Dieser
Abschnitt steht in nächster Beziehung zum vorhergehenden, wie schon
die an 8,1,5 und 8,1,1 anknüpfenden Anfangsworte 8,7,1 (ya'
âtmâ atahatapâpmâ
usw.) und die wörtliche Wiederholung der Hauptstelle 8,3,4 in 8,12,3
(evam eva esha samprasâdo
usw.) beweisen. Sein Zweck ist, die Ausführungen des vorigen Abschnittes
zu ergänzen, indem er einerseits behufs der dort geforderten Erkenntnis
des Âtman das
wahre Selbst von dem falschen genauer unterscheiden lehrt (die drei ersten
Antworten Prajâpati's), anderseits dem Einwande, daß bei der
Vereinigung mit Brahman im
Tiefschlafe das Bewußtsein verloren gehe, zu begegnen sucht (die
vierte Antwort des Prajâpati). – Âtman,
das Selbst, ist (wie in meiner „Geschichte der Philosophie“,
1, S.324 fg. ausgeführt) ein sehr vieldeutiger Begriff, sofern man
namentlich das Selbst 1) materialistisch im Leibe, 2) realistisch in der
individuellen Seele, 3) idealistisch in der allein realen höchsten
Seele finden kann. Diese drei schrittweise sich vertiefenden Auffassungen
erscheinen hier als drei Antworten, welche Prajâpati dem Indra auf
die Frage: „was ist das Selbst?“ erteilt. Durch diese
Einkleidung wurde Shankara verleitet, schon in der ersten Antwort die (individuelle)
Seele zu verstehen, weil sonst Prajâpati „ein Betrüger sein
würde“. Aber Prajâpati ist hier der mythologische
Vertreter der Natur, welche niemals lügt und doch dem tiefer und tiefer
dringenden Denken auf die Frage, ,worin unser Âtman,
unser eigentliches Wesen, zu suchen sei, tatsächlich die drei genannten
Antworten erteilt.
1)
Die erste Antwort auf die Frage: „was ist das Selbst?“
– lautet: ya' esho
kshini purusho drshyate,
d.h. hier: „die Person, welche im Auge (des andern, wenn wir uns darin
spiegeln) gesehen wird“.
Daß diese Auffassung richtig ist, beweist das Folgende, in welchem
das Spiegelbild im Spiegel und im Wasser für ganz das nämliche
wie jenes Spiegel-
S.194 bild
im Auge erklärt wird. Um so auffallender ist, daß sonst unter
dem „Purusha
(Person, Geist) im Auge“ immer die (individuelle) Seele verstanden wird;
so Brh. 2,3,5.5,5,2. Chând. 1,7,5 und namentlich 4,15,1, wo
genau mit denselben Worten dieser purusho
‚kshini für âtmâ,
amrtam, abhayam, brahma erklärt
wird. Vielleicht enthält unsre Erzählung eine Polemik gegen alle
diese Stellen; vielleicht beriefen sich gar die Materialisten auf jene
Stelle Chând.4,15,1(the devil
can cite scripture for his purpose), und unser Autor sucht sie in seiner
Weise zu widerlegen. Jedenfalls kann kein Zweifel sein, daß hier
das Spiegelbild im Auge, im Spiegel, im Wasser, als Abbild des materiellen
Leibes verstanden werden muß.
2)
Ebenso gewiß ist, daß dasjenige, was Prajâpati in der
zweiten Antwort für âtmâ,
amrtam, abhayam, brahma erklärt,
nämlich: ya' esha svapne mahîyamânash
carati, – die individuelle Seele ist,
wie sie zwar, von der Leiblichkeit und ihren Gebrechen befreit, „im Traume
fröhlich umherschweift“,
aber doch immer noch als Subjekt die Welt der Objekte als ein Anderes,
Fremdes, zu Fürchtendes sich gegenüber hat. Sehr schön wird
dies durch den Traumstand illustriert, als den einzigen Zustand, in welchem
wir die von der Leiblichkeit, nicht aber von der Individualität entbundene
Seele empirisch beobachten können.
3)
Im Gegensatze zu ihm ist der Tiefschlaf, auf welchen die dritte Antwort
Prajâpati's hinweist, der einzige, empirisch bekannte, Zustand, in
welchem die Aufhebung der Unterschiede von Subjekt und Objekt und somit
die völlige Einswerdung der individuellen mit der höchsten Seele
eintritt. – Hiermit ist der höchste Standpunkt erreicht, und die noch
folgende vierte Antwort Prajâpati's geht nicht mehr, wie die andern,
über die vorhergehenden Antworten hinaus, sondern will nur einen Einwand
Indra's zurückweisen. Es ist derselbe Einwand, welchen Brh.2,4,13
(=4,5,14) Maitreyî gegen Yâjñavalkya's
Behauptung: „nach dem Tode ist kein Bewußtsein“ erhebt. Während
aber dort klar und schön gezeigt wird, wie ein Bewußtsein nur
möglich ist in der vielheitlichen Welt, und wie nach deren Aufhebung
zwar nicht die Erkenntnis, wohl aber der (unerkennbare) Erkenner fortbesteht,
so erscheint in unsrer Stelle dieser selbe Gedanke in viel trüberer
Gestalt. Zunächst weist Prajâpati auf die Körperlosigkeit
der Seele hin (die doch der vorher abgefertigten individuellen Seele gleichfalls
zukommt) und zeigt an einem ziemlich unklaren Simile von Wind, Wolke,
Donner und Blitz, wie die völlige Befreiung vom individuellen, die
im Tiefschlafe statt hat, nicht eine Vernichtung, sondern eine Rückkehr
zu der ureignen Natur als uttamapurushah, d.h. reines, objektloses Subjekt des
Erkennens, ist. – Die dann folgende, sinnliche Schilderung, wie diese höchste
Seele sich mit Weibern, Wagen, Freunden amüsiert, muß wohl späterer
Zusatz sein, da sie von dem Einwande Indra's gegen die zweite Antwort zu
sehr getroffen wird, auch der unmittelbar vorhergehenden Behauptung, den
Körperlosen berühre Lust und Schmerz nicht, zu sehr widerspricht,
als daß wir sie in der ursprünglichen Konzeption einbegreifen
könnten. Auch kann sich 8,12,4 sa
câkshushah purushahnicht
wohl auf den vorhergehenden prâna
(das
S.196 physische
Lebensprinzip), sondern vielmehr nur auf den uttamapurushahzurückbeziehen. Er, und nicht der
prâna,
ist, wie im folgenden ausgeführt wird, das Subjekt des Sehens (cakshushah
purusha), Riechens, Redens, Hörens,
Denkens, alles andre sind nur seine Organe. – Auch die Götter, auf
die zum Schlusse als Vorbilder der Erkenntnis des Âtman
und der erreichten Alleinheit hingewiesen
wird, sind in diesem Zusammenhangs befremdlich, nicht nur, weil sie ja
oben den Indra absandten, um diese Lehre erst von Prajâpati zu empfangen,
sondern auch, weil es in den Upanishad's
durchaus nicht üblich ist, sich die Götter als im Vollbesitze
der Âtmanlehre
befindliche Wesen zu denken (vgl. Brh.1,4,10.
4,3,33. 5,2,1.
Taitt.2,8. Kaush.4,20).
Siebenter
Khanda
ya âtmâpahata-pâpmâ
vijâro
vimrtyur vishoko vijighatso 'pipâsah
satya-kâmah
satya-sankalpah
so 'nveshtavyah
sa vijijñâsitavyah
sa sarvâmsh
ca lokân âpnoti sarvâmsh ca kâmân
yas tam âtmânam
anuvidya vijânânîti ha prajâpatir uvâca (1)
1. „Das
Selbst (Âtman), das sündlose,
frei vom Alter, frei vom Tode und
frei vom Leiden, ohne Hunger und ohne Durst,
dessen Wünschen wahrhaft, dessen
Entschluß wahrhaft ist,
das soll man erforschen, das soll
man suchen zu erkennen;
der erlangt alle Welten und alle Wünsche,
wer dieses Selbst gefunden hat und
erkennt!“
– Also sprach Prajâpati.
taddhobhaye devâsurâ anububudhire
te hocur
hanta tam âtmânam anvicchâmo
yam âtmâna anvishya sarvâmsh
ca lokân âpnoti sarvâmsh
ca kâmân iti
2. Das vernahmen beide, die Götter
und die Dämonen. Und sie sprachen:
„Wohlan!
laßt uns nach diesem Selbste forschen,
dem Selbste, durch dessen Erforschung
man alle Welten erlangt und alle Wünsche!“
–
der dort umherwandelt, indem er
scherzt und spielt und sich ergötzt,
sei es mit Weibern, oder mit Wagen,
oder mit Freunden
und nicht zurückdenkt an dieses
Anhängsel von Leib,
an welches der Prâna
angespannt ist wie ein Zugtier an den Karren. –
atha yathaitad âkâsham anuvishannam
cakshuh
sa câkshushah purusho
darshanâya chakshur
atha yo dededam jighrânîti
sa âtmâ gandhâya ghrânam
atha yo dededam abhivyâhârânîti
sa âtmâbhivyâhârâya vâg
atha yo dededam shrnavânîti
sa âtmâ shravanâya shrotram (4)
4. Wenn das Auge sich richtet auf den
Weltraum,
so ist er der Geist im Auge, das
Auge [selbst] dient [nur] zum Sehen;
und wer da riechen will, das ist
der âtman, die Nase dient nur zum
S.201 Geruche;
und wer da reden will, das ist der
âtman, die Stimme dient nur zum Reden;
und wer da hören will, das
ist der âtman, das Ohr dient nur zum hören;
atha yo dededam manvânîti sa âtmâ
mano 'sya daivam cakshuh
sa vâ esha etena daivena cakshushâ
manasaitân kâmân pashyan
ramate ya ete brahma-loke (5)
5. und wer da verstehen will, das ist
der âtman,
der Verstand ist sein göttliches
[Vergangenheit und Zukunft umspannenden] Auge;
mit diesem göttlichen Auge,
dem Verstande, erschaut er jene Genüsse
und freut sich ihrer. –
tam vâ etam devâ âtmânam
upâsate
tasmât teshâm sarve ca lokâ
âttâh sarve ca kâmâh
sa sarvâmsh ca lokân âpnoti
sarvâñch ca kâmân
yas tam âtmânam anuvidya vijânânîti
6. Ihn verehren jene Götter in
der Brahmanwelt [die von Indra die Belehrung erhalten werden] als das Selbst;
darum besitzen sie alle Welten und
alle Wünsche. –
Der erlangt alle Welten und alle
Wünsche,
wer dieses Selbst gefunden hat und
kennt.“
ha prajâpatir uvâca
prajâpatir uvâca (6)
Also sprach Prajâpati,
– sprach Prajâpati.
iti dvâdashah khandah
(12)
C. Anhang
(drei abschließende Stücke enthaltend)
Dreizehnter Khanda
1) Dieser Weihespruch (pâvana
mantra) schließt sich unmittelbar an den ersten Teil des Prapâthaka
(1-6) an) mit dem er wohl auch ursprünglich zusammenhing, und von
dem er durch spätere Einschiebung der Prajâpati-Legende (7-12)
abgetrennt wurde. Dort war von dem Herzensbrahman und der Brahmanwelt und
von der Verbindung beider durch Adern und Sonnenstrahlen die Rede. Hier
drückt der Sprechende seine Angehörigkeit zu beiden Wohnstätten
des Brahman und das stetige Übergehen
von der einen zur andern aus, wobei in mystischer Weise das Brahman im
Herzen als das Dunkle, die Brahmanwelt als das Bunte bezeichnet wird.
Vom Dunkeln wandre ich zum Bunten, vom Bunten wandre ich zum Dunkeln.
Gleichwie ein Roß seine [abgestorbenen] Mähnenhaare, abschüttelnd
das Böse, –
gleichwie der Mond aus Râhu's Rachen, mich befreiend, – abwerfend
den Leib,
gehe ich, bereiteten Selbstes, in die unbereitete [unerschaffene] Brahmanwelt
ein,
– Brahmanwelt ein.
iti trayodashah khandah
(13)
Vierzehnter Khanda
2) Ein kurzes Glaubensbekenntnis
(im Anschluß an die Stelle von Brahman
als dem Erde und Himmel und alle Dinge in sich befassenden Herzensraum,
Chând. 8,1,3) für den ausscheidenden Schüler, der, je nachdem
er Brahmane, Kshatriya oder Vaishya war, wohl einen der drei hier
nebeneinander stehenden Ausdrücke auswählte. Der Schlußsatz
wird vom Kommentator als der Wunsch aufgefaßt, nicht wieder in einen
Mutterschoß zu neuer Geburt eingehen zu müssen, könnte
aber auch eine Bitte um Bewahrung
S.202 vor
den Beschwerden des Greisenalters durch frühzeitiges Sterben sein.
Das sonst nicht vorkommende lindu (vgl. klid,
viklindu Atharvav. 12,4,5) mit Böhtlingk in lingam
zu korrigieren, haben wir wohl keine Veranlassung.
âkâsho vai nâma nâma-rûpayor
nirvahitâ
te yad antarâ tad brahma
tad amrtam sa âtmâ
Der Äther (Raum, âkâsha) ist es, welcher die Namen und
Gestalten auseinanderdehnt;
worin diese beiden sind [oder: was in diesen beiden ist], das ist das
Brahman,
Ich gehe fort zur Halle des Herrn der Schöpfung, zu seinem Hause [ich
trete ein in die Welt];
ich bin die Zierde der Brahmanen,
die Zierde der Krieger,
die Zierde der Ansiedler;
zur Zierde bin nachfolgend ich gelangt;
nicht möge ich, der Zierden Zier, eingehen in das Graue ohne Zähne,
– das ohne Zähne, Graue,
Schleimige!
iti caturdashah khandah
(14)
Fünfzehnter Khanda
3) Schlußwort der
Upanishad mit Ausblick auf das künftige
Leben des ausscheidenden Schülers, dem wohl am Ende der Lehrzeit diese
Ermahnung (ähnlich wie das Schlußkapitel Brh. 6,4) mit
auf den Weg gegeben wurde. Wenn dabei die Pflichten des Grhastha
allein vorschweben, und für deren treue Ausubung yavadâyusham
„durch die ganze Dauer des Lebens“ die Brahmanwelt verheißen wird,
so beweist auch dieses wieder, sowie Chând. 2,23,1, daß die
Theorie der vier zu durchlaufenden Lebensstadien (als Brahmacarin,
Grhastha, Vânaprastha, Samnyâsin erst in der
Bildung begriffen war.
taddhaitad brahmâ prajâpataya uvâca
prajâpatir manave
manuh prajâbhya
Diese Lehre hier hat Brahmán (mask.) dem Prajâpati,
Prajâpati dem Manu,
Manu den Geschöpfen verkündigt.
âcârya-kulâd
vedam adhîtya yathâvidhânam
guroh karmâtisheshenâbhisamâvrtya
kutumbe shucau deshe
svâdhyâyam adhîyâno
dhârmikân vidadhad
Wer aus der Familie des Lehrers,
nach vorschriftsmäßigem Vedastudium
in der von der Arbeit für den Lehrer übrig bleibenden Zeit,
nach Hause zurückkehrt,
im [eignen] Hausstande in einer reinen [den Brahmanen zum Aufenthalte
gestatteten] Gegend
das Selbststudium des Veda betreibt,
fromme [Söhne und Schüler] erzieht,
âtmani sarvendriyâni sampratishtâpy
âhimsan sarva-bhûtany anyatra tîrthebhyah
alle seine Organe in dem Âtman zum Stillstande bringt, auch
kein Wesen verletzt, ausgenommen an heiliger Stätte [beim Opfer]
–
sa khalv evam vartayan yâvad âyusham
brahma-lokam abhisampadyate na ca punar âvartate
na ca punar âvartate
der, fürwahr, wenn er diesen Wandel die Dauer seines Lebens hindurch
einhält,
gehet ein in die Brahmanwelt und kehrt nicht wieder zurück,