte sie vergehen erst;
Doch alle Vielheit ist Blendwerk,
Vielheitlos ist die Wirklichkeit.
18. Widerlegbar sind Annahmen
Nur, wenn einer sie aufgestellt;
Doch hier sind sie nur Lehrmittel;
Dem, der weiß, ist die Vielheit
nichts.
S.581
§
3.
so 'yam âtmâ
8. Dieser Âtman
nun ist in bezug auf die Laute
[adhyaksharam,
analog gebraucht wie adhidaivatam, adhyâtmam]
adhimâtram
pâdâ
mâtrâ mâtrâsh ca pâdâ
akâra ukâro
makâra iti (8)
nämlich in bezug auf seine Moren;
die Moren sind die Viertel [des Âtman],
und die Viertel sind die Moren,
nämlich der a-Laut,
der u-Laut und der m-Laut.
jâgaritasthâno
vaishvânarah prathamâ mâtrâ
9. Der im Stande des Wachens befindliche Vaishvânara
ist der a-Laut, die erste
Mora,
von dem Erlangen (â-pti)
oder von dem Erstersein (â-dimattvam).
–
âpnoti ha
vai sarvân kâmân âdish ca bhavati
Der, fürwahr, erlangt alle Wünsche
und wird zum Ersten,
svapnasthânas
taijasa
ukâro dvitîyâ
mâtrotkarshâd
10. Der im Stande des Träumens befindliche
Taijasa
ist der u-Laut,
die zweite Mora, von dem Hochhalten (u-tkarsha)
oder von
dem Beiderseitssein (u-bhayatvam).
–
utkarshati
ha vai jñânasantatim
samânash
ca bhavati
nâsyâbrahmavit
kule bhavati
Der, fürwahr, hält hoch die Tradition
des Wissens, [in seiner Familie]
und wird von beiden Seiten [Freund und
Feind] gleich geachtet,
und keiner, der nicht das Brahman
kennte, wird in seiner Familie sein,
sushuptasthânah
prâjño makâras
trtîyâ mâtrâ
11. Der im Stande des Tiefschlafes befindliche
Prajña
ist der m-Laut,
die dritte Mora,
von dem [durch mi
minoti bezeichneten] Aufbauen (miti)
oder auch von dem. [durch mi
minâti bezeichneten] Vernichtetwerden (apîti).
–
minoti ha vâ
idam sarvam apîtish ca bhavati
Der, fürwahr, baut [aus sich] diese ganze
Welt auf und ist ihre Vernichtung,
19. Sehr gleicht Vishva
dem a-Laute
Durch Ähnlichkeit des Erster-seins,
Durch Moren-Übereinstimmung
Sind auch gleich im Erlangen sie.
20. Taijasa gleicht
dem u-Laute
In dem Hochhalten offenbar,
Durch Moren-Übereinstimmung
Sind auch gleich sie im Beidessein.
21. Sehr gleicht Prajña
dem m-Laute
Durch des Aufbauens Ähnlichkeit,
Durch Moren-Übereinstimmung
Sind auch gleich im Vernichten sie.
S.582
22. Weil er in den drei Zuständen
Klar durchschaut diese Ähnlichkeit,
Darum gebührt dem Hochweisen
Von allen Wesen Ehr' und Preis.
23. Der a-Laut
führt zum Ziel Vishva,
Der u-Laut
führt den Taijasa,
Der m-Laut
fahrt zum Ziel Prajña,
Kein Ziel des Moralosen ist.
§ 4.
amâtrash caturtho
'vyavahâryah
prapañcopashamah
shivo 'dvaitah
12. Moralos ist der Vierte,
unbetastbare, die ganze Weltausbreitung
auslöschende, selige, zweitlose. –
evam onkâra
âtmaiva
In dieser Weise ist die Silbe Om
der Âtman (das Selbst).
samvishaty âtmanâ
'tmânam
ya evam veda
[ya evam veda] (12)
Der geht mit seinem [individuellen] Selbste
in das [höchste] Selbst ein (Vâj.Samh.32,11),
wer solohes weiß, –
wer solches weiß.
24. Nach Vierteln wisse den Om-Laut,
Seine Moren die Viertel sind;
Wer nach Vierteln den Om-Laut kennt,
Braucht nichts weiter zu wissen mehr.
25. Im heilgen Ruf geh' auf denkend,
Er ist Brahman, das furchtlose,
Wer stets im heil'gen Ruf aufgeht,
Der fürchtet sich vor keinem mehr.
26. Der heil'ge Ruf ist das nied're.
Er ist das höh're Brahman auch,
"Ohne Früheres und Spät'res,
Ohne Inn'res und Äußeres" (Brh.2,5,19).
27. Denn er ist aller Welt Anfang,
Ist Mitte ihr und Ende auch,
Wer so den heil'gen Ruf weiß, der
Wird alsbald mit ihm eins sodann.
28. Den heil'gen Ruf als Gott wisse,
Der im Herzen von allem thront;
S.583
Der Weise, der den Om-Laut kennt
Als allerfüllend, trauert nicht.
29. Unendlichteilig und teillos,
Ist er der Zweiheit sel'ge Ruh;
Wer als solchen den Om-Laut kennt,
Ist ein Muni, kein anderer.
Zweiter
Teil,
genannt Vaitathyam,
"die Unwahrheit".
1. Alles, was wir im Traum sehen,
Ist unwahr, sagen Weise uns,
Weil alles dies nur inwendig,
Weil es in uns beschlossen liegt;
2. Auch weil die Zeit zu kurz wäre
Zum Besuch ferner Gegenden,
Und weil wir ja beim Aufwachen
Nicht sind in jenen Gegenden.
3. "Da sind nicht Wagen, nicht Straßen,"
Lehrt die Schrift (Brh.4,3,10)
und das Denken uns,
So ist des Träumens Unwahrheit
Erwiesen und auch offenbart.
4. Weil Vielheit hier nur inwendig,
Ist sie es auch im Wachen nur;
Hier wie dort ist nur Vorstellung,
In uns beschlossen, hier wie dort.
Lies: samvrtatve na bhidyate.
5. Des Träumens Zustand und Wachens
Als derselbe den Weisen gilt,
Denn gleich ist beiden die Vielheit, –
Aus diesem wohlerwiesnen Grund.
6. Was nicht vorher und nicht nachher,
Ist auch nicht in der Zwischenzeit;
Obwohl es unwahr ist, wird es
Für nicht unwahr doch angesehn.
S.584
7. Des Wachens Tun ist zweckmäßig,
Aber nicht, wenn wir träumen, mehr;
Drum, weil es anfängt und aufhört,
Kann auch es nur auf Trug beruhn.
8. Auch was am Traume neu, stammt nur
Aus dem Geist, und wenn Götter ihm
Erscheinen, schaut er sie so nur,
Wie er über sie ward belehrt.
9. Was er träumend im Geist bildet
Innerlich, das ist unreal,
Wiewohl sein Geist es griff draußen,
Als gesehn unwahr beides ist.
10. Was er wachend im Geist bildet
Innerlich, das ist unreal,
Wiewohl sein Geist es griff draußen,
Folgerecht unwahr beides ist.
11. Wenn nun beiderlei Vielheiten
Unwahr im Traum und Wachen sind,
Wer erkennt beide Vielheiten,
Wer stellt sie im Bewußtsein vor?
12. Durch Selbsttäuschung der Gott
Âtman
Stellt sein Selbst durch sich selber vor,
Erkennend beide Vielheiten, –
Feststeht dieser Vedântasatz.
13. Umwandelnd stellt er als andres
Vor, was nur im Bewußtsein ist,
Als draußen und als notwendig
Stellt in sich es der Âtman
vor.
14. Geist ist des Innern Zeitmesser,
Die Vielheit der des Äußeren,
Ihr Unterschied liegt nur hierin,
Als Vorstellung sind beide gleich.
15. Undeutlich ist die Welt drinnen
Deutlich die Welt, die draußen liegt;
Dem Sinnorgan nach verschieden,
Sind als Vorstellung beide gleich.
S.585
16. Die Seele stellt man vor erstlich,
Sodann der Dinge Sonderheit,
Der äußeren und der drinnen,
Wie man weiß, so erinnert man.
17. Wie ein Strick, nicht erkannt deutlich
Im Dunkeln, falsch wird vorgestellt
Als Schlange, als ein Strich Wassers,
So wird falsch vorgestellt das Selbst
(âtman).
18. Wie, wenn der Strick erkannt deutlich,
Und die falsche Vorstellung weicht,
Er nur Strick bleibt unzweiheitlich,
So, wenn deutlich erkannt, das Selbst.
19. Wenn er als Prâna's,
als alle
Die vielen Dinge uns erscheint,
So ist das alles nur Blendwerk (mâyâ),
Mit dem der Gott sich selbst betrügt.
20. Prâna-Kennern
ist er Prâna's (Vaisheshika's),
Elemente dem, der sie kennt
(Lokâyatika's),
Guna-Wissern
ist er Guna's
(Sânkhya's),
Tattva's
ist er dem, der sie kennt (Shaiva's).
21. Viertelwissern ist er Viertel
(Mândûkya-Up.),
Sinnlichkeitswissern Sinnlichkeit
(Vatsyâyana),
Den Weltraumwissern Welträume (Paurânika's),
Götter den Götterkundigen
(Veda-Anhängern).
22. Den Vedawissern
ist Veda's,
Den Opferwissern Opfer er,
Genießer denen, die diesen,
Genußobjekt, die dies verstehn.
28. Subtil für solche, die dieses,
Grob für solche, die dies verstehn,
Gestaltet denen, die dieses,
Ungestaltet, die dies verstehn.
24. Zeit ist er für die Zeitwisser,
Für Raumkenner ist er der Raum,
Künste ist er für Kunstkenner,
Weltschichten dem, der diese kennt.
S.586
25. Für Manas-Kenner
ist Manas,
Für Buddhi-Kenner
Buddhi er,
Geist ist er für die Geistwisser,
Recht und Unrecht dem, der sie kennt.
26. Fünfundzwanzigfach für diese
(Sânkhya's),
Jenen als sechsundzwanzigster
(Pâtanjala's),
Einunddreißigfach für andre
(Pâshupata's),
Unendlich gilt für viele er
(vgl. Cûlikâ 14).
27. Welten ist er dem Weltkenner,
Lebensstadien, dem der sie kennt,
Drei-Genushaft den Sprachlehrern,
Andern nied'res nnd höheres
(sc. Brahman).
28. Für Schöpfungswisser Weltschöpfung,
Für Vergangwisser Weltvergang,
Weltbestand für Bestandwisser, –
So ist alles er allerwärts.
29. Welches Sein man so andichtet
Dem Âtman,
dafür hält er sich,
Das hegt er und, zu ihm werdend,
Gibt er ihm sich als Dämon hin.
30. Er selbst ist alle Seinsformen,
Von denen er verschieden scheint, –
Wer dies weiß, wird sich vorstellen
Ohne Sehen, wie es wirklich ist.
31. Wie Traum nnd Blendwerk man ansieht,
Wie eine Wüstenspiegelung,
So sieht an dieses Weltganze,
Wer des Vedânta
kundig ist.
32. Kein Vergang ist und kein Werden,
Kein Gebundner, kein Wirkender,
Kein Erlösungsbedürftiger,
Kein Erlöster, der Wahrheit nach.
33. Als unreale Seinsformen
Und als Einer wird er gedacht,
Doch wer sie denkt, ist stets Einer,
Drum die Einheit den Sieg behält.
S.587
34. Nicht auf den Âtman
stützt Vielheit
Und auch nie auf sich selber sich,
Nicht neben ihm und nicht durch ihn
Kann bestehn sie, das ist gewiß.
35. Furcht, Zorn und Neigung ablegend,
Schaut zweiheitlos und wandellos
Der Weltausbreitung Aufhören
Der Muni,
der den Veda kennt.
36. Wer so erkannt der Welt Wesen,
Der halte an der Einheit treu;
Der Zweiheitlosigkeit sicher,
Geht er kalt an der Welt vorbei.
37. Von Preisen frei und Lobsingen,
Ja, auch ohne den Manenkult,
In allem, was da lebt, heimisch,
Lebt er so "wie es eben kommt" (Brh.3,5).
38. Das Wesen in sich selbst sehend,
Das Wesen in der Außenwelt,
Zu ihm werdend, in ihm ruhend,
Halt er treu an dem Wesen fest.
Dritter
Teil,
genannt Advaitam,
"die Zweiheitlosigkeit".
1. Verehrung das Gebot fordert
Des Brahman als
Gewordenen,
Eh' es ward, war es noch nicht da,
Drum armselig Verehrer sind.
2. Was nicht armselig, hört jetzo,
Ungeboren, gleich allerwärts,
Und warum nichts entsteht irgend,
Obwohl entstehend überall.
3. Der Âtman
gleicht dem Weltraume,
Der Jîva gleicht
dem Raum im Topf,
Die Töpfe sind die Leibstoffe,
Was "entstehn" heißt, dies Gleichnis
zeigt.
S.588
4. Wenn die Töpfe zugrund gehen,
Was wird dann aus dem Raum im Topf?
Er zergeht in dem Weltraume, –
So der Jîva
im Âtman anch.
6. Wie, wenn in einem Topfraume
Staub sich vorfindet oder Rauch,
Nicht alle Räume dies teilen,
So die Jîva's
nicht Lust and Leid.
6. Ja, Formen, Wirkungen, Namen
Sind verschieden nach ihrem Ort,
Doch der Raum, den sie einnehmen,
Ist sich gleich, – so die Jîva's
auch.
7. Wie der Topfraum vom Weltraume
Kein Produkt ist und anch kein Glied,
So ist der Jîva
vom Âtman
Kein Produkt, auch kein Glied von ihm.
8. So wie der Himmelsraum Kindern
[Obwohl farblos,] als blau erscheint,
So scheint behaftet mit Flecken
Unerfahrnen der Âtman
auch.
9. Was Sterben und Entstehn angeht,
Fortgehn und Wiederherkommen
Und alle Körper Durchsetzen, –
Ist dem Raume vergleichbar er.
10. Doch traumgleich alle Leibstoffe
Als Trug der Âtman
breitet aus;
Weder als gleich, noch als ungleich
An Rang lassen sie denken sich.
11. Als Seele (jîva)
in den fünf Hüllen,
So lehrt das Taittirîyakam
(Taitt.Up.2),
Der höchste Âtman
verstockt ist,
Er, den dem Raum verglichen wir.
12. Im Honigteile (Brh.2,5)
wird paarweis
Das höchste Brahman
aufgezeigt, –
Wie in der Erd' und im Leibe, –
Er, den dem Raum verglichen wir.
S.589
13. Wenn die Schrift Jîva
und Âtman
Durch Gleichsetzung für eins erklärt,
Verwerfend alles Vielheitsein,
So ist das wahr in vollem Sinn.
14. Doch wenn auch vor der Weltschöpfung
Sie beide auseinander hält (Chând.6,3,2),
So gilt das bildlich, nicht wörtlich,
Und nur von dem, was werden soll.
15. Und wenn sie überhaupt Schöpfung
Im Bild von Ton, Erz, Funken lehrt
(Chând.6,1,3.
Brh.2,1,20),
So dient dies nur als Lehrmittel
(vgl. 1,18),
Denn "nicht ist Vielheit irgendwie"
(vgl. Brh.4,4,19).
16. Schüler gibt es in drei Stufen,
Schwache, mittlere, treffliche;
Um ihrer willen, aus Mitleid
Verehrungsobjekt Brahman
wird.
17. Auf ihrer Sätze Standpunkt stehn
Zuversichtlich die Zweiheitler,
Doch widersprechen sie selbst sich,
Bei uns fehlt dieser Widerspruch.
18. In Wahrheit ist die Unzweiheit,
Zweiheit nur in der Spaltungswelt;
Sie lehren beiderseits Zweiheit,
Bei uns fehlt solcher Widerspruch.
19. Als Blendwerk nur besteht Spaltung
Jenes Einzigen, Ewigen,
Denn wäre Spaltung in Wahrheit,
Sterblich würde, was ewig ist.
20. Vom ungewordnen Sein nehmen
Jene Lehrer ein Werden an, –
Was ungeboren, unsterblich,
Wie könnte sterblich werden das!
21. Was unsterblich, kann nicht sterblich,
Was sterblich, nicht unsterblich sein,
Kein Ding kann anders sein jemals,
Als es seiner Natur nach ist.
S.590
22. Wenn ein unsterbliches Dasein
Überginge in Sterblichsein,
Nur scheinbar wär' es unsterblich,
Wo bliebe seine Ewigkeit?
23. Von Wahrheit oder Schein redend,
Stets von der Schöpfung Gleiches
lehrt
Die Schrift, sicher und grundhabend,
Ist's, wie sie sagt, und anders nicht.
24. "Nicht ist hier Vielheit" so heißt
es (Brh.4,4,19),
"Durch Blendwerk vielfach Indrâ
geht" (Brh.2,5,19),
"Als ungeboren wird vielfach"
(Vâj.Samh.31,19)
Durch Blendwerk nur geboren er.
25. Durch Bestreitung der Sambhûti
(Îshâ 12)
Wird ein Entstehen abgewehrt;
"Wer könnte ihn hervorbringen?"
Dies Wort (Brh.3,9,28)
zeigt ihn als ursachlos.
26. Das Wort: "er ist nicht so, nicht
so" (Brh.4,2,4),
Absprechend alles Sagbare,
Kann, wie die Unerkennbarkeit
Zeigt, auf Ihn sich beziehen nur.
27. Das Seiende kann nicht werden,
Es wäre denn durch Blendwerk nur;
Wer es in Wahrheit läßt werden,
Läßt werden, was schon war
vorher.
28. Nicht in Wahrheit, noch als Blendwerk
Kann je entstehn Nichtseiendes;
Ein Sohn der Unfruchtbaren wird
Nicht in Wirklichkeit, noch im Schein.
29. Wie im Traume der Geist regt sich,
Als viel scheinend durch Täuschung
nur,
So im Wachen der Geist regt sich,
Als viel scheinend durch Täuschung
nur.
30. Als viel erscheint, der nur eins ist,
Im Traum der Geist, – das ist ja klar;
Als viel erscheint, der nur eins ist,
Der wache Geist, – auch das ist klar.
S.591
S.592
40. Der Geist muß unterdrückt werden,
Damit zuteil dem Yogin
wird
Das Furchtlose, das Schmerzlose,
Die Erweckung, die ew'ge Ruh.
41. Wie wenn zerfließt im Weltmeere
1
Der Tropfen, der am Grashalm hing,
So des Geistes Unterdrückung
Erfolgt ohne Beschwerlichkeit.
1
Vielleicht ist udadhau zu lesen. Zur
Auffassung des Scholiasten kann ich mich nicht entschließen.
42. Man unterdrücke methodisch
Den Geist, den Wunsch und Lust zerstreut,
Ganz ruhig wird er dann schwinden,
Sein Schwinden ist wie Liebeslust.
43. Man weiß, daß alles voll
Schmerzen,
Und wendet sich von Wunsch und Lust;
Man weiß, daß alles nur Brahman,
Und sieht nicht das Gewordne mehr.
44. Weckt den Geist, will er nichts werden
(einschlafen),
Sammelt ihn, will er sich zerstreun;
Beides wisse man als sündhaft;
Ward er brahmangleich,
stört ihn nicht!
45. Freilich schmeckt er dann nicht Lust
mehr,
Keiner Begierde sich bewußt;
Sein Denken, ungestört wirkend,
Strebe eifrig zur Einheit hin.
46. Wenn dann weder im Schlaf schwindet
Der Geist, noch auch Zerstreuung sucht,
Dann tritt hervor er als Brahman,
Regungslos und vom Scheine frei.
47. Als frei, beruhigt und leidlos,
Als unaussprechlich
höchste Lust,
Als ewig, ewigen Objekts
Allbewußt, schildern Kenner es.
S.593
48. Keine Seele entsteht jemals,
Kein Entstehn ist der ganzen Welt,
Das ist die höchste Heilswahrheit,
Daß es nirgend ein Werden gibt!
Vierter
Teil,
genannt Alâtashânti,
"die Beilegnng des Fenerbrandes".
D.h. wohl: "die Widerlegung
des (scheinbaren, durch Umschwingung des Feuerbrandes entstehenden) Funkenkreises".
1. Der wie Wolken im Weltraume
Die Vielheiten im Einen weiß,
Das Subjekt und zugleich Objekt
Ist, – ihn ehr' ich, den Purusha!
2. Den wir als Ungefühl-Yoga,
Allem Seienden freund und gut,
Widerspruchlos, unanfechtbar,
Aufgezeigt (3,39), – ihm Verehrung sei!
3. "Ein Werden ist nur des, was ist",
So sagen manche Denker uns; –
"Nein! des, was nicht ist", so andre,
Gegenseitig in Widerspruch.
4. "Was ist, das kann doch nicht werden!"
–
"Was nicht ist, kann auch werden nicht!"
–
So streitend, für das Nichtwerden,
Gleich Nichtzweiheitlern, zeugen sie.
5. Uns freut, wenn sie dadurch zeigen,
Daß ein Werden unmöglich ist;
–
Daß wir uns nicht, wie sie alle,.
Widersprechen, das höret jetzt.
6. Des Ungewordenen Werden
Nehmen jene Behaupter an,
Doch, was nicht ward, was unsterblich,
Wie könnte sterblich werden das?
S.594
7. Was unsterblich, kann nicht sterblich,
Was sterblich, nicht unsterblich sein,
Sein Ding kann anders sein jemals,
Als es seiner Natur nach ist (= 3,21).
8. Wenn ein unsterbliches Wesen
Überginge in Sterblichsein,
Nur scheinbar war' es unsterblich,
Wo bliebe seine Ewigkeit (= 3,22)?
9. Wesenseigen, bestandbildend,
Angeboren und ungemacht,
Das eigne Sein nie aufgebend, –
So ist, was "die Natur" (prakrti)
man nennt.
10. Ungeboren und unsterbend
Sind Selbstheiten (dharma)
dem Wesen nach;
Der ist der Selbstheit unkundig,
Der sie entstehn und sterben läßt.
11. Für wen die Ursach wird Wirkung,
Der läßt werden die Ursache,
–
Wie kann, was ewig ist, werden?
Wie, was eigen ist, trennen sich?
12. Wird die Ursache selbst Wirkung,
Dann ist ewig die Wirkung schon,
Und doch wird sie! und ihr Werden
Läßt die Ursach verloren gehn!
13. Neinl Wer das Ew'ge läßt
Werden,
Dem steht keine Erfahrung bei; .
Und wer Gewordnes läßt werden,
Verfällt in ewigen Regreß!
14. Wenn ein Erfolg des Grunds Ursprung,
Und der Grund Ursprung des Erfolgs,
Dann wären anfanglos beide,
Grund und Erfolg, wie kann das sein?
15. Wenn ein Erfolg des Grunds Ursprung,
Und der Grund Ursprung des Erfolgs,
Dann ist wohl das Entstehn beider,
Wie wenn der Sohn den Vater zeugt?
S.595
16. Grund und Erfolg, wenn entstanden,
Erheischen Reihenfolge doch;
Denn entstehen sie gleichzeitig,
Wie zwei Hörner, so fehlt das Band.
17. Daß aus Erfolgen entspränge
Der Grund selbst, ist beweisbar nicht,
Und ist der Grund unbeweisbar,
Wie kann er wirken den Erfolg?.
18. Wenn aus Erfolg der Grund folgte
Und aus dem Grunde der Erfolg,
Welcher von beiden ist früher,
Und sein Folgen nur relativ?
19. So legt Unmöglichkeit (4,14),
Unsinn (4,15)
Und Verwirrung der Zeitordnung (4,16–18),
In die die Gegner stets fallen,
Für das Nichtwerden Zeugnis ab.
20. Der Fall von Samen und Pflanze
Ist nur scheinbar beweisend hier 1;
Was aber nur beweist scheinbar,
Ist zum Beweisen tauglich nicht.
1
Das Verhältnis zwischen Same und Pflanze muß entweder einen
Anfang haben oder anfanglos sein; beides aber ist unmöglich. Es hat
keinen Anfang: denn jede Pflanze setzt immer schon den Samen, jeder Same
wiederum die Pflanze voraus. Es kann auch nicht anfanglos sein: denn jede
Pflanze, jeder Same ist in der Zeit entstanden, hat also einen Anfang.
Oder sollen alle Glieder zeitlich, und nur ihr Verhältnis anfanglos
sein? Auch das ist unmöglich; na hi vîja-ankura-vyatirekena
vîja-ankura-samtatir nâma ekâ abhyupagamyate;
denn das Verhältnis ist nur das Band zwischen den Gliedern, setzt
also diese schon voraus und ist ohne dieselben nichts (nach Shankara).
21. Der Widersinn der Zeitfolge (4,15)
Bestätigt das Nichtwerden nur;
Da Werdendes zurückweisen
Sicher würde auf Früheres.
22. Nicht aus sich selbst, noch aus anderm
Kann ein Wesen entstehen je;
Nicht als seiend, noch nichtseiend,
Noch als beides, kann es entstehn.
S.596
23. Grund und Erfolg, wenn anfanglos,
Schließen das Werden von sich aus;
Wofür es gibt keinen Anfang,
Dafür gibt keinen Anfang es.
24. Wahrnehmung müsse Grund haben,
Weil unmöglich ihr Wechseln sonst,
Auch sei von uns unabhängig
Schmerz und Wahrnehmung, – meinen sie.
25. Wahrnehmung müsse Grund haben,
So beweisen sie künstlich uns, –
Doch daß der Grund keinen Grund
hat,
Das lehrt Wesensbetrachtung uns.
26. Der Geist berührt nicht Objekte
Und auch nicht der Objekte Schein;
Wenn unreal die Objekte,
Ist's auch, vom Geist getrennt, ihr Schein.
27. Auch nicht, in den drei Zeitläuften,
Berührt je ein Objekt den Geist;
Grundloser Schein noch viel wen'ger;
Wie könnte werden der zum Grund!
28. Darum ist nirgend ein Werden,
Im Subjekt nicht, im Objekt nicht;
Wer eins von beiden läßt werden,
Der wandelt in den Wolken nur.
29. Weil sonst das Ewige würde,
Ist unwerdend die Wesenheit;
Kein Ding kann anders sein jemals,
Als es seiner Natur nach ist (= 3,21.
4,7).
30. War' anfanglos der Samsâra,
So könnte er nicht endlich sein;
Wär' die Erlösung anfangend,
Sie könnte nicht unendlich sein.
31. Was nicht vorher und nicht nachher,
Ist auch nicht in der Zwischenzeit;
Obwohl es unwahr ist, wird es
Für nicht unwahr doch angesehn (=
2,6).
S.597
32. Des Wachens Tun ist zweckmäßig,
Aber nicht, wenn wir träumen, mehr;
Drum, weil es anfängt und aufhört,
Kann auch es nur auf Trug beruhn (= 2,7).
33. Was im Traume wir wahrnehmen,
Ist irrig, weil im Körper nur;
Wie ließen Dinge sich schauen
In diesem eingeschlossnen Raum?
34. Auch ist die Zeit nicht hinreichend,
Hinzugehen, um sie zu sehn;
Auch finden wir beim Aufwachen
Uns nicht da, wo wir sie gesehn (vgl.
2,2).
35. Und was mit andern man absprach,
Besteht nicht mehr, wenn man erwacht;
Und was im Traume man faßte,
Hält man, erwacht, in Händen
nicht.
36. Auch was wir von dem Leib träumen,
Ist unwahr und nicht wie es ist; –
Unwahr wie dieses, ist alles,
Was der Geist nimmt im Wachen wahr.
37. Was wir, wie wachend, wahrnehmen
Im Traum, hat seinen Grund in uns;
So hat in uns seinen Grund auch,
Was wir im Wachen nehmen wahr.
38. Unbegreiflich ist Entstehung;
Alles als ewig lehrt die Schrift;
Nimmermehr kann hervorgehen
Aus Seiendem Nichtseiendes (Werdendes).
39. Nichtseiendes sehn wir wachend;
Das Traumbild ist aus gleichem Stoff:
Nichtseiendes sehn wir träumend;
Wenn wir erwachen, ist es nichts.
40. Nichtsein gebiert doch nicht Nichtsein,
Nichtsein gebiert auch nicht das Sein;
Und auch das Sein gebiert Sein nicht;
Sein kann Nichtsein gebären nicht.
S.598
41. Wie man im Wachen aus Irrtum
Unmögliches als seiend faßt,
So auch im Traume aus Irrtum
Sieht man Wesen erscheinen sich.
42. Aus Wahrnehmung und Herkommen
Halten am Realismus sie;
Was sie kennen ist nur Werden,
Zurückschreckend von dem, was ist.
43. Manche, vom Sein zurückschreckend,
Wenn auch nicht bloße Wahrnehmler,
Des Werdens Mängel nicht meiden;
Mängel bleiben es, wenn auch klein.
Die Anhänger des (religiösen)
Herkommens (samâcâra),
welche das Seiende in der Form des Werdens, die Wahrheit im Gewande des
Mythus besitzen. – Bemerkenswert ist die Zurückhaltung, mit der sie
hier getadelt werden.
44. Durch Wahrnehmung, durch Herkommen
Heißt auch ein Blendwerk Elefant;
Durch Wahrnehmung, durch Herkommen
Heißt auch das Ding ein seiendes.
45. Werden ist Schein, Bewegung Schein,
Das Dingliche ist bloßer Schein;
Nichtwerdend, unbewegt, dinglos,
Still, zweiheitlos die Wahrheit ist.
46. So ist kein Werden im Subjekt,
Im Objekte kein Werden ist;
Wer dieses hat erkannt einmal,
Fällt nicht zurück ins Gegenteil.
47. Wie Funkenschwingung den Schein gibt
Grader und krummer Linien,
So den Schein Bewußtseinsschwingung
Von Auffassen und Auffasser.
48. Wie ungeschwungen der Funke
Nicht erscheint, nicht entsteht (als Kreis),
So Bewußtsein ungeschwungen
Erscheint nicht und entsteht auch nicht.
S.599
49. Schwingt der Funke, so kommt der Schein
Nicht von außen her irgendwie,
Nicht von anderm als dem Schwingen,
Nicht ist Zuwachs dem Funken er.
50. Auch nicht entflieht er dem Funken,
Weil er nicht hat ein Wirklichsein,
Ebenso ist's beim Erkennen,
Denn auch dieses ist bloßer Schein.
51. Schwingt Erkenntnis, so kommt der
Schein
Nicht von außen her irgendwie,
Nicht von anderm als dem Schwingen,
Nicht ist Bewußtseinszuwachs er.
52. Nicht entflieht er dem Bewußtsein,
Weil er nicht hat ein Wirklichsein;
Weil Verursachtsein unwirklich,
Ist als wirklich undenkbar er.
53. Ein Ding, so meint man, sei Ursach
Des Daseins für ein andres Ding,
Doch für die Wesenheit gibt es
Kein Dingsein und kein Anderssein.
54. Weder aus Geist entspringt Dasein,
Noch aus Dasein entspringt der Geist;
Drum nehmen Weise kein Werden
Des Grunds oder Erfolges an.
55. Wer noch Grund und Erfolg annimmt,
Dem entstehn aus einander sie;
Wer frei von dieser Annahme,
Für den entstehen sie nicht mehr.
56. Wer noch Grund und Erfolg annimmt,
Für den streckt der Samsâra
sich;
Wer frei von dieser Annahme,
Der ist auch vom Samsâra
frei.
57. Wer geistumnachtet, sieht werdend
Alles, ein Ew'ges kennt er nicht;
In Wahrheit alles ist ewig,
Vernichtetwerden gibt es nicht.
S.600
58. Die Wesenheiten, die werden,
Die werden nicht in Wirklichkeit;
Ihr Entstehen ist nur Blendwerk,
Und Blendwerk ist nicht Wirklichkeit.
59. Wie, wo der Same nur Blendwerk,
Auch die Pflanze ein solches ist,
Nicht wesenhaft noch austilgbar,
So steht's mit allen Dingen hier.
60. Da alle Dinge nicht wirklich,
Gibt nicht Dauer es noch Vergang;
Wo alle Farben wegfallen,
Ist keine Unterscheidbarkeit.
61. Wie in des Traumes Scheinvielheit
Der Geist irrtümlich ist verstrickt,
So in des Wachens Scheinvielheit
Ist irrtümlich der Geist verstrickt.
62. Wie träumend eine Schein-Vielheit
Erblickt der vielheitlose Geist,
So wachend eine Schein-Vielheit
Erblickt der vielheitlose Geist.
63. Was man, im Traum umherschweifend
In allen Himmelsgegenden,
An Tieren, Vögeln, Insekten
Nur immer wahrzunehmen meint,
64. Das besteht nirgendwo anders
Als im Geiste des Träumenden;
Drum alles, was er dann sieht, ist
Nur Bewußtsein des Träumenden.
65. Was man, wachend umherschweifend
In allen Himmelsgegenden,
An Tieren, Vögeln, Insekten
Nur immer wahrzunehmen meint,
66. Das besteht nirgendwo anders
Als im Geiste des Wachenden;
Drum alles, was er dann sieht, ist
Nur Bewußtsein des Wachenden.
S.601
67. Das Ding und seine Vorstellung
Bedingen gegenseitig sich;
Bestandlos ist für sich jedes,
Nur im Bewußtsein stehn sie da.
68. Wie wir von einem bloß träumen,
Daß er geboren wird, und stirbt,
So sind all diese Weltwesen
Wirklich und doch auch wirklich nicht.
69. Wie wir im Wahngebild schauen,
Daß einer lebt und wieder stirbt,
So sind all diese Weltwesen
Wirklich und doch auch wirklich nicht.
70. Wie Zauberkunst uns läßt
schauen,
Daß einer lebt und wieder stirbt,
So sind all diese Weltwesen
Wirklich und doch auch wirklich nicht.
71. Keine Seele entsteht jemals,
Kein Entstehn ist der ganzen Welt;
Das ist die höchste Heilswahrheit,
Daß es nirgend ein Werden gibt (=
3,48).
72. Was zweifach als Subjekt-Objekt
Scheint, ist Bewußtseinsschwingung
nur (4,47);
Der Geist ist ewig objektlos,
"An ihm haftet nichts", lehrt die Schrift
(Brh.4,3,15).
73. Wie es künstlich durch Annahme
(3,15),
So ist es nicht in Wirklichkeit;
Was andre Schulen annehmen,
Ist für sie, nicht in Wirklichkeit.
74. Was als ewig sie annehmen
Künstlich, ist wirklich ewig nicht;
Das Resultat andrer Schulen
Zeigt als Irrtum und werdend es.
75. An das, was nicht ist, Anpassung
Beweist nicht, daß es Zweiheit gibt;
Ist ihr Nichtsein erkannt, dann fällt
Die Anpassung als zwecklos weg.
S.602
76. Wenn man nicht annimmt Ursachen
In allen Reichen der Natur,
So auch nicht ihre Vorstellung;
Mit der Ursach' die Wirkung fällt.
77. Geist ist grundlos; das Nichtwerden,
Zweiheitlos, ist ihm eigen stets;
Geisterscheinung nur ist Zweiheit
Des Ewigen, das alles ist.
78. Grundlosigkeit als wahr wissend,
Verwerfend Einzel-Ursachen,
Gelangt man zu dem furchtlosen,
Wunschlosen, kummerlosen Ort.
79. Sich anpassend dem, was nicht ist,
Bleibt in solches verstrickt der Geist;
Der Dinge Nichts erkannt habend,
Kehrt er zum Anhaftlosen (4,72) sich.
80. Wer dies ergreift und nicht läßt
mehr,
Des Stand bleibt unbeweglich dann;
Der.Weisen Ziel ist dies ew'ge
Zweiheitlose Identischsein.
81. Das schlummerlose, traumlose
Ew'ge ist dann sich selber Licht
(Brh.4,3,14.
Kath.5,15);
"Für immer licht" (Chând.8,4,1)
ist dies Wesen,
Ist diese Wesenheit an sich.
82. Gar leicht verbirgt er uns immer,
Gar schwer enthüllt sein Wesen er,
Solang wir einzeln auffassen
Die Dinge, – er, der heilige.
83. "Er ist!" "Ist nicht!" "Ist und ist
nicht!"
"Er ist nicht nicht!" so denkend ihn
Unstät, stät 1,
zwiefach, neinsagend,
Verbirgt sein Wesen sich der Tor.
1
Man erwartet: "stät (er ist), unstät (ist nicht)".
84. Durch dieser vier Gesichtspunkte
Verfolgung bleibt verborgen stets
S.603
Der Heil'ge, unberührt durch sie,
–
Doch allschauend ist, wer ihn schaut.
85. Wer voll besitzt die Allschauung,
Den zweiheitlosen Brahman-Ort,
An dem nicht Anfang, Mitt', Ende,
Dem bleibt nichts zu erstreben mehr.
86. Das heißt echte Gemütsruhe,
Das ist die wahre Priesterzucht,
Das ist der Selbstnatur Zähmung,
Wer sie kennt, geht zur Ruhe ein.
87. Wahrnehmunghaft und objekthaft
Ist die zweithafte Weltlichkeit (Wachen);
Wahrnehmunghaft und objektlos
Ist geläuterte Weltlichkeit (Traum).
88. Wahrnehmunglos und objektlos,
Das heißt die Überweltlichkeit;
Ihr Subjekt ist zugleich Objekt,
So lehrten Weise aller Zeit.
89. Subjekt und die drei Objekte (4,87–88)
Stufenweis als in sich erkannt, –
Daraus entsteht die Allschauung,
Allerwärts des Hochsinnigen.
90. Erst frage man: was soll werden
Geflohn, erkannt, erlangt und reif?
Für's Erkennen gilt Wahrnehmung,
Und so auch für die andern drei,
91. Alle Wesen sind ursprünglich
Unbegrenzt und dem Baume gleich (3,3 fg.),
Und nicht ist irgendwo Vielheit
Unter ihnen, in keinem Sinn.
92. Alle Wesen sind ursprünglich
Urerweckte (âdibuddha),
das ist gewiß; –
Wer dieses sich genug sein läßt,
Der ist reif zur Unsterblichkeit.
93. Sie alle sind auch ursprünglich
Urberuhigt, voll Seligkeit;
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Sich gleich alle und unteilbar,
Ew'ge, reine Identität.
94. Doch diese Reinheit ist nicht mehr,
Wenn sie vielfach zersplittern sich;
Vielheitversunken, zwiespältig
Heißen darum armselig (3,1) sie.
95. Doch wem hier zur Gewißheit
ward
Die ewige Identität,
Der weiß in dieser Welt Großes,
Die Welt aber versteht es nicht.
96. Wissen des Ew'gen ist ewig
Auch, mit nichts sonst befassend sich;
Als nichtbefassend sich, heißt dies
Wissen das inanhaftende (4,72. 79).
97. Doch wo die kleinste Ungleichheit
Für wahr hält der unweise Geist,
Da ist weder Nichtanhaftung
Noch Weichen der Verdunkelung.
98. Alle Seelen sind ursprünglich
Frei vom Dunkel und fleckenlos,
Urerweckt schon und urerlöst
Erwachen sie, der Meister spricht.
99. Wie die Sonne durch sich leuchtet,
So Wissen ohne Dinge auch;
Alle Dinge sind nur Wissen, –
Unsagbar dem Erweckten selbst.
100. Die dunkle, überaus tiefe,
Ew'ge, reine Identität,
Der Einheit Stätte nach Kräften
Erkannt habend, verehren wir!
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Hans Zimmermann,
Görlitz : 12
KÖRBE: Quellentexte in zwölf Sprachen : Mândûkya-Upanishad