— 263 —
Was wir aber als die Volksepen der
Inder kennen — Mahâbhârata und
Râmâyana — sind nicht die
alten Heldenlieder, wie sie jene Hofbarden und jene fahrenden Spielleute
Altindiens gesungen haben, von großen Dichtern oder wenigstens von
geschickten, dichterisch begabten Sammlern zu einheitlichen Dichtungen
verarbeitet, sondern es sind Ansammlungen sehr verschiedenartiger und ungleichwertiger
Gedichte, die im Laufe von Jahrhunderten durch fortwährende Einschiebungen
und Änderungen entstanden sind. Alte Heldenlieder bilden zwar den
Kern der beiden Werke, aber im großen Umfange ist auch die mehr religiöse
Itihâsalitteratur in sie aufgenommen
worden, und durch die Einfügung umfangreicher, religiös belehrender
Stücke hat namentlich das Mahâbhârata
den Charakter eines Epos fast ganz eingebüßt.
Was
ist das Mahâbhârata? 1)
1) Zur Orientierung
über den Inhalt des Epos dient am besten H. Jacobi, Mahâbhârata,
Inhaltsangabe, Index und Konkordanz der Kalkuttaer und Bombayer Ausgaben.
Bonn 1903. Über die Probleme des Mahâbhârata
orientiert am besten E.W.Hopkins, The Great Epic of India, its Character
and Origin. New York 1901. Eine reiche Materialiensammlung — leider zu
wenig übersichtlich — enthält A.Holtzmann, Das Mahâbhârata
und seine Teile. In 4 Bänden. Kiel 1892—95. Der Wert dieses
großen Werkes ist durch die unhaltbaren Theorien des Verfassers über
die Umarbeitungen des Mahâbhârata wesentlich
beeinträchtigt. Unhaltbar sind auch die entgegengesetzten Theorien
über die einheitliche Entstehung des Epos, welche Joseph Dahlmann
in den Büchern »Das Mahâbhârata
als Epos und Rechtsbuch», Berlin 1895, »Genesis des
Mahâbhârata», Berlin 1899,
und »Die Sâmkhya-Philosophie als
Naturlehre und Erlösungslehre, nach dem Mahâbhârata»,
Berlin 1902, vertreten hat. Das erste dieser Bücher hat aber das große
Verdienst, die epischen Studien neu belebt zu haben; es hat zu einer förmlichen
»Dahlmann-Litteratur» Anlaß gegeben. Vgl.H.Jacobi in
Götting.Gel.Anz 1896 Nr.1 und 1899 Nr.11; A.Ludwig in Sitzungsber.der
kgl.böhmischen Ges.der Wiss., Cl.f.Phil., Prag 1896; A. Barth im Journal
des savants, avril, juin, juillet 1897 und Revue de l'histoire des religions,
t 45, 1902, S.191 ff.; M.Winternitz im JRAS 1897, S.713ff. und WZKM
XIV, 1900, S.53 ff; E.W.Hopkins im
— 264
—
American Journal of
Philology, 1898, XIX, Nr.1; W.Cartellieri in WZKM XIII, 1899, S.57 ff.;
J.Kirste im Ind.Ant.XXXI, 1902, S.5 ff. Aus der älteren Litteratur
über das Mahâbhârata (sie
ist zusammengestellt bei Holtzmann a.a.O. IV, S.165 ff.) verdienen noch
hervorgehoben zu werden: Monier Williams, Indian Wisdom, 4.Aufl., London
1893; Sören Sörensen, Om Mahâbhârata's
stilling i den Indiske literatur (mit einem »Summarium« in
lateinischer Sprache), Kopenhagen 1893; A.Ludwig, Über das Râmâyana
und die Beziehungen desselben zum Mahâbhârata
(II.Jahresbericht des wiss.Vereins f.Volkskunde und Linguistik in
Prag 1894).
In der Tat kann man nur in einem
sehr beschränkten Sinne vom Mahâbhârata
als einem »Epos« und einem »Gedicht« sprechen.
Ja, in gewissem Sinne ist das Mahâbhârata
überhaupt nicht e i n
— 264 —
dichterisches Erzeugnis, sondern
vielmehr — eine ganze Litteratur.
Mahâbhârata
1) bedeutet »die
Erzählung von dem großen Kampf der Bharatas«.
Die Bharatas werden bereits im Rgveda
als ein kriegerischer Volksstamm erwähnt, und Bharata,
der Sohn des Duhshanta und der Shakuntalâ,
der als Ahnherr des Fürstengeschlechts der Bharatas
gilt, begegnet uns schon in den Brâhmanas.
Die Wohnsitze dieser Bharatas oder Bharatas
waren das Land am oberen Ganges und an der Jamnâ.
Unter den Nachkommen des Bharata ragte ein
Herrscher namens Kuru hervor, und dessen Nachkommen,
die Kauravas (Kuruiden, Kuruinge) waren so
lange das Herrschergeschlecht der Bharatas,
daß der Name Kuru oder Kaurava
sich im Laufe der Zeit auch als Bezeichnung für den Volksstamm
der Bharatas einbürgerte, und ihr Land
ist das uns bereits aus dem Yajurveda und
den Brâhmanas bekannte Kurukshetra
oder »Kuruland« 2).
Durch einen Familienzwist in dem Fürstenhause der Kauravas
kommt es zu einem blutigen Kampfe, einem wahren Vernichtungskampfe,
in welchem das alte Kurugeschlecht und damit
die Familie der Bharatas fast ganz zugrunde
geht. Die Geschichte dieses blutigen Kampfes — in dem wir wohl ein geschichtliches
Ereignis sehen dürfen, obgleich wir von demselben nur aus dem Mahâbhârata
Kunde haben — wurde in Liedern besungen, und irgend ein großer
Dichter, dessen Name verschollen ist, hat diese Lieder
1) Bhârâta
bedeutet »Kampf der Bharatas«
(bhâratah samgrâmah,
Pânini IV,2,56). Im Mahâbhârata
selbst finden wir mahâbhârata-yuddha
(XIV, 81,8) »die große Bharataschlacht«,
und mahâbhârata-khyânam
(I,62,39) »die Erzählung von der großen Bharataschlacht«,
von welch letzterem der Titel »Mahâbhârata«
eine Abkürzung ist
2) S.oben S.170.
— 265 —
zu einem Heldengedicht von der großen
Schlacht im Kurufelde vereinigt. So bildet,
wie in der Ilias und wie im Nibelungenliede, die Tragik eines furchtbaren
Vernichtungskampfes den eigentlichen Gegenstand der Heldendichtung. Dieses
alte Heldengedicht bildet den Kern des Mahâbhârata.
Um diesen Kern herum hat sich aber
im Laufe von Jahrhunderten eine Unmasse der verschiedenartigsten Dichtungen
angesammelt. Zunächst wurden zahlreiche Sagen, welche mit dem alten
Heldengedicht in mehr oder weniger losem Zusammenhang stehen — Sagen, die
sich auf die Vorgeschichte der Helden beziehen oder von allerlei Abenteuern
derselben berichten, ohne daß sie zu dem großen Kampf irgend
einen Bezug haben — in das Gedicht aufgenommen. Aber auch Bruchstücke
anderer Heldensagen und Sagenzyklen, die sich auf irgendwelche berühmte
Könige und Helden der Vorzeit beziehen, fanden in das Gedicht Eingang,
wenn sie auch mit dem Liede von der großen Kuruschlacht
gar nichts zu tun hatten. Was von dieser alten Bardendichtung bereits dem
ursprünglichen Gedicht als Nebenhandlungen (Episoden) angehörte
und was erst später hinzugefügt wurde, wird sich schwerlich jemals
entscheiden lassen. Jedenfalls ist unser Mahâbhârata
nicht bloß das Heldengedicht vom Kampfe der Bhâratas,
sondern zugleich auch ein Repertorium der alten Bardendichtung überhaupt.
Es ist aber noch viel, viel mehr.
Wir wissen, daß die litterarische Tätigkeit im alten Indien
zumeist in den Händen der Priester, der Brahmanen, lag; und wir haben
ja gesehen, wie sie die alten, volkstümlichen Zauberlieder des Atharvaveda
brahmanisiert, und wie sie die dem Priestertum eigentlich fremde,
ja feindliche Philosophie der Upanishads mit
ihrer Priesterweisheit vermengt haben 1). Je beliebter
und volkstümlicher aber nun die Heldenlieder wurden, desto mehr mußte
den Brahmanen daran gelegen sein, sich auch dieser epischen Dichtung zu
bemächtigen; und sie verstanden es, diese ihrem ganzen Wesen nach
ursprünglich rein weltliche Poesie mit ihren eigenen religiösen
Dichtungen und mit theologisch-priesterlichem Wissenskram zu vermengen.
So kommt es, daß auch Göttersagen, mythologische
Erzählungen brahmanischen Ursprungs,
1) Vgl. oben S.107
und 201 ff.
— 266 —
aber auch im großen Umfange
lehrhafte Stücke, auf brahmanische Philosophie und Sittenlehre und
brahmanisches Recht bezüglich, in das Mahâbhârata
Aufnahme fanden. Für diese Priesterkaste war gerade das volkstümliche
Epos ein willkommenes Mittel, um ihre eigenen Lehren zu verbreiten und
so ihre Macht und ihren Einfluß zu verstärken und zu befestigen.
Sie waren es, welche alle die zahlreichen Sagen und Legenden (Itihâsas)
in das Epos einfügten, in denen von den berühmten Sehern der
Vorzeit, den Rshis, den Urvätern
der Brahmanen, Wunder erzählt werden — wie sie durch Opfer und Askese
ungeheure Macht nicht nur über die Menschen, sondern selbst über
die Götter erlangen, und wie sie, wenn sie gekränkt werden, durch
ihren Fluch Fürsten und Große, ja selbst Götterkönige
zu Falle bringen.
Das Mahâbhârata
war aber zu sehr ein Volksbuch, zu sehr Eigentum weiterer Volkskreisc,
insbesondere der Kriegerkaste, als daß es je hätte ein eigentlich
brahmanisches Werk oder das Eigentum irgendeiner vedischen Schule werden
können. Es waren auch nicht so sehr die vedakundigen
und gelehrten Brahmanen, welche sich an dem Ausbau des Mahâbhârata
beteiligten — daher die auffällig geringe Kenntnis der eigentlich
brahmanischen Theologie und Opferwissenschaft, die wir selbst in jenen
Teilen des Epos finden, in denen brahmanischer Einfluß unverkennbar
ist — als die Purohitas, die Priester, welche
ebenso wie die Sûtas (Barden) im Dienste
der Könige standen und schon dadurch mit der epischen Dichtung mehr
in Berührung kamen. Diese weniger gelehrte Priesterklasse war es auch,
welche später als Tempelpriester an berühmten zumeist den Göttern
Vishnu oder Shiva
geweihten Kultstätten und Wallfahrtsorten den Dienst versah
und sich litterarisch mit der Pflege der Lokalsagen, die sich an solche
heilige Orte knüpften, sowie mit den auf die Götter Vishnu
und Shiva
bezüglichen Legenden beschäftigte. Das geschah, wie wir sehen
werden, hauptsächlich in den Purânas,
aber auch im Mahâbhârata, in welches
zahlreiche ganz im Stile der Purânas
gehaltene Lokalsagen, Vishnu-
und Shivamythen, sowie purânaartige
Kosmologien, geographische Listen und Genealogien Eingang gefunden haben.
Da aber die epische
Dichtung mehr in jenen Gegenden
— 267 —
Indiens gepflegt wurde, wo die Verehrung
des Vishnu als höchster Gottheit
verbreitet war, ist.es erklärlich, daß in den religiöslehrhaften
Teilen des Mahâbhârata dieser
Gott so sehr im Vordergrunde steht, daß das Werk zuweilen den Eindruck
eines der Vishnuverehrung gewidmeten
Erbauungsbuches macht. Daneben fehlt es freilich auch nicht an Shivalegenden
und dem Shivakult gewidmeten Einlagen, welche
aber überall leicht als späte Zusätze erkennbar sind. Sie
wurden eingefügt, als das Epos sich auch über Gegenden, wo die
Shivaverehrung zu Hause war, verbreitete 1).
Aber noch andere geistliche Kreise
gab es in Indien, welche schon in alter Zeit eine litterarische Tätigkeit
entfalteten und zum Teil noch mehr als die Brahmanen die großen Massen
des Volkes für sich zu gewinnen suchten. Das waren die Asketen, Waldeinsiedler
und Bettelmönche, die Begründer von Sekten und Mönchsorden,
welche zur Zeit des Buddha in Indien bereits
sehr zahlreich waren. Auch diese hatten ihre eigenen Dichtungen: Heiligenlegenden,
Weisheitssprüche, in denen sie ihre Lehren von Entsagung und Weltverachtung,
von Selbstaufopferung und Liebe zu allen Wesen predigten, aber auch Fabeln,
Parabeln, Märchen und moralische Erzählungen, welche die Weisheits-
und Sittenlehren der Asketen durch Beispiele erläutern sollten. Auch
diese Asketendichtung ist in ziemlich großem Umfange in das Mahâbhârata
aufgenommen worden.
So finden wir denn in diesem merkwürdigsten
aller Litteraturerzeugnisse nebeneinander und durcheinander kriegerische
Heldenlieder mit farbenreichen Schilderungen blutiger Kampfesszenen, fromme
Priesterpoesie mit oft recht langweiligen Auseinandersetzungen über
Philosophie, Religion und Recht, und milde Asketendichtung voll erbaulicher
Weisheit und voll überströmender Liebe zu Mensch und Tier.
Darum betrachten auch die Inder
selbst das Mahâbhârata zwar immer
als ein Epos, als ein Werk der Dichtkunst (kâvya),
aber zugleich auch als ein auf uralter Überlieferung (smrti)
beruhendes und daher mit unanfechtbarer Autorität ausgestattetes Lehrbuch
(shâstra) der Moral, des Rechts und
der Philosophie;
1) Vgl. H.Jacobi in
Götting.Gel.Anzeigen 1892, S.629 f.
— 268 —
und seit mehr als 1500 Jahren diente
es den Indern ebenso sehr zur Unterhaltung wie zur Belehrung und Erbauung.
Vor mindestens 1500 Jahren 1)
war dieses Mahâbhârata auch schon
so — oder wenigstens so ähnlich — wie wir es heute in unseren Handschriften
und Ausgaben besitzen, ein Werk, welches auch ungefähr denselben Umfang
wie unser heutiges Epos hatte. So wie dieses, enthielt es bereits eine
lange Einleitung mit einer Rahmenerzählung, einer Geschichte des sagenhaften
Ursprungs des Gedichtes und einer Verherrlichung desselben als eines Lehr-
und Erbauungsbuches; war in achtzehn Bücher, Parvans
genannt, eingeteilt, zu denen auch schon ein neunzehntes Buch Harivamsa
als »Ergänzung« (Khila)
hinzugefügt war; und erreichte einen Umfang von beiläufig 100.000
Strophen (Shlokas). Und bis zum heutigen Tage
gilt dieses Riesenwerk trotz all der verschiedenartigen Elemente, aus denen
es besteht, den Indern als ein einheitliches, in sich abgeschlossenes Werk
2), welches den altehrwürdigen Rshi
Krshna Dvaipâyana, auch Vyâsa
genannt, zum Verfasser hat. Dieser selbe Rshi
soll auch der Ordner der vier Vedas 3) und
der Verfasser der Purânas sein.
Er war nach der Sage nicht nur ein Zeitgenosse, sondern ein naher Verwandter
der Helden des Mahâbhârata und
greift gelegentlich auch in die Handlung des Gedichtes ein. Seine Geschichte
wird uns im Mahâbhârata sehr ausführlich
erzählt.
Er ist der Sohn eines berühmten
Asketen, des Rshi Pârâsara.
Dieser große Heilige erblickt eines Tages die in einem Fische zur
Welt gekommene und von Fischerleuten aufgezogene Satyavatî
und ist von ihrer Schönheit so entzückt, daß er
ihre Liebe begehrt. Sie will ihm aber nur unter der Bedingung zu willen
sein, daß sie, nachdem sie ihm einen Sohn geboren, wieder ihre Jungfernschaft
zurückerlange. Der große Heilige gewährt ihr diesen Wunsch,
sowie auch den, daß sie ihren Fischgeruch verliere und einen wunderbaren
Duft ausströme. Unmittelbar nach-
1) Siehe weiter unten
das Kapitel über das Alter und die Geschichte des Mahâbhârata.
2) Darum wird es auch
als eine Samhitâ, d.h. »eine (abgeschlossene)
Zusammenstellung«, »ein zusammenhängender Text«
bezeichnet, so Mahâbh.I,1,21.
3) Daher sein Name
Vyâsa oder Vedavyâsa,
d.h. »Ordner«, »Ordner des Veda«.
— 269 —
dem er ihr beigewohnt, gebiert sie
auf einer Insel in der Jamnâ einen Sohn,
welcher Dvaipâyana, »der Inselgeborene«,
genannt wird. Der Knabe wächst heran und ergibt sich bald der Askese.
Indem er sich von der Mutter verabschiedet, sagt er ihr, daß er jederzeit
sofort erscheinen werde, sobald sie nur, wenn sie seiner bedürfe,
an ihn denke. Satyavatî aber, wieder
zur Jungfrau geworden, wurde später die Gemahlin des Kurukönigs
Shântanu und gebar diesem zwei Söhne,
Citrângada und Vicitravîrya.
Nachdem Shântanu und Citrângada
gestorben waren, wurde Vicitravîrya
zum Thronnachfolger bestimmt. Dieser starb jung und kinderlos, hinterließ
aber zwei Frauen. Damit nun das Geschlecht nicht aussterbe, beschließt
Satyavatî, ihren unehelichen Sohn Dvaipâyana
zu berufen, damit er — auf Grund der Rechtssitte des Levirats —
seinen Schwägerinnen Nachkommenschaft erwecke. Nun ist aber dieser
Dvaipâyana zwar ein großer Büßer
und Heiliger, aber ein überaus häßlicher Mann mit struppigem
Haar und Bart und finster rollenden Augen, dunkel von Gesicht (daher wohl
auch sein Name Drona, »der Schwarze«)
und ein übler Geruch geht von ihm aus. Als er daher der einen Prinzessin
naht, kann sie seinen Anblick nicht ertragen und schließt die Augen:
die Folge davon ist, daß ihr Sohn blind zur Welt kommt. Es ist dies
der nachmalige König Dhrtarâshtra.
Darauf naht der Heilige der zweiten Frau, und diese erbleicht bei seinem
Anblick. Infolgedessen gebiert sie einen Sohn, welcher bleich ist und daher
Pându, »der Bleiche«,
genannt wird. Er ist der Vater der fünf Haupthelden des Epos. Noch
einmal soll Dvaipâyana der ersten Frau
nahen; aber klüger geworden, schickt sie dem Heiligen, der nichts
von der Unterschiebung merkt, ihre Magd, und mit dieser erzeugt er den
Vidura, dem im Epos die Rolle eines weisen
und wohlwollenden Freundes des Dhrtarâshtra
sowohl wie der Söhne des Pându
zuerteilt wird 1).
Dieser häßliche übelriechende
Heilige, Krshna Dvaipâyana Vyâsa,
den die Legende zu einer Art Großvater 2) der
Helden des Epos gemacht hat, gilt also den Indern bis zum heutigen
1) Mahâbh.I,63;100
ff.
2) Nach dem Gesetz
des Levirats ist Vyâsa nur der Erzeuger,
nicht der Vater des Dhrtarâshtra
und des Pându. Als ihr
Vater gilt der verstorbene Gatte der beiden Witwen.
— 270 —
Tage als der Verfasser des ganzen
Mahâbhârata. Erst nachdem seine
drei »Söhne« gestorben waren — so erzählt die Einleitung
zum Mahâbhârata 1)
— hat Vyâsa das von ihm verfaßte
Gedicht unter den Menschen bekannt gemacht. Und zwar hat er es seinem Schüler
Vaishampâyana mitgeteilt, und dieser
trug das ganze Gedicht in den Zwischenpausen des großen Schlangenopfers
des Königs Janamejaya vor. Bei dieser
Gelegenheit hörte es der Sûta Ugrashravas,
Lomaharshanas Sohn; und unser Mahâbhârata
beginnt damit, daß die Rshis,
welche bei dem zwölfjährigen Opfer des Shaunaka
im Naimishawalde versammelt
sind, den Sûta Ugrashravas ersuchen,
ihnen die Geschichte des Mahâbhârata,
wie er sie von Vaishampâyana gehört,
zu erzählen. Der Sûta erklärt
sich hierzu bereit und erzählt die Geschichte von dem Schlangenopfer
des Janamejaya, um dann erst zur Wiedergabe
der Erzählung des Vaishampâyana zu
schreiten.
Es ist gewiß ein altertümlicher
Zug des Mahâbhârata, daß
es fast durchwegs nur Reden enthält 2). Ugrashravas
ist der Vortragende der Rahmenerzählung, und in dem Gedicht selbst
ist Vaishampâyana der Sprechende. Innerhalb
der Erzählung des Vaishampâyana werden
wieder zahllose eingeschaltete Geschichten — und diese Einschachtelung
von Erzählungen in Erzählungen ist in der indischen Litteratur
überhaupt sehr beliebt — verschiedenen Personen in den Mund gelegt.
In den meisten Fällen werden sowohl die Erzählungen, als auch
die Reden der auftretenden Personen nur mit den Prosaformeln »Vaishampâyana
sprach«, »Yudhishthira
sprach«, »Draupadî sprach«
usw. eingeleitet.
So phantastisch auch alles ist,
was uns die Einleitung zum Mahâbhârata
über dessen angeblichen Verfasser mitteilt, so finden
1) I,1,95 ff.
2) »Daß
die alten Epen überall sehr viel Rede und Gegenrede enthalten,
kann man auch an der Ilias beobachten; erst in den späteren
Epen tritt dieses dramatische Element mehr zurück . . . Das
epische Gedicht aber wird erst dadurch
vollendet, daß zu den Reden nun
auch die Rahmenerzählung in metrische Form gefaßt wird. Eine
letzte Stufe ist es, daß die Reden
zurücktreten und nur Ereignisse in Versform
erzählt werden.« Ernst Windisch, Mâra
und Buddha
(Abhandl.der philolog.-histor.Klasse
der K.sächsischen Ges.der Wiss.Leipzig 1895), S.222 ff. Von jener
»letzten Stufe« ist das Mahâbhârata
noch weit entfernt.»
— 271 —
wir in ihr doch auch einige bemerkenswerte
Angaben. So heißt es, daß der Rshi
Vyâsa sein Werk sowohl in einer kurzen Zusammenfassung als
auch in einer ausführlichen Darstellung erzählt habe; ferner,
daß verschiedene Rezitatoren das Gedicht an drei verschiedenen Stellen
anfangen, und daß sein Umfang nicht immer der gleiche war. Ugrashravas
sagt, er kenne das Gedicht in dem Umfange von 8800 Strophen, während
Vyâsa erklärt, daß er die
Samhitâ des Bhâratagedichtes
in 24.000 Strophen verfaßt habe, »und ohne die Nebenerzählungen
wird das Bhârata in diesem Umfange von
den Verständigen vorgetragen«. Phantastisch genug heißt
es gleich darauf, daß Vyâsa auch
ein Epos von 60 hunderttausend Strophen verfaßt habe, und zwar 30
hunderttausend für die Götter, 15 für die Manen, 14 für
die Gandharvas und ein Hunderttausend für
die Menschen 1). Natürlich soll damit nur der
gegenwärtige Umfang des Mahâbhârata
angedeutet sein, der ihm auch die Bezeichnung shata-sâhasrî
samhitâ, »Sammlung von hunderttausend Versen«,
eingetragen hat. Man ersieht aus diesen Angaben, daß die Inder selbst
trotz ihrem festen Glauben an die Einheitlichkeit des Werkes doch wenigstens
eine Erinnerung daran behalten haben, daß das Mahâbhârata
aus einem ursprünglich kleineren Gedicht erst allmählich
zu seinem jetzigen Umfang herangewachsen ist.
Was das Mahâbhârata
den Indern ist, sagt uns in überschwenglichster Weise die Einleitung
zu dem Werke. Da heißt es z.B.:
1) Eine sehr freie
Bearbeitung der Hidimba-Episode hat
Friedrich Rückert gegeben. (Werke, herausg. von C.Beyer, Bd.6, S.426
ff.)
— 279 —
Der
Riese Baka und die Brahmanenfamilie.
Die Pândavas
ziehen nun, als Büßer verkleidet, unter mancherlei andern
Abenteuern, von Wald zu Wald und kommen schließlich in eine Stadt
Ekacakrâ, wo sie unerkannt im Hause
eines Brahmanen Aufenthalt nehmen. Bei Tage erbetteln sie sich ihre Speise
und bringen sie abends nach Hause, wo Kuntî
das ganze Essen in zwei Hälften teilt — die eine für Bhîma,
die andere für alle übrigen. Eines Tages ist Kuntî
mit Bhîma allein zu Hause. Da
dringt aus den Gemächern des Brahmanen, bei dem sie Gastfreundschaft
genießen, lautes Jammern und Wehklagen. Und sie hören, wie erst
der Brahmane unter bitteren Klagen über das Menschenlos überhaupt
erklärt, daß es am besten sei, wenn er samt seiner Familie in
den Tod ginge. Denn er könnte es nie über sich gewinnen, die
treue Gattin, die geliebte Tochter oder gar das Söhnchen zu opfern,
und anderseits müßte er, wenn er allein stürbe, die Seinen
sicherem Elend überlassen. Darauf ergreift die Frau des Brahmanen
das Wort und sagt: Er müsse am Leben bleiben, um.für seine Kinder
zu sorgen und das Geschlecht zu erhalten. Sie aber habe, nachdem sie ihm
einen Sohn und eine Tochter geboren, den Zweck ihres Daseins erfüllt
und könne ruhig sterben. Wenn er stürbe, so könnte ja sie
allein nie ihre beiden Kinder ernähren und beschützen; sie könnte
weder ihre Tochter vor unwürdigen Männern bewahren, noch ihrem
Sohne die eines Brahmanen würdige Erziehung geben. Er könne ja
auch wieder eine zweite Frau nehmen, während sie als Witwe doch nur
ein bedauernswertes Los hätte. »Wie Vögel sich gierig auf
ein weggeworfenes Stück Fleisch stürzen, so die Männer auf
eine des Gatten beraubte Frau«. Darum werde sie ihr Leben opfern.
Nun beginnt die Tochter, welche die Reden ihrer Eltern gehört hat,
zu sprechen und sucht zu beweisen, daß es ihr allein zukomme, für
die Familie zu sterben. »Sagt man doch: das eigene Selbst ist der
Sohn, ein Freund die Gattin, ein Elend aber die Tochter. Befreie dich selbst
von diesem Elend und laß mich meine Pflicht erfüllen«.
Während diese drei so miteinander reden und schließlich alle
zusammen in Weinen ausbrechen, tritt das kleine Söhnchen mit weitgeöffneten
Augen auf jeden einzelnen zu und spricht lächelnd mit süßer,
kindlicher Stimme: »Weine nicht, Vater! Weine nicht, Mutter! Weine
nicht, Schwester!« Und frohgemut nimmt der Kleine einen Grashalm
vom Boden und spricht: »Mit dem werde ich den menschenfressehden
Râkshasa töten!« Und
so tiefbetrübt sie auch alle waren — als sie des Knaben süße
Stimme hörten, ward ihr Herz von Freude erfüllt. Diesen Augenblick
benützt Kuntî, die Mutter der Pândavas,
um einzutreten und sich zu erkundigen, was denn eigentlich los sei. Da
erfährt sie denn, daß in der Nähe der Stadt ein menschenfressender
Râkshasa, der Riese Baka,
hause, dem die Einwohner der Stadt in gewissen Zeiträumen eine Wagenladung
Reis, zwei Büffel und einen Menschen als Tribut bringen müssen.
Abwechselnd komme immer eine andere Familie daran, und jetzt sei gerade
die Reihe an ihnen.
— 280
—
Darauf tröstet Kuntî
den Brahmanen und schlägt vor, daß einer ihrer fünf
Söhne dem Râkshasa seinen
Tribut bringe. Der Brahmane aber will nichts davon wissen, daß ein
Brahmane, und noch dazu ein Gast, für ihn das Leben opfere. Da erklärt
ihm Kuntî, daß ihr Sohn ein großer
Held sei — was er aber niemand verraten dürfe —, der den Râkshasa
gewiß töten werde. Bhîma
ist sofort bereit, der Aufforderung der Mutter Folge zu leisten und fährt
am nächsten Morgen mit dem Wagen, der die für den Râkshasa
bestimmten Speisen enthält, in den Wald, wo der Unhold haust.
Sobald er in den Wald kommt, beginnt er — dies wird mit großem Humor
geschildert — die Speisen selbst zu essen und läßt sich auch
durch den heranstürmenden Riesen nicht irre machen. Selbst als der
wutentbrannte Râkshasa mit beiden
Händen auf ihn losschlägt, ißt er ruhig weiter. Erst nachdem
er alles aufgegessen hat, rüstet er sich zum Kampfe. Die mächtigsten
Bäume des Waldes reißen sie aus und schleudern sie aufeinander.
Dann aber beginnt ein gewaltiges Ringen, welches damit endet, daß
Bhîma den Riesen über seinem Knie
entzwei bricht. Den übrigen Râkshasas,
den Verwandten und Untergebenen des Baka,
nimmt Bhîma das Versprechen ab, keinen
Menschen mehr zu töten und kehrt zu den Brüdern zurück.
In der Stadt herrscht große Freude. Aber das Inkognito der Pândavas
wird gewahrt.
Gattenselbstwahl
und Heirat der Draupadî.
Nach einiger Zeit entschließen
sich die, Pândavas, die Stadt
Ekacakrâ zu verlassen und ins Pañcâlaland
zu wandern. Auf dem Wege dahin erfahren sie, daß Drupada,
der König der Pañcâlas,
soeben im Begriffe sei, die Gattenselbstwahl 1) seiner
Tochter zu veranstalten. Die Brüder beschließen, sich auch an
dem Feste zu beteiligen und begeben sich, als Brahmanen verkleidet, in
die Residenzstadt des Drupada, wo sie im Hause
eines Töpfers unerkannt leben, indem sie sich als Brahmanen ihren
Unterhalt erbetteln. Drupada aber hatte einen
sehr festen Bogen machen, mittels einer künstlichen Vorrichtung hoch
in der Luft ein Ziel aufrichten und verkünden lassen, daß nur
derjenige Held seine Tochter Krshnâ
beim Svayamvara erringen könne,
der den Bogen spannen und das aufgesteckte Ziel treffen würde. Fürsten
aller Länder, darunter auch die Kauravas,
Duryo-
1)
Svayamvara, d.h. »Selbstwahl«, ist eine Form der Ehegründung
oder Verlobung, welche darin besteht, daß die Königstochter
sich unter den versammelten Fürsten und Helden (nachdem der Vater
eine feierliche Einladung hat ergehen lassen) den Gatten selber auswählt,
indem sie dem Erwählten einen Kranz um den Hals hängt, worauf
dann die Hochzeit stattfindet. Während der Svayamvara
in der epischen Dichtung sehr häufig geschildert wird, erwähnen
die brahmanischen Gesetzbücher, die sonst die verschiedenen Arten
der Ehegründung sehr ausführlich behandeln, diese Sitte gar nicht.
— 281 —
dhana und
seine Brüder, nebst Karna folgen
der Einladung des Königs Drupada und
versammeln sich in der festlich geschmückten Halle, in welcher die
Gattenselbstwahl stattfinden soll. Auch zahllose Brahmanen strömen
als Zuschauer herbei, unter ihnen die fünf Pândavas.
Mehrere Tage hindurch finden glänzende Festlichkeiten statt, und die
fremden Könige und Brahmanen werden als Gäste großartig
bewirtet. Endlich am sechzehnten Tage tritt unter den üblichen
Zeremonien die wunderschöne Krshnâ,
herrlich gekleidet und geschmückt, in den Saal, den Blumenkranz in
der Hand. Ihr Bruder Dhrshtadyumna verkündet
mit lauter Stimme: »Höret, all ihr Fürsten insgesamt! Hier
ist der Bogen, hier sind die Pfeile, dort ist das Ziel. Treffet es durch
das Loch der Vorrichtung mit den fünf scharfen, luftdurchschwirrenden
Pfeilen. Wer, mit edler Geburt, Schönheit und Kraft ausgestattet,
diese große Tat vollbringt, dessen Gemahlin soll meine Schwester
Krshnâ heute sein — nicht eitel
ist meine Rede.« Darauf nennt er seiner Schwester die Namen aller
anwesenden Könige, mit Duryodhana beginnend.
Alle verlieben sich sofort in die reizende Krshnâ,
einer ist auf den andern eifersüchtig und jeder einzelne hofft, sie
zu gewinnen. Einer nach dem andern versucht nun, den Bogen zu spannen,
aber keinem will es gelingen Da tritt Karna
vor: schon hat er den Bogen gespannt und ist bereit, das Ziel zu treffen,
da ruft Krshnâ mit lauter Stimme:
»Einen Wagenlenker wähle ich nicht« Mit bitterem Lachen
und einem Blick zur Sonne wirft Karna
den Bogen wieder hin. Vergeblich versuchen noch die mächtigen Könige
Shishupâla, Jarâsandha
und Shalya den Bogen zu spannen. Da
erhebt sich Arjuna aus der Mitte der Brahmanen.
Unter lautem Gemurmel des Beifalls derjenigen, die den stattlichen Jüngling
bewundern, und des Widerspruchs jener, die sich darüber ärgern,
daß ein Brahmane mit Kriegern in die Schranken zu treten wage, schreitet
er auf den Bogen zu, spannt ihn im Nu und schießt das Ziel herab.
Da Krshnâ den göttergleichen
Jüngling sieht, reicht sie ihm erfreut den Kranz, und Arjuna
verläßt, von der Königstochter gefolgt, die Halle.
Da aber die versammelten Könige
merken, daß Drupada wirklich seine Tochter
dem Brahmanen geben wolle, sehen sie dies für eine Beleidigung an;
denn eine Gattenselbstwahl sei nur für Krieger, nicht für Brahmanen
bestimmt. Sie wollen den prupada töten. Aber Bhîma
und Arjuna eilen ihm zu Hilfe. Bhîma
reißt einen mächtigen Baum aus und steht furchtbar wie der Todesgott
da. Arjuna stellt sich mit gespanntem Bogen
neben ihn. Karna kämpft mit Arjuna,
Shalya mit Bhîma.
Nach hartem Kampfe erklären sich Karna
und Shalya für besiegt. Die Könige
geben den Kampf auf und kehren in ihre Heimat zurück. Die Pândavas
aber ziehen mit Krshnâ ab
und begeben sich zum Töpferhaus, wo Kuntî
bereits besorgt auf sie wartet. Hier nun erklärt Arjuna
vor der Mutter und den Brüdern, daß er die von ihm gewonnene
Krshnâ, die Tochter des Drupada,
nicht allein heiraten werde, sondern daß sie nach altem Familienbrauch
die gemeinsame Gattin aller fünf Brüder werden müsse.
— 282
—
Unter denjenigen, welche bei der
Gattenselbstwahl zugegen waren, befand sich auch Krshna,
der Häuptling eines Clans der Yâdavas
und der Vetter der Pândavas (denn
Vasudeva, Krshnas
Vater, war der Bruder der Kuntî). Er
war der einzige, welcher die Pândavas
trotz ihrer Verkleidung erkannt hatte. Er folgte daher, begleitet
von seinem Bruder Baladeva, den Pândavas,
besuchte sie im Töpferhaus und gab sich ihnen als ihr Verwandter zu
erkennen. Die Pândavas waren
darüber sehr erfreut. Damit diese aber nicht erkannt würden,
entfernten sich Krshna und Baladeva
bald wieder.
Auch Prinz Dhrshtadyumna
war den Pândavas heimlich
gefolgt, um zu erfahren, wer denn eigentlich der Held sei, der seine Schwester
zur Gemahlin gewonnen. Er verbirgt sich im Töpferhaus und beobachtet,
wie die Brüder heimkehren und ihre Mutter ehrfurchtsvoll begrüßen,
wie Kuntî die Draupadî
1) in bezug auf die Zubereitung und Verteilung
der Speisen unterweist, wie sie sich dann nach dem Abendessen zur Ruhe
begeben, indem der jüngste der Brüder ein Lager von Kushagras
ausbreitet, auf welchem sich die fünf Brüder der Reihe nach jeder
auf seinem Antilopenfell hinstrecken, während die Mutter zu ihren
Häuptern und Draupadî zu ihren
Füßen ihr Nachtlager aufschlagen; und er hört, wie sich
die Brüder vor dem Einschlafen noch mit allerlei Gesprächen über
Waffen und Kriegstaten unterhalten. Darauf eilt Dhrshtadyumna
zu seinem Vater zurück, um ihm zu berichten, daß die
angeblichen Brahmanen, nach ihren Gesprächen zu schließen, Krieger
sein müßten, worüber der König hocherfreut ist. Am
nächsten Morgen läßt Drupada die Pândavas
in den Palast einladen, um die Hochzeit seiner Tochter in feierlicher
Weise zu begehen. Nun erst teilt ihm Yudhishthira
mit, daß sie die totgeglaubten Söhne des Pându
seien, worüber Drupada sehr froh
ist; denn es war immer sein Wunsch gewesen, den tapferen Arjuna
zum Schwiegersohn zu haben. Da er aber die feierliche Vermählung
seiner Tochter mit Arjuna vornehmen will,
ist er einigermaßen erstaunt und wenig erfreut, als ihm Yudhishthira
die Mitteilung macht, daß Krshnâ
die gemeinsame Gattin aller fünf Brüder werden müsse.
Die Bedenken, die er äußert, werden aber, durch den Hinweis
auf den alten Familienbrauch der Pândavas
beschwichtigt, und Draupadî wird
zuerst dem Yudhishthira als dem Ältesten,
dann in der Reihenfolge des Alters den vier andern Brüdern vor dem
heiligen Feuer als Gattin angetraut 2).
— 283 —
Kuntî
segnet ihre Schwiegertochter. Den Neuvermählten aber
sendet Krshna reiche und überaus
kostbare Hochzeitsgeschenke.
— 282
—
1) Krshnâ,
»die Schwarze«, wird gewöhnlich Draupadî,
d.h. »Tochter des Drupada«, genannt.
2) Das Epos hat in
dieser Fünfmännerehe unzweifelhaft einen alten Zug der Sage treu
bewahrt. Denn die Polyandrie oder vielmehr die Gruppenehe, von welcher
die Ehe der Pândavas ein Beispiel
bietet, kommt zwar in einzelnen Gegenden Indiens auch heute noch vor, ist
aber sonst im alten Indien durchaus nicht als rechtmäßige Eheform
bezeugt und widerspricht ganz und gar den brahmanischen Anschauungen. Wenn
Drupada sagt (I, 197, 27): »Das
Gesetz lehrt,
— 283
—
daß ein Mann
viele Frauen hat; aber man hat nie gehört, daß eine Frau viele
Männer zu Gatten habe«, so gibt er damit nur der allgemein indischen
Anschauung Ausdruck. Wenn trotzdem im Epos die fünf Haupthelden nur
eine Gattin haben, so ist dies ein Beweis dafür, daß dieser
Zug so enge mit der ganzen Sage und dem alten Epos verwoben war, daß
selbst in späterer Zeit, als das Mahâbhârata
mehr und mehr einen brahmanischen Charakter erhielt und zu einem
religiösen Lehrbuch wurde, nicht daran gedacht werden konnte, diesen
Zug zu beseitigen. Man bemühte sich nur, durch mehrere ziemlich ungeschickt
eingefügte Erzählungen die Fünfmännerehe zu rechtfertigen.
Einmal erzählt Vyâsa die alberne
Geschichte von einer Jungfrau, die keinen Mann bekommen konnte und den
Gott Shiva anflehte, daß er ihr einen
Gatten besorge. Weil sie nun fünfmal gerufen hatte: »Gib mir
einen Gatten«, verspricht ihr Shiva fünf
Gatten — in einer späteren Geburt. Diese Jungfrau ist als Krshnâ,
Drupadas Tochter,
wiedergeboren und erhält daher die fünf Pândavas
zu Gatten. Nicht viel geistreicher ist eine zweite Geschichte. Die,
Pândavas, die im Töpferhaus
als bettelnde Brahmanen leben, kommen mit Draupadî
nach Hause und melden ihrer Mutter, daß sie »die Almosen«,
die sie auf ihrem Bettelgang gesammelt, gebracht haben. Ohne aufzusehen,
sagt Kuntî gewohnheitsmäßig:
»Genießet es alle miteinander«. Dann erst bemerkt sie,
daß »das Almosen« eine Frau ist, und ist sehr bestürzt;
aber das Wort einer Mutter darf nicht unwahr gemacht werden, und es muß
dabei sein Bewenden haben, daß die fünf Brüder die Draupadî
gemeinsam genießen. Eine dritte Geschichte, welche wieder Vyâsa
dem Drupada erzählt, ist die shivaitische
»Fünf-Indra-Erzählung«
(pañcendropâkhyânam), ein
höchst phantastischer und verworrener Bericht, nach welchem Indra
zur Strafe dafür, weil er den Shiva beleidigt
hat, fünffach geteilt auf der Erde wiedergeboren und eine Inkarnation
der Lakshmî oder Shri
(Göttin des Glückes und der Schönheit) zu seiner
Frau bestimmt wird. Die fünf Pândavas
sind Inkarnationen des einen Indra,
Draupadî ist eine Inkarnation der Lakshmî;
so hat Draupadî eigentlich nur einen
Gemahl! Es wird nicht einmal der Versuch gemacht, diese drei Rechtfertigungsgeschichten
miteinander oder mit der Haupterzählung in Einklang zu bringen. Hingegen
wird wiederholt deutlich ausgesprochen, daß wir es mit einer alten
Familiensitte — nicht etwa mit einem allgemein indischen, sondern mit einem
speziellen Familienbrauch der Pândavas
— zu tun haben. In Erzählungen der Buddhisten und Jainas wird
die Gattenselbstwahl der Draupadî in
der Weise geschildert, daß sie nicht den Arjuna,
sondern gleich alle fünf Pândavas
auf einmal wählt. Sonderbarerweise haben auch einige europäische
Forscher die Fünfmännerehe mythologisch, allegorisch und symbolisch
zu deuten und zu rechtfertigen ge-
— 284
—
sucht, anstatt sie
als ethnologisches Faktum hinzunehmen. (Vgl. meine »Notes on the
Mahâbhârata« im JRAS, 1897,
S.733 ff.)
— 284 —
Die
Pândavas erhalten ihr Reich zurück.
Bald verbreitet sich die Nachricht,
daß die Pândavas noch am
Leben sind und daß Arjuna es war, der
die Draupadî bei der Gattenselbstwahl
gewonnen. Duryodhana und seine Genossen kehren
betrübt nach Hastinâpura zurück,
und es macht ihnen große Sorge, dals die Pândavas
jetzt durch ihre Heirat zwei mächtige Bundesgenossen — Drupada
und die Pañcâlas, Krshna
und die Yâdavas — gewonnen haben. Duryodhana
meint, man müsse nun vor den Pândavas
auf der Hut sein; und schlägt vor, sie durch Verräterei
zu beseitigen. Hingegen rät Karna zum
offenen Kampfe. Bhîshma aber,
dem auch Vidura und Drona
zustimmen, rät dem Dhrtarâshtra,
den Pândavas das halbe Königreich
abzutreten und mit ihnen in Frieden zu leben. Dhrtarâshtra
geht auf diesen Vorschlag ein und tritt den Pândavas
die Hälfte seines Reiches ab, und zwar sollen sie sich in der
Wüste Khândavaprastha niederlassen.
Yudhishthira nimmt das Anerbieten bereitwillig
an, und die Pândavas begeben
sich, von Krshna begleitet, nach Khândavaprastha.
Dort gründen sie sich als Residenz die große Stadt und Festung
Indraprastha (in der Nähe des heutigen
Delhi).
Arjunas
Verbannung und Abenteuer.
Glücklich und zufrieden lebten
die Pândavas mit ihrer gemeinsamen
Gattin in Indraprastha. Damit keine Eifersucht
zwischen ihnen entstehe, hatten sie (auf den Rat des himmlischen Weisen
Nârada) vereinbart, daß derjenige
von den Brüdern, welcher einen der andern bei einem traulichen Zusammensein
mit Draupadî überrasche, auf zwölf
Jahre in die Verbannung gehen und ein Leben der Keuschheit führen
müsse. Infolge dieser Vereinbarung leben sie stets in Frieden miteinander.
Eines Tages stehlen Räuber
einem Brahmanen sein Vieh, und dieser kommt mit heftigen Vorwürfen,
daß der König seine Untertanen nicht genügend schütze,
in den Palast gelaufen. Arjuna will ihm sofort
zu Hilfe eilen. Zufälligerweise aber hängen die Waffen in einem
Zimmer, in welchem Yudhishthira gerade
mit Draupadî beisammen ist. Arjuna
ist in einem Dilemma: Soll er die Kriegerpflicht gegenüber
dem Brahmanen üben und die Regel in bezug auf die gemeinsame Gattin
durchbrechen, oder soll er die erstere verletzen, um die letztere einzuhalten?
Er entschließt sich dafür, in die Kammer zu gehen, um die Waffen
zu holen, verfolgt die Räuber und gibt dem Brahmanen sein Vieh zurück.
Darauf kehrt er heim und erklärt dem Yudhishthira,
daß er nun der Vereinbarung gemäß auf zwölf Jahre
in die Verbannung gehen werde. Obwohl Yudhishthira
ihn zurückzuhalten sucht, da er sich gar nicht beleidigt fühle,
zieht sich doch Arjuna
— 285 —
nach dem Grundsatz, daß Recht
Recht bleiben müsse, in den Wald zurück.
Hier erlebt er nun mancherlei Abenteuer.
So badet er einmal im Ganges und will eben, nachdem er den Manen geopfert,
heraussteigen, als ihn Ulûpî,
die Tochter eines Nâgakönigs, in
das Reich der Nâgas (Schlangendämonen)
hinabzieht. Sie erklärt ihm, daß sie sich in ihn verliebt habe,
und bittet ihn, sich ihrer zu erfreuen. Arjuna antwortet,
daß er dies nicht tun könne, weil er das Gelübde der Keuschheit
auf sich genommen. Aber die Schlangenjungfrau wendet ihm ein, daß
sich dieses Gelübde doch nur auf Draupadî
beziehen könne; übrigens sei es seine Kriegerpflicht, Unglücklichen
zu helfen; wenn er ihr ihren Wunsch nicht erfülle, werde sie sich
umbringen — er müsse ihr also das Leben retten. Diesen Argumenten
kann Arjuna nichts mehr entgegensetzen, und
»seine Pflicht im Auge habend« erfüllt er den Wunsch der
schönen Ulûpî und verbringt
eine Nacht mit ihr.
Bin andermal kommt er auf seinen
Wanderungen zu Citravâhana, dem König
von Manipûra, und verliebt sich
in dessen schöne Tochter Citrângadâ.
Sie ist aber eine Sohnestochter 1), und der König:
gibt sie ihm nur unter der Bedingung, daß ein von ihr geborener Sohn
als sein (Citravâhanas) Sohn zu gelten
habe. Arjuna ist damit einverstanden und lebt
mit ihr drei Jahre in Manipûra 2). Nachdem sie
einen Sohn geboren hat, verabschiedet er sich und setzt seine Wanderung
fort.
Nachdem er verschiedene heilige
Orte besucht und noch mancherlei Abenteuer erlebt hat, kommt er mit Krshna
zusammen und besucht diesen in seiner Stadt Dvârakâ,
wo er ungemein festlich empfangen wird. Einige Tage nachher fand auf dem
Berge Raivataka ein großes Fest der
Vrshnis und Andhakas
— Clans der Yâdavas — statt.
Mit Musik, Gesang und Tanz ziehen Edle und Bürger hinaus, und es geht
recht lustig zu. Baladeva, Krshnas
Bruder, betrinkt sich mit seiner Frau Revatî;
Ugrasena, König der Vrshnis,
kommt mit seinen tausend Weibern, und zahlreiche andere Fürsten mit
ihren Frauen. Bei dieser Gelegenheit sieht Arjuna
die schöne Schwester des Krshna,
Subhadrâ, und verliebt sich in sie.
Er fragt den Krshna, wie er sie bekommen
könne, und dieser rät ihm, sie nach Kriegerart gewaltsam zu entführen,
denn eine Gattenselbstwahl sei immer eine unsichere Sache 3).
Da schickt
1) Eine putrikâ
oder »Sohnestochter« ist eine Tochter, deren Sohn nicht
dem Gatten, sondern dem Vater des Mädchens gehört. Wenn nämlich
ein Mann keinen Sohn hat, so kann er seine Tochter als putrikâ
einsetzen, wodurch ein von ihr geborener Sohn zum Fortsetzer des
Geschlechts ihresVaters wird, d.h. er ist zum Totenopfer verpflichtet und
zum Erbe berechtigt.
2) Von dem Keuschheitsgelübde
ist jetzt nicht mehr die Rede.
3) Offenbar waren
die Yâdavas ein wilder Hirtenstamm,
bei dem die Raubehe noch zu Recht bestand.
— 286 —
.Arjuna einen Boten zu Yudhishthira,
um dessen Erlaubnis zur Entführung der Subhadrâ
einzuholen. Yudhishthira gibt
seine Zustimmung, und Arjuna zieht in voller
Kriegsrüstung auf seinem Streitwagen aus, wie wenn er auf die Jagd
ginge. Subhadrâ ergeht sich auf dem
Raivâtaka, und wie sie eben nach Dvârakâ
zurückkehren will, ergreift sie Arjuna,
nimmt sie auf seinen Wagen und fährt mit ihr in der Richtung nach
Indraprastha. In Dvârakâ
herrscht große Aufregung; der betrunkene Baladeva
ist wütend, daß Arjuna das
Gastrecht verletzt habe. Aber Krshna
beruhigt seine Verwandten: Arjuna habe sie
gar nicht beleidigt. Im Gegenteil, er habe die Yâdavas
nicht für so geldgierig gehalten, daß sie ein Mädchen
wie ein Stück Vieh verkaufen würden, und auf eine unsichere Gattenselbstwahl
habe er sich nicht einlassen wollen, so sei ihm nichts übrig geblieben,
als die Subhadrâ zu rauben. Gegen die
Ehe sei ja nichts einzuwenden. Man solle nur den Arjuna
zurückbringen und sich mit ihm versöhnen. Das geschieht
denn auch, und Subhadrâ wird mit Arjuna
vermählt. Er verweilt dann noch ein Jahr in Dvârakâ,
sich mit Subhadrâ vergnügend. Den
Rest der zwölf Jahre verbringt er in dem heiligen Orte Pushkara,
worauf er nach Indraprastha zurückkehrt.
Draupadî macht ihm wegen seiner Heirat
mit Subhadrâ Vorwürfe, beruhigt
sich aber, da sich Subhadrâ ihr als
Magd unterwirft. Und Draupadî, Subhadrâ
und Kuntî leben von da an glücklich
miteinander. Subhadrâ gebar dem Arjuna
einen Sohn, Abhîmanyu, der ein
Liebling seines Vaters und seiner Onkel wurde. Draupadî
aber gebar jedem der fünf Pândavas
je einen Sohn.
Yudhishthira
wird Weltherrscher.
Gerecht und fromm regierte König
Yudhishthira in seinem Reiche, und
seine Untertanen, die ihm in Liebe zugetan waren, lebten glücklich
und zufrieden. Ein glückliches Dasein führten auch die Brüder
des Königs. Den Arjuna aber verband nun
noch innigere Freundschaft mit Krshna.
Als sich die beiden Freunde einst in den Hainen an der Jamnâ (wo
sie mit vielen schönen Frauen wahre Orgien feierten, an denen sich
selbst Draupadî und Subhadrâ
beteiligten) miteinander unterhielten, kam der Gott Agni
in Brahmanengestalt auf sie zu und ersuchte sie, ihm beim Verbrennen
des Khândavawaldes behilflich
zu sein. Der Gott hatte sich nämlich bei einem großen Opfer
durch das Verzehren der vielen Opferspeisen den Magen verdorben, und Brahman
hatte ihm gesagt, er müsse den Khândavawald
verbrennen, um wieder zu genesen. So oft er aber versucht, den Wald in
Brand zu stecken, löschen die Waldtiere das Feuer immer wieder aus.
Das sollen Arjuna und Krshna
verhindern, und zu dem Zweck verschafft ihnen Agni
himmlische Waffen: dem Arjuna den gewaltigen
Bogen Gândîva mit zwei
unerschöpflichen Köchern und einen prächtigen, mit silberweißen
Pferden bespannten und durch ein Affenbanner weithin kenntlichen Streitwagen;
dem Krshna aber eine sichertreffende
Wurfscheibe und eine unwiderstehliche Keule. Mit diesen Waffen
— 287 —
stehen sie dem Agni
zur Seite und töten alle Wesen, welche aus dem brennenden Walde
zu entfliehen suchen. Nur den Dämon Maya,
der ein großer Künstler unter den Himmlischen ist, verschonen
sie 1).
1) Hier endet das
Âdiparvan oder das erste Buch des Mahâbhârata.
Zum Dank dafür, daß ihm
das Leben geschenkt ward, baut der Dämon Maya
dem Yudhishthira einen wunderbaren
Palast mit höchst kunstvollen Einrichtungen. Nach einiger Zeit beschließt
Yudhishthira im Einvernehmen mit Krshna,
das große Königsweiheopfer (râjasûya)
darzubringen. Zur Darbringung dieses Opfers ist aber nur ein Weltherrscher,
ein großer Eroberer, berechtigt. Da aber zur zeit Jarâsandha,
König von Magadha, der mächtigste
Herrscher ist, muß erst dieser beseitigt werden. In einem Zweikampf
mit Bhîma wird er getötet. Dann
erst unternehmen Arjuna im Norden, Bhîma
im Osten, Sahadeva im Süden und Nakula
im Westen siegreiche Eroberungszüge, durch welche Yudhishthira
zum Besitzer eines Weltreiches wird. Nun kann das Königsweiheopfer
vollzogen werden, das mit großem Prunk gefeiert wird. Zahlreiche
Könige, auch die Kauravas, sind dazu
eingeladen. Zum Schluß des Opfers werden Ehrengaben verteilt. Auf
Vorschlag des Bhîshma soll Krshna
die erste Ehrengabe erhalten. Dagegen lehnt sich Shishupâla,
König von Cedi, auf. Infolgedessen kommt
es zu einem Streite, der damit endet, daß Shishupâla
von Krshna getötet wird.
Nach beendetem Opfer verabschieden
sich die fremden Könige. Auch Krshna
kehrt wieder in seine Heimat zurück. Nur Duryodhana
und sein Oheim Shakuni verweilen noch
einige Zeit im Palaste der Pândavas.
Bei der Besichtigung des wunderbaren Gebäudes widerfährt dem
Duryodhana allerlei Mißgeschick. So
hält er eine Kristallflache für einen Teich und zieht sich aus,
um zu baden, während er einen künstlichen Teich für festes
Land hält und zu einem unfreiwilligen Bad kommt, worüber Bhîma
und Arjuna in lautes Lachen ausbrechen. Dieser
Spott kränkte den ohnehin von Neid erfüllten Duryodhana
aufs tießte. Mit den bittersten Gefühlen des Neides und
des Hasses verabschiedet er sich von seinen Vettern und kehrt nach Hastinâpura
zurück.
Das
Würfelspiel.
In bitteren Worten klagt Duryodhana
dem Oheim Shakuni sein Leid. Nicht
ertragen könne er die Schmach, seine Feinde solche Triumphe feiern
zu sehen; und da er keine Mittel und Wege sehe, den Pândavas
beizukommen, werde er durch Feuer, Gift oder Wasser seinem Leben
ein Ende machen. Da macht Shakuni den Vorschlag,
es solle ein Würfelspiel veranstaltet und Yudhishthira
dazu eingeladen werden; er, Shakuni, der ein
gewandter Spieler sei, werde dem Yudhishthira
leicht sein ganzes Reich abgewinnen. Sogleich begeben sie sich zu dem alten
König Dhrtarâshtra,
um dessen Zustimmung zu dem Plane
— 288
—
zu erlangen. Dieser will zwar anfangs
nichts davon wissen und will sich jedenfalls erst mit seinem weisen Bruder
Vidura beraten; aber da Duryodhana
ihm vorhält, daß Vidura immer
nur die Partei der Pândavas ergreife,
läßt sich schließlich der alte, schwache König überreden
und ordnet das Würfelspiel an. Den Vidura selbst
schickt er als Boten zu Yudhishthira,
um diesen zum Spiele einzuladen. Vidura warnt
den König und verhehlt ihm nicht, dals er befürchte, es werde
großes Unheil aus diesem Würfelspiel entstehen. Diese Besorgnis
hat auch Dhrtarâshtra selbst,
aber er glaubt, dem Schicksal seinen Lauf lassen zu müssen. So begibt
sich denn Vidura an den Hof des Königs
Yudhishthira, um die Einladung zum
Würfelspiel zu überbringen. Auch dieser beruft sich auf die unwiderstehliche
Macht des Schicksals, indem er der Einladung, wenn auch widerwillig, Folge
leistet. Und begleitet von seinen Brüdern und Draupadî
mit den übrigen Frauen des Haushaltes, macht er sich auf den Weg nach
Hastinâpura. Im Palaste des Dhrtarâshtra
werden die Gäste von den Verwandten freundlich begrüßt
und mit großen Ehren aufgenommen.
Am nächsten Morgen begeben
sich Yudhishthira und seine Brüder
in die Spielhalle, wo bereits die Kauravas versammelt
sind. Shakuni fordert den Yudhishthira
zum Spiel heraus, dieser macht einen Einsatz — und verliert. Und nacheinander
setzt er alle seine Schätze und Reichtümer an Gold und Edelsteinen
ein, seinen Prachtwagen, seine Sklavinnen und Sklaven, Elefanten, Wagen
und Rosse — und jedesmal verliert er. Da wendet sich Vidura
an Dhrtarâshtra und
rät ihm, sich von seinem Sohn Duryodhana,
der den Untergang der ganzen Familie herbeiführen werde, loszusagen
und die Fortsetzung des Spieles zu verbieten. Nun fällt Duryodhana
mit den heftigsten Schmähungen über Vidura
her, den er einen Verräter schilt — eine Schlange, welche die
Kauravas an ihrem Busen genährt —, denn
stets spreche er nur zugunsten ihrer Feinde. Vidura
wendet sich vergebens an Dhrtarâshtra.
Shakuni aber fragt den Yudhishthira
mit Hohn, ob er noch etwas einzusetzen habe. Yudhishthira
ist nun von wilder Spielleidenschaft ergriffen und setzt seine ganze Habe,
seine Rinder und all sein Vieh ein, seine Stadt, sein Land und sein ganzes
Reich — und verspielt alles. Auch die Prinzen, dann die Brüder Nakula
und Sahadeva setzt er ein und verliert
sie. Von Shakuni gereizt, läßt
er sich auch verleiten, Arjuna und Bhîma
einzusetzen und auch diese verliert er. Endlich macht er sich selbst zum
Einsatz, und wieder gewinnt Shakuni. Höhnend
bemerkt Shakuni, Yudhishthira
habe schlecht daran getan, sich selbst zum Einsatz zu machen, er habe ja
noch einen Schatz, um den er spielen könne — Draupadî,
die Pañcâlakönigstochter.
Und zum Entsetzen aller anwesenden Alten 1) — des
Bhîshma,
1) Es ist sehr beachtenswert,
daß diese Unparteiischen und Wohlgesinnten es ruhig hinnehmen, daß
Yudhishthira seine Brüder und
sich selbst verspielt, während es ihnen als etwas Ungeheuerliches
erscheint, daß er die gemeinsame Gattin einsetzt.
— 289 —
des Drona,
des Krpa und des Vidura
— erklärt Yudhishthira,
um die schöne Draupadî als Einsatz
spielen zu wollen. Unter allgemeiner Aufregung fallen die Würfel —
und abermals hat Shakuni gewonnen.
Lachend fordert Duryodhana
den Vidura auf, die Draupadî
herbeizubringen, damit sie die Zimmer fege und sich zu den Mägden
geselle. Vidura weist ihn zurecht und warnt
ihn, daß er durch sein Benehmen nur den Untergang der Kauravas
heraufbeschwöre; Draupadî
sei auch gar nicht zur Sklavin geworden, denn Yudhishthira
habe sie erst eingesetzt, als er schon nicht mehr Herr über sich selbst
gewesen. Da sendet Duryodhana einen Sûta
als Boten zu Draupadî, um sie zu holen.
Diese läßt fragen, ob Yudhishthira
zuerst sich selbst oder sie verspielt habe. Duryodhana
sendet die Antwort: sie möge in die Spielhalle kommen und selbst
diese Frage stellen. Da sie sich weigert und den Boten immer wieder unverrichleter
Sache zurückschickt, fordert Duryodhana seinen
Bruder Dushshâsana auf, sie mit Gewalt
herbeizubringen. Dieser begibt sich in das Frauengemach, und bald bringt
er die sich sträubende Draupadî
— die unwohl und daher nur mit dürftigern Gewande bekleidet ist —
bei den Haaren in die Versammlung geschleppt. Bitter klagt sie, daß
keiner, nicht einmal Bhîshma und
Drona, sich ihrer annehme, und einen
verzweifelten Blick wirft sie auf die Pândavas.
Diesen aber bereitete der Verlust ihrer Habe und ihrer Herrschaft nicht
solchen Schmerz, wie dieser von Scham und Zorn erfüllte Blick der
Draupadî. Da kann Bhîma
nicht länger an sich halten, er macht dem Yudhishthira
heftige Vorwürfe, daß er die Draupadî
eingesetzt, und will sich schon an ihm vergreifen. Arjuna
aber weist ihn zurecht: Yudhishthira
müsse immer als der Älteste anerkannt und geachtet werden. Nun
fordert Vikarna, einer der jüngsten
Brüder des Duryodhana, die Versammelten
auf, die Frage der Draupadî, ob sie
rechtens verspielt sei, zu beantworten. Und da alle schweigen, verneint
er selbst die Frage. Karna aber erklärt
dagegen, die Kauravas hätten alles gewonnen,
und deshalb gehöre ihnen auch die Gattin der Pândavas.
Sogar die Kleider müsse man den Pândavas
sowohl als auch der Draupadî
abnehmen, denn auch diese seien ihnen abgewonnen. Und die Pândavas
legen ihre Oberkleider ab, während Dushshâsana,
dem Winke des Karna folgend,
sich daran macht, der Draupadî ihr Gewand
vom Leibe zu reißen. Sie aber betet zu Gott Vishnu,
der bewirkt, daß sie immer bekleidet bleibt, so oft ihr auch Dushshâsana
die Hülle entreißt. Bhîma
aber spricht den fürchterlichen Eid aus:
1) Vgl. zu dieser Episode
auch Lucian Scherman, Materialien zur Geschichte der indischen Visionslitteratur,
Leipzig 1892, S.48 ff.
2) Die achtzehn Parvans
oder Bücher des Mahâbhârata
enthalten zusammen 2109 Adhyâyas oder
Gesänge; von diesen entfallen 1070 auf die Haupterzählung.
[. . .]