Niemals steigt und niemals
sinkt die Sonne,
Ohne daß nach Dir
der Sinn mir stände.
Nie sitz mit den Leuten
ich zu sprechen,
Ohne daß mein Wort
Du wärst am Ende.
Keinen Becher Wasser trink
ich dürstend,
Ohne daß Dein Bild
im Glas ich fände.
Keinen Hauch tu ich, betrübt
noch fröhlich,
Dem sich Deingedenken nicht
verbände.
*
Dein Bildnis mir im Auge,
Dein Wohnort mir im Herz,
Im Mund das Deingedenken
–
Und wo verbirgst du Dich?
*
Wenn dich die Rosse der
Entfernung drängen,
Verzweifeln dir die Hoffnung
rauben möchte,
So nimm der Demut Schild
in deine Linke,
Das Schwert des Weinens
fasse mit der Rechten,
Und hüte dich, o hüte
dich, sei furchtsam!
Gib acht vor der verborgenen
Tyrannis!
Und überkommt die
Trennung dich im Finstern,
So geh zum Kerzenlicht
des Herzensfriedens,
Sprich zum Geliebten: »Hier
siehst Du mein Elend –
Verzeihe gnädig mir
noch vor dem Treffen!«
Und bei der Liebe! Kehre
ja nicht wieder
Vom Freunde, eh dein Wunsch
Belohnung fand!
*
Gepriesen sei, dess Menschheit
klar erzeigte
Das strahlende Geheimnis
Seiner Gottheit,
Der sich dann Seiner Schöpfung
offenbarte
In der Gestalt dess, »welcher
ißt und trinkt«,
Bis Seine Schöpfung
Ihn mit Augen schaute
Gleich einem Blick von
einem Lid zum anderen.
*
Welch Land wär' leer
von Dir, daß jene,
Dich suchend, bis zum Himmel
gehen?
Du siehst: Sie schauen
deutlich zu Dir,
Die Dich vor Blindheit
doch nicht sehen.
*
Husain ibn Mansur (Halladsch)
schrieb einen Brief folgenden Textes:
Im Namen Gottes des Barmherzigen
des Erbarmers,
der Sich durch alles dem
manifestiert, dem Er will.
Friede sei mit dir, mein Sohn!
Gott möge dir das
Äußere des Religionsgesetzes verhüllen
und dir das wahre Wesen
des Unglaubens enthüllen.
Denn das Äußere
des Religionsgesetzes ist verborgener Unglaube,
und das wahre Wesen des
Unglaubens ist deutliche Erkenntnis.
Ferner: Lob sei Gott, der
auf der Spitze einer Nadel erscheint, wem Er will,
und sich in den Himmeln
und Erden verhüllt, vor wem Er will,
damit dieser bezeuge »Er
ist nicht«
und jener bezeuge »Es
gibt keinen außer Ihm«.
Doch ist nicht derjenige verwerflich,
der bezeugt, daß Er nicht ist,
noch ist derjenige lobenswert,
der bezeugt, daß Er ist.
Was ich mit diesem Brief
bezwecke, ist,
daß du dich nicht von
Gott täuschen läßt
und nicht an Ihm verzweifelst,
daß du Seine Liebe nicht
begehrst
und dich nicht damit zufriedengibst,
Ihn nicht zu lieben.
Sprich nicht über Ihn,
um Ihn zu bestätigen,
und neige dich nicht Seiner
Negation zu.
Und hüte dich vor dem
Bekenntnis Seiner Einheit! Leb wohl!
'Abdul-Wadud ibn Sa'id
ibn 'Abd al-Ghani sagte:
Ich trat bei Halladsch
ein und sagte zu ihm:
»Gib mir einen Hinweis
auf Das große Gleichnis vom Schreibrohr!«
Er sprach: »Das große
Gleichnis vom Schreibrohr liegt außerhalb der Worte,
so daß du es aussprechen
könntest!«
Ich sagte: »Was bedeutet
dann "Es gibt keinen Gott außer Gott"«?
Er sprach: »Ein Wort,
mit dem Er das gewöhnliche Volk beschäftigt,
damit sie nicht mit den
wahren Einheitsbekennern vermischt werden.
Das ist die Erläuterung
des Einheitsbekenntnisses von jenseits des Religionsgesetzes.«
Dann färbten sich
seine Wangen rot, und er sprach:
»Soll ich es dir kurz
zusammenfassen?«
Er sprach: »Wer behauptet,
er erkläre Gott als Einen, der hat Ihm bereits etwas zugesellt.«
Glaube und Unglaube unterscheiden
sich im Hinblick auf den Namen;
aber im Hinblick auf die
Wirklichkeit gibt es keinen Unterschied zwischen ihnen.
*
Die Behauptung, Ihn zu
kennen, ist Unwissenheit;
Ihm fortwährend zu
dienen, ist Mangel an Ehrfurcht;
sich zu hüten vor
dem Kampf mit Ihm ist Verrücktheit;
sich täuschen zu lassen
von Seinem Frieden ist Dummheit.
Disputation über Seine
Attribute ist Verwirrung;
Schweigen hinsichtlich
Seiner Anerkennung ist Furchtsamkeit.
Nähe bei Ihm zu suchen
ist Kühnheit;
mit Seiner Ferne sich dankbar
zufrieden zu geben, ist niedrige Gesinnung.
*
Keiner bekennt Gott als
Einen außer Gott selbst,
und keiner kennt das wahre
Wesen des Einheitsbekenntnisses als der Gesandte Gottes.
*
Wer Ihn kennt, beschreibt
Ihn nicht,
und wer Ihn beschreibt,
kennt Ihn nicht.
*
Halladsch diktierte
einem seiner Schüler:
Wahrlich; Gott - Er ist
heilig und erhaben, und Ihm gebührt das Lob –
ist eine Essenz, durch
sich selbst bestehend durch Seine Vorzeitlichkeit,
isoliert von dem was nicht
Er ist,
sich vereinzelnd von dem,
was außer Ihm ist, durch absolutes Herr-Sein.
Nicht mischt sich etwas mit
Ihm,
und nicht vermengt sich
mit Ihm ein anderes;
nicht enthält Ihn ein
Ort,
und nicht erfaßt
Ihn eine Zeit;
nicht schätzt Ihn ein
Gedanke ab,
und nicht bildet sich Ihn
ein Einfall ein;
nicht erreicht Ihn ein Blick,
und nicht ergreift Ihn
Erschlaffung.
Dann geriet er in ekstatische
Freude und rezitierte:
Meine Besessenheit hält
Dich heilig,
Und was ich denk' über
Dich, ist Verwirrung.
Ach, es hat mich der Liebste
verwirret
Und eine Braue mit bogigem
Schwung.
Und es deutete schon die Liebe
Drauf, daß die Nähe
nur Täuschung ist.
Dann sprach er:
Mein Sohn, hüte dein
Herz davor, an Ihn zu denken,
und deine Zunge, Seiner
zu gedenken;
doch benutze die beiden
dazu, Ihm immer zu danken.
Denn über Sein Wesen nachzudenken
und sich Seine Attribute
vorzustellen
und Ihn mit Worten zu bestätigen,
gehört zu den gewaltigsten
Sünden
und zum höchsten Hochmut.
Wisse, daß der Mensch,
wenn er Gottes Einheit bekennt, sich selbst bestätigt,
und wer sich selbst bestätigt,
begeht verborgene Abgötterei.
Gott der Erhabene ist es, der
selbst seine Einheit bekennt
durch die Zunge eines,
den Er will, unter Seinen Geschöpfen.
Wenn Er sich selbst als Einer
bekennt durch meine Zunge –
so ist Er Er, und es ist
Seine Sache –
andernfalls, was habe ich mit
dem Einheitsbekenntnis zu tun?
Wer den Verstand zu Ihm
als Führer annimmt,
Den läßt verwirrt
Er auf die Weide ziehn;
Sein Innres wird vermischt
mit lauter Täuschung,
Bis daß verstört
er fragt: »Ach, gibt es Ihn?«
Wer die göttliche
Wahrheit mit dem Licht des Glaubens sucht,
ist wie einer, der die
Sonne mit dem Licht der Sterne sucht.
*
Wer die Urewigkeit und
die endlose Ewigkeit betrachtet
und seine Augen gegenüber
allem verschließt, was dazwischen liegt,
der bestätigt das
Einheitsbekenntnis.
Und wer seine Augen vor Urewigkeit
und endloser Ewigkeit verschließt
und das betrachtet, was
dazwischen liegt,
verrichtet den Gottesdienst.
Und wer sich vom Dazwischen
und von den beiden Enden
fernhält,
der hat den Griff der Wahrheit
in die Hand bekommen.
Ibn Haddad al-Misri
erzählt:
In einer mondhellen
Nacht ging ich hinaus zum Grabe Ahmad ibn Hanbals.
Da sah ich dort von
weitem einen Mann, der nach Mekka hin gewandt stand.
Ich näherte mich
ihm, ohne daß er es merkte,
und siehe, es war Husain
ibn Mansur, der weinte und sprach:
»O Du, der mich mit
Seiner Liebe berauscht hat
und mich in der Feldern
Seiner Nähe verwirrt gemacht hat,
Du bist es, der durch die
Vorzeitlichkeit isoliert ist,
der allein ist auf dem
Throne der Wahrhaftigkeit.
Daß Du Dich dort
aufhältst, geschieht durch Gerechtigkeit, nicht durch Gleichmäßigkeit;
Deine Ferne geschieht durch
Verhüllung, nicht ein Sich-Zurückziehen;
Deine Gegenwart geschieht
durch Kennen, nicht durch Verändern des Platzes;
Deine Abwesenheit geschieht
durch Sich-Verschleiern, nicht durch Abreisen.
Nichts ist über Dir,
daß es Dich beschatten könnte,
nichts unter Dir, daß
es Dich heben könnte,
nichts vor Dir, daß
es Dich begrenzen könnte,
nichts hinter Dir, daß
es Dich erreichen könnte!
Ich bitte Dich bei der
Ehre dieser Gräber, die Du angenommen hast,
und der Stufen, die von
mir gesucht werden,
daß Du mich nicht
mir zurückgibst, nachdem Du mich mir entrissen hast,
und mich mein Selbst nicht
wiedersehen läßt, nachdem Du es vor mir verhüllt hast.
Vermehre meine Feinde in
Deinem Lande
und diejenigen Deiner Diener,
die es unternehmen, mich zu töten!«
Als er mich dann bemerkte,
wandte er sich zu mir und lachte mir zu
und kehrte um und sagte:
»Abu'l-Hasan, der
Zustand, in dem ich mich befinde, ist die erste Station der Novizen!«
Ich sagte verwundert:
»Was sagst du da, Meister?
Wenn dies die erste Station
der Novizen ist,
was ist dann die Station
dessen, der darüber steht?«
Er sprach: »Ich
habe gelogen. Es ist die erste Station der Muslime.
Nein vielmehr, ich habe
wieder gelogen: es ist die erste Station der Ungläubigen!«
Dann schrie er dreimal
auf und fiel hin, und Blut floß ihm aus der Kehle.
Er gab mir mit der Hand
ein Zeichen, ich solle gehen. So ging ich und verließ ihn.
Als es Morgen wurde,
sah ich ihn in der Moschee Mansurs.
Er nahm meine Hand und
wandte sich mit mir in eine Ecke und sprach:
»Bei Gott, ich beschwöre
dich, laß keinen das erfahren, was du gestern von mir gesehen hast!«
BUCHSTABEN vier, durch
die mein Herz entzückt ist,
Mein Denken und mein Sinnen
sich verwirrt:
A, anziehend zur Schöpfung
die Geschöpfe,
L, lauter Tadel, der mich
überkommt.
L, nochmals, lehrt, daß
noch mehr Tadel heimsucht,
H, das mich schweifen läßt
– verstehst du das?
Als Halladsch den Schlußgruß
des Nachtgebetes verrichtete, sprach er:
»O Gott, Du bist
der, welcher durch alles Gute erhofft wird,
und bist es, welcher bei
jeder wichtigen Angelegenheit angerufen wird,
von dem die Erfüllung
jedes Bedürfnisses erhofft
und von dessen umfassender
Huld alle Vergebung und Erbarmung gefordert wird.
Du kennst und wirst nicht
gekannt;
Du siehst und wirst nicht
gesehen;
Du hast Kenntnis von den
Winkeln der tiefsten inneren Empfindungen Deiner Geschöpfe,
und Du bist allmächtig.
Ich aber, da ich den Lufthauch
des Zephirs Deiner Liebe
und den Dufthauch Deiner
Nähe gefunden habe,
sehe die festgegründeten
Gebirge für niedrig an
und halte Himmel und Erden
für gering.
Bei Deiner Wahrheit!
Wenn Du mir das Paradies
verkaufen wolltest für einen Moment meiner Entrückung
oder für einen Nu
meiner heißesten Atemzüge – ich würde es nicht kaufen.
Und wenn Du vor mich das
Höllenfeuer stelltest, voll mit allen Arten Deiner Strafe,
würde ich es für
leicht halten gegenüber dem Zustand, in dem ich mich befinde,
wenn Du Dich verhüllst.
Verzeih den Geschöpfen
und verzeih mir nicht,
sei ihnen barmherzig und
sei mir nicht barmherzig!
Ich disputiere mit Dir
nicht um meinetwillen,
und ich bitte Dich nicht
um meines Rechtes willen –
so tu mit mir, was Du willst!«
Und als er fertig war, erhob
er sich zu einem weiteren Gebet und rezitierte die Fatiha (Sura 1)
und begann die Sura
»Das Licht« (Sura 24) und kam bis zur Sura »Die Ameisen«
(Sura 27).
Und als er zu Gottes
Wort kam: »Werft ihr euch nicht nieder vor Gott,
der das Verborgene aus
Himmel und Erde hervorbringen wird?« (Sura 27,25)
stieß er einen
Schrei aus und sprach:
»Das ist der Schrei
eines, der Ihn nicht kennt.
Denn zur Liebe dessen,
der wahrhaft liebt, gehört es,
daß er nicht anbetet,
was begrenzt ist!«
Ich bin der, den ich lieb';
Er, den ich liebe,
Ist ich – zwei Geister,
doch in einem Leibe.
Und wenn du mich siehst,
hast du Ihn gesehen,
Und wenn du Ihn siehst,
siehest du uns beide!
*
Es hat mein Geist gemischt
sich mit dem Deinen,
Wie Wein vermischt mit
klarem Wasser sich.
Wenn etwas Dich berührt,
rührt es auch mich an,
Denn immer bist und überall
Du ich.
*
Dein Geist hat sich gemischet
mit dem meinen
Wie Moschus mit dem Ambra,
duftend reinen,
Was Dich berührt,
muß mich sogleich berühren,
So bist Du ich - ein ungetrennt
Vereinen!
*
Ibrahim ibn Fatik sagte:
Ich trat eines Tages
unerwartet bei Halladsch ein in einen Raum,
den man ihm zugeteilt
hatte [im Gefängnis],
und sah ihn, den Scheitel
auf dem Boden, sprechen:
»O Du, der wenn Er
nahe ist, ständig in meiner Seele weilt,
und der, wenn Er abwesend
von mir ist,
so fern ist wie das Vorzeitliche
von dem zeitlichen Geschaffenen!
Du strahlst vor mir auf,
bis ich denke, Du seiest Alles,
und Du ziehst Dich von
mir zurück, bis ich bezeuge, daß Du nicht bist.
Weder läßt Deine
Ferne mich lebendig bleiben, noch nützt mir Deine Nähe;
der Krieg mit Dir gibt
mir keinen Nutzen, und der Frieden mit Dir gibt mir keine Sicherheit.«
Als er meine Anwesenheit
bemerkte, setzte er sich aufrecht und sprach:
»Tritt ein, scheue
dich nicht!«
So trat ich ein und setzte
mich vor ihn,
und seine Augen waren
wie zwei Feuerflammen.
Darauf sprach er:
»Mein lieber Sohn,
einige Leute bezeugen für mich meinen Unglauben,
und andere bezeugen für
mich meine Heiligkeit.
Aber diejenigen, die meinen
Unglauben bezeugen, sind mir und Gott lieber
als diejenigen, die mir
Heiligkeit zuerkennen.«
Ich sagte: »Meister,
warum das?«
Er sprach:
»Weil diejenigen,
die mir Heiligkeit zuerkennen, das tun, weil sie gut von mir denken,
und diejenigen, die mich
des Unglaubens bezichtigen, tun das aus Eifer für ihre Religion.
Und einer, der sich für
seine Religion ereifert, ist Gott lieber
als einer, der über
jemanden etwas Gutes denkt.«
Dann sprach er zu mir:
»Und wie wird es
dir gehen, Ibrahim, wenn du mich gekreuzigt, getötet und verbrannt
siehst? –
Und das wird der glücklichste
von allen Tagen meines Lebens sein!«
Dann sprach er:
»Sitz nicht länger;
geh im Schutze Gottes!«
Aus dem Kitâb
at-tawâsîn: Tasîn des Verstehens
Das Verständnis der
geschaffenen Wesen hat keine Beziehung zur Wirklichkeit,
und die Wirklichkeit hat
keine Beziehung zum Geschaffenen.
Die Gedanken sind Bande,
und die Bindungen der erschaffenen
Wesen erreichen nicht die Wirklichkeiten.
Das Erfassen des Wissens
von der Wirklichkeit ist schwer –
Das der Wirklichkeit der
Wirklichkeit wieviel mehr!
Die Wahrheit liegt hinter
der Wirklichkeit,
und die Wirklichkeit diesseits
der Wahrheit.
Der Falter fliegt um das
Kerzenlicht,
bis der Morgen anbricht,
und kehrt zu seinesgleichen
zurück,
berichtet ihnen von des
Zustandes Glück
mit lieblichstem Wort –
dann vereint er sich mit
der koketten Schönheit,
begierig, zur Vollkommenheit
zu gelangen.
Das Licht der Kerze ist
das Wissen von der Wirklichkeit,
ihre Wärme die Wirklichkeit
der Wirklichkeit,
das Gelangen zu ihr die
Wahrheit der Wirklichkeit.
Er begnügt sich nicht
mit ihrem Licht,
mit ihrer Wärme nicht,
und wirft sich ganz hinein,
und seinesgleichen erwarten
seine Rückkehr,
damit er ihnen von der
Schau berichte,
da er nicht mit der Kunde
sich begnügt.
Und da entschwindet er,
vermindert sich, verflüchtigt sich
und bleibt ohne Spur und
Leib, ohne Namen und Zeichen.
Weshalb sollte er zu den
Formen zurückkehren,
und in welchem Zustand,
nachdem er gewonnen hat?
Wer zur Schau gelangt,
bedarf nicht mehr der Kunde;
wer zum Geschauten gelangt,
bedarf nicht mehr der Schau.
Aus dem Divan
Die Ruhe, und dann Schweigen,
und dann Stummheit,
Und Wissen, und dann Finden,
dann Begraben,
Und Erde, darauf Feuer,
dann ein Leuchten,
Und Kälte, dann ein
Schatten, und dann Sonne,
Und Felsgrund, und dann
Flachland, und dann Wüste,
Und Fluß, und dann
ein Meer, und dann Vertrocknen,
Und Rausch, und dann Ernücht'rung,
und dann Sehnsucht,
Und Nähe, und dann
Treffen, dann Vertrautheit,
Bedrängnis, dann Befreiung,
dann Vernichtung,
Und Trennung, dann Vereinung,
dann Verlöschen,
Ergreifen, dann ein Rückstoß,
dann Entrückung,
Beschreibung, dann Enthüllung,
dann Bekleidung.
Nur Worte für die
Menschen, die das Diesseits
Gleichsetzen mit wertlosen
Kupfermünzen,
Und Stimmen hinter einer
Tür; denn Worte
Der Menschen sind, wenn
man sich nähert, Murmeln.
Das Letzte doch, des sich
ein Mensch erinnert,
Wenn er das Ziel erreicht,
ist »Ich«, »Mein Glückslos«,
Denn die Geschöpfe
sind der Wünsche Diener,
Und Gottes Wirklichkeit
ist »Heiligkeit«.
In meinem Herzen kreisen
Anderes nicht spricht die Zunge,
Wenn ich nach Osten mich wende,
strahlst
Du im Osten mir auf,
Wenn ich nach Westen mich wende,
stehst
vor den Augen Du mir,
Wenn ich nach Oben mich wende,
bist
Du noch höher als dies,
Wenn ich nach Unten mich wende,
bist
Du das Überall hier.
Du bist, der allem den Ort
gibt,
aber
Du bist nicht sein Ort,
Du bist in allem das Ganze,
doch
nicht vergänglich wie wir.
Du bist mein Herz, mein Gewissen,
bist
mein Gedanke, mein Geist,
Du bist der Rhythmus des Atmens,
Du bist
der Herzknoten mir.
*
Du rinnest zwischen Herzhaut
und dem Herzen,
So wie die Tränen
von den Lidern rinnen,
Und wohnest im Bewußtsein
tief im Herzen,
So wie der Geist wohnt
in den Körpern drinnen.
Nichts Regungsloses kann sich
jemals regen,
Wenn Du es nicht bewegst,
verborgen innen.
*
Der Qadi Abu Bakr ibn
al-Haddad berichtet:
Als die Nacht kam, an
deren Morgen Halladsch getötet werden sollte,
erhob er sich und wandte
sich zur Kaaba, seinen Mantel überwerfend,
und erhob seine Hände
und sprach mit vielen Worten, die man nicht alle behalten konnte.
Zu dem, was ich davon
behalten habe, gehört, daß er sagte:
»Wir sind Deine Zeugen
– wir nehmen Zuflucht in dem Glanz Deiner Macht
und werden durch ihn erleuchtet,
damit Du erscheinen lässest von Dir, was Du willst.
Du bist es, dessen Thron
im Himmel ist,
und "Du bist im Himmel
Gott und auf Erden Gott" (Sura 43/48).
Du manifestierst Dich,
wie Du willst,
so wie es Deine Manifestation
– entsprechend Deinem Willen – als "schönste Form" ist,
und in dieser Form ist
der Geist, der wirkt durch Wissen, Erklärung, Macht und Beweis.
Dann hast Du Deinem Zeugen,
dem Ich-seienden, Dein Wesen, das Er-Seiende, eingegeben.
Und wie ist es mit Dir,
wenn Du Dich mir selbst verähnlichst am Ende meiner Etappen,
und Mich selbst anredest
durch Mich selbst,
und Du die Realitäten
Meiner Kenntnisse und Meiner Wunder erscheinen läßt,
während Ich aufsteige
in Meinen Himmelfahrten zu den Thronen Meiner Urewigkeit
bei Meinem schöpferischen
Wort!
Man hat mich ergriffen
und gefangen und herbeigebracht
und gekreuzigt und getötet
und verbrannt,
und die aufwirbelnden verstreuenden
Winde tragen meine Teile davon.
Und wahrlich ein Atom des
Yandschudsch-Räucherwerkes,
der Stütze des Tempels
meiner Transfigurationen,
ist gewaltiger als die
festgegründeten Berge.«
Dann rezitierte er:
Trauer klage ich Dir für
die, deren Zeuge gegangen
Hinter das Wo, um zum Zeugen
der Urewigkeit zu gelangen.
Trauer klage ich Dir um
Herzen, die lange entwöhnt sind
Die Wolken der Offenbarung,
die Meere der Weisheit umfangen.
Trauer klage ich Dir um
die Sprache Gottes -geschwunden
Ist sie, und auch die Erinnerung
dran ward wie Nichtsein seit langem.
Trauer klage ich Dir um
die klaren Beweise, vor denen
Wort und Verständnis
der Allerberedtesten demütig bangen.
Trauer klage ich Dir um
die Andeutungen des Geistes;
Nichts blieb als Trümmer,
verfallen, von all ihrem Prangen.
Trauer klag ich - bei Deiner
Liebe! - um Tugenden jener,
Die ihre Reittiere stets
mit dem Zaum des Gehorsams bezwangen.
Siehe, sie alle verwehten,
da ist keine Spur und kein Brunnen,
Hin geschwunden wie Ad,
wie die Stätten von Iram vergangen.
Und es sind ihnen Menschen
gefolgt, die im Finsteren tappen,
Blinder als Tiere, als
Herden von Vieh nur in blindem Verlangen.
Man brachte Halladsch
gefesselt, in Ketten, und er tanzte in seinen Fesseln und sprach lachend:
Mein Zechgenosse, immer
von Tyrannei ganz rein,
Gastfreundlich gab er Wein
mir, lud mich, sein Gast zu sein,
Und als der Becher kreiste,
ließ er den Henker ein –
So geht's, wenn mit dem
Drachen im Sommer man trinkt Wein!
Ibrahim ibn Fatik berichtet:
Als man Halladsch brachte,
um ihn zu kreuzigen, sah er das Holz und die Nägel.
Da lachte er so sehr, daß
seine Augen tränten.
Dann wandte er sich zu
der Menge und sah Schibli darunter und sprach zu ihm:
»Abu Bakr, hast du
deinen Gebetsteppich bei dir?« Er sagte: »Ja, gewiß,
Meister!«
Er sprach: »Breite
ihn für mich aus!« Er breitete ihn aus.
Und Husain ibn Mansur betete
zwei rak'a darauf.
Ich war nahe bei ihm.
In der ersten rak'a rezitierte
er die Fatiha und Gottes Wort:
»Wir werden euch
mit etwas an Furcht und Hunger heimsuchen« (Sura 2,155)
und in der zweiten rezitierte
er die Fatiha und Gottes Wort:
»Jede Seele kostet
den Tod« (Sura 3,185).
Und als er den Schlußgruß
des Gebetes sprach,
sagte er Dinge, die ich
nicht alle behalten habe.
Zu dem, was ich behalten
habe, gehört dies:
»O Gott, wahrlich,
Du bist es, der sich aus jeder Richtung manifestiert,
der von jeder Richtung
frei ist.
Bei der Tatsache, daß
Du mein Recht garantierst,
und bei der Tatsache, daß
ich Dein Recht garantiere –
daß ich Dein Recht
garantiere, widerspricht dem, daß Du mein Recht garantierst,
denn meine Garantie für
Dein Recht kommt aus meiner menschlichen Natur,
und Deine Garantie für
mein Recht kommt aus göttlicher Natur.
Und so wie meine Menschlichkeit
in Deiner Göttlichkeit aufgeht, ohne sich mit ihr zu vermischen,
so überwältigt
Deine Göttlichkeit meine Menschlichkeit, ohne sie zu berühren.
Bei Deiner Vorzeitlichkeit
gegenüber meiner Zeitlichkeit –
und bei meiner Zeitlichkeit
unter den Gewändern Deiner Vorzeitlichkeit!
Daß Du mir den Dank
für diese Wohltat bescherst, die Du mir gnädig gewährt hast,
als Du den Anderen das
verbargst, was Du mir an Erscheinungen Deines Antlitzes enthülltest,
und anderen als mir das
verboten hast,
was Du mir erlaubt hast
an Schau in die verborgenen Tiefen Deines Mysteriums!
Diese Deine Diener haben
sich versammelt, um mich zu töten,
aus Eifer für Deine
Religion, und um Dir näherzukommen.
Vergib ihnen, denn wenn
Du ihnen enthüllt hättest, was Du mir enthüllt hast,
so täten sie nicht
das, was sie tun,
und wenn Du mir verhüllt
hättest, was Du ihnen verhüllt hast,
so würde ich nicht
mit dem heimgesucht, womit ich nun heimgesucht werde.
Dir gebührt Lob für
das, was Du tust,
und Dir gebührt Lob
für das, was Du willst.«
Dann schwieg er und betete
innerlich.
Dann sprach er:
Tötet mich, O meine
Freunde,
Denn im Tod nur ist mein
Leben!
Ja, im Leben ist mir Tod
nur,
Und im Sterben liegt mein
Leben.
Wahrlich, höchste
Gnade ist es,
Selbst verlöschend
zu entschweben
Und als Schlechtestes erkenn
ich,
Fest an diesem Leib zu
kleben.
Überdrüssig ist
die Seele,
Hier noch im Verfall Zu
leben.
Tötet mich, ja, und
verbrennt mich,
Dessen Glieder elend beben!
Geht dann an dem Rest vorüber,
an den Grüften, leer
von Leben:
Meines Freunds Geheimnis
sollt ihr
Aus der Erben Innerm heben.
Seht, ich, einer von den
Alten,
Die nach höchsten
Rängen streben,
Bin jetzund ein Kind geworden,
Nur der Mutterbrust ergeben,
Ruhend in der salz'gen
Erde
Und in tiefsten dunklen
Gräben!
Wunderbar, daß meine
Mutter
Ihrem Vater gab das Leben
Und daß meine jungen
Töchter
Mich gleich Schwestern
jetzt umgeben.
Eh'bruch nicht, noch Zeitenwandel
Haben dies Geschehn ergeben!
Sammelt meine Teile alle
Aus erstrahlenden Geweben,
Aus der Luft und aus dem
Feuer,
Aus dem frischen Quell
daneben!
Sät sie sorglich in
die Erde,
Die noch staubig ist und
eben,
Und befeuchtet sie, O Freunde,
Laßt die Becher kreisend
schweben!
Laßt die Dienerinnen
gießen,
Brunnen drehend Wasser
heben!
Seht, nach sieben Tagen
wird sich
Draus ein edler Strauch
erheben!
Da trat Abu'l-Harith der
Henker vor und gab ihm eine Ohrfeige,
daß seine Nase blutete
und das Blut auf sein graues Haar floß.
Da schrie Schibli auf und
zerriß sein Gewand.
Abu'l-Husain al-Wasiti
und eine Menge berühmter Mystiker wurden ohnmächtig,
und fast wäre ein
Aufstand losgebrochen. Aber die Wächter taten, was sie taten.
Schibli berichtete:
Ich ging zu Halladsch,
als seine Hände und Füße bereits abgeschnitten waren
und er auf einem Baumstumpf
gekreuzigt war,
und sagte zu ihm: »Was
ist Mystik?«
Er sprach: »Ihre
niedrigste Stufe ist, was du hier siehst.«
Ich sagte: »Und was
ist die höchste?«
Er sagte: »Du hast
keinen Zugang dazu. Aber morgen wirst du es sehen.
Denn es ist im Verborgenen,
was ich gesehen habe, und so ist es dir verborgen.«
Und als es Zeit zum Abendgebet
war, kam die Erlaubnis vom Kalifen, ihm den Kopf abzuschlagen.
Da sagte der Wächter:
»Es ist schon Abend, wir wollen es bis morgen verschieben.«
Und als der nächste
Morgen kam, wurde er vom Holz genommen und vorangeführt,
damit man ihm den Kopf
abschlüge.
Da sprach er mit lauter
Stimme:
»Der Anteil des in
Ekstase Versunkenen ist, daß der Eine ihn zur Einheit zurückführt.«
Dann rezitierte er den
Koranvers:
»Herbei wünschen
[die Stunde des Gerichtes] diejenigen, die nicht an sie glauben;
die aber, welche an sie
glauben, wissen, daß es die Wahrheit ist.« (Sura 42/13).
Und man sagt, dies sei
das Letzte gewesen, was man von ihm gehört habe.
Dann wurde ihm der Kopf abgeschlagen,
und er wurde in eine Matte
gewickelt und mit Naphtha übergossen und verbrannt,
und seine Asche wurde oben
auf ein Minaret getragen, damit der Wind sie verstreue.