Den Schluß der Belehrungen,
welche Shâkâyanya dem Brhadratha
erteilt, bildet naturgemäß die praktische Philosophie,
worunter, dem Geiste der Upanishadlehre entsprechend, nicht irgendwelche
Ethik, S.343 sondern
nnr der Weg verstanden werden kann, welcher zum höchsten Ziele fuhrt.
Dieses Ziel ist Erkenntnis des Âtman und,
auf Grund derselben, Einswerdung mit dem Âtman.
Bei der Erkenntnis steht der Âtman dem
erkennenden Subjekte immer noch als ein Andres, Objektives gegenüber.
Erst indem diese Zweiheit schwindet, wird der vijñânamaya
âtman zum ânandamaya (Taitt
2), und es tritt ein Zustand ein, welcher im Gegensatze zu dem des
Wachens, Träumens, Tiefschlafes von unsrer Upanishad
(in Übereinstimmung mit Mândûkya-Up.
7) der vierte (turya, turîya)
genannt wird. Die Möglichkeit dieses Zustandes, ja die Berechtigung
desselben ist nach Analogien des Christentums und des Neuplatonismus nicht
zu bezweifeln. – Bedenklicher (weil künstlich, und weil alles Künstliche
als solches schon gewissermaßen unecht ist) ist die in Indien aus
den Upanishadgedanken von der überintellektuellen
Einswerdung mit dem Âtman hervorgegangene,
Yoga ("Anschirrung, Ins-Werk-setzung")
genannte Praxis, diesen überintellektuellen Zustand durch Zurückziehung
der Organe von der Außenwelt, Anhalten des Atmens usw. künstlich
herbeizuführen. Da eine ganze Reihe späterer Upanishad's
die Verherrlichung des Yoga bezweckt, auch
ein eignes philosophisches System ihm gewidmet ist, so fehlt es nicht an
Mitteln, diese absonderliche Erscheinung der indischen Kultur zu studieren,
und man wird wohltun, sie in ihrem ganzen Zusammenhange kennen zu lernen,
ehe man zu ihrer Beurteilung schreitet. Was unsre Upanishad
darüber bietet, ist nächst Kâth.6,6–13
und Shvet.2,8–15 vielleicht das
älteste Vorhandene und noch ziemlich unentwickelt und unabgeklärt.
Statt der acht "Glieder" des Yoga, welche
das System kennt (Yogasûtra 2,29),
werden, mit Auslassung der drei vorbereitenden und unter Hinzufügung
von tarka, folgende sechs aufgezählt:
prânayâma, Regelung
des Atmens, pratyâhâra,
Zurückziehung der Organe von den Sinnendingen, dhyânam,
Meditation, dhâranâ, Fixierung
des Denkens, tarka, Kontrollierung
dieses Fixierens, samâdhi, Versenkung.
Auf diesem Wege gelangt man zur Freiheit nicht nur von der Außenwelt,
sondern auch von dem eignen (individuellen) Selbst, was mit einem neuen
und kühnen Ausdrucke nirâtmâkatvam
genannt wird, – gelangt man von dem shabdabrahman,
(der Silbe om, im weitern Sinne dem
ganzen Veda) zum ashabdabrahman,
welches nicht mehr erkennbar, aber, nach einigen, im Ohrensausen oder in
der Körperwärme unmittelbar wahrnehmbar ist. Dieses ashabdabrahman
ist Brahman, ist Vishnu
und ist Rudra, und der.Weg zu ihm durch
die hier zuerst genannte sushumnâ,
durch Durchdringung des Herzensäthers, durch Ablösung der Taitt.2
aufgezählten Schichten, wird in phantastischer, wenig zusammenstimmender
Weise beschrieben.
Am Ende des Gespräches
folgen die üblichen Ermahnungen, diese Lehre keinem Unwürdigen
mitzuteilen und eine Schilderung des Erlösten und seiner Freiheit
gegenüber der Unfreiheit der andern. Nach einer etwas dunkeln Polemik,
betreffend, wie es scheint, die vom Sânkhyastandpunkte
aus unentschieden bleibende Frage, ob eigentlich die Prakrti
oder der Purusha erlöst
werde, endet mit 6,30 die Erzählung von Brhadratha
mit der Beschreibung seines Einganges zur Vollendung.
S.344
18. Folgendes ist die Ordnung zur Bewerkstelligung derselben [der Einheit]:
Anhalten des Atems, Zurückziehung der Sinnesorgane,
Meditation, Fixierung des Denkens,
Kontrollierung derselben und Versenkung;
dieses wird der sechsgliedrige Yoga genannt.
Hierdurch geschieht es, daß (bis auf den Schluß Mund.3,1,3):
Wenn ihn der Seher schaut, wie Goldschmuck strahlend,
Den Schöpfer, Heim und Geist, die Brahmanwiege,
Dann gibt der Weise Gutes auf und Böses,
Einsmachend alles in dem Ew'gen, Höchsten.
Denn so heißt es:
Wie, wenn in Flammen ein Berg steht,
Wild und Vögel weg von ihm fliehn,
So fliehen allezeit Sünden
Weg von dem, welcher Brahman kennt.
19. Und an einem andern Orte heißt es:
«Fürwahr, wenn der Wissende,
nach außen zu das Manas zurückhaltend
und die Sinnendinge als Prânâ
in sich zur Ruhe bringend,
ohne Vorstellen infolgedessen besteht,
dann soll er, weil doch die Prânâ
genannte individuelle Seele
hier entstanden ist aus dem, was nicht Prânâ
ist,
darum als Prânâ den Prânâ
in dem, was turyam (das Vierte)
genannt wird (Mândûkya-Up.7
fg.)
Denn so heißt es:
Was unbewußt im Bewußtsein
Weilt, undenkbar, geheimnisvoll,
Darin Bewußtsein eintauche
Und das Lingam, des Grunds beraubt.
Das Lingam nirâshrayam
ist "der von der Außenwelt abgewandte psychische Organismus";
diese Erklärung ergibt sich aus Sânkhyâkarikâ
41: "wie ein Gemälde nicht ohne Hintergrund, wie ein Schatten
nicht ohne Baumstämme oder andre Körper, so besteht auch nicht
ohne die feinen Elemente (avishesha,
oder die groben Elemente, vishesha)
der des Grundes beraubte feine Leib (nirâshrayam
lingam). – Schon öfter begegneten wir, wie hier wieder,
wörtlichen Übereinstimmungen mit der Sânkhyâkarikâ.
20. Und an einem andern Orte heißt es:
«Noch eine höhere Fixierung (dhâranâ)
besteht darin,
daß man, indem man die Zungenspitze gegen den Gaumen preßt
und Rede, Manas und Atem unterdrückt,
das Brahman mittels der Kon-
S.345 trollierung (tarka,
dieser Übung) schaut.»
Wer so durch sein Selbst das Selbst, feiner als das Feine erglänzend,
unter Schwinden des Manas, sieht,
der, indem er durch sein Selbst das Selbst gesehen, wird selbstlos
(nirâtman),
und vermöge der Selbstlosigkeit ist er als unmeßbar und
grundlos zu denken. –
Dieses ist das, Erlösung bedeutende, höchste Geheimnis.
Denn so heißt es:
Durch Lautermachang des Denkens
Tilgt gutes er und böses Werk.
Mit lauterm Selbst im Selbst weilend,
Wird er teilhaftig ewiger Lust.
21. Und an einem andern Orte heißt es:
«Eine Ader steigt empor, die heißt Sushumnâ,
die Geleiterin des Prâna,
zwischen den Gaumenseiten abgesondert [in der uvula? vgl. Taitt.1,6,
oben S.219];
auf dieser, die vereinigt ist mit dem Prâna,
dem Laute Om und dem Manas,
steige er empor,
und indem er zum Gaumen hin die [Zungen-]Spitze kehrt
und die Sinnesorgane zur Einheit zusammenfaßt (samyojya),
schaut er als Größe die Größe (vgl. Chând.7,24,1)»;
dadurch gelangt er zur Entselbstigung (nirâtmakatvam),
und wegen der Entselbstigung ist er dann nicht teilhaft der Lust oder
des Schmerzes,
sondern er erlangt die Absolutheit (kevalatvam).
Denn so heißt es:
Dann aber, vorher stillstehend
Des eingehaltnen Odems Wind,
Durchbricht die Schranke, wird eins er
Am Haupt mit dem, was schrankenlos.
22. Und an einem andern Orte heißt es:
«Fürwahr, zwei Brahman's sind
zu überdenken, das Wort und das Nichtwort;
und eben durch das Wort wird das Wortlose offenbar gemacht.»
Hier bedeutet das Wort den Laut Om;
durch diesen emporgestiegen [vgl. Prashna 6], gelangt man in dem Nichtworte
zur Vernichtung.
Denn weiter heißt es:
«Dieses ist der Weg, ist das Unsterbliche, ist die Vereinigung
und so die Seligkeit.»
Nämlich gleichwie eine Spinne am Faden emporklimmend
[aus dem Verließ, in welches sie hinabgestiegen, wieder] ins
Freie gelangt,
so, fürwahr, gelangt der Meditierende, durch den Laut Om
emporsteigend, zur Freiheit.
S.346
In andrer Weise glauben vorzügliche Lehrer des Wortbrahman,
wenn sie das Ohr mit dem Daumen schließen (Chând.3,13,8,
vgl. Brh.5,9),
das Geräusch des Äthers, der im Herzen ist (Chând.8,1,1),
zu vernehmen.
Siebenfach ist dessen Ähnlichkeit,
nämlich mit Strömen, mit einem Glöcklein, mit einem
Blechtopfe, einem Rade,
mit Froschgequake [bheka-vihkrndhikâ,
wohl korrumpiert], mit Regen,
mit dem Reden in einem geschlossenen Raume.
Dieses, individuelle Bestimmungen (zu prthag
vgl. Chând.5,18,1)
an sich tragende,
[Wort-Brahman] überschreitend,
gehen sie in dem höchsten, wortlosen, unoffenbaren Brahman
unter;
daselbst sind sie ohne individuelle Eigenschaften, ohne individuelle
Unterschiede
gleichwie die zum Honigseim eingegangenen mannigfachen Blumensäfte
(Chând.6,9,1).
Denn so heißt es (Mahâbh.12,8540; cf. Brahmavindu 17. Sarvadarshanasamgrahâ
p.147,2):
Zwei Brahman's muß der Mensch kennen,
Das Wortbrahman und das zuhöchst;
Wer bewandert im Wortbrahman,
Erreicht das höchste Brahman auch.
23. Und an einem andern Orte heißt es:
«Das Wort(-brahman) ist die Silbe
Om;
aber die Spitze desselben ist dasjenige,
welches beruhigt, wortlos, furchtlos, kummerlos, Wonne,
gesättigt, fest, unbeweglich, unsterblich, unerschütterlich,
stetig,
den Namen Vishnu trägt
und zur Erhabenheit über alles führt;
«darum soll man diese beiden verehren!»
Denn so heißt es:
Der höh're Gott und der nied're, ;
Der da Om-Laut mit Namen heißt,
Der wortlose, wesensleere,
Den meditiert am höchsten Ort.
24. Und an einem andern Orte heißt es (vgl. Mund.2,2,
3-4):
«Der Leib ist der Bogen,
die Silbe Om der Pfeil,
das Manas seine Spitze,
die Finsternis [des Nichtwissens] das Ziel;
indem man die Finsternis durchbohrt,
und wer so das mit ihr Behaftete durchbohrt hat,
der hat geschaut, einem schimmernden Funken-
S.347 kreise 1 vergleichbar,
das sonnenfarbige, krafterfüllte, finsternisjenseitige
(Vâj.Samh.31,18; tamasah paryam
scheint Acc. zu sein von tamasah pari,
Rgv.1,50,10)
Brahman, welches (nach Kâth.5,15)
in jener Sonne,
sowie im Monde, im Feuer, im Blitze erglänzt;
und indem er Ihn (masc.) geschaut hat,
geht er (Vâj.Samh.1.c.) zur Unsterblichkeit ein.»
1 Das einheitliche, aber
als eine Vielheit von Wesen erscheinende Brahman
wird trefflich verglichen mit dem im Kreise geschwungenen Funken
(alâtacakram), welcher nur scheinbar
eine Vielheit von Teilen nebeneinander besitzt, in Wahrheit aber nur einer
bleibt. Weiter ausgeführt findet sich dieses Bild in Gaudapâda's
Mândûkya-kârikâ 4,47–52:
47. Wie Funkenschwingung den Schein gibt
Grader und krummer Linien,
So den Schein Bewußtseinsschwingung
Von Auffassen und Auffasser.
48. Wie ungeschwungen der Funke
Nicht erscheint, nicht entsteht (als Kreis),
So Bewußtsein, ungeschwungen,
Erscheint nicht und entsteht auch nicht.
49. Schwingt der Funke, so kommt der Schein
Nicht von außen her irgendwie,
Nicht von anderm als dem Schwingen,
Nicht ist Zuwachs dem Funken er;
50. Auch nicht entflieht er dem Funken,
Weil er nicht hat ein Wirklichsein. –
Ebenso ist's beim Erkennen,
Denn auch dieses ist bloßer Schein:
51. Schwingt Erkenntnis, so kommt der Schein
Nicht von außen her irgendwie,
Nicht von anderm als dem Schwingen,
Nicht ist Bewußtseinszuwachs er.
52. Nicht entflieht er dem Bewußtsein,
Weil er nicht hat ein Wirklichsein;
Weil Verursachtsein unwirklich,
Ist als wirklich undenkbar er.
Denn so heißt es:
Vertiefung, innerm Sein geltend,
Greift doch nach Außenzielen auch;
So wird objektlos Bewußtsein
Objekthaft wiederum gemacht.
Doch die Lust, die beim Hinschmilzen
Des Geist's sich selbst zum Zeugen nur
Besitzt, ist Brahman, rein, ewig,
Der wahre Weg, die wahre Welt.
S.348
25. Und an einem andern Orte heißt es:
«Wenn einer, die Sinne wie im Schlafe niedergehalten,
durch reinheitlichstes Denken, gleichwie in einem Traume,
in der Höhle der Sinnesorgane und doch nicht unter ihrer Botmaßigkeit,
jenen, Pranava (Om)
genannten, lichtgestaltigen, schlummerlosen,
alterlosen, todlosen, kummerlosen Lenker erschaut,
dann wird er selbst zu jenem, Pranava genannten,
lichtgestaltigen, schlummerlosen,
alterlosen, todlosen, kümmerlosen Lenker» [dem Gedanken
nach = Mund.3,2,9];
denn so heißt es [als Begründung des Vorhergehenden wenig
passend]:
Weil er so Leben und Om-Laut
Und alle Mannigfaltigkeit
Bindet, oder sie sich binden,
Wird Yoga (Bindung) es genannt.
Denn des Lebens and Geist's Einheit
Und aller Sinnwerkzeuge auch,
Und alles Seins Verabschiedung,
Die ist es, die man Yoga nennt.
26. Und an einem andern Orte heißt est
«Gleichwie der Vogelsteller [der zugleich Fischer ist] die Wasserbewohner
mit seinem Netzwerke herauszieht und sie in dem Feuer seines Bauches
opfert,
ebenso, fürwahr, zieht man diese Prâna's
[Lebenshauche] mit dem Laute Om heraus
und opfert sie in dem leidlosen Feuer [des Brahman,
Âtman]»;
dieses [Feuer] nun weiter ist wie ein heißes [mit geschmolzener
Butter gefülltes] Tongefäß,
und gleichwie die Butter in dem heißen Tongefäße
durch die Berührung mit [brennendem] Gras oder Holz aufflammt,
also auch flammt jener Nicht-Prâna Genannte
durch die Berührung mit den Prâna's
auf,
und was dabei aufflammt,
das ist die Erscheinungsform des Brahman,
das ist «der höchste Schritt des Vishnu»
(vgl. Kâth. 3,9),
das ist das Rudrasein des Rudra;
und dieses, indem es sodann unzähligfach sein Selbst zerteilt
(vgl. Chând.7,26,2),
erfüllt diese Welten.
Denn so heißt es (vgl. Brh.2,1,20.
Mund.2,1,1) -
Und gleichwie aus dem Feuer sprühn die Funken,
Wie Strahlen aus der Sonne, so bei ihm hier
Gehn wiederum die Lebenshauche alle
Hervor aus jenem nach der Reihenfolge.
S.349
27. Und an einem andern Orte heißt es:
«Fürwahr, das ist die Glut des höchsten, unsterblichen,
körperlosen Brahman,
was in dem Körper die Hitze ist (dem Sinne nach Chând.3,13,8);
ihr dient dieser [Körper] als Schmelzbutter
[die jene Hitze zum Aufflammen bringt und dadurch sichtbar macht];
und wenn sie dann offenbar wird, so bleibt sie dennoch in dem Äther
[des Herzens] eingehüllt;
darum stoßen sie durch die völlige Konzentration den Herzensäther
so beiseite,
und indem dann gleichsam das Licht jener [Hitze, die Brahman
ist] hervortritt,
so geht einer infolgedessen alsbald in ihre Wesenheit ein,
ähnlich wie ein in die Erde vergrabenes Stück Eisen alsbald
zu dem Erdesein eingeht;
und wie jenes in Erde umgewandelte Stück Eisen
vom Feuer, Eisenschmied und ähnlichen Einwirkungen nicht mehr
leidet,
so wird ähnlich auch das [individuelle] Bewußtsein mitsamt seinem
Substrate alsdann zu nichte.»
Denn so heißt es:
Die Ätherhülle im Herzen
Ist Wonne, ist der höchste Sitz,
Ist unser Selbst, unser Yoga,
Ist Feuers und der Sonne Glut.
28. Und an einem andern Orte heißt es:
«Wer, die Elemente [aus denen sein Leib besteht],
die Sinnesorgane und die Sinnendinge dahintenlassend,
den Bogen ergreift, dessen Sehne Pilgerschaft, und dessen Bügel Charakterstärke
heißt,
und, indem er mit dem Pfeile Eigendünkellosigkeit
jenen ursprünglichen Versperrer der Pforte zu Brahman
[den Ahankâra] niederschlägt,
–
auf dem Haupte trägt er [der Ahankâra]
die Krone der Verblendung,
in den Ohren die Ringe der Begierde und des Neides,
in der Hand den Stab der Schlaffheit, Trunkenheit und Arglistigkeit,
er ist des Eigendünkels Oberherr,
und indem er den Bogen ergreift, dessen Sehne Zorn, und dessen Bügel
Habgier heißt,
pflegt er mit dem Pfeile Verlangen seine Mitgeschöpfe zu morden,
–
wer diesen niederschlägt und sodann auf dem Schiffe Om
überfährt über den Äther im Herzen,
der wird in dem ihm offenbar gewordenen innern Äther nach und
nach,
wie der Minerale suchende Bergmann in der Grube vordringt,
also bis zu der Halle des Brahman vordringen,
die aus den vier Netzen
[dem nahrungartigen, odemartigen, manas-
S.350 artigen, erkenntnisartigen, Taitt.2]
bestehende Hölle des Brahman durchbrechen,
mittels Belehrung durch einen Lehrer,
und sodann, rein, geläutert, ledig, beruhigt, prânalos,
âtmanlos,
unendlich, unvergänglich, fest, ewig, ungeboren und frei
und indem er sich auf seine eigne Größe gegründet sieht,
blickt er gleichwie auf ein dahinrollendes Rad (vgl. Kaush.1,4,
oben S. 26)
auf das Rad des Samsâra hin.»
Denn so heißt es:
Wer sich sechs Monde laug anstrengt,
Von Weltlichkeit stets frei, dem wird
Unendlich, allerhöchst, geheim,
Vollkommne Yogakraft zuteil.
Doch wer, von Rajas und Tamas
Erfüllt, selbst wohl erleuchtet sonst,
An Kinder, Weiber und Sippschaft
Sich hängt, dem wird sie nie zuteil."
29« Nachdem Shâkâyanyâ
also gesprochen
und, in sich versunken, jenem [Brahman]
Verehrung dargebracht hatte,
sprach er:
"Durch dieses Brahmanwissen, o König,
haben den Weg zum Brahman
die Sohne des Prajâpati [die Vâlakhilya's,
nach dem Scholiasten] erstiegen;
denn volles Genügen, Abhärtung gegen die Gegensätze [wie
Kälte und Wärme, Vedântasâra
21]
und Beruhigung des Gemütes erlangt man durch Übung des Yoga",
sprach er.
"Dieses Allergeheimnisvollste", fuhr er fort,
"soll man keinem kund machen,
der nicht Sohn oder Schüler, und der noch nicht beruhigt ist.
Wer aber keinem andern [als dem Lehrer] anhängt und mit allen Tugenden
geschmückt ist,
dem mag man es mitteilen.
30. Om! In einer reinen Gegend (Chând.8,15)
soll man als ein Reiner in der Realität feststehen,
das Reale studieren, das Reale reden, das Reale meditieren,
dem Realen opfern [in der oben 6,9 geschilderten Weise].
Dadurch wird einer in dem realen Brahman, welches nach dem realen Manne
Verlangen trägt,
vollendet und ein andrer:
sein Lohn ist die Lösung von den Stricken,
und ohne zu hoffen, ohne zu fürch-
S.351 ten, sowenig von andern wie von sich selbst,
ohne mehr etwas zu wünschen,
erlangt er unvergängliche, unermeßliche Seligkeit
Denn die Freiheit von Wünschen
ist wie die vortrefflichste Hebung des trefflichsten Schatzes.
Denn [von Natur] ist der Purusha aller
Wünsche teilhaftig [anders Schol., Cowell, M.Müller];
und nur sofern er Entschließung, Vorstellung, Selbstwahn
[die Eigenschaften von Buddhi, Manas, Ahankâra]
als Lingam [psychischen Leib] annimmt,
und sofern das Gegenteil eintritt,
Zwar lehren einige:
es sei der Guna [Sattvam,
Rajas, Tamas], welcher,
zufolge der Differenzierung der Prakrti,
in die Gebundenheit der Entschließung [usw.] verfalle,
denn indem die Schuld der Entschließung [usw.] aufgehoben werde,
erfolge die Erlösung. –
[Aber dem ist nicht so!]
«Denn nur mit dem Verstande (manas)
sieht man
und mit dem Verstände hört man;
Verlangen, Entscheidung, Zweifel, Glaube, Unglaube,
Festigkeit, Unfestigkeit, Scham, Erkenntnis, Furcht,
alles dies ist nur Manas»
[wie die Schrift Brh.1,5,3
sagt,
woraus folgt, daß das Manas nur karanam,
Werkzeug der Bindung,
nicht kartr, der Gebundene
selbst ist;
hingegen wer gebunden wird, das ist als Bhûtâtman
der Purusha;
denn, wie es schon oben, 3,2 S.323, von ihm hieß:]
«vom Strome der Guna's fortgerissen
und besudelt,
wird er haltlos, schwankend, gebrochen, begehrlich, ungesammelt,
und in den Wahn [des Ichbewußtseins] verfallend wähnt er:
'ich bin dieser, mein ist dieses',
und bindet sich selbst durch sich selbst wie ein Vogel durch das Netz.»
–
Es ist somit der Purusha, welcher,
sofern er Entschließung, Vorstellung, Selbstwahn als Lingam
annimmt,
gebunden wird,
und sofern das Gegenteil eintritt, erlöst ist.
Darum soll man verharren ohne Entschließung, ohne Vorstellung,
ohne Selbstwahn;
das ist das Kennzeichen der Erlösung,
das ist hienieden der Wegführer zu Brahman
(vgl. Brh.4,4,23), die Öffnung
der Pforte,
und durch sie wird man ans jenseitige Ufer dieser Finsternis gelangen,
denn in ihm sind alle «Wünsche beschlossen» (Chând.8,1,5),
und mit Bezug darauf zitieren sie (z.B. Kâth.
6,10) den Vers:
S.352
Erst wenn gelangt zum Stillstande
Mit den fünf Sinnen Manas ist,
Und unbeweglich steht Buddhi,
Das nennen sie den höchsten Gang."
Also sprach Shâkâyanya,
und in sich selbst versunken [schwieg er].
Ihm zollte Marut [d.h. der König
Brhadratha] in gebührender Weise
die Verehrung,
und seines Zweckes teilhaftig geworden, zog er den Nordweg der Sonne,
denn dorthin ist kein Zugang auf einem Seitenwege, 1
sondern dorthin führt nur der Brahmanweg [der Devayâna],
und nachdem er durch die Sonnenpforte eingedrungen,
stieg er weiter [durch die Chând.5,10,2
genannten Stationen] empor.
1 Vgl. das Bekannte:
"Nicht gibt es einen andern Weg zum Gehen", Vâj.Samh.31,18 und öfter.
In bezug darauf zitieren sie die Verse
[welche nur eine Ausmalung des Verses Chând.8,6,6
= Kâth, 6,16 sind]:
Unendlich sind dessen Strahlen,
Der als Fackel im Herzen steht,
Weiß, nicht weiß, schwärzlichgelb, dunkel,
Rotbraun auch und von zartem Rot.
Von ihnen führt empor ein Strahl,
Der durch die Sonnenscheibe dringt,
Höher noch als die Welt Brahman's;
Auf ihm geht man den höchsten Gang.
Noch andrer Strahlen sind hundert,
Die nach oben verbreiten sich,
Auf denen zu den Wohnsitzen
Der Götterscharen man gelangt.
Noch andre Strahlen gehn abwärts,
Mannigfaltig, von mattem Glanz,
Durch die zum Werkgenuß hierher
Wider Willen die Seele eilt.
Darum ist die Ursache für Neugeburt, Himmel und Erlösung
der [als jene Fackel im Herzen strahlende] verehrungswürdige Âditya.
S.353
Nachdem mit dem Schlusse der
Reden des Shâkâyanya und der Schilderung
von dem Eingange des Königs Brhadratha
zur Vollendung das Thema der Upanishad
absolviert ist, so folgen weiterhin von 6,31 bis zu Ende der Upanishad
7,11 Nachträge, die sich durch den neuen Anfang und durch die
Art, wie sie das früher Abgehandelte wieder aufnehmen, um es fortzuentwickeln
und näher auszuführen, deutlich als solche kennzeichnen. Die
Themata dieser Nachträge sind folgende:
6,31–32.
Der Âtman und die Organe.
6,33–38.
Das Opfer und das Prânâgnihotram.
7,1–7.
Âditya als der Âtman.
7,8–10.
Polemik gegen Häresien.
7,11.
Epilog.